Es ist genug für alle da - Diskussionspapier zum Grünen Gerechtigkeitskongress 2016 Entstanden unter Mitwirkung von Franziska Brantner, Anja Hajduk, Sven-Christian Kindler, Sven Lehmann, Eva Mädje, Cem Özdemir, Simone Peter und Klaus Seipp. Menschen wünschen sich eine sichere und gute Zukunft. Für sich und für ihre Kinder. Viele denken nicht nur an das Heute, sondern auch an das Morgen. Sie haben Hoffnungen, wollen etwas aufbauen und im Alter abgesichert sein. Sie fürchten sich aber auch vor Armut, unzureichender Rente und Pflege, machen sich Gedanken um die Lebensgrundlagen für ihre Kinder und Menschen in anderen Erdteilen. Sie fragen sich, wie wir in Europa und in der Welt friedlich zusammen leben können. Sie sorgen sich um den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Zugleich unterscheiden sich die Lebensumstände der Menschen in verschiedenen Regionen in Deutschland recht deutlich. Da ist Nina aus Kassel, die mit ihren zwei kleinen Kindern und ihrem neuen Partner zusammenlebt. Sie ist Altenpflegerin und Hartz-IV-Aufstockerin. Sie möchte nicht mehr jeden Euro zweimal umdrehen und wünscht sich, dass ihre Kinder später eine gute Schulbildung erfahren. An die Rente denkt sie lieber nicht, für private Vorsorge bleibt nichts übrig. Inge und Albert sind seit 30 Jahren verheiratet, beide Mitte 50 und kinderlos. Er leitet eine familienbetriebene Bäckerei in zweiter Generation, sie arbeitet im Betrieb mit. Sie finden keine Auszubildenden und sorgen sich zudem um die Unternehmensnachfolge. Außerdem schauen sie mit Sorge auf die niedrigen Zinsen, ihr Erspartes soll ihnen im Ruhestand helfen. Peter, 56, lebt im Kyffhäuserkreis, ist geschieden, gelernter Schweißer und seit fünf Jahren arbeitslos. Er möchte wieder gebraucht werden und schämt sich, seinen drei Enkelkindern nichts schenken zu können. Sein Freund Martin, 53, ist gerade von einer schweren Krankheit genesen und denkt dankbar an die gute medizinische Behandlung. Ihn störte allerdings die spürbare Bevorzugung von privat Versicherten bei der Terminvergabe. Als MarketingSpezialist hat er zehn Jahre in Rom gearbeitet und sorgt sich um die Übertragbarkeit seiner Rentenansprüche aus dieser Zeit. Tim, Vater von zwei Kindern, Rolli-Fahrer ist auf eine zeitintensive Assistenz angewiesen. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Uni. Da für einen Großteil der Kosten sein Einkommen und Vermögen zur Finanzierung der Assistenz und Teilhabe herangezogen wird, bleibt ihm lediglich ein Gehalt auf Hartz-IV-Niveau. Geld zu sparen oder etwa für das Alter vorzusorgen, wird für ihn damit unmöglich. Er fragt sich, ob die Regelung, dass die Menschen derart zu den Kosten ihrer Inklusion herangezogen werden, jemals verändert wird, damit auch Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben ohne Diskriminierung führen können. Rana ist gerade mit ihren zwei Kindern vor den Bomben aus Aleppo geflohen und will neu in Deutschland ankommen. Sie möchte schnell Deutsch lernen, arbeiten gehen und begegnet dabei vielen Hürden in der deutschen Bürokratie. Sie hat Angst, weil es einen Anschlag auf ihre Flüchtlingsunterkunft gab. Vor allem hofft sie, dass ihre Kinder es einmal besser haben als sie. Lisa und Ali leben in Hamburg und haben ein Kind. Er arbeitet Vollzeit als Ingenieur und sie halbtags als Lehrerin. Beide möchten gerne ein zweites Kind und die Familienarbeit gerechter aufteilen. Sie fürchten, dass sie dann aber keine größere und vor allem auch bezahlbare Wohnung in der Nähe ihrer Arbeitsorte finden. Susanne ist 32 Jahre alt und arbeitet als freie Grafikerin unter anderem in einem Start-UpUnternehmen. Sie braucht die Flexibilität für die Pflege ihrer Mutter. Sie fürchtet sich, selbst krank zu werden und sich nicht um ihre Mutter kümmern zu können. Sie will sich um ihre eigene Altersvorsorge kümmern und fragt sich, wer sie dafür gut und vertrauensvoll beraten