Cordula Regensburger, Plastverarbeiter 03/2016

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PRODUKTION / AUTOMATION
Sorgen für eine gute Sauerstoffversorgung bei Säuglingen:
Nasale Beatmungseinheiten aus Flüssigsilikon
Verarbeitung von Silikon im Reinraum
Silikon-Spritzguss für
die Medizintechnik
Healthcare-Produkte umfassen
rund 15 Prozent des Gesamtvolumens
für Silikonelastomere. Auch neue Materialrezepturen mit speziellen funktionalen (etwa keimtötenden) oder
Silikon besticht durch eine Reihe von
besonderen physikalischen und chemischen Eigenschaften. Es ist in einem
Temperaturbereich von -110 bis 250°
C einsetzbar und dabei hochflexibel,
äußerst alterungsbeständig, chemisch
stabil, schwer entflammbar und frei
von Weichmachern. Zusätzlich ist es
biokompatibel, hypoallergen, wasserabweisend und bakteriell resistent.
Ideale Voraussetzungen also für den
Einsatz im Bereich Healthcare, auf den
15 Prozent des rund drei Milliarden
Euro schweren Weltmarktes für Silikonelastomere entfallen. Durch die weltweit immer besser werdende Versorgung mit Gesundheitsprodukten
wächst auch dieser Teilbereich der Silikonverarbeitung stark.
03 · 2016 · Plastverarbeiter
anwenderfreundlichen Eigenschaften
(temperfrei) machen das dauerflexible
Material interessant für die Medizintechnik. Bei der Verarbeitung sind jedoch hohe Anforderungen gegeben
Grundsätzlich gibt es zwei Formen
von Silikon, die zum Einsatz kommen
können, wobei die Vorlieben international unterschiedlich sind. Während
man in Europa eher Flüssigsilikon (LSR
– Liquid Silicone Rubber) verarbeitet,
bevorzugt man in China und Amerika
den HTV-Feststoff (High Temperature
Vulcanizing). Für beide Sorten liefert
Krauss Maffei schlüsselfertige Verarbei-
Web-Tipp
 Link zur Reinraumtechnik
 Link zum Bundesverband
Medizintechnologie
 Short-URL:
www.plastverarbeiter.de/11907
und häufig sind Reinraumbedingungen zu erfüllen. Genaue Komponenten-Dosierungen, exakt gearbeitete
Formen und eine ausgfeilte Spritzgießtechnik sorgen für hohe Qualität.
tungsanlagen und macht im Rahmen
seines Silcoset-Programmes hydraulische, elektrische und Hybrid-Maschinen mit Schließkräften von 35 bis 650
Tonnen auch nachträglich fit für die
Silikonverarbeitung.
Vergleicht man diese Produktionszellen mit denen für das ThermoplastSpritzgießen, werden wesentliche Unterschiede deutlich: So entstehen LSRBauteile in einem reaktiven Verfahren
aus zwei Einzelkomponenten, das
heißt das Material wird der Maschine
nicht in Granulatform zugeführt, sondern aus zwei Fässern, in denen sich
jeweils das Grundpolymer befindet sowie aufgeteilt weitere Zusatzstoffe wie
Platinkatalysatoren, Vernetzer und Additive. Die chemische Vernetzungsrewww.plastverarbeiter.de
Bild: alle Krauss Maffei
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Blick in eine
Reinraumzelle:
Hier spielt die freitragende Schließeinheit ihre Vorteile
aus. Allein der
Schließenraum ragt
in den Reinraum
und die vollautomatische Entnahme
sorgt direkt für
die Vereinzelung
der Baby CareProdukte.
aktion erfolgt unter Zufuhr von Wärme. Damit diese nicht vorzeitig stattfindet, muss ab dem Zusammenfließen
beider Komponenten in der Mischeinheit gekühlt werden. Die Temperaturführung in der Plastifiziereinheit und
im Spritzgießwerkzeug ist somit genau
umgekehrt zur Thermoplast-Anlage,
nämlich in der Schnecke kalt (20° C)
und im Werkzeug heiß (180° C).
