Baz Bericht 07.06.2016

Schweiz.
| Dienstag, 7. Juni 2016 | Seite 5
Die Stadt Bern und die Grundeinkommens-Initiative. Botschaft aus einer anderen Welt
Das Raumschiff
Provisorische Lösung verlängert
Bern. Der Zulassungsstopp für Ärzte
wird noch einmal um drei Jahre verlän­
gert und gilt bis im Sommer 2019. Nach
dem Nationalrat hat auch der Ständerat
zugestimmt. Das Parlament will so ver­
hindern, dass die Zahl der Spezialärzte
sprunghaft ansteigt.
Das Provisorium dauert mit Unter­
brüchen nun schon seit 2001. Es erlaubt
den Kantonen, die Zulassung neuer
Ärztinnen und Ärzten von einem
Bedürfnis abhängig zu machen. Damit
wird vor allem der Zustrom von Ärzten
aus dem Ausland eingedämmt: Medizi­
ner, die drei Jahre in der Schweiz gear­
beitet haben, benötigen keinen Bedürf­
nisnachweis. Für die Mehrheit im Natio­
nalrat ist dieser Zulassungsstopp nicht
der Weisheit letzter Schluss: Als dauer­
hafte Lösung scheiterte er vergangenen
Dezember am geschlossenen Wider­
stand von SVP und FDP. Ohne neue
Regelung würde das heutige Regime
Ende Juni 2016 auslaufen.
Von Erik Ebneter
Die raumschiffgleiche Kupferkuppel
des Bundeshauses, einst rötlich schim­
mernd, heute von Grünspan überzo­
gen, ist das perfekte Symbol einer
Stadt, die wirkt, als sei sie zufälliger­
weise im Schweizer Mittellandbogen
gelandet. Es fehlte am Sonntag nicht
mehr allzu viel und die Stadt Bern hätte
der Initiative zum bedingungslosen
Grundeinkommen zugestimmt. Eine
Minderheit von 40 Prozent war tatsäch­
lich bereit, eine Reise zu unternehmen,
von der niemand wissen konnte, wo sie
geendet hätte. Das ist schon deshalb
erstaunlich, weil die Initianten selbst
aufgetreten sind, als hätten sie ihre
Initiative vor allem als Einladung zum
philosophischen Gespräch verstanden.
Viele Berner wollten aber nicht nur
reden, sondern Klischees konterkarie­
ren: Nichts mehr gäng wie gäng – es
könnte auch alles ganz anders sein.
Das bedingungslose Grundeinkom­
men ist keine Idee von einem anderen
Stern. Eminente Intellektuelle des
20. Jahrhunderts haben sich damit
beschäftigt, allen voran der amerikani­
sche Ökonom Milton Friedman, dessen
Ansichten man nicht teilen muss, um
seinen gewaltigen Einfluss auf das Den­
ken unserer Zeit anzuerkennen. Just
am Samstag warb der konservative
amerikanische Politikwissenschaftler
Charles Murray im Wall Street Journal
mit einem zahlensatten Artikel für ein
Grundeinkommen als Ersatz staatlicher
Wohlfahrtssysteme. Das war nun aber
gerade nicht die Absicht der Schweizer
Initianten, die ihr Projekt als «humanis­
tisches Modell des Grundeinkommens»
(Daniel Häni) bezeichneten.
Um Zahlen ging es ihnen ohnehin
nur am Rand. Im Initiativtext stand:
«Das Gesetz regelt insbesondere die
Finanzierung und die Höhe des Grund­
einkommens.» Man sprach von monat­
lich 2500 Franken für jede erwachsene
Es könnte auch alles ganz anders sein. Die Bewohner der Bundesstadt Bern konterkarieren Klischees.
Person, aber das eigentliche Anliegen
war ein anderes: Die Initianten wollten
die Menschen dem «Zwang der Frei­
Die Initianten reaktivierten
die alte Lenin-Frage und
wendeten sie ins Private:
Was tun?
heit» aussetzen, wie sie in ihrem Buch
zur Abstimmung schrieben. Sie reakti­
vierten die alte Lenin­Frage und wen­
deten sie ins Private: Was tun? Es war
ein Projekt von Buchstaben­, nicht von
Zahlenmenschen, wie jedermann
erkannte, der im Buch auch nur blät­
terte. Die 128 Fussnoten auf knapp
200 Seiten verwiesen auf Zeitungsarti­
kel aus der Schweiz oder Deutschland,
kaum auf Forschungsliteratur. Statt­
dessen allüberall: «Morgenröten,
Zukunftssonnen und neue Weltentage»
(Joachim Fest). An einer Stelle hiess es,
das Grundeinkommen bringe «den
Menschen neu zur Welt, indem es ihn
zu sich selbst kommen lässt».