könne, damit ihre Vorsorge auch stabil und sicher bleibt. Das sind Ausschnitte der vielfältigen Realität in Deutschland. Es ist uns wichtig, die Menschen in ihrer individuellen Situation ernst zu nehmen und dabei zu versuchen, ihre Anliegen in eine gerechtere Politik für alle zu übersetzen. Es ist uns bewusst, dass das nicht in jedem einzelnen Fall gelingen kann und dass manchmal auch Umwege notwendig sind. Doch gilt, dass Politik sich sowohl an leitenden Grundsätzen als auch an der konkreten Wirklichkeit von Menschen in verschiedenen Lebensphasen orientieren muss, um dem Anspruch einer guten Politik für alle gerecht zu werden. Ein zentraler leitender Grundsatz für uns GRÜNE ist Gerechtigkeit. - Dieser Anspruch strahlt für uns in alle Politikbereiche aus. Doch was meint "Gerechtigkeit", wenn GRÜNE darüber sprechen? Gerechtigkeit bedeutet für uns, dass alle Menschen dazu gehören und gleiche Rechte haben, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem Besitz oder ihren Fähigkeiten. Gerechtigkeit verlangt eine gerechte Verteilung der Güter, so dass alle an der Gesellschaft teilhaben können. Mit Gerechtigkeit verbinden wir das Ziel, dass Menschen nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt eine Chance auf eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft haben. Gerechtigkeit bedeutet für uns, künftigen Generationen eine intakte und lebenswerte Welt zu übergeben. Wir sagen nicht, dass diese Dimensionen der Gerechtigkeit immer leicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Sie sind aber untrennbar miteinander verbunden und leiten uns bei unserem Anspruch, dass eine gerechte Politik allen Menschen zugutekommt. Wir leben in einer Welt, in der genau diese Ziele noch längst nicht verwirklicht sind. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es vielen Menschen gut geht, in der Menschen aber auch benachteiligt und abgehängt werden. Wir leben auch in einer Gesellschaft, in der viele verunsichert sind, ob sie überhaupt eine faire Chance haben, vorwärts zu kommen und in der die wachsende ungleiche Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen einen Grad erreicht hat, der dem Gemeinwohl insgesamt schadet. Für uns folgt daraus: Wir wollen den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken. Wir arbeiten für ein gerechtes Land, für ein starkes Gemeinwesen und eine solidarische Gesellschaft, in der der gemeinsam erwirtschaftete Wohlstand allen zugutekommt. Das bedeutet für uns auch, dass Einkommen, Vermögen und Chancen gerechter verteilt werden. Nur eine Gesellschaft, die zusammenhält, ist auch wehrhaft gegen Angriffe auf die Demokratie. Wir wollen eine Politik machen, die gleiche Chancen und gleiche Rechte für jede und jeden zum Ziel hat. Uns geht es um eine Gesellschaft, in der alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Geldbeutel Chancen ergreifen und nutzen können, um ihre Träume und Wünsche zu verwirklichen. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, auch nur ein Talent zurückzulassen. Wir stehen für eine Politik der sozialen Sicherheit und Teilhabe, die niemanden durchs Raster fallen lässt. Jeder Mensch soll ein selbstbestimmtes Leben führen können. Wir wollen der Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und Armut eine Politik der sozialen Sicherheit und Teilhabe mit starken öffentlichen Einrichtungen für alle entgegensetzen. Großer Reichtum - Mittelschicht unter Druck Deutschland ist nicht nur ein buntes Land, sondern eines der reichsten Länder. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen gehört zu den höchsten in der ganzen Welt. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat Millionen Menschen aus Armutslöhnen geholfen, seit 2010 sind die Reallöhne wieder gestiegen. Doch von der guten Lohnentwicklung profitieren längst nicht alle. Die freie Mitarbeiterin oder Minijobberin hat davon häufig nichts. Die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Langzeitarbeitslosen schon gar nicht. Jüngere stehen unter dem dauerhaften Druck befristeter Jobs. Während viele Familien jeden Euro zweimal umdrehen müssen, steigen hohe Managergehälter auch dann noch an, wenn die Unternehmen Verluste machen. Wir wissen, dass ein Blick auf das Einkommen nur begrenzt hilft bei der Beschreibung der sozialen Lage der Mittelschicht. Sie ist heterogen in vielerlei Hinsicht, nicht nur sozioökonomisch, sondern auch hinsichtlich sozialer Milieus und Lebensstile. Zugleich gilt, dass ein mittleres Einkommen in Schwerin oder im Emsland eine gute Teilhabe ermöglicht, während eine vierköpfige Familie in München damit möglicherweise keine großen Sprünge machen kann. In den letzten zehn Jahren haben die unteren Einkommensschichten weiter an Vermögen verloren, während das obere ein Prozent der Bevölkerung nun ein Drittel des Nettovermögens besitzt. In keinem Land der Euro-Zone ist die Vermögensungleichheit größer als in Deutschland. In den letzten zehn Jahren ist es nicht gelungen, die Mittelschicht in ihrer regionalen Unterschiedlichkeit zu stabilisieren und zu verbreitern. Stattdessen sehen wir vererbte Armut und Benachteiligung und vererbten Reichtum und Privilegierung. Es kann uns keine Ruhe lassen, wenn Kinder zu haben in Deutschland tatsächlich ein Armutsrisiko ist. Alleinerziehend zu sein ist der Armutsfaktor Nummer eins. Vierzig Prozent der Alleinerziehenden beziehen in Deutschland Hartz IV. Mütter wollen heute mehrheitlich mehr arbeiten, doch die Realität ist eine andere. Im Durchschnitt arbeiten Frauen neun Stunden pro Woche weniger als Männer. Auch an dem großen Lohnunterschied (21%) gegenüber ihren männlichen Kollegen ändert sich bislang nichts. Das sind große Ungerechtigkeiten, mit denen die Menschen in ihrem Alltag und bei der Lebensplanung konfrontiert sind. Diese Ungerechtigkeiten können Hoffnungen und das Vertrauen in unsere demokratische Gesellschaft zerstören. In unserer Gesellschaft wächst das Unverständnis darüber, dass einige Wohlhabende ihre Vermögen steuerfrei in Panama verstecken und sich der solidarischen Gemeinschaft entziehen. Viele Menschen haben den Eindruck, dass wir nicht mehr in einer sozialen Marktwirtschaft leben, in der man mit eigener Anstrengung und durch eine faire Unterstützung der Gemeinschaft vorankommen kann, sondern dass wir längst in einer Machtwirtschaft leben, in der große Konzerne und ihre Lobbys regieren und ihre Interessen auf Kosten des Gemeinwohls durchsetzen können. Auch das gefährdet den sozialen Zusammenhalt und die Akzeptanz unserer Demokratie in unserer Gesellschaft. Chancenungleichheit: Hürden abbauen Die ungerechte Verteilung von Einkommen und bereits erworbenem Eigentum ist nur eine Dimension der Ungleichheit in Deutschland. Die Ungerechtigkeit fängt in Deutschland früher an. Deutschland schafft es nicht, Chancengleichheit und echte Teilhabe aller von Anfang an zu ermöglichen. Der soziale Aufzug nach oben funktioniert nicht. Viel zu oft entscheidet die soziale Herkunft, der Geldbeutel, das Geburtsland der Eltern oder das Geschlecht über den zukünftigen Lebensweg unserer Kinder und ihre Teilhabe. Die eingeschränkte Teilhabe von Vielen und eine enorme Konzentration von Geld und Einfluss bei Wenigen werden somit auch zu einer sich verschärfenden strukturellen Machtfrage in Deutschland. Die beklemmende Realität zeigen repräsentative Umfragen unter Kindern: Ein Fünftel der 6 bis 11 Jährigen bezeichnet sich selbst schon als abgehängt und hat kaum Erwartungen an die eigene Zukunft. Sie streben schon gar keine guten Schulabschlüsse mehr an. Das spiegelt sich darin wieder, dass laut OECD in Deutschland nur ein Prozent derjenigen, die aus einem Arbeiterhaushalt kommen, ein Studium aufnehmen. Hinzu kommt, dass in Deutschland 1,5 Millionen junger Menschen unter 29 Jahren ohne Ausbildung und ohne