Vom altorientalischen Geschichtsherrn zum deus creator et iustificans - Zur Entwicklung der Geschichtstheologie im Raum der deuterojesajanischen Prophetien In der Stunde der definitiven Ohnmacht des Gottesvolkes tritt die Geschichtsmacht JHWHs ins Zentrum. Nachdem mehr als drei Generationen vorher im Jahr 722 v. Chr. bereits das erste ihn verehrende Staatsvolk von der Bühne der Geschichte abgetreten war, folgt ihm unter dem Druck der Neubabylonier zu Beginn des 6. Jh. v. Chr. mit Juda nun das zweite. Der Nationalgott des Nord- und Südreiches kommt somit unter Ohnmachtsverdacht. Und genau zu diesem Zeitpunkt proklamiert ihn ein unbekannter Prophet, den wir seit Bernhard Duhm als Deuterojesaja zu bezeichnen pflegen1, als alleiniger Herr der Geschichte. Der traditionellen Ansetzung der deuterojesajanischen Prophetien in Jes 40ff. folgend2 hat zuletzt Matthias Albani die historische und religionsgeschichtliche Situation der Nabonid-Ära als Hintergrund der entsprechenden Prophetenworte namhaft gemacht.3 Ihre Disputationen und die in Gestalt von Gerichtsverfahren daherkommenden Beweisgänge seien „polemisch an Marduk orientiert“.4 „Die Auseinandersetzung mit der universalen kosmischen Dimension der Marduk-Theologie und seiner astralen Komponente hat DtJes‘ wahrscheinlich bereits monolatrischem Gottesverständnis den entscheidenden Impuls zu einem konsequenten Monotheismus gegeben. Der Marduk-‚Monotheismus‘ war inklusiver Art, dem JHWHGlauben prophetischer Provenienz dagegen eignete eine ausgesprochen exklusive Tendenz. Die Begegnung beider Gottesvorstellungen im babylonischen Exil führte zu einem exklusiven universalen Monotheismus.“5 I Marduk und JHWH als Geschichtsherrn Sowohl die babylonische als auch die spätisraelitisch-frühjüdische Gottesvorstellung enthält eine Geschichtstheologie, zu deren essentiellen Elementen der Anspruch auf die Gestaltung 1 B. Duhm, Das Buch Jesaja, HK, Göttingen (1892) 19224 (=19685). D. Michel, Deuterojesaja, TRE 8, 1981, 510-530, und H.-J. Hermisson, Deuterojesaja, RGG4 2, 1999, Sp. 684688. 3 M. Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient,. Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, Bd. 1, Leipzig 2000. 4 Albani, Der eine Gott, 132. 5 Albani, Der eine Gott, 253 2 1 der Welt und auf die Bestimmung des Schicksals gehören. Marduk verfügt als oberster babylonischer Gott über die Schicksalstafeln und bestimmt jeweils beim Neujahrsfest zusammen mit seinen Sohn, dem Schreibergott Nabû, über die Geschicke.6 Die universale Macht Marduks wird aus Anlaß des Festes eindrücklich proklamiert und in Szene gesetzt.7 Der Schöpfergott Marduk ist zugleich Herr der Geschichte, mušîm šimâte (Schicksalsbestimmer). Schon in der „Marduk-Prophetie“ aus dem 12. Jh. v. Chr. präsentiert er sich entsprechend: „Ich bin Marduk, der große Herr. Der Herr der Geschicke und Entscheidungen bin ich.“8 Auch die dreimalige Eroberung Babylons mitsamt der jeweiligen Deportation der Marduk-Statue durch die Hethiter (etwa 1595 v. Chr.), Assyrer (Ende des 13. Jh. v. Chr.) und Elamiter (um 1160 v. Chr.) wird als souveräne Aktion des Geschichtenlenkers Marduk verstanden. Auf seinen Befehl hin erfolgte Deportation und Rückkehr nach Babylon. Sehnsüchtig wartete der oberste Gott des babylonischen Pantheons bis die Zeit der Abwesenheit von seinem Heiligtum erfüllt war, um dann mit dem Wiedereinzug eine neue Heilszeit zu beginnen. So erweist die vermeintliche Ohnmacht Marduks, die an der Einnahme Babylons und der Bemächtigung des Götterbildes durch die fremden Völker ablesbar scheint, gerade seine uneingeschränkte Geschichtsmacht.9 Er bestimmt noch über feindliche Völkerschaften und setzt mit oder gegen sie seinen Plan um.10 Wie aus der Babylon-Inschrift Asarhaddons deutlich wird, kann er dabei die festgesetzte Zeit des Gerichts von 70 Jahren auch souverän verkürzen und so seine Barmherzigkeit unter Beweis stellen. Albani macht zurecht auf Parallelen zwischen der Inschrift und Jes 40ff. aufmerksam. So geht es in beiden Vorstellungskreisen um die Zerstörung von Stadt und Kultzentrum11, die auf göttlichen Zorn über die Sünden der Völker zurückgeführt wird. Die Gerichtsperiode von 70 Jahren hat alttestamentlich ihre Parallele in der Jeremiaüberlieferung (Jer 25,10; 29,10) sowie in Sach 1,12; 7,5, Dan 9,2 und II.Chr. 36,21.12 Wiederaufbau und Rückkehrzusage gehören genauso 6 Albani, Der eine Gott, 78-82, liefert eine zusammenfassende Darstellung nebst Verweis auf die wichtigsten Quellen. 7 Vgl. B. Pongratz-Leisten, Ina Šulmi Īrub. Die kulttopographische und ideologische Programmatik der AKĪTUProzession in Babylonien und Assyrien im 1.Jahrtausend v. Chr., BaF 16, Mainz 1994, 40ff. und 83ff., zum akītu.Fest. 8 Zitiert nach TUAT II, 66, Kol. I, Z. !8‘-19‘ – insgesamt vgl. K. Hecker, TUAT II, 65, und R. Borger, Gott Marduk und Šulgi als Propheten, Bi Or 28, 1971, 3-24. 9 Vgl. TUAT II, 65-68. 10 Zur Vorstellung eines göttlichen Plans B. Albrektson, History and the Gods. An Essay on the Idea of Historical Events as Divine Manifestations in the Ancient Near East and in Israel, Lund 1967, 68-97, und W. Werner, Studie zur alttestamentlichen Vorstellung vom Plan Jahwes, BZAW 173, Berlin und New York 1988. 11 Babylon wird mitsamt dem Marduk-Tempel Esagila 689 v. Chr. durch Sanherib vernichtet, Jerusalem mit dem JHWH-Heiligtum im Jahr 587/86 v. Chr. durch Nebukadnezar. 12 Vgl. G. L. Keown, P. J. Scalise, Th. G. Smothers, Jeremiah 26-52, WBC 27, Dallas 1995, 74f., mit verschiedenen inhaltlich orientierten Deutungsvarianten, sowie K. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, WMANT 72, Neukirchen-Vluyn 1996, 220ff.; 346-349 und 364ff. 2 zu den übereinstimmenden Elementen wie die Inanspruchnahme eines fremden Herrschers als „Knecht“13 zur Durchführung des Heilsplanes. Die differenzierte und keineswegs bloß affirmativ auf die Geschichte des eigenen Volkes bezogene Geschichtstheologie der Marduktradition findet sich zeitnah zu der in den dtjes Prophetien vorausgesetzten Situation in der Babel-Stele des letzten neubabylonischen Herrschers Nabonid.14 Erneut wird darin die Zerstörung Babylons im Jahr 689 v. Chr. durch Sanherib als Strafe Marduks über das eigene Volk verstanden. „Ein bewährtes geschichtstheologisches Deutemuster von politischen und religiösen Katastrophen gab es also schon in der Marduk-Theologie seit der Zeit Nebukadnezar I.