oead.news Nr. 100/2016 - Österreichischer Austauschdienst

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Nummer 100 | Juni 2016
Schwerpunktthema:
Qualität in der Bildung
Koordinierungsstelle für den NQR
in der OeAD-GmbH angesiedelt
2
Inhalt
Zotti
03
Stefan
Editorial
Christian Swertz | Katharina Mildner
32
Selbstgemachte
Qualität
Hopbach
06
Achim
Leitprinzip Qualitätsentwicklung
Gesslbauer
34
Ernst
Erasmus+ inside. Kommentar zu den europäischen
08
Antonio Loprieno
Produktives Zusammenspiel bei systemischer Stabilität
Attila Pausits
10 Bildungsmanagement
und Hochschulentwicklung
12
Gerhard Volz
Die Erasmus-Hochschulcharta
Aichner
14 Regina
ECTS als Instrument zur Qualitätssicherung?
Programmen
Baloch-Kaloianov
36
Eva
»Guidance works!«
Alexandra Enzi
38
Kompetenzdarstellung leicht gemacht
Dániel Ramírez-Schiller
39 Carin
Qualität in der Erwachsenenbildung
Ida Karner
40
Toolkit für Work-based Learning
Treml
16 Beate
Qualität im studierendenzentrierten Lehren und Lernen
Nitsche | Louise Sperl
17 Veronika
Alles gleich, alles anders?
Eichelberg | Maria Wurzinger
18 Sarah
Gemeinsam die Lehre beflügeln
Jahn
19 Christian
Wie viel Zertifikat braucht der Mensch?
im Gespräch mit Christian Dorninger
20
oead.news
Mehr Transparenz bei Qualifikationen, Kompetenzen
und Abschlüssen; Interview: Eva Müllner
Dániel Ramírez-Schiller
41 Carin
New Skills – Old Skills?
Bayersburg
42 Frédéric
Qualitätssteigerung durch Lernergebnisorientierung
Ursula Panuschka
43
Europatag = eTwinning-Tag
Seidelberger
44 Cathrine
Innovative Projekte, nachhaltige Wirkung
Schneider
45 Tobias
»internationalisation@home«
Andrew Müllner
22 Karl
Nationaler Qualifikationsrahmen
Landertshammer
24 Michael
Bildungssystem und Arbeitsmarkt am Prüfstand
Gramlinger
26 Franz
Qualität in der Berufsbildung:
ARQA-VET – ein wichtiger Player
im Gespräch mit Andreas Schleicher
28 oead.news
PISA misst die Kenntnisse und Fertigkeiten von
Schüler/innen; Interview: Rita Michlits
Aichner
46 Regina
Bologna-Tag 2016: Lernergebnisse
47
Lydia Steinmassl
Young Science-Gütesiegel
Dippelreiter
48 Michael
Historisch betrachtet
50
Rita Michlits
GreenHouse mit Passivhaus-Plus-Zertifikat
ausgezeichnet
Carnevale
OeAD-Events
30 Carla
52
Veranstaltungskalender
Sprachliche Bildung als Basis für gutes Weiterkommen
3
Stefan Zotti
© OeAD | Sabine Klimpt
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
100 Ausgaben oead.news, vormals IAM, sind ein
schöner Anlass für einen moderaten Relaunch, neu
in Design und im Aufbau, bewährt in ihrem Informationsgehalt und der (hoffentlich) freundlichen
Aufnahme. Wir erreichen mit unseren oead.news
regelmäßig an die 5.000 Stakeholder im gesamten Bildungsbereich. Ihr gutes Feedback zeigt uns,
dass es uns regelmäßig gelingt, »heiße Eisen« im
Bildungssystem anzusprechen und durch den Blick
über geläufige Bildungsräume, scheinbar eingefahrene Perspektiven und geografische Grenzen hinweg auch neue Impulse in die Diskussionen über
unser Bildungssystems einzubringen. Denn Internationalisierung ist mehr als die Förderung von
Mobilität und Kooperationen – sie ist Teil einer umfassenden Modernisierungsagenda des Bildungssystems und der damit befassten Institutionen.
In einer immer bunter, und damit komplexer,
werdenden Bildungslandschaft stellen Fragen nach
der Qualität, der unterschiedlichen Lernkontexte
(formal, nicht formal, informell), der Lernformen
und der erworbenen Qualifikationen eine zentrale Herausforderung dar. Internationale Vergleiche
zeigen, dass Österreichs Bildungssystem in puncto
Offenheit und Durchlässigkeit noch Aufholbedarf
hat. Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung
und
Nachvollziehbarkeit
hinsichtlich der Lernergebnisse sind wesentliche Stellschrauben in der Weiterentwicklung der Bildungsinstitutionen und ihrer Lehrangebote. In den
letzten Jahren wurden auf europäischer Ebene für
alle Bildungsbereiche eine Vielzahl an Instrumenten zur Sicherstellung von Qualität und Transparenz entwickelt. Es bleibt zu hoffen, dass diese
noch stärker als bisher Eingang in die Bemühungen
um eine Weiterentwicklung des Bildungssystems
finden, auch wenn die Messbarkeit von erlangtem
Wissen und erlangten Kompetenzen wohl auch in
Zukunft Anlass zur Diskussion bietet.
Aufbrüche sind oftmals mit Personen verbunden: In diesem Sinne begrüßen wir die neue Bildungsministerin Dr. Sonja Hammerschmid herzlich und wünschen ihr für ihre neue Aufgabe alles
Gute. Als OeAD-GmbH konnten wir mit ihr schon
in ihrer bisherigen Funktion gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten und wir wissen, wie sehr
ihr auch die internationale Dimension von Bildung
und Wissenschaft am Herzen liegt. Wir freuen uns
auf eine gute Zusammenarbeit.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und
einen schönen Sommer.
Ihr Stefan Zotti
Impressum: Medieninhaber & Herausgeber: OeAD (Österreichische Austauschdienst)-Gesellschaft mit beschränkter Haftung | Austrian Agency for International Cooperation in Education and Research (OeAD-GmbH) | 1010 Wien, Ebendorferstraße 7 | Sitz: Wien | FN 320219 k | Handelsgericht Wien | Chefredaktion und für den Inhalt verantwortlich: Eva Müllner, KIM – Kommunikation, Information, Marketing | Schlussredaktion: Rita Michlits | Mitarbeiter/innen dieser Ausgabe:
Regina Aichner, Eva Baloch-Kaloianov, Frédéric Bayerburg, Carla Carnevale, Michael Dippelreiter, Sarah Eichelberg, Alexandra Enzi, Ernst Gesslbauer, Franz Gramlinger, Achim Hopbach, Christian Jahn, Ida Karner, Michael Landertshammer, Antonio
Loprieno, Rita Michlits, Katharina Mildner, Eva Müllner, Karl Andrew Müllner, Veronika Nitsche, Ursula Panuschka, Attila Pausits, Martin Prinz, Carin Dániel Ramírez-Schiller, Tobias Schneider, Louise Sperl, Lydia Steinmassl, Christian Swertz, Beate
Treml, Gerhard Volz, Maria Wurzinger, Stefan Zotti | 1010 Wien | Ebendorferstraße 7 | T +43 1 534 08-0 | F +43 1 535 08-999 | [email protected] | www.oead.at | Grafisches Konzept: Fineline, erweitert Rita Michlits & Eva Müllner | Layout:
Eva Müllner | Fotos: Wenn nicht gesondert vermerkt, im Eigentum der OeAD-GmbH, Coverfoto: © Choreograph, iStock | Druck: one2print/DI Hans A. Gruber KG | Finanziert aus Mitteln des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung
und Wirtschaft | Hinweis: Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider und müssen sich nicht mit der des Herausgebers decken. | P.b.b. | Erscheinungsort Wien | Verlagspostamt 1010 Wien |
GZ: 02Z032 994M | Wien, Juni 2016
Offenlegung gemäSS § 25 Mediengesetz: Unternehmensgegenstand: Unternehmensgegenstand ist die Durchführung von Maßnahmen der europäischen und internationalen Kooperation im Bereich der Wissenschaft und Forschung
sowie der Erschließung der Künste, der Hochschulbildung, der Bildung und der Ausbildung (§3. (2) OeAD-Gesetz) | Geschäftsführer: Stefan Zotti | Prokurist: Ulrich Hörmann | Mitglieder des Aufsichtsrates: Elmar Pichl, Hanspeter Huber, Teresa
Indjein, Gottfried Schellmann, Heinz Fassmann, Kurt Koleznik, Malies Krainz-Dürr, Barbara Sporn, Franz Salchenegger, Eva Weixler, Bernhard Muzik, Harald Malainer | Die OeAD-GmbH steht zu einhundert Prozent im Eigentum des Bundes (§1.(2)
OeAD-Gesetz) | Grundlegende Richtung: Information zu Bildungsmobilität & Bildungskooperation – national und international
4
Auszeichnung der
Stadt Lemberg
© Markus Poessel, CC Attribution-Share Alike 3
Anlässlich der 760-Jahr-Feier
zeichnete Bürgermeister Andrij
Sadovij den Leiter des OeADKooperationsbüros
MMag.
Andreas Wenninger für seinen
wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der ukrainisch-österreichischen Beziehungen und
die Unterstützung der Studierenden und der akademischen
Gemeinschaft bei ihren Bestrebungen zur EU-Integration aus.
Hören Sie sich das an:
Radioreihe »Welt im Ohr«
Die Radiosendungen und Podcasts der OeADAbteilung »Bildung und Forschung für internationale Entwicklungszusammenarbeit« vermitteln
transkulturelle Erfahrungen aus Bildung, Wissenschaft und Forschung. Sie sind ein offenes Forum
für grenzüberschreitende Diskurse und Reflexionen.
»Welt im Ohr« ist eine Sendereihe, die in Zusammenarbeit mit ORF Ö1 Campusradio läuft.
Zwei- bis dreimal im Monat, an Freitagen ungerader Kalenderwochen, von 20 bis 21 Uhr sind
die Beiträge auf Ö1 Campusradio zu hören.
Live hören: Campusradio »Welt im Ohr« Bildung –
Forschung – Entwicklung
http://oe1.orf.at/konsole?show=campus
Nachhören: Podcast
www.kef-research.at/podcasts/
Open Access
Druck aus Europa
Nobelpreisträger
Walter Kohn gestorben
Der aus Österreich stammende Physiker und ChemieNobelpreisträger Walter Kohn
ist am 19. April im Alter von 93
Jahren in Santa Barbara gestorben. Der 1939 mit einem Kindertransport vor den Nazis aus
Österreich geflüchtete jüdische
Wissenschaftler wurde 1998
mit dem Chemie-Nobelpreis
ausgezeichnet.
Forschungsergebnisse digital und frei zugänglich
zu publizieren, soll endlich Standard werden. Der
europäische Universitätsverband hat jetzt einen
Open-Access-Fahrplan für Hochschulen vorgelegt. Im Februar hat der europäische Hochschulverband EUA (European University Association)
einen Fahrplan präsentiert, mit dem er seine Mitgliedshochschulen in ihren Bemühungen um Open
Access unterstützen will. Möglichst schnell sollen
sie die Voraussetzungen schaffen, dass Wissenschaftler/innen überall ihre Forschungsergebnisse
online veröffentlichen können. Die OeAD-GmbH
hat die Berliner Erklärung über den offenen Zugang
zu wissenschaftlichem Wissen unterzeichnet. Fahrplan der EUA auf www.eua.be
https://openaccess.mpg.de/Berliner-Erklaerung
WELT
IM
OHR
© Harald Friedl | Lilo Moser
In aller Kürze
Neues ÖSD-Prüfungszentrum in Aserbaidschan
Das Österreichische Sprachdiplom Deutsch (ÖSD)
hat an der OeAD-Informationsstelle in Baku ein
Prüfungszentrum eingerichtet. Safa Aliyeva (Leiterin der OeAD-Informationsstelle und Prüfungsvorsitzende) und Aydan Farhadova haben mit hoher
fachlicher Kompetenz die Ausbildung für Prüfende
absolviert. Das neue ÖSD-Prüfungszentrum an der
Aserbaidschanischen Fremdsprachenuniversität in
Baku bietet Prüfungen auf den Niveaustufen A1 bis
C1 an sowie Konversationsstunden zu verschiedenen Themen. Wir wünschen dem Team viel Erfolg
für die künftige Kooperation und für zukünftige
Prüfungen.
Die Informationsstelle der OeAD-GmbH wurde
2015 eingerichtet und unterstützt seither vor Ort
Studierende und Forscher/innen, die an österreichischen Hochschulen Studienerfahrungen sammeln bzw. lehren und forschen möchten.
www.osd.at
https://www.facebook.com/groups/OeAD.Baku
© Wiesboeck
OeAD-Stipendiatin mit Theodor Körner Förderpreis 2016 ausgezeichnet
Laura Wiesböck, Absolventin und wissenschaftliche Mitarbeiterin (prae doc) am Institut für Soziologie der
Universität Wien, wurde im April 2016 mit dem mit 4.000 Euro dotiertem Theodor-Körner-Preis ausgezeichnet. Wiesböck ist Marietta Blau-Stipendiatin der OeAD-GmbH. Das Thema ihrer Dissertation lautet »Facts of
Cross-Border Commuting in the Central European Region: Structural, Social and Transformational Dynamics
since the Opening of the Border in 2011«. Wir gratulieren herzlich.
© OeAD | Gianmaria Gava
5
Erasmus back to School goes Berufsbildung: Eine neue
Initiative soll Mut zum Auslandspraktikum machen
Die erfolgreiche Initiative »Erasmus back to
School«, die bisher lediglich für Studierende zugänglich war, wurde im Frühjahr 2016 auf den Berufsbildungsbereich ausgeweitet. Schüler/innen,
Lehrlingen und Absolvent/innen von berufsbildenden Schulen wird die Möglichkeit gegeben, ihren
Erasmus+ oder Leonardo-da-Vinci-Auslandsaufenthalt an einer Einrichtung (Schule, Unternehmen, Verein) vorzustellen, ihre Erfahrungen zu teilen und so anderen Schüler/innen und Lehrlingen
Mut zu machen, ein Auslandspraktikum im Rahmen des Programms Erasmus+ zu absolvieren.
Einsatz lohnt sich
Die ehemaligen Praktikant/innen sammeln dadurch nicht nur weitere Erfahrungen und helfen
dabei, das EU-Programm für den Berufsbildungsbereich einem breiteren Publikum zugänglich zu
oead.e-news
Aktuelle Informationen zu
Stipendien und Förderungen,
relevante Veranstaltungshinweise zum Thema Bildungsmobilität, Neues vom EUProgramm Erasmus+ und den
Programmen für Drittstaaten
u. v. m. erfahren Sie im elektronischen Newsletter der OeADGmbH. Melden Sie sich an:
www.oead.at/oead/newsletter
machen, sie können sich sogar ein kleines Taschengeld verdienen.
Das Projekt »Erasmus back to School« startete im
Jahr 2010/11 als Initiative der Nationalagentur in
der OeAD-GmbH. Gemeinsam mit der ÖGfE hatte
man sich zum Ziel gesetzt, die Möglichkeiten von
Auslandsstudienaufenthalten und Praktika für
Studierende im Rahmen von Erasmus zu promoten. Dabei sollten Alumni nach ihren Aufenthalten
zurück an ihre alte Schule gehen und Schüler/innen
von ihren Erfahrungen erzählen, um frühzeitig
Interesse und Lust auf ein Auslandsabenteuer im
Rahmen des späteren Studiums zu wecken.
Eine aktuelle Auswertung aller bislang abgeschlossenen Studienjahre 2010/11 bis 2014/15 hat
ergeben, dass im Rahmen von 270 Schulbesuchen
beinahe 10.000 Schülerinnen und Schüler erreicht
wurden.
www.bildung.erasmusplus.at.
Europäische Kommission unterstützt den Spracherwerb von Flüchtlingen
Die Europäische Kommission wird ab Sommer 2016 Online-Sprachkurse als Beitrag zur aktiven Integration
von Flüchtlingen anbieten. Auf freiwilliger Basis können österreichische Hochschulen bei der Nationalagentur Erasmus+ Bildung (OeAD-GmbH) eigene Lizenzen beantragen, um sie an Flüchtlinge im Umfeld
der Hochschule weiterzugeben. Die Kosten trägt die Europäische Kommission. Dadurch können Flüchtlinge
Kenntnisse in einer europäischen Sprache erwerben bzw. sie vertiefen. Die Lizenzen werden voraussichtlich
ab Juli 2016 zur Verfügung stehen. Derzeit wird die sprachliche Unterstützung für Deutsch, Englisch,
Französisch, Italienisch, Spanisch und Niederländisch angeboten. In den kommenden Wochen werden
weitere Sprachen folgen. Die Nationalagentur Erasmus+ Bildung hofft auf die Teilnahme zahlreicher
Hochschulen und steht unter [email protected] für weitere Informationen gerne zur Verfügung.
6
Achim Hopbach
Leitprinzip Qualitätsentwicklung
Das Streben nach Qualität in Lehre und Forschung stellt
eine zentrale Aufgabe der Hochschule als Institution dar.
Qualitätssicherung rückt damit ins Zentrum strategischen
Hochschulmanagements.
Dr. Achim Hopbach
ist 2012 für fünf Jahre zum
Geschäftsführer der Agentur
für Qualitätssicherung und
Akkreditierung Austria bestellt
worden. Von 2009 bis 2013 war
er Präsident der ENQA (European
Association for Quality Assurance
in Higher Education). Er hat
einschlägig zu Qualitätssicherung,
den Qualifikationsrahmen und
zu Fragen des Bologna-Prozesses
publiziert und ist Mitherausgeber
der Zeitschrift »Qualität in der
Wissenschaft«.
Externe Qualitätssicherung an Hochschulen hat
sich in den letzten 25 Jahren zu einer selbstverständlichen Aufgabenstellung der Hochschulen
entwickelt. Das gilt für Österreich genauso wie für
den gesamten europäischen Hochschulraum. Dabei ist das österreichische Hochschulsystem durch
eine gewisse Vielfalt in der externen Qualitätssicherung gekennzeichnet: An öffentlich-rechtlichen Universitäten wird alle sieben Jahre das interne Qualitätsmanagementsystem extern begutachtet und zertifiziert. Privatuniversitäten werden
alle sechs Jahre von der AQ Austria institutionell akkreditiert, zwischenzeitlich eingerichtete Studien
unterliegen ebenfalls der Akkreditierungspflicht.
Auch Fachhochschulen und ihre Studien sind zu akkreditieren, allerdings erfolgt die institutionelle Reakkreditierung nur einmalig, dann gehen auch die
Fachhochschulen in das System der Zertifizierung
des internen Qualitätsmanagements über.
Diese Vielfalt überrascht nur auf den ersten
Blick; sie entspricht unterschiedlichen Zweckbestimmungen der Qualitätssicherung, die eng mit
der Entwicklung des österreichischen Hochschulsystems verbunden sind. Mit der Öffnung des österreichischen Hochschulsystems für Fachhochschulen bzw. Privatuniversitäten in den Jahren
1993 bzw. 1999 wurden Akkreditierungssysteme
eingerichtet, mit denen sichergestellt werden
sollte, dass die entstehenden Hochschulen sich
entsprechend der vereinbarten akademischen
Standards entwickeln. Im Bereich der öffentlichen
Universitäten gab es bis 2011 keine verpflichtende
externe Qualitätssicherung; allerdings führte die
2004 gegründete AQA freiwillige Auditierungen
der seit 2002 verpflichtenden internen Qualitätsmanagementsysteme durch, die in erster Linie die
Weiterentwicklung der Hochschulen unterstützen
sollte. Auch die Neuordnung der externen Qualitätssicherung und Akkreditierung in Österreich
im Jahr 2011 mit dem Ziel der Schaffung eines
gemeinsamen Referenzrahmens, der zur Stärkung
des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung zwischen den drei Hochschulsektoren beiträgt, änderte nichts an der Vielfalt der
externen Qualitätssicherung.
Damit stellt Österreich keinen Sonderfall dar.
Externe Qualitätssicherung diente auch in anderen
Ländern von Beginn an mehreren Zwecken gleichzeitig: Qualitätsentwicklung als Unterstützung der
Hochschule einerseits, Qualitätskontrolle anhand
definierter Standards andererseits. Die idealtypische Unterscheidung zwischen entwicklungsorientierten und kontrollorientierten Verfahren wird in
Österreich wie in den meisten anderen Hochschulsystemen auch aufgelöst, indem die Verfahren mit
unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen beiden
Zweckbestimmungen gleichzeitig dienen. So wird
in dem entwicklungsorientierten Audit aufgrund
von definierten Standards ein Zertifikat vergeben
und die Akkreditierungsverfahren sollen die Hochschulen in der kontinuierlichen Weiterentwicklung
unterstützen.
Wettbewerb und Diversifizierung als Treiber
der Hochschulentwicklung
So vielfältig wie die Ausgestaltung der externen
Qualitätssicherung sind auch die aktuellen Herausforderungen. Die vielleicht bedeutendsten Herausforderungen liegen in aktuellen Entwicklungen
der Hochschulsysteme und der Hochschulbildung
selber. Zweifelsohne sind Wettbewerb und Diversifizierung zwei der wichtigsten Treiber der Hochschulentwicklung in unseren Tagen. Wenn Wettbewerb aber ein so wichtiger Treiber ist, dann hat
das erhebliche Auswirkungen auf die Bedeutung
der Qualitätssicherung, weil die Qualität der eigenen Leistungen zu einem zentralen Erfolgsfaktor
der Hochschule als Institution werden. Das Streben
nach Qualität in Lehre, Studium und Forschung
7
Qualität in der Bildung
© Wilke
Die AQ Austria versteht ihre
Qualitätssicherungsverfahren als
Ergänzung zur hochschulinternen
Qualitätssicherung und -entwicklung
und orientiert sie an den selbstgesteckten Zielen der Hochschule.
entspringt somit nicht mehr nur der intrinsischen
Motivation der Lehrenden und Forscher/innen als
Individuen, sondern ist auch eine zentrale Aufgabe
der Hochschule als Institution. Hierdurch wandelt
sich auch die Bedeutung der Qualitätssicherung.
Wenn in einem wettbewerblich ausgerichteten
Hochschulsystem die Gleichung »Steigerung von
Qualität ist gleich Steigerung des Erfolgs« stimmt,
rücken Verfahren der Qualitätsentwicklung und
-sicherung notwendigerweise näher in das Zentrum des strategischen und operativen Hochschulmanagements. Statt sektoraler, additiver
Qualitätssicherung, die in den unterschiedlichen
hochschulinternen Prozessen zumeist isoliert von
anderen Steuerungsaufgaben betrieben wird, wird
Qualitätsentwicklung zunehmend als verbindendes und leitendes Prinzip der gesamten Hochschulsteuerung verstanden und verankert. Dies muss
Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Verfahren
haben, die sich an den originären Zielen der Hochschulen orientieren und unterstützend wirken
müssen.
Herausforderung Internationalisierung
Eine weitere Herausforderung resultiert aus der
zunehmenden Internationalisierung der Hochschulbildung. Während Wissenschaft an sich
schon immer international ausgerichtet war, ist
die Internationalisierung der Hochschulbildung
ein Phänomen, das erst in den letzten Jahren an
Bedeutung gewonnen hat und hier aktuell das
grenzüberschreitende Angebot von Studien in
einem anderen Land, möglicherweise in einem
anderen Kulturkreis. Dies ist weit mehr als nur ein
organisatorisch disloziertes Angebot. Vielmehr
trifft es möglicherweise auf andere Traditionen
in Bildung und Wissenschaft, z. B. die Lern- und
Lehrformen betreffend: Welche Lern- und Lehrtraditionen bestehen im Gastland? Wird das Studium
hauptsächlich als Wissensvermittlung in Form von
Vorlesungen mit sehr hoher Kontaktstundenzahl
oder problemorientiertes Lernen mit Fallstudien
und hohem Selbstlernanteil ausgestaltet? Welche
Traditionen im Prüfungswesen und in der Benotung gibt es? Sind die Studierenden es gewohnt,
summative oder formative Prüfungen abzulegen?
Wie werden gleiche Prüfungsstandards gewährleistet, wenn Prüfungen regelmäßig in einer anderen als der Muttersprache abgelegt werden? Auch
weiter gefasste kulturelle Rahmenbedingungen
spielen eine Rolle, z. B. hinsichtlich der Frage der
Koedukation der Geschlechter.
Die Bedeutung dieser Unterschiede variiert
und hängt auch von der Art des Engagements ab:
Je eindeutiger die studentische Zielgruppe aus
dem Gastland oder der Region rekrutiert werden
soll, desto wichtiger ist es, diese Unterschiede zu
berücksichtigen. Das bedeutet nicht, dass sich
das transnationale Angebot den regionalen oder
nationalen Wissenschaftstraditionen anpassen
oder unterordnen muss. Es bedeutet aber, dass
die Anbieter abweichende Erwartungshaltungen,
Verhaltensmuster und Traditionen bedenken müssen, wenn sie einen Studiengang planen. Auch die
Qualitätssicherung muss sich diesen Herausforderungen widmen, indem sie die besonderen Charakteristika der grenzüberschreitenden Bildung in
geeigneter Weise adressiert.
Die Qualitätssicherung
muss die besonderen
Charakteristika grenzüberschreitender
Bildung in geeigneter
Weise adressieren.
AQ Austria
Die Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria (AQ Austria)
wurde 2012 auf der Basis des Hochschul-Qualitätssicherungsgesetzes (HS-QSG) als
Qualitätssicherungsagentur für die österreichischen Hochschulen gegründet. Gemäß
dem gesetzlichen Auftrag ist die AQ Austria für den gesamten Hochschulbereich
(mit Ausnahme der Pädagogischen Hochschulen) in Österreich zuständig.
Weitere Informationen: www.aq.ac.at/de/index.php
8
Antonio Loprieno
Produktives Zusammenspiel bei
systemischer Stabilität
Prof. Dr. Antonio Loprieno
studierte Ägyptologie, Sprachwissenschaft und Semitistik an
der Universität Turin. Seit 2000 ist
Loprieno Ordinarius für Ägyptologie an der Universität Basel, von
2006 bis 2015 war er dort Rektor.
Loprieno stand von 2008 bis
2015 der Schweizerischen Rektorenkonferenz (CRUS) als Präsident
vor. Im Jänner 2016 wurde er zum
Vorsitzenden des Österreichischen
Wissenschaftsrats gewählt.