Das Gesprächsangebot, das die Ini­
tianten machten, war so offensichtlich
philosophisch­theoretischer und nicht
politisch­praktischer Natur, dass es
nicht einmal einen Abstimmungskampf
im klassischen Sinn gab. Wo waren die
Foto Keystone
Plakate der Gegner? Welcher Politiker
engagierte sich lautstark gegen die Vor­
lage? Die Initianten präsentierten eine
Idee, die in neuem Gewand vielleicht
wieder diskutiert werden wird, aber
bestimmt keine Anleitung für den
Umbau der schweizerischen Gesell­
schaft. Nirgends wurde das weniger
erkannt als in der Bundesstadt Bern
(40,3 Prozent Ja­Stimmen) – nicht in
der Stadt Zürich (36,6 Prozent), nicht
im städtischen Kanton Genf (34,7 Pro­
zent) und auch nicht im Kanton Basel­
Stadt (36 Prozent), wo die Initianten
immerhin ihr Hauptquartier hatten.
Gäng wie gäng. Es klingt wie eine
Botschaft aus einer anderen Welt.
Burkhalter verteidigt Geheimniskrämerei in Nahost
Auf Fragen des Solothurner SVP-Nationalrates Christian Imark muss er allerdings Unkenntnis zugeben
Von Dominik Feusi, Bern
Der Solothurner Nationalrat Christian
Imark (SVP) reichte aufgrund von
Recherchen der BaZ mehrere Fragen an
Bundesrat Didier Burkhalter ein. Ges­
tern stand der Aussenminister im Parla­
ment Rede und Antwort. Viel Konkretes
liess er nicht verlauten.
Imark störte sich daran, dass die
Namen und Subventionsbeträge für
drei Nichtregierungsorganisationen in
der Region Israel und Palästina nicht
veröffentlicht werden, weil dies «der
Schweizer Aussenpolitik schaden»
könnte, wie das Aussendepartement
der BaZ mitgeteilt hatte. Wenn dem tat­
sächlich so sei und man die Subventio­
nen geheim halten müsse, würden die
Unterstützungsgelder der offiziellen
Aussenpolitik der Schweiz widerspre­
chen, folgerte Imark logisch. Er findet,
die Unterstützung in einem Konflikt­
gebiet solle sich auf «einige wenige,
absolut
neutrale
Organisationen
beschränken».
In seiner Antwort sagte Didier Burk­
halter ausweichend, die Schweiz enga­
giere sich in der Region als Mediator für
den Friedensprozess mit den dafür not­
wendigen Akteuren. Dazu brauche es
allergrösste Diskretion. Das sei das
«Herz der informellen Diplomatie», die
die Schweiz in Israel und Palästina
betreibe. Die Veröffentlichung der Sub­
ventionen für «Projekte und Prozesse»
könne die Reputation, die Glaubwür­
digkeit und sogar die Sicherheit der
Teilnehmer gefährden.
Geheime «Versöhnungsgespräche»
Dass die Antwort von Prozessen und
Moderation spricht, ist interessant, weil
es immer wieder Informationen gibt,
dass das EDA geheime «Versöhnungs­
gespräche» zwischen der Terrororgani­
sation Hamas und der nur wenig gemäs­
sigteren Fatah durchführe. Die Hamas
regiert seit zehn Jahren im Gazastrei­
fen, die Fatah im Westjordanland. Eine
Einigung ist aus Sicht von Experten
nötig, damit die palästinensische Seite
überhaupt wieder mit Israel verhandeln
kann. Doch keine Organisation will
nachgeben und Gefahr laufen, von der
Konkurrenz als «Schwächling» dar­
Von vier auf sechs Spuren
gestellt zu werden. Das EDA bestätigt
nun auf Anfrage, dass so ein «Seminar»
letzte Woche stattgefunden hat – aller­
dings gibt es keine Auskunft über die
genauen Teilnehmer. Geld an Fatah
Didier
Burkhalter.
