Nach: Hans-Ulrich Keller: Kosmos Himmelsjahr 2016 Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2015 Monatsthema Juni 2016 ROSETTA - lnspektion eines Kometen Helle Kometen sind seltene Erscheinungen. Einst versetzten solche auffälligen Schweif- oder Haarsterne, wie Kometen auch genannt werden, die Menschen in Angst und Schrecken. Im Mittelalter sah man sie als Zuchtruten Gottes an, die der sündigen Menschheit schwere Strafen androhten. Sie galten als Vorboten von Feuersbrünsten, Seuchen und Kriegen. Da derlei Ungemach und Katastrophen zu allen Zeiten die Menschen heimsuchten, wurde der Aberglaube stets aufs Neue bestätigt. Die alten Römer sahen in den Schweifsternen die zum Himmel aufsteigenden Seelen eben verstorbener berühmter Männer. Zwei Monate nach Caesars gewaltsamem Tod erschien der helle Komet des Jahres 44 v Chr. Die Bezeichnung Komet geht ebenfalls auf die Römer zurück, die in diesen Himmelserscheinungen auch das Haupthaar einer Frau zu erkennen meinten. Der lateinische Begriff „coma“ bedeutet das Haar. Lange hielt man Kometen nicht für Himmelskörper, sondern für meteorologische Erscheinungen wie hoch fliegende Eiswolken oder leuchtende Nachtwolken. Man vermutete sie jedenfalls als Objekte innerhalb der Mondbahn. Dass dem nicht so ist, bewies der dänische Astronom Tycho Brahe. Genaue Parallaxenmessungen am hellen Kometen des Jahres 1577 ergaben, dass dieser Schweifstern deutlich weiter als der Mond von der Erde entfernt ist. Allerdings war Brahe noch nicht in der Lage, die räumlichen Bahnen von Kometen zu bestimmen. Erst Edmond Halley, königlicher Astronom und Direktor der Sternwarte Greenwich bei London, konnte zeigen, dass Kometen ihre Bahnen im interplanetaren Raum ziehen und somit Mitglieder unseres Sonnensystems sind. Er stellte fest, dass die auffälligen Kometenerscheinungen von 1531, 1607 und 1682 von ein und demselben Kometen hervorgerufen wurden und sagte dessen Wiederkehr für 1758 voraus. Tatsächlich tauchte der Komet im Jahre 1758 auf, was Halley allerdings nicht mehr erlebte, da er bereits 1742 verstorben war. Aber fortan nannte man den Schweifstern den Halleyschen Kometen, der inzwischen die Registriernummer 1P erhalten hat. P steht dabei für „periodisch“ Weit weg von der Sonne Die meisten Kometen beschreiben Ianggestreckte Ellipsenbahnen, die sie weit von der Sonne wegführen. Gemäß dem zweiten Gesetz von Johannes Kepler laufen Himmelskörper in Sonnennähe schneller als in Sonnenferne. Komet Halley passiert sein Perihel mit 55 Kilometer pro Sekunde, während er im Aphel, das jenseits der Neptunbahn liegt, nur einen Kilometer pro Sekunde zurücklegt. Kometen halten sich somit die meiste Zeit unbeobachtbar in den sonnenfernen Bezirken auf und kommen nur für kurze Zeit in die Nähe unseres Zentralgestirns. Viele Kometen haben Umlaufzeiten von mehreren Tausend Jahren. Wenn überhaupt, so erleben wir nur einmal eine ihrer Sonnenpassagen. Die Bahn von ROSETTA von der Erde zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. Kometen werden in der Regel als diffuse Lichtflecken entdeckt. Sie sehen dabei im Teleskop wie unscharf eingestellte Sterne aus. Erst in Sonnennähe entwickelt sich ein mehr oder minder langer Schweif, der stets von der Sonne weggerichtet ist. Im Teleskop sieht man im Mittelpunkt des Kometenkopfes einen hellen, sternartigen Lichtpunkt, in