Seit wenigen Monaten genieße ich das große Privileg, als Vorsitzender des Wissenschaftsrats dem
österreichischen Hochschulstandort zu dienen
und die Wissenslandschaft dieses Landes auch
als meine zu betrachten. Und das erste Merkmal,
das einem interessierten Beobachter aus einem
benachbarten Hochschulstandort auffällt, ist das
produktive Zusammenspiel von institutioneller
Vielfalt und systemischer Stabilität. Institutionelle
Vielfalt: Mehr als zwanzig öffentliche Universitäten, eine vergleichbare Zahl von Fachhochschulen
und ein Dutzend Privatuniversitäten fügen sich zu
einer höchst differenzierten – wenn auch nicht restlos harmonischen – Bildungs- und Ausbildungslandschaft zusammen. Systemische Stabilität: Die
historisch gewachsene Unterteilung in drei Hochschultypen – öffentliche Universität, Privatuniversität und Fachhochschule – hat zu einer inneren
Konsolidierung der drei Sektoren geführt, die über
eine eigene Konferenz verfügen und sowohl politisch als auch zivilgesellschaftlich unterschiedliche
Anspruchsgruppen mobilisieren. So sind auch die
Verfahren der Qualitätssicherung je nach Hochschultypus gesetzlich anders geregelt.
Besonderheit der österreichischen
»Hochschulautonomie«
Beide Aspekte – die institutionelle und fachliche
Varietät auf der einen Seite, die nicht ganz homogenen gesetzlichen Bestimmungen auf der
anderen – stellen jetzt den Hochschulstandort Österreich vor neue Herausforderungen. Denn die
europäische Wissenslandschaft hat sich seit dem
Universitätsgesetz 2002 (und erst recht seit dem
Fachhochschul-Studiengesetz von 1993) radikal
verändert. Was noch 2002 als Neuerung erschien –
etwa die sogenannte »Autonomie« der Universitäten – ist jetzt ein kennzeichnendes Merkmal praktisch aller Hochschulen auf kontinentaler Ebene.
© Privat
Das breite wissenschaftliche Angebot und die institutionelle
Varietät zeichnen den Hochschulstandort Österreich aus.
Die Semantik des Wortes ist indes mit Inhalten gefüllt worden, die unser Hochschulwesen
vor neue Aufgaben stellen. Denn »Autonomie«
bezieht sich in vielen europäischen Ländern wie
Holland, Deutschland, Frankreich oder der Schweiz
nicht mehr nur auf die in Österreich erfolgreich
umgesetzte akademische und administrative Deutungshoheit, sondern betrifft auch die Möglichkeit,
die strategischen Ziele der jeweiligen Universität in
Kooperation, aber auch im Wettbewerb mit anderen Hochschulen zu definieren. Und diesbezüglich
zeigt die systemische Stabilität des Hochschulstandorts Österreich ein kleines innovatives Defizit: Universitäten und Fachhochschulen denken
weiterhin eher in sektoralen (Universität versus
Fachhochschule) als in institutionell autonomen
Kategorien. Ich sage deshalb »weiterhin«, weil in
vielen europäischen Nachbarländern verschiedene
Formen anreizgesteuerter Kompetition auf ins-
9
Qualität in der Bildung
titutioneller Ebene den historisch gewachsenen
Ausgleich in der Finanzierung der Hochschulen
flexibilisiert haben: Instrumente wie die Exzellenzinitiative in Deutschland oder die Investissements
d’excellence in Frankreich haben einerseits die Orientierung bestimmter Universitäten am Primat der
Forschungsexzellenz mit zusätzlichen finanziellen
Ausstattungen belohnt, andererseits die Dynamik
aller Institutionen des Wissens in der Suche nach
kompetitiven Drittmitteln, privaten Partnerschaften und Wissenstransfer beschleunigt.
»Punktuelle Exzellenzen«
Freilich muss man betonen, dass jeder Gewinner/in auch viele Verlierer/innen gegenüberstehen.
Ein solcher Prozess der Dynamisierung der Hochschullandschaft tendiert unausweichlich zur Bevorteilung der forschungsstarken Institutionen mit
ausreichender kritischer Masse (und vielleicht auch
mit dem passenden fachlichen Portfolio – in Lebenswissenschaften und Physik lässt sich nämlich
kritische Masse leichter bündeln als in Germanistik
oder Soziologie) zum Nachteil des Modells »klein,
aber fein«. Und obwohl es auch für kleinere Universitäten nicht unmöglich ist, sich in einem solchen
Wettbewerb um Forschungsexzellenz zu behaupten (Beispiele wie Konstanz in Deutschland und
Bordeaux in Frankreich zeigen dies ausdrücklich),
ist es fair zu sagen, dass das durch die Rankings vertretene und jetzt auch in Kontinentaleuropa adoptierte Ideal der World Class University in Österreich
realistischerweise nur für maximal zwei oder drei
Universitäten gelten könnte.
Deshalb sprechen sich jetzt einige Akteure in
unserer Hochschullandschaft für institutionelle
Verzahnungen zwischen kleineren Hochschulen
aus, um zur größeren Sichtbarkeit zu gelangen,
andere wiederum für eine »Differenzierung« innerhalb des nationalen Hochschulsystems. Eine
Bekenntnis zur Differenzierung bedeutet, dass
es nicht nur ein Instrument zur Bestimmung der
Qualität einer Hochschule geben darf, nämlich die
Forschungsstärke im Sinne der Konzentration von
Schwerpunkten oder des Erfolgs in der Einwerbung
kompetitiver Drittmittel (wobei diese natürlich
überaus wichtige Indikatoren bleiben), sondern
gerade in einem verhältnismäßig kleinen Land wie
Österreich verschiedene »punktuelle Exzellenzen«
in Lehre, Forschung oder gesellschaftlichem Engagement zur qualitätsvollen Vielfalt des Systems
beitragen können. Bedingung für die Entfaltung
dieses Potenzials ist allerdings die institutionelle
Bereitschaft, die auch für eine punktuelle Exzellenz
nötige Bündelung und Komplementarität durch
eine sinnvolle Dosierung von Kollaboration und
Wettbewerb mit nahestehenden Hochschulen –
ungeachtet ihrer sektoralen Zugehörigkeit – anzustreben.
Eine weitere Besonderheit der österreichischen
Wissenslandschaft ist die relative Unterdotierung
der kompetitiven Forschung, insbesondere des
Forschungsfonds FWF, im Vergleich mit der generösen nicht-kompetitiven Ausstattung einiger
universitärer Professuren. Auch hier zeigt sich ein
Wandel im traditionellen Verständnis von Nachwuchsförderung, das von der Bedeutung eines
Lehrstuhls als »Schule« geleitet war, zugunsten
einer insbesondere dem naturwissenschaftlichen
Bereich entlehnten Vision, welche die Finanzierung
von Forschungsprojekten privilegiert. Im Hinblick
auf das innovative Potenzial des Systems und auf
die komplementäre Schwerpunkbildung als Instrument der Differenzierung unter Hochschulen
scheint mir eine bessere Ausstattung des FWF zur
Förderung der Bottom-up-Forschung unumgänglich und für die Behauptung der österreichischen
Forschungsleistung im internationalen Vergleich
auch notwendig. Eine bessere Finanzierung der
Grundlagenforschung (bei vergleichbarer Einwohner/innenzahl ist das Budget des Schweizer SNF
dreimal so groß wie jenes des österreichischen
FWF) ist gleichzeitig auch eine – diesmal durch
die projektbasierte Selektion der Peers und nicht
durch institutionelle Prioritäten geleitete – Form
der Finanzierung von Universitäten und Fachhochschulen. Im Idealfall werden Projekte unterstützt,
die sich in die Strategie der Hochschule einfügen
lassen.
Der Hochschulstandort Österreich ist also sehr
reich an wissenschaftlichem Angebot und institutioneller Varietät. Mit kleinen Justierungen,
insbesondere im Bereich der Konzentration von
Spitzenleistungen, wird er sich auf globaler Ebene
sehr erfolgreich positionieren können.
© Natalia Silych, iStock | OeAD, Eva Müllner
Eine bessere Ausstattung des FWF scheint
unumgänglich, damit
sich Österreich im
internationalen Vergleich
behaupten kann.
10
Attila Pausits
Bildungsmanagement und
Hochschulentwicklung
Zur Rolle des Institutional Research für die Weiterentwicklung
von Hochschulen im internationalen Wettbewerb
Dr. habil. Attila Pausits, PhD
leitet seit 2007 das Zentrum
für Bildungsmanagement und
Hochschulentwicklung an der
Donau-Universität Krems und
ist akademischer Direktor des
Erasmus-Mundus-Programms
»Research and Innovation in
Higher Education (Msc)«. Dozent
Pausits ist daneben designierter
Vorstandsvorsitzender von
EAIR – The European Higher
Education Society.
© CCO Public Domain_pixabay
Hochschulen haben neben
Forschung und Lehre auch eine
gesellschaftliche Verantwortung, die
sogenannte »Dritte Mission«.
Die europäische Hochschulpolitik wurde in der
jüngsten Vergangenheit durch eine ambitionierte
Modernisierungsagenda der nationalstaatlichen
Hochschulsysteme geprägt. Diese Reformprozesse haben sowohl die Forschung als auch die Lehre
epochal beeinflusst. Die Hochschulautonomie und
-governance, der Bologna-Prozess, die Exzellenzinitiative oder die Internationalisierung – um einige
der zentralen Themen zu nennen – haben zu einer
grundlegenden Diskussion über die Rollen, Aufgaben und Leistungen der Hochschulen geführt. Die
umfassenden Veränderungen reichen von Systemreformen bis zu institutionellen Veränderungsprozessen, die international oft mit englischsprachigen
Überschriften wie »from Government to Governance«, »from Teaching to Learning« oder »from
Research to Innovation« bekundet und propagiert
werden. Hochschultypen wie die »Entrepreneurial«,
»Responsible« oder »Adaptable University« sind organisationale Konzepte, die für einen oder gar mehrere neue Hochschultypen stehen.
Diese Konzepte verlangen immer mehr eine Bewertung der erbrachten Leistungen der Hochschulen. Solche Bewertungen sind ferner für die weiteren
Anspruchsgruppen der Hochschulen wie Studierende, Arbeitgeber/innen, Mitarbeiter/innen – um
nur einige zu nennen – von Bedeutung. Die Messungs- und Bewertungsformen haben viele Namen:
Rankings, Performance-Indikatoren oder Qualitätssicherungskonzepte. Diese zielen immer stärker auf
die Darstellung und Messung der Wirkung der dafür
verwendeten öffentlichen Mittel ab. Die Zusammenhänge zwischen zu erbringenden und tatsächlich
erbrachten Leistungen der Hochschulen in Relation
zu setzen, ist nicht nur politisch populär sondern
system- und institutionswirksam. So werden Universitäten in Frankreich oder Russland zusammengelegt, damit sie im Shanghai-Ranking bessere
Platzierungen erreichen. Andere wiederum schaffen
neue nationale Qualitätssicherungsmodelle – z. B. in
Finnland – damit die Leistungen der Hochschulsysteme sich verbessern. In der Sinnsuche nach einem
besseren Hochschulsystem widersprechen sich das
New Public Management mit seinem AutonomieIdeal und das Humboldtsche Universitätsmodell
der Freiheit für Forschung und Lehre immer wieder.
Wie gestaltet sich ein besseres Hochschulsystem?
Wie ist eine bessere Hochschule? Dies sind zentrale
Fragen einer modernen, international vergleichenden Hochschulentwicklung, die nachhaltig und sinnstiftend nach neuen Lösungen und Wegen sucht.
Relevanz als neues Leitmotiv
Die Epoche einer technokratischen, lediglich auf
Indikatoren basierenden Hochschulentwicklung
scheint vorbei zu sein. Statt Wirksamkeit, Effizienz und Effektivität wird aktuell die Relevanz der
von den Hochschulen erbrachten Leistungen international hinterfragt. Es gibt mehrere Initiativen
(EU, OECD), die versuchen, die Relevanz der Hochschulbildung zu erfassen. Im internationalen Joint
Master Programm »Research and Innovation in
Higher Education« (www.marihe.eu), einem von wenigen Erasmus-Mundus-Programmen, die von einer
österreichischen Hochschule koordiniert werden,
beschäftigen sich Studierende und Hochschulforscher/innen mit diesen Impulsen. Dabei wird Hochschulentwicklung oft wie ein Navigationsgerät im
Auto dargestellt. Es gibt mehrere Vorschläge, wie
man von A nach B kommt. Abhängig davon, welche
Mittel und welche Wege zur Verfügung stehen, werden Parameter (Indikatoren) verwendet, um zu bestimmen, wie schnell man wohin kommen kann. Oft
ist die Standortbestimmung schwer und langwierig,
dabei hat man wiederholt das Gefühl, dass sich »der
Wagen« gar nicht bewegt. Bei Stillstand sind Messungen oder gar Neukalibrierungen ratsam.
Es gibt Hochschulsysteme, die exzessiv Daten
und Informationen sammeln, um zu bewerten und
zu analysieren. Dies sind oft Systeme, die auf institutionelle Autonomie mit starker und rigoroser Qualitätssicherung und Kontrolle setzen. Andere verwenden Daten lediglich für ein Einweg-Reporting für die
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© Donau-Universität Krems
Qualität in der Bildung
Es bedarf einer Zusammenarbeit von
Hochschulpolitik, Hochschulleitungen und Hochschulforschung.
Träger und Politik und verstehen diese Aufgabe als
Pflicht und nicht als strategisch wichtige Angelegenheit. Mit diesem neuralgischen Punkt beschäftigt
sich EAIR – The European Higher Education Society,
und verbindet Hochschulpolitik, Hochschulleitungen sowie Hochschulforschung.
Es gibt kaum Formate und Möglichkeiten für einen konstruktiven Austausch zwischen diesen Gruppen. Aber nur durch eine Interaktion dieser Gruppen
ist eine evidenzbasierte, strategische und zielführende Ausrichtung und Positionierung der Hochschulsysteme und einzelner Hochschulen möglich. Dazu
gehören freilich Offenheit, Verstand und Verständnis, Dialogbereitschaft und Lösungsorientierung.
Es ist oft ein Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Trägheit des Systems auf der einen
Seite sowie Integrität, Innovation und Mut auf der
anderen Seite.
Stärkere Profilbildung und Positionierung
Trends wie die Expansion des tertiären Bereichs,
Internationalisierung oder der Anspruch einer aktiven Beteiligung im Prozess des lebenslangen
Lernens sind einige Beispiele der grundlegenden
Veränderung in der Hochschullandschaft. Der Begriff der dritten Mission wird für Leistungen, die auf
Lehre und Forschung aufbauen, aber über diese in
Hochschulgesetzen verankerten Aufgaben hinweg
wirksam werden, verwendet. Sie eröffnen weitere Entwicklungsmöglichkeiten der Hochschulen.
Die »engagierte Hochschule«, die »Hochschule mit
gesellschaftlicher Verantwortung« versucht eine
Weiterentwicklung der Hochschulen konzeptionell
zu beschreiben. Die Hochschule als »Community of
Scholars« entwickelt sich zur »Community of Practice« – von einer Produktionsstätte des Wissens zu einer Serviceeinrichtung der Wissensgesellschaft.
Diese Verschiebung des institutionellen Fokus
von einer akademischen Oligarchie hin zu Organisationen und Märkten bedingt ein neues Managementverständnis.
Besonders wichtig ist, dass die Hochschule dabei zu einer national bzw. regional verankerten und
international ausgerichteten Wissenschaftsorganisation heranwächst und nicht zu einem besseren
Wirtschaftsunternehmen umgestaltet wird. Die
Hochschule als unternehmerische Organisation,
eine Einordnung, die vor einigen Jahren wohl kaum
möglich war, ist heute Realität. Die Begründung
liegt nicht zuletzt darin, dass die Hochschule sich
stärker an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen ausrichten und sich mehr in der
Zusammenarbeit insbesondere mit der Wirtschaft
engagieren muss.
Institutional Research als neues Aufgabenfeld
der Hochschulen
Bei der Jahrestagung der EAIR 2015 an der DonauUniversität Krems hat die Hochschulforscherin
Manja Klemenčič von der Harvard University mit
den Ergebnissen einer internationalen Studie deutlich gemacht, dass eine institutionelle Weiterentwicklung nur mit evidenzbasierter strategischer
Ausrichtung und Entscheidungsfindung von innen
heraus möglich ist. Die Hochschulleitungen sind bei
strategischen Fragen auf die Unterstützung durch
Strukturen und Kapazitäten innerhalb der Hochschulen angewiesen. Dafür gebildete (Stab-)Stellen
analysieren die Hochschule und erarbeiten Lösungsvorschläge und Konzepte für die Hochschulleitung.
Diese Aufgabe wird international Institutional
Research genannt und EAIR steht als europäische
Dachorganisation für den Ausbau dieses Bereichs
an Hochschulen. Dabei werden interne Daten und
Informationen, die über die Informationen des
Berichtswesens hinausgehen, gesammelt und ausgewertet. Mit der steigenden Relevanz von Hochschulen und deren Leistungen ist es erforderlich,
ein Selbstverständnis von Institutional Research als
Aufgabenfeld an den Hochschulen zu entwickeln
und dieses Feld stärker zu verankern.
www.eairweb.org
Die Hochschule als
»Community of
Scholars« entwickelt
sich zur »Community
of Practice« – von einer
Produktionsstätte des
Wissens zu einer
Serviceeinrichtung der
Wissensgesellschaft.
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Gerhard Volz
Die Erasmus-Hochschulcharta
In Europas Qualitätsrahmen für tertiäre Bildung legen
Hochschulen die Ausrichtung ihrer Internationalisierungsbestrebungen dar. Dies ist das Eintrittsticket in Erasmus+.
Mag. Gerhard Volz
verantwortet seit 2007
die Hochschulagenden in der
Nationalagentur (seit 2014 im
Programm Erasmus+). Volz gehört
dem OeAD seit 1998 an, zunächst
als Programmreferent für CEEPUS
und bilaterale Kooperationsprogramme, dann als
Leiter des Büros für
Entwicklungszusammenarbeit.
Für Studierenden ist die Frage
der Anerkennung der im Ausland
absolvierten Studienleistungen ein
besonders wichtiges Thema.
Bis zum Jahr 2013 haben insgesamt rund drei Mio.
Studierende einen Teil ihrer Ausbildung mit dem
Erasmus-Programm im Ausland verbracht. Damit
hat die Europäische Kommission ein selbstgestecktes ehrgeiziges Ziel erreicht und aus einer 26 Jahre
zuvor begonnenen kleinen Mobilitätsinitiative ein
Programm entwickelt, das zu einem maßgeblichen Motor für Internationalisierung in der europäischen und internationalen Hochschulbildung
geworden ist. Mit dem Start des integrierten Programms Erasmus+ für Bildung, Jugend und Sport
sollten nun aber auch neue Maßstäbe in Bezug
auf die Qualitätssicherung der Aktivitäten gesetzt
werden. Nicht mehr Quantität, nicht mehr die
Steigerung von Beteiligungszahlen stand im Vordergrund der Überlegungen, sondern die Etablierung von Rahmenbedingungen für qualitätsvolle,
nachhaltige Zusammenarbeit im Hochschulsektor.
In diesem Zusammenhang ist die Überarbeitung
und Neugestaltung der Erasmus-Hochschulcharta (Erasmus Higher Education Charter, ECHE) zu
sehen, die zum Eintrittsticket in Erasmus+ für alle
Programmaktivitäten europäischer Hochschulen
weiterentwickelt wurde.
© OeAD | Gianmaria Gava
Schwerpunkt Internationalisierung
Die Charta gründet wesentlich auf dem Erasmus Policy Statement, in welchem Hochschulen
die Ausrichtung ihrer Internationalisierungsbestrebungen darlegen und mit dem Programm
Erasmus+ in Bezug setzen. Die Institutionen beschreiben in diesem öffentlich abrufbaren Rahmendokument, welche regionalen, fachlichen und
strategischen Schwerpunkte gesetzt, welche Ziele
im Rahmen der Internationalisierung verfolgt und
wie entsprechende Initiativen gestaltet werden.
Dies geschieht idealerweise in direkter Verbindung
zu Strategiedokumenten zur Internationalisierung
der jeweiligen Hochschule.
Ein zentrales Kapitel der Qualitätsaspekte
widmet sich der Unterstützung von Studierenden vor, während und nach einem studienrelevanten Auslandsaufenthalt. Dabei soll gesichert
werden, dass sich die Zeit im Ausland durch hohen akademischen und persönlichen Nutzen auszeichnet. Der Bogen spannt sich von einer guten
fachlichen, sprachlichen und organisatorischen
Vorbereitung, über Hilfestellung bei Aufenthaltsfragen oder Wohnungssuche bis hin zur lückenlosen akademischen Anerkennung und einer entsprechenden Wiedereingliederung in den Studienbetrieb. Insbesondere die Anerkennungsfrage
ist ein europaweit intensiv und wiederkehrend
diskutiertes Thema, bei dem sich auch die Interessensvertreter/innen der Studierenden zu Recht
sehr stark einbringen.
Eine wesentliche Erweiterung in der Rolle der
Hochschulcharta hat sich durch die Integration
der bisherigen EU-Drittstaatenprogramme sowie
die Schaffung neuer internationaler Kooperationsmöglichkeiten in Erasmus+ ergeben: Zwar ist für
Hochschulen aus Erasmus+ Partnerländern (Drittstaaten) der Erwerb einer Hochschulcharta nicht
unmittelbar vorgesehen, indirekt werden aber auch
diese Einrichtungen verpflichtet, sich den Qualitätskriterien der Charta zu unterwerfen. Werden
etwa im Rahmen der internationalen Hochschulmobilität PhD-Studierende aus Nepal für einen
Aufenthalt in Österreich gefördert, so unterzeichnet die betreffende nepalesische Heimathochschule zuvor ein interinstitutionelles Abkommen,
das unmittelbar Bezug auf den Qualitätsrahmen
der ECHE nimmt. Vergleichbares gilt für Projekte
im Rahmen des Capacity Building, in denen beispielsweise chilenische, brasilianische und europäische Universitäten zusammenarbeiten.
Viele Aspekte, die in der Erasmus-Hochschulcharta behandelt werden, haben – wie natürlich das gesamte Programm Erasmus+ – einen
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© OeAD | Gianmaria Gava
Qualität in der Bildung
Die Unterstützung von Studierenden vor, während und nach einem Auslandsaufenthalt ist ein wichtiger Qualitätsaspekt.
starken Bezug zu Schwerpunkten und Instrumentarien des europäischen Hochschulraums. Der 2015
neu erschienene überarbeitete ECTS-Leitfaden
(ECTS Users‘ Guide) kann klare und leicht fassbare Hilfen bei der Strukturierung von Studienangeboten und damit in Verbindung stehenden
Anerkennungsfragen geben; die ebenfalls im
Bologna-Rahmen behandelte »soziale Dimension« fordert von den Hochschulen ein deutliches
Bekenntnis zum Umgang mit benachteiligten
Gruppen oder Menschen mit Behinderung. Beides
schlägt sich im Erasmus Policy Statement nieder.
Österreich ist gut aufgestellt
Mittlerweile hat die Positionierung der österreichischen Hochschulen in Bezug auf ihre internationale
Agenda auch einen starken Stellenwert bei internen wie externen Evaluierungsprozessen erhalten.
Der Anstoß dazu kommt sowohl von den Hochschulen selbst, die durchwegs international gut
aufgestellt sind, als auch von außen. Somit gehen
Verfahren zur Akkreditierung von Studienangeboten, von Hochschulen oder ihren Teilbereichen, und
nicht zuletzt die Leistungsvereinbarungsgespräche
mit Universitäten Hand in Hand mit einem intensiven Qualitätsdiskurs im Programm Erasmus+. Das
kann für alle Seiten nur von Vorteil sein.
Beratung und Monitoring durch die
Programmagenturen
Den nationalen Agenturen für das Programm
Erasmus+ in den 33 Programmländern (in Österreich der Nationalagentur Erasmus+ Bildung im
OeAD) kommt in Bezug auf das Monitoring der
Charta eine durch den Programmrahmen definierte Rolle zu. Zentral betrifft das jene Bereiche, in
denen Hochschulen ein direktes Vertragsverhältnis mit der Nationalagentur haben, also vor allem
Aktivitäten zur Förderung von Auslandsaufenthalten Studierender, Lehrender und administrativer
Mitarbeiter/innen. Es kann sich allerdings auch auf
andere Projektkooperationen erstrecken, in denen
österreichische Hochschulen aktiv sind. Das Monitoring erfolgt dabei einerseits über die regelmäßige Analyse von Feedbacks der Teilnehmer/innen,
die europaweit in einheitlicher Weise zu Aspekten
ihres Auslandsaufenthalts befragt werden. Diese
Rückmeldungen sind für die Hochschulen einsehund auswertbar, fließen aber auch in die Bewertungen der Abschlussberichte seitens der Nationalagenturen ein. Zusätzlich wird in den kommenden
Monaten unter dem Titel »ECHE – make it work for
you« ein europäisches Self-Assessment-Tool zur
Verfügung stehen, mit dessen Hilfe Institutionen
den Umgang mit den Zielsetzungen der Hochschulcharta selbst bewerten können.
Als wesentlicher roter Faden durch alles Gesagte
zieht sich die qualitative Begleitung, Beratung und
Unterstützung von Hochschulen in Bezug auf die
Nutzung des Programms Erasmus+ und den damit
verbundenen Beitrag zum Internationalisierungspanorama durch die Nationalagentur. Möglichen
Schwierigkeiten soll vorgebeugt, Herausforderungen gemeinsam begegnet werden. Die Nationalagentur steht in kontinuierlichem Austausch mit
allen am Programm beteiligten österreichischen
Hochschuleinrichtungen und damit selbstverständlich auch gerne für Fragen, Anregungen und
weiterführende Überlegungen zur Verfügung.
Das EU-Programm
Erasmus+ setzt neue
Maßstäbe in Bezug auf
die Qualitätssicherung
der Aktivitäten.
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Regina Aichner
ECTS als Instrument zur
Qualitätssicherung?
ECTS kann vieles, ist aber kein Allheilmittel. Ein
Meinungsaustausch mit Vier, die es wissen müssen.
Mag. Regina Aichner, M.E.S.
zeichnet bei der OeAD-GmbH für
die Bologna-Servicestelle
verantwortlich.
Das European Credit
Transfer and
Accumulation System
(ECTS) macht
Hochschulbildung
vergleichbar und fördert
somit Transparenz und
Qualität.
