Predigt über Korinther 4 - Evangelische Gemeinde Deutscher

Predigt
Liebe Gemeinde,
(1. Die Ungewissheiten Dietrich Bonhoeffers und Johannes des Täufers)
„Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig,
lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist. Bin ich wirklich, was
andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir
weiß?“(1)
Vielleicht kennen Sie diese Zeilen von Dietrich Bonhoeffer. Sie stammen
aus seinem Gedicht „Wer bin ich?“. Als Hochverräter hat man Bonhoeffer
verhaftet. Jahre sitzt er im Gefängnis. Von der Isolation gebeutelt schreibt
Bonhoeffer Texte und Gedichte. Er schickt sie seiner Familie, seinen
Freunden und seiner Braut und teilt mit ihnen seine Erschütterungen und
Ungewissheiten.
„Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.“
Sicher kennen Sie diese Frage auch. Und diese Erfahrung, die Bonhoeffer
im Gefängnis macht:
in der Bedrängnis, in der Enge, wenn man mit sich selbst allein ist, dann
geraten manchmal vermeintliche Gewissheiten ins Wanken. Wenn keiner
da ist, der einem Sicherheit geben kann, wird man manchmal unsicher.
Unsicher im Urteil über sich selbst, aber auch über die anderen. Und
manchmal urteilt man auch vorschnell und ungerecht.
Auch Johannes der Täufer macht diese Erfahrung. Auch ihn hat man
eingesperrt, weil er zu viele Fragen gestellt hat. Unliebsame Fragen für die
Mächtigen. Nun ist er auf sich selbst zurückgeworfen. Einsames Fragen
treibt mit ihm Spott. Eines Tages weiß er nicht mehr, was er glauben soll
– und fragt: „Bist Du es (wirklich, Jesus), der da kommen soll (als
Messias), oder sollen wir auf einen anderen warten? (2)“
Auf wen kann ich mich verlassen? Auf mich selbst? Auf einen anderen
Menschen? Auf Gott?
Wer hält zu mir? Wem kann ich vertrauen - und wer ist mir treu? Im
Angesicht der Gefahr? Des Todes? Der Verlassenheit? Wer kommt mir zur
Hilfe?
(2. Paulus erinnert an Gottes Privileg des Gerichts)
Ich lese einen Text, den der Apostel Paulus als Brief an seine Gemeinde in
Korinth geschrieben hat. Ich verstehe ihn als Antwort auf die Fragen, die
Bonhoeffer, Johannes den Täufer - und uns - umtreiben.
Wir finden den Text im 1. Brief an die Korinther, Kapitel 4, in den Versen
1-5:
Verlesung des Predigttextes 1. Korinther 4, 1 - 5
Diesen Brief hat Paulus zwar nicht aus einem Gefängnis geschrieben. Aber
man spürt, dass der Apostel aus einer innerlich bedrängten und beengten
Situation heraus schreibt.
Es geht um die Frage, wie man miteinander umgehen soll, wenn es um
einen herum eng, einsam und unsicher wird. Wenn man nicht mehr weiß,
was man glauben soll oder wem man vertrauen kann. Was hilft? Worauf
gründe ich mich? Was gibt Sicherheit?
Es sind die Fragen der letzten Dinge im Angesicht von Gefahr, im
Angesicht des Todes, der Verlassenheit.
Die Antwort des Paulus mündet in zwei Erfahrungen:
Es ist gut, die letzten Entscheidungen über mich, über die anderen und
über die Welt Gott zu überlassen. „Der HERR ist’s aber, der mich richtet.“
(V. 4)
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Dabei kann es helfen, schon hier und heute vorsichtig zu sein, wenn es
um vorletzte Beurteilungen geht.
„Darum richtet nicht vor der Zeit.“ (V. 5)
Doch der Reihe nach…
Paulus hat keinen leichten Stand in der Gemeinde in Korinth. Die Leute
sind inzwischen selbstbewusst geworden. Jetzt sind sie selber „groß“ und
dem Einfluss ihres einstigen Lehrers und Gemeindegründers entwachsen.
Sie wissen, oder sie glauben zu wissen, was richtig und was falsch ist, wer
gut - und wer böse ist, wer das rechte glaubt - und wer sich irrt.
Außer Paulus sind Prediger in der Stadt unterwegs, die wie er das
Evangelium von Jesus Christus verkündigen. Nun wird verglichen und
geurteilt. Und man kommt zu dem Schluss: andere können das besser als
Paulus.
