SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Tandem Rette sich wer kann Milchbauern in der Krise Von Helmut Frei Sendung: Donnerstag, 16. Juni 2016, 10.05 Uhr Redaktion: Rudolf Linßen Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Tandem können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Tandem sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? 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MANUSKRIPT: Sprecherin: Die Milchpreise sinken immer tiefer und immer mehr Milchviehhalter schlittern in eine bedrohliche Existenzkrise. Dabei geht es nicht nur um überschaubare Familienbetriebe sondern auch um große Höfe. Die Politik sah sich gezwungen zu reagieren – nicht zum ersten Mal. Erst Ende Mai rief Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt Fachpolitiker und Vertreter der Milchbauern zu einem Milchgipfel nach Berlin. Herausgekommen ist so gut wie nichts, klagen landauf landab die Milchviehhalter. Inzwischen ist bereits der nächste Milchgipfel angesagt: nun auf der Ebene der Europäischen Union. Was ist los mit der Milch – und wie soll´s mit den milcherzeugenden Betrieben weitergehen. Diese Frage stellten wir Bauern und Bäuerinnen schon 2009. Allerdings haben sich die Probleme zugespitzt. Damals vor sieben Jahren entschlossen sich auch süddeutsche Landwirte aus Verzweiflung, Milch wegzuschütten. Anneliese Schmeh Ich krieg immer a Wut, wenn mer dann sagt: grad wie jetzt neulich beim Milchgipfel von Berlin. Wir verteilen jetzt wieder hundert Millionen Euro übers Land. Damit machet mir dene Baura weiß Wunder was für Geschenke und toll und super und rettet, was weiß ich: wie viel Betriebe. Es rettet keinen einzigen. Denn wenn Sie bei 22,30 Cent Milchpreis sind oder im Norden sogar noch drunter, des ist nicht einmal ein Cent pro Liter Milch. Was glauben Sie, wie viele do gerettet werden vion diesem einen Cent pro Liter, wenn überhaupt. Sprecher: Eine Melkmaschine saugt die Milch aus den über Nacht prall gefüllten Eutern der Milchkühe und pumpt sie in einen Tank. Es ist kurz nach fünf in der Früh. Jeden Morgen beginnt Hans-Peter Frommknecht das Tagwerk mit dem Melken seiner Kühe. Später dürfen die teddy-braunen Tiere hinaus auf die Weide. Hans-Peter Frommknecht Mir hom also au gstreikt und eigentlich unsere erste Biomilch, die mir erzeugt ham, die ham mer wegschüttet - schweren Herzens. Des tut weh, also des kann mer gar nimmer beschreiba, wie des schmerzt, wenn mer irgendwas wegschüttet un mer weiß genau: in dem Moment verhungert irgendwo auf der Welt Kinder. Mer woiß des. 2 Sprecher: Hans-Peter Frommknecht ist Bauer mit Leib und Seele. Wütend macht ihn, dass der Milchpreis dieses Jahr schon wieder in den Keller gesaust ist. Nach dem Milchstreik von 2009 zogen die Preise vorübergehend an, aber inzwischen sind sie noch tiefer gefallen. Dabei geht es den Frommknechts aus Maierhöfen im Allgäu verhältnismäßig gut. Als Bio-Bauern bekommen sie einen etwas höheren Preis als ihre Kollegen, die sich nicht den strengen Regeln des ökologischen Landbaus unterwerfen. Hans-Peter Frommknecht Mer schüttet oifach Nahrungsmittel weg. Aber es war koi andere Möglichkeit do, weil mer uns immer gsagt hot: ihr produziert sowieso zu viel. Und entsprechend isch der Preis unter Druck; und des ich des Problem, dass mer