ECTS wurde 1989 im Rahmen des ErasmusProgramms eingeführt, um im Ausland erworbene Credits an der Heimathochschule zum Erwerb
des akademischen Abschlusses anrechnen lassen
zu können. Im Laufe der vergangenen Jahre hat
sich das Verständnis des europäischen Systems
zur Übertragung und Akkumulierung von Credits
laufend erweitert. Laut ECTS-Leitfaden 2015 ist es
ein Instrument des europäischen Hochschulraumes (EHR), das die Transparenz von Studium und
Lehrveranstaltungen erhöht. Anhand folgender Indikatoren trägt ECTS (un-)mittelbar zur Qualitätsentwicklung der Hochschulbildung bei:
ÆÆ Lerneinheiten werden in Bezug auf angemessene Lernergebnisse formuliert und es werden
klar verständliche Informationen über deren
Niveau, Credits, Durchführung und Beurteilung (zeitgerecht und idealerweise online) zur
Verfügung gestellt.
ÆÆ Das Studium kann in der formal veranschlagten Zeit abgeschlossen werden (d. h.
der angesetzte Arbeitsaufwand ist für ein
Semester oder ein Studienjahr, oder auch für
eine bestimmte Übung realistisch).
ÆÆ Im Rahmen jährlicher Überprüfungen werden
Abweichungen bei erzielten Leistungen und
Ergebnissen untersucht und entsprechende
Maßnahmen zur Überarbeitung ergriffen.
ÆÆ Studierende erhalten ausführliche Informationen und Beratung, sodass sie die Regelungen
der Studien- bzw. der Prüfungsordnung einhalten, die Option flexibler Lernwege nutzen
und Lerneinheiten auf dem angemessenen
Niveau ihres Abschlusses wählen können.
ÆÆ Den Studierenden werden ihre Ergebnisse
(in der Leistungsfeststellung) unmittelbar
mitgeteilt.
Die Verantwortung für die Qualitätssicherung
liegt in erster Linie bei den jeweiligen Hochschuleinrichtungen, dennoch legt der ECTS-Leitfaden
nahe, diesen im Kontext der 2015 ebenfalls über-
arbeiteten europäischen Standards und Leitlinien
für die Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum (ESG 2015) zu interpretieren. Soweit zu
den Leitfäden und Empfehlungen auf europäischer
Ebene, doch wie stehen hiesige Hochschulangehörige und ECTS-Expert/innen dazu?
Meinungen aus der Hochschulpraxis
Thomas Geißler, von der ÖH nominierter nationaler Experte für den europäischen Hochschulraum
2014 bis 2016: »ECTS-Credits sind ein guter Ansatz, den Aufwand erreichter und zu erreichender
Lernergebnisse sichtbar zu machen, müssen aber
von den Institutionen mit Leben erfüllt, also laufend evaluiert und hinterfragt werden, um nicht
zu einer Zahlenspielerei zu verkommen, die nicht
mehr an Workload etc. gebunden ist.« Dabei hadern
Betroffene im Hochschulalltag am meisten mit folgenden Aspekten: »Studierende sind oft mit einer
ungerechten Verteilung der ECTS-Credits konfrontiert, diese spiegeln nicht immer den tatsächlichen
Arbeitsaufwand wider. Lehrende scheinen sich oft
schwer zu tun, vom Konzept der Semesterwochenstunden auf eine ECTS-basierte Lehre umzustellen
und den Lernaufwand in den Nicht-Präsenzphasen
einzuschätzen.«
Matthias Sparber, Mitarbeiter des International
Office vom ECTS-Label Holder MCI – Management
Center Innsbruck pflichtet bei: »Ein Problem ist
wohl die ›weiche Definition‹, wie viel Arbeitsaufwand ein ECTS-Credit darstellt. Deshalb lassen sich
Ungleichgewichte darin, wie viel ein ECTS-Credit
wert ist, nur schwer vermeiden; vor allem weil eine
Messung der außerhalb des Klassenzimmers geleisteten Arbeit nur mit großem administrativen
Aufwand möglich ist.« In der Tat stellt für Curriculumsentwickler/innen und Lehrende das Einschätzen des Workloads bei Nicht-Präsenzphasen eine
große Herausforderung dar. Die Universität Innsbruck gibt auf ihrer Website Beispiele zur Berechnung der Credits an, die Medizinische Universität
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Qualität in der Bildung
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© Willi Heidelbach, Pixelio | OeAD, Eva Müllner
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Graz stellte einen ECTS-Credits-Rechner ins Netz.
Die Workload-Berechnung von 25 bis 30 Stunden
pro Credit ist und bleibt keine exakte Wissenschaft,
und beruht neben den nationalen Abweichungen
in der konkreten Festlegung auch auf dem sehr
diversen Lernverhalten der Studierenden. Neben
der Zeitlast-Studie von Rolf Schulmeister orientieren sich Hochschulen an den Lerntagebüchern ihrer
Studierenden, an den Login-Zeiten bei E-LearningKursen, an einer detaillierten Projektdokumentation und an den Rückmeldungen im Zuge der Evaluierungsbögen.
Heinz Kasparovsky, Leiter der akademischen
Anerkennungsstelle ENIC NARIC Austria, bestätigt:
»ECTS kann helfen, ein Curriculum so aufzusetzen,
dass es realistisch studierbar ist, dadurch eine angemessene Erfolgsmessung möglich wird und allfällige Defizite leichter zu beheben. Es dient wegen
seiner europaweiten Eigenschaft als Bildungswährung auch der leichteren Einordnung auswärtiger
Leistungen, z. B. im Rahmen von Erasmus+. Umgekehrt bedarf es Qualitätsmaßnahmen, um ECTS so
durchzuführen, dass sein Zweck – die Messung des
Arbeitsaufwandes von Studierenden – erfüllt wird.
Dabei ist ein intensives Zusammenwirken zwischen Lehrenden und Studierenden notwendig.«
Im Sinne des studierendenzentrierten Lehrens
und Lernens spielt somit die Eigenverantwortung
der Studierenden eine wesentliche Rolle. Ein transparentes Lernverhalten und regelmäßige FeedbackSchleifen tragen dazu bei, eine Lehrveranstaltung,
ein Praktikum, ein Curriculum mitsamt Abschlussarbeit im besten Sinne studierbar zu machen.
Kann nun ECTS insgesamt der Qualitätssicherung dienen? Eva Werner, Rektorin der IMC FH Krems
meint dazu: »ECTS soll primär als Transparenz-Tool
dienen sowie als Tool zur Unterstützung der Anerkennung; insofern kann es die Qualitätssicherung
unterstützen.« Allerdings mit folgendem Vorbehalt:
»So wie immer in der Qualitätssicherung ist die Frage der ›Fitness for Purpose‹ zu stellen: Wo kann das
Tool unterstützen, wo ist etwas anderes probater,
und wie kann man es weiterentwickeln?«. Matthias
Sparber bleibt dennoch optimistisch: »ECTS-Credits
als gemeinsame ›Währung‹ für Studienleistungen
in Europa zu haben ist ein unschätzbarer Wert und
erleichtert die Möglichkeit internationaler Kooperationen und vor allem den effektiven Austausch von
Studierenden enorm. Den Wert von ECTS kann man
schon daran erkennen, dass es weltweit kein vergleichbares, staatenübergreifendes System gibt, das
auch nur annähernd diese Bedeutung hat.«
[
www.bildung.
erasmusplus.at/bologna
Ein transparentes
Lernverhalten und
regelmäßige FeedbackSchleifen der Studierenden tragen dazu bei, eine
Lehrveranstaltung, ein
Praktikum, ein Curriculum mitsamt Abschlussarbeit im besten Sinne
studierbar zu machen.
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Beate Treml
Qualität im studierendenzentrierten
Lehren und Lernen
Studierendenzentriertes Lernen legt den Fokus auf Interessen,
Vorwissen und soziale Hintergründe der Lernenden.
Beate Treml, BA
war in unterschiedlichen Funktionen in der Österreichischen
Hochschüler/innenschaft (ÖH)
aktiv, zuletzt als Referentin für
internationale Angelegenheiten
der ÖH-Bundesvertretung und als
Mitglied des Steering Committee
des Students Experts’ Pool on
Quality Assurance der European
Students’ Union. Sie studiert das
Masterstudium Interdisziplinäre
Geschlechterstudien an der
Universität Graz und lebt und
arbeitet in Wien.
Studierendenzentriertes Lehren und Lernen rücken
immer mehr in den Fokus der Diskussion um die
Qualität von Hochschullehre. Wie wichtig es ist,
sich dabei auch auf Aspekte abseits von Lernergebnissen und kompetenzorientierten Prüfungen zu
konzentrieren, zeigt sich unter anderem beim Blick
auf die Internationalisierung der Lehre. Seit mehreren Jahren wird im europäischen Hochschulraum
daran gearbeitet, den Wechsel von einem lehrenden-,
und damit inputorientierten, Lehr- und Lernparadigma hin zu einem studierendenzentrierten Zugang
zu Lernprozessen zu vollziehen. Mit dem neuen Standard 1.3 »Studierendenzentriertes Lernen, Lehren
und Prüfen« der »Standards und Leitlinien für die
Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum (ESG)« bezieht sich nun auch ein zentrales
Dokument zur Qualitätssicherung auf dieses
Konzept.
© Kristian Sekulic | iStock
Lernen als kooperativer Prozess
In Österreich wurde und wird Studierendenzentrierung bisher vor allem als die Implementierung
von Lernzielen und eine adäquate, kompetenzorientierte (Über-)Prüfung des Erreichens dieser
verstanden. Tatsächlich gehen studierendenzentriertes Lernen und Lehren jedoch darüber hinaus, wie die European Students’ Union (ESU) und
Education International (EI) schon 2010 im Rahmen des Projekts »Time for a New Paradigm in
Education: Student Centered Learning« aufzeigten. Die in diesem Projekt definierten Prinzipien
des studierendenzentrierten Lernens verstehen
Lernen als einen kooperativen Prozess, für den
beide Seiten – Lehrende wie Lernende – gleichermaßen Verantwortung tragen. Um diese Zusammenarbeit möglich zu machen, braucht es
allerdings eine andere Auseinandersetzung mit
den Studierenden, als bisher üblich: Studierendenzentrierte Lehre anerkennt und berücksichtigt
die verschiedenen Bedürfnisse und Interessen von
Studierenden, aber auch Unterschiede in ihren sozialen Hintergründen, ihren Erfahrungen und ihrem Vorwissen.
Studierendenzentrierte Lehre bedeutet also,
dass sich Lehrende – und Institutionen – mit den
Studierenden als Individuen beschäftigen müssen.
Wie essenziell dies ist, wird auch anhand zunehmender Internationalisierung von Studien und
Studierendenpopulationen klar. So können Lehrende beispielsweise nicht mehr davon ausgehen, dass
alle Teilnehmer/innen einer Lehrveranstaltung die
gleichen, im jeweiligen Curriculum definierten Kurse absolviert haben und damit ähnliches Vorwissen
mitbringen. Für alle Beteiligten ist es frustrierend,
wenn in Kursen mit einem hohen Anteil internationaler Studierender auf Inhalte aufgebaut wird,
die an deren Stamminstitutionen vielleicht anders
oder weniger detailliert unterrichtet wurden. Sind
sich Lehrende und Studierende dieser Unterschiede jedoch bewusst, kann dieses andere Vorwissen
als Ressource verstanden und für die gemeinsame
Arbeit genützt werden. Der externe Blick internationaler Studierender auf die Inhalte und den Aufbau
eines Studiums gibt zudem wertvolle Inputs für
dessen Weiterentwicklung.
Im Hinblick auf die »eigenen« Studierenden
zeigt eine genauere Auseinandersetzung mit ihrer persönlichen Situation mitunter, dass sie aus
verschiedenen Gründen, etwa Betreuungspflichten oder ihre finanzielle Situation, nicht an einem
Mobilitätsprogramm teilnehmen können. Die
Qualität des Studiums kann wesentlich verbessert
werden, wenn die Bedürfnisse und Interessen insbesondere dieser Studierenden im Zuge der »Internationalisation at Home« nicht nur berücksichtigt
werden, sondern vielmehr im Fokus stehen.
Quellen: Education International, European Students
Union: Student Centered Learning – Toolkit for students, staff and HEI, Brüssel, 2010; www.pascl.eu
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Qualität in der Bildung
Veronika Nitsche | Louise Sperl
Alles gleich, alles anders?
Qualität in der höheren Bildung: Armenien, Georgien und
Moldau – ein Vergleich
© Reen West
Hochschulkooperationen wie
APPEAR berücksichtigen den
nationalen Kontext und die
Bedürfnisse der Akteure im
Bildungsbereich. APPEAR ist ein
Programm der österreichischen
Entwicklungszusammenarbeit.
Armenien, Georgien und Moldau – drei Länder
mit teils ähnlichen, teils sehr unterschiedlichen
Rahmenbedingungen. Eines haben sie jedenfalls
gemeinsam – die Unterzeichnung der BolognaDeklaration für die Schaffung eines gemeinsamen
europäischen Hochschulraums im Jahr 2005. Der
Hochschulbereich in allen drei Ländern war weiters maßgeblich vom Bildungssystem der UdSSR
geprägt. Georgien hat wie Armenien eine lange
Tradition in Bildung und Wissenschaft, eine gut
gebildete Oberschicht und eine selbstbewusste und
starke Elite, die den Kontakt zu Bildungskreisen
außerhalb des Landes und die internationale Kooperation im wissenschaftlichen Austausch sucht.
Reformen scheitern aber bis heute an einem überladenen Bildungssystem, welches oft nur selbiger
Elite zugänglich ist. Brain Drain ist eine wesentliche Herausforderung – sowohl in Moldau als auch
in Armenien. Gleichzeitig bleiben Geldzahlungen
seitens der Diaspora ein wichtiger ökonomischer
Faktor.
In Übereinstimmung mit den Prinzipien des
Bologna-Prozesses fanden seit 2005 in allen drei
Staaten weitgehende Änderungen im Hochschulbereich statt. Dazu gehört u. a. die Einführung
des Bologna-konformen Stufenmodells, die Erarbeitung von Vorgaben für die Gestaltung von
Curricula oder die Einführung von ECTS. Im Bereich Qualitätssicherung sind ebenfalls beachtliche
Fortschritte zu verzeichnen. Nach Expert/innenmeinungen sind die getroffenen Maßnahmen aber
mitunter inkonsistent und es fehlen notwendige
wechselseitige Verbindungen – etwa auf institutioneller Ebene. Dadurch bleiben die einsetzenden
Reformen bis dato oft an der Oberfläche. So sind
z. B. die neu etablierten QM-Strukturen an den
Moldauischen Universitäten nicht voll funktionsfähig, weil es dem Personal an den notwendigen
Trainings fehlt. Es besteht nur ein geringer Grad
an Kommunikation zwischen Qualitätssicherungsstrukturen und akademischem Personal und es
mangelt an der Verbindung zwischen Qualitätssicherung und universitärer Strategieentwicklung.
Zur Durchführung von Maßnahmen externer
Qualitätssicherung – wie v. a. Akkreditierungen
von Institutionen und Studienprogrammen – wurden in allen drei Ländern Qualitätssicherungsagenturen eingerichtet. Seit der Unterzeichnung
der Bologna-Deklaration sind somit wesentliche
Entwicklungen zur Qualitätssicherung eingeleitet
worden. Diese nach Bedarf weiter anzupassen und
in der Folge entsprechend umzusetzen, wird allerdings weitere Kapazitäten erfordern – wie dies etwa
im Rahmen des Programmes APPEAR vorgesehen
ist. Dabei kann in vielen Fällen auch auf bereits erzielte Meilensteine (etwa im Rahmen von EU-Projekten) aufgebaut werden. Scheinbar bestehende
Spannungsfelder zwischen Zielvorgaben des »von
Europa gelenkten« Bologna-Prozesses und dem
Bottom-up-Zugang von APPEAR werden dabei dadurch aufgelöst, dass auch bei der Umsetzung des
Bologna-Prozesses dem nationalen Kontext und
den Bedürfnissen der Akteure im Bildungsbereich
wesentliche Bedeutung zukommt.
Veronika Nitsche, MBA
ist im Vorstand von WUS Austria
und seit 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig.
In der höheren Bildung liegt ihr
Schwerpunkt in der Unterstützung
von Reformprozessen und im
Veränderungsmanagement.
Dr. Louise Sperl
ist Juristin und Projektmanagerin
bei WUS Austria. Ihre Themenschwerpunkte umfassen die
Bereiche Qualitätssicherung, die
soziale Dimension von Bildung
sowie Bildung als Menschenrecht.
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Sarah Eichelberg | Maria Wurzinger
Gemeinsam die Lehre beflügeln
Wie Hochschulkooperationen die Qualität in der Bildung
steigern können zeigen Projekte, die mit Erasmus+ bzw.
APPEAR gefördert werden.
Priv.-Doz. Dr. Maria Wurzinger
ist als Senior Scientist an der
Universität für Bodenkultur tätig.
Sie leitet zurzeit ein Erasmus+
finanziertes Bildungsprojekt und
arbeitet in verschiedenen
APPEAR-Projekten mit.
Sarah Eichelberg
ist verantwortlich für Administration und Kommunikation in einem
Erasmus+ Bildungsprojekt der Universität für Bodenkultur unter der
Leitung von Maria Wurzinger.
© L. Probst
© S. Morales
In Trainingskursen (Bild oben
in Cusco, Peru; Bild unten in Rosario,
Argentinien) wird über meist ähnliche Probleme und die verschiedenen
Herangehensweisen in anderen
Bildungssystemen, Ländern und
Kulturen diskutiert.
Qualitätssteigerung ist ein kontinuierlicher Prozess. Im Bereich der Bildung ist dafür ein aktiver
Einsatz der Hochschulen gefragt – besonders effektiv in gegenseitigem Austausch und mit intensiver Zusammenarbeit. Sowohl Erasmus+ als auch
APPEAR fördern daher gezielt Projekte zur Hochschulkooperation. Im Fokus: zwei aktuelle Projekte
in Lateinamerika.
Um Menschen auszubilden, die am Arbeitsmarkt bestehen können und frischen Wind in Wirtschaft und Forschung bringen, muss sich die Lehre
an aktuellen, globalen Entwicklungen orientieren –
eine große Herausforderung, zu deren Bewältigung
es verschiedenste Ansätze gibt. Hochschulkooperationen haben das Potenzial, diese zu verknüpfen,
Best-Practice-Beispiele zu finden, voneinander zu
lernen und miteinander zu wachsen.
In diesem Zusammenhang laufen aktuell etwa
das APPEAR-Projekt »Stärkung der lokalen Forschungskapazitäten im Bereich Klimawandel und
Adaptionsstrategien der Bluefields Indian and Caribbean University in Nicaragua« sowie, gefördert
durch Erasmus+, das Projekt »Edulive – Transforming Higher Education to Strengthen Links Between Universities and the Livestock Sector in Argentina and Peru«. Beiden Projekten gemeinsam
ist das Ziel, Curricula im Agrar- und Tierhaltungssektor zu verbessern und das Studienangebot der
lateinamerikanischen Universitäten attraktiver und
praxisorientierter zu gestalten.
Bedürfnisse aller Ebenen der Hochschulen
fließen in Curricula ein
Um diese Ziele zu erreichen, werden in Kooperation
mit europäischen Universitäten auf allen Ebenen
(unter Studierenden, Absolvent/innen, potenziellen Arbeitgeber/innen und Lehrenden) Bedürfnisse
und Zusammenhänge evaluiert, um die Ergebnisse
abgleichen und in die Curricula einfließen lassen zu
können. Durch die Implementierung von Praktika
während des Studiums wird versucht, die Verbindung zur Praxis zu intensivieren. Moderne Lehrmethoden und Didaktik-Schulungen fördern den
Lern-Alltag direkt.
Durch die stärkere Vernetzung von Lehre und
Praxis können nicht nur die Ausbildung an sich verbessert und die Chancen am Arbeitsmarkt erhöht
werden, auch neue praxisrelevante Forschungsthemen werden generiert. Spielt man die Forschungsergebnisse in die Lehre zurück, bleibt diese
up to date, spannend und zukunftsfähig – Stichwort »forschungsgeleitete Lehre«.
Die Abwicklung solch vielschichtiger, extern
finanzierter Projekte bringt einige Herausforderungen mit sich: Administration von Fördergeldern,
genaueste Berichtlegung etc. sind oft Neuland für
die Beteiligten. Hinzu kommt die intensive Kommunikation mit verschiedensten, oft internationalen, Partner/innen. Die größte Aufgabe ist die
Umsetzung und nachhaltige Integration der neuen
Ansätze und Lehrkonzepte in den Alltag der Universitäten. Dabei gilt es oft, strukturelle Hindernisse zu überwinden, um eine Etablierung in anderen
Fachbereichen zu ermöglichen.
Bei genauerer Betrachtung stellen diese Leistungen jedoch ein intensives »on the job training«
dar und damit die Chance auf persönliche Entwicklung sowie Verbesserung des Managements. Die
Zusammenarbeit ermöglicht einen interessanten
Austausch über Herangehensweisen an ähnliche
Probleme sowie Erkenntnisse über Schwierigkeiten
und Lösungswege in anderen Bildungssystemen,
Ländern und Kulturen. Hochschulkooperationen
bieten eine einmalige Chance auf Gedankenaustausch auf höchstem Niveau und schaffen Raum
für Neues.
Weitere Informationen: www.appear.at/
http://ec.europa.eu/programmes/erasmus-plus/
projects
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Qualität in der Bildung
Christian Jahn
Wie viel Zertifikat braucht
der Mensch?
An der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis: Erfahrungen mit der Validierung informell erworbener Kompetenzen
im OeAD-Testzentrum (OeAD International Testing Services).
Validierung informell erworbener Kenntnisse
Viele Prüfungsanbieter lassen ihre Prüfungen von
autorisierten Testzentren abwickeln. Im OeADTestzentrum werden die Kenntnisse der Teilnehmer/innen mittels standardisierter, unter Aufsicht
stattfindender internetbasierter Online-Prüfungen
validiert beziehungsweise teilvalidiert, wenn Aufgaben in die Prüfung eingebunden sind, die durch
die Prüfungssoftware nicht abschließend ausgewertet werden können (zum Beispiel Aufsätze,
Sprachaufnahmen etc.). Wenn der Validierungsprozess zur Gänze im Testzentrum abgeschlossen
werden kann, erfolgt in der Regel die Übergabe des
Zertifikats oder Zeugnisses.
Die Tendenz, informell erworbene Kenntnisse validieren zu lassen, ist eindeutig zu erkennen.
Diese Entwicklung lässt sich auch im Rahmen so-
genannter MOOCs (Massive Open Online Courses)
verfolgen. Es handelt sich dabei in der ursprünglichen Form um kostenlose Online-Kurse, die Zugang zu Bildung auf Universitätsniveau bieten und
frei zugänglich sind. Die Teilnehmer/innenzahl ist
theoretisch unbegrenzt. Eine Verpflichtung zur
Ablegung von Prüfungen besteht nicht.
Immer öfter wünschen Absolvent/innen hingegen eine formelle Anerkennung ihrer meist im
Selbststudium erarbeiteten Lernergebnisse. Auch
MOOC-Anbieter nutzen dafür häufig die vorhandenen Netzwerke autorisierter Testzentren, um den
Erwerb ihrer Zertifikate weltweit zu ermöglichen.
Für manche Kurse werden gleichzeitig ETCS-Punkte vergeben, die für einen akademischen Abschluss
angerechnet werden können.
Mag. Christian Jahn
ist seit Jänner 2012 als Leiter
des OeAD-Testzentrums »OeAD
International Testing Services« bei
der OeAD-GmbH beschäftigt.
Unternehmerischer Eigennutz als Motiv?
Die Zertifizierungsmotive dürften aber doch nicht
immer bei den Prüfungsteilnehmer/innen liegen.
In Gesprächen kommt gelegentlich zum Ausdruck, dass die Betroffenen mit den anscheinend
oktroyierten Weiterbildungsangeboten ihrer Firmen nicht einverstanden seien, weil sie diese vor
allem rein betrieblichen Interessen geschuldet sähen. Die Kritik wird deutlich, wenn von Ökonomisierung der Bildung, lebenslanger »Erziehung« und
Menschen als Humankapital die Rede ist.
Dass manche Unternehmen die Zertifizierung ihrer Mitarbeiter/innen primär aus ökonomischem Eigennutz einfordern, ist vorstellbar.
Im »Memorandum über Lebenslanges Lernen«,
herausgegeben von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Jahr 2000, kommt diese
Intention jedenfalls nicht zum Ausdruck. Ganz im
Gegenteil! Eine der Schlüsselaussagen lautet: »Bildungs- und Ausbildungssysteme sollten sich an die
individuellen Bedürfnisse und Wünsche anpassen
und nicht umgekehrt.«
© OeAD | Lisa Schoger
Das OeAD-Testzentrum (OeAD International
Testing Services), in dem sowohl hochschul- als
auch berufsbezogene Prüfungen abgelegt werden
können, ist ein geeigneter Ort, um Entwicklungen im Bereich des lebensbegleitenden Lernens
festzumachen. Häufiges Thema bei Beratungsgesprächen ist die Verfügbarkeit von formalisierten Nachweisen für konkrete, meist während der
Arbeit erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten, um
diese gegenüber Dritten sicht- und nachvollziehbar
zu machen. Die Formalisierung spielt dabei eine
bedeutende Rolle für die Akzeptanz und Verkehrsgeltung derartiger Validierungsnachweise.
Kenntnisse, Fertigkeiten oder Kompetenzen,
die in der »Schule des Lebens« (zum Beispiel im Alltag, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit) erworben
wurden, werden in der Fachsprache als »informelle
Lernergebnisse« bezeichnet, weil deren Aneignung
außerhalb des formalen Bildungssystems stattfand. Das Erlernen kann dabei zielgerichtet, also
beabsichtigt, oder unbewusst erfolgen.
20
oead.news im Gespräch mit Christian Dorninger, BMBF
Mehr Transparenz bei Qualifikationen,
Kompetenzen und Abschlüssen
Im März 2016 wurde das Bundesgesetz über den Nationalen
Qualifikationsrahmen (NQR-Gesetz) beschlossen.
Interview: Eva Müllner
Dr. Christian Dorninger
ist seit September 2013 Leiter
der Sektion II des Bundesministeriums für Bildung und Frauen
(BMBF), zuständig für das berufsbildende Schulwesen, Erwachsenenbildung und Schulsport.
oead.news: Das NQR-Gesetz wurde im März 2016
vom Nationalrat beschlossen. Was bedeutet das?