Am Spritzgießwerkzeug selbst wird
dem aufmerksamen Beobachter oft eine Vakuumpumpe auffallen, die von
der Krauss Maffei-Maschinensteuerung
MC6 mit bedient wird. LSR besitzt eine
Konsistenz von Honig bis Wasser, was
zwei Effekte hat: Zum einen kann die
Oberflächenstruktur eines Bauteils wesentlich exakter abgebildet werden als
mit Thermoplasten, zum anderen muss
das Werkzeug mit engen Toleranzen
von drei bis fünf Mikrometern gefertigt
sein, um Leckagen wie unerwünschten
Rohstoffaustritt zu verhindern. Je nach
Teilegeometrie ist das Material jedoch
zu dünnflüssig, um die enthaltene Luft
aus dem Werkzeug zu verdrängen. Deshalb muss ein Vakuum angelegt werden. Kleine Schussgewichte mit engsten Toleranzen, extrem dicht schließende Formen und Vakuum sind Anforderungen, die den Werkzeugbau für
Silikonspritzgießen in die Königsklasse
heben. Nur wenige spezialisierte Anbieter wagen sich an MultikavitätenWerkzeuge mit bis zu 256 Kavitäten.
Wenn das gefertigte Bauteil aus der
Form entnommen wurde, stand bisher
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ein weiterer Verarbeitungsschritt auf
dem Plan. In einem Temperofen wurde
mittels Hitze sichergestellt, dass die
Vernetzungsreaktion vollständig abgeschlossen ist und der Artikel dauerhaft
über die oben genannten physikalischen und chemischen Eigenschaften
verfügt. Vor allem für Lebensmittelund Medizinanwendungen war dies
von großer Bedeutung und konsequenterweise erhielten nur getemperte Produkte eine Klassifizierung der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) oder des deutschen Bundesministeriums für Risikobewertung.
Temperfrei und mit geringem
Gleitreibungskoeffizienten
Tempern an sich ist ein zeit- und energieaufwändiger Vorgang. Die einzelnen Teile müssen aufgenommen und
auf Vorrichtungen gesteckt werden,
der Prozess läuft über unterschiedliche
Temperaturstufen und Zeitzyklen, danach schließt sich eine Abkühlphase
an, nach deren Ende erst die Weiterverarbeitung oder Verpackung erfolgen kann.
Aus diesem Grund stellen neue temperfreie Rezepturen eine wirtschaftlich
äußerst interessante Alternative dar.
Um eine Zulassung von FDA und BFR
zu erlangen, sind die Anforderungen
hoch: Bei einer Temperprobe von vier
Stunden bei 200° C darf der Anteil an
flüchtigen Teilen 0,5 Prozent nicht
überschreiten. Dafür muss in den Silikon-Vorprodukten der Gehalt an nie-
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Schließe der Maschine und beispielsweise einen Sechs-Achs-Handlingroboter komplett aufzunehmen. Für den
Werkzeugwechsel oder zu Wartungszwecken kann die auf Schienen gelagerte Maschine dann einfach aus dem
Reinraum gefahren werden und ist
rundum zugänglich. Für höhere
Schussgewichtskonstanz kann auch
ein Hybrid-Aggregat mit elektrischer
Spritzeinheit in der CX-Baureihe
ergänzt werden.
Hydraulische, elektrische und Hybrid-Maschinen mit Schließkräften von 350 bis 6500 kN für die
Silikonverarbeitung.
dermolekularen Bestandteilen sehr
gering sein um eine weitgehend vollständige Vernetzung zu ermöglichen.
Ein großes Anliegen im Gesundheitsbereich ist die Bekämpfung von
schädlichen Keimen, sie genießt gerade
in Krankenhäusern oberste Priorität.
Da LSR von sich aus bakteriell resistent
ist, leistet es schon in der Standardversion einen wertvollen Beitrag, allerdings können neue Silikontypen noch
wesentlich mehr. Durch eine Beigabe
von Silberionen sind sie bakterientötend. Hobbysportler kennen den Effekt
seit Jahren aus der Bekleidungsindustrie, wo Laufshirt oder Turnschuhe
ebenso mit Silberschicht versehen werden, wenngleich es hier um das eher
harmlose Ziel geht, unangenehmen
Geruch zu mindern.