im Endeffekt koi andere Möglichkeit mehr ghabt hot a kräftiges Zoicha zu setza: Leit, so kann's nimmer weiterganga. Anneliese Schmeh Mir haben des au gmacht. Es ist zwar net ganz einfach, die Milch wegzuschütten, sag i jetzt amol. Un mir als Biobetrieb, mir hättet zum damaligen Zeitpunkt auch keine Notwendigkeit ghabt, weil unsere Preise sehr gut waret. Also bei uns habet die meisten Biobetriebe hier in der Region habe mitgmacht bei diesem Milchstreik. Ja, einfach aus Solidarität und weil mer eifach wusste, also, wenn der dermaßen in Keller fährt, dann bleiben auch die Biobetriebe nicht ungschoren. Anneliese Schmeh vom Hagenweiler Hof. Er liegt bei Überlingen im Hinterland des Bodensees: Anneliese Schmeh Also es war immer mein Wunsch, quasi hier zu bleiba am Hof und den Hof au zu bewirtschafta. Die Vielfältigkeit war einfach des - find ich auch heut noch, was reizvoll isch. Also jetzt Umgang mit Tieren, au mit Technik, mit Maschinen. Des isch jo ganz einfach bedingt so, wenn mer dann keine Brüder hat, irgendwie kommt mer dann rein. Dann hab ich natürlich au - jetzt sag i amol - die Ausbildung der Männer gmacht. Also ich hab praktisch Lehre gmacht und dann den Landwirtschaftsmeister, nicht den Hauswirtschaftsmeister wie sonst üblich, sondern den Landwirtschaftsmeister. Und hab dann au angfanga ausbilde. Und dann kann mer natürlich nicht hinstehen und muss saga: mach mal selber, sondern dann muss mer jo au, wenn man ausbildet oder Praktikanten hat, no muss mer's denen jo au zeiga könna. Sprecher: Der Hagenweiler Hof ist seit beinahe zweihundert Jahren im Familienbesitz. 1812 kaufte ihn ein Vorfahre von Anneliese Schmeh. Das Anwesen grenzt an einer Seite an einen Wald und ist ansonsten umgeben vom Grün der eigenen Weiden und Obstbaumwiesen. Anneliese Schmeh Mir hand en richtig gemischter Betrieb. Manche saget immer, wenn mer an Beispiel von nem Bauernhof, wie mer ihn halt so sich vorstellt vielleicht als Städter, dann müsst mer zu uns komma. Mir hond Kühe, Hühner, Schweine, Ackerbau, a bissle Obstbau, a weng Wald. Es isch schwierig, es sich - jo klar; vielfältig sich au viel Arbet 3 auf der einen Seit. Auf der andre Seite natürlich, wenn ich mehrere Standbeine hab, jo, dann isch's au ned so von einem Standbein abhängig. Also sprich: wenn eines so in Keller geht, dann hab ich immer no was anderes, wo ich vielleicht amol a Johr ausgleichen kann einfach. Sprecher: Der Hagenweiler Hof ist ein Biobetrieb. Das Grünland nutzen die Schmehs als Weide und als Futtergrundlage. Dort wächst das Gras, das die Kühe als Silage oder als getrocknetes Heu fressen, vor allem in den kälteren Monaten. Die Milchviehhaltung ist der wichtigste Betriebszweig. Sprecherin: Eine sanfte Mittelgebirgslandlandschaft in der Nähe des Bodensees. Hübsche Dörfer, Edbeeren- und und Spargelanbau, Kirschen und anderes Obst, vor allem Apfelplantagen. Da könnte man´s aushalten. Dort macht die Landwirtschaft auf Urlauber einen gesunden Eindruck. Und dazu tragen auch die Milchviehbetriebe bei, ob sie nun konventionell arbeiten oder sich wie der Hagenweiler Hof der Schmehs auf Bio spezialisiert haben. Doch der schöne Schein trügt. Seit 2009 hat sich die Situation für die Milch produzierenden Landwirte weiter verschlechtert. Damals mussten sie sich im Durchschnitt mit 25 Cent