Christian Dorninger: Mit den NQR-Gesetz (BGBl.
Nr.14/2016 vom 21.3.2016) wird ein Verfahren beschrieben, österreichische Bildungsgänge
(schulische und universitäre) in eines der acht auf
europäischer Ebene definierten Qualifikationsniveaus (EQR 2008) einzuordnen. Damit wird
die gesellschaftliche Wertigkeit von (Berufs-)Bildungsgängen im Sinne der Förderung des lebensbegleitenden Lernens festgelegt. Während die
akademischen Ausbildungen in den drei höchsten
Niveaus klar aus dem Gesetz hervorgehen (Bachelor, Master, PHD), müssen berufliche Ausbildungen
allgemein und gehobene berufliche Ausbildungen
durch das im Gesetz beschriebene Verfahren erst
festgelegt werden.
oead.news: Wer sind die Nutznießer/innen des
Nationalen Qualifikationsrahmens und welche Auswirkungen hat die Gesetzwerdung in der Praxis?
Christian Dorninger: Nutznießer/innen sind jene
Personen, deren Qualifikationen europaweit, aber
auch im eigenen Land eine entsprechende Wertigkeit bekommen, die für eine Weiterqualifikation,
entsprechende arbeitsrechtliche Einstufungen,
aber auch bei internationalen Ausschreibungen bekannt gemacht werden. Besonders im Korridor der
nonformalen Lernergebnisse – in Österreich mit
Erwachsenenbildung assoziiert – wird eine Einstufung der Lernergebnisse im europäischen Umfeld
erreicht, die zu einer Absicherung der dort erworbenen Kompetenzen beiträgt. Die Erwachsenenbildung bekommt eine Art »Abschlussorientierung«.
oead.news: Wie wird sich der NQR auf das österreichische Bildungssystem auswirken?
Christian Dorninger: Der nichtakademische berufsbildende Sektor wird aufgewertet, die Er-
wachsenenbildungskurse und -lehrgänge werden
aufgewertet. Das Prinzip des lebensbegleitenden
Lernens wird »greifbar«, Weiterbildung wird in einen europäischen Rahmen eingebettet.
oead.news: Die NQR-Koordinierungsstelle wurde bei
der OeAD-GmbH eingerichtet. Warum?
Christian Dorninger: Mit dem OeAD gab es bei
der Abwicklung von europäischen Projekten beste
Erfahrungen, die Nationalagentur für die europäischen Programme ist im OeAD beheimatet, die
Qualitätsagentur ist ebenfalls unter diesem Dach.
Für die Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsbereich bringt man eine gemeinsame Sichtweise
auf Bildungsgänge ein und kennt einander aus den
OeAD-Gremien. Die Vorbereitungsarbeiten zum
NQR-Gesetz wurden im OeAD bestens durchgeführt.
oead.news: Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe
der oead.news ist Qualität in der Bildung. Was hat der
NQR mit Qualität zu tun?
Christian Dorninger: Durch eine einheitliche nationale und europäische Einstufung werden Rahmenbedingungen und Inhalte der Lernergebnisse
deutlicher gemacht. Im Unterschied zu den ECTSPunkten zählt hier der »Gehalt« der Lernergebnisse
und damit steht die Qualität dieser Lernergebnisse im Mittelpunkt. Man ging also ab von einem
formalen »Workload«-Schema und hin zu einer
Kompetenzorientierung mit laufender Wirkungsüberprüfung. Dies bedeutet mehr Qualität in den
betroffenen Bildungsgängen.
oead.news: Sie beschäftigen sich schon lange mit
Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Bildung. Wo steht Österreich
im Vergleich zu anderen europäischen Ländern?
Christian Dorninger: Das ist gar nicht so einfach zu sagen, weil inhaltliche Vergleiche auf
21
Qualität in der Bildung
© Christian Dorninger
Für Dr. Christian Dorninger, Sektionschef im Bildungsministerium und Leiter der NQR-Steuerungsgruppe, soll
mit dem NQR ein Überblick über Qualifikationen gegeben
werden, die durch formelles und informelles Lernen
erworben wurden.
europäischer Ebene kaum stattfinden (PISA und
Co. beziehen sich ja auf Eingangsbedingungen für
berufliche Bildungsgänge). Indirekt wissen wir einiges über Lernergebnisse aus europäischen und
internationalen Wettbewerben (Worldskills, Euroskills, European Young Science Competition etc.).
Dort sind österreichische Absolvent/innen beruflicher Bildungsgänge auf Spitzenplätzen. Eines
kann man auf jeden Fall sagen: Mit 80 Prozent der
Oberstufenschüler/innen in der Berufsbildung hat
Österreich in der Beteiligung an einer beruflichen
Bildung einen absoluten Spitzenwert.
oead.news: In Österreich werden Bildung und Ausbildung laut vielen Studien vererbt. Was braucht es, um
mehr Bildungsgerechtigkeit zu erlangen?
Christian Dorninger: Da muss man aufpassen,
in der Pflichtschule und Allgemeinbildung ist das
»gute sozio-ökonomische Umfeld« der wichtigste Erfolgsfaktor. In der Berufsbildung ab der 9.
Schulstufe gibt es eine völlig neutrale Positionierung von Abschlüssen, die nicht vom Status der
elterlichen Bildung abhängen. Die berufsbildenden
Schulen (BMHS) und die Berufsschule sind Schulen der Aufsteiger/innen und wirken damit sozial
ausgleichend. Auf der anderen Seite werden die
BHS auch gerne von Jugendlichen mit begüte-
tem Elternhaus besucht. Also braucht es mehr
praktische und berufliche Bildung, um von der bildungsmäßigen Erbpacht wegzukommen.
oead.news: Aktuelles Thema Flüchtlingspolitik: Der
Bildungssektor ist natürlich stark betroffen, Bildung ist
einer der stärksten Integrationsfaktoren (siehe oead.
news 99, Interview mit der Flüchtlingsbeauftragen des
BMBF, Terezija Stoisits). Welches sind Ihrer Meinung
nach die dringendsten Anliegen im Schulbereich, um
dieser Herausforderung gerecht zu werden.
Christian Dorninger: Da könnte man viel
schreiben. Unsere Schulen müssen sich auch in der
Flüchtlingsfrage involvieren und selbst Angebote
bereitstellen. Andererseits muss man die Lerndefizite der jugendlichen Flüchtlinge sehen und hier
Angebote schaffen. Das tun viele berufsbildende
Schulen mit den »Übergangsstufen«. Der Sektor
wird sicher noch ausgebaut und gemeinsam mit
der Erwachsenenbildung verdichtet. Nur mit einer
guten Berufsausbildung – oder auch einer akademischen Ausbildung für die wenigen gut Vorgebildeten – haben die Flüchtlinge echte Integrationschancen.
[
www.oead.at/nqr
22
Karl Andrew Müllner
Nationaler Qualifikationsrahmen
Die NQR-Koordinierungsstelle prüft Ersuchen zur Zuordnung
von Qualifikationen inhaltlich und formal. Angesiedelt ist sie in
der OeAD-GmbH.
]
www.oead.at/nqr
Der europäische Bildungsraum wächst in Zeiten
globaler Herausforderungen immer weiter zusammen. Der Bedarf an erhöhter Mobilität hinsichtlich Arbeit, Bildung und Ausbildung wird deutlich
sichtbarer und steigt signifikant an. Gesteigerte
Mobilität führt aber auch zu Schwierigkeiten in der
Sichtbarmachung und Vergleichbarkeit von Qualifikationen aus unterschiedlichen europäischen
Ländern und Bildungssystemen. Aus dem Wunsch,
Qualifikationen in Europa vergleichbar zu machen,
ist die Idee eines Europäischen Qualifikationsrahmens als Übersetzungs- und Transparenzinstrument entstanden.
Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR; engl. European Qualification Framework – EQF) soll nationale Bildungsabschlüsse europaweit verständlich machen und so
die grenzüberschreitende Mobilität von Beschäftigten und Lernenden fördern. Die Nationalstaaten
wurden von der Europäischen Kommission dazu
aufgerufen, in Anlehnung an den EQR jeweils einen
entsprechenden Nationalen Qualifikationsrahmen
(NQR) zu entwickeln, der das gesamte nationalstaatliche Bildungssystem umfasst. Auch Österreich
Es geht beim Europäischen- und Nationalen
Qualifikationsrahmen auch darum,
grenzüberschreitende Mobilität von
Beschäftigten und Lernenden zu fördern.
hat sich dazu entschlossen, dieser Empfehlung
nachzukommen und begann unter Einbindung aller
Stakeholder mit der Entwicklung eines NQR.
Ziele des NQR
Ziel des Nationalen Qualifikationsrahmens ist es,
jede beliebige Qualifikation aus Schule, Ausbildung,
Universität und Weiterbildung eindeutig einem
Niveau zuzuordnen. Durch die Zuordnung werden
Bildungsabschlüsse vergleichbar – nicht nur nationale, sondern auch europäische Zeugnisse und Zertifikate. Der NQR unterscheidet acht Qualifikationsniveaus – von Niveau eins bis zu Niveau acht.
Die Beschreibung der Qualifikationen durch
Lernergebnisse ist Grundlage der Niveauzuordnung. Für den Nationalen Qualifikationsrahmen
zählen nur die erreichten Lernergebnisse. Ort, Dauer
und Art der Ausbildung rücken dabei in den Hintergrund. Wichtig ist nur das Ergebnis dieser Ausbildung und was die Person am Ende kann. Der Blickwinkel verlagert sich vom Lern-Input zum Output
– was kann jemand nach erfolgreicher Absolvierung
einer Qualifikation tun und ist fähig umzusetzen.
© Matej Kastelic | shutterstock
Mag. Karl Andrew Müllner
ist für den Nationalen
Qualitätsrahmen und die
Nationale Koordinierungsstelle in
der OeAD-GmbH zuständig.
23
Qualität in der Bildung
Schwerpunktthema
Inklusion
Wie der Europäische Qualifikationsrahmen beruht der
Nationale Qualifikationsrahmen auf Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen auf acht Niveaus. Bachelor-,
Master- und PhD-Abschlüsse sind im NQR-Gesetz
automatisch den Niveaus sechs bis acht zugeordnet.
Der NQR macht so das nationale Bildungssystem in Österreich und Europa transparenter und
stärkt die Positionierung der österreichischen Ausbildungen. Zu guter Letzt unterstützt er Unternehmen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem
Wunsch nach mehr Mobilität.
NQR ist orientierend, nicht regulierend
Um die Zuordnung von Qualifikationen zu ermöglichen, sind für jedes Niveau genaue Kriterien, so
genannte Deskriptoren, festgelegt. Diese Deskriptoren werden durch Kenntnisse, Fertigkeiten und
Kompetenzen definiert. Je nach Komplexität wird
eine Qualifikation dem entsprechenden Niveau
zugeordnet. Es können lernergebnisorientierte
Abschlüsse sowohl aus dem formalen als auch aus
dem nicht-formalen Bereich zugeordnet werden.
Wichtig dabei ist, dass der NQR eine rein orientierende, keine regulierende Funktion hat.
Das NQR-Gesetz wurde nun im März 2016
beschlossen. Es wurde unter Federführung des
Bildungsministerium im Einvernehmen mit dem
Wissenschaftsministerium sowie unter Einbeziehung aller nationalen Ansprechgruppen entwickelt.
Es ist ein Rahmengesetz, welches die Zusammensetzung und Aufgabenverteilung, der für eine Zuordnung notwendigen Gremien regelt. Eine zentrale Rolle im Zuordnungsverfahren nimmt dabei
die NQR-Koordinierungsstelle (NKS) ein. Diese ist
innerhalb der OeAD-GmbH angesiedelt, ist für die
formale und inhaltliche Prüfung der Zuordnungsersuchen zuständig und dient als zentrale Verwaltungs-, Koordinations- und Informationsstelle.
Bis auf die hochschulischen Abschlüsse der
Bologna-Struktur gibt es in Österreich bis dato noch
keine Zuordnungen. Der Bachelor-, Master- und der
PhD-Abschluss sind mit dem NQR-Gesetz automatisch den Niveaus sechs bis acht nach den DublinDeskriptoren zugeordnet.
Derzeit wird noch an Details des Zuordnungsverfahrens gearbeitet. Es ist voraussichtlich im
Herbst 2016 mit den ersten Zuordnungsersuchen zu rechnen. In einer ersten Phase werden nur
Qualifikationsanbieter aus dem formalen Bildungsbereich (formale Qualifikationen sind Qualifikationen, die durch Gesetz oder Verordnung geregelt
sind) ein Zuordnungsersuchen stellen können. Für
den nicht-formalen Bereich müssen noch weitere
Details für den Zuordnungsprozess und die notwendigen Strukturen ausgearbeitet werden.
Nach erfolgter Zuordnung sollen alle dem NQR
zugeordneten Qualifikationen und ihre zentralen
Lernergebnisse in einem öffentlich zugänglichen
NQR-Register abgebildet werden. Dieses Register,
administriert von der Nationalen Koordinierungsstelle, wird alle wichtigen Eckdaten der Qualifikation inklusive den wichtigsten Lernergebnissen
und Beschreibungen enthalten. Bestimmte, für die
Veröffentlichung vorgesehene Daten sind somit
allgemein zugänglich und tragen für mehr Vergleichbarkeit und Transparenz im österreichischen
Bildungssystem bei.
Mit der Veröffentlichung im NQR-Register ist
die Zuordnung einer Qualifikation offiziell gültig.
Der Qualifikationsanbieter kann in der Folge zu
Informationszwecken auf die erfolgte Eintragung
hinweisen. Ziel ist es ebenso, das Niveau der formalen Qualifikation auf den Zeugnissen aufscheinen zu
lassen. Hierfür bedarf es aber noch weiterer gesetzlicher Regelungen. (www.qualifikationsregister.at)
24
Michael Landertshammer
Bildungssystem und Arbeitsmarkt
am Prüfstand
© WKO
Wie können lebenslanges Lernen und Durchlässigkeit gestärkt
werden? Eine IMAS-Studie zeigt die Notwendigkeit.
Dr. Michael Landertshammer
ist seit 2001 Institutsleiter des
WIFI Österreich und Leiter der
bildungspolitischen Abteilung der
Wirtschaftskammer Österreich.
Zusätzlich ist er u. a. als Vorstand
im IBW (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft), der VGÖ
(Volkswirtschaftliche Gesellschaft
Österreich) sowie als Stiftungsrat
der FIBAA (Foundation for International Business Administration
Accreditation) tätig. Vor seiner
Tätigkeit im WIFI Österreich war
Landertshammer sieben Jahre
Leiter des WIFI Wien. 1994
begründete er (mit anderen) die
Fachhochschule Wien, von 1999
bis 2001 leitete er als Präsident
die Fachhochschulkonferenz.
Von 1996 bis 2001 war
Landertshammer Geschäftsführer der FH Wien der
Wirtschaftskammer Wien.
»Alles ändert sich«, hat schon Ovid vor 2000 Jahren manifestiert. Aktuell führen demografische
Entwicklungen, Diversität, Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung dazu, dass der
Arbeitsmarkt und das Bildungssystem mit großen
Herausforderungen konfrontiert sind. Jeder zweite
Arbeitsplatz könnte bereits heute mit einem Roboter besetzt werden, so eine Oxford-Studie aus
20131. Aber auch für die wachsende Globalisierung
müssen wir gewappnet sein: Aktuell werden in
Österreich sechs von zehn Euro durch Waren- und
Dienstleistungsexport erwirtschaftet. Tendenz
steigend.
Um diese Herausforderungen bewerkstelligen
und im internationalen Wettbewerb reüssieren zu
können, muss sich das Bildungssystem neu definieren – vor allem in einem rohstoffarmen Land wie
Österreich. Das altüberlieferte Modell »Ich lerne
heute und arbeite morgen« ist für 94 Prozent der
österreichischen Bevölkerung überholt, sie setzen
auf lebenslanges Lernen. Das belegt die aktuelle
IMAS-Studie vom März 2016, welche im Auftrag
des WIFI das Meinungsbild der österreichischen
Bevölkerung zur Durchlässigkeit des heimischen
Bildungssystems wiedergibt. Dabei wurden mehr
als 1.000 Personen über 16 Jahren befragt.2
Eines vorweg: Österreich verfügt über keine
ausgeprägte Tradition der Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungssegmenten und der
Förderung von lebenslangem Lernen. Das spiegeln die Ergebnisse wider: Ein Drittel der von IMAS
Befragten erachten die tatsächliche Förderung des
lebenslangen Lernens als eher nicht bzw. überhaupt nicht gegeben. 49 Prozent gaben an, dass
diese lediglich »einigermaßen stark« erfolgt.
1 Carl Benedikt Frey, Michael A. Osborne. The Future of Employment: How susceptible are jobs to computerisation. Oxford, 2013.
2 IMAS – Institut für Markt- und Sozialanalysen GmbH. Die Durchlässigkeit des österreichischen Bildungssystems. Meinungsbild der
österreichischen Bevölkerung. Wien, 2016.
Das verdeutlicht, dass es keinen gemeinsamen
strategischen Rahmen für die Vielfalt an Bildungsorten und -arten, wie unterschiedliche Schulformen, Hochschulen, betriebliche Bildung etc. gibt.
Die Institutionen und Aus- und Weiterbildungen
werden großteils isoliert voneinander betrachtet,
es kommt zu einer Segmentierung von Bildungsprozessen. Das österreichische Bildungssystem ist
zu starr und unflexibel – das zählt zu den größten
Hindernissen für Weiterbildung laut den IMASBefragten. Weitere hemmende Faktoren sind finanzielle Aspekte und die Schwierigkeiten bei der
Vereinbarkeit von Ausbildung und Beruf, so die
Studienergebnisse.
Durchlässigkeit muss gelebt werden, das unterstreichen auch 77 Prozent der von IMAS befragten
Personen. Es bedarf eines Zusammenspiels von
Bildungseinrichtungen: zwischen Erstausbildung
und Weiterbildung, zwischen Berufsbildung und
Allgemeinbildung, zwischen formalem und nonformalem Lernen.
Wir müssen beginnen, uns von der Institutionenzentrierung zu lösen und kompetenzorientiert
zu denken. Das betrifft insbesondere die Zugangsvoraussetzungen zu weiterführenden Bildungsangeboten sowie die Anrechnung vorab erworbener
Kenntnisse. Hier soll im Vordergrund stehen: Welche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen
bringt eine Person mit? Und nicht, an welcher
Bildungseinrichtung wurde welcher Abschluss erreicht? Der nationale und europäische Qualifikationsrahmen sind zentrale Instrumente, um dieses
Umdenken zu erreichen und umzusetzen.
Gelebte Durchlässigkeit bedeutet auch, dass
vorab erworbene Kenntnisse – im wahrsten Sinn
des Wortes – anerkannt werden. Das Institut für
Bildungsforschung der Wirtschaft (IBW) hat in
seiner Studie aus 2014 die Anerkennung an der
Schnittstelle zwischen Höheren Technischen
Lehranstalten und dem tertiären Sektor, vor
25
46+23+229z
Qualität in der Bildung
9%
Werden an
Bedeutung
abnehmen
22 %
Bedeutung
wird gleich
bleiben
46 %
Werden an
Bedeutung
zunehmen
23 %
Weiß nicht,
keine Angabe
allem technischen Fachhochschulen, beleuchtet.3
Eines der Resultate ist, dass knapp 60 Prozent aller HTL-Fachrichtungsstandorte zumindest eine
Anerkennungskooperation mit einer technischen
Fachhochschule haben. In der Untersuchung wurde identifiziert, was Kriterien für eine erfolgreiche
Kooperation sind. Dabei konnten die folgenden
identifiziert werden:
ÆÆ Aufbau von Vertrauen durch Förderung
bilateraler Kontakte unter den beteiligten
Akteuren. Wesentlich ist eine längerfristige
Perspektive, weil Aufbau von Vertrauen,
Dissemination von Information über bestehende Anerkennungskooperationen sowie
ein Einstieg in konkrete neue Kooperationen
Zeit erfordern.
ÆÆ Erhöhung des Informationsstandes über
vorhandene Anerkennungskooperationen
und den damit gemachten Erfahrungen.
ÆÆ Organisatorische, inhaltliche und finanzielle
Unterstützung für Bildungseinrichtungen
bei der Etablierung neuer Anerkennungskooperationen.
Wie fördert man nun gezielt Durchlässigkeit? Bestehende Anerkennungskooperationen könnten
als Best Practice vor den Vorhang geholt und zu
Bewusstseinsbildung, Informationsverbreitung
und Erfahrungsaustausch genutzt werden. Dies
kann auch auf regionaler Ebene erfolgen, weil die
IBW-Studie zeigt, dass die regionale Nähe zwischen
zwei Bildungseinrichtungen die Wahrscheinlichkeit der Kooperation erhöht. Dies kann allerdings
auch innerhalb eines Fachbereichs erfolgen, beispielsweise im technischen Bereich zwischen einer
HTL und einer technischen Hochschule, wie in der
3 Kurt Schmid, Benjamin Gruber, Sabine Nowak. Anerkennung
an der Schnittstelle HTL/HLFS – tertiärer Sektor, IBW-Forschungsbericht Nr. 181. Wien, 2014.
Frage aus der IMAS-Umfrage: »Haben Sie den Eindruck,
dass die Durchlässigkeit des Bildungssystems und die
Anrechnung des bisher Erlernten in den kommenden fünf
Jahren an Bedeutung zunehmen oder abnehmen werden?«
Studie beleuchtet wird. Eine weitere Maßnahme
könnte die Etablierung einer zentralen (Online-)
Plattform sein. Diese kann Informationen zu bestehenden sowie zur Unterstützung beim Aufbau
und der Verbreitung neuer Kooperationen beinhalten. Foren können die Möglichkeit bieten, durch
Erfahrungsaustausch voneinander zu lernen. Weiters kann die Plattform ein hilfreiches Instrument
für Studierende darstellen, welche die eigenen
vorab erworbenen Kenntnisse anrechnen lassen
möchten. Das europäische Projekt Epale4 und die
deutsche Initiative Ankom5 können hier als Vorbild
dienen.
Zusätzlich sollte durch Expertinnen und Experten untersucht und aufgezeigt werden, bei welchen
Lehrplänen, Ausbildungszielen und Kompetenzbeschreibungen Überschneidungen und Schnittstellen vorliegen. Dadurch würde das Potenzial an
Anrechnungen transparent gemacht werden.
Die Einführung und Sicherung von Anerkennungskooperationen und -modalitäten bedarf
zeitlicher, finanzieller und personeller Ressourcen.
Hier sollte es im Sinne des Aufbaus und der Stärkung von lebenslangem Lernen und Durchlässigkeit Anreize durch die öffentliche Hand geben. Das
ist erforderlich, um den österreichischen Bildungsund Wirtschaftsstandort angesichts der eingangs
skizzierten Herausforderungen zu stärken und
wird auch von der österreichischen Bevölkerung
als zukunftsweisend wahrgenommen: 46 Prozent
der von IMAS befragten Personen unterstreichen,
dass lebenslanges Lernen und Durchlässigkeit an
Bedeutung zunehmen werden.
4 Initiative Epale. https://ec.europa.eu/epale/de (Stand: 2. Mai
2016).
5 Initiative Ankom. https://www.bibb.de/ankom (Stand: 2. Mai
2016).
Laut IMAS-Umfrage ist
das österreichische
Bildungssystem zu starr
und unflexibel. Dies
erweise sich als größter
Hemmschuh in der
Weiterbildung.
26
Franz Gramlinger
Qualität in der Berufsbildung:
ARQA-VET – ein wichtiger Player
Das Thema ist virulent! Seit wann? Wie hat es sich entwickelt?
Und welche Rolle spielt ARQA-VET?
Dr. Franz Gramlinger
leitet die Österreichische
Referenzstelle für Qualität in der
Berufsbildung (ARQA-VET), die in
der OeAD-GmbH angesiedelt ist.
Gramlinger verantwortet zudem
die OeAD-Abteilung Qualitätsentwicklung und Transparenz.
Der QIBB-Regelkreis
Qualität und Qualitätsmanagement (QM) sind in
der beruflichen Erstausbildung – wie im Bildungsbereich generell – seit Jahren bestimmende Themen. Warum ist das so? Dahinter steht die Idee
eines neuen »Steuerungsmodells« im Bildungssystem – weg von hierarchischer Lenkung durch
Vorgaben hin zu mehr Selbststeuerungsfähigkeit
der Bildungseinrichtungen; und diese sollte nachvollziehbar sein. Warum wird was wie gemacht?
Wie dient es den gesetzten Zielen? Welche Hinweise gibt es auf die Zielerreichung? Damit kam
neben der Rechenschaftslegung die zweite wichtige Funktion, die das QM immer auch hat, verstärkt
in den Fokus: die Entwicklungsfunktion, also die
Verbesserung der schulischen und pädagogischen
Arbeit (Stichworte: Schulentwicklung und Unterrichtsentwicklung).
Ein Blick auf die europäische Diskussion zur
Qualität in der Berufsbildung: Die im Zuge des
Kopenhagen-Prozesses entwickelten Grundlagen
eines Europäischen Qualitätsrahmens für die berufliche Bildung mündeten 2009 in einer Empfehlung des europäischen Parlaments und des Rates zu
EQAVET – European Quality Assurance in Vocational
Education and Training. In der EQAVET-Empfehlung
festgeschrieben ist u. a. die Einrichtung von nationalen Referenzstellen für die Qualität in der Berufsbildung. Eine solche hatte die Sektion Berufsbildung
des damaligen Unterrichtsministeriums schon Ende
2007 beim OeAD eingerichtet: ARQA-VET.
Verschiedene QM-Systeme
Bereits im Schuljahr 2004/05 startete in Österreich im Bereich der berufsbildenden Schulen die
Qualitätsinitiative Berufsbildung (QIBB). QIBB ist
das mit EQAVET in Einklang stehende Qualitätsmanagementsystem für zirka 700 berufsbildende Schulen (berufsbildende mittlere und höhere
Schulen, Bildungsanstalten, Berufsschulen). Es
folgt – wie der EQAVET-Bezugsrahmen – dem Qualitätsregelkreis (Plan-Do-Check-Act). QIBB hat
im vorigen Jahr sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Erst seit 2012 gibt es für die allgemeinbildenden Schulen Österreichs mit SQA (Schulqualität
Allgemeinbildung) ebenfalls ein Qualitätsmanagementsystem (www.sqa.at).