“15 Dazu gehörte, anders als es in der alttestamentlichen Diskussion der Vergangenheit vielfach angenommen wurde, sowohl die Rede vom Zorn über das eigene Volk als auch die Vorstellung eines weiterreichenden, planmäßigen Handels der Gottheit.16 Auf diesem Hintergrund gilt es die seit langem17 vermerkten Motivparallelen zwischen dem sogenannten Kyros-Zylinder und dem Kernbereich dtjes Prophetien zu Aufstieg und Auftrag des Perserkönigs zu verstehen.18 Nach der friedlichen Übernahme der Macht durch Kyros in Babylon wird dieser Vorgang ganz im Sinn der Geschichtstheologie der Marduktradition als souveränes Handeln des obersten babylonischen Gottes verstanden: „Kyros, den König von Anschan, berief er, zur Herrschaft über das ganze All sprach er seinen Namen aus ... (....) Er befahl ihm, nach seinen Stadt Babel zu gehen und er ließ ihn den Weg nach Babel einschlagen. Gleich einem Freunde und Genossen ging er an seiner Seite ... Ohne Kampf und Schlacht ließ er ihn in seiner Stadt Babel einziehen.“.19 Nach Albani entstand diese propersische Reformulierung babylonischer Geschichtstheologie bereits in den letzten Jahren vor dem Ende der von den Priestern Marduks ungeliebten Herrschaft Nabonids. „Dtjes schloß sich offenbar dieser propersischen Propaganda aus den Kreisen der Mardukpriesterschaft an 13 So bedient sich Marduk des neuassyrischen Herrschers Asarhaddon und JHWH des persischen Regenten Kyros. 14 TUAT I, 407. 15 So folgert treffend Albani, Der eine Gott, 89. 16 So argumentiert noch R. Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit 2, ATD.E 8/2, Göttingen 1992, 437: „Vor allem fehlt in der babylonisch-assyrischen Religion der positive religiöse Rückbezug auf nationale Katastrophen“. Dies läßt sich genauso wenig als Proprium der alttestamentlichen Überlieferung festhalten wie die Differenz zwischen Einzelereignissen bzw. –epochen bei Marduk versus Kontinuität oder Plan JHWHS. 17 R. Kittel, Cyrus und Deuterojesaja, ZAW 18, 1898, 149-162. 18 Besonders deutlich fallen die Parallelen zwischen Jes 45,1-7 und den Z. 10-17 (TUAT I, 408) aus. Kyros wird jeweils namentlich angesprochen und von der Gottheit bei der Hand ergriffen. Ihm wird die Weltherrschaft übertragen, was sich zunächst in der Zusage des Sieges über die Feinde, sprich: Babylon konkretisiert. Wobei der Kyroszylinder ausdrücklich den friedlichen Einzug in die Stadt Babel, „ohne Kampf und Schlacht“ festhält (Z. 17). 19 Auszug aus Z. 12-17 (TUAT I, 408). 3 und erwartete von Kyros das Ende der Gefangenschaft.“20 Unterstellt man dies, so geriet der Prophet und seine Kreise damit in einen doppelten Gegensatz - politisch gegenüber der Marduktheologie eines Nabonid: Sie verstand den „Knecht Marduks“, Kyros, als von der Gottheit gesandten Verbündeten gegen die Meder. Mit seiner Hilfe solle Nabonid seine Pläne zum Wiederaufbau des Mondheiligtums Echulchul in Harran, durch Marduk legitimiert, verwirklichen.21 Theologisch positioniert er sich gegen die propersische Mardukpriesterschaft: Mit ihr stimmt er zwar in der politischen Logik überein, bestreitet aber die theologische Rückführung der weltpolitischen Umwälzungen auf Marduk. Gerade angesichts der Unterschiedlichkeit springen die konzeptionellen Übereinstimmungen zwischen den Geschichtstheologien ins Auge. Der eine höchste Gott Marduk und der einzige Gott JHWH werden in großer Parallelität als Herren der Geschichte vorgestellt. Nur die Proklamation JHWHs als einziger Gott im Sinne eines erstmals formulierten Ein-GottGlaubens, wie wir sie in den Prophetien der dtjes Grundschrift finden, unterscheidet die Theologien.22 Allerdings werden die Konsequenzen dieses Ein-Gott-Glaubens in der Grundschrift zunächst kaum entfaltet.23 Man gewinnt vielmehr anhand der Gerichtsreden und des darin geführten Weissagungsbeweises gerade auf Grund der weitgehenden Analogien zum babylonischen Material den Eindruck, daß unter Zuhilfenahme des alten polytheistisch geprägten Sprach- und Vorstellungsgutes eine neue Sicht auf JHWH in Worte gefaßt werden soll, ohne daß Sprache und Motive selbst bereits dem Neuen angemessen wären.24 Es bestätigt sich dabei erneut die von Albrektson in seiner Untersuchung „History and the Gods“ 20 Albani, Der eine Gott, 96. Auffällig ist dabei die Diskrepanz zwischen der – jedenfalls im Kyroszylinder – festgehaltenen friedlichen Einnahme Babylons, die auch vor 538 v. Chr. als Zukunftshoffnung jedenfalls aus der Perspektive babylonischer Bewohner und Priesterschaft wünschenswert und in der theologischen Logik einer Befreiung der Marduk-Stadt durch den Knecht Marduks erwartbar ist, und der etwa in Jes 47 gewaltsam gedachten Entmachtung Babylons. Der Kyroszylinder formuliert allerdings erkennbar aus der Retrospektive, während für Jes 47 üblicherweise eine Ansetzung vor 538 v. Chr. angenommen wird. Die relative Chronologie der neueren redaktionsgeschichtlichen Entwürfe wirft dabei allerdings neue Fragen auf – vgl. Anm. 26. 21 So nach dem Traum der Nabonidinschrift, vgl. TUAT II, 493-496, bes. 494f. 22 In diesem Sinne markiert auch Albani, Der eine Gott, 90, die Differenz. 23 Albani, Der eine Gott, 102-122, bes. 107-113, versucht eine Deutung von Jes 47, die den babylonischen Streit zwischen Nabonid und der Mardukpriesterschaft in der Endphase des Reiches als Hintergrund annimmt. Dtjes setze „der langwierigen Gelehrtendiskussion aufgrund der komplizierten Omenwissenschaft“ (112) den einen Willen JHWHs entgegen. Damit wäre implizit das prae eines monotheistischen Glaubens mit ins Spiel gebracht. „Der Wille des einzig wirklichen Gottes läßt sich nicht aus allerlei Vorzeichen im irdischen oder himmlischen Bereich zu jeder beliebigen Zeit ablesen oder sogar noch in seine Zielrichtung ablenken (namburbi).“ (114f.) Selbst wenn man die Richtigkeit dieser Auslegung unterstellt, bleibt die Bedeutung der Einzigkeit Gottes in Jes 47 selbst ausgesprochen marginal bzw. hintergründig. 24 Der gleiche Befund zeigt sich etwa auch in Jes 43,10, wenn dort mittels der zutiefst polytheistischen Vorstellung der Theogenese die Einzigkeit JHWHs als Gott ausgesagt wird. 4 formulierte Einsicht: „In this domain, as in so many others, the Old Testament faith is expressed in categories of thought common to the entire ancient Near East.