Rechtliche Aspekte der (innerklinischen) Notfallmedizin AAEM, Modul 8 Juni 2016 Fahrplan • Rechtsrahmen: Arzt – Patient • Rechtliches zur interdisziplinären Zusammenarbeit • Schnittstelle Prä- und Innerklinik • Der Patient und seine Rechte (inkl. Sonderfragen: End of life, UbG …) • Haftung, Zwischenfallsmanagement Arzt-Patienten-Verhältnis Rechtsverhältnis Gesundheitsdiensteanbieter Patient Wenn Pat. geschäftsfähig => Behandlungsvertrag Sonst => Geschäftsführung ohne Auftrag im Notfall (§ 1036 ABGB) 3 Arzt-Patienten-Verhältnis Rechtsverhältnis Krankenanstalt Patient § 1313a ABGB Krankenhausaufnahmevertrag! Gesundheitsberufsangehörige § 1313a ABGB: Wer einem andern zu einer Leistung verpflichtet ist, haftet ihm für das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters sowie der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein eigenes. 4 Zusicherung welcher Leistungen? • Sachgemäße Behandlung durch Personal (Arzt, Pflege …) • Unterkunft • volle Anstaltspflege • Sonderfall: Sonderklasse Bessere „Hotelkomponente“ Zusatzvertrag zw. Patient und (leitenden) Spitalsarzt => persönliche med. Betreuung Aufnahme in der KA § 22 KAKuG • Die Aufnahme von Pfleglingen ist auf anstaltsbedürftige Personen und auf Personen, die sich einem operativen Eingriff unterziehen, beschränkt. Bei der Aufnahme ist auf den Zweck der Krankenanstalt und auf den Umfang der Anstaltseinrichtungen Bedacht zu nehmen. Unabweisbare Kranke müssen in Anstaltspflege genommen werden. • Als unabweisbar sind Personen zu betrachten, deren geistiger oder körperlicher Zustand wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung sofortige Anstaltsbehandlung erfordert, sowie jedenfalls Frauen, wenn die Entbindung unmittelbar bevorsteht. Ferner sind Personen, die auf Grund besonderer Vorschriften von einer Behörde eingewiesen werden, als unabweisbar anzusehen (zB nach Seuchenrecht, UbG). Wechselseitige Pflichten ? Krankenanstalt Leistungsanbieter Berufspflichten (zB Sorgfalt, Verschwiegenheit, Auskunft, Aufklärung, Dokumentation, Hilfeleistung, Fortbildung …) Patient Information, Mitwirkung, ggf. Duldung (=> Selbst-bestimmung!), Einwilligung, Kostenübernahme (idR SV) 7 Sorgfaltspflicht § 48/49 ÄrzteG: • Ein Arzt ist verpflichtet, jeden von ihm in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden und Kranken ohne Unterschied der Person gewissenhaft zu betreuen. • laufend ... fortzubilden und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung sowie unter Einhaltung der bestehenden Vorschriften und der fachspezifischen Qualitätsstandards … das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden zu wahren. • Der Arzt hat seinen Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Ärzten auszuüben. • Der Arzt darf die Erste Hilfe im Falle drohender Lebensgefahr nicht verweigern. Aufklärungspflicht § 49/51 ÄrzteG + Patientenrecht auf Information • Selbstbestimmungsaufklärung (I) vs. Sicherungsaufklärung (II). • I) Diagnose-, Behandlungs- und Risikoaufklärung (Typizität?). Ziel: Entscheidungsbasis für Einwilligung in die med. Maßnahme. OGH: Aufklärung um so umfassender, je weniger dringlich die Maßnahme ist. Notfallmedizin: Aufklärung umso weniger umfassend, je notwendiger der Eingriff ist; in Grenzfällen gänzlicher Entfall. Sonderfälle: ängstlicher Patient, fremdsprachige Patienten • II) Dient dem Erreichen des Behandlungszieles. Info zum Mitwirken des Patienten. Auch über notwendigen Krankenhausaufenthalt! Verschwiegenheitspflicht § 54 ÄrzteG: • Der Arzt und seine Hilfspersonen sind zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. • Die Verschwiegenheitspflicht besteht nicht, wenn 1. nach gesetzlichen Vorschriften eine Meldung des Arztes über den Gesundheitszustand bestimmter Personen vorgeschrieben ist, 2. Mitteilungen oder Befunde des Arztes an die Sozialversicherungsträger und Krankenfürsorgeanstalten oder sonstigen Kostenträger … 3. die durch die Offenbarung des Geheimnisses bedrohte Person den Arzt von der Geheimhaltung entbunden hat, 4. die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt erforderlich ist. Dokumentationspflicht § 51 ÄrzteG / § 10 KAKuG: • Der Arzt ist verpflichtet, Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf sowie über Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen einschließlich der Anwendung von Arzneispezialitäten … zu führen und hierüber der beratenen oder behandelten oder zu ihrer gesetzlichen Vertretung befugten Person alle Auskünfte zu erteilen. • In Krankenanstalten => § 10 KAKuG - Führung von Krankengeschichten. 30 Jahre Aufbewahrungspflicht (Arzt im Freiberuf: 10 Jahre!) • Recht auf Einsicht. Auch Recht auf Kopien (angemessener Kostenersatz möglich). Pflichten des Patienten 1. Informationserteilung (Arzt hat Pflicht, relevante Fragen zu stellen!) 2. Mitwirkung bei und nach der Behandlung (Sicherungsaufklärung durch Arzt) 1. + 2. keine strengen Rechtspflichten, sondern Obliegenheiten! Bei Missachtung des Patienten => Kein Schadenersatzanspruch bzw. Mitverschulden. Behandlung ist grundsätzlich kostenpflichtig. Bei sozialversichertem Patienten übernimmt dies der SV-Träger. Patient hat Pflicht zum Vorweis der e-card (Neu: + Ausweis). Darüber hinausgehende Leistungen (nicht von SV gedeckt) hat der Patient selbst zu tragen! => Aufklärung, ab wann Kostenpflicht besteht! Eingesetztes Personal in KA I Ärzte (FA, AAM, TA, KPJ, Famulanten) Zusatzausbildung „Notarzt“(§ 40 ÄrzteG) möglich FA ist auf das Sonderfach beschränkt Ausnahme 1: Fachärzte, die unter den Voraussetzungen des § 40 in organisierten Notarztdiensten fächerüberschreitend tätig werden. Ausnahme 2: Fachärzte für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Chirurgie, Innere Medizin und Unfallchirurgie, sofern diese auf Grund krankenanstaltenrechtlicher Organisationsvorschriften im Rahmen sofortiger notfallmedizinischer Versorgung tätig werden und eine Fortbildung gemäß § 40 absolviert haben. Relevant für interdisziplinäre Notaufnahmen! (siehe Hellwagner/Halmich, RdM 2015/48) Eingesetztes Personal in KA II Pflege (Allgemeindiplom, psych. Diplom, KuJ Diplom) Spezialaufgaben: Intensiv, Anästhesie, Nierenersatz, OP, KH-Hygiene Ausübung Spezialaufgaben vor Ausbildung; Nachholen innerhalb 5 J. Tätigkeitsbereich: eigen-, mitverantwortlich, interdisziplinär Mitverantwortlich: Anordnung = Arzt; Durchführung = Pflege zB Verabreichung von Arzneimitteln; Vorbereitung und Verabreichung von subkutanen, intramuskulären und intravenösen Injektionen; Vorbereitung und Anschluss von Infusionen bei liegendem Gefäßzugang, ausgenommen Transfusionen; Blutentnahme aus der Vene und aus den Kapillaren, Setzen von transurethralen Blasenkathetern zur Harnableitung; Instillation und Spülung, Durchführung von Darmeinläufen; Legen von Magensonden Zusammenarbeit im Team 1. Verlassen können, wer kann was/wer macht was? => Vertrauensgrundsatz! 