Abschluss sind. Das alles lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Aber es muss heute begonnen werden, so dass unsere Gesellschaft in fünf, zehn und zwanzig Jahren anders, besser und gerechter ist. Um einen echten Unterschied zu machen, kommt es vor allem auf die Qualität der Kitas und Ganztagsschulen an, auf eine bessere Unterstützung der Eltern und echte Teilhabemöglichkeiten für Kinder an Kultur und Sport. Jetzt in echte Teilhabe zu investieren ist besser als später zu reparieren. Arbeit, Alter, Wohnen: Soziale Sicherheit erneuern Die Arbeitswelt ist im Wandel, sie wird bunter und vielfältiger. Die Digitalisierung hat das Potential, wirtschaftlichen Erfolg mit guter Arbeit und auch mit mehr Schutz der Umwelt zu verbinden. Sie stellt uns aber auch vor Herausforderungen. Wie verhindern wir, dass Arbeitnehmer rund um die Uhr verfügbar werden? Wie sichern wir neue Formen der Selbständigkeit? Wie schaffen wir neue berufliche Perspektiven für Menschen, die ihren Job an eine Maschine verloren haben? Die Nachrichten vom Arbeitsmarkt sind gut, denn heute sind deutliche weniger Menschen arbeitslos als noch vor zehn Jahren. Die Arbeitslosigkeit fiel von ihrem Höchststand von fast 4,9 Millionen im Jahr 2005 auf 2,8 Millionen im Jahr 2015. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland im europäischen Vergleich mit rund sieben Prozent auch dank unseres starken dualen Ausbildungssystems niedrig und im Jahr 2016 gibt es rund 41.000 gemeldete unbesetzte betriebliche Ausbildungsplätze. Die regionalen Unterschiede sind aber enorm. In Eichstätt in Bayern herrscht Vollbeschäftigung während in Bitterfeld 13 Prozent der Menschen ohne Arbeit sind. Das Risiko arbeitslos zu werden verschärft sich mit dem Alter und je nach Herkunft - und die Zahl der Langzeitarbeitslosen wurde kaum reduziert. Das macht deutlich: Trotz der guten Statistik gibt es viel zu tun. Ziel muss die Teilhabe am Arbeitsmarkt sein, auch für die 2,8 Millionen Menschen, die noch keine Arbeit gefunden haben. Die Rente ist besser als ihr Ruf. Jedoch ist das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente in den letzten Jahren stark gesunken. Ganze Gruppen wie Selbständige oder Beamte sind nicht in die gesetzliche Rente integriert. Im Vergleich zu anderen OECD-Staaten liegt das Rentenniveau in Deutschland unterhalb des Durchschnitts. Wird nicht gegengesteuert, ist zu erwarten dass es schon Ende der 2020-Jahre nicht mehr ausreicht, 30 Jahre lang mit einem durchschnittlichen Gehalt in die Rentenkasse eingezahlt zu haben, um einen Sozialhilfebezug zu vermeiden. Viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich: Wie gestalte ich angesichts des sinkenden Rentenniveaus meinen Ruhestand, besonders wenn die zusätzliche Altersvorsorge hinter den Erwartungen zurückbleibt? Und wer pflegt mich im Alter? In den Ballungszentren, Universitäts- und Großstädten steigen die Mieten kontinuierlich. Bezahlbarer Wohnraum ist in vielen Gegenden Deutschlands mittlerweile Mangelware. Die niedrigen Zinsen treiben die Marktpreise nach oben, der Druck auf die Mieten steigt entsprechend mit. Der Einfluss von Investmentfonds mit hoher Renditeerwartung treibt die Spaltung des Wohnungsmarktes voran. Hinzu kommt die überproportionale Steigerung der Energiekosten: Strom wurde in den vergangenen 10 Jahren um über 60 Prozent teurer und Heizen um mehr als 35 Prozent. Die soziale Frage des Wohnens wird immer brisanter. Es braucht wirksame Anreize, damit in neuen und bezahlbaren Wohnraum in sozial gemischten Quartieren investiert wird. Verantwortung in einer globalisierten Welt Weltweit sehen wir, dass globale Regulierung den oft kreativen Kapitalströmen meilenweit hinterherhinkt. Mit Hilfe von Briefkastenfirmen werden Vermögen auch bei Banken in Deutschland geparkt. Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast die Hälfte des weltweiten Vermögens. In vielen Ländern bereichern sich korrupte und reiche Eliten im Zusammenspiel mit multinationalen Konzernen. Unterstützt durch eine falsche Handelspolitik des globalen Nordens werden die Ressourcen von Ländern geplündert, deren Bevölkerungen dabei leer ausgehen. Auch die Auswirkungen und Kosten von Umweltschäden, Artenverlust und Klimawandel sind ungerecht verteilt. Das gilt zum einen zwischen globalem Norden und Süden, zum anderen aber auch innerhalb der Gesellschaften. Denn privat verursachte Umweltschäden und die Folgekosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt. Hinzu kommt die staatliche Förderung von Umweltverschmutzung durch Subventionen in Milliardenhöhe. Der vermeintliche Widerspruch zwischen ökologischer und sozialer Frage berührt auch die Machtfrage, inwiefern einflussreiche Lobbys ihre Interessen auf Kosten des Gemeinwohls durchsetzen können. Viele gewaltvolle Unruhen und Kriege haben nicht zuletzt ihre Ursache in diesen Ungerechtigkeiten. Ungerechtigkeit in der Welt ist somit auch eine wesentliche Fluchtursache. Es ist an der Zeit, diesen Teufelskreislauf endlich zu durchbrechen mit einer gerechteren Handels-, Agrar-, Klima- und Finanzpolitik. Keine einfachen Antworten – Rechtspopulisten entlarven Breite Schichten der Bevölkerung sind verunsichert, sie fürchten, ihren Lebensstandard nicht halten zu können, zweifeln daran, dass ihnen und ihren Kindern der Aufstieg gelingen kann. Die Angst vor einer weiteren Spaltung der Gesellschaft und zunehmender sozialer Kälte treibt viele Menschen um. Rechtspopulisten versuchen auf die Probleme eine einfache Antwort zu geben, indem sie den vermeintlich Fremden die Schuld in die Schuhe schieben. Sie profitieren von den Ängsten der Deutschen. Dabei würden sie mit ihrer marktradikalen Sozial- und Wirtschaftspolitik gerade die Benachteiligten weiter schwächen. Eine gerechte und emanzipatorische Antwort spielt Geflüchtete und Einheimische nicht gegeneinander aus. Die Aufnahme und Integration der Geflüchteten ist zwar eine Herausforderung, aber auch eine Chance für unsere Gesellschaft, wenn sie mit Mut und den notwendigen Investitionen angegangen wird. Zugleich muss uns klar sein: Es geht hier auch um unterschiedliche Weltanschauungen. Rechtspopulisten attackieren auch Demokratie, Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Diese Werte sind für uns nicht verhandelbar. Thesen Öffentliche Einrichtungen und materielle Absicherung stärken Wer benachteiligt und arm ist, ist auf den Zugang zu guten öffentlichen Einrichtungen angewiesen. Die Forderung nach einem Recht auf Teilhabe läuft ins Leere, wenn es keine öffentlichen Institutionen gibt, die eine soziale und kulturelle Teilhabe erst anbieten bzw. ermöglichen. Institutionen alleine reichen nicht aus, um soziale und kulturelle Teilhabe zu sichern. Es braucht daher beides: Starke Institutionen und eine gute materielle Absicherung. Kinder unterstützen Ein Fünftel der Kinder ist in Deutschland abgehängt – vom Bildungserfolg, vom sozialen und kulturellen Leben, von Gesundheit und Partizipation am politischen Alltag. Das ist zutiefst ungerecht. Das können wir uns nicht leisten. Wir dürfen kein Kind zurücklassen. Die Qualität der Institutionen, die Kindern gutes Aufwachsen und Teilhabe ermöglichen und ihre Eltern unterstützen, ist ebenso vordringlich wie eine sozial ausgewogene Familienförderung, die Familien unabhängig von der rechtlichen Verbindung ihrer Eltern zugutekommt. Familie ist dort, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen Wir setzen auf Selbstbestimmung und Individualisierung, aber nicht Atomisierung. Eine Gesellschaft, in der es nur den Staat und das Individuum gibt, ist für uns keine erstrebenswerte. Wir wollen anerkennen, wenn Menschen Verantwortung füreinander übernehmen, ganz gleich in welcher Verbindung. Nachhaltige Finanzierung der Rente sichern Die Rente ist besser als ihr