Report Berichte aus Praxis und Forschung der interkulturellen Väterarbeit www.iva-nrw.de April 2016 Jahrgang 3, Ausgabe 16 Autorin dieser Ausgabe Prof. Dr. Manuela Westphal Prof. Dr. Manuela Westphal ist seit 2010 Professorin für Sozialisation mit Schwerpunkt Migration und Interkulturelle Bildung im Institut für Sozialwesen an der Universität Kassel. Davor war sie Juniorprofessorin in der allgemeinen Pädagogik mit Schwerpunkt interkulturelle Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Osnabrück und im Anschluss Gastprofessorin für Heterogenität und Bildung an der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg. Sie war Leiterin der niedersächsischen Koordinierungsstellen Frauen und Wirtschaft im Landkreis Grafschaft Bentheim. Ihr Studium der Erziehungswissenschaften absolvierte sie an den Universitäten Hannover und Osnabrück, arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms FABER (=Folgen der Arbeitsmigration für Bildung und Erziehung) und promovierte am Fachbereich Erziehung- und Kulturwissenschaften der Universität Osnabrück. Ihre aktuellen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind Bildungsaufstiegsforschung, Intersektionalität von Behinderung und Migration, Elternschaft und frühe Bildung. gefördert vom Subjektive Vorstellungen zu Vaterschaft im Kontext von Bildungsaufstieg Ein Blick in die Forschung zu Elternschaft und Erziehung zeigt, dass seit den 1990er Jahren eine „neue Väterlichkeit“ beobachtet wird. Männer würden zunehmend eine aktive und emotional zugewandte wie auch fürsorgliche Vaterrolle für sich in Anspruch nehmen wollen. Die neue, engagierte Väterlichkeit wird vor dem Hintergrund demokratisierter Geschlechterverhältnisse und modernisierter Männlichkeiten sowie gewandelter Vorstellungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und entsprechenden Aufgabenaufteilungen diskutiert. Empirische Befunde zeigen für Einstellungen und Verhalten einer aktiven Vaterschaft eine hohe Abhängigkeit von sozioökonomischen Status und Bedingungen der Erwerbsarbeit wie auch des Bildungshintergrundes. Wie Migrationsprozesse VaterschaftskonFacharbeitskreis für interkulturelle Väterarbeit zepte und -praxen verändern oder bestimmen, ist bislang kaum Thema in den Debatten über aktive Vaterschaft (Westphal 2006). Differenzierte Befunde über die Dynamik von (aktiver) Vaterschaft in Abhängigkeit von Rahmenbedingungen der Migration liegen aus einer interkulturell vergleichenden Studie mit Vätern aus der Gruppe der Arbeitsmigration aus der Türkei, der Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion sowie nicht gewanderten einheimischen deutschen Vätern vor (Westphal 2011; Westphal 2015). In Wissen- schaft und Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden jedoch vor allem Erkenntnisse mit Bezug auf Migranten, die sich in das stereotype Bild traditionell-patriarchaler Väterlichkeit fügen. Da Väter in der Migration immer wieder stark mit defizitärer Rollenzuschreibungen konfrontiert werden, ist Aufklärung und Information darüber notwendig, dass (auch) migrantische Väter „sich intensive Gedanken über die Bildung, Ausbildung, Entwicklung bzw. über die Zukunft ihrer Kinder“ (Cengiz Deniz 2012, S. 338) machen. Seite 2 Report Dieses väterliche Engagement ist vor allem im Zusammenhang von Migration und sozialen Mobilitätserwartungen zu verstehen, was im Folgenden anhand von Erkenntnissen einer qualitativen Studie mit Studenten der zweiten Migrationsgeneration vorgestellt wird. „Wie Migrationsprozesse Vaterschaftskonzepte und praxen verändern oder bestimmen, ist bislang kaum Thema in den Debatten über aktive Vaterschaft.“ Projekt „Bildungserfolgreiche Migranten – ihre Wege und Handlungsstrategien“ In dem an der Universität Kassel durchgeführten Forschungsprojekt „Bildungserfolgreiche Migranten - ihre Wege und Handlungsstrategien“ werden die Bildungsaufstiegsprozess e junger männlicher Studierender mit Migrationshintergrund in höheren Semestern und verschiedener Fachrichtungen sowie Universitäten untersucht (Kämpfe/Westphal 2016). In der qualitativen Studie wurden 17 problemzentriert - biographisch angelegte Interviews durchgeführt, die in der Regel ca. zwei Stunden dauerten. Die Auswertung fand anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring statt. Bei den befragten jungen Männern handelt es sich um die ersten in ihrer Familie mit einem akademischen Studium. Der jüngste Student war zum Zeitpunkt des Interviews 22 Jahre und der älteste 33 Jahre alt. Drei der Studierenden