Aus dem Keller geplaudert …. Skurriles und Nützliches zu

Aus dem Keller geplaudert …. Skurriles und Nützliches zu Weinkellerbesuchen Von Béatrice van Strien „Und nun bitte ich Sie, nicht mehr zu reden. Der Wein schlummert in den Fässern und darf nicht gestört werden.“ Das war wohl das Schrägste, das ich in dreissig Jahren Berufsleben von einem Winzer zu hören bekam. Uns -­‐ einer kleinen, weinkundigen und seriösen Besuchergruppe – verschlug es ob dieser Aussage sowieso die Sprache. Vorher hatte der bekannte Piemont-­‐ Winzer uns weiszumachen versucht, dass sein mondänes Schwimmbecken nicht etwa Luxus sei, sondern die natürliche Klimaanlage für den darunter liegenden Weinkeller. Anschliessend reichte uns seine attraktive, aber ziemlich unterkühlte Ehefrau Miniportiönchen von vier ihrer Weine statt, wie vorgesehen und voraus bezahlt, fünf. Dass sie dabei nichts über die Weine zu erzählen wusste, rundete das unvorteilhafte Bild ab. Oder, um bei der Weinsprache zu bleiben, schlug dem Fass den Boden aus. Natürlich verschwand diese Adresse aus dem Reiseprogramm, und wir alle gelobten, nie mehr einen Wein von diesem Produzenten zu kaufen. Weinkellerbesuche verlaufen normalerweise höchst lehrreich und erfreulich. Egal, ob gut instruierte Angestellte durch grosse und bekannte Weingüter führen oder ob Winzerfamilien familiär bei sich zu Hause empfangen: Besuche schaffen eine persönliche Bindung zwischen Kunden und Produkt, die oft ein Leben lang hält. Wo immer ich auf einer Restaurantkarte einen Wein entdecke, der Erinnerungen an einen angenehmen Kellerbesuch weckt, bestelle ich von diesem Tropfen. Als Hobbyjournalistin, als Weinlehrerin und privat habe ich unzählige Winzerkeller besucht. Berufsbedingt habe ich auch selber ein Jahr lang Besucher durch Weinkeller geführt, in Bordeaux wie in Kalifornien. Dabei habe ich die meisten Gäste als disziplinierte und interessierte Weinpilger kennengelernt, die dankbar waren für die Zeit, die ihnen gewidmet wurde und die Weine, die sie verkosten durften. „Unter Tag“ habe ich aber auch anderes erlebt: Lustiges, Peinliches, je nach Herkunft und Mentalität der Besucher. So kam regelmässig ein Bus mit einer grösseren Gruppe japanischer Geschäftsleute nach Bordeaux, um die Premier Grand Cru Schlösser zu besuchen. Alles Herren, alle in blauem Blazer, alle in grauer Hose mit scharfer Bügelfalte, alle auf der Brust den unvermeidlichen Fotoapparat. Ein japanischer Begleiter übersetzte jeweils meine Erklärungen. Die Gruppe hörte andächtig zu und kommentierte alle paar Minuten mit einem vielstimmigen „Ooohhh“. Allmählich wurden die Übersetzungen immer länger, bis ich endlich begriff, dass ich eigentlich nur Dekoration war. Der Begleiter hatte die Keller schon so oft besucht, dass er alles auswendig wusste. Umso perplexer war ich, als eines Tages ein Bus Japaner in Freizeitkleidung vorfuhr. Da war von Uniformität und Disziplin keine Rede mehr. Die Herren verschwanden zwischen den Fassreihen, stiegen auf Leitern, blieben zurück -­‐ auf der Suche nach dem perfekten Foto. Bis ich mir nicht mehr zu helfen wusste, und auf den Fingern pfiff, um die Herde wieder zusammenzutreiben. Das klappte. Später begriff ich, dass ich bei der Begrüssung und dem Austausch der Visitenkarten kläglich versagt hatte. Nicht nur hatte ich selber keine Geschäftskarte, da ich ja bloss für eine Saison angestellt war, und war damit auch keine Autoritätsperson. Zudem hatte ich die Visitenkarte des Gruppenleiters nicht mit beiden Händen und einer Verbeugung entgegengenommen, nicht genug gewendet und aufmerksam studiert. Ich habe die japanischen Gruppen trotzdem geliebt. Wegen der hübsch verpackten kleinen Geschenke, mit denen sie sich immer für den Besuch bedankten. Wenn sie besonders zufrieden waren, gab es auch schon mal zwei oder drei Päckchen. An einem Regentag kam eine Gruppe Touristen vom Strand, in Adiletten, kurzen Sporthosen und wollte auf diesem vornehmen Schloss im Médoc, wo ein Weltklasse Rotwein gekeltert wird „mal ‘nen leckeren frischen Weissen probieren.