Psychologie aktuell: Wie ältere Menschen lernen

Psychologie aktuell: Wie ältere Menschen lernen
17-06-16
Wie ältere Menschen lernen
Im Alter verschlechtert sich die Wahrnehmungsleistung, was mit einer Vergrößerung der
entsprechenden Gehirnaktivität einhergeht. Lernen und Training können die Wahrnehmung
wieder verbessern. Die altersbedingten Hirnveränderungen verschwinden dadurch allerdings
nicht. Vielmehr vergrößert sich die Gehirnaktivität noch mehr, aber aus anderen Gründen und
mit anderen Folgen. Das haben Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) in einer Studie
herausgefunden, deren Ergebnisse jetzt in Scientific Reports veröffentlicht sind.
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Ausbreitung der Hirnaktivität im Alter
Die Forscher ließen Versuchspersonen verschiedenen Alters mit der Fingerkuppe zwei Nadelspitzen
ertasten, die in engem Abstand zueinander standen. Ältere Personen nahmen die beiden Spitzen
schon ab einem verhältnismäßig großen Abstand nur noch als eine wahr, während jüngere sie noch
unterscheiden konnten. Diese Wahrnehmungseinschränkungen der älteren Menschen werden
begleitet von einer räumlichen Ausbreitung der Hirnaktivität, was Wissenschaftler allgemein als
Kompensationsmechanismus interpretieren.
Lernen und Training verbessern die Wahrnehmung
Die altersbedingte Beeinträchtigung der Wahrnehmung ist jedoch nicht unumkehrbar, sondern kann
durch Training und Lernen verbessert werden , erklärt Privatdozent Dr. Hubert Dinse vom Neural
Plasticity Lab der RUB. Die Frage, die sich die Forscher stellten, war, ob sich dabei auch die
altersbedingten Hirnveränderungen zurückbilden. Kommt es also durch Training und Lernen zu einer
Verjüngung des Gehirns?
Lernen weitet Gehirnaktivität ebenfalls aus
Aus Untersuchungen an jüngeren Erwachsenen weiß man, dass Lernprozesse meist von einer
gesteigerten und verbreiterten Gehirnaktivität begleitet werden. Wenn es stimmt, dass altersbedingte
Beeinträchtigungen der Wahrnehmungsleistung durch Lernen rückgängig gemacht werden können,
sollte Lernen im Alter einen anderen Einfluss auf das Gehirn haben als bei jungen Erwachsenen: Die
altersbedingte Ausbreitung der Hirnaktivierungen sollte sich zurückentwickeln. Wie die Bochumer
Neurowissenschaftler jetzt aber festgestellt haben, ist das Gegenteil der Fall: Lernprozesse führen
auch bei älteren Menschen zu einer Ausbreitung der Hirnaktivität, die von einer verbesserten
Wahrnehmungsleistung begleitet ist.
Alterungs- und Lernprozesse mit dem Computer verstehen
lernen ältere Menschen lernen mehr als jüngere
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Wir haben uns gefragt: Wie kann man diese unterschiedliche Wirkung der Ausbreitung der
Gehirnaktivität auf die Wahrnehmung im Alter erklären? , erläutert Privatdozent Dr. Burkhard Pleger
von der Neurologischen Klinik der RUB im Bergmannsheil. Die Forscher nutzten dafür
Computersimulationen, die sowohl die Hirnaktivität als auch die Veränderungen der
Wahrnehmungsleistung in einem Modell nachbilden. So spielten sie verschiedene Möglichkeiten
durch, wie diese Befunde zustande kommen können. Dabei zeigte sich, dass die Gesamtheit der
beobachteten altersbedingten Veränderungen nur durch eine Abschwächung von Mechanismen
erklärbar sind, die die räumliche Ausbreitung von Aktivität verhindern und so fokussiert halten. Im
Gegensatz dazu sind die beobachteten Lernprozesse durch eine allgemein erhöhte Erregbarkeit zu
erklären. Dieser Lerneinfluss auf das Gehirn gilt sowohl für junge als auch ältere Menschen. Das
ältere Gehirn lernt also nach den gleichen Prinzipien wie das jüngere. Betrachtet man die absolute
Größe der lernbedingten verbesserten Wahrnehmungsschärfe bei jungen und älteren Teilnehmern, so
lernen ältere Menschen sogar deutlich mehr als jüngere. Auch dieser Befund ist vor dem Hintergrund
der veränderten Unterdrückung der Hirnaktivität im Alter durch die Computersimulationen zu erklären.
Training lohnt in jedem Alter Verjüngen lässt sich das
Gehirn so aber nicht
Die Computersimulationen erklären demnach zum einen, wie veränderte Gehirnaktivität auf der
Wahrnehmungsebene entgegengesetzte Auswirkungen haben kann. Zum anderen stützen sie die
Beobachtung, dass die Behandlung von Alterungsprozessen nicht darauf beruht diese rückgängig
zu machen , so Hubert Dinse. Sie belegen, dass Training und Lernen sich in jedem Alter lohnen um
fit zu sein und vor allem auch zu bleiben.
Förderung
Die Arbeiten wurden gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Bernstein Fokus, Zustandsabhängigkeit des Lernens
01GQ0975; Projekt 18GL4DW4 und Projekt 01GQ0974, Bernstein Fokus Sequenzlernen 01GQ0963) und der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (TE 315/4-1, 334/19-1; SFB 874 TP A1 und A5).
Titelaufnahme
Burkhard Pleger, Claudia Wilimzig, Volkmar Nicolas, Tobias Kalisch, Patrick Ragert, Martin Tegenthoff, Hubert R. Dinse: A complementary
role of intracortical inhibition in age-related tactile degradation and its remodelling in humans. In: Scientific Reports 6, 2016, DOI:
10.1038/srep27388
https://idw-online.de/de/news654542
E. Neidhardt: Entwicklung des Handlungsgedächtnisses im Alter: konzeptuelle Aspekte
Pabst, 344 Seiten, ISBN 978-3-928057-82-0
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