Programm/PDF - Kulturwerkstatt HAUS 10

+++ 25 Jahre Kulturwerkstatt Haus 10 +++
13. Werksattkonzert am 26. Juni 2016, 18 Uhr
Philippe de Vitry (1291-1361): zweistimmige Motetten aus dem „Roman de Fauvel“
Guillaume de Machaut (1300-1377): einstimmige Lays und Virelais, sowie zweistimmige
Balladen und Rondeaux
Wolfgang von Schweinitz (*1953): Plainsound Study No.1: The Two Diatonic Divisions of
the Mayor Third, Presented in the Dorian Mode (2015, Uraufführung)
Helge Slaatto, Violine
Frank Reinecke, Kontrabass
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Machaut, unser Zeitgenosse
Beim neuesten Projekt des Duo SlaattoReinecke stehen zweistimmige Kompositionen von Guillaume
de Machaut (1300-1377) im Mittelpunkt. Slaatto und Reinecke verstehen Machaut, diesen
bahnbrechenden Repräsentanten der „Frühen Mehrstimmigkeit“, als immerwährenden Zeitgenossen,
und übersetzen seine Musik anhand der exakten Intonationstechnik der reinen Stimmung („Just
Intonation“) in die Jetzt-Zeit. Eine zentrale Quelle für die hier vorgenommene Entschlüsselung von
Machauts Expressivität ist die genaue, durchaus historische Recherche des dafür geeigneten
Stimmungssystems.
Im faszinierenden Wechselspiel mit heutigem Komponieren wird als Uraufführung eine weiteres Werk
des Hamburger Komponisten Wolfgang von Schweinitz zu hören sein, das er für das Duo
Slaatto/Reinecke geschrieben hat.
Helge Slaatto (Violine), geboren in Oslo, ist Professor für Violine an der Hochschule für Musik
Münster, wirkte als Konzertmeister beim Odense Symfoniorkester, Athelas Ensemble Kopenhagen. Er
studierte bei Maria Lidka, Sandor Végh, Dorothy Delay.
Als renommierter Interpret zeitgenössischer Musik übt er eine umfangreiche solistische Tätigkeit aus,
u. a. mit dem Koenig Ensemble London, Koechlin Ensemble, Randers Kammerorkester Dänemark,
beim Bergen Festival, Cantiere Internazionale d'Arte Montepulciano. Meisterklassen in Deutschland,
Griechenland, Dänemark, Portugal und der Schweiz.
Frank Reinecke (Kontrabass), geboren in Hamburg, studierte bei Klaus Stoll in Berlin, kam 1983
zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, lehrte als Honorarprofessor am Mozarteum
Salzburg und war regelmäßiger Gast beim Cantiere Internazionale d’Arte Montepulciano. Er spielte
zahlreiche Uraufführungen von Solo- und Kammermusikwerken, konzertierte u.a. mit dem Haydn Trio
Wien, Pražák Quartett, Ensemble Recherche, Henschel Quartett, Xsemble. Meisterkurse bei der
Internationalen Sommerakademie Salzburg und bei der Mühldorfer Sommerakademie.
Freier Eintritt
Für Spenden sind wir dankbar
Im Anschluss wie immer Gespräch bei Brot und Wein
Eine Veranstaltung der Kulturwerkstatt Haus 10
Machaut lebte zu jener Zeit, als die ersten Kirchenorgeln in den neuerbauten Kathedralen
Frankreichs erklangen. Diese Orgeln waren pythagoräisch gestimmt – in jenem aus der Antike
überlieferten System, das über reine Quinten konstruiert ist. Dieses Stimmungssystem ist durch einen
deutlichen Kontrast zwischen rauen, schmerzhaften Dissonanzen und lieblichsten harmonischen
Verschmelzungen charakterisiert. Dem harmonischen Eins-Werden der Oktaven, Quinten und Quarten
– in der mystischen Symbolik des Mittelalters ein Aufgehen in Gott – steht die Dissonanz der Terzen
und Sexten entgegen: die Stimmen vermischen sich hier nicht, sondern heben sich zeitweise krass
voneinander ab: sie individualisieren sich. Musikalischer Sündenfall in den Ohren der Kirche, denn mit
der Dissonanz rückt der (unvollkommene) Mensch in die Mitte, und die (immer noch göttliche!)
