Interview - Kaiserin-Auguste

Anette Hertl interviewt Charlotte Pasour zu ihrer Praxiseröffnung.
„Frau Pasour; am ersten August haben Sie in Bergholz eine Praxis für chronische und
psychosomatische Erkrankungen eröffnet.
Wie kommen Sie darauf Ihre Praxis „Kaiserin Auguste Praxis“ zu nennen?:
Ich könnte jetzt damit anfangen, dass Kaiserin Auguste Victoria eine bemerkenswerte, kluge
Frau war und sie es bei weitem verdienen würde, eine Praxis nach ihr benannt zu wissen…
Ehrlich gesagt, kam es aber eher so:
Ich zerbrach mir einige Tage lang den Kopf, was ich nun eigentlich auf mein Praxisschild
schreiben solle: „Naturheilpraxis“, „Praxis für traditionell chinesische Medizin“, „Akupunktur
und chinesische Arzneimittellehre Praxis“ … So entschloss ich mich irgendwann –
unentschlossen wie ich war- darüber zu meditieren, um – in tiefer Hingabe und Loslösung mich für die alles entscheidende Antwort des Universums zu öffnen.
Als ich nach einigen 10 Minuten mich endlich so weit bereit glaubte „zuzuhören“, schoss mir
- wie ein Blitz - „Kaiserin Auguste Praxis“ in den Kopf. Und schwups, fand ich mich laut
auflachend im Hier und Jetzt wieder. Ich fühlte mich in meinem Bemühen das Meditieren zu
praktizieren nicht ernst genommen. Ich war beleidigt und beschämt, mir damit wieder den
Beweis erbracht zu haben nicht meditieren zu können. Was haben die sich dabei gedacht?
Gott, das Universum, mein Unterbewusstsein oder gar meine innere Stimme.. wollten sie
mich ver….?!
Dabei kam mir ganz klar der Gedanke: „die meisten verstockten Menschen vermeiden Spaß“!
Ich merkte, wie ich wütend wurde, über die „Anschuldigung“ mir selbst gegenüber, ich sei
verstockt!!, also verkrampft, ginge zum Lachen in den Keller,.. und alles was ich da noch
hinein zu interpretieren vermochte..
„Spaß führt zu Kreativität, er führt zur Rebellion, er führt dazu, dass man ein Gefühl für seine
eigene Macht gewinnt – und das macht Angst“, war deutlich in mir zu vernehmen.
Also, sagte ich mir nach diesem „philosophischen“ Zwiegespräch mit mir selbst: dann nenne
ich sie einfach „Kaiserin- Auguste- Praxis“ und denke gar nicht mehr darüber nach.
„Glauben Sie eine solche Praxis hat hier im Fläming eine Chance?“
Huuu ! Unterschätzen Sie mir nicht die Toleranz und Neugierde des Flämingers. Viel
schneller als ich dachte, kündigten sich die Patienten hier an. Ich arbeite bisweilen sogar am
Sonntag. Es gibt in Belzig und Umgebung wahnsinnig viele Menschen, denen ich ihre
Behandlungsbedürftigkeit ansehe, für die es so viel zu tun gäbe. Ihre Bereitschaft müssen Sie
selbst finden, das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich.
Die Gesundheitsversorgung für chronische und psychosomatische Erkrankungen ist hier eher
mager. Die Zeit der Ärzte für derlei Krankheitsbilder ist hier , wie vielerorts äußerst
eingeschränkt. Viele Patienten finden keine befriedigenden Berater mehr, die ihnen Ursache
und Wirkung von ihren Erkrankungen oder Medikamenten beschreiben und verständlich
darlegen können. Unser gesamtes Gesundheitssystem ist im Wandel. Die Traditionell
Chinesische Medizin ist eine jahrtausend alte Wissenschaft, die immer mehr Gehör und
Anerkennung in allen Bereichen der fundierten Wissenschaften findet. Ich mache mir also
keine Sorgen auch aus dieser Umgebung genügend Patient zu haben.
Außerdem arbeite ich 2-3 mal wöchentlich in der TCM Clinik, Centrum für Traditionell
Chinesische Medizin in Potsdam. Da habe ich einen hohen Patientendurchlauf und viel
Imputt. Das gibt mir Zeit auf „den Fläminger“ zu warten. (lacht)…
Was führt sie zur traditionell chinesischen Medizin und was hält Sie von der westlichen
Medizin ab?
Dass ich eine Präferenz für die TCM habe impliziert nicht, dass mich etwas von der
westlichen Medizin abhält.