“ Noch nie ein Weingut besucht hatten offenbar die drei bildhübschen Russinnen, die mit einer Gruppe von Lifestyle-­‐Journalisten nach Bordeaux gekommen waren. Mit tief ausgeschnittenen, ultrakurzen und erst noch durchsichtigen Kleidchen, vollem Abendmakeup und auf schwindelerregende „Stöckis“ wurden sie zum Gaudi der männlichen Gruppenteilnehmer und der Kellerbrigade. Ich konnte es mir nicht verkneifen, mit dieser Gruppe noch einen lehrreichen Abstecher in den Weinberg zu machen… Bei meinen ersten Kellerbesuchen gab ich selber auch öfters Grund zum Schmunzeln: Z.B mit einem weissen Blazer, den nach ausgiebiger Verkostung von Fassmustern und dem dabei üblichen Spucken eine interessante Palette von Rottönen zierte. Aus der Reinigung kam der Blazer übrigens gelb mit braunen Flecken. Oder bei den ersten schwungvollen Spuckversuchen, als der Wein statt in der Abflussrinne auf meinen neuen weissen Turnschuhen landete. Damit Kellerbesuche für Sie nicht zur Enttäuschung werden, gibt es einen Kodex zu beherzigen: Fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus, sondern melden Sie Ihren Besuch an! An Wochenenden sind nicht überall Besucher willkommen. Viele Weingüter empfangen zudem nicht während der Weinlese, obschon das für die Besucher natürlich die interessanteste Zeit ist. In weltberühmte Châteaux finden Sie eher Eingang, wenn Sie sich durch Ihren Weinhändler anmelden lassen. Oder schliessen Sie sich einer organisierten Reise an! Das empfiehlt sich besonders, wenn Sie der Landessprache nicht mächtig sind, denn oft fungiert der Reiseleiter als Übersetzer. Für einen Kellerrundgang mit Degustation veranschlagen Sie etwa anderthalb Stunden. Vielerorts sind Besuch und Verkostung gratis. Dann wird es geschätzt, wenn Sie ein paar wenige Flaschen kaufen. Wo ein Pauschalbetrag für die Degustation verlangt wird, müssen Sie sich hingegen nicht zu einem Kauf verpflichtet fühlen. Ein kleines Mitbringsel, wie die beliebte Schweizer Schokolade, kommt immer gut an. „No goes“ sind: An Fässer klopfen, Privatunterhaltungen führen während der Winzer seine Erklärungen abgibt, sich von der Gruppe entfernen. Letzteres vor allem aus Sicherheitsgründen, weil in den Kellern ja meistens gearbeitet wird. Weinmuster aus dem Fass darf man ausspucken. Am besten beobachten und kopieren Sie den Kellermeister. Wenn Sie Trauben verkosten möchten, wird Ihnen der Winzer gerne eine ganze Frucht abpflücken, von der sich dann die Gruppe bedienen kann. Wenn Sie einzelne Beeren abzupfen, verletzen Sie die Traube und leisten der Fäulnis Vorschub. Fragen Sie nach Herzenslust, der Produzent freut sich über Interesse und ist auch an Ihrer Meinung interessiert. „Ist noch speziell“ oder „Interessant“ sind dabei nicht wirklich die richtigen Kommentare. Erklären Sie einfach, wieso Sie den Wein mögen oder nicht! Nur fehlerhafte Weine sind schlecht, aber nicht alle sind nach Ihrem Geschmack. Und das ist legitim. Nie und nirgendwo lernen wir mehr über Wein als bei Besuchen in Weingütern. Im Herbst beginnt in der nördlichen Hemisphäre die schönste, spannendste, aber auch die arbeitsintensivste Zeit für die Winzer. Scharen von Erntehelfern bevölkern die Weinberge, bunte Lesekisten setzen Farbakzente zwischen den Rebenreihen, Traktoren karren die süsse Last in die Weinkeller, der Duft von frischem Weinmost liegt in der Luft. Besuchen Sie die Weingegenden, für Kellerbesuche aber gedulden Sie sich bis November! Wenn die Ernte verarbeitet und der junge Wein in Tanks und Fässern ist, sind Sie auf den Weingütern wieder gern gesehener Gast. Erschienen in La Tavola 2013