dessen Inneren sich der Kometenkern verbirgt, der nur wenige Kilometer Durchmesser aufweist. Ein Kometenkern ist ein lockeres Gebilde aus gefrorenen Gasen und Staub. Man spricht dabei gerne von „schmutzigen Schneebällen“. Dieser Klumpen aus Eis, Sand und Ruß erhitzt sich in Sonnennähe. Die gefrorenen Gase sublimieren, gehen also aus dem festen direkt in den gasförmigen Aggregatzustand über. Es bildet sich aufgrund der geringen Schwerkraft des Kometenkerns eine riesige Gaswolke von typischerweise 100.000 Kilometer Durchmesser. Diese Wolke ist gewissermaßen die Atmosphäre des Kometen und wird Koma genannt. Kern und Koma bilden den Kopf des Kometen. In Sonnennähe treibt der Sonnenwind, ein Strom elektrisch geladener Teilchen - vornehmlich Protonen, Alpha-Teilchen und Elektronen sowie der Lichtdruck - die Gasmoleküle und Staubteilchen vom Kometenkopf fort, wobei sich ein viele Millionen Kilometer langer Schweif bildet. Der Kometenkern von 67P/Tschurjumow-Gerasimenko zeigt sich als bizarres Gebilde. [ESA/ROSETTA] - 2 Die Kometenkerne kommen aus den fernen Bezirken des Sonnensystems, weit jenseits der fernsten Planetenbahnen. Eine gewaltige zirkumsolare Wolke bildet das Reservoir der Kometen, die nach Jan Hendrik Oort (1900-1992) benannt wird, der sie postulierte. Direkt beobachtet wurde die Oortsche Wolke noch nicht. Ihr mittlerer Radius liegt bei rund 50.000 AE, dies entspricht 7.500 Milliarden Kilometer. Kometenkerne setzen sich aus dem ursprünglichen Material zusammen, aus dem sich unser Sonnensystem gebildet hat. Sie sind gewissermaßen die 4,6 Milliarden Jahre alte Urmaterie, die noch nicht von der Sonnenstrahlung kontaminiert wurde. Besuche von Raumsonden Um zu prüfen, inwieweit das Modell des schmutzigen Schneeballs zutrift und woraus schließlich die Materie der Kometenkerne besteht. wurde eine Reihe von interplanetaren Raumflugmissionen auf den Weg gebracht. Erstmals flog im Marz 1986 bei der Wiederkehr des Halleyschen Kometen die europäische Raumsonde GIOTTO in nur 600 Kilometer Entfernung an Halleys Kern vorbei: GIOTTO sandte faszinierende Aufnahmen zur Erde, die erkennen ließen, wie an einzelnen Stellen Gas- und Staubfontänen ins All schießen. Halleys Kern hat die Form einer Erdnuss mit einer Längsausdehnung von 15 Kilometer. Seine Oberfläche ist pechschwarz, der Kern ist von einer Rußschicht bedeckt. Nach der erfolgreichen Mission von GIOTTO folgten weitere Raumsonden zur Erforschung der Vagabunden des Sonnensystems. Am 22. September 2001 passierte die Raumsonde DEEP SPACE 1 den Kometen 19P/Borrelly in nur etwas mehr als 2.000 Kilometern und sandte zahlreiche Aufnahmen seines Kerns zur Erde. Auch der Kern von Borrelly hat eine erdnussartige Form. Flache Ebenen und gebirgsartige Erhebungen sind auf der Oberfläche von Borrelly zu erkennen. An einzelnen Stellen schossen Gasfontänen empor. eines irdischen Spähers auf einem Kometenkern mit monatelangem Aufenthalt. Die Planungen für dieses ehrgeizige Projekt begannen bereits in den 1990er Jahren. Als Ziel wurde der Komet 46P/Wirtanen für das Rendezvous ausgewählt. Wegen technischer Probleme der Transportrakete musste der Start mehrfach verschoben werden, so dass sich dann das Startfenster schloss: Wirtanen war nicht mehr zu erreichen. Zum Ersatzziel wurde der Komet 67P bestimmt. Dieser Haarstern wurde von dem ukrainischen Astronomenpaar