Brillanter und überzeugender reden können die anderen. Vielleicht sehen
sie auch besser aus als Paulus, der klein und nicht sehr attraktiv gewesen
zu sein scheint.
Oder sie sind vitaler und gesünder als der ewig kränkelnde Paulus.
Jedenfalls beginnt man, Paulus zu kritisieren, zu beurteilen, abzuwerten.
Unser heutiger Text ist auch eine Antwort auf solche Tendenzen: „Mir aber
ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem
menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht….der HERR ist’s
aber, der mich richtet. (V. 3 und 4)“
„Gleichmütig, lächelnd und stolz“ hat man Bonhoeffer gesehen. Als sei er
unangreifbar und über jedes Urteil erhaben.
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Ähnlich souverän wehrt auch Paulus die Angriffe auf ihn ab. Menschliche
Stäbe, die über ihn gebrochen werden, können ihm nichts anhaben.
Und auch sein eigenes Gewissen, das seine Taten oft sehr streng beurteilt,
ist zwar seine Richtschnur, aber nicht sein Richter. „Ich bin mir zwar
nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt. Gott ist’s aber, der
mich richtet. (V.4)“
Man kann das als Ausdruck unverschämter Arroganz hören, als ob Paulus
nichts von außen anficht. Als ob sein Vertrauen auf Gott, als seinen
Richter, ihn gegen jede Kritik aus der Gemeinde immun machen würde.
Wenn man andere Äußerungen von Paulus kennt, weiß man aber, dass
seine Worte aus großer innerer Freiheit heraus gesprochen sind. Er weiß,
dass seine letzte Instanz Gott ist, nicht sein eigenes Gewissen und auch
nicht das Urteil der anderen.
Und dahin, liebe Gemeinde, muss man erst einmal kommen, in dieser
Weise für sich, seine Person und seine Taten einzustehen. Ich ahne, welch
langer Weg des Missverstanden-Werdens hinter Paulus liegt. Denn sein
Selbstbewusstsein kommt nicht aus Selbstverliebtheit. Sondern aus seiner
Bindung an Gott, von dem er sich abhängig und getragen weiß. Was für
ein Vertrauen, das sagen kann: „Der HERR ist’s aber, der mich richtet.
(V.4)“ Gott hat das letzte Wort über mein Leben. Alle anderen, auch ich,
haben das Vorletzte. Bestenfalls.
Wer gut oder böse ist, was richtig oder falsch ist, was die Welt und jeden
Einzelnen von uns ausmacht, das kann und wird Gott allein uns sagen,
wenn er kommt.
(3. Advent: Bereitet Gott den Weg als Dienerinnen und Haushalter der
Geheimnisse Gottes)
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Also, liebe Korinther, liebe Deutsche Evangelische Gemeinde Nairobi
Worauf warten wir im Advent? Dass Gott das letzte Wort hat – über uns
und über die anderen. Wenn Gott kommt, dann werden wir Gewissheit
haben. Aber eben erst dann, nicht schon im Hier und Jetzt.
Advent ist nicht Weihnachten. Bis zum letzten und alles entscheidenden
Urteil über mich und die Welt braucht es Geduld. Menschen müssen
Ungewissheit aushalten, bis Gott kommt.
Das ist die Botschaft des Paulus.
Und ja, gewiss ist es verständlich, und eben auch menschlich, dass einem
bei so viel Warten auch mal der Geduldsfaden reißt. Dann wird gelästert
und zu Gericht gesessen, verurteilt und verdammt. Kleine und große
Menschen tun das mit kleinen und großen Menschen in Klassenzimmern,
Arztpraxen, Bürofluren, in Hörsälen und Kirchencafes.
Das wird auch Paulus gewusst haben. Doch er ist deutlich und bleibt
dabei: Weil Gott richtet, wenn er kommt, stehen uns heute keine Urteile
zu. Punkt. Nicht über andere und nicht über uns selbst. „Auch richte ich
mich selbst nicht. (V.3)“ Ob ich gut oder böse bin, ob und wann jemand
falsch oder richtig handelt, das kann und wird allein Gott beurteilen zu
seiner Zeit. Ende.
Und wir?
„Dafür halte uns jedermann: für Christi Diener und Haushalter über Gottes
Geheimnisse. (V.1)“
Nicht RichterInnen sind wir, sondern „Dienerinnen und Haushälterinnen“,
die Gottes Geheimnisse hüten und verwalten, bis Gott sie lüftet, wenn er
kommt.