2. Zusammenarbeit/Delegationen => Arzt an Arzt => Arzt an nichtärztl. Gesundheitsberuf => Arzt an sonstige Hilfskraft (zB Laien) Zusammenarbeit im Team Vertrauensgrundsatz Ärzte dürfen grundsätzlich davon ausgehen, dass alle Angehörigen von Gesundheitsberufen (zB andere Ärzte, Pflegepersonal, Sanitäter) im Rahmen der ihnen vom Berufsrecht zugewiesenen Tätigkeiten ihren Aufgaben gewachsen sind und sorgfaltsgemäß handeln. Der Vertrauensgrundsatz gilt allerdings nicht, wenn sorgfaltswidriges Handeln eines Kollegen eindeutig erkennbar ist oder aufgrund konkreter Umstände nahe liegt. Dann gelten Warn- und Eingriffspflichten. Dies gilt sowohl horizontal (unter gleich Qualifizierten) als auch vertikal (bei unterschiedlich Qualifizierten). Zusammenarbeit im Team Zusammenarbeit/Delegation 1) Arzt an Arzt Erkennen eigener Fachgrenzen! Im Haftungsrecht maßgeblich, da man bei Tätigkeitsübernahme uU am Maßstab eines FA gemessen wird (§ 1299 ABGB). Zuweisung / Konsil mit Patienteninfo => eigener Behandlungsvertrag! Übertragung der Verantwortung. Internes Rückfragen ohne Patienteninfo => Behandelnder Arzt letztverantwortlich! Sonderfall: Telemedizin • Unmittelbar Behandelnder ist und bleibt letztverantwortlich • Rateinholung mit Plausibilitätskontrolle vor Maßnahmeneinleitung • „Telemedizinischer Berater“ muss für Richtigkeit seiner fachlichen Beratung einstehen. Dies hängt maßgeblich von den übermittelten Daten ab. • Telemedizinischer Berater hat Recht zur Verweigerung einer Auskunft bei „dünner Datenlage“. => ÖGERN-Stellungnahme (05/2016) Zusammenarbeit im Team Delegation 2) Arzt an nichtärztlichen Gesundheitsberufsangehörigen Kernfrage: Ist zu delegierende Maßnahme vom Berufsrecht des Übernehmenden umfasst? Arzt hat Kompetenzen seines Teams zu kennen! Anordnungsverantwortung = Arzt Durchführungsverantwortung = Übernehmende nichtärztl. Gesundheitsberuf Zusammenarbeit im Team Delegation 2) Arzt an nichtärztlichen Gesundheitsberufsangehörigen Sondernorm § 49/2 ÄrzteG: Zur Mithilfe kann sich der Arzt jedoch Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach seinen genauen Anordnungen und unter seiner ständigen Aufsicht handeln. Kompetenzüberschreitung des nichtärztlichen Tätigkeitsbereiches im Einzelund Ausnahmefall möglich (Ultima-ratio-Möglichkeit zum Wohle des Patienten). Relevant: Komplexität der Maßnahme, Gefahrengeneigtheit, Kenntnissen und Fertigkeiten des konkreten Mitwirkenden. Schnittstelle Prä- und Innerklinik • Präklinik: Sanitäter- und Notarztbasiertes System • Rahmenbedingungen: Informationsmangel zur Patienten-Ausgangslage Informationsmangel zum Patientenwillen Eingeschränkte diagnostische Möglichkeiten zur Feststellung reversibler Ursachen Zeitfaktor hektische / fordernde Angehörige Rettungsteams oftmals „Zufallsgemeinschaften“ • Diskussion: Wann profitiert der Patient von einem Notarzt? Wohin gehört der Notarzt? Ergebnisse aus dem 2. ÖGERN-Symposium (Hellwagner): • • • • • • Komplexes Trauma Komplexes Atemwegsproblem Reanimation Schwerer Schockzustand End of life Backup für das Sanitäterteam => klassische internistische Notfälle profitieren präklinisch selten von der umfassenden Notarztkompetenz („Algorithmen“ für Sanitäter) Schnittstelle Prä- und Innerklinik • Innerklinik: Erstaufnahmeeinheit (zentral vs. aufgesplittet) • Wesenselement der Schnittstelle: Strukturiere Patientenübergabe Schnittstelle Prä- und Innerklinik Studie - Übergabe von Notfallpatienten OHNE strukturiertem Vorgehen: Innerklinisches Team hatte in … • 46 % kein Wissen mehr über Unfallhergang • 34 % kein Wissen mehr über Komorbiditäten • 30 % kein Wissen mehr über präklinisches Management Quelle: Scott et al. (2003) Schnittstelle Prä- und Innerklinik • Vorankündigung des präklinischen Teams, sodass innerklinische Strukturen „hochgefahren werden können“ • Ev. Telemedizin-Unterstützung (Bilder vom Einsatzort, Daten zum Patienten etc.) • Strukturierte Übergabe mit einheitlichem Informationsaustausch (Teamleader Präklinik übergibt an Teamleader Innerklinik; schriftliches Festhalten der Verlaufswerte auf zB Flipchart; farbliche Kennzeichnung der unterschiedlichen Fachleute; Vorab-Briefing, wer macht was …) • Vollendete Übergabe = Wechsel der Verantwortung Patientenrechte • Selbstbestimmungsrecht (auch Recht zur Unvernunft!) • Information (Aufklärung) – Anforderungen im Notfall?! • Versorgung / Behandlung nur nach Einwilligung (informierte Zustimmung) • Recht auf sachgemäße Behandlung • Recht auf würdevollen Umgang (auch auf ein würdevolles Sterben) • Einsichtsrecht in Dokumentation • Geheimnisschutz • Recht auf kostenlose Aufklärung von Schadensfällen (Patientenanwaltschaft) • Tipp für Gesundheitspersonal => transparentes Zwischenfallsmanagement! Behandlungsentscheidungen Jede medizinische Intervention am Patienten erfordert: 1. eine positive medizinische Indikation und 2. eine Übereinstimmung mit dem Patientenwillen Indikationsfrage fachliche Beurteilung durch die Gesundheitsberufe (Abwägung von Nutzen und Schaden) Patientenwille 1) Patient selbst (ggf. vorgelagerter Wille) 2) Entscheidung durch autorisierte Vertreter 3) Notfallsbestimmung („Gefahr im Verzug“) Indikationsfragen juristisch: Eine Behandlung muss nicht begonnen oder fortgesetzt werden, wenn sie aus medizinischer Sicht nicht indiziert ist oder mangels Wirksamkeit nicht mehr erfolgsversprechend ist. Auch wenn technische/apparative bzw. medikamentöse Maßnahmen eine Lebensverlängerung ermöglichen könnten, wird hieraus keine Rechtspflicht abgeleitet, wenn die Indikation hierfür fehlt! Nichteinleitung und Abbruch von Maßnahmen ist rechtlich gleichwertig! Indikationsfragen medizinisch: Indikation positiv, wenn die med./pfleg. Maßnahme im Hinblick auf das Therapieziel für einen individuellen Patienten notwendig und wirksam ist. Abwägung von Nutzen und Schaden Die ist stets eine fachliche Einschätzung! => OGH 8.10.2012, GZ: 9 Ob 68/11g Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bedarf keiner gerichtlichen Genehmigung Schaden Nutzen Kurative Behandlung nicht indiziert… => Maßnahmen im Rahmen von „palliative care“ aber indiziert! • Therapiezieländerung (von kurativ auf palliativ!) • Symptombehandlung steht im Vordergrund (Schmerzen, Atemnot, Krampfgeschehen, Angst etc.) Rechtliche Klarheit in Österreich: Verboten: Sterbehilfe, Töten auf Verlangen, Mitwirkung am Suizid (Sterbeprozess wird durch Arztverhalten gestartet!) Erlaubt: Nichteinleitung/Abbruch med. Behandlungen bei fehlender med. Indikation (Sterben zulassen, Sterbevorgang nicht hinauszögern); Therapie im Rahmen „palliative care“ (leitlinienkonform!) Sonderfall: palliative Sedierung! Therapien am Lebensende Fallbeispiel aus Salzburg Basis der Patientenversorgung 1) Medizinische Indikation 2) Einwilligung • Patient selbstbestimmt (jetzt oder vorgelagert durch Patientenverfügung / Vorsorgevollmacht => Autonomie steht im Vordergrund) • Patient fremdbestimmt (Angehörigenvertretung, Sachwalter => Wohl des Betroffenen steht im Vordergrund) Patientenverfügung • Erklärung, wodurch künftige medizinische Behandlung abgelehnt wird. Geltungseintritt: Wenn Fähigkeit, hierüber zu entscheiden, wegfällt! • Kommunikationsbrücke Arzt-Patient, wenn keine Kommunikation mehr möglich ist! • beachtlich vs. verbindlich • • • • Schriftlichkeitsgebot mit konkreter Umschreibung der abzulehnenden