A. Cordes ua (Hrsg.): Dealing with Economic Failure - H-Soz-Kult

A. Cordes u.a. (Hrsg.): Dealing with Economic Failure
Cordes, Albrecht; Schulte Beerbühl, Margrit
(Hrsg.): Dealing with Economic Failure. Between
Norm and Practice (15th to 21st Century). Frankfurt am Main: Peter Lang/Frankfurt am Main
2016. ISBN: 978-3-631-65825-3; 267 S., 3 Tab.,
13 Abb.
Rezensiert von: Christian Schmitt, Universität Würzburg
Das wissenschaftliche Interesse am Umgang
einer Gesellschaft mit gescheiterten Unternehmungen tritt in Form mehr oder weniger regelmäßiger Wellenbewegungen in Erscheinung. Dass derzeit verstärkt Abhandlungen zur Geschichte des Scheiterns erscheinen, nimmt vor dem Hintergrund der seit
2008 in unterschiedlichen Intensitäten wahrzunehmenden Banken- und Wirtschaftskrise
nicht wunder.1 Der vorliegende Band ist das
Ergebnis der Tagung „Dealing with economic
failures: Extrajudicial and judicial conflict regulations“, die im Februar 2014 in Frankfurt am Main stattfand. Der entsprechend
seiner internationalen Ausrichtung vollständig in englischer Sprache gehaltene Tagungsband fasst die Ergebnisse der vom Frankfurter LOEWE-Schwerpunkt „Außergerichtliche
und gerichtliche Konfliktlösung“ unterstützten Veranstaltung unter der Fragestellung zusammen, welche Entwicklungen generell das
ökonomische Scheitern seit der Frühen Neuzeit durchlaufen hat und welche Lehren heute
daraus gezogen werden können.
Unter diesem weit gefassten Oberthema ist
es den Herausgebern gelungen, einen interdisziplinären Diskurs zwischen Wirtschafts-,
Sozial- und Rechtshistorikern anzuregen. Als
thematisch erheblich enger erweisen sich naturgemäß die Einzelbeiträge. Diese geben einen lebhaften Einblick in inhaltlich, räumlich
und zeitlich abgegrenzte konkursrelevante
Themenbereiche. So decken die zehn Beiträge
einerseits unterschiedliche Etappen des Scheiterns ab, wenn Mechthild Isenmann „Conflict
Solution Strategies of Upper German Trading
Companies in the Fifteenth and ’Long’ Sixteenth Century“ thematisiert, während Viera Rebolledo-Dhuin sich mit der Funktion
von Kredit sowie mit Konkursen im Pariser
Buchhandel des 19. Jahrhunderts befasst. Einen ähnlichen Zugang haben Klas Nyberg
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und Håkan Jakobsson („Negotiations, credit
an trust in Northern Europe: institutional efficiency in the handling of bankruptcies in late
eighteenth-century Stockholm“). Sie beleuchten die Entwicklung weg von der privaten
hin zu einer öffentlichen Konkursabwicklung.
Unter anderem mit Hilfe quantitativer Auswertungen richten sie sodann den Blick auf
Konkursverfahren vor dem Stockholmer magistrat och rådhusrädds und stellen auch auf
dieser Grundlage die Weiterentwicklung des
lokalen Konkursrechts dar.
Rechtshistorische Ansätze verfolgen hingegen Wolfgang Forster („Failed Memoria: Rights of Patronage and of Burial
in Bankruptcy“), Dave de ruysscher („The
Struggle for Voluntary Bankruptcy and Debt
Adjustment in Antwerp c. 1520– c. 1550“), Jasper Kunstreich („Bankruptcy Laws as Standortpolitik – The case of Hamburg 1850 to
1870“), Ulrich Falk und Christoph Kling („The
Regulatory Concept of Compulsory Composition in the German Bankruptcy Act“) sowie
– in Form einer kurzen Betrachtung des gegenwärtigen deutschen Insolvenzrechts mit
Einblicken in jüngere US-amerikanische Entwicklungen – Peter von Wilmowsky. So weist
Forster insbesondere auf die negativen gesellschaftlichen Folgen hin, die ein Konkurs im
Spanien des 17. Jahrhunderts mit sich brachte.
De ruysscher kommt zu dem Ergebnis, dass
sich in Antwerpen bereits im 16. und 17. Jahrhundert Regelungen herausbildeten, die auf
das einvernehmliche Zusammenwirken von
Gläubigern und Schuldner abzielten, die Liquidation sich aber (noch) als das wirkungsvollere Mittel erwies.
Hinzu kommen die Beiträge von Magnus Ressel („Norm and Practice of Handling Complex and International Insolvencies in Early Modern Venice“) sowie von Erika Vause („The Ties that Bind?: An Analysis of the Debt Imprisonment Records in
Lyon 1835–1840“), die jeweils normativen
und praktischen Fragestellungen nachgehen.
Nach einer begrifflichen Einführung veranschaulicht Ressel das Wirken und damit auch
das Scheitern deutscher Kaufleute in Vene1 So zum Beispiel Ingo Köhler / Roman Rossfeld (Hrsg.),
Pleitiers und Bankrotteure. Geschichte des ökonomischen Scheiterns vom 18. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt
am Main 2012.