für einen Liter abgelieferter Milch abfinden. Wohlgemerkt für Milch, die nicht das Prädikat Bio beanspruchen konnte. Heute im Jahre 2016 sackte der Milchpreis in Nord- und Ostdeutschland teilweise sogar auf 19 Cent ab. Das ist weniger als manches schnöde Tafelwasser kostet. Die Bio-Bauern stehen etwas besser da. Sie erzielen für einen Liter Milch, den sie zur Weiterverarbeitung liefern, zwischen 48 und 50 Cent, sagt Anneliese Schmeh vom Hagenweilerhof. Sie erinnert sich noch ganz gut an 2009. Damals gab es die letzte große Milchpreiskrise, 2012 folgte eine nicht ganz so schwere und heute im Jahre 2016? Anneliese Schmeh Geändert hot sich – sagen wir mol – an der Preissituation sehr wenig. Zwischendurch war jo mol a richtiges Hoch, wo mer gmerkt hat, dass auf dem land was geht, dass die Baura wieder investiera. Aber inzwischen is er weiter unten wie damals. Und geändert hot sich in dem Sinn was, dass viele Betriebe jetzt scho aufgeba han, Also grad hier in der Nähe um uns rum sind´s mindestens vier oder fünf, die mir ad hoc einfallet. Zum Teil au gute größere Betriebe, 70 Kühe, 80 Kühe, die einfach s´Handtuch gworfa hand, weil sie im Prinzip den Sinn net mehr dahinter sehet, die Kühe zu halten. Zunächst hieß es ja mal: mit 50 Kühen bist im Trockenen, dann mit 80 Kühen; jetzt sind´s 150. Ich denk, die Biobetriebe werdet zwischen 70 und 80 Cent gut bedient und die konventionellen Milchbauern miüssten um die 50 kriega, sag ich mol so – um die Schulden, die sich jetzt anghäuft haben, oder bei vielen anhäufen, wieder abzubauen, um au Rücklagen bilden zu können, um wieder investieren zu können in Maschinen, in Gebäude, in Vieh einfach, um hier - sag ich jetzt mol einfach - um normal wirtschaften zu können. Sprecherin: Aber was heißt „normal wirtschaften“ heute? Aus Sicht vieler Bauern: die immer weiter sinkenden Milch-Preise durch eine erneute Steigerung der Milchproduktion auszugleichen. Die Spirale dreht sich weiter und der Milchsee wird immer größer. Kritiker dieser Strategie sind überzeugt: wenn man das Bekenntnis zur 4 Marktwirtschaft ernst nehmen würde, könnte sich einiges ändern. Besser weniger Milch produzieren und damit den Durchschnittspreis pro Liter höher zu halten als zu viel Milch und sie zu verramschen. Mit so einer Strategie könnte sich auch die BioBäuerin Anneliese Schmeh anfreunden. Also eine ganz marktkonforme Perspektive anstatt permanenter Subventionen: Anneliese Schmeh Es wär eigentlich ohne großen Aufwand möglich, die Menge zurück zu fahren, dass mer einfach hergeht und sagt: gut, wer einfach freiwillig verzichtet, der kriegt en Bonus von dene, die einfach zu viel produzieren. Und es wär relativ einfach, es würd den Steuerzahler keinen Cent kosten, wenn der Markt im Gleichgewicht ist. Wenn also nicht mehr produziert wird als am Markt verbraucht wird, dann steigt der Preis automatisch. Da braucht mer eigentlich gar ed viel macha. Sprecherin: Davon ist die Bäuerin Anneliese Schmeh überzeugt. Zu ihrem Hof gehören 30 Kühe und 60 bis 70 Kälber und junge Rinder. Die Kälber stammen aus der hofeigenen Nachzucht, bekommen Milch ihrer Mutterkühe. Das ist nicht selbstverständlich. Denn viele Kälber werden gleich nach der Geburt von ihrer Mutter entwöhnt und müssen mit Ersatzfutter ernährt werden. Das lehnen Bio-Landwirte