Klim Iwanowitsch Tschurjumow und Swetlana Iwanowna Gerasimenko in der Nacht vom 11. auf 12. September 1969 am Observatorium Alma Ata in Kasachstan mit einem 50-cm-Maksutow-Teleskop entdeckt. Ein „naher“ Komet Komet 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, liebevoll auch „Tschuri“ genannt, zählt mit einer UmIaufzeit von sechseinhalb Jahren zu den ausgesprochen kurzperiodischen Schweifsternen. Sein Aphel liegt dabei in 5,7 AE Sonnendistanz, also in der Nähe der Jupiterbahn. Komet 67p gehört damit zur Jupiterfamilie. Durch Bahnstörungen haben sich alle Riesenplaneten von Jupiter bis Neptun Kometenfamilien zugelegt, also Kometen, deren sonnenfernste Bahnpunkte in oder nahe bei einer der jeweiligen Planetenbahnen Iiegen. Allein die Jupiterfamilie - oder besser: Jupiterfamilien umfasst mehrere Dutzend Kometen. Im Perihel kommt 67p bis auf gut 1,2 AE an die Sonne heran. Das Perihel liegt somit etwas außerhalb der Erdbahn. Die Bahn wird aber durch Jupiters Störungen von Zeit zu Zeit erheblich verändert. Die in der Tabelle „Komet 67p“ vermerkten Bahndaten gelten ab dem Jahr 1959 bis auf weiteres. Am 2.Marz 2004 wurde ROSETTA vom Weltraumbahnhof Kourou mit einer Rakete des Typs Ariane 5G auf die über zehn Jahre dauernde und fünf Milliarden Kilometer lange Reise zu 67p/ Tschurjumow-Gerasimenko gebracht. Die gesamte Startmasse betrug fast drei Tonnen, davon waren 1,7 Tonnen Treibstoff. Die ROSETTA-Sonde selbst, ein kubischer Körper von 2,5 Meter Kanntenlänge, wog samt aller Detektoren, Kameras und Messinstrumenten nur 165 Kilogramm. An Bord war außerdem die Landesonde PHILAE mit 100 Kilogramm Masse. Ferner hatte ROSETTA noch Hydrazin als Treibstoff an Bord, um die 24 Düsentriebwerke für Lagekontrolle und Bahnkorrekturmanöver zu bedienen. pro Düse konnte damit ein Schub von zehn Newton (10 kg .m/s2) erzeugt werden. Per „Schwerkraftschleuder“ durchs All Der Aufbau der Kometensonde ROSETTA. lm Vordergrund sieht man den Lander PHILAE. [ESA] Die Mission STARDUST (engl., Sternenstaub) knöpfte sich 2004 den Kometen 81P/Wild 2 vor. Ziel dieser Mission war es, aus der Umgebung des Kometen Staub einzufangen und in einer Kapsel zur Erde zu bringen. Die Mission war ein voller Erfolg: Am 15. Januar 2006 landete die Kapsel mit dem „Sternenstaub“, besser Kometenstaub, in der Wüste des US-Bundesstaates Utah und brachte den ersehnten Staub mit. Ein weiterer Höhepunkt in der Kometenforschung war die Mission DEEP IMPACT. Am 4. ]uli 2005 stürzte ein Kupferblock von 372 Kilogramm Masse mit einer Geschwindigkeit von 37.000 Kilometer pro Stunde auf den Kern des Kometen 9P/Tempel 1 und löste eine gewaltige Explosion aus. Die Sprengkraft entsprach etwa fünf Tonnen TNT Um die Reisezeit nicht noch länger werden zu lassen, holte man sich Schwung bei den Planeten Erde und Mars (lmpulsübertragung; Gravity assist oder Swing-by-Manöver). Am 4.März 2005 erfolgte der erste Vorbeiflug an der Erde. Am 25,Februar 2007 flog ROSETTA knapp am Mars vorbei und am 13. November 2007 abermals an der Erde. Auf ihrem Weg zum Reiseziel passierte die Raumsonde auch zwei Kleinplaneten und sandte beeindruckende Bilder von ihnen zur Erde. Am 5. September 2008 traf ROSETTA mit dem Planetoiden (2867) Steins zusammen. Aus nur 800 Kilometer Minimaldistanz schoss die Kamera OSIRIS eine Reihe von Aufnahmen. die einen großen Krater und