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dig in einer Fallstudie über den Konkurs
des aus Colmar stammenden Georg Friedrich Faber im Jahr 1773. Der Befund, dass
in Venedig aus dem Ausland stammenden
Kaufleuten im Konkurs die gleichen Privilegien zuteilwurden wie einheimischen, darf
als Beispiel dafür gelten, dass die Handelsstadt das Wiedererstarken in Schieflage geratener Marktteilnehmer anstrebte. Die Praxis
der venezianischen Regierung, das Konkursverfahren weitgehend Schlichtungsinstitutionen zu überlassen, spricht ebenfalls hierfür.
Das Gebiet der Strafvollstreckung betritt Vause, die anhand vorhandener Gefangenenakten
untersucht hat, gegen welche Bankrotteure im
Untersuchungszeitraum die Schuldhaft vollstreckt wurde. Neben Details aus dem Leben
der Delinquenten erfährt der Leser, dass der
Schuldturm im Jahr 1832 rechtlich perpetuiert
und die Inhaftierung auf Antrag der – meist
höheren Schichten angehörigen – Gläubiger
gegen mittelständische und kleingewerbliche
Schuldner erfolgte, um Ersteren ein zusätzliches Druckmittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu geben.
Bereits aus den Beitragstiteln wird die Internationalität des Tagungsbandes ersichtlich.
Letztlich liegen den behandelten Bereichen
– egal ob Stockholm im späten 18. Jahrhundert, Hamburg, Paris oder Lyon im 19. Jahrhundert, Antwerpen oder Venedig – dieselben Fragestellungen zugrunde: Wie geht eine
Gesellschaft mit einem insolventen Unternehmer um? Soll ihn die Strenge des Rechts treffen, sollen – wie es im 15. und 16. Jahrhundert vielerorts geübte Praxis war – also neben wirtschaftliche auch strafrechtliche Sanktionen treten? Oder erweist es sich auf lange
Sicht für alle Beteiligten als nützlicher, dem
Falliten die Möglichkeit einzuräumen, seine
Schulden nach abgewickeltem Konkurs begleichen zu können?
Der Tagungsband zeigt, dass es auf diese
zentralen Fragen keine pauschalen Antworten in den Kategorien „richtig“ oder „falsch“
gab und gibt. Jedes Gemeinwesen musste
seine eigenen Regeln für den Umgang mit
gescheiterten Wirtschaftsteilnehmern finden.
Die Intensität des obrigkeitlichen Eingriffs sowie die Entfernung oder Reintegration eines
gescheiterten Unternehmers waren die wichtigsten Stellschrauben, die den Obrigkeiten
seit der Frühen Neuzeit zur Sicherung des
„gemeinen Besten“ zur Verfügung standen
und sich in den diversen Konkursgesetzen
widerspiegelten. Dass die konkreten Ausgestaltungen ganz unterschiedlich sein konnten, belegt der Tagungsband auf anschauliche Weise. Die in der Einleitung (S. 24 f.)
aufgestellte These, dass Recht eine – verzögerte – Reaktion auf wirtschaftliche und soziale Realitäten darstellt, ist gerade für Konkurse zu bestätigen. Dabei muss das Konkursrecht, das sich ohnehin im komplizierten
Spannungsfeld zwischen obrigkeitlicher Kontrolle und der Einfachheit und Schnelligkeit
des Geschäftsverkehrs befindet, sowohl privaten als auch obrigkeitlichen Interessen gerecht werden. Nicht zu vergessen sind zudem „weiche“ Faktoren wie Reputation, Kreditwürdigkeit und Vertrauen, die unabdingbare Elemente jeder wirtschaftlichen Betätigung sind.
Den Herausgebern und Autoren ist mit
dem vorliegenden Band ein „Rundumschlag“
im positiven Sinne gelungen. Die Stärke
der Publikation liegt ohne Zweifel in der
Vielfalt, Heterogenität und Internationalität
der Beiträge. Auf diese Weise werden Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede des
institutionalisierten Umgangs mit ökonomischem Scheitern herausgearbeitet. Im Umkehrschluss darf der Leser freilich keine nahtlose, in sich stringente Darstellung erwarten. Ein Tagungsband mit zehn Beiträgen unterschiedlicher Fachrichtungen, die sich in
einem wirtschaftsrechtshistorischen Schnittpunkt treffen, kann dies schlechterdings nicht
leisten. Insgesamt bietet der Band einen interdisziplinären Überblick über das wirtschaftliche Scheitern seit dem 15. Jahrhundert
und beleuchtet dabei ganz unterschiedliche
Aspekte. Für die Konkurs(rechts)geschichte
schlagen die Herausgeber und Autoren damit
einen Pflock ein, der in Zeiten von Nullzinspolitik und Eurokrise den Zeitgeist trifft und
zu weiterführenden Forschungen einlädt.
HistLit 2016-2-196 / Christian Schmitt über
Cordes, Albrecht; Schulte Beerbühl, Margrit
(Hrsg.): Dealing with Economic Failure. Between Norm and Practice (15th to 21st Century). Frankfurt am Main 2016, in: H-Soz-Kult
23.06.2016.
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