man Emigrés and the Ideological Foundation - H-Soz-Kult

U. Greenberg: The Weimar Century
Greenberg, Udi: The Weimar Century. German Emigrés and the Ideological Foundations of
the Cold War. Princeton: Princeton University
Press 2015. ISBN: 978-0-69115-933-1; 276 S.
Rezensiert von: Frank Schale, Institut für
Politikwissenschaft, Technische Universität
Chemnitz
Für zahlreiche Emigranten waren der Niedergang der ersten deutschen Demokratie,
die nationalsozialistische Vernichtungspolitik, der stalinistische Terror und die nicht über
jeden Zweifel erhabene Politik der demokratischen Staaten gegenüber diktatorischen Systemen niederschmetternde Erlebnisse. Viele
fanden in dieser „totalitären Erfahrung“ den
entscheidenden Maßstab für ihr politisches
Koordinatensystem. Die Zweifel gegenüber
den eigenen politischen Ideen machte einige zu Kalten Kriegern. Aber nicht alle. Zugleich versorgten sie in einem historisch einmaligen „brain drain“ die asylgewährenden
Staaten, allen voran die USA, mit neuen Ideen
und theoretischen Konzepten. An diese Überlegung knüpft Udi Greenberg an. Er möchte zeigen, dass die intellektuellen Grundlagen der westdeutschen und amerikanischen
Nachkriegspolitik in den politischen Debatten der Weimarer Republik liegen. Hierzu
stellt Greenberg Leben und Werk der Politikwissenschaftler Carl J. Friedrich, Ernst Fraenkel, Waldemar Gurian, Karl Loewenstein und
Hans Morgenthau vor. Dass deren Arbeiten
paradigmatisch für den prodemokratischen
Protestantismus, Sozialismus, Katholizismus,
Liberalismus und das Völkerrechtsdenken gewesen seien, ist eine gleichermaßen herausfordernde wie diskussionswürdige Prämisse.
Das Faszinierende an Greenbergs Untersuchung ist die Verknüpfung der demokratiepolitischen Debatten der Weimarer Republik mit den politischen Ordnungsvorstellungen der Nachkriegszeit sowie die Akzentuierung des beginnenden Ost-West-Konfliktes
im Gefolge der Oktoberrevolution als Nukleus des Kalten Kriegs. Ähnliche Motive
ließen sich auch in Nachbardisziplinen finden, man denke daran, wie viel Friedrich A.
Hayeks „Road to Serfdom“ (1944) Ludwig
von Mises’ „Die Gemeinwirtschaft“ (1922)
verdankt. Dass Greenberg jene Ökonomen
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nicht in den Blick nimmt, liegt nicht nur
an seiner politikwissenschaftlichen Fokussierung, sondern auch daran, dass die genannten Ökonomen skeptisch gegenüber den zahlreichen staatlichen Beratungsagenturen der
Roosevelt-Administration blieben.
Solche Berührungsängste hatte Carl J.
Friedrich nicht. Sein Werk ist voller politischer Eingriffe, sei es als Berater bei
der Entstehung des Grundgesetzes oder als
Verfasser einflussreicher Studien zur USamerikanischen Sowjet- und Lateinamerikapolitik. Mit seiner Orientierung an Institutionen, am Verfassungsstaat und an Eliten ist er
ein Politiktheoretiker, an dessen Werk sich die
These des Buches gut bestätigen lässt. Ob deshalb jede Einschätzung Greenbergs zutrifft,
steht auf einem anderen Blatt. Nur mit Wohlwollen kann man Friedrichs Position in Weimar als „pro-democratic theory of religion
and politics“ (S. 26) deuten, denn seine Verteidigung des Verfassungsstaates kannte durchaus Maßnahmen einer kommissarischen Diktatur. Fraglich ist auch, wie entscheidend sein
Beitrag für den „War Effort“ der Harvard University oder die politischen Entscheidungen
der amerikanischen Deutschlandpolitik tatsächlich war.