eine markante Kette kleiner Krater erkennen ließen. Am 13. November 2009 holte sich Rosetta schließlich zum dritten Mal Schwung an der Erde. Dabei wurde sie auf ihre endgültige Bahn zum Zielkometen 67p katapultiert. Am 10. Juli 2010 kam es zur Begegnung mit (21) Lutetia. Der Planetoid wurde mit einer Geschwindigkeit von 100.000 km pro Stunde in 3.200 km Abstand passiert. Die Steigerung heißt ROSETTA Weit übertroffen wurden diese Raumflugmissionen zur Erforschung der Kometen von der europäischen Mission ROSETTA zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, die wohl bisher erfolgreichste Kometenmission. Während die anderen Missionen nur Momentaufnahmen von Schweifsternen lieferten, da sie mit hohen Geschwindigkeiten an den Kometenkernen vorbeirasten, begleitet ROSETTA den Kometen 67P mehrere Monate lang. Überdies hatte sie einen Lander an Bord, der sanft auf dem Kometenkern aufsetzte und viele Daten zu seiner Zusammensetzung, Konsistenz, Temperatur etc. zu den irdischen Bodenstationen sandte. Es war somit das erste Mal, dass ein Komet so Iange auf seinem Weg zum sonnennächsten Bahnpunkt aus nächster Nähe permanent beobachtet wurde. Ebenso erfolgte erstmals die weiche Landung Die Raumsonde ROSETTA auf ihrem Flug durch das AIl. lm Hintergrund erkennt man den Kometenkern. [ESA/Rosetta] - 3 - Neben Kratern und Bergrücken zeigt die Oberfläche von Lutetia auch rillenartige Formationen. Mit respektablen hundert Kilometern mittlerem Durchmesser gehört Lutetia schon zu den größeren Kleinplaneten. Allerdings reicht diese Größe noch bei Weitem nicht, um mittels Schwerkraft Lutetia zu einer kugelförmigen Gestalt zu verhelfen. mit der Geschwindigkeit elnes moderaten Fußgängers von knapp vier Kilometer pro Stunde. Nach sieben Stunden berührten die drei Beine von PHILAE die Oberfläche von 67P am 12. November um 16h 35m MEZ. Die irdischen Beobachter erfuhren davon aber erst um 17h03m. Denn 28 Minuten waren die Funksignale unterwegs, um die 510 Millionen Kilometer von Tschuri zur Erde zurückzulegen. Eine direkte Steuerung kam wegen der langen Lichtlaufzeit ohnehin nicht in Frage. Groß war der Jubel in den Kontrollzentren auf der Erde, als sich herausstellte, dass alle Messapparaturen funktionierten. Nur drei bis vier Stunden täglich war eine Funkverbindung mit PHILAE möglich, denn diese erfolgte über ROSETTA als Relaisstation. Die übrige Zeit war ROSETTA von PHILAE aus gesehen im Funkschatten. Der Kometenlander Philae hätte sich mit seinen drei Beinen auf dem Kometen verankern sollen. [ESA] Um Strom zu sparen, wurde ROSETTA in einen Modus versetzt, den man als Winterschlaf bezeichnen kann. Die Funkverbindung wurde abgeschaltet, ebenso alle Detektoren und Kameras. Man hatte auf eine radioaktive Isotopenbatterie verzichtet und stattdessen die Stromversorgung mit Solarzellen sichergestellt. Die mit den Solarzellen ausgestatteten beiden Paneele messen von Außenkante zu Außenkante 32 Meter und haben eine Fläche von 64 Quadratmeter. Keine andere Raumsonde hatte bisher so große Flächen für Sonnenkollektoren. Dies ist aber auch notwendig, denn im Aphel jenseits der Jupiterbahn beträgt die einfallende Sonnenenergie pro Flächeneinheit nur noch 1/32 derjenigen in Erdentfernung von der Sonne. Die heiße Phase beginnt Am 20. Januar 2014 wurde ROSETTA aus ihrem Winterschlaf aufgeweckt. Groß war der Jubel im