ab: Anneliese Schmeh A Tier kann i jetzt id wie am Maschine aus und an macha. Sondern wenn a Kuh a Kalb hat, dann produziert sie Milch und klar: unterschiedlich viel, aber sie produziert Milch und ich uss sie mindestens zweimal am Tag melken. Und da kann i net hergehen und sagen: ja der Milchpreis isch jetzt grad schlecht, also stellen wir die Maschine ab und lassen sie mol drei Wochen stehen und nach drei Wochen machen wir sie wieder an. Solche Dinge funktionieren halt nicht. Sprecherin: Nun zeigen ja Bauern und auch viele Endverbraucher gerne auf den Lebensmitteleinzelhandel, weil der Milch und Milchprodukte viel zu billig verkaufe. Tatsächlich ist es nur schwer vorstellbar, dass der Ladenpreis, den die Kunden für den Liter Milch in vielen Supermärkten bezahlen, die Kosten der Landwirte überhaupt decken kann. Das heißt: bei Milch zahlen sie drauf. Allerdings wenden manche Agrarökonomen ein: der Vorwurf vor allem an Discounter, sie würden den Ladenpreis für Milch runterschrauben, um mit Milch ein Lockvogelangebot zu haben, greife oft zu kurz. Vielmehr würde der Einzelhandel vielfach gesunkene Milchpreise ab Hof ausnutzen und sie – ohne Zweifel im eigenen Interesse - an die Verbraucher weitergeben. Dieser Streit darüber, wer für das Preisdumping für Lebensmittel verantwortlich zeichnet, ist müßig und führt nicht weiter. Es eine Frage wie die: wer war zuerst, das Huhn oder das Ei. Erst im Frühjahr hat der Einzelhandelsriese den Ladenpreis für fettarme Bio-Milch unter einen Euro gedrückt. Bei konventionell erzeugter Milch verlangten Discounter wie Aldi und Lidl zuletzt nur noch 46 Cent für einen Liter Vollmilch. Und was bedeutet das für die Milchbauern? Anneliese Schmeh Im Prinzip lebet mir alle jetzt von de Substanz. Sprich: Mir könnet keine Rücklaga bilda zum wieder Investieren, also zum Maschinenkaufen oder Stallerneura; oder viele nehmen au irgendwie Kredite auf um die Zeit zu überbrücken. Und wenn i en 5 Diesel brauch oder so, dann muss ich des eifach zahlen, wenn die Rechnung kommt in absehbarer Zeit. Und entweder muss ich en Kredit aufnehmen oder i muss saga, i kanns ed zahla. Sprecherin: Wenn es so ist, liegt dann nicht die Frage nahe: gibt es überhaupt eine Möglichkeit, der gefährlichen Dynamik des Wachsens und Weichens zu entkommen. Eine Existenzfrage auch für die Familie Frommknecht. Einiges hat sich verändert auf ihrem Hof im Allgäu. Nicht nur in beruflicher Hinsicht. 2009, als die Frommknechts beim Milchstreik mitmachten und ihre Biomilch aus Protest ausschütteten, kam ihr fünftes Kind zur Welt. Über die Runden kämen sie wohl kaum, wenn es nicht noch den familieneigenen Wald gäbe. Er ist so etwas wie ihre Sparkasse. Außerdem bietet die Mutter und Bäuerin schon seit langem Ferien auf dem Bauernhof an. Die prämierten Ferienwohnungen sind ausgebucht. Das funktioniert nicht überall, aber in Ferienlandschaften wie dem voralpinen Allgäu schon. Und das entlastet Hans-Peter Frommknecht, den Bauen des Johannishof in Maierhöfen bei Isny: Hans-Peter Frommknecht Die Erwartungen waret imme so: i wollt immer Landwirt sei, ein fortschrittlicher Landwirt sei. Mr wollte vor allem en existenzfähigen Betrieb erhalten und weiterentwickeln. De war eigentlich immer mei Ziel. L muss allerdings dazu sagen: irgendwann ist dann au der Punkt