Christian
Imark.
oder Hamas fliesse dabei nicht, versi­
chert das EDA.
In einer zweiten Frage wollte Imark
wissen, wieso das EDA in einer Dach­
organisation in Ramallah im West­
jordanland, die bloss Gelder an andere
Organisationen weiterverteilt, Löhne
von 10 000 Dollar bezahle, wie es im
Vertrag zwischen dem EDA und dieser
Organisation festgehalten sei (die BaZ
berichtete).
Burkhalter erwiderte, dass dies nur
der Bruttolohn sei und davon Sozial­
abgaben, Kosten für Versicherungen,
die Vorsorge, Steuern und Kosten für
Logistik abgezogen werden müssten.
Netto resultiere ein Lohn von 4000 bis
5000 Dollar, was allerdings immer noch
rund fünfmal mehr wäre, als ein Lehrer
in der Region brutto verdient. Die
Finanzierung sei «effizient», die Kosten
für die Administration betrügen nur
15 Prozent. Imark hielt ihm dagegen
vor, dass der Vertrag demgegenüber
Administrationskosten von mehr als
26 Prozent ausweise. Darauf musste
Burkhalter eingestehen, dass Imark
besser vorbereitet sei als er und er den
Vertrag nicht kenne. Er lud Imark ein,
dies bei einem Kaffee zu besprechen.
Mit den Antworten ist Imark nicht
zufrieden. «Burkhalter redet sich nur
heraus», sagt er der BaZ. «Ich bleibe
dabei, dass in dieser Region Steuer­
gelder für überhöhte Löhne und dubi­
ose, vielleicht sogar für die Schweiz
gefährliche Organisationen versickern
und ich verlange, dass das eingestellt
wird.»
Geheimes Dokument veröffentlicht
Startschuss für den Ausbau der Zürcher Nordumfahrung
Bundesgericht hebt Freispruch für Chefredaktor Rutishauser auf
Regensdorf. Die Zürcher Nordumfah­
Lausanne. Arthur Rutishauser, heute
Chefredaktor von Tages-Anzeiger und
Sonntagszeitung, hat sich der Veröffent­
lichung amtlicher geheimer Verhand­
lungen schuldig gemacht. Rutishauser
hatte 2012 im Tages-Anzeiger zwei Arti­
kel über den Korruptionsfall bei der Zür­
cher Pensionskasse BVK veröffentlicht.
Er zitierte rund ein Dutzend Mal Passa­
gen aus dem noch unter Verschluss
gehaltenen Entwurf des Schlussberichts
der Parlamentarischen Untersuchungs­
kommission (PUK) des Zürcher Kan­
tonsrats. Das Statthalteramt des Bezirks
Zürich verurteilte ihn deswegen zu einer
Busse von 800 Franken. Sowohl vom
Bezirks­ als auch vom Obergericht
rung ist chronisch überlastet: Sie soll
deshalb bis ins Jahr 2025 von vier auf
sechs Spuren ausgebaut werden. Ges­
tern hat das Bundesamt für Strassen
(Astra) die Hauptarbeiten offiziell eröff­
net. Für das Jahr 2014 weist das Astra
auf der Nordumfahrung 5968 Staustun­
den aus. Die zehn Kilometer lange
Nordumfahrung gehört mit täglich bis
zu 120 000 Fahrzeugen zu den am häu­
figsten befahrenen Autobahnabschnit­
ten der Schweiz und gilt als einer der
«Stauschwerpunkte des Landes».
Im Informationspavillon in Regens­
dorf erfolgte gestern der offizielle Start­
schuss im Beisein von Bundesrätin
Ärztestopp wird
weitergeführt
Doris Leuthard (CVP), der Zürcher
Volkswirtschaftsdirektorin
Carmen
Walker Späh (FDP) und dem Stadtzür­
cher Verkehrsminister Filippo Leuten­
egger (FDP). Die 1985 eröffnete
Zürcher Nordumfahrung wird nun
durchgehend auf drei Streifen pro Fahr­
trichtung ausgebaut. Dazu braucht es
am Gubrist eine dritte Tunnelröhre mit
drei Fahrstreifen. Diese soll den Verkehr
in Richtung Bern, Basel, Luzern und
Chur aufnehmen. Die beiden bestehen­
den Röhren werden in Richtung St. Gal­
len und Flughafen befahren. Für den
sechsspurigen Ausbau ist laut Astra von
Gesamtkosten im Umfang von 1,55 Mil­
liarden Franken auszugehen. SDA
Zürich wurde Rutishauser in der Folge
freigesprochen. Das Obergericht kam
zum Schluss, dass ein berechtigtes Inter­
esse der Öffentlichkeit bestand, bereits
vor Veröffentlichung des Berichts infor­
miert zu werden.