Kontrollzentrum der europäischen Raumfahrtagentur ESOC (European Space Operation Center) in Darmstadt, als sich die Sonde meldete. Nun begann der Endspurt. ROSETTA näherte sich dem Kometen 67P und schoss dabei immer bessere Bilder von dessen Kern. Zur Überraschung zeigte sich, dass der Kern eigentlich aus zwei Teilen besteht, die durch eine schmale Zone mlteinander verbunden sind. Der größere Zwilling hat als größten Durchmesser vier Kilometer, der kleinere misst 2,5 Kilometer. Am 6. August 2014 war es dann soweit: ROSETTA erreichte Tschurjumow-Gerasimenko und schwenkte mit einem Respektabstand von hundert Kilometer in eine Umlaulbahn um den Doppelkern ein. Jetzt sollte sich zeigen, ob die Mission den Namen „Rosetta“ wirklich verdient hat. Schon 1799 fanden französische Forscher in der ägyptischen Stadt Rosetta einen Stein, der in drei Sprachen beschriftet war und aus dem Jahre 196 v. Chr. stammt. Er war der Schlüssel zur Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen. Denn neben den Bildsymbolen der Agypter war der Text sowohl in Griechisch als auch in Demotisch eingemeißelt. So wie für die Althistoriker der Stein von Rosetta der Schlüssel zum Verständnis der Geschichte und Kultur des alten Agypten ist, so erhoffen die Astronomen sich grundlegende Erkenntnisse über die Kometen und die Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems mit Hilfe der so benannten Raumsonde ROSETTA.. Aus den bisherigen Beobachtungen ergab sich, dass Kometenkerne Dichten unter einem Gramm pro Kubikzentimeter aufweisen, also geringere Dichten als Wasser. Sie müssen daher aus Iockerem, porösem Material bestehen und im Inneren Hohlräume besitzen. Außer der Kamera OSIRIS mit Weitwinkel- und Teleobjektiv hat die ROSETTA-Sonde zehn Messapparaturen bzw. Detektoren an Bord, um unter anderem zu beobachten und zu messen: die chemische Zusammensetzung der Gase in der Koma und ihre physikalischen Parameter, die Zusammensetzung und Größe der Staubkörner, die Auswirkungen des Sonnenwinds auf die Oberfläche des Zwillingskerns und dessen vollständige Kartierung. Start frei für PHILAE Im November 2014 war es dann soweit: ROSETTA näherte sich bis auf fünf Kilometer dem Kern von 67P und trennte sich von der Sonde PHILAE, die im freien Fall zur Oberfläche driftete. Wegen der geringen Schwerkraft des Kometen erfolgte die Annäherung PHILAE ist auf dem Kometenkern in einer Schräglage gelandet. [ESA/PHILAE] Die Landung erfolgte allerdings nicht ganz so wie geplant. Das Problem war die geringe Schwerkraft von Tschuri. Seine Oberflächenbeschleunigung liegt bei nur einem Millimeter pro Sekundenquadrat im Gegensatz zur Erde, wo sie 9,87 Meter pro Sekundenquadrat misst. Daraus ergibt sich für die Oberfläche von 67P eine Entweichgeschwindigkeit von lediglich etwas mehr als zwei Kilometer pro Stunde. Selbst ein langsam wandernder Astronaut würde diese Geschwindigkeit erreichen und auf Nimmerwiedersehen ins All entschwinden. Die irdische Entweichgeschwindigkeit ist mit 11,2 Kilometer pro Sekunde, das sind 40.320 Kilometer pro Stunde, fast 19.000-mal größer. Die hundert Kilogramm Masse der Landesonde PHILAE hat auf Tschuri nur ein Gewicht von zehn Gramm. Darum war zu befürchten, dass PHILAE an der Oberfläche abprallt und weggeschleudert wird. Deshalb hatte man Kaltgastriebwerke vorgesehen, die bei Bodenberührung zünden