An der TCM, also Traditionell chinesischen Medizin, liebe ich dieses „Entweder Und Oder“,
die Betrachtung ein und der selben Sache aus unterschiedlichen Perspektiven und
Gesichtspunkten. Das ist wie die Geschichte mit der Betrachtung eines Elefanten: Ein Arzt
betrachtet einen Elefanten von vorne. Er sieht den Rüssel, benennt ihn, beschreibt ihn,
beobachtet ihn, sieht die Ohren, die Augen…
Ein Esoteriker sieht den Elefanten von hinten an, beschreibt und analysiert seine
Wahrnehmung…
Beide erforschen ein und die selbe Sache und beide machen sehr richtige Beobachtungen.
Doch die beiden Beobachtungen stimmen überhaupt nicht miteinander überein.
Wir kennen hier im Westen zwar den Begriff „selektive Wahrnehmung“, doch liegt uns meist
die Erkenntnis verborgen, dass wir manchmal einfach nicht in der Lage sind zu erkennen oder
einzusehen, was ein anderer zu verifizieren sucht von ein und der selben Sache, die wir
vielleicht sogar unseren Fachbereich nennen. An dieser Stelle können wir uns über die
Dummheit des Gegenüber ärgern und eventuell herablassend äußern, ihn in Fachkreisen
unprofessionell dastehen lassen usw.
Oder wir lassen einfach den Gedanken zu, dass neben der eigenen Meinung und Beobachtung
es wohl etwas geben kann, das wir zu begreifen derzeit außer Stande sind.
Das ist ein wenig wie mit dem Buch, das man nach 5 Jahren zum wiederholten male liest und
ganz neue Aussagen und Aspekte darin entdeckt.
Die TCM stellt sich dabei nicht über die Dinge und sagt: „ich gucke rundherum und sehe
sowohl die Perspektive des Arztes, als auch die des Esoterikers“. Nein. Es ist aber in
fernöstlichen Philosophien etwas Unspektakuläres davon auszugehen, dass es außer der
Perspektive, die ich derzeit habe, andere gibt, die meiner widersprechen und dennoch
Anspruch auf Richtigkeit haben. Dieses sowohl JA, als auch NEIN, dieses permanente ins
Verhältnis setzen zu anderem, das hoch und tief, das groß und klein, das heiß und kalt, - je
nach dem in welchem Zusammenhang es steht, gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Es macht
bescheiden und füllt den Perfektionismus mit Leben. Was ich jetzt als richtig erachte, kann
sich mit der Zeit als großer Fehler erweisen. In unserem dualistischem Denken ist es ja selbst
dann, wenn der Fehler ganz klar vor uns liegt noch schwierig dazu zu stehen, dass wir es
damals als richtig erachteten und jetzt erkennen, dass es einfach falsch war. Wobei sich hier ja
auch wieder die Frage stellen würde: Richtig oder Falsch aus wessen Perspektive?
Wir hängen immer im Entweder Oder, im Vorher oder Nachher fest, aus Angst vor der
Veränderung und dem Jetzt.
Klingt das nicht fatal klugscheißerisch?
Die Kontinuität des Wandels ist die einzige Konstante im Universum. Das beruhigt mich
ungemein.
Ich hoffe, ich habe damit die Antwort geben können, was mich an der TCM so fasziniert.
Ich hatte mir eigentlich erhofft, dass Sie uns etwas über das Qi erzählen würden.
(lacht).
Das Qi ist etwas das das eine und das andere verbindet und gleichzeitig durch es hindurch
fließt. Das Qi befindet sich sowohl im Extrazellulären, als auch im Intrazellulärem Raum und
daneben. Es fließt wie Blut in Mikro – bis Makro - Gefäßen, den Meridianen, mit all seinen
Zweigen, durch den Körper. An den Akupunkturpunkten kommt es zentriert an die
Oberfläche. Dieser physiologisch ungehemmte freie Fluss des Qi kann, viel schneller noch als
das Blut, in seinem System durch Verengungen, Ablagerungen, Abflusshinderungen zu
Verlangsamung und - mit noch weitreichenderen Folgen - zur Stagnation führen. Sobald
irgend etwas den freien Fluss des Qi behindert, treten Symptome auf, die den Organismus auf
Störungen des Systems aufmerksam machen.