Der betriebliche Teil der Lehrlingsausbildung
ist naturgemäß anders organisiert. Für Ausbildungsbetriebe stellt die Lehrlingsausbildung einen
Teilbereich ihres Portfolios dar; ob und wie deren
Qualitätssicherung im Rahmen des betrieblichen
Qualitätsmanagements erfolgt, hängt von sehr vielen Faktoren ab, ist aber im Gegensatz zum schulischen Teil nicht verbindlich vorgeschrieben. 2014
hat die Wirtschaftskammer ein QM-System für die
Lehrlingsausbildung entwickelt: »QML – Qualitätsmanagement in der Lehre.« Also gleich mehrere QMSysteme für verschiedene (Aus-)Bildungsformen mit
unterschiedlichen Zuständigkeiten – und welche Rolle
spielt dabei ARQA-VET?
Die Österreichische Referenzstelle für Qualität in
der Berufsbildung arbeitet seit mehr als acht Jahren
als Anlaufstelle und Serviceeinrichtung für alle Fragen zum Thema Qualität in der Berufsbildung und
als Netzwerkknoten im EU-Netzwerk EQAVET: Als
eine von mittlerweile 34 Referenzstellen war ARQAVET von Anfang an eine der aktivsten und hat viele
Ideen und Impulse, die in Österreich schon wirksam
waren, ins europäische Netzwerk eingebracht. Mit
QIBB als einem »Vorzeige-Modell« und einer starken Unterstützung durch das Bildungsministerium
waren die ARQA-VET-Mitarbeiter/innen von Beginn
an an allen wichtigen Entwicklungen und Entscheidungen beteiligt. Die Mitarbeit am EQAVET-Arbeitsprogramm, dessen Umsetzung in verschiedenen
Arbeitsgruppen und die Organisation von mehreren
Peer Learning Activities sind Beispiele dafür.
Neben der Funktion als EU-Netzwerkknoten
sind es zwei zentrale Aufgaben im nationalen Kontext, die die Arbeit von ARQA-VET bestimmen: die
Vernetzung der Stakeholder und die Unterstützung
und Weiterentwicklung von QIBB. Für die erste Aufgabe ist neben der regelmäßigen Information über
27
Schwerpunktthema Inklusion
© Martina Draper
die Website www.arqa-vet.at, den Newsletter und
Social Media vor allem die jährliche Qualitätsnetzwerkkonferenz für die Berufsbildung in Österreich
die zentrale Aktivität. Die ARQA-VET-Konferenz mit
jährlich 140 bis 170 Teilnehmer/innen ist für uns der
Ort, um neue Themen zu lancieren, internationale
Expert/innen aus Wissenschaft und Praxis für Inputs
zu gewinnen und die Diskussion der Teilnehmer/innen anzuregen. Themen der vergangenen Jahre
waren beispielsweise »Wer macht Qualität?«, »QM
als Führungsaufgabe«, »Wie wird Qualität zur Kultur?« oder »Das Pädagogische als Kernprozess in
der Qualitätsentwicklung«. Am 5. Dezember 2016
findet die Konferenz zum achten Mal statt, wir widmen uns heuer dem hochaktuellen Thema »Zahlen,
Daten, Fakten – Informationen aus bundesweiten,
standardisierten Erhebungen für das schulische
Qualitätsmanagement nutzen?«.
ARQA-VET ist Thinktank
Die Hauptaufgabe von ARQA-VET ist derzeit ganz
eindeutig die Unterstützung der Sektion II Berufsund Erwachsenenbildung im Bildungsministerium
bei der Weiterentwicklung und Umsetzung von
QIBB. Wir fungieren als eine Art Thinktank, wenn
es um die Entwicklung von neuen Konzepten, Umsetzungsstrategien oder Instrumenten geht. In
enger Kooperation mit dem Bildungsministerium
haben wir über die letzten acht Jahre eine ganze
Reihe von Produkten entwickelt und möchten beispielhaft eines anführen, das uns bereits seit 2010
begleitet: Ausgehend von einem europäischen
Leonardo-da-Vinci-Projekt (VET-CERT) haben wir
Kompetenzprofile für die Aus- und Weiterbildung
von Qualitätsverantwortlichen und Führungskräften in berufsbildenden Schulen entwickelt, ebenso
wie ein Rahmencurriculum für eine entsprechende Ausbildungsschiene inklusive Zertifizierungskonzept. Aus diesen Produkten ist QUALI-QIBB
entstanden. QUALI-QIBB steht für Qualifizierung
in und für QIBB und ist das Ausbildungsangebot
für Funktionsträger in QIBB (Schulleiter/innen
und Landesschulinspektor/innen sowie die Qualitätsmanager/innen auf Schul- und Landesebene).
QUALI-QIBB umfasst zwei PH-Lehrgänge mit sechs
und zwölf ECTS, die seit 2014 gemeinsam mit der
PH OÖ durchgeführt werden (www.arqa-vet.at/
quali-qibb).
Neben einer Reihe von Fortbildungsseminaren
wurden ein Follow-up-Tool und ein Leitfaden für
das Individual-Feedback sowie vereinheitlichte Formate für Qualitätsberichte entwickelt. Im Projekt QKULT hat das Team von ARQA-VET mit Partnern aus
Deutschland, Dänemark, Holland und der Schweiz
ein Instrument zur Erhebung schulischer Qualitätskultur entwickelt, das auch als Online-Tool zur
Verfügung steht (www.q-kult.eu).
Dass ARQA-VET in der österreichischen Berufsbildungslandschaft ein nicht unbedeutender Player
geworden ist, belegt das jüngste »Projekt«: Ich habe
den Vorsitz des Programmkomitees für die Berufsbildungsforschungskonferenz übernommen und
organisiere mit meinem Team die 5. BBFK.
5. BBFK zum Thema »Berufsbildung, eine Renaissance?«, 7. bis 8. Juli 2016 in Steyr, www.bbfk.at
Quality Tables bei der 6. Qualitätsnetzwerkkonferenz zum Thema
»Wer macht Qualität?«
Die Grafik zeigt die Module des Zertifikatslehrgangs für Qualitätsmanager/innen.
28
oead.news im Gespräch mit Andreas Schleicher
PISA misst die Kenntnisse und
Fertigkeiten von Schüler/innen
Der »Erfinder« des Programms zur internationalen
Schüler/innenbewertung hält die Studie für unabdingbar.
© OECD
Interview: Rita Michlits
Dr. Andreas Schleicher
ist ein deutscher Statistiker
und Bildungsforscher. Er leitet die
OECD-Abteilung für Indikatoren
und Analysen im Direktorat für
Bildung. Einer breiteren Öffentlichkeit ist er als internationaler
Koordinator des Programms zur
internationalen Schüler/innenbewertung (Programme for
International Student
Assessment, PISA) bekannt.
oead.news: Sie werden sehr oft als »Mister PISA«
bezeichnet. Was ist PISA und was misst PISA?
Andreas Schleicher: PISA misst wichtige Grundkompetenzen für den Erfolg im Leben, die
Fähigkeit, mit komplexen Informationen und anspruchsvollen Texten sinnvoll umzugehen, kreativ
Probleme zu lösen, aber auch mathematisch und
naturwissenschaftlich zu denken. Die Studie ist
dabei so angelegt, dass die Leseleistungen seit
2000, die mathematischen Leistungen seit 2003
und die naturwissenschaftlichen Leistungen seit
2006 international vergleichbar sind. Dementsprechend können wir Fortschritte sowohl innerhalb
eines Landes als auch im internationalen Vergleich
bewerten.
oead.news: Nach den ersten PISA-Schocks haben wir
uns wieder erholt, inzwischen schneiden die österreichischen Schüler/innen besser ab. Inwieweit haben die
Schüler/innen PISA gelernt?
Andreas Schleicher: Die österreichischen Schüler/innenleistungen liegen im Vergleich mit den Industrienationen im Mittelfeld und haben sich seit
2000 nur geringfügig verändert. Der Leistungsabstand zu den besten Bildungssystemen hat sich
in den letzten Jahren dabei vergrößert, weil die
Veränderungsdynamik dort stärker ausgeprägt
ist. Die zehn Prozent Schüler/innen aus dem sozial
ungünstigsten Umfeld in Shanghai, und das sind
Schüler/innen, die oft in ärmsten Verhältnissen
leben, können sich immer noch gut mit den Schüler/innen aus dem obersten Drittel der sozialen
Schichten in Österreich messen.
oead.news: Die PISA-Ergebnisse sind eine Momentaufnahme. Was sagen sie über die Qualität des Unterrichts, etwa in Österreich aus? Was ist eine gute
Schule? Worauf kommt es an?
Andreas Schleicher: Das ist eine schwierige Frage.
In der Vergangenheit war eine Schule gut, wenn
sie Wissen vermittelte, das für ein Arbeitsleben
ausreicht. Heute ist es unverantwortlich, einer
Schüler/in eine Arbeit auf Lebenszeit zu suggerieren. Je mehr Menschen heute Eigenverantwortung
für ihre Karriereplanung sowie wirtschaftliche und
soziale Absicherung übernehmen müssen, umso
mehr müssen wir von modernen Schulen erwarten,
dass sie Verantwortung und die Fähigkeit zur Veränderung stärken. Traditionell sind Lehrer/innen
und Schulen in Österreich die letzte ausführende
Instanz eines überaus komplexen Verwaltungsapparates. Die leistungsfähigsten Schulsysteme
hingegen messen sich daran, was die Schule als
selbstständige und pädagogisch verantwortliche
Einheit leisten kann, die den individuellen Lernfortschritt in den Mittelpunkt stellt und Verantwortung für ihre Ergebnisse übernimmt. Ihren Lehrer/innen gelingt es, das Potenzial aller Schüler/innen
zu mobilisieren, die außergewöhnlichen Fähigkeiten gewöhnlicher Schüler/innen zu entdecken
und zu fördern, durch Lehr- und Lernformen, die
nicht defizitär angelegt sind, sondern wirklich auf
die einzelne Schüler/in zugeschnitten sind. Ebenso zeichnen sie sich durch ein Arbeitsumfeld aus,
dessen Attraktivität nicht auf dem Beamt/innenstatus, sondern auf Kreativität, Innovation und
Verantwortung beruht, und das Differenzierung
im Aufgabenbereich, Verantwortung für Lernergebnisse und gute Unterstützungssysteme anbietet, so dass Lehrer/innen am Ende nicht als Einzelkämpfer/innen im Klassenzimmer dastehen.
oead.news: Schüler/innen in Mathe, Lesen und Naturwissenschaften zu testen ist eine Sache, entscheidend
ist aber, wie erfolgreich ein Bildungssystem an den
Übergängen funktioniert. Laut einer OECD-Studie ist
der soziale Aufstieg in Österreich besonders schwer,
wie sehen Sie das?
Andreas Schleicher: Österreichs große Stärke
bleibt das System der beruflichen Ausbildung, das
29
© CCO Public Domain_Pixabay
OeAD macht Schule
vielen jungen Menschen einen hervorragenden
Start ins Berufsleben ermöglicht. Gleichzeitig gibt
es aber nur einen geringen Anteil von Aufsteiger/innen im Bildungssystem, und das betrifft das berufliche wie auch das akademische Ausbildungssystem gleichermaßen.
oead.news: Die Ergebnisse der PISA-Studie sind eine
wichtige Information für die Entwicklung des nationalen Bildungssystems. Wie sehr nutzt die Politik die
Ergebnisse, um Weichenstellungen im Bildungssystem
zu setzen?
Andreas Schleicher: In Österreich finden internationale Vergleiche immer viel Aufmerksamkeit,
sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit.
Es hat sich in Österreich auch viel getan, denken
Sie an die Schaffung von kompetenzorientierten
Bildungsstandards oder die neue Mittelschule.
Schwieriger wird es bei der Umsetzung von Reformen. Das Schulsystem ist einfach sehr komplex,
mit einer Vielzahl von Verwaltungsstrukturen,
die die Gestaltungsmöglichkeiten sowohl für die
Schulen als auch für die Bildungspolitik stark einschränken.
oead.news: Finnland galt lange Zeit als PISA-Musterschüler und vorbildlich in Hinblick auf das Bildungssystem. Woran liegt es, dass sich die Ergebnisse verschlechtert haben?
Andreas Schleicher: Finnland bleibt weiterhin
eines der leistungsstärksten Bildungssysteme,
und es findet auch für ein hohes Maß an Chancengerechtigkeit große Anerkennung.
oead.news: Die PISA-Ergebnisse und der PISA-Test
selbst werden ja momentan sehr kontroversiell diskutiert und haben auch heftige wissenschaftliche Debatten ausgelöst. Es wurde von einer Revolte gegen die
weltweite Leistungsmessung gesprochen. Was sagen
Sie Ihren Kritiker/innen?
Die PISA-Ergebnisse ziehen meist
sehr kontroversielle bildungspolitische
Diskussionen nach sich. Die aktuellen
Ergebnisse für Östererich werden im
Dezember 2016 veröffentlicht.
Andreas Schleicher: Nie zuvor hat Bildung denen,
die gut qualifiziert sind, derartig viele Lebenschancen eröffnet wie heute. Überall schafft bessere Bildung Wohlstand und fördert soziale Teilhabe. Und
wenn uns die Wirtschaftskrise der letzten Jahre eines gelehrt hat, dann ist es, dass wir gesellschaftlichen Fortschritt nicht mit Konjunkturpaketen oder
Gelddrucken kaufen können, sondern nur indem
wir deutlich mehr Menschen Zugang zu besserer
Bildung verschaffen. Wir können letztlich nur das
verbessern, was wir bewerten können. Und in einer
globalen Realität ist der Maßstab für Erfolg letztlich
nicht mehr nur, besser als in der Vergangenheit zu
sein, sondern man muss sich an den erfolgreichsten Bildungssystemen der Welt messen. Deshalb
sind Referenzsysteme wie PISA unabdingbar.
oead.news: Wie sieht die Zukunft von PISA aus?
Andreas Schleicher: Es muss uns insbesondere gelingen, ein breiteres Spektrum an Kompetenzen,
einschließlich sozialer und emotionaler Aspekte,
in der PISA-Studie abzubilden. Daran arbeiten wir.
Die internationale PISA-Studie testet seit dem Jahr 2000 die Fähigkeiten der Schüler/innen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. PISA findet alle
drei Jahre mit wechselnden Schwerpunkten statt, wobei mit PISA 2009 der zweite
Erhebungszyklus begann: 2000 und 2009 stand die Lesekompetenz im Mittelpunkt,
2003 und 2012 bildete Mathematik den Schwerpunkt und 2006 sowie 2015 die
naturwissenschaftliche Kompetenz.
PISA ist nicht unumstritten: 2014 wurde mit einem offenen Brief im »Guardian«
Kritik an der PISA-Studie geübt. Eine heftige wissenschaftliche Debatte wurde ausgelöst. Hinterfragt wurden vor allem Zielsetzung, Methodik und Interpretation der
PISA-Studien. Für Andreas Schleicher von der OECD braucht es Referenzsysteme wie
PISA, um sich an den erfolgreichsten Bildungssystemen messen zu können.
www.oecd.org/berlin/presse/pisa-2012-oesterreich.htm; www.oecd.org/pisa/;
http://bildung-wissen.eu/wp-content/uploads/2014/05/offener-brief-schleicherautoriserte-fassung.pdf
30
Carla Carnevale
Sprachliche Bildung als Basis für
gutes Weiterkommen
Schüler/innen scheitern beim Lernen oft an der
Sprache und nicht an den Fachinhalten.
Mag. Dr. Carla Carnevale
studierte Deutsch und Geschichte. Sie ist Mitarbeiterin des
Österreichischen SprachenKompetenz-Zentrums, Projektleiterin für die GK2/GK4 und für
den sprachsensiblen Unterricht.
Carnevale koordiniert unter
Leitung des BMBF I/1 die Überarbeitung der Volksschullehrpläne
lebende Fremdsprache
und Deutsch.
In einem sprachsensiblen Unterricht findet eine
optimale Verbindung von sprachlichem und fachlichem Lernen statt. Volksschüler/innen sind zum
Beispiel im Fach Mathematik sprachlich besonders
gefordert, wenn es darum geht, Wörter wie vermehren, vermindern, durchschnittlich, Quadrat,
Parallelen, Seitenumfang etc. zu verstehen, weil
diese Verben und Fachbegriffe in der Alltagssprache kaum bis gar nicht oder in einem anderen Zusammenhang verwendet werden. Sprachsensibel
unterrichten bedeutet, diese bildungssprachlichen
Deutschkompetenzen aufzubauen und die sprachlichen Ressourcen der Kinder dabei zu berücksichtigen. Sprachsensible Lehrer/innen geben einen
sprachlich reichen Input, erkennen die sprachlichen
Stolpersteine ihrer Schüler/innen und setzen abwechslungsreiche Methoden ein.
Sprachsensibler Unterricht ist bereits in den
neuen Curricula für Primarpädagogik verankert.
Das Österreichische Sprachen-Kompetenz-Zentrum (ÖSZ) bietet Fachdidaktiker/innen, Schulteams und der Schulaufsicht Vernetzungsveranstaltungen und in Kooperation mit Pädagogischen
Hochschulen Fortbildungen. Das Beherrschen einer Standard- und Fachsprache ist für einen guten
Übertritt in die weiterführende Schule unabdingbar und angesichts der zunehmenden sprachlichen
Diversität in österreichischen Volksschulen ein
Gebot der Stunde. Der sprachsensible Unterricht
ist in Synergie zu bestehenden Initiativen zur Leseförderung und zu den Sprachfördernetzwerken des
BMBF zu sehen.
Volksschüler/innen haben ganz unterschiedliche Fremdsprachenkenntnisse, wenn sie in die
weiterführenden Schulen wechseln. Mit dem Kompetenzmodell GK4/GK2 soll sich das ändern. Rückmeldungen aus der Praxis und Studien zeigen, dass
der Fremdsprachenunterricht in der Volksschule – für rund 99 Prozent der Schüler/innen ist es
Englisch – zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen
führt und sich Pädagog/innen mehr Orientierung
wünschen.
Der gemeinsame europäische Referenzrahmen
für Sprachen (GERS) setzt europaweit wichtige Impulse für einen kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht. Die Grundkompetenzen lebende
Das finden Sie alles auf der Plattform www.sprachsensiblerunterricht.at
© Jürgen Jotzo | Pixelio
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Unterrichtsmaterialien für Mathematik und Sachunterricht
ÖSZ Praxisheft 22: Sprachsensibler Unterricht in der Grundschule – Fokus Mathematik
ÖSZ-Praxisheft 24: Sprachsensibler Unterricht in der Grundschule – Fokus Sachunterricht
Kontakte zu Referent/innen, Veranstaltungsinfos, europäischen Initiativen und vieles mehr
Weitere Materialien: Materialien des SSR Wien (www.lesenundverstehen.at), BMBF und Kontext
Mehrsprachigkeit (www.schule-mehrsprachig.at), BMBF (www.literacy.at), Bifie: Evaluation der Netzwerke Sprachförderung (www.bifie.at/node/2774), Europarat: Languages in education (www.coe.int/t/
dg4/linguistic/langeduc/le_platformintro_EN.asp)
31
© Thommy Weiss | Pixelio
OeAD macht Schule
Fremdsprache GK2/GK4 für die Volksschule orientieren sich am GERS. Es sind positiv formulierte KannBeschreibungen auf dem Weg zum Niveau A1. Ein
Beispiel für die Fertigkeit Hören: »Kann sehr einfache Ankündigungen, Anweisungen, Bitten und
Fragen im Rahmen der Unterrichtsorganisation
verstehen.«
Die Grundkompetenzen sind für alle Sprachen
anwendbar, die als verbindliche Übung im Regelunterricht der Volksschule angeboten werden. Es
bleibt zu hoffen, dass sich das Sprachenangebot in
den nächsten Jahren nicht nur auf Englisch bezieht.
Für das zweisprachige Minderheitenschulwesen
wurden eigene Kompetenzbeschreibungen für die
anerkannten Minderheitensprachen entwickelt.
einiges erreicht: Die GK2/GK4 sind in den Curricula
der Primarpädagog/innen-Ausbildung verankert.
Schulaufsichten und Pädagogische Hochschulen
setzen Implementierungsmaßnahmen, z. B. der
Stadtschulrat für Wien mit der erfolgreichen Aktion »English 2020« in seinen Volksschulen.
Seit Herbst 2015 arbeitet eine Fachgruppe unter der Leitung des BMBF und unter Koordination
des ÖSZ an der Erstellung eines neuen Lehrplans,
für dessen Inhalte die GK2/GK4 die Basis bilden. Damit werden sich Schulbücher verändern und Pädagog/innen ihren bisherigen Unterricht durch eine
kompetenzorientierte Brille sehen lernen.
Um dem Unterricht
folgen zu können,
braucht es ein Mindestmaß an bildungssprachlichen Fertigkeiten.
Vorteile der GK2/GK4
ÆÆ Schüler/innen haben mehr Chancen auf einen
guten Übertritt in die weiterführende Schule.
ÆÆ Lehrende der Volksschule wissen, wie weit
sie kommen können – Lehrende der Sekundarstufe können ihren Anfangsunterricht
effektiver planen.
ÆÆ Eltern und Erziehungsberechtigte erhalten
einen Einblick, was in der Volksschule möglich
ist.
ÆÆ Kinder sind motiviert, weil sie ihre ersten
Sprachkenntnisse auch anwenden können.
Die Verankerung im Bildungssystem ist erfolgreich,
aber noch ausbaufähig. Seit der Entwicklung wurde
Weiterführende Informationen
ÆÆ Website zu den GK2/GK4: www.oesz.at/gk4
ÆÆ Unterrichtsvideos zum Aufbau fremdsprachlicher Kompetenzen in der
Volksschule: www.oesz.at/gk4-unterrichtsvideos
ÆÆ Europäisches Sprachenportfolio für die Grundschule: www.oesz.at/esp
ÆÆ Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen:
www.goethe.de/z/50/commeuro/deindex.htm
ÆÆ EU: http://ec.europa.eu/languages/policy/learning-languages/
languages-in-education_en.htm
32
Christian Swertz | Katharina Mildner
Selbstgemachte Qualität
Im Sparkling Science-Projekt »InMeLi« wurde mit partizipativen Methoden die Qualität der Medienkompetenzvermittlung
gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern gestaltet.
Dr. Christian Swertz, MA
ist Professor für Medienpädagogik
an der Universität Wien und leitet
die Wiener Medienpädagogik am
Institut für Bildungswissenschaft.
Katharina Mildner
war wissenschaftliche Assistentin
in der Wiener Medienpädagogik
am Institut für
Bildungswissenschaft.
Medienkompetenz ist ein wichtiger
Aspekt für die Teilnahme an der
Wissensgesellschaft.
Ein allgemeines Merkmal pädagogischer Handlungen ist, dass die Erzogenen selbst zu Erziehenden
werden können. Kinder können zu Eltern werden,
Schülerinnen und Schüler können sich für das
Lehramt als Beruf entscheiden und Lehrlinge können zu Meistern werden, die dann selbst wieder
Lehrlinge ausbilden. Wenn die Erzogenen selbst
zu Erziehenden werden, ist es nicht möglich, dass
Kinder, Schüler/innen und Lehrlinge einfach genau
das nachmachen, was die Erziehenden vormachen. Die Erzogenen müssen selbst Verantwortung
übernehmen, ihr Leben gestalten – und auch ihre
pädagogischen Handlungen. Das macht es für die
Erziehenden nötig, die mögliche zukünftige Übernahme pädagogischer Verantwortung durch die
Erzogenen in pädagogischen Prozessen zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung der Zukunft der
Erzogenen als Erziehende ist insofern eine notwendige Bedingung für pädagogische Qualität.
Eine Vermutung ist, dass die pädagogische Qualität durch partizipative Methoden, mit denen die
Lernenden an der Gestaltung von Forschungs- und
Unterrichtsmethoden beteiligt werden, gesteigert
werden kann. Wenn Schülerinnen und Schüler an
der Gestaltung der Methoden beteiligt werden, wird
ihnen nicht einfach eine erwachsene Vorstellung
von Qualität vor- und eingeschrieben, sondern der
Prozess der Definition, Gestaltung und Messung
qualitativ hochwertiger Prozesse unter Beteiligung
der Erzogenen durchgeführt – und gerade dadurch
eine hohe pädagogische Qualität überhaupt erst ermöglicht.
© CC: BY-NC-SA
Das Projekt »InMeLi« und der mediale Habitus
Im Sparkling Science-Projekt »InMeLi« (http://
podcampus.phwien.ac.at/inmeli/) ging es um die
Entwicklung eines Instruments zur Erhebung und
Reflexion der Medienkompetenz und des medialen Habitus in Schulen. Medienkompetenz wird in
InMeLi als wichtige Kompetenz für die Teilnahme
von souveränen Bürgerinnen und Bürgern an demokratischen Wissensgesellschaften, in denen Kultur, Politik und Ökonomie in hohem Maße durch
mediale Kommunikation bestimmt sind, verstanden. Mit dem Medienkompetenzbegriff wird sowohl die Fähigkeit zum Nachdenken über Medien
als auch die Fähigkeit zum Gebrauch von Medien
angesprochen. Menschen als Entscheidungsimpulse setzende Akteurinnen und Akteure rücken dabei
in den Mittelpunkt.
Der mediale Habitus ist als Teil des Gesamthabitus relevant für die Lebenschancen junger
Menschen. Der Habitus bezeichnet relativ stabile
Einstellungen und Überzeugungen, die in der Kindheit und Jugend erworben werden. Der Habitus
kommt im Geschmack zum Ausdruck. Durch einen
passenden Geschmack kann die Zugehörigkeit zu
sozialen Gruppen demonstriert werden. Wenn das
nicht gelingt, werden Menschen aus sozialen Gruppen ausgeschlossen. Insbesondere Menschen aus
sozial benachteiligten Klassen werden auf diesem
Weg von vielen gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Den eigenen medialen Habitus zu kennen und damit umgehen zu
können, kann daher einen wichtigen Beitrag zur
Verbesserung der eigenen gesellschaftlichen Chancen leisten.
Vermittlung und Reflexion:
Der Medienkompetenztest
Um die Vermittlung von Medienkompetenz zu
fördern und die Reflexion des medialen Habitus
anzuregen, wurde in InMeLi ein Instrument entwickelt, mit dem gemessen werden kann, ob Medienkompetenz erfolgreich vermittelt wurde (http://
www.lerndorf.at/medienkompetenz/). Erarbeitet
wurde das Instrument von den beteiligten Schülerinnen und Schülern. Die Jugendlichen haben
33
© CC: BY-NC-SA
OeAD macht Schule
Die Kompetenz, mit mobilen Endgeräten umgehen zu können, wird
immer wichtiger.