Das Bundesgericht hat diesen Ent­
scheid aufgehoben. Entscheidend für
die Veröffentlichung eines geheimen
amtlichen Dokuments sei, ob ein Beitrag
zur öffentlichen Debatte zum Thema
geliefert werde oder nicht. Dies sei nicht
der Fall gewesen. Die öffentliche Debatte
hätte gemäss Bundesgericht auch im
Anschluss an die offizielle Veröffentli­
chung des Schlussberichts stattfinden
können. SDA
Nun ist der Bundesrat dran
Das wollte der Nationalrat nicht
riskieren. Eine vorübergehende Aufhe­
bung der Zulassungsbeschränkung
hatte 2012 zu einem sprunghaften
Anstieg der Spezialärzte angeführt. In
Genf beispielsweise gab es fast dreimal
mehr Gesuche für Praxiseröffnungen.
Die Gesundheitskommissionen beider
Räte haben darum vorgeschlagen, den
Zulassungsstopp noch einmal um bis zu
drei Jahre zu verlängern. Der Stände­
rat, der bereits vergangenen Winter
einer dauerhaften Lösung deutlich
zugestimmt hatte, sagte gestern Ja zur
provisorischen Lösung. Mehrere Stän­
deratsmitglieder äusserten sich depri­
miert über die «dauernde Verlängerung
eines Provisoriums». Nun ist der Bun­
desrat an der Reihe. Er hat drei Jahre
Zeit, eine dauerhafte Lösung auszuar­
beiten. Ein konkreter Vorschlag liegt
bereits auf dem Tisch: Um der hohen
Ärztedichte beizukommen, sollen die
Preise regional abgestuft werden. SDA
Gentechversuch
mit Winterweizen
Agroscope plant Feldexperiment
Zürich. Auf ihrer Versuchsfläche am
Standort Reckenholz in Zürich plant
die eidgenössische Forschungsanstalt
Agroscope Feldversuche mit gentech­
nisch verändertem Winterweizen.
Gemeinsam mit Forschenden des Leib­
niz­Instituts für Pflanzengenetik und
Kulturpflanzenforschung IPK in Gaters­
leben (D), will Agroscope die vom IPK
entwickelte Weizensorte während der
kommenden sechs Jahre prüfen.
Laut Mitteilung der Agroscope han­
delt es sich bei dem Winterweizen um
die Sorte Certo, der mit gentechnischen
Methoden ein Gen aus Gerste eingefügt
wurde. Dieses Gen verändere den
Zuckertransport im sich entwickelnden
Korn und erhöhe dort die Aufnahme­
kapazität für Saccharose (Haushaltszu­
cker). Die Körner werden dadurch bes­
ser gefüllt, also dicker.
Bewilligungsgesuch eingereicht
Der so erzeugte Weizen wurde
bereits am IPK untersucht und mit der
Ausgangssorte Certo verglichen. Das
eingefügte Gen habe in Gewächshaus­
versuchen bereits zu einer Ertragsstei­
gerung von durchschnittlich fünf Pro­
zent geführt. Auf der «Protected Site»
bei Reckenholz soll nun geklärt werden,
ob sich diese Ertragssteigerung auch im
Feld und mit gleichem Einsatz von
Nährstoffen erreichen lässt. Ausserdem
sind Untersuchungen geplant, wie sich
der gentechnisch veränderte Weizen im
Vergleich zu konventionell gezüchteten
Sorten auf Insekten und Mikroorganis­
men im Boden auswirkt.
Das Bewilligungsgesuch für die
Feldversuche hat Agroscope Mitte April
beim Bundesamt für Umwelt (Bafu)
eingereicht. Bei Vollständigkeit der
Unterlagen wird das Gesuch den Fach­
stellen des Bundes, den Fachkommissi­
onen und der Fachstelle des Kantons
Zürich zur Stellungnahme vorgelegt.
Das Bafu prüft in den folgenden Mona­
ten das Gesuch und die Stellung­
nahmen. SDA