Harmonie kann in der „Relativität“ emanzipierter Einzelstimmen nur noch für kurze Momente
aufleuchten – und wieder vergehen. Machaut treibt dieses tänzerische Spiel zwischen melodischbrillianter Schärfe und harmonischer Erfüllung immer wieder auf die Spitze: gleich einem
musikalischen Koordinatensystem vom ewigen Spiel des Lebens. Eine Zeit der Frühaufklärung war hier
wohl im Schwange - man kann nachvollziehen, dass der Papst in Avignon ein Berufsverbot für
Machaut aussprach: zumindest sakrale Musik durfte er nicht mehr komponieren. Fortan schrieb er
seine Balladen und Rondeaux, durchaus folkloristisch angehaucht, für die feine höfische Gesellschaft,
in der als eine Art „Star“ gehandelt wurde. Die lebensnahe Poesie Machauts lebt im Spannungsfeld
vom Entbrennen des Liebenden gegenüber der abweisenden Kälte der angebeteten Dame,
leidenschaftlich bis zur Selbstaufgabe, und in bester ritterlicher Manier der „Trobadors".
Guillaume de Machaut hat durch sieben Jahrhunderte Musikgeschichte unermesslichen Einfluss
ausgeübt. Er hinterließ seine subtilen Spuren, direkt oder indirekt, in der Renaissance-, Barock- und in
der Klassischen Musik, in der Moderne, im Pop. Man kann nur staunen, was bei Machaut bereits
angelegt ist, was seine knappen Chiffren an Ausdrucksvielfalt ermöglichen. Der mönchisch-monotone
Klang manch historischer Aufführungspraxis weicht lebenshungriger Vielfalt, Abwechslung und
plastischer Ausdruckskraft. Sie lässt ahnen, dass der Minnesänger Machaut kein Kind von Traurigkeit
war – wohl aber ein Freund erhabener Melancholie.
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Duo SlaattoReinecke
Mit engagierter Kontinuität hat das Duo SlaattoReinecke ein reichhaltiges zeitgenössisches Repertoire
für die ungewöhnliche Besetzung Violine und Kontrabass aufgebaut, und damit eine eigene
Handschrift in Virtuosität und Klang entwickelt. Eine Reihe namhafter Komponisten der Gegenwart
haben für das 1987 gegründete Duo geschrieben, wie Erkki-Sven Tüür, Isang Yun, Niels Viggo
Bentzon, Hanna Kulenty, Manfred Stahnke, Enno Poppe, Nicolaus Richter de Vroe, Erhan Sanri,
Morton Danielsen, Sven Lyder Kahrs, Nikolaus Brass, Chris Newman, Wolfgang von Schweinitz u.a..
Andererseits pflegt das Duo ein weitgespanntes Repertoire aus zweistimmigen Kompositionen seit
dem Mittelalter - von Machaut über Josquin des Préz, Corelli, Bach, Mozart, Schubert usw.
Viele der Werke sind als CD-Einspielungen dokumentiert, wie z.B. die „Plainsound Glissando
Modulation“ von Wolfgang v. Schweinitz, die mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik
ausgezeichnet wurde. Im Zuge dieser Arbeit hat sich das Duo auf dem Gebiet der Reinen Stimmung
(Just Intonation) eine ungewöhnliche Kompetenz erarbeitet. Darüber hinaus haben die beiden Solisten
jeweils Solo-CDs mit zeitgenössischen Werken herausgegeben, von denen einige ihnen gewidmet
sind. Das Duo war auf bedeutenden Festivals der Neuen Musik zu Gast, wie Lucerne Festival,
Klangspuren Schwaz, Klangaktionen München, Numus Festival Dänemark, etc.. Es konzertierte in
vielen europäischen Ländern und den USA.
„Geige und Bassgeige sind keine irgendwie skurrile Duo-Kombination – es ist eine starke Konstellation,
die die Persönlichkeit möglicher Komponisten mit einer geradezu magnetischen Intensität fordert,
vergleichbar dem Zusammenspiel von Nordpol und Südpol.“ (klassik-heute)
»Mit einer Spannweite von sieben Oktaven verfügen die zwei Instrumente über einen beachtlichen
Klangraum und unzählige dramatische Effekte, die in den Händen von Slaatto und Reinecke mit
großem Format entfaltet werden.« (Berlingske Tidende, Dänemark)