Ergebnisse
Diese umfangreichen Daten wurden vom wissenschaftlichen Team mit jeweils geeigneten Methoden ausgewertet. Dabei konnte gezeigt werden,
dass es im Sinne partizipativer Methoden zu Aushandlungsprozessen in Richtung eines demokratisierenden Machtausgleichs gekommen ist. Das
stützt die Vermutung, dass die im Projekt gestalteten Bildungsprozesse eine angemessene Qualität
aufweisen.
Es konnte auch gezeigt werden, dass es den
Schülerinnen und Schülern nicht nur gelungen ist,
die hohe Medienkompetenz ihrer Kolleginnen und
Kollegen zu messen, sondern auch auf besondere
Probleme bei der Messung der Medienkompetenz
aufmerksam zu machen. Ein Problem besteht
darin, dass die Inhalte, um die es bei der Medienkompetenzvermittlung geht, sehr dynamisch sind.
Inhalte, die vor zehn Jahren aktuell waren, sind
heute irrelevant – und so werden Inhalte, die heute
aktuell sind, in zehn Jahren wohl irrelevant sein. Ein
einfaches Beispiel dafür sind tragbare Kassettenrecorder, die die Jugendlichen allenfalls aus älteren
Fernsehserien, aber nicht aus dem eigenen Alltag
kennen. Die Definition von Bildungsstandards, die
Entwicklung entsprechender Tests und die Durchführung von Messungen sind aber ein relativ langwieriger Prozess, der den Effekt hat, dass die Inhalte
im Medienbereich zum Zeitpunkt der Messung oft
nicht mehr relevant sind.
Es ist also nicht sinnvoll, die Qualität der Medienkompetenzvermittlung durch Messungen, die
auf Bildungsstandards basieren, zu überprüfen.
Sinnvoller ist eine qualitative Gestaltung pädagogischer Prozesse, in der der Mensch als Entscheidungsimpulse setzender Akteur, der realistische
Utopien entwerfen und seine Zukunft gestalten
kann, in den Mittelpunkt rückt.
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licenses/by-sa/3.0/at/ or send a letter to Creative
Commons, 171 Second Street, Suite 300, San
Francisco, California 94105, USA.
Hohe Qualität im
Bildungssystem bedarf
der Beteiligung von
Schülerinnen und
Schülern.
Mit Collagen können Schülerinnen
und Schüler ihren Medienalltag
reflektieren.
© CC: BY-NC-SA
sich zuerst mit der eignen Medienkompetenz und
dem eigenen medialen Habitus im Rahmen einer
Unterrichtsreihe beschäftigt. Durch den Austausch
untereinander, die Arbeit mit den Lehrpersonen,
die Diskussion mit den Medienpädagoginnen und
-pädagogen und die Auseinandersetzung mit den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben
die Schülerinnen und Schüler ihre Vorstellungen
von Medienkompetenz weiter entwickelt und den
eigenen medialen Habitus reflektiert.
Ausgehend von ihrem Begriffsverständnis haben sie gemeinsam mit den Erwachsenen Items
für einen Medienkompetenztest gestaltet, einen
Pretest durchgeführt und anschließend mit dem
Instrument die Medienkompetenz von Gleichaltrigen erhoben. Dadurch haben die Schülerinnen und
Schüler nicht nur ihre Medienkompetenz erweitert
und ihren medialen Habitus reflektiert, sondern
auch über die Messung der Qualität in Bildungsprozessen nachgedacht.
Während der Entwicklungs- und der Reflexionsphase des Tests sind vielfältige Daten entstanden: Collagen, Videos und Podcasts am Anfang
des Projekts, im weiteren Projektverlauf die Items
des Instruments sowie Protokolle der gemeinsam
durchgeführten Workshops.
34
Ernst Gesslbauer
Erasmus+ inside
Kommentar zu den europäischen Programmen
© OeAD | Gianmaria Gava
Wer in einem anderen Land studieren oder arbeiten möchte, stößt
schnell an die Grenzen der grenzüberschreitenden Bildungslandschaft: Bildungsabschlüsse werden
im Ausland oft nicht verstanden,
Studien nicht angerechnet. Der
Europäischen Kommission sind die
europaweite Mobilität und deren
mittel- und langfristige Wirkung
ein großes Anliegen. Sie hat Instrumente entwickelt, um Mobilitätswillige bei Transparenz und
Anerkennung von Kenntnissen,
Fertigkeiten und Kompetenzen zu
unterstützen.
Zentrale Aspekte bilden die
Eingliederung der Auslandsaufenthalte in Lehrpläne, Curricula und Ausbildungspläne sowie die
Wirkung der erworbenen Lernerfahrungen auf die
individuellen Bildungs- und Berufskarrieren. In mittlerweile mehr als 20 Programmjahren entwickelte
die Bildungsmobilität auf europäischer Ebene eine
Reihe von Möglichkeiten der Anrechnung und Aner-
kennung von Auslandsaufenthalten. Über den Europass lassen sich Lernerfahrungen abbilden, das europäische Leistungspunktesystem (Credit Transfer and
Accumulation System, kurz ECTS) für Hochschulen
erlaubt Anrechnung und Anerkennung. Der Nationale Qualifikationsrahmen (NQR, in Anlehnung an
den Europäischen Qualifikationsrahmen, EQR) soll
Bildungsabschlüsse europaweit verständlich machen. ECVET als weiteres europäisches Transparenzinstrument hilft dabei, Qualifikationen der beruflichen Aus- und Weiterbildung vergleichbarer zu
machen und die Anerkennung des im Ausland
Gelernten zu erleichtern.
Bedeutsam für das Beschreiten geeigneter Bildungspfade sind Information, Beratung und Orientierung für Lernende. Erasmus+ unterstützt das
Euroguidance-Netzwerk, welches Menschen und
Organisationen zusammenführt, die sich in Lernund Berufsberatung engagieren. Mit all diesen Maßnahmen hat die Europäische Kommission ein gutes
Paket geschnürt, damit die Auslandsreisenden nicht
nur persönlich, sondern auch am Bildungs- und
Arbeitsmarkt von ihren Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren.
Erasmus+
Erwachsenenbildung
]
Die Kompetenzen und (Berufs-)Erfahrungen von
Menschen mit Migrationshintergrund, geringer
Schulbildung oder anderen Benachteiligungen
werden am Arbeitsmarkt oft nicht entsprechend
anerkannt. Dies gilt sowohl für Gelerntes, das in
informellen bzw. nicht-formellen Kontexten erworben wurde, als auch für aus anderen Ländern
mitgebrachte formelle Qualifikationen. Das Projekt
Synergies (Linking the Competences and Validation Related Needs of Disadvantaged Learners in
Adult Education with the European and National
Qualifications Frameworks) identifiziert Beispiele
guter Praxis und erarbeitet Empfehlungen, die auf
die länderspezifischen Situationen eingehen.
Wesentliches Ergebnis des bis 2018 laufenden
Projekts ist die Erstellung von Trainingsmaterialien
© OeAD | Gianmaria Gava
Kompetenzen sichtbar machen mit Synergies
für Erwachsenenbildner/innen, die Erwachsene mit
Benachteiligungen in der Anerkennung ihrer Kompetenzen unterstützen. Das Projekt wird geleitet
von Unit – Verein für Kultur an der Karl-FranzensUniversität Graz. Beteiligte Länder: Spanien, Italien, Deutschland. http://synergies.online/
35
Europäische Programme
Schulentwicklungsplan »Heustadelgasse 2020«
Das Ziel eines Schulentwicklungsplans der AHS
Heustadelgasse ist, den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden und Schüler/innen bestmöglich zu
fördern und zu unterstützen, um sie auf ein erfolgreiches Leben als »europäische Bürger/innen« vorzubereiten. Der Schulentwicklungsplan fokussiert
auf die Bereiche Kommunikation, Raumstrukturen,
Lehr- und Lernkultur, Gesundheit und Umwelt, Sozialkompetenzen und Internationalisierung. Konkrete Maßnahmen dieses Plans sind beispielsweise
das Öffnen der 50-minütigen Unterrichtseinheiten
und das Aufbrechen traditioneller Lern-Settings.
Dieser Prozess der Veränderung des Lern-,
Lehr- und Schulalltags braucht Zeit und kann nur
in kleinen Schritten erfolgen, um das Ziel nachhaltig umzusetzen. Dafür bedarf es unter anderem
Fortbildungen von Lehrer/innen, in den für den
Schulentwicklungsplan relevanten Bereichen wie
z. B. Vermittlung von Sozialkompetenz und Teamfähigkeit, Förderung von Kreativität und Selbstständigkeit, Vermittlung von IKT-Fertigkeiten,
sinnvoller Einsatz von Web-2.0-Tools oder Mobile
Learning.
Im Rahmen dieses zweijährigen Projekts sind
insgesamt 19 Mobilitäten vorgesehen. Die Teilnehmer/innen werden an Fortbildungskursen in
Irland, Großbritannien, Spanien, Frankreich und
Belgien in den oben genannten Bereichen teilnehmen. Darüber hinaus sind Hospitationen geplant, um andere Schulsysteme und Schul-Settings
kennenzulernen und vom Know-how der Kolleg/innen an den Partnerschulen zu profitieren.
[
Erasmus+
Schulbildung
ECVET goes Business – From Push to Pull
Im Rahmen des Projekts »ECVET goes Business«
wird ein Handbuch für Personalentwicklung und
-förderung erstellt, das ECVET (das Europäische
Leistungspunktesystem für die Berufsbildung)
bzw. europäische Transparenzinstrumente in
herkömmliche Personalentwicklungsprozesse in
Unternehmen einbettet. Materialien und Informationen sollen in einer Sprache und einem Format
angeboten werden, die für Personalmanager, Betriebsräte, Unternehmer und Vorarbeiter verwendbar sind.
Dabei sollen die Meinungen und Bedürfnisse von
Unternehmen in die Diskussion über die Implementierung von ECVET einfließen. Zusätzlich wird
ein kurzer Trainingslehrgang zur Integration von
ECVET und europäischen Transparenzinstrumenten im unternehmerischen Alltag angeboten.
Abschlusskonferenz und Ergebnispräsentation
sind für Herbst 2017 in Österreich geplant. Umgesetzt wird das Projektvorhaben mit einem Konsortium von acht Partnern aus Österreich, Spanien, Irland, Slowenien, Ungarn, Italien und Deutschland.
[
Erasmus+
Berufsbildung
Internal Quality Management: Evaluating and
Improving Competence-Based Higher Education
Das Projektkonsortium »Internal Quality Management« für die Evaluierung und Verbesserung kompetenzbasierter Hochschulbildung erarbeitet ein
internes Qualitätsmanagement-Toolkit für Hochschuleinrichtungen, die kompetenzbasierte Curricula implementiert haben. Kompetenzbasierte
Lehre ist im europäischen Hochschulbereich von
steigender Bedeutung. Bisherige Evaluierungsinstrumente berücksichtigen aber vordergründig
individuelle Studierendenkompetenzen oder spezifische Elemente im Lehrprozess.
Ziel dieser Erasmus+ geförderten Strategischen
Partnerschaft ist daher ein umfassenderes, internes
Qualitätsmanagementsystem, das einen essenziellen Beitrag zu einer nachhaltigen Verbesserung
und Förderung von kompetenzbasierter Lehre
leisten kann. Dazu gehören auch die Berücksichtigung von grundlegenden und transversalen Skills
oder die Transparenz-und Anerkennungstools der
Europäischen Union.
Das im Rahmen des Projekts erstellte Internal
Quality Management Toolkit richtet sich vordergründig an Hochschuleinrichtungen, die kompetenzbasierte Curricula implementiert haben, weil
deren Zahl laufend steigt. Es bietet insbesondere
Orientierung für das interne Qualitätsmanagement von Hochschuleinrichtungen, das von internen Evaluator/innen oder Qualitätsmanager/innen
betreut wird.
Am Projekt sind zehn Einrichtungen aus den
sechs Ländern Österreich, Deutschland, Litauen,
Rumänien, Belgien und Slowenien beteiligt.
[
Erasmus+
Hochschulbereich
36
Eva Baloch-Kaloianov
»Guidance works!«
Guidance als qualitätsvolle Bildungs- und Berufsberatung trägt
unter anderem dazu bei, frühen Schulabbruch zu verhindern.
© alle Fotos auf Doppelseite: OeAD | APA-Fotoservice | Hörmandinger
Mag. Eva Baloch-Kaloianov
ist Mitarbeiterin der
Nationalagentur Erasmus+ bei
der OeAD-GmbH im
Bereich Euroguidance.
Sieben Prozent der 18- bis 24-Jährigen brechen
in Österreich vorzeitig ihre Ausbildung ab, das
heißt, sie beenden ihren Bildungsweg maximal
mit Pflichtschulabschluss. Was sind die Gründe für vorzeitigen (Aus-)Bildungsabbruch? Was
kann präventiv dagegen getan werden? Die Euroguidance-Fachtagung 2015 zeigte Erkenntnisse
der Forschung und praktische Ansätze zur Reduktion von frühem Schulabbruch auf. Thema war
»Who fails? What works? – Der ›andere Blick‹ auf
Bildungsbenachteiligung und Schulabbruch sowie
Ansätze von Guidance«. Die Fachtagung thematisierte neben den individuellen, familiären und
sozialen vor allem auch die strukturellen Ursachen
von Bildungsbenachteiligung und Schulabbruch.
Die Tagung präsentierte Analysen zu strukturellen
Mechanismen innerhalb des Bildungssystems, die
bestehende Bildungsbenachteiligung nicht kompensieren, sondern häufig perpetuieren, und widmete sich folgenden Fragen: Welche Rolle spielt
eine handlungsfähige Schule in der Verhinderung
von Schulabbruch und welchen Beitrag kann ein
gut entwickeltes Guidance-System zur Verhinderung von frühzeitigem Schulabbruch (Early School
Leaving, ESL) leisten?
Im Eröffnungsvortrag umriss Petra Goran von
der Europäischen Kommission die Ergebnisse
der europäischen Arbeitsgruppe zu frühzeitigem
Schulabbruch. Ziel der bildungspolitischen Empfehlungen ist es, eine Grundlage zur Entwicklung
von nationalen Strategien und Maßnahmen zu
liefern. Ansätze zur Reduktion von frühzeitigem
Schulabbruch müssen auf die gesamte Bildungslaufbahn ausgerichtet sein. Die neuesten Erkennt-
Bild oben: Austausch und Networking waren ein wichtiger
Aspekt bei der Fachtagung »Who Fails? What Works?«
Bild unten: Auf dem »Marktplatz« wurde individuell
informiert, hier vom »Adult Education Centre Radovljica«,
Slowenien.
nisse fokussieren auf einen ganzheitlichen Ansatz
an den Schulstandorten, der an alle Beteiligten gerichtet ist, um rechtzeitig präventive Maßnahmen
bzw. Interventionsmaßnahmen zu ergreifen, die
die Entstehung von Schulabbruch verhindern.
Frühe Selektion in Österreich
Der emeritierte Universitätsprofessor Frank-Olaf
Radtke, Johann Wolfgang Goethe-Universität in
Frankfurt am Main, beleuchtete das Phänomen des
frühzeitigen Schulabbruchs aus einer systemischen
Perspektive. »Institutionelle Diskriminierung«, die
unterschiedliche Behandlung von Schüler/innen,
sei in der Funktionsweise des Schulsystems angelegt. Radtke: »Die Unterscheidungspraxis folgt ungeschriebenen Regeln und Gewohnheiten, die vom
Schulpersonal unabhängig von den individuellen
Absichten und Handlungen perpetuiert werden.
Wenn aber Schüler/innen, denen man aufgrund
ihrer Erstsprache oder sozialen Herkunft weniger
zutraut, den weniger angesehenen Schularten
zugewiesen werden, führt dies zu Schulkompositionseffekten, die wiederum benachteiligend für
einzelne Schüler/innen wirken.« Frühe Selektion –
in Österreich de facto mit 9,5 Jahren – begünstige
diese Schulkompositionseffekte, mit dem Effekt,
dass Schüler/innen mit Migrationshintergrund
oder aus bildungsfernen Schichten sich vor allem
in Ballungsräumen überproportional hoch in weniger Chancen verschaffenden Schularten auffänden.
Die Studienautor/innen Winfried Moser und
Korinna Lindinger vom Institut für Kinderrechte
und Elternbildung untersuchten in der Studie »Lost
in Transition« die makrostrukturellen Faktoren für
frühzeitigen Schulabbruch. Die Studie zeigt, dass
Länder mit einer ausgeprägten organisatorischen
Schulautonomie bei hoher Professionalität der Unterrichtenden und einer funktionierenden Mehrebenen-Kooperation zwischen den relevanten Akteur/innen deutlich niedrigere Schulabbruchsraten
haben. Um Schulabbruch zu verhindern, brauche es
37
Europäische Programme
Bild links: Vortragende und Organisationsteam der Fachtagung »Who Fails? What Works?« am 3. November 2015
Bild rechts: Podiumsdiskussion »Guidance Works!«
handlungsfähige Schulen, die die Herausforderungen an ihrem Standort erkennen, sie konstruktiv
aufgreifen und an der aktiven Gestaltung und Begleitung von Bildungsübergängen mitwirken.
Was kann Bildungsberatung beitragen?
Was ist nun angesichts der dargestellten strukturellen Gegebenheiten der Beitrag von Guidance
(Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf)? Diese Frage stellte Carin Dániel
Ramírez-Schiller, Bereichsleiterin Erasmus+ Erwachsenenbildung und Querschnittsthemen in der
Nationalagentur Erasmus+ Bildung, im Rahmen
der Podiumsdiskussion »Guidance Works!«.
Aus Sicht von Peter Anhäuser, Bundesagentur
für Arbeit, sei in Beratungsprozessen erkennbar,
dass Jugendliche in Hinblick auf Ausbildungs-,
Berufswahl und Berufsreife immer wieder neu
orientiert werden müssen. Mit dem Leonardoda-Vinci-Projekt »PraeLab« wurde ein wichtiger
Schlüssel zur beruflichen Orientierung und Begleitung von Jugendlichen entwickelt. Michaela
Marterer, Geschäftsführerin der Steirischen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft, betonte, dass
Guidance durch Kooperation innerhalb des Schulsystems, aber vor allem auch mit der Wirtschaft
funktioniere, wobei der Schlüssel zum Erfolg die
Zusammenarbeit in der Region sei. Für Ricarda
Motschilnig, Epale Österreich, ist die europäische
Kooperation für Trainer/innen unabdingbar. Epale, die europäische Plattform der Erwachsenenbildung, ermögliche diesen Austausch. Eine wichtige Unterstützung für Projektträger/innen im Bereich Erasmus+ biete die Partnersuchfunktion.
Andrea Fraundorfer, themenverantwortlich
für Jugendcoaching und Schulabbruch im österreichischen Bildungsministerium, beleuchtete am Ende der Veranstaltung die wichtigsten
Diskussionspunkte: »Schulabbruch wird heute
als komplexes Phänomen der kumulativen Entfremdung vom institutionellen Lernen, das
sich bildungsbiografisch meist früh ankündigt,
betrachtet.« Dabei, so Fraundorfer, verschränken sich oft multiple Problemlagen und führen
zu einer Abwärtsspirale in der Bildungslaufbahn,
die schließlich im (Aus-)Bildungsabbruch ende.
Fraundorfer verwies auf die Empfehlungen der
Experten- und Expertinnengruppe auf europäischer Ebene, die davon ausging, dass ein »Whole
School Approach«, der Lernende und ihre Entwicklungs- und Lernbedüfnisse ins Zentrum stellt,
notwendig sei. Hierbei sei die Zusammenarbeit der
psychosozialen Beratungssysteme ein wichtiger
Aspekt, ebenso die Kooperation mit den Eltern auf
Augenhöhe.
Ein wertschätzender Umgang mit den Lernenden, Anerkennung für deren Diversität und
Lernausgangslagen, Kooperationsbereitschaft am
Schulstandort sowie Ressourcen, wie beispielsweise Jugend-Coaching, bilden die zentralen Meilensteine auf dem Weg zu einer Schule, die Schulabbruch weitgehend verhindert.
Rückfragehinweis: [email protected]
Nachlese: www.bildung.erasmusplus.at/
euroguidance-fachtagung-2015
Frühe Selektion wirkt
sich vor allem auf
bildungsferne Schichten
negativ aus.
Bei schönem Herbstwetter führt
Lucie Čížková die Teilnehmer/innen
der Fachtagung »Who Fails? What
Works?« im Garten des Kardinal
König Hauses auf einen »Meta Walk«.
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Alexandra Enzi
Kompetenzdarstellung leicht gemacht
Der Europass als Schnittstelle zwischen Bildungssystem
und Arbeitsmarkt
Mag. Alexandra Enzi
ist seit 2012 als EU Programme
Officer in der Nationalagentur
Erasmus+ der OeAD GmbH tätig.
Sie betreut die Initiative Europass
im Bereich Querschnittsthemen.
Der Europass erleichtert die Kommunikation zwischen Arbeitsuchenden und Arbeitgeber/innen
durch die strukturelle und transparente Darstellung
von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen.
Das Ziel des Europass und seiner fünf Dokumente ist es, die Transparenz von Qualifikationen und
Kompetenzen national und europaweit zu verbessern. Damit soll vor allem die Mobilität von Lernenden und Arbeitnehmer/innen unterstützt und die
Türen zum Arbeitsmarkt in Österreich und Europa
geöffnet werden.
© OeAD | Gianmaria Gava
Europass dokumentiert Abschlüsse
Das bekannteste Dokument – der EuropassLebenslauf – wurde entwickelt, um mit seinem
flexiblen und gut strukturierten Format eine systematische Dokumentation von formalen Abschlüssen, informell erworbenen Kompetenzen und Soft
Skills zu gewährleisten. Dadurch ist es für Arbeitgeber/innen möglich, sich einen schnellen Überblick
zu verschaffen und Bewerbungen rasch zu vergleichen. Als besonderen Anreiz für Arbeitgeber/innen führte Europass Österreich 2015 das CVSelect-Tool ein, das sämtliche Daten von Bewerber/innen aus eingesendeten Europass-Lebensläufen
in ein Excel-File ausliest. Somit ersparen sich vor
allem KMUs, die nur ein paar Mal im Jahr Stellen
ausschreiben, ein teures Software-Programm anzukaufen oder Mitarbeiter/innen für die Eingabe
von Daten freistellen zu müssen.
Für größere Unternehmen mit eigenen Bewerbungssystemen bietet Europass kostenlose technische Unterstützung an, um die Kompatibilität des
jeweiligen Systems mit dem Europass-Lebenslauf
sicherzustellen. Bewerber/innen, die schon einen
Europass-Lebenslauf online erstellt haben, ersparen sich somit eine erneute Eingabe ihrer Daten.
Dies ist vor allem im Hinblick darauf wichtig, weil
sich der Europass-Lebenslauf europaweit immer
größerer Beliebtheit erfreut. Seit seiner Einführung
2005 wurden mehr als 65 Mio. Lebensläufe online
in 27 Sprachen erstellt. Österreich ist dabei in den
letzten Jahren immer unter den Top-15-Ländern
zu finden, so auch 2015 mit 344.167 ausgefüllten
Lebensläufen.
Der europaweite Vergleich von Kenntnissen,
Fähigkeiten und Kompetenzen von Hochschulabsolvent/innen wird durch das Europass Diploma
Supplement erleichtert. Als Pendant dient zur Vergleichbarkeit von berufsbildenden Abschlüssen die
Europass-Zeugniserläuterung. Diese gibt Arbeitgeber/innen auch Auskunft über die zukünftigen
Tätigkeitsfelder, das nationale bzw. internationale
Niveau und den Zugang zur nächsten Ausbildungsstufe der Absolvent/innen. Für Lernaufenthalte
und Praktika in Europa bietet sich der EuropassMobilitätsnachweis als ideales Dokument an, um
Lernfortschritte, Fachkompetenzen, nicht-formal
erworbene Fähigkeiten und absolvierte Kurse und
Lehrveranstaltungen transparent für zukünftige
Bewerbungen darzustellen.
Um junge Menschen bestmöglich auf ihre
Bewerbung und das dazugehörige Interview vorzubereiten, bietet Europass Österreich jedes Jahr
Bewerbungstrainings in englischer Sprache an
Schulen und an den Berufsinformationszentren
des Arbeitsmarktservice an.
Lebensläufe vergleichbar machen
Die besondere Stärke des Europass liegt in seinem
europäischen Charakter, der es ermöglicht, Skills
verständlich und transparent darzustellen und somit als Brückenbauer zwischen dem Bildungssektor und dem Arbeitsmarkt in Österreich und europaweit zu agieren.
Weitere Informationen:
www.europass.at
www.europass.at/cv-select
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Europäische Programme
Carin Dániel Ramírez-Schiller
Qualität in der Erwachsenenbildung
Die Förderung von Qualität ist zentrales Thema der Erwachsenenbildung. Die europäische Plattform für Erwachsenenbildung
»Epale« bietet eine Reihe von Features, um dies zu unterstützen.
© OeAD | Gianmaria Gava
Mit der E-Plattform für Erwachsenenbildung in
Europa (Electronic Platform for Adult Learning in
Europe, Epale) hat die Europäische Kommission
eine Plattform zum internationalen Austausch und
zur Vernetzung, vor allem aber zur Förderung der
Qualität in der Erwachsenenbildung geschaffen.
Die im Herbst 2014 europaweit gelaunchte Plattform bietet eine mehrsprachige, offene Community für Lehr- und Ausbildungspersonal, Forscher/innen, Wissenschaftler/innen, Politiker/innen und
alle, die beruflich mit Erwachsenenbildung in Europa zu tun haben. Mittlerweile findet sich auf der
Epale-Plattform ein breites Spektrum an Informationen, Dokumenten und Beiträgen in hoher
Qualität. Über die Features »Nachrichten, BlogBeiträge, Ressourcenzentrum, europäischer Veranstaltungskalender und Projektpartnersuchfunktion« erhält man rasch Zugang zu Dokumenten zu
verschiedenen Aspekten des Themas Qualität, darunter Validierung nicht-formalen und informellen
Wissens, Anerkennung und Kompetenzen.