komma, wo i gsagt han: noi, i will nimmer mehr. Also mir sind in unserer Region vom Gelände her irgendwann an der Grenze. Diese Erfahrung machten auch die Schmehs. Eines Tages mussten sie sich entscheiden. Entweder nur so viele Rinder zu halten, dass das Gras und Heu von den eigenen Wiesen für die Versorgung der Tiere ausreichte, oder sich ganz auf Viehhaltung zu konzentrieren und die Bewirtschaftung des Grünlandes zu vernachlässigen. Dann allerdings hätten sie sich von den natürlichen Grundlagen der Landwirtschaft verabschieden müssen, sagt Öko-Bäuerin Anneliese Schmeh: Anneliese Schmeh Gegen das haben wir natürlich immer gekämpft, weil wir halt der Meinung sind, erstens mol wollen wir die ganze Fläche in Bewirtschaftung halta und des geht einfach mit dieser Methode Wachsen oder Weichen nicht. Weil wenn ich a bestimmte Größe hab, wenn ich mal 100 oder 150 Kühe hab, dann kann ich zum Beispiel keine Obstwiesen mehr mähen. Also dann hab ich dann eifach kei Zeit mehr dazu. Und sagen wir mal so: Fällt natürlich auch das eine oder andere brach, wo zum Teil au landwirtschaftlich sehr wertvoll isch oder auch vom Pflanzenbewuchs her, von der Fauna und Flora, sehr - jo eifach schön, zum Teil schön, zum andern au nützlich isch. Und des kann ich einfach, wenn ich mich jetzt so spezialisier oder in die Größe geh, kann i diese Fläche nid in Bewirtschaftung halta und nicht mehr sichern. Eine weitere Folge wäre: Aus betriebswirtschaftlichen Gründen würde man die Rinder nicht mehr weiden lassen, sondern nur noch im Stall halten, wo sie auch industriell erzeugtes Kraftfutter vorgesetzt bekommen. 6 Anneliese Schmeh Also es bleibt eifach die Gesundheit der Tiere auf er Strecke Und sagen wir au mol: die Qualität der Milch - was ja immer bestritten wurde, aber inzwischen kann mer's sogar nachweisen, dass zum Beispiel die Weidemilch a bessere Milch isch. Einfach au viel mehr Omega-3-Fettsäura drin sind wie in der reine Stallfütterungsmilch. Aber i moin, des isch natürlich en Unterschied, ob Sie die Milchleistung - sag ich jetzt amol über natürliche Gschichte, einfach durch des, dass mir a Heubelüftung haben, eifach a besseres Heu haben, steigern oder ob Sie des über's Kraftfutter machet. Und i moin, des kann mer jo au scho an der Statistik sehen. Wenn die Kühe noch im Prinzip ein Kalb oder maximal zwei Kälber kriegen, bevor sie dann zum Schlachter gehen, dann stimmt was idda. Normalerweise kann a Kuh acht bis zehn, zwölf, dreizehn Kälber kriegen, bevor se praktisch zum Schlachter muss. Und heute haben Sie in dene Hochleistungsherda en Durchschnitt von maximal zwei Laktationen, also sprich zwei Kälber. Sprecherin: Nun kann man ja lang und breit über die Intensivierung in der Milchviehhaltung und damit über eine höhere Milchleistung pro Kuh diskutieren. Viele Milchbauern haben ihre Schwierigkeiten damit. Übrigens auch Landwirtsfamilien, die nicht auf Bio umgestellt haben. Auch einen dieser Betriebe südlich von Freiburg haben wir 2009 besucht: Vom bergig frischen Allgäu in die schwüle Rheinebene zwischen Freiburg und Basel. Dort im Markräflerland, einem der wärmsten Landstriche Deutschlands, ist die Bauernfamilie Kaufmann zuhause. Ihr Seebodenhof liegt etwas außerhalb der Gemeinde Efringen-Kirchen, genau am Übergang vom Rheintal in die Vorbergzone des