“25 Zwei divergierenden Ansprüche stehen sich gegenüber, die Marduk (Bel), sei es im Sinne Nabonids oder im Sinn der Mardukpriesterschaft, und JHWH als Ankünder und Wirkmacht hinter Kyros benennen. Sowohl bei Nabonid als auch in den dtjes Texten werden Erwartungen formuliert, die durch die faktischen Ereignisse des Jahres 538 v. Chr. korrigiert werden mußten. Nabonid wurde durch den vermeintlich zu seiner Hilfe herbeigeholten Kyros entmachtet. Und die JHWH-Verehrer erlebten nach 538 v. Chr. weder ein zerstörtes Babylon noch einen ohnmächtigen Marduk. Der Herrscher der neuen Weltmacht präsentierte sich vielmehr als erster Diener der alten babylonischen Gottheit. So ließ sich noch die Niederlage des neubabylonischen Reiches als eine Bestätigung der universalen Macht Marduks verstehen. Die prophetische Verkündigung unter den Exilierten stand damit vor neuen Herausforderungen, wollte sie nicht resignieren. Im Ergebnis erweisen sich diese Infragestellungen der frühen dtjes Verkündigung26 als movens der Entstehung des Prophetenbuches „Deuterojesaja“. Dabei wirkte sich die Aufnahme der kultischen Traditionen von der Thronbesteigung JHWHs auf dem Zion und seiner Königsherrschaft besonders gravierend aus. Sie prägen das Gesicht der mit Jes 40-52* vorliegende Prophetenschrift.27 Im Medium prophetischer Ankündigung wird die Rückkehr des königlichen JHWH auf seinen Thron in Jerusalem in Szene gesetzt. Somit rücken der König JHWH und sein königliches Zion ins Zentrum, währenddessen Kyros nur noch eine Rolle unter anderen zukommt.28 Als vermittelnde Repräsentanten der Gottesherrschaft dominieren nunmehr die antagonistischen Frauengestalten Babel und Zion. Die Eroberung und Entmachtung Babylons steht dabei noch bevor und wird von JHWH selbst und nicht von Kyros erwartet (Jes 42,13; 43,3f.; 43,14f.; 47*; 51,9ff.17ff. und 52,1ff., bes. 52,7-10).29 Mit einem mythisch gezeichneten, universalen 25 Albrektson, History , 97. Die Mehrheit der Ausleger versteht darunter die mündliche Verkündigung des unbekannten Propheten und/oder die dtjes Grundschrift in Jes 40-48* bzw. 40-52* - vgl. die Literatur in Anm. 27f. Ob wir vor 538 v. Chr. überhaupt schriftliche dtjes Prophetenworte anzunehmen haben, ist mit Chr. Levin, Das Alte Testament, München 2001, 85-90, bes. 87, erneut zu bedenken. 27 Die bei Hermission, Kratz und van Oorschot vorliegenden Gesamtthesen kennen in leicht variierendem Umfang und Akzentsetzungen eine solche dtjes Buchausgabe – vgl. die kritische Übersicht bei H.Leene, Auf der Suche nach einem redaktionskritischen Modell für Jesaja 40-55, ThLZ 121 (1996), 804-818. 28 J. van Oorschot, Von Babel zum Zion. eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung, BZAW 206, Berlin und New York 1993, 171f., und in vergleichbarer Richtung R.G. Kratz, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Entstehung und Theologie von Jesaja 40-55, FAT 1, Tübingen 1991, 170f.: „Dementsprechend richtet sich die Hoffnung (mit Kyros als Anfang, aber in der Folge ohne irdischen Repräsentanten) zunächst auf die Thronbesteigung des göttlichen Weltenkönigs Jhwh in Jerusalem“. (171) 29 Die aufgelisteten Worte gehören zur zionstheologischen Schicht des Buches – van Oorschot, Babel, 59ff., 106ff., 128ff., 152ff. und 345. 26 5 Hoffnungsbild30 tritt die prophetische Schrift der offenen und unklaren Situation nach dem Herrschaftsantritt des Kyros als „Knecht Marduks“ in Babylon entgegen. Die Hoffnung auf den einen Gott, der planvoll31 in der Geschichte handelt, hat sich gewandelt. II Schuld, Geschichte und der eine Gott Es soll nicht der letzte Wandel einer prophetischen Geschichtstheologie bleiben, die im weiteren Verlauf der Entwicklung nicht nur durch die Geschehnisse bzw. durch konkurrierende Ansprüche herausgefordert wird. Der spätdtjes Abschnitt, Jes 48,1-11*32, der in diesem redaktionsgeschichtlichem Stadium als einziger auf Sprache und Motivik des frühen Weissagungsbeweises zurückgreift, entwickelt die Ansätze des Ein-Gott-Glaubens an den Geschichtslenker JHWH weiter, indem er sich der bleibenden Schuldverfallenheit Israels stellt. Der Abschnitt selbst existierte nie als prophetischer Einzeltext, sondern gehörte schon primär in einen größeren literarischen Zusammenhang.33 Darauf weist die parallele Adressierung in 48,1 und 48,12 sowie die komplexe Verwobenheit mit dem Kontext.34 Darüber hinaus wurde schon seit langem auf die Bezüge zu Worten aus dem Ezechiel35- und Jeremiabuch36 aufmerksam gemacht. Dies gab immer wieder Anlaß die dtjes Verfasserschaft in Frage zu stellen, wobei seit Bernhard Duhm meist der Versuch unternommen wurde, einen dtjes Grundtext von sekundären Erweiterungen zu unterscheiden. Mittlerweile wurde jedoch Aussagen zur Feindvernichtung, die im Zusammenhang mit Kyros gemacht werden, bleiben allgemein und zielen nicht konkret auf Babylon – Jes 41,2f.; 41,25; 45,2f. Einzig 43,14 stellt hier eine gewisse Ausnahme dar. Somit ergibt sich eine Lektüre, die in Kyros das Werkzeug auch bei der Beseitigung Babylons erkennt, vor allem aus der Komposition des vorliegenden Buches und nicht aus den Einzellogien. Eine derartige Lesung war jedoch erst seit Dareios I. und seiner Eroberung Babylons, dem kyros redivivus sozusagen, auch historisch plausibel. 30 JHWH tritt als Krieger (40,10; 52,10) und als Sieger im Chaoskampf auf (Jes 51,9f.) 31 Kratz, Kyros, 163 Anm. 587, und 172-174, deutet die neue Vorstellung einer „Heilsgeschichte nach Gottes Plan“ (173) mehrfach an. 32 Die neueren Arbeiten von Hermisson, Kratz und van Oorschot sehen in diesem Abschnitt allesamt eine spätere Ergänzung zum Dtjes-Buch. 33 So u.a. mit H.-J. Hermisson, Deuterojesaja, BKAT XI/9, Neukirchen-Vluyn 1992, 207f. 34 Dazu gehört die Aufnahme der „Jakob/Israel“ Anrede in V.1a, der Rekurs auf den sogenannten Weissagungsbeweis mit seiner entsprechenden Terminologie in V.3aα, die Kenntnis der Götzenbilderschicht (V.5b) sowie von Motiven der Ebed-Jahwe-Lieder (V.1bβ – vgl. 42,3b; V.8aβ – vgl. 50,5aα und V.8b – vgl. 49,1b.5aα). Im Detail finden sich weitere Bezugnahme, die eine subtile Kontextverknüpfung zeigen: 48,1 mit 48,12; 48,1 mit 47,8; 48,3 („plötzlich“) mit 47,11; ארקin 48,1.8 mit 47,1.5 und 48,12 – um nur einige zu nennen. 35 Ez 20,9.14.22 und 36,22.36 vgl. mit V.8 und 9-11 – so mit H.-Chr. Schmitt, Prophetie und Schultheologie, ZAW 91 (1979), 54, und Hermisson, Deuterojesaja, 213 und 243-245. 