Alles Islam oder was? Ein Gespräch über Mohammed, Jesus und Moses, Strömungen, feministische Auslegung und Google-Islam. Seiten 18 und 19 Fotos: fotolia/Mahmoud Rahall/chalabala/darezare, Montage: nd Sonnabend/Sonntag, 11./12. Juni 2016 71. Jahrgang/Nr. 135 Bundesausgabe 2,30 € www.neues-deutschland.de STANDPUNKT Hungerlohn für Geflüchtete Gefährliches Spiel Letzter Halt Jobcenter Grit Gernhardt fragt sich, warum Ältere ausgeschlossen werden Langzeiterwerbslose finden kaum wieder Anschluss an den Arbeitsmarkt Je länger jemand ohne Arbeit ist, desto schwerer findet er wieder einen Einstieg ins Berufsleben, das zeigen viele Studien. Ist der oder die Erwerbslose dann auch noch älter als 55, kann der Traum von der neuen Stelle von vornherein als gescheitert gelten. Eine merkwürdige Situation in einem Land, in dem Politiker die Rente mit 75 fordern, gleichzeitig aber nur wenige Unternehmen bereit sind, erfahrene ältere Arbeitnehmer einzustellen, und die staatlichen Behörden Arbeitsuchende in kaum einer Weise unterstützen. Während Unterstützungseinrichtungen wie die Jobcenter ältere Langzeitarbeitslose gleich komplett aufgeben und die Politik sich hauptsächlich damit befasst, wie sie Ältere und Kranke am besten aus der Statistik herausrechnen kann, bleiben die Betroffenen und ihre Bedürfnisse außen vor. Sie werden unter Druck gesetzt, einer Zwangsverrentung mit hohen Abschlägen zuzustimmen, bekommen kaum Weiterbildungen angeboten und noch weniger Beschäftigungsmöglichkeiten, obwohl der Arbeitsmarkt konjunkturbedingt gerade sehr entspannt ist. Der einzig mögliche Schluss ist, dass Ältere als Wähler keine so große Rolle spielen. Möglicherweise liegt auch die arbeitsmarktrelevante Zielgruppe – analog zum Werbefernsehen – nur zwischen 14 und 49. So viele Menschen aber einfach vom Arbeitsmarkt auszuschließen, birgt die große Gefahr weiterer gesellschaftlicher Spaltung. Die aber wird nicht nur den Älteren auf die Füße fallen. UNTEN LINKS Man kann sich wirklich über gar nichts mehr sicher sein. Verfassungsschutzchef Maaßen meint, er könne nicht ausschließen, dass Edward Snowden ein russischer Agent ist. Der Whistleblower entgegnet, es könne ebenso wenig belegt werden, dass der deutsche Oberschlapphut nicht für den russischen Geheimdienst arbeitet. Nicht völlig auszuschließen ist freilich auch, dass Russland gar nicht existiert. Oder dass Snowden in Wahrheit ein Agent des Verfassungsschutzes ist, der irgendwo irgendwelche Ermittlungen vornimmt. Mehr noch: Hat jemand etwa Belege dafür, dass es diesen »Verfassungsschutz« überhaupt gibt? Ein aktenkundiger Beitrag zum Schutz des Grundgesetzes durch die Behörde scheint zu fehlen. Nun kann es natürlich sein, dass Herr Maaßen in Wahrheit ein Whistleblower ist, der unter legendiertem Namen in BundestagsUntersuchungsausschüssen lebt, und bald irgendeine weltbewegende Enthüllung offenlegt. Welche? Sicher ist nur, dass man sich da nicht sicher sein kann! tos ISSN 0323-3375 Ministerin Nahles will Asylbewerbern 80 Cent »Entschädigung« zahlen Berlin. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will mit dem Integrationsgesetz 100 000 neue Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber schaffen – aber ihnen nur 80 Cent pro Stunde als »Mehraufwandsentschädigung« zahlen. Das berichtet die »Süddeutsche Zeitung«. Bisher erhielten Schutzsuchende mit einer auf maximal sechs Monate befristeten Arbeitsgelegenheit etwas über einen Euro Gehalt. Gerechtfertigt wird der Hungerlohn damit, dass die meisten Flüchtlinge bei diesen Jobs in ihren Gemeinschaftsunterkünften eingesetzt würden – etwa bei der Essenausgabe. Dabei entstünden ihnen nur geringe Mehrausgaben. Arbeitet ein Asylbewerber jedoch außerhalb einer solchen Einrichtung und habe höhere Aufwendungen, könnte er sich einen höheren Betrag auf Antrag auszahlen lassen. »Asylbewerber sollen zukünftig