sind verheiratet und zwei bereits Väter. Ihre Eltern sind aus ver- schiedenen Ländern überwiegend als Arbeitsmigranten, aber auch als Flüchtlinge oder Aussiedler nach Deutschland eingewandert bzw. migriert. Ausgehend von verschiedenen Benachteiligungsrisiken1 bei (jungen) männlichen Migranten interessieren im Projekt insbesondere ihre Handlungsstrategien und Deutungen für die Gestaltung von Bildungserfolg und – aufstiegen sowie die Bewältigung von Übergängen in Studium, Beruf und Familie. Demnach waren im Gesprächsleitfaden die Erfahrungen mit den eigenen Eltern wie auch (Zukunfts)Vorstellungen zu Vaterschaft und Vatersein explizite Teilthemen. Somit fragten wir konkret nach den subjektiven Vaterschaftskonzepten. Diese beinhalten Auffassungen darüber, welche Funktion Eltern bzw. Väter für die Entwicklung ihres Kindes haben und wie sie diese ausüben sollten. Es wird theoretisch davon ausgegangen, dass die Vaterschaftskonzepte durchaus eine Bedeutung für das faktische Handeln haben (können), insofern sie „als internalisierte präskriptive Handlungserwartungen zur erwartungskonformen Rollenausübung motivieren“ (Kalicki 2003: 500). In den Interviews zeigen sich die subjektiven Vorstellungen über Vaterschaft insbesondere als Resultat der (reflexiven) Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater und im wechselseitigen Bezug zur sozialen Mobilitätserwartung. Subjektive Vorstellungen von Vaterschaft im Kontext von Bildungsaufstiegsprozes sen Das Erleben des eigenen Vaters ist für die subjektive Vaterschaftsvorstellung bei der zweiten männlichen Migrationsgeneration grundsätzlich bedeutsam. So wird der eigene Vater von den jungen Männern als Vater beschrieben, der sich durch eine hohe Bildungsaspiration an den Sohn auszeichnete und diese mit unterschiedlichen Formen und Ausmaßen der Unterstützung und Ermutigung, aber auch der Ausübung von Strenge und Kontrolle umsetzte. Viele können sich mit den eigenen Vorstellungen von Vaterschaft zwar deutlich an die Praxis und Positionen der eigenen Eltern bzw. des Vaters anlehnen, suchen jedoch vor allem nach anderen Mitteln und Methoden der erzieherischen Umsetzung. Hierzu ein Studierender, der bereits zweifacher Vater ist: „Also ich versuch, denen schon die Werte beizubringen, die meine Eltern mir beigebracht haben. Vielleicht auch bisschen besser. Nee, sagen wir mal anders. Ne? Optimierter sag ich mal auf dieses Land, weil ich das ja nun mal 1 Als Risiko wird die Herkunft aus einer bildungsfernen Familie gefasst, sowie das Geschlecht in Verbindung mit Herkunftsmilieu und Migrationshintergrund. Seite 3 Jahrgang 3, Ausgabe 16 kennengelernt hab. Aber ansonsten würde ich das genauso machen.“ (Student des Bauingenieurswesen, 33 Jahre). Das Kontextwissen und ihre Ressourcenausstattung, welche den eigenen Eltern noch fehlten, werden als wichtige Potentiale für eine ‚optimiertere‘ Erfüllung der Vaterschaftsrolle ausgemacht. Vor diesem Hintergrund sehen sie für sich bessere Rahmenbedingungen für die Ausübung engagierter Vaterschaft. Auch stellt die Transmission von Bildung(serfolg) in den subjektiven Vorstellungen ein zentraler väterlicher Verantwortungsbereich dar. Die Studierenden sehen ihre väterliche Aufgabe darin, den (zukünftigen eigenen) Kindern den Wert guter Bildung zu vermitteln und deren Bildungsweg zu unterstützen. „Ja ich sage, ich bin jetzt Akademiker, sage ich mal, wenn ich fertig bin, bin ich eigentlich Akademiker, dann würde ich auch nicht wollen, dass mein Sohn dann wieder Arbeiter wird. Ich meine, ich habe den Anspruch gehabt, studieren zu wollen und habe es dann geschafft, dann will ich dann auch, dass mein Sohn oder meine Kinder dann auch studieren und ehm was Vernünftiges aus ihrem Leben machen, ne. Aber ich würde denen nie vorschreiben, was die zu studieren ha- ben.“, so ein Student der Humanmedizin, 29 Jahre. Die Bildungserwartungen ihrer eigenen Väter waren teils auch durch konkrete Berufsbilder (z. B. Arzt, Rechtsanwalt, Ingenieur) bestimmt. Die befragten Männer konnten sich in ihren Bildungsverläufen erst nach und nach (z. B. nach einem Studienwechsel) von den Erwartungen der Väter lösen und dann ihre eigenen Lebensentwürfe und Berufsziele entwickeln. Ihr Ziel ist es deshalb, dass ihre eigenen Kinder ihre Bildungserfolge zwar reproduzieren, doch sollen sie selbst über ihre Studien- und Berufswahl bestimmen können. Allerdings sehen sie es zum Teil als väterliche Aufgabe an, darauf zu achten, wer die Freunde der Kinder sind und vor allem auch die