Epale stellt Grundsatzdokumente wie beispielsweise die europäischen Leitlinien für die Validierung nicht-formalen und informellen Lernens und
das österreichische Konsultationsdokument zu
Validierung nicht-formalen und informellen Lernens zur Verfügung. Weiters sind kritische Reflexionen und aktuelle Blog-Beiträge, wie jener zur
Validierung von Kompetenzen im Ehrenamt über
den Europäischen Qualifikationsrahmen, auf der
Plattform zu finden.
Für die Themenfelder Anerkennung und Kompetenzen stellt sich die Situation ganz ähnlich dar
– wer in diesen und anderen Fragen zum Thema
Qualität in der Erwachsenenbildung wissen möchte, wie der europäische Diskurs läuft, wo es national und international spannende Veranstaltungen
gibt, aber auch, wer seine inhaltlichen Beiträge
oder Projektergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen möchte, kommt an der
Epale-Plattform nicht vorbei.
Epale auf Facebook: www.facebook.com/epale.at
Epale informiert über aktuelle
Entwicklungen, Trends und nationale
sowie internationale Veranstaltungen
in der Erwachsenenbildung und soll
vor allem zum Austausch beitragen.
Dr. Carin Dániel Ramírez-Schiller
ist Bereichsleiterin Erasmus+
Erwachsenenbildung und
Querschnittsthemen in der
Nationalagentur (OeAD-GmbH).
Sie verantwortet Valorisierung
und bildungssektorenübergreifende thematische Initiativen,
die Ombudsstelle, die Programme
Europass und Euroguidance
und auch die Nationale
Koordinierungsstelle für Epale.
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Ida Karner
Toolkit für Work-based Learning
Die Plattform NetWBL klassifiziert und verbreitet Projektergebnisse, in denen es gelungen ist, durch Praktika und
Ausbildungen den Übergang zur Arbeitswelt zu erleichtern.
© alle Fotos dieser Seite: Ádám Pribil
Mag. Ida Karner
ist Mitarbeiterin der
Nationalagentur Erasmus+ der
OeAD-GmbH. Sie ist im Bereich
Berufsbildung zuständig für
Innovationstransfer.
Das im September 2013 gegründete thematische
Netzwerk »Work-based Learning and Apprenticeships (NetWBL)« aus 29 Nationalagenturen liefert
einen wichtigen Beitrag für die Unterstützung der
Jugendbeschäftigung und der wirtschaftlichen
Wettbewerbsfähigkeit. Das Netzwerk identifiziert,
klassifiziert und verbreitet Projektergebnisse aus
den Programmen Lebenslanges Lernen und Erasmus+ und ist Teil der europäischen Ausbildungsallianz, die zeigt, wie Politik und Programme
einander gegenseitig verstärken und wie Projektergebnisse effektiv bildungspolitische Prozesse unterstützen können.
Das Kernprodukt des Netzwerks NetWBL ist
das Work-based Learning Toolkit: In der Webplattform werden umfangreiche Materialien zum
Thema Work-based Learning aus dem Programm
für lebenslanges Lernen und Erasmus+ sichtbar
gemacht. Die Beispiele guter Praxis können von
Politik, Sozialpartnerschaft, Hochschulen und Akteur/innen im Bereich der Berufsbildung sofort genutzt werden.
Das WBL-Toolkit besteht aus drei Kernelementen: der Einführung in WBL, den Werkzeugen und
den Ressourcen. Im einführenden Kapitel werden die Ziele und Prinzipien arbeitsweltbasierten
Lernens erläutert: Es enthält Definitionen und
beschreibt die Vorteile, die Hindernisse und den Umsetzungsstand von WBL in Europa. Das Kernstück,
die Datenbank der Instrumente, bietet Werkzeuge, Modelle, Methoden und Beispiele für WBL und
adressiert acht Kernthemen: Regierungs- und Verwaltungssysteme, Partnerschaft, Durchführung
von WBL, Information und Beratung, Entwicklung
»Regional Conference Thematic Network Work-based
Learning« in Budapest:
Bild oben: Catherine Danielopol-Hofer (Bildungsministerium) begrüßt die Teilnehmer/innen der regionalen netWBLKonferenz.
Bild Mitte: Bernd Castellaz vom OeAD präsentiert das
NetWBL-Toolkit.
Bild unten: Plakat vom Workshop
von WBL, Aufbau von Kapazitäten bei Lehrenden
und Ausbildenden, Evaluierung und Qualitätssicherung sowie Bewertung und Anerkennung.
Eine Sammlung zusätzlicher Ressourcen rundet das
Angebot ab: eine Bibliografie mit rund 250 elektronisch verfügbaren Publikationen in mehreren
Sprachen, eine Sammlung von Fallbeispielen zur
Implementierung von WBL, ein Glossar relevanter
Fachbegriffe sowie die Liste der Projekte, welche
die Werkzeuge und Produkte geliefert haben.
Als Kernpartner hat die österreichische Nationalagentur gemeinsam mit den Nationalagenturen aus Ungarn und Rumänien eine von neun
geplanten regionalen Konferenzen in Budapest
durchgeführt, um den Erfahrungsaustausch zum
arbeitsplatzbezogenen Lernen zu fördern. Im Rahmen von insgesamt drei europäischen Monitoringkonferenzen (Brüssel, Vilnius, Berlin) sollen Projekte im Hinblick auf Bedarfe und Lücken diskutiert
und analysiert werden.
Mögliche Zukunftsfelder und offene Herausforderungen werden dabei identifiziert, sodass
diese im Programm Erasmus+ als Prioritäten aufgegriffen werden. Drei essenzielle Empfehlungen
wurden bereits genannt: Es bedarf erstens der
Entwicklung europaweit gemeinsamer Standards
in der Aus- und Weiterbildung in Bezug auf WBL.
Zweitens wurde die Notwendigkeit von mehr
Wissensmanagement zu Ausbildungsmöglichkeiten in der Berufsbildung, zu Berufsprofilen sowie
zu nationalen Bildungs- und Berufsberatungsaktivitäten festgestellt. Und drittens bedarf es einer stärkeren Beteiligung insbesondere von KMUs
an der Entwicklung von WBL-Elementen, um die
Schnittstelle zwischen Bildungs- und Arbeitswelt
zu verbessern. Die dritte und letzte europäische
Monitoringkonferenz findet vom 28. bis 29. Juni
2016 in Berlin statt.
Weitere Informationen:
www.net-wbl.eu | www.wbl-toolkit.eu
www.adam-europe.eu/adam/thematicgroups/NetWBL
https://twitter.com/hashtag/wbltookit
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Europäische Programme
Carin Dániel Ramírez-Schiller
New Skills – Old Skills?
© OeAD | Eva Müllner
Stete Veränderung und Wandel sind in den letzten Jahren zu
einem Charakteristikum des europäischen Arbeitsmarkts
geworden und werden es bleiben.
In der 2020-Strategie setzte sich die EU das Ziel,
bis zum Jahr 2020 in der Altersgruppe der 20- bis
64-jährigen Frauen und Männer eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent zu erzielen. Es bedarf
eines Bündels an Maßnahmen, um dieses Ziel zu
erreichen, darunter arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur stärkeren Einbindung von Migrant/innen oder älteren Arbeitnehmer/innen, aber auch
Maßnahmen zur Schaffung neuer, hochqualifizierter Arbeitsplätze; ganz besonders wichtig sind
darüber hinaus Maßnahmen, die Individuen dabei
unterstützen, jene Kompetenzen zu erwerben, die
am Arbeitsmarkt nachgefragt werden und so die
Beschäftigungsfähigkeit sichern.
Studien und Trendanalysen (von OECD,
CEDEFOP etc.) befassen sich mit Themen wie
»Skills Mismatch« und Antizipierung des künftigen
Kompetenzbedarfs. Dabei zeigt sich immer wieder,
dass es sich bei zentralen »New Skills« häufig um
gar nicht so neue, aber zunehmend wichtiger werdende transversale Kompetenzen handelt: aufbauend auf den Basiskompetenzen (deren Stärkung
auch im Erwachsenenalter zunehmend wichtig
wird) sind dies vor allem unternehmerische Kompetenz, digitale Kompetenz, Medien- und Kommunikationskompetenz, Sprachenkompetenz oder
interkulturelle Kompetenz.
Wenn Wirtschaft und Gesellschaft im Wandel
sind, sind auch Individuen gefragt, flexibel zu sein,
sich ständig ändernden Rahmenbedingungen und
Anforderungen anzupassen. Bildungs- und Weiterbildungssysteme, die im Dialog mit der Arbeitswelt
stehen, können einen wesentlichen Beitrag dazu
leisten, dass Individuen mit den nötigen transversalen Kompetenzen ausgestattet sind und darüber
hinaus auch jene Spezialkompetenzen erwerben,
die gebraucht werden.
Fachtagung zu interkultureller Kompetenz
Kooperation zwischen Bildung und Arbeitswelt ist
entscheidend für die Förderung zeitgemäßer Kompetenzen. Die Nationalagentur Erasmus+ (OeADGmbH) bietet seit 2012 mit ihren jährlichen NewSkills-Fachtagungen eine Vernetzungsplattform
für Bildungsinstitutionen, Unternehmen, politische Entscheidungsträger, Sozialpartner und sonstige Stakeholder. Als Thema steht jedes Jahr eine
andere transversale Kompetenz im Mittelpunkt,
2016 wird es aufgrund der aktuellen Entwicklungen die interkulturelle Kompetenz sein.
Die Präsentation von Good-Practice-Projekten
aus dem europäischen Bildungsprogramm ermöglicht es den Projektträgern, ihre Ergebnisse
weiterzuverbreiten und – im Idealfall – in der Folge in größerem Rahmen in die Praxis umzusetzen.
Unternehmen und politische Entscheidungsträger
wiederum erfahren, was sich auf der Umsetzungsebene bewährt hat, können die Ergebnisse nutzen
oder sich für eigene Vorhaben inspirieren lassen.
Dr. Carin Dániel Ramírez-Schiller
ist Bereichsleiterin Erasmus+
Erwachsenenbildung und
Querschnittsthemen in der
Nationalagentur (OeAD-GmbH).
Sie verantwortet Valorisierung und
bildungssektorenübergreifende
thematische Initiativen, die
Ombudsstelle, die Programme
Europass und Euroguidance
und auch die Nationale
Koordinierungsstelle für Epale.
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Frédéric Bayersburg
Qualitätssteigerung durch
Lernergebnisorientierung
ECVET-Kontaktstelle und nationales ECVET-Expert/innenTeam bieten Unterstützung bei Erasmus+ Mobilitätsprojekten.
Mag. Frédéric Bayersburg
arbeitet im Berufsbildungsbereich
der Nationalagentur Erasmus+
(OeAD-GmbH). Seit 2012 betreut
er die ECVET-Kontaktstelle.
© OeAD | Gianmaria Gava
Dr. Franz Heffeter
ist Direktor der Tourismusschulen
Salzburg Klessheim und
ECVET-Experte.
Durch die Anwendung von ECVET-gerechten
Lernergebnisbeschreibungen kann die Qualität
von Mobilitätsprojekten der beruflichen Bildung
gesteigert werden. ECVET bietet berufsbildenden
Schulen und Lehrbetrieben »Werkzeuge«, die die
Planung und Durchführung von Mobilität und die
Anerkennung des Gelernten erleichtern soll. Mit
ECVET soll sich die Ausbildung im Ausland nahtlos in die Ausbildung im Inland einfügen. Mittels
strukturierter Beschreibung von Qualifikationen
in Einheiten von Lernergebnissen eröffnet ECVET auch Möglichkeiten für erleichterte vertikale
Durchlässigkeit in nationalen Bildungssystemen.
Die Nationalagentur Erasmus+ hat mit der
Errichtung der ECVET-Kontaktstelle Service- und
Beratungsstrukturen geschaffen, um Projektträger und Antragsteller zu unterstützen. Die Zahl
der Erasmus+ Projekte, die ECVET-Elemente verwenden, ist seitdem stark gestiegen. Die ECVETKontaktstelle fungiert als Anlaufstelle für Erstinformationen, organisiert Seminare in ganz Österreich
und koordiniert in enger Abstimmung mit der Sektion II des Bildungsministeriums die Aktivitäten der
neun nationalen ECVET-Expert/innen. Beratungen
durch ECVET-Expert/innen können kostenfrei in
Anspruch genommen werden. Wir haben mit Franz
Heffeter, Tourismusschulen Salzburg Klessheim,
über seine Tätigkeit als ECVET-Experte gesprochen:
Das europäische Transparenzinstrument ECVET (European Credit System for
Vocational Education and Training) ist ein System zur Anrechnung und Übertragung
von Qualifikationen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Es zielt darauf ab,
Transparenz, Mobilität und Durchlässigkeit über Ländergrenzen hinweg sowie
zwischen den Bildungsbereichen zu fördern.
ECVET-Kontaktstelle: T 01 534 08-664 | E [email protected]
Weitere Informationen: www.bildung.erasmusplus.at/ecvet
www.ecvet-info.at | www.ecvet-toolkit.eu
oead.news: Welche Entwicklungen in Bezug auf die
Implementierung von ECVET sind seit der Schaffung
der Kontaktstelle und des Teams der Expert/innen zu
beobachten?
Franz Heffeter: Als die Kontaktstelle und das Team
eingerichtet wurden, gab es zwar Mobilitätsprojekte, aber die Vernetzung mit Bildungsprogrammen
und die Einbindung in den Kompetenzerwerb war
auf weiten Strecken nicht bewusst. Dies hat sich
gewandelt. Ein Gutteil der Mobilitätsprojekte verwendet mittlerweile ECVET-Tools zur Evaluierung
des Erfolgs.
oead.news: Worin sehen Sie Ihre wichtigste Aufgabe
als nationaler ECVET-Experte?
Franz Heffeter: Anfangs war es wichtig, aufzuklären, was ECVET ist und wie man es einsetzen kann.
Mittlerweile ist es die konkrete Beratung und Unterstützung bei der Einbindung von ECVET in Projekte. Für die Zukunft sehe ich eine große Chance,
ECVET im Zusammenhang mit dem Nationalen
Qualifikationsrahmen zu nützen.
oead.news: Wie kann man den Mehrwert von ECVET in
wenigen Worten beschreiben?
Franz Heffeter: ECVET hilft uns, zu definieren,
warum und wozu jemand etwas lernt. ECVET ist
das Mittel, Kompetenzen und Fähigkeiten messbar zu machen, auch wenn sie nicht im formalen,
sondern in non-formaler und informeller Bildung
erworben wurden. Da Berufskarrieren heute nicht
mehr geradlinig verlaufen und Flexibilität heute
ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, wird ECVET zur
Beschreibung von Qualifikationen ein unverzichtbares Mittel werden. Für Schulen ist ECVET das
Mittel, um Kompetenzen zu definieren und Mobilitäten als außerschulischen Kompetenzerwerb
besser messbar und damit in den Regelunterricht
einbindbar zu machen.
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Europäische Programme
Ursula Panuschka
Europatag = eTwinning-Tag
Mit eTwinning in den Fußstapfen
von Marie Curie
Wie verhalten sich »Rosinenfische« im Mineralwasser? Schwimmen sie oder gehen sie unter?
Über Videokonferenzen tauschten die jungen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre
© OeAD | eTwinning
Experimente mit »Kolleginnen« und »Kollegen«
aus 25 anderen europäischen Staaten aus und lernten dabei über naturwissenschaftliche Erkenntnisse andere Sprachen, Kulturen und Menschen
kennen. Die Kinder der 3a-Klasse der Volksschule
Oberwart strahlten vor Freude – sie und ihre Klassenlehrerin Marlene Ruiter-Gangol gewannen den
europäischen eTwinning-Preis 2016 für das Projekt
»Young Scientists« in der Sonderkategorie für Projekte mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt,
dem Marie-Sklodowska-Curie-Preis.
Panuschka, die den Bereich Erasmus+ Schulbildung/eTwinning in der Nationalagentur im OeAD
leitet, und Pflichtschulinspektor Alfred Lehner vom
Landesschulrat für Burgenland übergaben jedem
Kind eine persönliche Urkunde. Auch Bürgermeister und Landtagsabgeordneter Georg Rosner und
Landtagsabgeordnete Doris Prohaska freuten sich
mit den Schüler/innen, der Direktorin Roswitha
Imre und Marlene Ruiter-Gangol, der Klassenlehrerin. Für die Schüler/innen gab es zudem ein eigens
gestaltetes T-Shirt und eine eTwinning-Siegertorte. »Insgesamt arbeiteten Schulen aus mehr als 20
Ländern an diesem Projekt mit und diese Auszeichnung ist für uns natürlich etwas ganz Besonderes«, so die Klassenlehrerin stellvertretend für alle
Beteiligten.
Die »Rosinenfische« schwimmen übrigens solange, bis das Luftbläschen, das ihnen anhaftet,
platzt – dann werden sie schwerer und sinken zu
Boden.
Weitere Informationen: www.etwinning.at
© Volksschule Oberwart
Am 9. Mai wurde in ganz Europa der europäische
eTwinning-Tag gefeiert. Das Motto der diesjährigen Kampagne lautete »Vielfalt feiern«. Das
eTwinning-Team feierte mit der Volksschule
Wichtelgasse in Wien. 100 Luftballons in den
eTwinning-Farben gelb und blau bildeten den Höhepunkt der Feierstunde im Schulhof der Volksschule Wichtelgasse in Wien. »Wir fordern und fördern unsere Schülerinnen und Schüler nach ihren
individuellen Begabungen und Fähigkeiten« ist
einer der Leitsätze der Schule.
Ursula Panuschka, eTwinning-Österreich, betonte, dass die Volksschule Wichtelgasse für den
europäischen eTwinning-Tag nicht zufällig ausgewählt wurde. Grund war die Prämierung des Projekts »Mathletics« zum österreichischen eTwinning-Projekt des Jahrzehnts im Dezember 2015.
Weiters betonte Panuschka die Wichtigkeit des Abbaus von Vorurteilen durch internationale Projekte: »Toleranz und Abbau von Vorurteilen beginnt
schon im Schulalter.«
Achim Braun von der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich begeisterte die
Schüler/innen während der Veranstaltung mit einem Länderquiz, bei dem nicht zuletzt durch die
vielen unterschiedlichen kulturellen Wurzeln der
Schüler/innen zahlreiche Fragen richtig beantwortet werden konnten. Die Bedeutung von eTwinning für die Schule hob Eva Mader, die Direktorin
der Schule, hervor. Lebendig und sehr eindrucksvoll
abgerundet wurde die Veranstaltung mit Sketches
und Liedern der Schüler/innen.
© OeAD | eTwinning
Grenzüberschreitende Projekte für Kindergärten und Schulen
wurden am eTwinning-Tag präsentiert. Ausszeichnungen gab
es für die Volksschulen Wichtelgasse und Oberwart.
Bild oben:
Luftballonstart im Schulhof der
Volksschule Wichtelgasse.
Bild Mitte:
Die Schüler/innen der Volksschule
Wichtelgasse beim Festakt
Bild unten:
Die jungen Wissenschaftler/innen
der Volksschule Oberwart mit
Ehrengästen
44
Cathrine Seidelberger
Innovative Projekte, nachhaltige
Wirkung
Die zweite nationale Erasmus+ Jahrestagung setzte sich mit
Nachhaltigkeit, Verbreitung und Wirkung von Erasmus+
Projekten auseinander.
1
3
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4
EU-geförderte Projekte im Bildungs- und Jugendbereich erzielen
laufend gute Ergebnisse. Wie diese Ergebnisse auf breiter Ebene wirken und welche Beispiele guter Praxis es bereits gibt, war Thema der
Erasmus+ Jahrestagung am 10. Mai im Europahaus in Wien. Die Veranstaltung wurde von den Nationalagenturen für Erasmus+ Bildung
und Erasmus+ Jugend organisiert.
In ihrer Keynote zeigte Astrid Brey (Europäische Kommission)
Strategien für die Verbreitung und Nutzung der Programmergebnisse
auf europäischer Ebene auf. Peter Schlögl vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung referierte anschließend zum Thema
»Wirklich wirksam? Von Ursachen, Absichten, Zielen und Erfolgen«.
Ein wichtiger Output der Veranstaltung war es, Empfehlungen für
eine bessere Nachhaltigkeit von Erasmus+ Projekten zu formulieren
und Feedback an die Europäische Kommission zu übermitteln. Die
140 Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiteten an diesen Empfehlungen mit.
Info: www.bildung.erasmusplus.at/jahrestagung2016
Bild 1:
Die Keynote hielt Mag. Astrid Brey, stellvertretende Leiterin
der Abteilung Verbreitung und Valorisierung von
Programmen, Generaldirektion Bildung und Kultur,
Europäische Kommission.
© alle Fotos dieser Seite: OeAD | APA-Fotoservice | Schedl
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Bild 2:
Mag. Dr. Peter Schlögl, Geschäftsführer Österreichisches
Institut für Berufsbildungsforschung
Bild 3:
Gesprächskreis zum Thema »Disseminierung, Marketing,
Wirkung und Nachhaltigkeit«
Bild 4:
Die Veranstaltung bot die Möglichkeit zum Meinungsaustausch.
Bild 5:
Mag. Gerhard Moßhammer (Interkulturelles Zentrum),
Mag. Astrid Brey (Europäische Kommission),
Dr. Gerhard Bisovsky (Verband Österreichischer
Volkshochschulen), Dr. Carin Dániel Ramírez-Schiller
(OeAD-GmbH), Mag. Maria Pichlbauer (LSR Steiermark),
MMag. Dr. Sandra Allmayer, MA (FH Technikum Wien)
und DI Dr. Helmut Fennes (Universität Innsbruck)
diskutierten am Podium.
45
Europäische Programme
Tobias Schneider
»internationalisation@home«
Die Jahrestagung Erasmus+ Hochschulbildung 2016 stand im
Zeichen der Integration internationaler und interkultureller
Dimensionen in die Hochschule.
1
Auf welche Weise lässt sich Internationalisierung
auch jenseits von Mobilität umsetzen? Welche
Möglichkeiten können genutzt und welche Aspekte müssen fokussiert werden? Wer sind die Personen, die in den Prozess der »Internationalisation at
Home« involviert sein müssen? Insgesamt tauschten sich über 140 Teilnehmer/innen aus ganz
Österreich am 11. Mai 2016 beim größten jährlichen Stakeholder-Event für den Hochschulteil des
Programms Erasmus+ zu diesen Fragen aus.
Der Keynote-Beitrag von Eva Werner (IMC FH
Krems) und Elisabeth Brunner-Sobanski (FH des
bfi Wien) unterstrich, dass Internationalisation at
Home stets als gesamtheitliches Konzept unter
Einbindung möglichst vieler Akteure einer Institution gesehen werden müsse. Adressiert werden
müssten in diesem Kontext ebenso der formale,
den Curriculum betreffenden Bereich, wie auch informellere Faktoren wie Aktivitäten der interkulturellen Interaktion.
Unterschiedliche Repräsentant/innen des österreichischen Hochschulraums illustrierten im
Anschluss anhand von Fallbeispielen die konkreten
Darstellungsformen des Schwerpunktthemas der
Veranstaltung.
Resonanzräume boten den Teilnehmer/innen
die Gelegenheit, die Umsetzungsmöglichkeiten
von Internationalisation at Home gemeinsam zu
erörtern. Evident wurde, dass die Thematik an allen
Institutionen gelebt wird, jedoch teilweise starke
Unterschiede in der strategischen Verankerung
vorliegen. Die Präsentation zahlreicher, vielfach
auch über Erasmus+ umgesetzter Aktivitäten, wie
Integrated Learning, internationale Module oder
auch Kultur- und Sprachtrainings, ermöglichte eine
umfassende Sammlung von Best-Practice-Beispielen. Durch das Hochschulteam der Nationalagentur
geleitete Informationsforen zu aktuellen Themen
und Fragen rund um das Programm schlossen den
inhaltlichen Teil der Veranstaltung.
Die Nachlese sowie Präsentationen zur Veranstaltung
finden Sie unter www.bildung.erasmusplus.at/
jahrestagung_hochschule2016
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3
5
Bild 2:
Prof.(FH) Mag. Eva Werner von der IMC FH Krems
beschrieb in ihrer Keynote die Bedeutung der Internationalisierung von Curricula für erfolgreiche Internationalisation
at Home.
Bild 3:
Genügend Zeit blieb auch für den Erfahrungsaustausch
zwischen den 140 Teilnehmer/innen aus ganz Österreich.
Bild 4:
Begrüßung der Teilnehmer/innen durch Gerhard Volz,
Leiter Erasmus+ Hochschulbildung
Bild 5:
Das Hochschulteam der Nationalagentur Erasmus+ Bildung
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© alle Fotos dieser Seite: OeAD | APA-Fotoservice | Hoermandinger
Bild 1:
Mag. Manuela Fried, Leiterin der Abteilung für
EU-Programme im BMWFW bei der Begrüßung und
Einleitung zur Tagung
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Regina Aichner
Bologna-Tag 2016: Lernergebnisse
Was ist in der Lehr- und Lernwelt bis jetzt angekommen?
1
© alle Fotos dieser Seite: OeAD | APA-Fotoservice | Hinterramskogler
»Nur die Politik der kleinen Schritte führt vom Kontinent der Stabilität über den ›Düsterwald‹ zum
Kontinent der Veränderung in der Hochschullehre.«
(Prof. Bernadette Dilger, Universität St. Gallen)
Bild 1;
Die EHR-Expertinnen VR Mag. Dr. Christa
Schnabl (Universität Wien), Prof.(FH) Mag.
Dr. Gabriele Abermann (FH Salzburg) und
Mag. Susanne Linhofer (PH Steiermark)
moderierten an Hand von drei Fragen zu
Lernergebnissen durch den
Bologna Tag 2016.
Bild 2:
Wie werden Lehrende und Studierende fit
für die Lernergebnisorientierung?
Erfahrungsaustausch im World Café
Bild 3:
Dr. Ulrike Felt (Universität Wien):
»Hochschuldidaktik ist eine
Gratwanderung zwischen
Standardisierung und
gestalterischer Freiheit.«
Bild 4:
140 Teilnehmer/innen tauschten sich im
großen Festsaal der Universität Wien aus.
1
Am 30. März 2016 führten die nationalen Expert/innen für den europäischen Hochschulraum,
Vizerektorin Christa Schnabl (Universität Wien),
Gabriele Abermann (FH Salzburg) und Susanne
Linhofer (PH Steiermark) an der Universität Wien
mit folgenden drei Grundsatzfragen durch den Tag:
1. Wie machen wir Lehrende und Studierende fit
für die Lernergebnisorientierung?