Südschwarzwalds. Kaffeepause. Der älteste Sohn hat kürzlich erst seine Ausbildung bei einem Landwirt in der Nähe des Bodensees beendet. Er soll einmal den Hof übernehmen. Fast schon zur Familie gehört auch ein Azubi aus der Nachbargemeinde: Christine Kaufmann Des Mittagskaffeetrinken, des isch uns sehr wichtig, weil da die Familie zusammenkommt. Die Kinder kommen vom Arbeiten heim oder von der Schule nach Hause. Und da sin mir meistens dann fast alle. Zwischen vier und halb fünf, einfach vor der Stallzeit am Abend. Auch Christine und Heinz Kaufmann haben einen Gemischtbetrieb, Milcherzeugung und Getreideanbau. Die südbadische Heimat-Gemeinde der Kaufmanns liegt im Einzugsgebiet von Basel. Die Schweizer Großstadt ist wegen ihrer starken Industrie der Pharma- und Chemiebranche bekannt. Dort zu arbeiten und sich im hübschen Umland ein Häuschen zu bauen, war und ist ein Lebenstraum vieler Arbeitnehmer mit ihren Familien. Deshalb haben sich im Einzugsgebiet von Basel in den letzten Jahrzehnten kleine Bauerndörfer in großflächige Siedlungen verwandelt. Gewerbeund Industriegebiete wurden aus dem Boden gestampft, Verkehrswege ausgebaut. Diese Entwicklung hat das Gesicht der einst stark ländlich geprägten Gegend verändert. Zwar gibt es in traditionsreichen Weinbaugemeinden wie Efringen-Kirchen nach wie vor Winzer, aber Bauersleute sind selten geworden. Auch die Kaufmanns 7 sind gezwungen, Flächen aufzugeben, die sie vor einigen Jahren erst zugepachtet haben, um mehr Getreide anbauen und Vieh halten zu können. Christine Kaufmann Die ganzen Ortschaften - Eimeldingen, Binsen, auch bei uns Efringen-Kirchen isch überall des Industriegebiet gewachsen. Heinz Kaufmann Ich seh den Tag komma, wo mer also von Basel bis zu uns hier fährt mit stets bebauter Strecke. Also wo kein Unterbruch mehr isch, wo mer nur Landschaft sieht, sondern wo überall nur Bebauung isch und Gewerbeflächen. S'isch eigentlich schon schade für unser fruchtbares Land und die natürliche Verhältnisse, die wir hier habe. Der Seebodenhof. Noch ist er umgeben von Wiesen und Weiden - und von Feldern, auf denen Getreide wächst: Mais, Weizen, Gerste. Dazu bauen die Kaufmanns etwas Obst an und brennen etwas Schnaps. Den Weinbau überließ Heinz Kaufmann bei der Erbteilung seinem Bruder. Die Milch vom Seebodenhof wird nicht nach den Regeln der Biolandwirtschaft, sondern auf konventionelle Weise erzeugt. Allerdings kommt sie den Anforderungen für Bio-Milch sehr nahe. Etwas mehr als die Hälfte der Milch der Kaufmanns aus Efringen-Kirchen übernimmt eine mittelgroße Molkerei aus der Region, knapp die Hälfte wird als Vorzugsmilch ab Hof verkauft oder frei Haus zu Stammkunden in der Umgebung ausgefahren. Seit 2003 verkauft Christine Kaufmann selbst hergestelltes Sahneeis: Brombeer, Zitrone und einige andere Sorten. Ihr Alltag ist eingespannt in ein strenges Zeitkorsett. Morgens um halb sechs geht es los - mit dem Melken. Christine Kaufmann Also so halb sieben mit Milchauto einladen und also alles richten für auf die Milchtour. Um halb acht kommt dann unsere Fahrerin, die dann die Milch weg fährt. Dann Stallarbeit. So um halb neun, neun isch dann Frühstück. Wenn jetzt Eis angesagt ist, wird halt Eis produziert oder Milch abgefüllt. Also Milchabfüllen isch sowieso täglich. Dann halt