Anders als andere Industriezweige
hat die Medizintechnik-Branche immer die Sicherheit von Menschenleben
im Blick und deshalb hat die Qualität
eines Produktes höchste Priorität.
Handarbeit in der Fertigung gilt hier
nicht als ein Zeichen von Ineffizienz,
sondern als Ausweis von Sorgfalt und
Güte. So erfolgen manche Montageschritte bewusst durch den Menschen,
um eine gleichzeitige Qualitätsprüfung
zu vollziehen. Dann zahlt es sich aus,
wenn sich beispielsweise Artikel aus
Silikon wie Schläuche, Membrane oder
Dichtungsringe und solche aus ebenfalls Silikon oder auch Stahl (etwa Beutel oder chirurgische Instrumente) einfach miteinander verbinden und mon03 · 2016 · Plastverarbeiter
tieren lassen. Dafür sind solche LowCOF-Typen prädestiniert, die durch
einen um über 50 Prozent reduzierten
Reibungskoeffizienten für ein gutes
Gleitverhalten bei der Montage sorgen.
Um dies zu erreichen, wurde nicht nur
die Polymerzusammensetzung verändert. Das nachfolgende Tempern bringt
hier sogar einen technischen Vorteil,
denn die nachträgliche Wärmeinwirkung verstärkt den Low-COF-Effekt.
In Friedrichshafen auf der Fakuma
2015 zeigte der Maschinenbauer auf
einer vollelektrischen AX50 mit einem
Vierfach-Serienwerkzeug die Produktion einer nasalen Beatmungseinheit
mit einem Schussgewicht von 6,7
Gramm, wobei die Zykluszeit 23
Sekunden betrug. Der hochdynamische SPX 10-Picker mit Teleskoparm
brauchte nur 0,8 Sekunden um die vier
Teile zu entnehmen, kavitätenrein zu
vereinzeln und abzulegen. Diese
Schnelligkeit ist durch mehrere elektrische Servomotoren möglich, die gegenüber pneumatischen Antrieben einen weiteren Vorteil haben: Sie erzeugen keine zusätzlichen Luftverwirbelungen, was besonders in der Reinraumproduktion essentiell ist.
Für die Arbeit im Reinraum eignet
sich auch die vollhydraulische CX bis
160 Tonnen perfekt. Durch ihre kurze
und stabile Zweiplattenbauweise benötigt sie keinen Stützfuß unter der
Schließe, was bedeutet: Ein klein dimensionierter – und damit kostengünstiger – Reinraum genügt, um die
Abhilfe bei
Chargenschwankungen
Durch das reaktive Verfahren hängt
die Güte eines Silikon-Artikels unmittelbar von den Vorprodukten ab, und
hier zeigen sich stärkere Schwankungen als im Bereich der meisten
Thermoplaste. So hat das Öffnen eines
neuen Fasses Einfluss auf das Bauteilgewicht, und bei den HTVs, wo nicht
die gleiche Materialvielfalt verfügbar
ist wie bei LSR, ist es sogar üblich, dass
Verarbeiter batchweise eigene Mischungen anfertigen.
Ein ideales Einsatzgebiet für die Maschinenfunktion APC (Adaptive Process Control). Auf hydraulischen, elektrischen und Hybrid-Maschinen erfasst
das System während des laufenden
Prozesses die Viskosität des Werkstoffs
und korrigiert bereits im Schuss das
Füllvolumen. Der Prozess wird insgesamt noch präziser, das Teilegewicht
bleibt so konstant wie es für gesundheitsrelevante Bauteile erforderlich ist.
Auch eventuell auftretende Vorvernetzungen des Silikons lassen sich mit
APC ausgleichen.
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Autor
Cordula Regensburger,
ist im Produkt- und Technologiemanagement bei Krauss Maffei Technologies in
München tätig.
Kontakt
 Krauss Maffei, München,
[email protected]
www.plastverarbeiter.de