das Bühnengeschehen zu schreiben. Ihm gehe es darum, »eine
­Kammermusik zu komponieren, die auch ohne jede Geschichte
­aufgeführt werden könnte.« Als sich die Aufführung des Balletts
­bedenklich verzögerte, möglichweise auch in Frage gestellt war, lag
es denn auch nahe, dass Prokofjew sechs Sätze der ursprünglichen
Partitur als »Quintett op. 39« herausbrachte. Es handelt sich um eine
höchst anspruchsvolle Kammermusik, die das dichte thematische
Geschehen immer wieder in einen komplexen Zusammenhang mit
repetierenden Elementen stellt.
GEORGE ONSLOW
(1784 – 1853)
GRAND NONETT A-MOLL FÜR FLÖTE,
OBOE, KLARINETTE, FAGOTT, HORN,
­V IOLINE, VIOLA, VIOLONCELLO UND
­KONTRABASS OP. 77
ALLEGRO SPIRITUOSO
SCHERZO. AGITATO
TEMA CON VARIAZIONI. ANDANTINO CON MOTO
FINALE. LARGO – ALLEGRETTO QUASI ALLEGRO
Es war George Onslow, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
der Wiener klassischen Kammermusiktradition nachhaltig franzö­
sisches Terrain erschloss. Mit 36 Streichquartetten, 34 Streichquin­
tetten und zahlreichen anderen Beiträgen stellte er eine Gattung in
den Mittelpunkt seines Schaffens, die hier eher im Schatten anderer
Musikformen, wie etwa der Oper, stand.
Er kam als Sohn einer englisch-französischen Adelsfamilie in der
­Auvergne zur Welt, und es war zunächst eine pianistische Laufbahn,
die sich für den Heranwachsenden abzeichnete. Er studierte bei nam­
haften Klaviervirtuosen wie Dussek und Cramer in London, erweiterte
seinen künstlerischen Horizont durch Aufenthalte in Deutschland und
Österreich, bis die intensive Beschäftigung mit der Fülle klassischer
Kammermusik in einem regelmäßig musizierenden Freundeskreis
letztlich die entscheidende Wende brachte. Er erprobte sich nun auch
als Cellist und begann zunehmend zu komponieren. Das geschah zunächst auf autodidaktischer Basis und führte 1808 zu a­ bschließenden
Studien bei dem mit Beethoven befreundeten Anton Reicha in Paris.
Rasch erlangte Onslow als Komponist hohes Ansehen, und bald schon
wurden seine Werke auch in England, Österreich und insbesondere
Deutschland zusammen mit denen seiner großen Vorbilder von
Haydn bis zu Mendelssohn aufgeführt. Besondere Anerkennung erfuhr Onslow 1842 mit der Berufung als Nachfolger Cherubinis an die
Académie des Beaux-Arts in Paris. Sein Schaffen geriet nach seinem
Tod weitgehend aus dem Blick.
Eine anhaltende Wiederentdeckung seiner Werke setzte gegen Ende
des 20. Jahrhunderts ein. Zu ihnen zählt auch das »Nonett op. 77«
aus dem Jahre 1848, das diese nur vereinzelt anzutreffende Gattung
um einen eindrucksvollen Beitrag bereichert. Es greift jene Besetzung auf, die Ludwig Spohr vermutlich als Erster und seither Einziger
1813 für sein Nonett in F-dur gewählt hatte. Eine Besetzung, die dem
Komponisten den Weg sowohl zu einer quasi orchestralen Klangfülle
wie auch zu einer kammermusikalischen Ausformung offen lässt.
­Indem Onslow beides höchst sensibel austariert und mit einem
­satztechnisch dichten thematischen Geschehen wirkungsvoll ver­
bindet, setzt er bemerkenswerte Maßstäbe für ein Komponieren in
früh­romantischer Zeit. Es geht in formaler Hinsicht von tradierten
klassischen Grundvorstellungen aus, entwickelt aber zugleich
eigene ­Ausdruckqualität.
VORSCHAU
Das erste Kammerkonzert der neuen Saison findet am Sonntag,
den 6. November 2016 im Funkhaus Wallrafplatz statt und
beginnt um 11.00 Uhr.