Na ja, wir alle wissen viel über gesunde Lebensführung. Es ist kein Geheimnis, dass wir
regelmäßig, ausreichend schlafen sollen, dass wir in maßen, regelmäßig essen sollen, im
Sitzen und dabei nicht irgendwas anderes tun sollen (fernsehen, lesen, streiten, arbeiten,
hetzen…). Rauchen gefährdet die Gesundheit. Übergewicht ist schlecht gegen alles mögliche.
Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft ist eine Prophylaxe gegen allerlei Leiden… ja
natürlich und wir sind ja auch alle Erwachsen.
Und wer lebt so? Immer wieder sehe Menschen, deren Beschwerden ganz logisch (und dafür
muss man kein Mediziner sein) aus deren Verhalten her rühren, aber an sich selbst plötzlich
aus jedem Kontext befreit werden.
z.B. Ein Mann 37 kommt in die Praxis mit Übergewicht, saurem Aufstoßen, morgendlicher
Übelkeit, Kopfschmerzen, verspannten Schultern und Rückenschmerzen. Wenn ich beginne
z.B. mit der Frage, was er so frühstückt, erklärt er, er könne morgens noch nichts essen, er
trinke seinen Kaffe (schwarz), Milch habe er oft nicht zur Hand, daher habe er es sich so
angewöhnt. Dazu rauche er zwei Zigaretten und erst ab 11 Uhr sei sein Magen dann so weit
Essen zu wollen. Das sei auch schon immer so gewesen, dass er Zigaretten und Kaffee am
morgen auf nüchternen Magen gut vertragen habe, warum soll dies plötzlich zu seinem
Unwohlsein beitragen?
Na ja der Körper ist lange in der Lage zu kompensieren - und irgendwann eben nicht mehr.
Und anstatt dass wir uns dann bewundern, wie lange wir das ohne murren mitmachten,
wundern wir uns, wenn es Zeichen des Verschleißes gibt, die uns dazu motivieren sollten ein
wenig sorgsamer mit uns umzugehen.
Das ist wie Stephan Birch sagt: Wenn ein Fluss immer ausreichend Wasser (oder Qi) führt
und eine tote Kuh hineinfällt, wird nichts passieren. Der volle, kräftige Fluss wird sie einfach
ins Meer spülen.
Führt der Fluss aber zu wenig Wasser (oder Qi), oder gibt es Stauungen, Verengungen,
Ablagerungen, (wie arteriosklerotische Veränderungen durch Cholesterinablagerungen an
Gefäßwänden), bleibt die tote Kuh irgendwo im Flussbett hängen. Und an ihr alles möglich
andere. Die Kuh fängt binnen kurzer Zeit an zu faulen und das gesamte Gewässer um sich
herum zu kontaminieren. Ein freier Fluss von Wasser/Qi/Blut ist nun nicht mehr möglich.
Spätestens jetzt gibt es unüberhörbare Symptome. Feinfühligere bekommen halt schon den
dünner werdenden Fluss oder Ansammlungen und Ablagerungen mit.
Irgendwann reichen die Ressourcen dann eben nicht mehr aus, um all das wett zu machen,
was wir uns regelmäßig symptomlos antun.
Dann kommt das Umdenken. Der Betroffene muss sich überlegen in wie weit er bereit ist an
seinem Leben etwas zu verändern, damit die Symptome wieder weg gehen und das Qi wieder
frei fließen kann und Altlasten in form von toten Kühen ausgeschwemmt werden können.
Ist der Patient nicht bereit, schicke ich ihn weg. Er kann wieder kommen, wenn der
Leidensdruck seine Motivation stark genug gemacht hat, etwas zu verändern. Und dann setze
ich alles daran mit bestem Wissen und Gewissen herauszufinden, wie wir in diesem
individuellen Fall die fauligen Kühe ausschwemmen. Bis dahin kann er mit Schmerzmitteln,
Entzündungshemmern, Fiebersenkern, Blutdruckregulatoren, Abführmitteln und
Entsäuerungsmittel usw. seinen Organismus zum Schweigen bringen - bis auch diese
Kompensation nicht mehr funktioniert und der Organismus meist anderen Orts wieder
mitredet.
Sie bieten Therapie zu Pferd an. Was soll man sich darunter vorstellen?
Oh, das ist etwas ganz phantastisches. Sie kann bei sehr vielen Problemen von großer Hilfe
sein. Z.B. wenn Menschen ihre Probleme überanalysiert, und sich selbst im Detail verloren
haben. Wenn sie sich fragen, was sie zu diesem oder jenem eigentlich selbst für eine Haltung
haben, oder was sie fühlen.