den ganz billigen Jakob bei den Arbeitsgelegenheiten geben«, kritisierten die Grünen. Auch die Wohlfahrtsverbände wiesen das Vorhaben von Nahles zurück. AFP/nd Merkel auf einer Linie mit Lammert Kanzlerin teilt Kritik an Erdogan Foto: dpa/Oliver Killig Berlin. Deutschland hat trotz sinkender Arbeitslosenquoten ein Arbeitslosigkeitsproblem. Besonders ältere Erwerbslose kommen nicht wieder aus dem staatlichen Hilfesystem heraus, wenn sie ihren Job verloren haben. Das zeigt eine EU-weite Vergleichsstudie, die die Bertelsmann-Stiftung am Freitag veröffentlichte. Dafür wurden Arbeitslosenstatistiken der 28 Mitgliedsstaaten ausgewertet. Demnach waren im vergangenen Jahr mehr als zehn Millionen EU-Bürger länger als zwölf Monate arbeitslos – 4,3 Prozent aller Erwerbsfähigen. Am höchsten war der Stand in Griechenland, gefolgt von Spanien und Kroa- tien. In der Bundesrepublik sank zwar die Langzeitarbeitslosenquote deutlich – von 3,7 Prozent im Jahr 2008 auf 1,9 Prozent im Jahr 2015 –, doch das ist nur rechnerisch ein Erfolg: Steigt die Beschäftigung, verringert sich relativ dazu der Prozentsatz der Langzeitarbeitslosen an der Zahl der Erwerbstätigen. Die absolute Zahl stagniert jedoch seit Jahren bei fast einer Million. Die Bertelsmann-Stiftung spricht von rund 800 000, gibt allerdings zu, dass viele, die lange ohne Arbeit seien, in der Statistik nicht auftauchen. »Die einen stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil sie in einer Weiterbildung sind. Zum an- deren gibt es Menschen, die die Arbeitssuche resigniert aufgegeben haben«, sagte Joscha Schwarzwälder, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann-Stiftung. Die »stille Reserve« habe 2013 aus 1,2 Millionen Menschen bestanden. Ältere müssen nach den Zahlen besonders lange auf eine neue Chance warten – und werden dabei kaum unterstützt. Eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer ergab, dass Über-55-Jährige kaum Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen angeboten bekommen. Ältere Frauen werden demnach noch schlechter gefördert als gleichaltrige Männer. grg Seite 8 NPD-Maulkorb gegen Politologen aufgehoben Dresdner Wissenschaftler darf weiter von Plan für »Vertreibung« sprechen / Partei kündigt neue Klage an Das Landgericht Dresden hat eine Entscheidung gekippt, die einem Politologen Aussagen zur NPD untersagt. Die Partei kündigte aber eine neue Klage an. Von Hendrik Lasch, Dresden Die NPD ist vorerst mit ihrem Versuch gescheitert, einem Dresdner Wissenschaftler einen Maulkorb verpassen zu lassen. Am Landgericht Dresden zog sie nach einer mündlichen Verhandlung ihren Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Politologen Steffen Kailitz vom Hannah-ArendtInstitut Dresden zurück, dem das Gericht im Mai zunächst stattgegeben hatte. Das Gericht hielt den Eilantrag mittlerweile allerdings für nicht mehr gerechtfertigt, weil klar geworden sei, dass Kailitz die angefochtenen Thesen seit 2007 immer wieder publiziert hatte. Die NPD kündigte daraufhin umgehend eine Klage in einem Hauptsacheverfahren an. Kailitz hatte im Mai in einem Gastartikel in der Wochenzeitung »Zeit« seine Ansicht bekräftigt, die rechtsextreme Partei plane »rassistisch motivierte Staatsverbrechen« und wolle »acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben«, darunter viele Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Sie strebe eine völkische Diktatur an. In der mündlichen Verhandlung ging Richter Jens Maier kaum auf inhaltliche Argumente beider Seiten ein. Er verglich allerdings Passagen aus dem Parteiprogramm der NPD zur »Rückführung« von Ausländern mit Thesen der Hitler-Partei NSDAP von 1920 und kam zu dem Schluss: »Das ist doch eine ganz andere Diktion.