Noch heikler ist die Charakterisierung des
katholischen Intellektuellen Waldemar Gurian. In Gurians Weimarer Schriften kann
nur derjenige einen „embrace of democracy“ (S. 130) erkennen, der dessen antiparlamentarische Reichsidee aus „Um des Reiches Zukunft“ (1932) ignoriert. Wie bei Friedrich dürfte Gurians antikommunistischer Antitotalitarismus mit wesentlichen Zielen der
amerikanischen Nachkriegspolitik übereingestimmt haben. Ob jedoch ein Politikwissenschaftler, der sowohl in Weimar als auch später in der Emigration nur innerhalb eines kleinen Kreises anschlussfähig für die Zunft gewesen war, als maßgeblicher politischer Einflussfaktor herhalten kann, erscheint fraglich.
Gerade seine opake geisteswissenschaftliche
Philosophie musste jeder politischen Administration verdächtig bleiben.
Solche Grenzen der Interpretation räumt
Greenberg bei der Darstellung von Ernst
Fraenkel durchaus ein. Eigentlich könnte
Fraenkel aufgrund seiner Funktion als Berater
amerikanischer Behörden in Korea, als Mitbe-
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gründer der Politikwissenschaft in Deutschland sowie angesichts seiner politiktheoretisch stark am Konsens orientierten Position
als Paradebeispiel eines Apologeten der deutschen und amerikanischen Nachkriegsdemokratie gelten. So nahmen ihn ja auch die Berliner Studenten 1968 wahr. Fraenkels Forderung, zu jeder Demokratie gehöre auch das
Streben nach sozialer Gerechtigkeit, passten
jedoch, wie Greenberg bemerkt, nicht so recht
in die amerikanische Nachkriegspolitik. Zudem wird in der Nachzeichnung von Fraenkels Engagement in der amerikanischen Koreapolitik nicht nur deutlich, wie schwer es
dem Emigranten fiel, das eigene Politikverständnis auf neue politische Ordnungen zu
übertragen. Er war auch nicht bereit, jeden als
strategisch notwendig angesehenen Schritt
der US-amerikanischen Außenpolitik mitzugehen. Fraenkels politisches Denken fügte
sich nicht widerspruchslos in die Logik des
Kalten Krieges ein.
Auch Karl Loewenstein, dem der Autor die
geringste Sympathie zuteilwerden lässt, ist
nur auf den ersten Blick ein idealer Kandidat
für die These des Buches. Loewensteins Darstellung der autoritären Regime Lateinamerikas, die er im Auftrag der US-amerikanischen
Administration verfasste hatte, liest sich aufgrund ihres beschönigenden Charakters mehr
als beklemmend. Jedoch bleibt Greenbergs
Schluss unbewiesen, die Politik der USA gegen bestimmte „Demokratiefeinde“ sei ein direktes Ergebnis von Loewensteins Tätigkeit
als Analytiker und Berater gewesen. Noch
problematischer ist die Darstellung des politischen Denkens Loewensteins. Dessen liberale Skepsis gegenüber einer radikalen Demokratie deutet Greenberg als Elitismus, wie
man ihn vor allem bei Friedrich finden kann.
Doch während Friedrich für eine starke, niemals der parlamentarischen Kontrolle völlig
unterworfene Verwaltung plädierte, bewegte sich Loewensteins Votum für die Repräsentation in den Bahnen der demokratietheoretischen Überlegungen Tocquevilles, Freiheit
und Gleichheit in ein richtiges Verhältnis zu
setzen.
Greenbergs Vorwurf, der Antitotalitarismus der genannten Politologen basiere maßgeblich auf einem moralisch-ideologischen
Politikverständnis, lässt den „Realismus“
Hans Morgenthaus, der solch demokratiedidaktischen Konzepte nur mit Argwohn
betrachtete, umso positiver hervortreten.