Ruf. Eine Stabilisierung des Rentenniveaus ist selbst ohne deutliche Anhebung der Rentenbeitragssätze möglich. Die Verunsicherung heutiger und künftiger Rentner*innen rührt auch aus der offenen Frage einer gerechten Finanzierung des Rentensystems. Die Bürger*innenversicherung ist ein wichtiger Teil der Antwort. Die Einbeziehung von Selbständigen führt zu einer besseren Absicherung im Alter sowie auch zu einer stabileren Finanzierungsgrundlage der gesetzlichen Rentenversicherung. Perspektivisch wollen wir eine Bürgerversicherung für alle, das heißt auch Abgeordnete, Menschen in freien Berufen und Beamt*innen einbeziehen. Die Zukunft der Rente entscheidet sich auch am Arbeitsmarkt. Wenn es uns langfristig gelingt, dass Frauen sich beruflich genauso verwirklichen können wie Männer, dann stabilisiert das die Rente und sichert den Frauen zudem eine eigenständige Altersvorsorge. Selbstbestimmung und Teilhabe sichern Für viele Menschen, die auf Assistenz und Unterstützung angewiesen sind, ist die Selbstbestimmung und Teilhabe immer noch nicht selbstverständlich. Barrieren und hohe Anrechnungen der Kosten für die Inklusion auf ihr Einkommen führen dazu, dass wir in Deutschland trotz UN-Behindertenrechtskonvention immer noch weit davon entfernt sind, die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen zu sichern. Hier bedarf es grundlegender gesetzlicher Änderungen. Ökologie und Gerechtigkeit verwirklichen mit besserem Mietrecht und bezahlbarem Wohnraum Deutschland hat ein massives und wachsendes Problem bei den Wohnkosten. Seit Ende der 1980er Jahre die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft wurde, sind über drei Millionen mit öffentlichen Mitteln gebaute Sozialwohnungen privatisiert worden. Dem massiven Mangel an preiswerten Wohnungen wollen wir durch die Neubelebung von sozialem Wohnungsbau sowie der Förderung von gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnformen entgegentreten. Ein niedriger Energieverbrauch in unseren Wohnungen nützt dem Klima und dem Geldbeutel. Falsche Rahmenbedingungen führen aber oft dazu, dass energetische Gebäudesanierung als Mittel von Verdrängung verschrien ist. Wir brauchen daher eine zielgenaue Förderung und ein besseres Mietrecht, um Sanierungskosten gerecht zu verteilen und so Ökologie und Gerechtigkeit zu verbinden. Kommunen stärken Die Gestaltungskraft der Kommunen zu stärken, ist für die soziale Teilhabe aller Menschen zentral. Die Kommune ist für die soziale und demokratische Teilhabe von herausragender Bedeutung. Nur wenn es gelingt, die Kommune überall in Deutschland als handlungsfähigen Ort zurückzugewinnen, kann eine Politik der sozialen Teilhabe Erfolg haben und das Gemeinwesen zu einem lebenswerten Ort für alle machen. Rechtspopulismus begreifen und entlarven Die Anziehungskraft einer rechtspopulistischen Politik der einfachen Antworten hängt auch mit echten sozialen Problemen zusammen. Es sind die Ängste und Sorgen der Menschen vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg, die sie in die Arme der Rechtspopulisten treiben. Die Anziehungskraft rechtspopulistischer Politik fußt aber auch darauf, dass sie Leute anzieht, für die eine repräsentative Demokratie kein Wert an sich ist. In diesem Weltbild stehen Grundrechte und der Schutz von Minderheiten zur Disposition. Deshalb kann eine so genannte „Sozialpolitik für die kleinen Leute“ keine ausreichende Antwort auf den Rechtspopulismus sein. Europäische Solidarität leben Europäische Solidarität ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Gerechtigkeitsdebatte in unserem Land – sowohl beim Euro als auch in der Flüchtlingsaufnahme. Eine falsche Sparpolitik ohne nachhaltige Investitionen führt Europa nicht weiter. Die EZB wird die Krise nicht alleine lösen können, deshalb brauchen wir einen europäischen Green New Deal. Wir müssen wirtschaftliche Strukturen schaffen, die der breiten