Sie ist auch für die, die glauben alles unter Kontrolle zu haben durch ihre ausgeklügelte
Rhetorik. Die Therapie ist für die, die auch fürr sich selbst immer zu ein „Ja aber..“ bereit
haben, und damit selbst im Selbstgespräch keinen Konsens mehr finden.
Oder auch bei Menschen, die nicht daran glauben ihre Daseinsberechtigung mit der Geburt
bekommen zu haben. Das ist sehr traurig und ein tiefes „Ungenügendseins – Gefühl“ in jeder
Zelle. Meist wird das begleitet mit einem Druck permanent gut sein zu müssen und ganz viel
für andere tun zu müssen, es allen recht machen zu wollen, beliebt sein zu müssen. Ich denke
dabei an Altruisten, die nicht nein sagen können , immer für die anderen tun, bis sie komplett
ausgebrannt sind. Im schlimmsten Fall werden sie dann von den Benutzern weggeworfen und
das ganze eigene Leben hat plötzlich keinen Sinn mehr. Da braucht man nicht mehr viel reden
und erklären. Die Trauer der Selbstverleumdung steckt so tief in der Matrix, das kann nur
durch ein neues Erleben mit ganz vorsichtiger therapeutischer Begleitung aufgefüllt werden.
Am meisten schätze ich die Therapie zu Pferd also bei Depression und Burnout. Wenn die
Menschen das Gefühl haben, sie hätten nun genug gesagt. Das Reden habe keinen Sinn mehr,
weil sie es aufgeben, dass sie versanden würden.
Bei der Therapie zu Pferd geht es nicht um Analyse und Konfrontation mit den Problemen. Es
geht darum sich selbst wieder in seiner Mitte wahr zu nehmen. Sich auf ein hohes Roß zu
setzen und das Getragen werden zu spüren, sich einzulassen auf den Rhythmus eines fremden
Wesens. Das Pferd oktroyiert nicht, sondern sehnt sich danach, dass der Reiter sich auf des
Pferdes Bewegung einlässt, damit ein harmonisches den Weg entlang schreiten möglich wird.
So entsteht eine Harmonie in der Einheit. Das Pferd bewertet nicht, wie wir Menschen. Es
bemerkt aber das Einlassen, die Hingabe und das Vertrauen. Und es erwidert.
Pferde sind einfach erstaunlich. Ich kenne niemanden, der sich regelmäßig mit Pferden
beschäftigt und depressiv ist. Viele Menschen, die eine Phase von tiefer Trauer und
Resignation erleben, holen sich selbst wieder aus ihren Abgründen, in dem sie sich diesen
sensiblen Tieren nähern. Allein der Geruch hat eine Wirkung von Geborgenheit und Ehrfurcht
in einem. Das bringt einen unbedingt wieder auf die Erde. „Der Spruch: das Glück dieser
Erde, liegt auf dem Rücken der Pferde“ ist so wahr – obgleich ich solche Sprüche so
fürchterlich unoriginell und unphilosophisch finde.
In Zeiten in denen der Intellekt der Seele die Möglichkeit nimmt den Körper und damit das
Gefühl wahr zu nehmen, ist es ein probates Mittel auf ein majestätisches Pferd zu steigen und
seiner ureigenen Majestät in sich mal wieder ein wenig Gehör zu verschaffen.
Für alle die in diesem Zusammenhang gerne an „Gefühlsduselei“ denken, würde ich gerne
hier einmal die Definition des ICD10 von dem Wort „Gefühl“ zitieren:
„Gefühle sind abhängig von der Aktivität des autonomen Nervensystems, welches die
Funktion der Schweißdrüsen, die Tätigkeit der Eingeweide ect. bestimmt. Diese Funktionen
fallen gewöhnlich nicht unter die Kontrolle des Bewusstseins. Unterschiedliche
Kombinationen der autonomen Reaktionen stellen das physische Fundament der Gefühle dar,
die wir empfinden und beim Namen nennen können. Etwa Furcht, Freude, Wut, Ekel,
Überraschung, Verliebtsein, Sympathie/Antipathie ect. Wir spüren einen Gefühlswechsel,
wenn etwas – ein Lächeln, ein Kuss, ein grimmiges Gesicht- einen Wechsel in unserem
autonomen Nervensystem hervorruft.“ (ICD 10 (( Internationale Klassifikation von Seuchen
und Krankheiten).
Manchmal ist das Reden gut.
Manchmal ist das Erleben gut
– ohne zu reden –
um das Erleben wieder zu erleben.
Und damit genug geredet.
Ich bedanke mich für dieses Gespräch.
Gerne.