Zahlungsmoral in West- und Osteuropa unter Druck

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Ausgabe 5 | 8. Juni 2016
Zahlungsmoral in West- und Osteuropa unter Druck
Gedämpftes Wachstum in der Euro-Zone und im übrigen Europa, eine Abschwächung der Weltwirtschaft, niedrige Rohstoffpreise
und Krisen in wichtigen Schwellenmärkten: Das herausfordernde ökonomische Umfeld für die Unternehmen in West- und Ost­
europa macht sich auch bei der Entwicklung des Zahlungsverhaltens im B2B-Sektor bemerkbar. Es gibt kaum ein Unternehmen
auf dem europäischen Kontinent, das nicht von verspäteten Zahlungen seiner in- bzw. ausländischen Kunden betroffen ist.
Leere Kassen beim Kunden
sorgen auch bei den Lieferanten
für Liquiditätsengpässe.
88,5% der befragten Unternehmen in
Westeuropa, die an der aktuellen Atradius-Studie zum Zahlungsverhalten ihrer
Geschäftskunden teilgenommen haben,
berichteten, im vergangenen Jahr von
einem oder mehreren Abnehmern zu
spät bezahlt worden zu sein. Bei den
Unternehmen aus Deutschland gaben
sogar 93% an, von Zahlungsverzug
betroffen zu sein. Doch dieser Wert gibt
noch keine Auskunft über die tatsächlich
auftretenden Zahlungsausfälle. Diese
betrugen bei deutschen Unternehmen
0,8% der Forderungen, während im
westeuropäischen Durchschnitt
1,3% der Forderungen (60%
mehr) als uneinbringlich abgeschrieben werden mussten.
In West- und Osteuropa
ist die Situation im Hinblick auf die am Fälligkeitstag noch offenen Forderungen recht ähnlich:
Etwa 40% des Gesamtwer-
Schaut man sich die Entwicklung in den
einzelnen Ländern an, so stellt man fest,
dass vor allen Dingen Unternehmen aus
Italien und Griechenland von säumigen
Zahlern aus dem Kreis ihrer inländischen
Kunden berichteten: In beiden Märkten
gab es bei fast 50% der offenen Forderungen Zahlungsverzögerungen zu beklagen, womit dieser Wert um etwa ein Viertel über dem westeuropäischen Durchschnitt lag. Demgegenüber litten 46,4%
der in Großbritannien befragten Unternehmen unter verspäteten Zahlungen
ihrer Exportkunden, das waren deutlich
mehr als im Durchschnitt aller Länder
Westeuropas (38,3%).
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Polen wartet am längsten
Von den an der Studie teilnehmenden
Ländern Osteuropas waren die Unternehmen aus Polen am häufigsten von verzögerten Zahlungen ihrer ausländischen
Kunden betroffen: 29,8% des Gesamtwertes der B2B-Forderungen waren hier auch
90 Tage nach dem Fälligkeitstermin noch
unbezahlt. Damit lag deren Anteil fast um
die Hälfte über dem Durchschnittswert
aller untersuchten osteuropäischen Länder von 20%. Es folgten die Länder Türkei
und Tschechische Republik mit 26,4%
bzw. 22,3%.
Diese Entwicklung korrespondiert mit
dem Anstieg der durchschnittlichen Forderungslaufzeit (DSO – Days Sales Outstanding), die in der Türkei im vergangenen Jahr um drei Tage auf 63 Tage anstieg.
Nur in Polen lag die DSO mit 71 Tagen
noch deutlicher über dem Durchschnitt
von 57 Tagen. Im Mittelfeld bewegten sich
Ungarn (53 Tage) sowie die Tschechische
Republik mit 55 Tagen durchschnittlicher
Forderungslaufzeit.
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© EdnaM/iStock/Thinkstock/Getty Images
Ost und West
im Vergleich
tes dieser Forderungen waren zu diesem
Termin noch nicht beglichen, wobei sich
vor allem in den an der Studie teilnehmenden Ländern Osteuropas ein deutlicher Zuwachs der offenen Posten
abzeichnete: Dort stieg der Wert der
inländischen Forderungssumme um 9%
auf 45%, bei ausländischen Kunden
waren sogar 19% mehr offene Forderungen zu verzeichnen (40,8% im Vergleich
zu 34,2% im Vorjahr).
Andreas Tesch
Chief Market Officer,
Atradius Kreditversicherung
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Anlass zur Besorgnis gibt die Tatsache,
dass viele Unternehmen aufgrund von
verspäteten Zahlungen ihrer Kunden
dazu gezwungen sind, ihre eigenen Lieferanten zu spät zu bezahlen, da sie nicht
über die notwendigen liquiden Mittel verfügen. Dieser Dominoeffekt betraf 25%
der befragten Unternehmen in Westeuropa und fast 30% in Osteuropa. Zudem
gaben 11% der Befragten in Osteuropa
und 7,6% in Westeuropa an, dass der Zahlungsverzug ihr eigenes Wachstum behindere.
Nur langsames Wachstum
Damit wird deutlich, dass verzögerte Zahlungen nicht nur den Cashflow der betroffenen Unternehmen in Mitleidenschaft
ziehen, sondern auch deren Wachstumsdynamik ausbremsen können. Bedeutsam ist dieser Umstand, weil die Konjunkturlage in Europa ohnehin durchwachsen
ist und jeder weitere Negativfaktor das
Wachstum zusätzlich abschwächt. Während für die gesamte EU 2016 bis zu 1,9%
Wirtschaftswachstum erwartet werden,
fallen die Prognosen für Osteuropa mit
1,1% deutlich geringer aus.
Auch die internationalen Märkte bieten
keine Alternative. Wichtige Exportmärkte
aus den Schwellenländern befinden sich
in der Krise: Während Russland unter dem
Embargo sowie den niedrigen Erdölpreisen leidet, kühlt sich die Konjunktur in
Anzeige
China weiter ab. In Brasilien schließlich
lähmen Korruption und eine Staatskrise
die Wirtschaft.
Embargos & Sanktionen
„Marktführende außenhandelsrechtliche Praxis“
(JUVE Handbuch für Wirtschaftskanzleien 2015/2016)
Schlechtere Zahlungsmoral
und längere Forderungslaufzeiten
Die genannten Faktoren werden auch im
laufenden Jahr dafür sorgen, dass die Zahl
der Insolvenzen auf einem hohen Niveau
verharren wird und die Kreditrisiken
zunehmen. Dieses Szenario spiegelt sich
nicht zuletzt in den Erwartungen der im
Rahmen unserer Studie befragten Unternehmen wider: Fast jedes dritte Unternehmen (31%) in Westeuropa erwartet
eine Verschlechterung des Zahlungsverhaltens im laufenden Jahr, und in Osteuropa rechnet jeder fünfte Studienteilnehmer mit einem weiteren Anstieg der Forderungslaufzeiten (DSO).
Um diesen Gefahren für die Liquidität des
eigenen Unternehmens entgegenzuwirken, empfiehlt es sich zum einen, das
eigene Kundenportfolio und die darin
enthaltenen Kreditrisiken genauer unter
die Lupe zu nehmen und eventuell zu
diversifizieren. Zum anderen sollte das
Forderungsmanagement professionalisiert werden, um Zahlungsausfälle so weit
wie möglich zu begrenzen. In beiden Fällen kann eine Kreditversicherung dabei
gute Dienste leisten.
Hier finden Sie alle Ergebnisse der aktuellen
Zahlungsmoralbarometer von Atradius für
Westeuropa und Osteuropa.
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Dominoeffekt in der Lieferkette
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