2. Wie verzahnen wir Lernergebnisse auf
Programmebene mit jenen auf Lehrveranstaltungsebene?
3. Und wie mit der Leistungsfeststellung bzw.
Prüfungsdidaktik?
»The Shift from Teaching to Learning«: Dass die
Lernergebnisorientierung das sichtbarste hochschuldidaktische Tool für den studierendenzentrierten Ansatz ist, steht laut VR Schnabl außer
Frage. Somit konzentrierten sich die Diskussionen
auf den eigentlichen Nutzen, die Realisierbarkeit
und Leistungsfeststellung der Lernergebnisorientierung. Der Dialog zu diesen Fragestellungen ist
nicht neu, scheint jedoch laut Oliver Vettori (Wirtschaftsuniversität Wien) kontinuierlich zu scheitern bzw. sich in einer kleinen, bereits überzeugten
2
Community im Kreis zu drehen. Dieser müsse auch
laut ÖH-Bundesvorsitzenden Philip Flacke aufgebrochen werden.
Ars-Docendi-Preisträgerin Ulrike Felt (Universität Wien) warnte vor hochschuldidaktisch allzu
einengenden Handbüchern, die im Extremfall zur
Entmündigung der Studierenden und zur Erstarrung des Lehrsystems führen würden. Laut Martin
Lehner (FH Technikum Wien) und Anita Holzinger
(Medizinische Universität Wien) sollten Lernergebnisse nicht »überhöht« werden – sie sind nicht die
Lösung für allfällige Probleme oder die systemisch
auftretende Geringschätzung der Hochschullehre.
Regine Bolter (FH Vorarlberg) sieht in der Entwicklung von lernergebnisorientierten Leistungsfeststellungen noch viel Platz nach oben.
Insgesamt tauschten sich über 140 Teilnehmer/innen aus ganz Österreich bei der größten Jahreskonferenz zum Bologna-Prozess aus. Der Bologna-Tag wird von der OeAD-GmbH gemeinsam
mit dem Bundesministerium für Wissenschaft,
Forschung und Wirtschaft (BMWFW) sowie aus
Mitteln des Arbeitsprogramms »Pro.Mo.Austria –
Promoting Mobility. Addressing the Challenges in
Austria« der Leitaktion 3 des Programms Erasmus+
umgesetzt und fand mit freundlicher Unterstützung der Universität Wien statt.
Zur Dokumentation der Tagung:
www.bildung.erasmusplus.at/bologna (Rubrik
Veranstaltungen und Trainings)
3
4
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Lydia Steinmassl
Young Science-Gütesiegel:
Eine Auszeichnung für Forschungspartnerschulen
Allein die Mitarbeit in Forschungsprojekten
reicht jedoch dem Gremium unter Vorsitz des
ehemaligen Rektors der TU Wien, Peter Skalicky,
nicht aus: Die Schulen müssen u. a. forschungsorientierte Schulschwerpunkte, eine breite Verankerung der Forschungskooperationen innerhalb
der Schule und langfristige Kooperationsmodelle
mit Forschungseinrichtungen vorweisen können.
Schulen, die bereits ausgezeichnet wurden, müssen um Nachzertifizierung des Gütesiegels ansuchen. »Damit möchten wir sicherstellen, dass die
ausgezeichneten Schulen ihren Erfolgskurs fortsetzen und ihren Forschungsschwerpunkt weiterentwickeln«, erklärt Petra Siegele, Leiterin von
Young Science. Die Verleihung der Gütesiegel findet im Rahmen einer festlichen Veranstaltung am
14. November 2016 in Wien statt.
www.youngscience.at/guetesiegel
© OeAD | APA-Fotoservice | Schedl
In Österreich gibt es zahlreiche Schulen, die seit
Jahren mit wissenschaftlichen Einrichtungen kooperieren und gemeinsam in Projekten forschen.
Um diese besonders engagierten Schulen vor den
Vorhang zu holen, verleiht das BMWFW nun bereits zum dritten Mal das Young Science-Gütesiegel
für Forschungspartnerschulen. Abgewickelt wird
das Gütesiegel vom im OeAD angesiedelten Zentrum für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und
Schule – Young Science.
Bereits 2012 und 2014 zeichnete das BMWFW
insgesamt 33 Schulen mit dem Young ScienceGütesiegel für Forschungspartnerschulen aus,
um die hohe Professionalität und das persönliche
Engagement der Pädagoginnen und Pädagogen
dieser Schulen zu würdigen. Auch 2016 hatten
wieder alle österreichischen Schulen die Möglichkeit, sich für die Auszeichnung zu bewerben.
Den Erasmus+ Award 2015 in der Kategorie
Hochschulbildung erhielt das Team der FH
Technikum Wien und nicht, wie in der Ausgabe 99
der oead.news in Bild und Text behauptet, die FH
Joanneum. Wir bedauern den Irrtum und
gratulieren herzlich.
© OeAD | APA-Fotoservice | Schedl
Erratum
Vertreterinnen und Vertreter der
ausgezeichneten Schulen nahmen
2014 in der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften
die Urkunden entgegen.
Die Mitarbeiterinnen der FH
Technikum Wien freuen sich über
die Auszeichnung.
V.l.n.r.: MMag. Dr. Sandra Allmayer,
MA, Mag. Agnes Kriz, MA (beide FH
Technikum Wien), SC Mag. Elmar
Pichl (BMWFW) und Mag. Ernst
Gesslbauer (Nationalagentur
Erasmus+ Bildung, OeAD-GmbH)
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Michael Dippelreiter
Historisch betrachtet
Die Schulen des jüdischen Bankierssohns Maurice de Hirsch
förderten die beruflichen Fähigkeiten von Kindern und
Jugendlichen, um sie auf Handel oder Gewerbe vorzubereiten.
Dr. Michael Dippelreiter
studierte an der Univerisität Wien
Kunstgeschichte. Er ist seit 2001
beim OeAD beschäftigt und dort
zuständig für das Archiv und
wissenschaftliche Publikationen.
Bildung wurde immer schon als wichtiger Impuls für
gesellschaftliche Partizipation gesehen. Ein positives
Beispiel soll hier kurz vorgestellt werden, nämlich die
»Baron-Hirsch-Schulen«, welche gegen Ende des 19.
Jahrhunderts die Lebenschancen der Juden Galiziens
und der Bukowina wesentlich verbesserten. Die Bildung jüdischer Kinder – damit waren hauptsächlich
Knaben gemeint – erfolgte im osteuropäischen Judentum auch im 19. Jahrhundert hauptsächlich im
Chedar (Mehrzahl: Chadorim).
Der Unterricht erfolgte durch einen Lehrer, der
von der jüdischen Gemeinde bzw. von einer Gruppe
von Eltern finanziert wurde. Die Kinder traten mit
etwa drei Jahren in den Chedar ein und erlernten
zunächst das hebräische Alphabet und die hebräische Sprache; auf dieser Grundlage studierten sie
dann die Tora durch gegenseitiges Vorlesen und
Auswendiglernen. Für gewöhnlich wurde die Ausbildung mit 13 oder 14 Jahren abgeschlossen.
»Traurige Verhältnisse« in den Chedarschulen
Kritikpunkte waren vor allem die mangelhafte Ausbildung der Lehrer sowie deren schlechte Bezahlung, sodass sie Nebenberufe ausüben mussten. Da
höherklassige Schüler mehr Einnahmen brachten,
wurden oft auch nichtqualifizierte Schüler in die
nächsthöhere Stufe versetzt. Weitere Kritikpunkte
waren die sprachliche und räumliche Abgrenzung
von der (christlichen) Umwelt, welche die Integration und Emanzipation der Juden behinderte.
Schon früh wurde deshalb auch zusätzlicher Unterricht in deutscher Sprache sowie die Einbeziehung
weltlicher und berufspraktischer Inhalte in den Unterricht (von den Reformern) gefordert.
Der Schriftsteller Karl Emil Franzos beschreibt in
seinem Bildungsroman »Der Pojaz« die traurigen
Verhältnisse, welche in solchen Schulen herrschten:
»Totgeschlagen ist im Chedar noch niemand worden, trösten sich die Leute, und das mag wahr sein,
sofern man einen schlichten, klaren, durch den Galgen zu bestrafenden Mord meint. Aber langsam ist
da sicherlich manches junges Leben erdrosselt worden: durch die abscheulichen Misshandlungen roher
Fanatiker. Es ist sicherlich ein schöner und kluger
Grundzug des jüdischen Volkstums, das Lernen zur
religiösen Pflicht, die Gelehrsamkeit zum Verdienst
vor Gott … zu machen, und es wäre nur wünschenswert, dass die altgläubige Judenschaft dies auch von
anderem Wissen gelten ließe …«1 . Und weiter meint
Franzos: »Für das Chedar in seiner gegenwärtigen
traurigen Form ist die jüdische Religion weder durch
ihre Prinzipien noch durch ihre Satzungen verantwortlich, sondern es ist eben nur ein Produkt jener sozialen und politischen Verhältnisse, unter deren Druck
die Judenschaft des europäischen Ostens seit Jahrhunderten ihr Dasein verbracht hat und noch verbringt«2.
»Israelitische Allianz zu Wien«
Ab den 1960er Jahren sahen aufgeklärte jüdische
Intellektuelle verstärkt die Brisanz, welche sich aus
der mangelnden Bildung der Mehrzahl der jüdischen
Kinder Galiziens und der Bukowina ergab; einerseits
bargen geringe Chancen am sich verändernden Arbeitsmarkt sozialen Sprengstoff, andererseits waren
die religiösen Traditionen so stark, dass Veränderungen nur langsam und vorsichtig angegangen
werden konnten. Vereine, wie etwa die »Israelitische
Allianz zu Wien« versuchten durch Gründung von
Privatschulen in den östlichen Teilen der österreichisch-ungarischen Monarchie das Bildungsniveau
zu heben, stießen dabei aber auf starken Widerstand
der einfachen Bevölkerung. Industrielle engagierten
sich nicht ganz uneigennützig, herrschte doch ein
großer Bedarf an qualifizierten und unqualifizierten
Arbeitskräften in allen Bereichen der explodierenden Industrie, vor allem aber in Galizien in den neu
erschlossenen Erdölgebieten.
1 Karl Emil Franzos, Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem
Osten. Königstein/Ts 1979. 35
2 Karl Emil Franzos, Aus Halb-Asien. Land und Leute des östlichen
Europa. Stuttgart 1894. 15
© Rémi Jouan, CC-BY-SA, GNU Free Documentation License, Wikimedia Commons
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Maurice de Hirsch unterstützte die Ansiedlung von Juden in
Argentinien, in Brasilien, Mexiko und Kanada, wo heute die
Ortschaft »Hirsch« in Saskatchewan nach ihm benannt ist.
Einer der Industriellen, die sich für eine bessere
Ausbildung der jüdischen Kinder – vor allem Galiziens und der Bukowina – einsetzten, war Moritz
Freiherr von Hirsch auf Gereuth, in der Literatur
meist Baron Maurice de Hirsch.
Investitionen in die Ausbildung jüdischer
Kinder
Moritz Hirsch entstammte einer geadelten jüdischen Bankiersfamilie aus Bayern, seine Mutter
war eine Wertheimer aus Frankfurt. Geboren 1831
begann er schon früh Teile seines großen Vermögens in ertragreiche Eisenbahngeschäfte in der
Türkei und auf dem Balkan zu investieren; so
schloss er mit der türkischen Regierung 1869 einen Vertrag für den Bau einer durchgehenden Eisenbahnstrecke von Europa in die Türkei ab, den
späteren Orientexpress. Dies bildete die Grundlage
für eine spätere enge Zusammenarbeit mit dem
Osmanischen Reich, wobei Hirsch interessanterweise keine Ambitionen zeigte, sich finanziell in
Palästina zu engagieren, das damals zum Osmanischen Reich zählte.
Moritz Hirsch, der in den 1970er Jahren Staatsbürger der österreichisch-ungarischen Monarchie
wurde, bemerkte das traurige Los der jüdischen
Bevölkerung Ost- und Südosteuropas sowie Kleinasiens und versuchte sich durch humanitäre Aktivitäten zu engagieren; als Partner fand er dabei
die »Alliance Israélite Universelle«, der er 1873 eine
Summe von einer Mio. Francs für den Bau von
Schulen stiftete. Aus diesem Geld wurden vor allem
Handelsschulen für jüdische Kinder am Balkan errichtet. Die jüdischen Menschen Russlands versuchte
er in deren Auswanderungsplänen zu unterstützen,
indem er riesige Ländereien in Argentinien erwarb,
aber auch in andere Länder Amerikas3 versuchte
er Auswanderungswillige zu leiten. In Österreich3 In Kanada gibt es heute noch eine Ortschaft »Hirsch«, die
nach ihm benannt ist.
Ungarn erwarb er die Freundschaft von Kronprinz
Rudolf und unterstützte auch dessen Bestrebungen
gegen den Zweibund mit dem Deutschen Reich, was
zu zahlreichen deutschnationalen und antisemitischen Agitationen gegen die Protagonisten führte.
Mit der Gründung der »Baron-Hirsch-Stiftung
zur Beförderung des Volksschulunterrichts im
Königreiche Galizien und Lodomerien mit dem
Grossherzogthume Krakau und im Herzogthume
Bukowina« am 2. November 1888 (offiziell anerkannt am 1. Februar 1891) und deren finanziellen
Ausstattung durch zwölf Mio. Francs setzte sich
Moritz Hirsch ein Denkmal als Philantrop. In einer
engen Zusammenarbeit mit der »Israelitischen Allianz zu Wien« wurden Schulen geplant und gebaut
sowie Lehrpläne entwickelt.
Die bald so genannten Baron-Hirsch-Schulen
erwiesen sich als Option (im Gegensatz zu den traditionellen Chedarschulen) für eine weltliche und
angemessene Ausbildung. Sie setzten sich zum Ziel,
bei den Kindern und Jugendlichen konkrete und pragmatische berufliche Fähigkeiten zu entfalten und sie
nach dem Studium für bestimmte Tätigkeiten, etwa
Handel oder produzierendes und verarbeitendes Gewerbe, vorzubereiten. Sie boten den Kindern nicht
nur Sprachkurse für die deutsche und polnische Sprache sowie jene oben erwähnten praktischen Fächer,
sondern auch religiösen Unterricht (acht Wochenstunden Hebräisch), was zu einer besonderen Resonanz und Akzeptanz bei den traditionellen jüdischen
Gemeinden in Galizien und der Bukowina führte. Dies
war das einfache, aber überzeugende Geheimnis für
den Erfolg dieser Schulen, welche auch Zweige entwickelten, die Kindergärten betreuten und berufsbildende Kurse für Erwachsene organisierten.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts existierten allein in Galizien an die 50 Baron-Hirsch-Schulen. Sie
erfreuten sich großer Beliebtheit, vor allem bei den
bürgerlichen Juden. Nachlesen kann man dies beim
Schriftsteller Manés Sperber, der in seinem autobiografischen Werk »Der Wasserträger Gottes« den Baron-Hirsch-Schulen nur positive Erinnerungen zollt.
Die von Maurice Hirsch
unterstützten Schulen
standen – im Gegensatz
zu den traditionellen
Chedarschulen – für eine
weltliche und zeitgemäße
Ausbildung.
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Rita Michlits
GreenHouse mit Passivhaus-PlusZertifikat ausgezeichnet
© Markus Lang, Passivhaus-Austria
© Rupert Steiner für aap.architekten | OeAD-WV, WBV-GPA
Das Gästehaus in der Seestadt Aspern erhielt als weltweit erstes
Studierenden-Wohnheim das Qualitätssiegel »Passivhaus Plus«.
Das GreenHouse bei Nacht, eine
Wohneinheit von innen und der
Garten. Rund die Hälfte der Gäste
sind internationale Studierende, die
zwischen einem und neun Monaten
in Österreich verbringen.
Einst Flugfeld, heute ein neuer Stadtteil, ist das
Studierenden-Wohnheim GreenHouse in der Seestadt Aspern rund ein Jahr nach der Eröffnung voller Leben. Die jungen Leute sitzen im Garten unter
jungen Obstbäumen, schwitzen im Fitnessstudio
oder kochen zusammen. In 261 Wohneinheiten
finden 313 Studierende in der Sonnenallee 41
Platz, das Wohngebäude ist nahezu ausgelastet.
107 der rund 150 internationalen Gäste wohnen im
Gebäudeteil Sonne, das die OeAD-Wohnraumverwaltung verantwortet.
Die Tochtergesellschaft der OeAD-GmbH betreibt gemeinsam mit den Heimträgern Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA) und
Österreichische Jugendarbeiterbewegung (ÖJAB)
ein hocheffizientes Passivhaus. Hocheffizient ist
dieses Nutzgebäude, weil es durch modernste Gebäudetechnik die Energie, die benötigt wird, selbst
erzeugt, schonend nutzt und für einen späteren
Bedarf auch speichert. Die Energieträger Sonne
und Luft waren Namensgeber für die Bauteile –
der Name für den Bauteil Erde stammt aus der
Planungsphase, in der Geothermie für den neuen
Stadtteil im Nordosten Wiens ebenfalls vorgesehen war. Wasser, architektonisch umgesetzt durch
lichtdurchflutete Gemeinschafts- und Erschließungsräume, verbindet die drei Häuser.
Hohe Zielsetzung Nullenergie
Die Architektinnen der aap.architekten ZT-GmbH
verfolgten von Anfang an das Ziel, das weltweit
erste Passivhaus Plus für Studierende zu errichten.
Unterstützt durch die Expertise der Bauphysiker
von Schöberl & Pöll GmbH und Haustechnikexperten von BPS Engineering wurde das GreenHouse
mit einer hocheffizienten, bedarfsgesteuerten Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, einer optimierten Gebäudehülle und einer größtmöglichen
Photovoltaik-Anlage ausgestattet. Die Stadt Wien
hat 60 Euro pro Quadratmeter an Wohnbauförderung zugeschossen. Dies entspricht 4,8 Prozent
der Baukosten für die knapp 8.500 Quadratmeter
Gesamtfläche. Alle stromverbrauchenden Komponenten wurden optimiert, stromfressende Standby-Funktionen vermieden. Zwei energieoptimierte
Rotationswärmetauscher gewinnen 85 Prozent
der Wärme sowie die notwendige Luftfeuchtigkeit
im gesamten Haus zurück. Die Aufzüge arbeiten
mit Bremsrückgewinnungsenergie und kommen
ohne Öl und Maschinenraum aus.
Im Zuge eines Forschungsprojekts wird der
Stromüberschuss der Photovoltaik-Anlage in
Batterien gespeichert und bei Bedarf dem Studierenden-Wohnheim wieder zugeführt. Ob das
GreenHouse tatsächlich ein Nullenergie-Studierendenheim sei, werde das begleitende Monitoring
zeigen, so die ambitionierten Architektinnen Frankel und Feirer.
Leistbares Wohnen bei hohem Standard
Die Kombination aus effizienter Gebäudeführung
und erneuerbaren Energien wird nicht nur als zukunftsfähige Lösung gesehen, die Meisterleistung
in Sachen nachhaltiger Architektur wurde auch
schon besiegelt: Am 29. April zeichnete Prof. Dr.
Wolfgang Feist vom PHI Passivhaus Institut das
GreenHouse als erstes Studierenden-Wohnheim
weltweit mit dem Qualitätssiegel »Passivhaus
Plus« aus. »Das GreenHouse beweist, dass es auf
Basis erneuerbarer Energien und effizienter Energienutzung möglich ist, dem hohen Anspruch, den
wir in der heutigen Zeit an den Komfort stellen, zu
entsprechen. Wir sehen an diesem Standort eindrucksvoll, dass es realistisch darstellbare Modelle
gibt, die auch im urbanen Raum funktionieren«,
sagte der Leiter des unabhängigen Forschungsinstituts in Darmstadt und Innsbruck bei der Übergabe
des Zertifikats und fügt hinzu: »Projekte dieser Art
© Rupert Steiner für aap.architekten | OeAD-WV, WBV-GPA
51
Bild 1:
Erde, Luft und Sonne waren
Namensgeber für die drei Bauteile
des GreenHouse in der Sonnenallee
41. Wasser verbindet die drei Häuser
und Abkühlung verspricht auch der
naheliegende See.
© www.annarauchenberger.com | Anna Rauchenberger
Bild 2:
Die Heimträger OeAD-Wohnraumverwaltung, Wohnbauvereinigung für
Privatangestellte (WBV-GPA) und
Österreichische Jugendarbeiterbewegung (ÖJAB) sind nun stolze Besitzer
des Zertifikats »Passivhaus Plus«.
v.l.n.r.: DI Helmut Schöberl (Schöberl
& Pöll GmbH), DI Alexandra Frankel
und DI Martina Feirer (aap.architekten ZT-GmbH), Prof. Dr. Wolfgang
Feist (Passivhaus Institut PHI),
Mag. Michael Gehbauer (WBV-GPA),
Mag. Günther Jedliczka (OeADWohnraumverwaltung) und Josef
Wimmer (ÖJAB)
leben im Wesentlichen von Hirnenergie.« Feist lobt
damit die hervorragende Leistung aller Beteiligten.
Grundlage des Passivhaus-Plus-Konzepts ist nicht
die Jahresenergiebilanz, die für die Anwendung in
der Praxis oft irreführend ist. Betrachtet wird die
tatsächliche regionale und jahreszeitliche Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie. Auf diese Weise
wird ein vollständig nachhaltiges Versorgungssystem möglich.
Das wichtigste Kriterium für eine Auszeichnung
ist der Energieverbrauch pro genutzter Fläche. Die
Obergrenze wurde im Voraus berechnet und vom
PHI Passivhaus Institut durch das Zertifikat als
machbar bescheinigt. Möglich ist dies nur durch
die oben erwähnte hocheffiziente Gebäudestruktur, die es in bebautem Gebiet so nicht oft gibt.
Für die OeAD-Wohnraumverwaltung ist der
Passivhaus-Standard Mindeststandard. Pro Jahr
wohnen 3.000 der rund 12.000 internationalen
Studierenden und Gastforscher/innen in einem der
sieben Passivhaus-Gebäuden, die die Wohnraumverwaltung in ganz Österreich betreibt. Insgesamt
gibt es 13 Gästehäuser und viele weitere Unterkünfte in Wien, Graz, Klagenfurt, Salzburg, Innsbruck und
Linz. In Leoben feierte man gerade die Gleichenfeier
für das erste Gästehaus in Holzbauweise.
Mission Nachhaltigkeit
Über Passivhaus Plus freut sich Günther Jedliczka,
Geschäftsführer der OeAD-Wohnraumverwaltung,
ganz besonders. Seinem Engagement für Nachhaltigkeit ist es zu verdanken, dass die Partner am
Ball blieben. Heute bestätigen Mag. Michael Gehbauer von der WBV-GPA und Josef Wimmer (ÖJAB)
unisono, das Haus sei effektiv, sozial und kostengünstig. Jedliczka bescheinigen die beiden ein
gewisses missionarisches Wirken. Jedliczka meint
dazu nur: »Wir machen gute Sachen, die wirtschaftlich sind.«
[
http://housing.oead.at
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OeAD-Events
Veranstaltungskalender
Der OeAD bietet Plattformen zur öffentlichen Diskussion
rund um Mobilität und Internationalisierung. Details und
Infos zur Anmeldung finden Sie unter www.oead.at/events.
22. Juni 2016 | Wien
Europa 2020: »New Skills for New Jobs« Diversity
Management: Interkulturelle Kompetenz und kulturelle
Vielfalt als Chance
SAVE THE DATE: 17.–18. Oktober 2016 | Leoben
26. OeAD-Hochschultagung: »Responsible Science«
Ort: Montanuniversität Leoben | Franz-Josef-Straße 18 |
8700 Leoben
Ort: Haus der Industrie | Schwarzenbergplatz 4 | 1030 Wien
Wie kann kulturelle Vielfalt in einem Unternehmen bestmöglich genutzt werden? Welche Maßnahmen können zur Verbesserung der
interkulturellen Kompetenz gesetzt werden? Durch welche präventiven Maßnahmen können potenzielle Konfliktherde im Arbeitsumfeld verhindert werden? Die Konferenz richtet sich an Unternehmer/innen, Projektträger/innen, politische Entscheidungsträger/innen
sowie an Fachleute und Stakeholder aus den Bereichen Bildung,
Arbeitsmarkt und Wirtschaft.
7.–8. Juli 2016 | Steyr
5. Österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz
Ort: Museum Arbeitswelt | Wehrgrabengasse 7 | 4400 Steyr
Die Berufsbildungsforschungskonferenz bietet Gelegenheit zum
fachlichen Austausch rund um Forschung zu Berufs- und Erwachsenenbildung. Sie findet alle zwei Jahre statt. Im Rahmen der Veranstaltung verleiht das Bildungsministerium den österreichischen
Berufsbildungsforschungspreis.
5. Oktober 2016 | Wien
Europass macht transparent
Ort: Haus der Europäischen Union | Wipplinger Straße 35 |
1010 Wien
»Zeig, was du kannst!« Die Veranstaltung widmet sich den Themen
Kompetenzermittlung und Kompetenzdarstellung. Die Keynote
legt einen Fokus auf Migrant/innen und Geringqualifizierte.
3. November 2016 | Wien
Euroguidance-Fachtagung 2016: Valuing Competences. Der
Wert mitgebrachter Kompetenzen und Qualifikationen und
deren Anerkennung
Ort: Kardinal König Haus | Kardinal-König-Platz 3 | 1130 Wien
Welche Entwicklungen gibt es international in der Praxis der Anerkennung von im Ausland erworbenen Kenntnissen und Qualifikationen? Was ist der Status quo der Anerkennungspraxis in Österreich
und was sind die Anknüpfungspunkte im Bereich Guidance (Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf)? Euroguidance Österreich lädt ein zu Diskussion und Austausch bei Vorträgen, Workshops und im Rahmen eines Methodenmarkts.
22. November 2016 | Wien
Tagung »OeAD macht Schule«:
Schule grenzenlos – grenzenlose Anforderungen? Was soll
die Lehrperson im 21. Jahrhundert alles können?
Ort: VBS Hamerlingplatz | Hamerlingplatz 5–6 | 1080 Wien
Die 5. Fachtagung im Rahmen von OeAD macht Schule rückt heuer
die Lehrperson in den Mittelpunkt. Neben Impulsreferaten werden
in sieben Fachkreisen wieder rege Diskussionen und Vernetzung
rund um das Tagungsthema stattfinden.