36 Jer 4,2 vgl. mit Jes 48,1b sowie Jer 6,27-30 mit Jes 48,10 – dazu Hermisson, Deuterojesaja, 247f. 6 mehrfach nachgewiesen, daß die Reduktion von Jes 48,1-11 auf ein Heilswort, das konsequent alle Elemente der Scheltrede (V.4.5b.7b.8-10) eliminiert, nur um den Preis einer letztlichen Zerstörung des Textes erreichbar ist.37 Die kritischen Einsprüche gegen Israel gehören konstitutiv zu seinem Grundbestand38, der demnach als einheitlich anzusehen ist und einer späteren Fortschreibung innerhalb des Deuterojesajabuches zugehört.39 48,1 2 3 4 5 6 7 8 Hört dies, Haus Jakob, die sich nennen mit dem Namen Israel und aus dem Leib40 Judas hervorgingen die schwören beim Namen Jahwes und den Gott Israels preisen, nicht in Wahrheit und nicht in Rechtschaffenheit. Ja, nach der heiligen Stadt nennen sie sich und auf den Gott Israels stützen sie sich, Jahwe Zebaoth ist sein Name. Die früheren Dinge tat ich vormals kund, und aus meinem Mund gingen sie hervor, daß ich sie hören ließ. Plötzlich handelte ich, da trafen sie ein. Weil ich wußte, daß du halsstarrig bist und eiserne Sehne dein Nacken und deine Stirn ehern, tat ich es dir kund vormals, bevor es eintraf, ließ ich es dich hören, damit du nicht sagst: Mein Götze hat sie getan und mein Schnitzbild und mein Gußbild hat sie angeordnet. Du hörtest – sieh41 es alles! Und ihr – tut ihr es nicht kund? Ich lasse dich neue Dinge hören von jetzt an, verborgene, die du nicht kanntest. Jetzt werden sie geschaffen und nicht vormals, und vor dem Tag hast du sie nicht gehört, damit du nicht sagt: Siehe, ich kannte sie. Weder hast du gehört noch hast du erkannt noch ward dein Ohr vormals geöffnet, denn ich wußte: du bist ganz und gar treulos, 37 Hermisson, Deuterojesaja, 209-211, und van Oorschot, Babel, 301-303. Hermisson, Deuterojesaja, 211, erwägt eine sekundäre Ergänzung in V.5b und V.7b, van Oorschot, Babel, 303-305, in V.1bβ.2.7b und V.9f. Übereinstimmend wird V.11aα als Glosse angesprochen. 39 Hermisson, Deuterojesaja, 214f., ordnet ihn in seiner Naherwartungsschicht zu, Kratz, Kyros, 207, der EbedIsrael-Schicht, und van Oorschot, Babel, 305-306 und 308-311, in seinem stärker differenzierten Redaktionsmodell der dritten Bearbeitungsschicht (R³) der beiden grundlegenden Buchausgaben. Leene, Modell, 816f., versteht Jes 48 im Horizont von Jes 42,1-9, als „eine spätere Zufügung in eine ältere Phase des Textes“ (815). Hermisson, Deuterojesaja, 214 und 225f., relativiert mit einer These zur Leseabsicht des Redaktors die redaktionsgeschichtliche und historische Einordnung des Abschnitts. Der Vf. nehme den Standort Dtjes’s ein, obwohl er später schreibe, ohne daß „eine bestimmte zeitgeschichtliche Situation vor Augen steht, sondern das nachexilische Israel grundsätzlich auf seine Lage vor Gott angesprochen wird.“ (214). 40 Da weder die Deutung des masoretischen Textes (“von den Wassern“) noch die Versiones einen befriedigenden Sinn ergeben, ist mit einer Vielzahl von Auslegern zu konjizieren: ע מּמוּP י- vgl. ausführlich Hermission, Deuterojesaja, 202. 41 Mit Hermission, Deuterojesaja, Deuterojesaja, 204, sind die zahlreichen Veränderungsvorschlage des masoretischen Textes als unnötig abzuweisen. 38 7 und „Abtrünniger von Mutterleib“ wirst du genannt. 9 10 11 Um meines Namens willen halte ich meinen Zorn hin. Und um meines Ruhmes willen verschone ich dich, dich nicht zu vertilgen. Siehe, ich habe dich geschmolzen, doch nicht zu Silber, habe dich geprüft im Schmelzofen des Elends. Um meinetwillen, um meinetwillen handle ich, - denn wie wird er entweiht und meine Ehre gebe ich keinem anderen. Die klare Struktur mit Einleitung (V.1-2) und einem dreigliedrigen Hauptteil42 hebt die Schwerpunkte und das inhaltliche Gefälle des Abschnitts deutlich hervor. Ein umfänglicher Einleitungsteil kennzeichnet zunächst die Adressaten, wobei schon dabei der kritische Unterton anklingt.43 Die Charakterisierung Israels nimmt einen erheblichen Raum ein und stellt, wie wir sehen werden, den Anlaß dar, um erneut auf JHWH als den Herrn der Weltgeschicke zu sprechen zu kommen. Wem gilt das prophetische Wort? Mit dem Verweis auf das „Haus Jakob“ und den „Namen Israel“ wird die Tradition der Erzväter bemüht, wie wir sie aus der Grundschicht des DtjesBuches kennen, die wiederum auf die jahwistische Ursprungserzählung Judas mit ihren Vätergestalten zurückgreift. Expliziert wird die ehrenvolle Verankerung der Adressaten durch deren Schwur beim Namen Jahwes. Im Hintergrund steht die mit Dtn 6,13; 10,20 und Jer 4,2 sowie Zeph 1,544 zum Bekenntnis erhobene Bezugnahme auf JHWH als dem Garanten des Schwurs.45 Israel soll bei ihm schwören und „nicht anderen Göttern nachgehen“ (Dtn 6,14). Auf diese Weise lobt es den Gott Israels (V.1aβ). Genau das geschieht, ausweislich des Prophetenwortes, allerdings „nicht in Wahrheit und Gerechtigkeit“. Somit tut sich eine Kluft zwischen göttlichem Handeln und menschlicher Reaktion auf. JHWH kommt seinem Volk mit „Gerechtigkeit“ und d.h. mit seinem Heil entgegen, wie die vorgegebenen Prophetenworte nicht müde werden zu betonen.46 Das Volk selbst jedoch verweigert eine entsprechende Antwort .ה ק ד צ@בHier deutet sich erstmalig das Grundproblem unseres Abschnitts an: Der in der Geschichte für sein Volk handelnde Gott trifft auf ein sich verweigerndes Volk. 42 I – Weissagung und Tun des „Früheren“ V.3-6a; II – Weissagung und Tun des „Neuen“ V.6b-8; III – Zielstellung im „Neuen“ V.9-11. 43 Innerhalb des direkten Kontextes unterstreicht die vergleichbare Anrede Babels in 47,8 diesen Ton. Zugleich findet sich die Konstruktion eines pluralischen Aufmerksamkeitsrufes mit der deiktischen Partikel ת אזhäufig als Einleitung einer Streit- oder Scheltrede (Am 8,4; Hos 5,1; Mi 3,9; Jer 5,21; Jl 1,2; und Hi 34,16). 44 Damit tritt der Schwur deuteronomistisch annähernd gleichrangig neben den Dienst für und die Furcht vor JHWH – vgl. insgesamt I.Kottsieper, Art. ב שׁpע, ThWAT VII, 974-1000, bes. 980f. 45 Die dtjes Grundschrift erwartet ein derartiges Bekenntnis nach Jes 45,23 perspektivisch von allen Erdbewohnern. 46 Vgl. Jes 45,8; 45,23 und respondierend 45,24a.25; 46,12f. und in Variation zum Thema auch in späteren Texten: 51,6.8; 54,14.17; 56,1; 58,2; 59,9.14.16f.; 60,17; 61,10f.; 63,1; 64,5. 8 Die göttliche Stiftung von הקדצstößt ins Leere, weil sie nicht auf Vertrauen trifft. Der rechtfertigende, Gerechtigkeit verleihende Gott findet damit keine Aufnahme, kein Vertrauen. Gerät JHWH damit an die Grenzen des von ihm Gestaltbaren? Wird damit die Souveränität Gottes in Frage gestellt? Ein Nachfahre unseres prophetischen Ergänzers versucht den Zwiespalt durch eine ethische Ermahnung mit anschließendem Umkehrruf zu schließen: „Wahrt Recht und schafft Gerechtigkeit ()הקדצ, denn meine Rettung naht zu kommen und meine Gerechtigkeit ()הקדצ sich zu enthüllen.