und PHILAE andrücken sollten. Gleichzeitig sollten aus den drei Landebeinen Harpunen in die Oberfläche geschossen werden. So sollte sich PHILAE am Kometen festkrallen. Zusätzlich waren Schrauben vorgesehen, die sich in den Boden bohren sollten. Doch alle drei Systeme versagten offensichtlich ihren Dienst. Und so kam es, wie es kommen musste, aber nicht sollte: PHILAE machte einen Hüpfer und entfernte sich mit 1,4 Kilometer pro Stunde von Tschuri bis in einen Kilometer Höhe. Anschließend fiel PHILAE auf Tschuri zurück und hüpfte noch dreimal - jedesmal mit geringerer Geschwindigkeit und kleinerer Höhe, bis die Sonde endgültig stehen blieb allerdings in ziemlicher Schräglage, rund einen Kilometer vom ursprünglichen Landeplatz entfernt. Der heißt übrigens Algilkia nach der Nilinsel, auf die man die Tempelbauten von der Insel Philae verlagert hatte. Denn Philae versank nach dem Bau des Nasser-Staudamms in den Fluten des Nils. Die zerklüftete 0berfläche des Kometen, aufgenommen von Rosetta. [ESA/ROSETTA] - 4 - Hoffen auf mehr Sonne Der unbeabsichtigte Landeplatz erwies sich als recht ungünstig, denn er befindet sich in einer Zone, die meist im Schatten liegt. Nur etwa zwei Stunden während der zwölfeinhalbstündigen Rotationsperiode von Tschuri erhält PHILAE Sonnenlicht. Dies reicht nicht, um die Sekundärbatterien, also Akkus, genügend aufzuladen. Die nicht aufladbaren Primärbatterien waren nach 64 Stunden erschöpft. Man hat daher PHILAE in eine Art Stand-byModus versetzt und hofft, dass die Messapparaturen wieder in Betrieb genommen werden können, wenn sich Tschuri der Sonne immer mehr nähert und somit ihre Strahlung immer stärker wirkt. Die Perihelpassage von 67P/Tschurjumow-Gerasimenko erfolgte am 13. August 2015. Doch schon in den ersten Stunden nach der Landung übermittelte Philae wertvolle Daten und Messergebnisse. So ist die Oberfläche des Kometen von einer zehn bis 20 Zentimeter dicken Staubschicht bedeckt. Das darunter liegende Eis ist extrem hart. Kein Wunder, bei –170°C ist Eis so hart wie Stein. Bei A nnäherung an die Sonne ändert sich dies jedoch, weil der Kometenkern erhitzt wird. In der rund 100.000 Kilometer großen Koma, die den Kern gewissermaßen als Atmosphäre umhüllt, wurden neben Wasserdampf (H2O) Gase wie Methan (CH4), Ammoniak (NH3), Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO2) sowie Natriumdampf (Na), Magnesiumdampf (Mg) und Methanoldampf (CH4O) detektiert. Ferner wurden komplexere Kohlenwasserstoffe entdeckt. Aminnosäuren wurden noch keiine gefunden. Wenn noch welche erkannt werden sollten, so stellt sich die Frage ihrer Chiralität (Händigkeit), aus der Rückschlüsse über extraterrestrische organische Substanzen gezogen werden können. Die Größe der Staubpartikel liegt zwischen eiinem Hundertstel und einem halben Millimeter Durchmesser. Interessant ist die Entdeckung, dass das Verhältnis von Wasser1 2 stoff ( H1 ) zu Deuterium (H 1 ) dreimal größer ist als bei irdischem Wasser. Daraus lässt sich schließen, dass die Wassermassen der irdischen Ozeane nicht überwiegend von Kometeneinschlägen herrühren, wie zuvor manchmal vermutet wurde. Am 13. Juni 2015 wachte PHILAE nach sieben Monaten wieder auf. Um 23.28 Uhr empfing das Kontrollzentrum die ersten Signale mit einer Temperaturmeldung: minus 35 Grad Celsius!
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