med. Maßnahmen Ärztliche Aufklärung (Einsichts- und Urteilsfähigkeit, Folgeneinschätzung) Errichtung vor Notar / Rechtsanwalt / rechtsk. MA Pat.Anwaltschaft samt Rechtsbelehrung Geltung: 5 Jahre Formulierungsvorschläge Situation abzulehnende Maßnahmen § 4 PatVG: In einer verbindlichen Patientenverfügung müssen die medizinischen Behandlungen, die Gegenstand der Ablehnung sind, konkret beschrieben sein oder eindeutig aus dem Gesamtzusammenhang der Verfügung hervorgehen. Patientenverfügung • beachtlich vs. verbindlich • Keine Formvorschriften • Relevant zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten • umso mehr zu beachten, je mehr sie der verbindlichen PatV entspricht! Und im Notfall ? • Gesundheitspersonal hat KEINE Suchpflicht! • § 12 PatVG für den Notfall: Dieses Bundesgesetz lässt medizinische Notfallversorgung unberührt, sofern der mit der Suche nach einer Patientenverfügung verbundene Zeitaufwand das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet. Notfall: Basismaßnahmen gehen bis zur Klarheit vor! Patientenverfügungen in der Praxis Studie des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin im Auftrag des Gesundheitsministeriums (August 2014): • nur 4 % der Österreicher haben eine PatV • große Wissensdefizite bei Angehörige der Gesundheitsberufe als auch bei Patienten • Studie zeigt auch eine Tendenz zur Entscheidungsübertragung an Ärzte und Angehörige! • Kritik: Errichtungsprozess mit (teils hohen) Kosten bzw. langen Wartezeiten verbunden! • Diskussion für die Zukunft: Rechtliche Adaptierungen (Vereinfachungen) zur PatV Vorsorgedialog Vorsorgevollmacht Mit einer Vorsorgevollmacht können Sie einen entscheidungsbefugten Vertreter in medizinischen Angelegenheiten (oder auch anderen, etwa wirtschaftlichen oder finanziellen Angelegenheiten) für den Fall bestimmen, dass Sie selbst nicht mehr entscheidungsfähig sind. Sie bestimmen, wer anstelle von Ihnen dann entscheiden darf! Cave: Errichtung vor Rechtsanwalt, Notar oder bei Gericht, wenn Entscheidungen über medizinische Behandlung zu treffen sind, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung verbunden sind. 38 Ultima ratio: Fremdbestimmung • Angehörigenvertretung (Vertretung in Alltagsangelegenheiten) • Sachwalter (es gibt Komplexeres zu regeln…) 39 Sachwalterschaft Ein Sachwalter wird für Personen nach Vollendung des 18.Lebensjahres bestellt, wenn diese aufgrund einer geistigen Behinderung oder psychischen Krankheit nicht fähig sind, ihre Geschäfte ohne Nachteil für sich selbst zu besorgen. Zuvor: Obsorgeberechtigte (zB Eltern) Bestellung: Durch Gericht nach neurol./psychiatrischer Testung (Sachverständigengutachten) 40 Sachwalterschaft in med. Entscheidungen In eine medizinische Behandlung kann eine behinderte Person, soweit sie einsichts- und urteilsfähig ist, nur selbst einwilligen. Sonst ist die Zustimmung des Sachwalters erforderlich, dessen Wirkungsbereich die Besorgung dieser Angelegenheit umfasst. Einer medizinischen Behandlung, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, kann der Sachwalter nur zustimmen, wenn ein vom behandelnden Arzt unabhängiger Arzt in einem ärztlichen Zeugnis bestätigt, dass die behinderte Person nicht über die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und die Vornahme der Behandlung zur Wahrung ihres Wohles erforderlich ist. Wenn ein solches Zeugnis nicht vorliegt oder die behinderte Person zu erkennen gibt, dass sie die Behandlung ablehnt, bedarf die Zustimmung der Genehmigung des Gerichts. Erteilt der Sachwalter die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung nicht und wird dadurch das Wohl der behinderten Person gefährdet, so kann das Gericht die Zustimmung des Sachwalters ersetzen oder die Sachwalterschaft einer anderen Person übertragen. 