“ (Jes 56,1) Die Israeliten sollen tun, was Gott geben wird. So kann man etwas zugespitzt die Doppelaussage fassen. Und berücksichtigt man noch die logische Struktur, so wird gesagt: Weil Gott seine Gerechtigkeit sichtbar werden lassen wird, sollen die Israeliten sich gemeinschaftstreu verhalten. Die ethische Mahnung dient demnach der Ausrichtung der Adressaten auf Gottes Erscheinen bzw. auf das Erscheinen der Gerechtigkeit Gottes. Wir haben es im Grunde mit einer adventlichen Struktur zu tun. Der Mensch wird zur Vorbereitung auf Gottes Kommen gerufen, in dem er in seinem Tun bereits die praesentia dei antizipiert. Das zugesagte Gottesverhältnis steuert damit das gegenwärtige Zusammenleben im Gottesvolk. Teilt der Verfasser unseres Abschnitts einen derartigen ethischen Optimismus, wie er hier eingebettet in eine Heilsbotschaft zu hören ist?47 Die explikativ angeschlossene48 Verknüpfung der Adressaten mit der „heiligen Stadt“ Jerusalem (Jes 52,1) und ihrem Gott, auf den sie sich „stützen“, bezieht nun die königszeitliche Tempeltheologie mitsamt ihrer zionstheologischen Fortführung aus Jes 4052* ebenfalls mit ein. Folgt man dem Duktus von V.1 her, so gerät auch dieses nach außen hochgehaltene Bekenntnis ins Zwielicht. Im Buch folgt damit auf Kapitel 47 mit 48,1ff. „der Babel-Kritik eine Israel-Kritik“49. Nachdem die große prophetische Abrechnung mit der Hybris Babels vorgenommen wurde, beginnt der prophetische Verfasser den Abschluß der Teilkomposition Jes 40-48 ausgerechnet mit dem Blick auf das beharrlich vertrauenslose Gottesvolk. Der sich anschließende Rückblick auf die Logik der bisherigen Verkündigung mit V.3-6a liegt nun nahe. Im Modus der Vergangenheit und konfrontiert mit dem Wissen Gottes (V.4a) kommt der prophetische Verfasser auf die übernommene dtjes Geschichtstheologie zu 47 Der gegenüber Jes 56,1-8 teilweise in christlicher Auslegung begegnende Vorwurf, hier werde eine Werkgerechtigkeit vertreten (u.a. Duhm HAT, Jesaja4, 1922, 419), verfehlt die Ermahnung, die eine grundlegende Heilszusage voraussetzt. 48 Zur Diskussion um die Partikel י@כּvgl. Hermisson, Deuterojesaja, 221f. 49 Hermisson, Deuterojesaja, 223. 9 sprechen. Prophetische Ankündigung ging den Geschehnissen voraus, so daß sie – und hier meldet sich die gegenüber der bisherigen Rede neue Einsicht – nicht für fremde Götter, sprich: Götzen reklamiert werden konnten. Und: Der die Taten ansagte, schuf ihnen dann auch „plötzlich“ Wirklichkeit, ganz so plötzlich wie Unheil und Verwüstung über Babylon kam (47,11). Die prophetischen Ansagen erreichten das Ohr der Adressaten. Sie sahen all dies (48,6aα), ohne daß sie darüber zu Zeugen des einzigen Gottes wurden (V.6aβ). So lautet der ernüchternde Rückblick, der mit seiner Anspielung auf Jes 47,11 und auf das, was es für die Angesprochenen nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen gab. Letzteres setzt naheliegenderweise sowohl die Zeit des Kyros als auch die (erst unter Dareios erfolgende) Eroberung Babylons im Zusammenhang der Niederschlagung der Aufstände 522/521 v. Chr. voraus.50 Was kann und soll nun angesichts dieser Situation an „Neuem“ folgen? Auf diese Frage läuft der Abschnitt in V.6b-8 und 9-11 zu. Er beantwortet sie nun erstaunlicherweise nicht, indem er inhaltliche Aussagen zu Gottes neuem Handeln macht.51 Ganz offensichtlich setzt der Text eine entsprechende Kenntnis voraus, wie sie für den Leser des Buches durch 42,9 und 43,19 möglich ist. Dementsprechend erwartet unser Abschnitt (immer noch) die heilvolle Befreiung der Gola und ihren wundervollen Zug durch die Wüste. Der Einzug des Kyros in Babylon 538 v. Chr. nebst den folgenden Ereignissen und auch die Vertrauenslosigkeit Israels geben keinen Anlaß zu einer inhaltlichen Neubestimmung. Weder in den Verfasserkreisen noch unter den Adressaten scheint die Orientierung an einer Heilsbotschaft strittig.52 50 Auch nach Hermisson, Deuterojesaja, 235, liegen „die Anfangserfolge des Kyros“, „auch die Eroberung Babylons“ schon in der Vergangenheit. Trotzdem neutralisiert er die Bedeutung dieses geschichtlichen Horizontes, wenn er „plötzlich“ im Sinn eines theologischen Allgemeinplatzes versteht: Die Ankündigung göttlicher Machttaten „ändert ja nichts daran, daß ihre geschichtliche Realisierung für den Menschen überraschend kommt.“ (226) oder: „Sie ereignet sich >>plötzlich<<, weil für den Menschen ein Jahwehandeln immer überraschend kommt“. (228) Wenn er für eine grundsätzlich-zeitunabhängige Deutung darauf verweist, daß der Redaktor „den Standort Dtjes’s bezieht“ (226), wenn er die ihm vorliegende prophetische Überlieferung aufnehme, so gilt dies für alle Bestandteile des Dtjes-Buches, die redaktionsgeschichtlich jünger als die Grundschrift sind. Die Aufnahme etwa eines Kyroswortes allein steht dabei jedoch nicht als Indiz für eine überzeitliche Intention. Vielmehr löst die Nennung des ehemaligen persischen Herrschers die Suche nach dem gegenwärtigen kyros redivivus aus, der sich etwa in der Person eines Dareios I. mühelos finden ließe. 51 Eine knappe Übersicht zu Deutungsversuchen gibt Hermisson, Deuterojesaja, 234f. 52 Duhm, Das Buch Jesaja, beklagt mit Blick auf diese inhaltliche Übereinstimmung der früheren und jetzigen Ansagen eine Unlogik im Text: „Jahve hat seine Weissagungen längst gegeben, um zu verhüten, dass Israel seine Thaten >>seinem Götzenbild<< zuschreibe, und er hat sie nicht früher gegeben, damit Israel nicht sagen könne, es habe schon alles gewusst.“ (323) Hermisson, Deuterojesaja, 234, hält dem entgegen, daß es sich um verschiedene Weissagungen handle, frühere Gerichtsankündigungen und neue Heilsansagen. Damit ist das Problem jedoch nicht wirklich beseitigt, da Duhm insofern Recht zu geben ist, daß bereits in 43,16-21 das Neue entsprechend der Logik des Weissagungsbeweises angesagt wurde und es nun in 48,1-11 als „verborgen“ (48,6b) vorgestellt wird. Dieser Widerspruch löst sich nur auf, wenn man die neue und klare Unterscheidung zweier Phasen göttlichen Handelns ernst nimmt. Der Einschnitt trennt Verkündigung und Erfahrungsbereich der primären dtjes Prophetie 10 Umstritten und somit einer Aussage wert ist jedoch die Art und Weise des göttlichen Handelns. An diesem Punkt widerspricht Jes 48 klar der früheren Vorgehensweise, die sich in den Bahnen des Weissagungsbeweises bewegte. Nunmehr verabschiedet der göttliche Geschichtslenkers sich von der gewohnten Weise prophetischer Ankündigung. Der parallele Aufbau von V.3-6a und V.6b-8 unterstreicht diese Abkehr.53 Galt in der bisherigen Phase „Ich tat es dir vormals kund, bevor es eintraf, ließ ich es dich hören, damit du nicht sagst: Mein Götze hat sie getan“ (V.5), so heißt es nun „Jetzt werden sie geschaffen und nicht vormals, und vor dem Tag hast du sie nicht gehört, damit du nicht sagt: Siehe, ich kannte sie.