Ich höre diese Worte als Angebot. Es ist doch eine große Entlastung, nicht
alles besser wissen zu müssen als Gott!
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Paulus sagt: Gott will nicht das Unmögliche von Euch. Deshalb mutet er
Euch nicht zu, über die Letzten Dinge zu urteilen. Das ist für Menschen zu
schwer. Das Urteilen könnt Ihr getrost Gott überlassen.
Aber die Vorletzten Dinge, die sollt Ihr tun.
Was heißt das?
„Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu
befunden werden.“ Treuhänder Gottes sind wir also. Das ist ein hoch
aktiver Dienst. Gott traut uns zu, seine Geheimnisse treuhänderisch
schützen und bewahren zu können.
Was heißt das?
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an. (3)“.
Sie kennen vielleicht diesen Vers aus dem ersten Samuelbuch. Vor ein
paar Jahren war er Jahreslosung.
Denkt daran, könnte das heißen, dass das, was Ihr seht, nicht die
absolute und reine und einzige Wahrheit ist. Es könnte immer alles auch
ganz anders (gewesen) sein.
Paulus empfiehlt eigentlich ein erwartungsvolles adventliches Bewusstsein.
Ich erzähle ein Beispiel, das Sie alle kennen: da trennt sich ein Paar nach
kurzer oder langer Ehe. Vielleicht gibt es Kinder, vielleicht sogar Enkel,
vielleicht auch nicht. Aber sicher gibt es genügend Menschen im näheren
oder ferneren Umfeld der beiden, die offenbar ganz genau wissen, was der
Grund für die Scheidung war. Und meistens gibt es auch jemanden, der
weiß, wer schuld ist. Juristisch gibt es in Deutschland die Schuldfrage bei
Scheidungen ja schon lange nicht mehr, christlich-moralisch aber schon.
Ich denke, zu denen, die es scheinbar so ganz genau wissen, könnte
Paulus sagen: „Richtet nicht vor der Zeit. (V. 5)“ Überlasst Gott das Urteil.
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Eure Aufgabe als treue Haushalter Gottes ist es, den Spalt für Gottes
Wahrheit offen zu halten und vielleicht sogar laut zu sagen: „Es könnte
immer alles auch ganz anders (gewesen) sein.“
Eigentlich hört sich das ganz leicht und selbstverständlich an, denn wenn
wir selbst am Pranger stehen oder ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, dann
möchten wir doch auch, dass man vorsichtig und achtsam mit uns
umgeht. Wir möchten doch auch, dass mit uns geredet und nicht über uns
geurteilt wird.
Eigentlich ist es leicht und selbstverständlich: So wie ich selber nicht von
anderen verurteilt werden möchte, so urteile ich nicht über andere – oder
über mich selbst. Denn „Gott ist’s, der mich richtet. (V. 4)“
Haushalter Gottes sein heißt dann weiter:
Lass auch im Blick auf Dich selbst Gnade walten – und lass einen Spalt
offen, damit Gottes Wahrheit im Urteil Platz findet. Auch ein Sich-SelbstKlein-Machen
–
genauso
wie
das
Sich-Selbst-Aufblasen-
kann
ein
Fehlurteil sein, das Gott den Weg versperrt und den Zugang verschließt.
Advent heißt: Gott Platz lassen für sein Urteil, bis er kommt.
Paulus schreibt, dass sich Geduld und Warten lohnen: „Dann wird einem
jeden von Gott sein Lob zuteilwerden (V. 5)“ So endet unser heutiger
Bibelabschnitt.
Am Ende steht kein Kreuzverhör, kein Pranger, keine Schlinge, die sich
zuzieht.
Am Ende steht bei Gott das Lob und die Anerkennung für jeden einzelnen
Menschen.
So dürfen wir hoffen, dass Gott ein weises Urteil spricht.
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Johannes der Täufer hört, wie Jesus Menschen verwandelt: „Blinde sehen,
Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf
und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ (4)
Diese Botschaft reicht Johannes, um sich Gott in die Arme zu werfen.
Bonhoeffers irrlichterndes Fragen findet am Ende eine ruhige und über
den Tod hinaus tragende Antwort:
„Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.“
Das mag auch uns genug sein. Amen
Diakon Thomas Ritter
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