Hausarbeit, Gartenarbeit, was eben anfällt, na. Wie bei vielen Landwirten hat auch bei den Kaufmanns in Efringen-Kirchen der Direktverkauf auf dem Hof an Bedeutung gewonnen. Vor einigen Jahren noch wurden diese Einkünfte als netter Nebenverdienst, als eine Art Taschengeld der Bäuerin verbucht. Aber das ist längst nicht mehr so. Christine Kaufmann Mir hen eifach noch was gsucht, irgend ein Standbein. Und durch des, dass mehr Milchdirektvermarktung machet, hemme dann die Anzeig gsähn in der Fachzitschrift und hän dann denkt: jo, des würd jetzt noch zu uns passa. Hen uns des mol agluegt uff nem andera Betrieb, hen natürlich auch s'Is probiert. Und dann waret mir überzügt davon und hen das dann in Angriff genommen. Heinz Kaufmann Mir müsset von der Produktionsseite auf jeden Fall wieder mehr den Kontakt zum Verbraucher suchen, des isch ganz klar. Des hot mer eifach vergessa, als mer die Betriebe praktisch ausgsiedelt hot aus der Ortschafta und hot gsagt: ihr produziert 8 und s`Vermarkta des macht dann die Genossenschaft oder en großer Handelsbetrieb. Und der Kontakt zur Produktion isch eigentlich total abgebrocha. In der Selbstvermarktung ab Hof sieht Bäuerin Christine Kaufmann eine Möglichkeit, wieder mit den Konsumenten ins Gespräch zu kommen und ihnen Einblicke in das Leben auf einem Bauernhof zu vermitteln. Genauso hofft Anneliese Schmeh vom Hagenweiler Hof bei Überlingen am Bodensee auf ein neues Bewusstsein für die Nöte vor allem bäuerlicher Familienbetriebe. Denn die geraten zunehmend zwischen die Mühlsteine der nationalen und europäischen Agrarpolitik. Bei den Milcherzeugern hat die ständig gestiegene Milchmenge zu einem gigantischen Überangebot geführt. Die Rede ist vom Milchsee. Große Molkereien bezahlen ihren Lieferanten einen schlechten Milchpreis, um ihre Produkte möglichst billig anbieten zu können und mit den Discountern im Geschäft zu bleiben. Etliche Bauern werden aufgeben. Sie sind Opfer der herrschenden Agrarpolitik.Sie plädiert unter anderem für die Einfuhr von Tabioka und Soja aus Übersee. Tabioka ist eine aus der Manjokwurzel hergestellte Stärke und dient wie Soja als Grundlage für Kraftfutter. Gleichzeitig will die Agrarpolitik der Europäischen Union das Exportgeschäft mit Subventionen ankurbeln, um so beispielsweise Milchpulver in alle Welt zu vermarkten: Anneliese Schmeh Des isch a alte Politik nicht mal in neuen Schläuchen. Weil des einfach immer noch diese Gschichte beinhaltet: Wachsen oder Weichen oder immer mehr Menge produziera, obwohl keiner weiß, wo er's eigentlich verkaufen soll. Und dass mer die Menge steigern kann, des höret mir jo scho vierzig Johr, die Abnahmegschichte. Zunächst hieß es, ja, in Indien brauchet sie Milch und da isch der große Absatzmarkt. Dann war's im Nahen Osten und jetzt isch es China. Es hot no nie funktioniert und es wird auch jetzt id funktioiniera. Also es isch zumal en Schwachsinn, s'Futter hierher zu karren rund um die halbe oder um die ganze Welt und es isch genauso ein Schwachsinn, die Produkte von hier nach dort zu liefern, weil die haben wirklich Potential in der eigenen Landwirtschaft, die mer einfach denn jetzt au mol reformieren müsste, um dort genügend Nahrungsmittel zu produzieren. Für Anneliese Schmeh, die Bäuerin vom Hagenweiler Hof bei Überlingen, ist diese Agrarpolitik