BRAHMS @ BUSONI
Ferruccio Busoni
Suite für Klarinette und Streichquartett
Streichquartett Nr. 2 d-moll op. 26
Johannes Brahms
Klavierquintett f-moll op. 34
Nicola Jürgensen Klarinette
Tobias Koch Klavier
Brigitte Krömmelbein Violine
Johanne Stadelmann Violine
Adrian Bleyer Violine
Carola Nasdala Violine
Mischa Pfeiffer Viola
Katharina Arnold Viola
Gudula Finkentey-Chamot Violoncello
Es sei schließlich noch angemerkt, dass das Zusammenwirken
von Streicher- und Bläserklang, wie es in den Werken des heutigen
Programms zutage tritt, seine historischen Wurzeln letztlich in der
Divertimento- und Serenadenmusik des 18. Jahrhunderts hat.
Karl Kemper
BILDNACHWEIS
HERAUSGEBER
Titel: Querflöte © shutterstock/
NA image; Holz © Getty Images/
malerapaso
Innenteil: Portraits © WDR/­
Overmann
Westdeutscher Rundfunk Köln
Marketing
Appellhofplatz 1
50667 Köln
Verantwortliche Redaktion
Michael Krügerke
Redaktion und Produktion des
Konzerts
Siegwald Bütow
Mai 2016
Änderungen vorbehalten
NEUN
FÜNF NEUN
SO 19. Juni 2016
11.00 Uhr
Funkhaus Wallrafplatz, Köln
KAMMERKONZERT
mit Mitgliedern des WDR Sinfonieorchesters
BOHUSLAV MARTINŮ
Nonett Nr. 2 für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott,
Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass
SERGEJ PROKOFJEW
Quintett g-moll für Oboe, Klarinette,
Violine, Viola und Kontrabass op. 39
Pause
GEORGE ONSLOW
Grand Nonett a-moll für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott,
Horn, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass op. 77
Jozef Hamernik Flöte
Manuel Bilz Oboe
Nicola Jürgensen-Jacobsen Klarinette
Henrik Rabien Fagott
Paul van Zelm Horn
Brigitte Krömmelbein Violine
Katja Püschel Viola
Gudula Finkentey-Chamot Violoncello
Stanislau Anishchanka Kontrabass
BOHUSLAV MARTINŮ
(1890 – 1959)
NONETT NR. 2 FÜR FLÖTE, OBOE,
­ LARINETTE, FAGOTT, HORN, VIOLINE,
K
VIOLA, VIOLONCELLO UND KONTRABASS
POCO ALLEGRO
ANDANTE
ALLEGRETTO
Bohuslav Martinů war eine der herausragenden Gestalten in der
­Geschichte der national geprägten tschechischen Kunstmusik. Die
hatte Smetana ab den frühen 1860er Jahren mit seinem Schaffen
maßgeblich bestimmt und Dvořák wie auch Janáček hatten sie nachfolgend zu einer beeindruckend vielfältigen Tradition werden lassen.
Es war Bohuslav Martinů, der diese Entwicklung in die Moderne des
20. Jahrhunderts weiterführte.
Er kam als Sohn eines Türmers im ostböhmischen Polička zur Welt,
erlernte im heimischen Umfeld früh das Geigenspiel und begann
bald mit dem Komponieren. Ein Stipendium ermöglichte ihm ab 1906
ein Studium u.a. bei Josef Suk am Konservatorium in Prag, das er mit
einem Diplom als Geigenlehrer abschloss. Er wurde Mitglied der
Tschechischen Philharmonie, wirkte als Musiklehrer in seiner Heimat­
stadt und vertiefte sich zunehmend in seine kompositorische Arbeit.
So entstanden nach Beiträgen schon zu Studienzeiten bald über 120
weitere Werke. 1923 entschloss sich Martinů zur Übersiedelung nach
Paris. Die Beweggründe waren nach eigenem Bekunden zum einen
die Überzeugung, dass die nationale Ausprägung der tschechischen
Musik durchaus mit westeuropäischen Entwicklungen korrespondieren könne, zum anderen der Wunsch, »Ordnung, Klarheit und Maß
der französischen Kunst inniger kennenzulernen.« Studien bei Albert
Roussel leiteten eine erneut höchst fruchtbare Schaffensphase ein,
bis der Einmarsch der Deutschen ihn 1940 zur Flucht nach Amerika
zwang. Seine schöpferische Arbeit setzte er hier, neue Anregungen
aufnehmend, bald wieder erfolgreich fort, wenn ihm auch das Fehlen
des vertrauten heimatlichen Umfeldes psychisch wie physisch erheblich zusetzte. Eine Situation, die sich noch verschärfte, als Martinů
1953 endlich nach Europa zurückkehren konnte, das kommunistische
Regime ihm aber die Einreise in die Tschechoslowakei verwehrte. Er
starb 1959 in der Schweiz.