So ungewöhnlich Morgenthaus aufgeschlossene Haltung gegenüber der 1968erProtestbewegung war, Greenbergs Lob
verhindert eine kritische Würdigung. Über
seinen tatsächlichen Einfluss auf den Kalten
Krieg liest man bei ihm nur wenig. Könnte
der bei den anderen Autoren diagnostizierte
Elitismus nicht auch in Morgenthaus Plädoyer für die klassische Diplomatie der großen
Männer wiedergefunden werden? Bedeutet
sein geistesgeschichtlich begründeter Realismus nicht ebenfalls eine Absage an radikale
Demokratievorstellungen?
Die Wertschätzung von Morgenthau macht
deutlich, wogegen Greenberg anschreibt.
Wenn die Emigranten mit ihrem moralischen
Politikverständnis Demokratie ausgehend
von bestimmten unhintergehbaren Werten begründeten, dann musste ihnen die
pathetisch-pädagogische Verteidigung des
„Westens“ mehr als natürlich erscheinen. Ihr
„crusade“ (S. 254) für eben jene Werte – der
zeitkritische Unterton Greenbergs ist hier
kaum zu überlesen – muss gegen jeden, der
die ein für alle Mal als richtig angesehenen
Werte kritisierte, geführt werden. Folglich
rügt Greenberg, dass der Antitotalitarismus
der Emigranten Wasser auf die Mühlen eines
sich wandelnden Antikommunismus war:
Einst verhasste Feinde wurden zu neuen Alliierten und die Verteidigung von Demokratie
und Freiheit verlangte von den Emigranten
die Billigung autoritärer politischer Praktiken. Diese Tragödie anhand zahlreicher
Analysen und Memoranden dokumentiert
zu haben, ist Greenbergs Verdienst. Sein
illusionsloser Blick temperiert manche Überhöhung der für „Freedom and Democracy“
kämpfenden Emigranten.
Und doch täuscht sich Greenberg: Die Emigranten fanden keineswegs Einigkeit darin,
was die pathetisch proklamierten Begriffe wie
„Demokratie“, „Rechtsstaat“ und „Freiheit“
konkret meinten. Die westlichen Demokratien erschienen ihnen keineswegs als das gelobte Land. Ihre Dankbarkeit gegenüber den
USA, sie vor der Vernichtung gerettet zu haben, enthob das Gastland keineswegs der Kritik. Sie wussten durchaus um die mannigfal-
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U. Greenberg: The Weimar Century
tigen politischen und sozialen Probleme der
Nachkriegsordnung – eine andere Autorenauswahl, zu denken wäre an Hannah Arendt,
Herbert Marcuse oder Franz L. Neumann,
hätte dies noch deutlicher werden lassen.
Insbesondere die abgebrochene Denazifizierung blieb für viele schmerzhaft und markiert
die Grenze, als Parteigänger im Kalten Krieg
am Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken. Entsprechend war ihr Antikommunismus mitunter subtiler als behauptet, wenn er
nicht gar einem „Anti-Anti-Kommunismus“
wich. Daher greift Greenbergs Fazit zu kurz,
die Emigranten hätten sich als intellektuelle Kalte Krieger einem dualistischen Weltbild hingegeben, dem erst die Studentenbewegung ein Ende gemacht habe.
In der Illusionslosigkeit zahlreicher Emigranten und ihrem Plädoyer für den Status
quo als noch erträglichem Zustand im Zeitalter des organisierten Massenmordes liegt ihre
Tragik. Aber eine Tragödie lässt sich nicht als
moralische Abrechnung schreiben. Wer von
Schuld spricht, muss über die Frage nach der
tatsächlichen Verantwortung im administrativen Prozess nachdenken. Greenbergs mitunter scharfe Kritik an den Emigranten könnte
so auch als Entlastung der politischen Verwaltungseliten verstanden werden.
HistLit 2016-2-165 / Frank Schale über Greenberg, Udi: The Weimar Century. German
Emigrés and the Ideological Foundations of the
Cold War. Princeton 2015, in: H-Soz-Kult
10.06.2016.
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