Bevölkerung Chancen und Perspektiven bieten und die ökologische Frage angehen. Dabei geht es auch um soziale Gerechtigkeit und den Zusammenhalt in Europa. Durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit leidet eine ganze Generation unter der verheerenden wirtschaftlichen Krise Europas. Wenn wir wollen, dass Europa auch in Zukunft noch stark ist, müssen wir die Menschen überzeugen, dass Europa auch Solidarität bedeutet. Digitalisierung gerecht gestalten Wir denken Digitalisierung und Gerechtigkeit zusammen. Die voranschreitende Digitalisierung und Automatisierung führt dazu, dass bestimmte berufliche Tätigkeiten immer einfacher zu standardisieren und zu ersetzen sind. Gleichzeitig wird der Anteil von menschlicher Arbeit an der Wertschöpfung im Vergleich zum Einsatz von Kapital geringer. So wird die Digitalisierung auch zu einer Machtfrage, bei der die Mittelschicht unter Druck geraten kann. Die Digitalisierung erfordert umfassende Reformen des Arbeitsrechts sowie der Steuer- und Sozialversicherungssysteme. Bildung und Weiterbildung sind entscheidend und werden immer wichtiger. Politik hat die Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen im gesamten Lebensverlauf in ihre (Weiter)Bildung investieren können. Lohnpolitik als Mittel gegen Ungleichheit und für Gleichberechtigung Löhne sind die wichtigste Stellschraube gegen Ungleichheit. Die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen zu beseitigen ist eine zentrale Frage der Gerechtigkeit. Von bisherigen Lohnsteigerungen sind alle jene Sektoren, in denen Dienst am Menschen geleistet wird, fast gänzlich ausgeschlossen. Daher brauchen wir neben dem Mindestlohn weitere politische Maßnahmen, wie eine generelle Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, die Aufwertung von Care Arbeit, den Übergang des Ehegattensplittings zur Individualbesteuerung und die Eindämmung von Minijobs. Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit zusammendenken Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit sind keine Gegensätze, sondern vielmehr zwei Seiten derselben Medaille. Umverteilung findet nicht nur durch monetäre Transfers statt, sondern auch durch nicht-finanzielle Leistungen des Staates. Vor allem Ausgaben für Bildung und Gesundheit steigern die Chancengleichheit aller und wirken mittelfristig ausgleichend auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen. An diesen Ausgaben müssen alle ihren angemessenen Anteil leisten und der besonders privilegierte Teil unserer Bevölkerung muss sich fairer als heute an ihrer Finanzierung beteiligen. Gewinne in Investitionen lenken Wir erleben in Deutschland seit einigen Jahren einen Trend aus steigenden Unternehmensgewinnen und gleichzeitig sinkenden Investitionen. Wir brauchen eine politische Antwort auf die Frage, wie diese ungenutzten Gewinne für private und öffentliche Investitionen nutzbar gemacht werden können. Steuergerechtigkeit umsetzen Wir sehen die Notwendigkeit, mit einer verfassungsfesten, ergiebigen und umsetzbaren Vermögensbesteuerung einer sich verstärkenden Vermögensungleichheit entgegen zu wirken und die Mittel zu erwirtschaften, die für die Finanzierung von Maßnahmen zu mehr Chancengleichheit vor allem im Bildungsbereich notwendig sind. Im Dschungel des von Land zu Land unterschiedlichen Steuerrechts finden sich große Unternehmen mit Hilfe von riesigen Steuerabteilungen und hochbezahlten Berater*innen viel besser zurecht als kleinere und mittlere Unternehmen. Darum tragen große Unternehmen, gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit, in der Regel weniger zum Steueraufkommen und somit zur Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, von der sie profitieren, bei. Wir Grüne wollen darum ein Steuerrecht, das für große und kleine Firmen fair ist und nicht unnötig Ressourcen verschlingt.
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