« Immerhin sehe die NPD eine »gesetzliche Grundlage« für den Schritt vor. Kailitz’ Anwalt Jörg Nabert erwiderte, auch die Beneš-Dekrete seien eine gesetzliche Grundlage gewesen; die Betroffenen gelten rechtlich dennoch als Vertriebene. Dass Maier zunächst ohne eine mündliche Verhandlung dem Antrag der NPD stattgegeben hatte, war bundesweit auf Kritik gestoßen. Der Beschluss »beschneidet »Für uns stellte sich das als nicht schwieriger Fall dar.« Jens Maier, Richter am Landgericht Dresden die Wissenschaftsfreiheit«, hieß es etwa bei der Vereinigung für Politische Wissenschaft. Als »besonders grotesk« wurde die Entscheidung eingestuft, weil Kailitz seine Thesen bereits als Sachverständiger im Verbotsverfahren gegen die NPD beim Bundesverfassungsgericht vertreten hatte. Die Vereinigung mahnte, es müsse »auch zukünftig politikwissen- schaftlich fundierte Kritik extremistischer Parteien möglich« sein. Der Fall hatte für um so mehr Aufsehen gesorgt, als bekannt geworden war, dass der mit der Entscheidung betraute Richter Maier Mitglied der AfD ist. Im Landesverband Sachsen gehört er dem Schiedsgericht an. Das Landgericht erklärte aber, Maier sei laut Geschäftsverteilungsplan zuständig; den Fall an einen Kollegen zu übertragen, »wäre rechtlich nicht zulässig gewesen«. Das Gericht verwies zudem auf die Möglichkeit, einen Befangenheitsantrag zu stellen. Das geschah auch in der mündlichen Verhandlung nicht. Nabert kritisierte aber, dass der Fall von einem einzelnen Richter und nicht von einer vollständigen Kammer verhandelt werde. Maier erklärte dazu: »Für uns stellte sich das als nicht schwieriger Fall dar.« In dem von der NPD nun angekündigten Verfahren in der Sache werde, fügte er an, »die Kammer vollzählig sein.« Berlin. Angela Merkel teilt die Kritik Norbert Lammerts (CDU) am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wegen der Verbalattacken auf Bundestagesabgeordnete. »Bundestagspräsident Lammert hat gestern für das ganze Haus gesprochen«, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. »Und die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Anwesenheit gestern Morgen klar ausgedrückt, dass sie hinter diesem Zeichen der Geschlossenheit, der Solidarität mit den Abgeordneten steht.« Lammert hatte am Donnerstag gesagt, dass die »zum Teil hasserfüllten Drohungen und Schmähungen« gegen türkischstämmige Parlamentarier durch Äußerungen hochrangiger türkischer Politiker gefördert worden seien. Auslöser der Krise zwischen Berlin und Ankara ist eine Resolution, die die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord einstuft. Nach der Resolution beschimpfte Erdogan türkischstämmige Abgeordnete als verlängerten Arm der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Er verlangte auch, sie sollten ihr Blut testen lassen. Agenturen/nd Gipfeltreffen von AfD und FPÖ Vorstände kritisieren »Einzelaktion« Garmisch-Partenkirchen. Die Rechtsparteien in Deutschland und Österreich nähern sich an. Bei einem Treffen mit dem FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache auf der Zugspitze kündigte AfD-Chefin Frauke Petry am Freitag an, man wolle gemeinsam die »EUkritische« Bewegung vorantreiben und deren Kräfte im Europaparlament bündeln. Die Parteien wollen gemeinsame Arbeitsgruppen einrichten, etwa zum Thema Währung. Petry behauptete, in Deutschland habe es in der Vergangenheit »Hunderttausende verschwundene Briefwahlunterlagen« gegeben. Die Parteivorstände Georg Pazderski und Alice Weidel kritisierten solche »Einzelaktionen, die Eigenprofilierung Einzelner zulasten des Bundesvorstandes« darstellten. In Stuttgart hat derweil AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen mit Rücktritt gedroht, sollte ein Ausschluss des Abgeordneten Wolfgang Gedeon wegen antisemitischer Tendenzen scheitern. Bisher steht die dazu nötige Mehrheit nicht. Die AfD-Landeschefs befürworten einen Ausschluss Gedeons aus Fraktion und Partei. dpa/nd Kommentar Seite 2
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