“ (V.7). Ganz offensichtlich zieht der Verfasser die Konsequenz aus der Wirkungslosigkeit des Weissagungsbeweises. Nach Jes 43,8-13 bestand dessen Aufgabe darin, aus einem „blinde(n) Volk“ und aus „Tauben“ (V.8) Zeugen für JHWH zu machen (V.10). Das gewandelte Gottesvolk sollte ihn als den einzigen Gott vertrauensvoll anerkennen und darin zugleich seinen Heilswillen erkennen (V.11f.).54 Eben dieses Vertrauen auf die universale Geschichtsmacht JHWHs hat sich nicht eingestellt. Knapp aber drastisch wurde dies bereits in der Vorstellung des Gottesvolkes vermerkt. Mit Verweis auf das, was Gott erkannt hat (V.4.8), bringt es der erste und zweite Hauptteil zum Ausdruck. Die Verse greifen dabei auf geprägte Sprache aus dem deuteronomisch-deuteronomistischen sowie aus dem prophetischen Bereich (Ezechiel- und Jeremiabuch) zurück. Unbelehrbar widerständig, den Schein-Göttern und dem Selbst-Ruhm verfallen – so kennt JHWH das Gottesvolk. Unser Abschnitt formuliert dabei eine grundlegende ekklesiologische55 bzw. anthropologische Einsicht. Biographisch formuliert es V.8: „von Mutterleib Abtrünniger“. Untrennbar gehört der Hang zum Bruch56 mit JHWH zum Gottesvolk. Und im Rückblick auf die jüngste Phase der dtjes von derjenigen der jetzigen Leser. Die damaligen Erwartungen gegenüber Kyros gehören der Vergangenheit an und haben weder nachhaltiges Gottvertrauen hervorgebracht, noch haben sie sich ungebrochen in den geschichtlichen Abläufen wiederfinden lassen. Die neue Heilsbotschaft kann zwar an sie anknüpfen, muß dies aber in einer veränderten geschichtlichen Situation und unter den Bedingungen einer gewandelten Sicht auf die Adressaten. Heilsansage damals und heute unterscheiden sich damit gravierend – auch wenn es sich weiterhin um Heil für ein Israel unter dem Exilsgeschick handelt. 53 Hermisson, Deuterojesaja, 209, skizziert die parallelen Elemente. 54 Zur Zielrichtung der auf die Adressaten selbst angelegten Gerichtsreden vgl. ausführlicher van Oorschot, Babel, 33-38. 55 Der Begriff steht für die Dimension der Rede von Gottes Volk – vgl. P. D. Hanson, Das berufene Volk. Entstehen und Wachsen der Gemeinde in der Bibel, Neukirchen-Vluyn 1993. 56 Vgl. R. Knierim, Artikel עש`פ, THAT II, 488-495, bes. 493. 11 Heilsverkündigung konstatiert der prophetische Verfasser von Jes 48,1ff. an einer auch kompositionell wichtigen Stelle des Buches57 die Machtlosigkeit der argumentativen Geschichtstheologie seiner Vorgänger. Der prophetischen Zukunftsansage und -deutung mißlang die innere Erschließung der Menschen für den geschichtsmächtigen Gott und seine Taten. Der Optimismus der dtjes Grundschicht weicht einer ekklesiologischen und anthropologischen Skepsis, die ihre Parallele im spät-dtr Prophetenbild hat.58 Prophetie erreicht weder als theologisch argumentatives noch als mahnendes Medium die Tiefenstrukturen des Menschen. Sie vermag ihn nicht nachhaltig zu verändern. Diese Einsicht hält der Prophet fest, in dem er in V.3-6a und V.6b-8 zwei Phasen der Wirksamkeit Gottes einander gegenüberstellt. Damit wird das Gottesvolk auf seine Neigung zur Selbst- und Gottesverfehlung festgelegt – oder wie Hermisson es mit Blick auf den Weissagungsbeweis formuliert: „Weil sie das >>Frühere<< nicht hören wollten, darum können sie das „Neue“ nicht hören, denn es kann ihnen nicht verkündigt werden.“59 Die neue Aufgabe der Prophetie besteht zunächst darin diese Spannung zwischen Selbstanspruch und prophetisch gedeuteter Wirklichkeit, zwischen Fremdbild und Selbstbild des Gottesvolkes offenzulegen. Die Textstruktur markiert dies kunstvoll durch die Inklusion der Aussagen mit ארק, die mit V.1 („sich nennen mit dem Namen Israel“) und V.8 („>>Abtrünniger von Mutterleib<< wirst du genannt“) das Ganze umschließen. Wir werden im weiteren zu fragen haben, ob aus der Sicht des Verfassers eine Auflösung dieser Grundspannung möglich ist. Zunächst bleibt jedoch mit Blick den dritten Abschnitt des Hauptteils in V.9-11 die theologische Konsequenz zu besehen. Das Wissen um den Menschen steuert nicht nur die Heilszueignung, sondern führt auch zu einer anderen Begründung des göttlichen Heilswillens. Er wird nun ganz in Gott selbst verankert und somit in umfassender Weise bedingungslos. Nicht nur seine Verursachung liegt abseits menschlicher Einwirkung60 sondern auch seine Durchführung und die benannte Zielstellung. Gottes Handeln wird von Israel und seiner 57 Unabhängig von der redaktionsgeschichtlichen Auswertung der Beobachtungen wird seit langem der relative Einschnitt nach Kap. 48 zusammen mit den zahlreichen Eigenheiten der Buchteile Jes 40-48 und 49-52 vermerkt – vgl. U. Berges, Das Buch jesaja. Komposition und Endgestalt, HBS 16, Freiburg u.a. 1998, 15-24 und 325333. 58 Die Umkehrpredigt der Propheten führt zu keiner durchgreifenden Änderung auf Seiten Israels. Der Gehorsam gegenüber der Tora stellt sich nicht ein. An einigen Stellen wird daraus die Konsequenz gezogen, nun die Verankerung der Tora im „Herz“ der Menschen von Gott selbst zu erwarten. Er werde sie in ihr Herz schreiben bzw. ihr Herz entsprechend wandeln (Jer 31,31-34; Ez 11,19f.; 36,26f.) – dazu Chr. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985. 59 Hermisson, Deuterojesaja, 240. 60 Diese Form von Unbedingtheit findet sich schon in der dtjes Grundschrift – vgl. etwa die Heilsworte in Jes 41,8-13; 14-16; 43,1-7* u.