ein fortwährender Skandal, der in den armen Ländern der Welt die Lebensgrundlage zig Tausender Kleinlandwirte und ihrer Familien bedroht: Anneliese Schmeh Weil mer macht dort die einheimischen Baura kaputt und mer macht dort den Markt kaputt und schafft Hunger. Wurde jo gsagt anfangs 2000, dass mer prkatisch den Hunger bis 2015 halbiera will. Was passiert? Mer schafft mehr Hunger. Es gibt heut mehr Hunger denn je. Auf diese Art kann mer's eifach net schaffa. Und so diese Exportsubventionen, also des isch meiner Meinung nach blanker Zynismus und isch einfach, ja, gegenüber dene Leut dort isch des eifach a Riesaschweinerei. Sprecherin: Das hat die Ökobäuerin Anneliese Schmeh nicht erst in diesen Tagen gesagt, sondern bereits 2009. Manche „Experten“ wenden ein, der Export von Milchpulver und anderen Milchprodukten sei im Interesse der Entwicklungsländer. Denn dort wachse in den verstädterten Ballungsgebieten der Bedarf an gesunder Milch und guten Milchprodukten. Und wenn deutsche Landwirte auf dieses Geschäft verzichten, 9 dann würden es andere machen. Eine Weltregion, in der die Nachfrage derzeit boomt, sind die Golfstaaten im Nahen Osten, wo sich deutsche Molkereikonzerne die Klinke in die Hand geben. Zuhause in Deutschland stellt sich die Situation so dar: In den Jahren zwischen 2010 und heute ist die Zahl der Milchviehalter in Deutschland von 93 Tausend auf 75 Tausend zurückgegangen. Milchkühe gibt es heute etwas weniger. Aber im selben Zeitraum hat die Milcherzeugung insgesamt eine neue Rekordmarke erreicht. Also gibt es gar nicht die Alternative Wachsen oder Weichen. Heute gilt: Wachsen und trotzdem Weichen. Mit verursacht hat diese Entwicklung die rasante Zunahme der Maiswüsten. Mais ist die wichtigste Grundlage der Biogasanlagen. Bioenergie also zu Lasten einer Biolandwirtschaft, die diesen Namen verdient? Die Folge könnte sein, dass bald Kühe mehr denn je nur noch im Stall gehalten werden, weil für sie nicht mehr ausreichend Weiden mit gesundem Gras und Heu zur Verfügung stehen: Anneliese Schmeh Was ein ganz enormer Druck bracht hat, ist natürlich die Biogas-Geschichte. Unser Nachbar macht Biogas und sechs, acht Kilometer weiter sind die nächsten zwei. Also sag mal: diese Geschichte, die hat schon enormen Druck aufs Land bracht. Wenn Sie für die Milch – sag ich jetzt mol – nur noch 22 Cent krieget und ihnen bietet jemand für den Hektar stehenden Mais 1500, 1800 Euro an, dann überlegen Sie natürlich scho, ob Sie weiter Kühe halten, Aufwand treiben oder ob Sie ed hergehet und saget: komm, des isch a nettes Geld, des i ganz gut au nebenher verdienen kann und im Prinzip die Flächen mit Mais bestellen oder mir Getreide. Alternative Energie, aber es belastet natürlich den Boden, des muss man ganz klar sagen, wenn so viel Mais angebaut wird und grad mehrere Jahre hintereinander Maisanbau, dann muss i natürlich massiv Herbizide einsetzen. Sprecherin: Trotz allem lässt sich die Bäuerin Anneliese Schmeh vom Hagenweiler Hof bei Überlingen am Bodensee genauso wenig entmutigen wie die Bauersfamilie Kaufmann im südbadischen Dorf Efringen-Kirchen und Hans-Peter Frommknecht aus Maierhöfen im Allgäu. Und so gehen sie jeden Morgen von neuem in den Stall, um ihre Kühe zu melken. 10
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