Kurz zuvor hatte er, bereits schwer erkrankt, das »Nonett Nr. 2«
­geschrieben. Anlass war das 35jährige Bestehen des »Tschechischen
Nonetts« gewesen. Die Uraufführung bei den Salzburger Festspielen
überlebte er nur noch um wenige Wochen. Als Spätwerk ist das Nonett ein beredtes Zeugnis für Martinůs Verständnis von Musik und
seinem schöpferischen Umgang mit ihr. Bei aller Einbindung in eine
moderne Musiksprache tragen seine melodischen, rhythmischen und
klangfarblichen Bildungen unverkennbare Züge tschechischer Herkunft. Aus Martinůs ausgeprägter Neigung zu konzertierendem Wechselspiel zwischen den Instrumenten resultiert eine große Lebendigkeit
und zugleich auch Dichte des musikalischen Geschehens. Die dreisätzige Anlage rückt das bewegende, zutiefst nachdenkliche Andante
in die Mitte und umschließt es mit Ecksätzen von gelöster, tänzerisch
gestimmter Prägung. Martinů war überzeugt davon, dass »Musik
­immer … Freude und demütige, prätentionslose Haltung« sein sollte.
SERGEJ PROKOFJEW
(1891 – 1953)
QUINTETT G-MOLL FÜR OBOE, KLARINETTE,
VIOLINE, VIOLA UND KONTRABASS OP. 39
THEMA. MODERATO – VARIATIONEN
ANDANTE ENERGICO
ALLEGRO SOSTENUTO, MA CON BRIO
ADAGIO PESANTE
ALLEGRO PRECIPITATO, MA NON TROPPO PRESTO
ANDANTINO
Zur Generation Martinůs gehört in Russland der aus der Ukraine
stammende Sergej Prokofjew, eine Künstlerpersönlichkeit ganz anderer Prägung. Nach früher Förderung durch ein musiknahes Elternhaus hatte er vom 13. Lebensjahr an in St. Petersburg ein breit gefächertes Studium u. a. bei Rimski-Korsakow absolviert und dann eine
erfolgversprechende Karriere als Pianist und Komponist begonnen.
Die revolutionären Entwicklungen in Russland veranlassten ihn, 1918
in die USA zu übersiedeln. Da es ihm nicht gelang, dort hinreichend
Fuß zu fassen, entschloss er sich 1920, über einen Zwischenaufenthalt im oberbayrischen Ettal nach Paris zu gehen. In diesen Jahren
des Exils entstanden Werke kühnster Modernität, insbesondere im
Bereich von Rhythmik und Harmonik. Nach Moskau kehrte er endgültig erst wieder 1936 zurück, womit er sich zugleich aber folgenreich den Restriktionen stalinistischer Kulturpolitik aussetzte.
Das »Quintett op. 39« stammt aus den Pariser Jahren und entstand
1924 in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner »2. Sinfonie«. Mit ihr
gedachte Prokofjew sich in durchaus provozierender Weise von dem
seiner Meinung nach zu vordergründig unterhaltsamen Schaffen eines Milhaud, eines Poulenc abzusetzen. Sinfonie und Quintett hielt
er denn auch im Nachhinein für seine harmonisch gewagtesten
Schöpfungen. Das »Quintett op. 39« entstand in seiner ursprünglichen Form als Musik zu einem achtteiligen, im Zirkusmilieu angesiedelten Ballett mit dem Titel »Trapez«. Angefragt worden war sie von
einer kleinen, reisenden Ballett-Truppe, und Prokofjew nahm den
Auftrag – wie er ausdrücklich betont – »um der Einnahmen willen«
gerne an. Die Truppe verfügte über nur fünf Musiker, und so ergab
sich die ungewöhnliche Besetzung mit Oboe, Klarinette, Violine,
­Viola und Kontrabass. Prokofjew betont, dass er von vornherein
nicht die Absicht hatte, eine Musik mit unmittelbarem Bezug auf