ö. 12 Reaktion unabhängig. Der Herr der Geschichte läßt sich auch durch die Widerständigkeit und Selbstverweigerung des Gottesvolkes nicht einschränken. Das monotheistische Gottesbild entwickelt sich, konfrontiert mit der Einsicht in die radikale Schuldverfallenheit Israels, zu einer konsequent theozentrischen Heils- und Geschichtstheologie. JHWHs Heil wird nicht nur grundlos zugesprochen. Der Zuspruch wird vielmehr trotz Widerspruch aufrechterhalten. Die doppelte Aussagenreihe in V.9 und 11 läßt dabei zwei große Traditionen anklingen, die dem Leser bekannt sein dürften. Mit dem Stichwort ( דוֹוב כV.11b) wird auf die vorexilische Tempeltheologie Judas sowie deren priester(schrift)liche Reformulierung unter den Bedingungen des Exilsgeschicks61 und mit der Rede vom שP םGottes auf die dtr. Namenstheologie angespielt.62 Erneut belegt der Abschnitt damit seinen weiten Horizont, in dem er nicht allein die frühe dtjes Prophetie fortschreibt, sondern sie mit Impulsen anderer Überlieferungskreise denkend und verkündigend verknüpft. Inhaltlich geben die Schlußverse nun den Grund für das „jetzt“ bevorstehende Heilshandeln an. Er liegt nach beiden Aussagen allein in Gott. JHWH hält an sich selbst und d.h. seiner universalen (42,10.12) und konkurrenzlosen Herrschaft (42,8) fest. JHWH beharrt auf sich wider alle Beharrlichkeit von Gottesvolk und Mensch. Deshalb wird er Israel nicht „ausrotten“, sondern sich langmütig63 erweisen. Die Vernichtung bleibt aus, weil Gott seine Ehre nun selbst schützt. Erneutes und angesichts des schuldverfallenen Israel immer erneut nötiges Richten würde den Gott dieses Volkes bleibend dem Verdacht aussetzen, ohnmächtig zu sein. Die kultische Sprache der Sachparallelen aus dem Ez-Buch formuliert entsprechend: Sein Name würde vor den Augen der Völker „entweiht“ (Ez 20,9.14.22; 36,22). Der Herr der Geschichte handelt nun unabhängig von den Taten Israels, um dies zu vermeiden.64 In Ps 115 findet sich dieser Gedanke in der einleitenden Aufforderung der Beter an Gott gerichtet: 61 Zur königszeitlichen Ausprägung vgl. H. Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, FRLANT 148, Göttingen 1989, 165-179 und 220-225, sowie zur Wiederaufnahme der Rede in priesterschriftlichem Kontext T.N.D. Mettinger, The Dethronement of Sabaoth. Studies in Shem and Kabod Theologies, CB.OT 18, Lund 1982. 62 Die Belege zu den Wendungen „um meinetwillen“ oder „um meines/deines Namens willen“ führen in das Umfeld dtn oder dtr Abschnitte – vgl. die Zusammenstellung bei Hermisson, Deuterojesaja, 242f., mit weiterer Literatur. Unserem Text kommen besonders die Parallelen in Ez 20,9.14.22 und 36,22 nahe. 63 Zum vergleichsweise jungen traditionsgeschichtlichen Umfeld des Motivs von der Langmut Gottes vgl. die Stellen bei Hermisson, Deuterojesaja, 244f. Wenn dort mit Jer 15,15 ein Vers aus den Konfessionen Jeremias als ältester Beleg angeführt wird, müßte eine spätvorexilische Ansetzung dieser Rede angesichts der Diskussion um die zeitliche Einordnung der Konfessionen erneut besehen werden – vgl. K.-F. Pohlmann, Die Ferne Gottes. Studien zum Jeremiabuch. Beiträge zu den >>Konfessionen<< im Jeremiabuch und ein Versuch zur Frage nach den Anfängen der Jeremiatradition, BZAW 179, Berlin und New York 1989. 64 In ähnlicher Weise reagiert der Abschluß der Fluterzählung auf die bleibende Verderbtheit der Menschheit – vgl. die theologische Deutung der Flutgeschichte in Gen 8,20-22, einem Abschnitt, den Chr. Levin, Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993, 103-109, mit der opinio communis dem Jahwisten zuordnet, während R. G. 13 „Nicht uns, JHWH, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre! Warum sollen die Völker sagen: >>Wo ist denn ihr Gott?<<“ (V.1a.2) Mit dieser Konsequenz verbindet Jes 48,1ff. zugleich das Scheitern einer göttlichen Erziehung qua Gerichtshandeln. In V.10 wird dies ausdrücklich festgehalten. Die mehrdeutige Formulierung ףסכב אלוerhält ihre Eindeutigkeit durch den Kontext sowie durch den traditionsgeschichtlichen Hintergrund: Die Läuterung führte „nicht zu Silber“, blieb also erfolglos.65 So knapp die Aussage ist, so weitreichend ihre Konsequenz. Zukünftiges Richten Gottes scheint damit ausgeschlossen und zwar gerade weil es permanent einen Anlaß für die Bestrafung und Erziehung Israels gibt. Denn diese Art der Pädagogik erwies sich als untauglich. Aus der Geschichte zog man weder in der akuten Situation noch im Nachhinein tragfähige Lehren. Die Parallele in Jer 6,30 schließt daraus, daß Israel verworfen sei. Hermisson erwägt, ob mit dem nachfolgenden רחבin V.10b eine doppeldeutige Anspielung „prüfen/erwählen“ vorliege, so daß auch ein positiver Nebenton mitschwinge.66 Unterstützend läßt sich dazu die anhaltende Heilsverkündigung im Dtjes-Buch ins Feld führen67. Läßt sich ein solch aufhellender Nebenton auch für den Gesamthorizont des Abschnitts wahrscheinlich machen? Liefern die Kontextbezüge dazu plausible Argumente? Inwieweit sind etwa Aussagen des Jer- und Ez-Buches einzutragen, wenn es um das Israel- oder Menschenbild des Abschnitts geht? In der Sache steht damit infrage, ob es für diese Schicht der prophetischen Verkündigung die Erwartung einer Besserung Israels bzw. einer Neuschöpfung des Gottesvolkes gibt. Vor allem in letzterem Sinn wird von verschiedenen Auslegern immer wieder argumentiert, etwa unter Eintrag von Vorstellungen aus Ez 36. Eine „Reinigung und Wandlung Israels als göttliche(r) Tat“ sei „letzten Endes auch hier vorausgesetzt“.68 Umgekehrt läßt sich unter Verweis auf den dtjes Kontext argumentieren. So spielt der Abschnitt, wie bereits dargestellt69, mehrfach auf die Ebed-Jahwe-Lieder an. Der somit kollektiv verstandene Knecht aus Jes 42,1-4, 49,1-6 und 50,4-9 erscheint als eine Art Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, UTB 2157, Göttingen 2000, 261f. zu den nachjahwistischen und nachpriesterlichen Zusätzen rechnet. 65 V.11 wiederholt unverändert V.9. Auch weiterhin gilt alternativlos, daß Gott sich gezwungen sieht, ausschließlich auf sein Eigeninteresse zu achten und gerade deshalb Heil für sein Volk zu schaffen. Zugleich finden sich im Motiv- und Traditionsumfeld zahlreiche Belege, die entsprechend von einer gescheiterten Läuterung sprechen – vgl. Jes 1,22; Ez 22,17-22 (Ez 24,11f.); Jer 6,29f.) – ausführlich dazu Hermisson, Deuterojesaja, 245-248. 66 Hermisson, Deuterojesaja, 248f. 67 Vgl. etwa Jes 41,9 und 49,7. 68 Hermisson, Deuterojesaja, 243 – vgl. auch ebd. 236 und 253. 69 S.o. Anm. 34. 14 Gegenfigur zu dem von Ursprung her verderbten Israel. Wie ist dieses Gegenüber zu verstehen? Der Einzeltext selbst und auch die Komposition des vorliegenden Buches beläßt an dieser Stelle einen großen Interpretationsspielraum. Soll man mit Kratz70 die Aussagen in Jes 48,1-11 faktisch so weit hinter sich lassen, daß Israel „durch Einhaltung der Gebote gemehrt (48,17-19), zum Verkündigen bereit (48,20) und als „Ebed Jhwh“ vollständig im Land versammelt (49,1-13) hervorgeht.