Hier steht später die Headline - Konrad-Adenauer

LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
MAZEDONIEN
JOHANNES D. REY
Juni 2016
www.kas.de/mazedonien
Und wer fragt das Volk?
In Mazedonien steigt die Politikverdrossenheit
Der „Hinterhof Europas“ bereitet
maligen Ministerpräsidenten Nikola
der Europäischen Union zuneh-
Gruevski, über die Opposition und ih-
mend Sorgen. Der Balkan kann Eu-
ren Anführer Zoran Zaev und über die
ropas Stabilität gefährden. Einen
„bunte Revolution“, die fast jeden
traurigen Beweis liefert die anhal-
Abend mit meist weniger als 1.000
tende politische Schieflage in Ma-
Protestierenden die Fassaden der Re-
zedonien, die sich selbst durch die
gierungsgebäude mit Farben gefüllten
massive Vermittlung der EU nicht
Luftballons malträtieren. Aber sie sind
zum Besseren zu wenden scheint.
nicht das Volk, auch wenn sie es noch
so laut proklamieren.
In den letzten Monaten riss die be-
Die Bürgerinnen und Bürger haben seit
sorgniserregende Berichterstattung
eh und je mit ihren Füssen abge-
nicht ab: “Krise in Mazedonien: Droht
stimmt. Seit der Unabhängigkeit Maze-
ein Flächenbrand in der Balkan-
doniens 1991 sind schätzungsweise
Region?“, „Der Maidan von Skopje“,
mehr als 140.000 migriert, mehr als
„Pulverfass Mazedonien“, „Rechtsbruch
5.000 jedes Jahr. Jeder dritte Uni-
und Kriminalität gehen vom Staat aus“,
Absolvent verlässt das Land - ein klas-
„Die Lunte in Mazedonien glimmt nicht
sischer Brain Drain.
nur, sie brennt“, „Tragisches Versagen
Die Menschen sind der ewigen Polari-
der EU in Mazedonien“ sind nur eine
sierung und Kompromisslosigkeit in Po-
kleine Auswahl der negativsten Schlag-
litik und Gesellschaft müde. Selbst die-
zeilen, die es in den Printmedien zu le-
jenigen, die im Lande bleiben, kündi-
sen gab.
gen innerlich. Die stille Mehrheit sieht
„Only bad news is good news“ lautet
keinen Sinn mehr in Demonstration
die alte Journalistenweisheit. Aber wie
und Konfrontation.
ist es wirklich um das Land bestellt?
Ein immer wieder heraufbeschworener
Wie empfindet die Bevölkerung? Gibt
ethnischer Konflikt hat keinen Platz
es einen Ausweg?
mehr in der mazedonischen Gesellschaft. Allen Unkenrufen zum Trotz
Die Menschen
wirkt das Ohrider Abkommen von
2001. Die unsägliche Segregation der
In den westlichen Medien ist viel zu le-
Klassen in den Schulen muss endlich
sen über die Regierung und den ehe-
aufgelöst werden. Ein gemeinsames
2
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Lernen wäre der Schlüssel allen Er-
ten aller Parteien besetzte Wahlkom-
folgs.
mission hat einen guten Job gemacht.
Politik und Recht
Lösungsansätze
Politik beugt Recht ist der Grundsatz,
Ein Wahltermin ist nicht das Wichtigs-
zuletzt gesehen am Amnestiegesetz.
te. Entscheidend ist eine Einigung der
2009 novelliert, 2016 revidiert und
verfeindeten Parteien und eine daraus
nochmals novelliert, hat Staatspräsi-
abzuleitende gemeinsame Erklärung,
dent Ivanov nach internationalen Pro-
dass Neuwahlen nun organsiert und
testen die Begnadigung von Politikern
abgehalten werden können. Der Prie-
wieder zurückgezogen.
be-Bericht und die Przino-Vereinbarung
Der moralische Zeigefinger Zaevs ist
können als Wegweiser dienen.
fehl am Platz, bleibt er somit der einzi-
Der von Außenminister Steinmeier als
ge vom damaligen Staatspräsidenten
Sonderbeauftragter eingesetzte Bot-
Crvenkovski im Fall „Global“ im Jahre
schafter Haindl wird von allen Seiten
2008 begnadigte Politiker im Lande.
akzeptiert. Er verhandelt mit ruhiger
Auch seine für die Wiederaufnahme
Hand und versucht im Gegensatz zum
von Verhandlungen neu gesetzte Vor-
vorherigen Vermittler Vanhoutte keine
bedingung der rechtlichen Anerken-
eigenen Positionen in die Öffenttlichkeit
nung der Sonderstaatsanwaltschaft zur
zu tragen. Peter Vanhouttes legendäre
Aufarbeitung der Abhöraffäre durch
„Katzentwitter“ zeigen wie es nicht sein
das unabhängige Verfassungsgericht
sollte.
zeigt ein verquertes Rechtsverständnis.
Es bleibt ein Rätsel, warum die gut
Viele Rechtsexperten sehen in ihrer
ausgebildete Politikerelite Mazedoniens
Einsetzung, neben der Staatsanwalt-
ihre Hausaufgaben nicht selbst erledi-
schaft, einen Verfassungsbruch.
gen kann. Der nicht enden wollende
Nichtsdestotrotz, die Sonderstaatsan-
Einsatz von ausländischen Vermittlern
waltschaft wird jetzt wieder frei arbei-
verletzt die Bevölkerung in ihrem Stolz.
MAZEDONIEN
JOHANNES D. REY
Juni 2016
www.kas.de/mazedonien
ten können, auch wenn sie nicht immer
geschickt vorgeht.
Internationale Widersprüche
Die oft geforderte Nachbesserung des
von internationalen Experten mitver-
Die politische Rolle der Botschaften ist
fassten Mediengesetzes ist nicht von-
entsprechend groß. Mehr Neutralität ist
nöten. Das Problem ist die Lagerbil-
zuweilen gewünscht, zumal die wider-
dung der Medien – eine fehlende aus-
sprüchliche Politik der Europäischen
gewogene Berichterstattung. Print-
Union dem Land nicht gut tut. Die sie-
medien, TV-, Radiosender und Online-
benmalige Empfehlung der Kommissi-
Magazine sind entweder pro Regierung
on, Beitrittsverhandlungen aufzuneh-
oder pro Opposition. Wie immer fehlt
men, zerstört Vertrauen. Keiner ver-
die Mitte in Mazedonien.
steht, warum ein sanfter Druck auf
Auch die Wählerliste muss nicht noch-
Griechenland so schwer fällt, um den
mals bereinigt werden. Die von Exper-
3
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Namensstreit mit Mazedonien endlich
beizulegen.
MAZEDONIEN
JOHANNES D. REY
Und die Menschen? Nur noch 71 Prozent sind für einen Beitritt zur EU - ei-
Juni 2016
ne Verringerung um 17 Prozentpunkte
www.kas.de/mazedonien
in den letzten sechs Jahren.
Fazit
Der Spiegel der Selbstreflexion ist nicht
die Stärke mazedonischer Politik. Der
ständige Verweis auf die Versäumnisse
anderer bringt das Land nicht weiter.
Lösungsvorschläge sind gefragt.
Die komplementäre Antwort auf die
Krise müssen mündige Bürgerinnen
und Bürger sein, die sich in Gesellschaft und Politik engagieren und ihre
Stimme erheben. Ein klassischer Nährboden für politische Bildung und Beratung.