41 Sachwalterschaft in med. Entscheidungen Die Einwilligung der einsichts- und urteilsfähigen behinderten Person, die Zustimmung des Sachwalters und die Entscheidung des Gerichts sind nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung, der Zustimmung oder der gerichtlichen Entscheidung verbundene Aufschub das Leben der behinderten Person gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre. Beispiele: • Dringende Operation • Bewusstlosigkeit • Atem-/Kreislaufstillstand • Verletzung mit Blutung etc. Nicht hingegen: PEG-Sondensetzung, planbare OP ohne dringender Indikation 42 Angehörigenvertretung Person, welche aufgrund einer kogn. Einschränkung (psychisch krank, geistig behindert) ihre Angelegenheiten nicht selber besorgen kann, und über keine entscheidungsbefugten Personen verfügt (zB Sachwalter, Vorsorgebevollmächtigter etc.). Für Alltagsangelegenheiten, wo eine Sachwalterbestellung unverhältnismäßig wäre! Rolle im Gesundheitswesen: Nur für einfache med. Behandlungen möglich! Kreis der Angehörigen im Gesetz klar definiert: Eltern, volljährige Kinder, der im gemeinsamen Haushalt mit der vertretenen Person lebende Ehegatte oder eingetragene Partner und der Lebensgefährte, wenn dieser mit der vertretenen Person seit mindestens drei Jahren im gemeinsamen Haushalt lebt. 43 Vorsorgemöglichkeiten • Ausschöpfen bestehender Rechtsinstrumente: Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht (in der Praxis wenig Gebrauch!) • Vorsorgedialog (zusätzlich) Der Vorsorgedialog ist ein neues Kommunikationsinstrument, um die Wünsche und Ziele von Personen für den Fall lebensbedrohlicher Krisensituationen zu erfragen und zu dokumentieren. Ganzheitlicher Prozess im Rahmen eines „Advance Care Planning“ Vorsorgedialog (DV Hospiz) • Es handelt sich um ein Gesprächsangebot seitens des Heimes – der freiwillige Aspekt bleibt stets gewahrt! • Zentrale Fragen am Lebensende sollten geklärt werden: – – – – – Sondenernährung (PEG-Sonde) Reanimation Therapiezieländerung (von kurativ auf palliativ) Bedingungen einer Krankenhauseinweisung Psychosoziale, soziale und spirituelle Bedürfnisse Beispiel eines Krisen-/ Notfallblattes für ein Kinderhospiz Notfall-/Krisenblätter, DNR/AND-Vermerke aus medizinrechtlicher Sicht? Therapiebegrenzungen liegen in der ärztlichen Verantwortung und sollten im Rahmen einer vorausschauenden Planung am Lebensende verschriftlicht vorliegen („DNR“ / „AND“-Vermerke z.B. der ÖGARI Arge Ethik). Nach entsprechender ärztlicher Anordnung ist dies auch vom Pflegepersonal zu berücksichtigen (§ 15 GuKG). Lebensende ist jedoch ein „dynamischer Prozess“, sodass Pflegepersonen bei nicht vorhersehbaren / nicht beherrschbaren Symptomen einen (Not)Arzt beizuziehen haben. Relevanz für Präklinik und Notaufnahmen? – Vorausverfügung (Notfall-/Krisenblatt) ist in die Entscheidung von Sanitätern/Pflegepersonal miteinzubeziehen, wobei bis zur ärztlichen Übernahme des Patienten Lebensrettungsmaßnahmen einzuleiten sind. – Für (Not)Ärzte gilt: Die Patientensituation ist eigenverantwortlich einzuschätzen. Die Empfehlung zum Vorgehen in Notsituationen stellt eine wesentliche Orientierungshilfe in der weiteren Entscheidungsfindung dar. Dies gilt umso mehr, je aktueller dieses Blatt ist. – Im lebensbedrohlichen Notfall hat bei einem Informationsmangel der primäre Beginn der Lebensrettung Vorrang! => Dieses Dilemma ist auch durch noch so gute Gesetze nicht besser in den Griff zu bekommen! Unterbringungen Ein Balanceakt … Sicherheit Freiheit Gesellschaft, Einsatzkräfte, Gesundheitsberufe Patient, Patientenanwalt 52 Unterbringungsrecht Gesetzestext § 3 UbG: In einer psychiatrischen Abteilung darf nur untergebracht werden, wer 1. 2. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer psychiatrischen Abteilung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann. Rechtsbegriffe, die der Auslegung durch die Gerichte unterliegen! „psychische Krankheit“ nicht gleichzusetzen mit ICD-10 oder DSM-5 gilt für alle Personen, unabhängig vom Alter, Staatsangehörigkeit etc. 53 Wichtig: Präventiver Freiheitsentzug zur Abwehr erheblicher Lebens- und Gesundheitsgefahren, nicht zur Erzwingung einer Therapie oder zur Fürsorge! 54 Prozedere : Verbringungs- bzw. Vorführregeln nach §§ 8, 9 UbG iVm § 46 SPG Transfer + Eskalation 55 Verbringung / Vorführung Gesetzestext § 8 UbG: Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine psychiatrische Abteilung gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet. 56 Organe des öffentl. Sicherheitsdiensts 1/3 Gesetzestext § 9 UbG: (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine psychiatrische Abteilung zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden. 57 Organe des öffentl. Sicherheitsdiensts 2/3 Gesetzestext § 9 UbG: (2) Bei Gefahr im Verzug können die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person auch ohne Untersuchung und Bescheinigung in eine psychiatrische Abteilung bringen. 58 Organe des öffentl. Sicherheitsdiensts 3/3 Gesetzestext § 9 UbG: (3) Der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Sie haben, soweit das möglich ist, mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer psychiatrischen Abteilung zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen. Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung von Zwangsgewalt! Rolle des Rettungs- bzw. Notarztdienstes? (Zwangssedierungen? Gewaltanwendung durch Sanitäter/Notärzte? alleiniger Transport?) 59 Übergabe und wie geht’s weiter? Übergabe an befugtes Klinikpersonal! Strenge Voraussetzungen zur Aufnahme und zum Verbleib (erstmalig Facharztstandard, Arzt ist an präklinischer Einschätzung nicht gebunden!) Kostenlose Vertretung durch Patientenanwalt Gerichtskontrolle, sofern Unterbringung nicht binnen vier Tagen aufgehoben! Strenge Fristenbindung mit Sachverständigen-Gutachten auch Schutz von Persönlichkeitsrechten (Tragen von Privatkleidung, Handy- bzw. PC-Nutzung, Ausgang ins Freie etc.) 60 Statistisches zum UbG aus 2014 Zahlen Verbringung mit Bescheinigung nach § 8 UbG 4.958 Verbringung ohne Bescheinigung und gestützt auf Gefahr im Verzug nach § 9 UbG 1.379 Unterbringungen ohne Verlangen gesamt 23.773 davon Unterbringungen bei Minderjährigen (unter 18 Jahre; ohne Verlangen) 1.432 Summe der Erstanhörungen nach § 19 ff UbG 12.847 © Halmich, UbG (2014) S. 15. Summe der mündlichen Verhandlungen nach § 22 ff UbG Summe der Patientenanwälte (teil- und vollzeitbeschäftigt) 4.063 57 Spezialsituationen aus der Praxis • Revers eines Patienten im postikalen Dämmerzustand • Alkoholisierter Patient mit Schädel-Hirn-Trauma und offener, stark blutender Kopfwunde nach Raufhandel verweigert die medizinische Versorgung in der Notaufnahme und möchte auf Revers die KA verlassen => UbG scheitert, wenn Psychiatrie nicht das Ziel ist. Was nun? Bei unvernünftiger Behandlungsverweigerung und aktuell psychischer / kognitiver Beeinträchtigung • Vorrang der Autonomie (Absicherung durch Patientenrechte etc.) • Aber: Je mehr die Autonomie eingeschränkt ist, desto stärker tritt die Fürsorge in den Vordergrund! • Fürsorge-/Schutzmaßnahme bei Autonomieeinschränkung und drohender Lebens-/Gesundheitsgefahr geboten (Garantenpflicht; strafrechtlich wird eine Orientierung am Grundsatz „in dubio pro vita“ geschützt!) Und was sagt das Recht dazu? Von der Rechtsordnung gedeckt: => Ultima-ratio-Überwindung eines angemessenen (körperlichen) Widerstands bei Autonomieverlust und drohender Lebens-/Gesundheitsgefahr! => Dokumentation! § 105 StGB: (1) Wer einen anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Die Tat ist nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet. Haftungsfragen Haftungsfragen 1. Ein Fehler ist passiert – wie verhalte ich mich? – – – – – Schadensbegrenzung Patienten-/Angehörigenkontakt herstellen keine Schuldeingeständnisse Dokumentation Transparenz gegenüber Organisation 2. Fehlerkultur in der Organisation? 3. Fürsorgepflichten des Arbeitgebers Fallbeispiel Präklinische Intubation bei einem Traumapatienten. Kapnograf zeigt kein Signal an (in Ausatemluft war kein CO2 nachweisbar). Tubuskontrolle mittels Auskultation. Trotz „Verfall des Patienten“ keine Tubuskontrolle. Ausfall Herzaktivität. Unter CPR => KH-Transport. Im KH: CPR eingestellt, Todesfeststellung! Fallbeispiel Fallbeispiel Gutachten: Obduktion: Ersticken infolge Fehlintubation. Gutachter erläutert korrektes Vorgehen: • Präklinische Fehlintubation ist per se nicht sorgfaltswidrig. • Nichterkennen der Tubusfehllage stellt aber Fehler dar! • Bei Pat.-Verschlechterung unmittelbar nach Maßnahmeneinleitung und fehlendem CO2-Wert ist sicherheitshalber der Tubus zu entfernen und eine alternative Atemwegssicherung durchzuführen. • Verletzungen beim Pat. waren eindeutig überlebbar! • Tod des Patienten durch Fehlintubation verursacht! => Sorgfaltsverstoß! Zivilrechtlicher Schadenersatz • Haftungsvoraussetzungen – – – – Schaden Rechtswidriges Verhalten Kausalität zw. Verhalten und eingetretenem Schaden Verschulden • Individual- vs. Organisationshaftung • Rolle der Versicherungen ? Arzt-Patienten-Verhältnis Rechtsverhältnis Patient Gesundheitsdiensteanbieter Rechtsverhältnis Krankenanstalt Patient § 1313a ABGB Gesundheitsberufsangehörige 71 Zivilrechtlicher Schadenersatz Regress beim Mitarbeiter, wenn Haftungsübernahme durch Organisation möglich? • • • • Dienstnehmerhaftpflichtgesetz Kein Regress bei entschuldbarer Fehlleistung Mäßigung der Haftung bei Fahrlässigkeit Jedenfalls Regressmöglichkeit bei Vorsatztat! Bei Mäßigung zu beachten: Übernommene Verantwortung, Grad der Ausbildung, Entgelt und Risikoausgleich, Arbeitsbedingungen, Risikogeneigtheit der Maßnahme. Strafrechtliche Verantwortung • Delikte mit Medizinbezug – – – – – Körperverletzungs- und Tötungsdelikte Eigenmächtige Heilbehandlung (jedoch Notfallbestimmung) Nötigung Freiheitsentziehung Verletzung von Berufsgeheimnissen • Neu seit 1.1.2016: Straffreiheit, wenn leichte Körperverletzung bei Ausübung eines Gesundheitsberufs nicht grob fahrlässig verursacht wurde. Auflösung Fall • Strafrecht Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von € 3.600 • Zivilrecht (Schadenersatz) Schadenersatzanspruch der Hinterbliebenen besteht; bestätigt durch Obersten Gerichtshof! Umfang: Unterhalt für Hinterbliebene, Bestattungskosten Kontakt: [email protected] www.notfallmedizinrecht.at www.oegern.at Buchtipps! 75
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