Brief von Henrik Blaich

Henrik Blaich
Jägerstr. 30
72622 Nürtingen
Nürtingen, 20.06.2016
Henrik Blaich ­ Jägerstr. 30 ­ 72622 Nürtingen
Stadt Weil der Stadt
Herrn Bürgermeister Thilo Schreiber
und den Gemeinderat
Marktplatz 4
71263 Weil der Stadt
Schließung des Jugendhauses Kloster in Weil der Stadt Sehr geehrter Herr Bürgermeister Schreiber,
sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderats von Weil der Stadt,
mit Bestürzung und Fassungslosigkeit habe ich am Wochenende die Nachricht vernommen, dass das Jugendhaus Kloster in den Räumlichkeiten des alten Augustinerklosters seit März geschlossen ist und von den Mitgliedern des Trägerverein für offene Jugendarbeit Weil der Stadt Kloster ’91 e.V. sowie unzähligen Jugendlichen aus Weil der Stadt und den umliegenden Gemeinden seither nicht mehr genutzt werden kann. Nachdem ich mich nun über den aktuellen Sachverhalt und Stand der Dinge informiert habe wende ich mich heute mit der Bitte an Sie, Ihre Entscheidung zu überdenken und den Weg für eine möglichst rasche Wiedereröffnung des Jugendhauses in seinen angestammten Räumlichkeiten zu ermöglichen. Der Verlust dieses einzigartigen Ortes für junge Menschen in Weil der Stadt wäre immens. Das „Kloster“ hat viele junge Menschen bereichernde Erfahrungen machen lassen und erweist sich seit mehreren Jahrzehnten als höchst lebenswerter Ort, an dem Gemeinschaft, Kreativität und Engagement zuhause sind. In Zeiten des schleichenden Demokratieverfalls darf dieser zutiefst demokratische und moralische Platz nicht wegfallen.
Ich kenne die Historie des „Klosters“ sehr gut, da ich 1991 als damals 18­jähriger intensiv an der Verfassung der Vereinssatzung des immer noch aktiven Trägervereins mitgewirkt habe. Kennengelernt habe ich das „Kloster“ einige Jahre zuvor als neugieriger Jugendlicher durch den Besuch erster Konzerte. Schnell spürte ich die Faszination dieses Ortes: sicherlich immer wild, laut, bunt und für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt immer streitbar, gleichzeitig aber ein sozialer Ort, an dem „Verantwortung übernehmen“ eine erste wirkliche Bedeutung für mich bekommen hat. Dies nicht zuletzt nach der nachvollziehbaren Schließung durch die damalige Stadtverwaltung und unserem am Ende erfolgreichen Unterfangen, den zukünftigen Jugendhausbetrieb durch die Gründung des Trägervereins im Jahr 1991 abzusichern. Um Verantwortung ging es aber auch immer dann, wenn allzu überbordendes jugendliches Treiben wieder auf ein für die Stadt und Anwohner akzeptables Maß zu bringen war, wenn wir Jugendhausbesucher uns mit diversen Aktivitäten in die Stadt eingebracht und wenn wir in großer Verantwortung für den baulichen Erhalt der Räume gesorgt haben. Selbstverständlich ist das „Kloster“ immer ein Ort jugendlichen Auslebens gewesen, gleichzeitig aber auch ein wunderbarer Lernort für ein gemeinschaftliches Miteinander, für Organisations­ und Improvisationskunst und für jugendliches Engagement. Ich war begeistert, als ich anlässlich des 40­jährigen Jubiläums vor zwei Jahren feststellen konnte, dass dieser Geist weiterhin von jungen Menschen in Weil der Stadt tagtäglich gelebt und von
der Stadtverwaltung positiv begleitet wird. Der 2011 erteilte Ehrenamtspreis des Landes Baden­Württemberg für den Trägerverein spiegelt dies wieder.
Als gelernter Sozialpädagoge, der nach seinem Studium beinahe zehn Jahre als „Profi“ in einem Jugendhaus gearbeitet hat, kenne ich die Unterschiede sozialpädagogisch betreuter offener Jugendarbeit und einem selbstverwalteten Jugendhaus aus persönlichem Erleben. Beide Formen sind nicht miteinander vergleichbar und bringen für junge Menschen ganz unterschiedliche Erfahrungsmöglichkeiten mit sich. Als selbstverwaltetes Jugendhaus ist das
„Kloster“ eines der letzten seiner Art, ein „Fossil“ im positiven Sinne. Die Bedeutung eines solchen Ortes für das Erwachsenwerden und sich Einfinden in eine demokratische Gesellschaft kann als nicht wichtig genug erachtet werden. Selbstverwaltung bedeutet Verantwortung lernen, bedeutet Selbstwirksamkeit erfahren und Selbstbewusstsein entwickeln. Ich selber profitiere noch heute von den tiefen Prägungen meiner Zeit im „Kloster“. In einer Zeit, in der die Demokratie nicht mehr als selbstverständlich erstrebenswerte Gesellschaftsform für viele Bürger in diesem Land erscheint, in der sich die einzelnen Milieus immer weiter voneinander segregieren, in der sich Alt und Jung kaum mehr begegnen, obwohl sie doch so sehr aufeinander vertrauen müssen, in so einer Zeit brauchen wir noch viel mehr als in den 90er Jahren junge Menschen, die an demokratisch geprägten Orten lernen und sein und dort im besten Sinne einen sozial verantwortlichen Eigensinn entwickeln können. Ich lese, dass es Bestrebungen gab oder gibt, das Jugendhaus an einen anderen Ort aus dem Stadtkern heraus zu verlagern. Bitte tun Sie dies nicht. Gerade an seinem jetzigen Platz
kann das „Kloster“ bei den jungen Menschen ein sich Einfinden in ein soziales Miteinander bewirken. Dieser Platz direkt gegenüber dem altehrwürdigen Café Renz gestattet kein destruktives Verhalten, dieser Platz setzt Ausgleich und nachbarschaftlichen Dialog voraus. Selbstverständlich kann man nicht erwarten, dass dies bei allen jugendlichen Klosterbesuchern vom ersten Tag des Besuchs zu 100% vorhanden ist. Aber erwarten Sie ruhig, dass sich die jungen Menschen intensiv darum bemühen werden. Und dies ist um vieles wertvoller als ein auf den ersten Blick plausibel erscheinender Umzug an einen abgelegen Ort, an dem das Jugendhaus niemanden stört. Seien Sie stolz einer Stadt vorzustehen, welche es über nun mehr als 40 Jahre geschafft hat, einen so speziellen Ort wie das „Kloster“ zentral in der Stadtmitte gelegen zu ermöglichen.
Ich bitte Sie herzlich, den aktiven jungen Menschen des „Klosters“ zur Seite zu stehen und eine schnelle und unkomplizierte Lösung für die Räume des Jugendhauses zu suchen. Das „Kloster“ und was es ausmacht kann in einem Container nicht überleben. Sicherlich müssen Sie um Brand­ und Denkmalschutz ringen, aber meine Erfahrung ist, dass es bei bestehendem Willen immer den einen Weg gibt.
Mit freundlichen Grüßen
Henrik Blaich