“? Damit blieben die Einsichten zur radikalen Schuldverfallenheit Episode, wären jedenfalls in der Grundsätzlichkeit, mit der sie formuliert sind, nicht aufgenommen.71 Historisierend könnte man hier eine andere Gruppe innerhalb Israels am Werk sehen, die mit ihrer Dominanz die Hoffnung auf einen grundlegenden Neuanfang verbindet.72 Allerdings entsteht schon nach Jes 48,17-19 zwar eine zukünftige Option neuen Gehorsams, deren faktische Realisierung nach den Erfahrungen in Vergangenheit und Gegenwart jedoch eher fragwürdig bleiben.73 Daß der stärker pessimistische Grundton auch für diesen und weitere Abschnitte in Jes 56-66 gilt, darauf weist schon die klar theozentrische Ausrichtung hin. JHWH wird in 48,17 zum Lehrer, so wie es in 48,1-11* allein JHWH ist, der gegen sein Volk Heil bewirkt. Die theologische Vermittlung zwischen den beiden Israelbildern, die uns in 48,1ff. und in den Ebed-Texten begegnen, erfolgt theozentrisch. Beide Gestaltgebungen werden durch die Rede von der Herrschaft Gottes gerahmt, die gerade in den späteren Schichten des Dtjes-Buches zunehmend der Konsequenzen des Ein-Gott-Glaubens ansichtig wird. So ergibt sich zusammenfassend erneut die Frage: Wie erscheint JHWH als Herr der Geschichte? III Gott und Mensch - an Grenzen Fokussieren wir abschließend den in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlichen Abschnitt in Jes 48, so gelingt eine Momentaufnahme in der Selbstverständigung des noch jungen Ein-GottGlaubens, der sich seiner selbst bewußt wird. In einer geschichtlich unanschaulichen Weise 70 Kratz, Kyros, 116 Hermisson, Deuterojesaja, 253, versucht den grundsätzlichen Charakter der Aussagen dadurch zu bewahren, daß er in ihnen von einem „Israel aller Zeiten“ gesprochen sieht. Ein Reden vom Standort Dtjes’s her sei hier verknüpft mit einer Anrede der Zeitgenossen, die 539 v. Chr. bereits erlebt haben und doch neu auf das Heil warten sollen. 72 Diese Interpretation ließe sich mit einer entsprechend kollektiven Ebed-Deutung schon der ursprünglichen Ebed-Jahwe-Lieder verbinden, die der Kontext selbst naheliegt und die expressis verbis Jes 49,3 vornimmt. In der Forschung wurde sie u.a. von Wellhausen, Budde, Robinson, Kaiser, Baltzer, Melugin, Michel und van Oorschot vertreten. 73 Hermission, Deuterojesaja, 294-296, erwägt die Zugehörigkeit von Jes 48,17-19 zu einer gegenüber 48,1-11* späteren, stärker dtr beeinflußten Schicht. 71 15 ist dabei von der Wirksamkeit des Geschichtsherrn JHWH die Rede. Wenn er im „Jetzt“ des Augenblicks plötzlich spricht und zugleich Wirklichkeit setzt (48,6b.7a), so fallen in diesem schöpferischen Tun Reden und Handeln zusammen. In dem nun monotheistischen Rahmen eines gebrochen-mythischen Denkens74 entsteht damit eine Analogie zu altorientalischen Vorstellungen vom schöpferischen Gotteswort.75 Die Rede von Gott wird dabei an eine Grenze geführt, herausgefordert durch Grenzerfahrungen des Volkes und der Menschen Gottes. Denn nur in dieser Kontrapunktik läßt sich die Vorstellung JHWHs deus creator et iustificans (48,9.11) verstehen. Auf die Welt der Menschen einwirkend, entkoppelt er sich doch von ihr. Die Verweigerung Israels, die als bleibende Neigung zur Sünde festgehalten wird, provoziert die unbedingte Heilsansage des alleinwirksamen Gottes. Dabei bezieht sich die Unbedingtheit nicht mehr allein auf die Verursachung des heilvollen Handelns. Sie schließt auch die (ausbleibende) Folgewirkung mit ein. JHWH wird zu einem auf sich selbst bezogenen Gott. Auf diese Weise beharrt der alleinige Akteur auf seiner Freiheit auch gegenüber der re-actio des Gottesvolkes. Das menschliche Agieren auf dem Feld der Geschichte wird damit zumindest soteriologisch belanglos. Der Mensch erwies sich letztlich als restistent gegenüber allen Aufklärungs- und Erziehungsversuchen. Die Geschichte eignet sich letztlich nicht als Lernfeld. Diese Skepsis bleibt selbst dann erhalten, wenn Gott sich offenbarungstheologisch selbst als Lehrer bereit findet (48,17.18f.). Die Menschen in Gestalt des Gottesvolkes verbleiben geneigt zur Sünde, so daß weder ihre Gesinnung noch ihr Tun Grundlage heil- und damit lebensvoller Wirkung sein kann. Die Schuldverfallenheit der Menschen treibt die Rede von Gott zu einer Grenzaussage: Um seiner selbst willen ist Gott Herr der Geschichte und Schöpfer des Heils. Die Möglichkeiten des Mißbrauchs liegen auf der Hand. So droht damit das menschliche Tun und Lassen gleich-gültig zu werden, wird ihm doch Heil zugesprochen, ohne zur Antwort herausgefordert zu werden – eine soteriologisch legitimierte Verantwortungslosigkeit. Tendenziell droht diese theozentrische Geschichtstheologie jeder Ethik den Boden zu entziehen. Zur Veranschaulichung mag ein Blick auf spätere apokalyptische Konzeptionen dienen, die im Antagonismus von gegenwärtigem Äon und zukünftiger Herrschaft Gottes die jetzige Geschichte dem Bösen preisgegeben sehen. Allein eine Minderheit von Frommen bleibt auf das Gute und den Gotteswillen ansprechbar. 74 Zur Kennzeichnung dieser Eigenart biblischen Denkens vgl. schon F. Gogarten, Die Verkündigung Jesu Christi. Grundlagen und Aufgabe, Heidelberg 1948, 447-453, und O. Kaiser, Der Mythos als Grenzaussage, in: J. Jeremias (Hg.), Gerechtigkeit und Leben im hellenistischen Zeitalter, BZAW 296, Berlin und New York 2001, 87-116. 75 Zur älteren Diskussion der Bezüge vgl. W. H. Schmidt, Artikel רבד, ThWAT II, Sp. 127f. und 132f. 16 Tendenziell gefährdet diese Geschichtstheologie die Verbindung zwischen Soteriologie und Weltgestaltung. Gerade die dominante Beanspruchung der Geschichte durch Gott kann den Weltbezug Gottes fragwürdig machen. Der geschichtsmächtige Gott bleibt mit seinem Heilswillen allein und innergöttlich auf sich bezogen.76 Wenn diese theo-logische Konzentration nicht durch eine erneute Einbeziehung des Menschen in die Geschichte Gottes mit sich selbst entfaltet wird, verfehlt die Geschichtstheologie am Ende ihr Ziel, das in der Geschichte existierende Gottesvolk mit dem Heil zu erreichen. Will man dementsprechend Gottesgeschichte und Weltgeschichte nicht bleibend voneinander ablösen, kann Jes 48,1-11* mit seiner Gestalt einer Geschichtstheologie als konsequenter Soteriologie logisch nur in ihrem Gegenüber zur bleibenden Schuldverhaftuing des Gottesvolkes und soteriologisch nur als eine Gestalt der Stellvertretung verstanden werden. Der Schöpfer und Geschichtsherr bleibt der Gerechtigkeit schaffende gerade auch im Widerstreit mit der Ungerechtigkeit des Gottesvolkes und seiner Menschen. Er schafft damit selbst, was er fordert – in der Erwartung, so mag man, unseren Abschnitt überschreitend hinzusetzen, daß seine Gerechtigkeit den Ungerechten zurecht bringt. 76 Th. Krüger, Geschichtskonzepte im Ezechielbuch, BZAW 180, Berlin und New York 1989, 468, sprich mit Blick auf die Ezechielstellen von der „>>Selbstbezüglichkeit<< Jahwes“. 17
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