Bildungsinstitutionen nach deren sprachlich-kultureller Zusammensetzung zu wählen. Die Herkunftssprache und der intensive Umgang mit Personen der gleichen Herkunftssprache werden eher als hinderlich für die Reproduktion des Bildungserfolges erachtet. Dahingegen sehen es einige der Befragten es als ihre Aufgabe an, die von der eigenen Familie unterdrückte Herkunftskultur wieder an die eigenen Kinder weiterzugeben. „Also, er hat ja dann das Glück halt, dass er diese sprachliche Barriere nicht so groß hat. Ich glaub da ist es dann der umgekehrte Fall. Dass diesen, diesen Ausländeranteil sag ich mal so, wo es bei mir halt war, den zu verringern, sag ich mal so oder sich anzupassen. Wird es bei ihm wahrscheinlich dann wichtig sein, dass er seine alten Werte und Traditionen kennenlernt. Dass er weiß, woher er kommt.“ (Student des Bauingenieurwesens, 33 Jahre). Insgesamt ist aber festzustellen, dass sich die subjektiven Vaterschaftsvorstellungen eher in Anpassung an mehrheitsgesellschaftliche, mittelschichtsspezifische Ideale der bürgerlichen Familie orientieren. „ (…) sag mal wie es sich der Deutsche immer vorstellt. Häuschen, Garten, (lachend) alles dieses, ich will es mal Spießerleben nennen, aber ich find es eigentlich toll.“ (ebd.) Vor allem diejenigen Studenten, die ihre Bildungslaufbahn sehr heteronom sowie unter strenger Kontrolle und Überforderung erlebt haben, sehen ihre (künftige) väterliche Verantwortung in der Förderung von Selbstbestimmung und Wohlbefinden der Kinder. Die Vorstellung aktiver Förderung bezieht sich dabei nicht nur auf eine gezielte Steuerung bestmöglicher Bildungsvoraussetzungen durch die Auswahl guter Bildungseinrichtungen, einen regen Austausch mit Lehrern und die Hilfe bei Hausauf- „In Wissenschaft und Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden jedoch vor allem Erkenntnisse mit Bezug auf Migranten, die sich in das stereotype Bild traditionell-patriarchaler Väterlichkeit fügen.“ www.iva-nrw.de Fachkreis für interkulturelle Väterarbeit NRW Im Juni 2013 wurde die seit fünf Jahren bestehende Arbeitsgruppe „Väter mit Migrationshintergrund NRW“ in einen Facharbeitskreis umgewandelt. Der neue Facharbeitskreis „Interkulturelle Väterarbeit NRW“ engagiert sich nicht nur für Väter mit Migrationshintergrund, sondern treibt die Väterarbeit im interkulturellen Kontext voran. Ansprache /Akquise und Qualifizierung von Multiplikatoren vor Ort, Erarbeitung und Weiterentwicklung von Standards für interkulturelle Väterarbeit, regelmäßige PR und Öffentlichkeitsarbeit sowie Bereitstellung von onlinebasierten Räumen für den Informations- und Erfahrungsaustausch sind die wichtigsten Punkte in der Aufgabenliste des Fachkreises. Interesse an interkultureller Väterarbeit? Wir beraten und unterstützen Sie bei der Entwicklung der Angebote für Väter mit Migrationshintergrund. Kontaktieren Sie uns! gaben, Nachhilfe etc. Wichtiger noch sei das Signal „Ich bin für dich da“ (Wirtschaftsingenieurstudent, 24 Jahre) und ein Mehr an Interesse und Verantwortung an den alltäglichen Belangen und Befindlichkeiten des Kindes. Die Idee engagierter Vaterschaft beschreibt einer der jungen Väter als Mittelweg zwischen elterlicher Wachsamkeit und Fürsorge sowie Autonomie: „also ich will ihn [den Sohn] einerseits nicht zu sehr einschränken, aber auch nicht so große Freiheit, Freiheiten geben, sodass er alles machen kann“ (Lehramtsstudent, 27 Jahre). Zudem legen sie Wert darauf, den eigenen Söhnen Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit zu vermitteln. „Dass er halt Verantwortung übernehmen kann, mit seinem Taschengeld, mit seiner Freizeit. Dass er halt bewusst sich mit diesen Sachen auseinander setzt und nicht willkürlich daher lebt“ (Student der Politikwissenschaften, 31 Jahre). Die Befragten deuten die frühe Verantwortungsübernahme und Selbstständigkeit in der Familie als wichtige Faktoren für die persönliche Entwicklung ihrer (zukünftig eigenen) Kinder und schließlich den Bil- dungsaufstieg. Sowohl die Erfahrungen mit dem eigenen Vater als auch die bildungsbiografischen Erfahrungen sind starke Einflussfaktoren für die subjektiven Vaterschaftsvorstellungen der jungen männlichen Studierenden der zweiten Migrationsgeneration. Im Hinblick ihrer „neuen“ Rahmenbedingungen im Verhältnis zu ihren Vätern werden „neue“ und aktive Vaterschaftskonzepte für ihre Generation anvisiert und als realisierbar erachtet. Die Ausübung der konkreten Vaterschaftsrolle ist allerdings in hohen Maßen weiter von Merkmalen der elterlichen/ehelichen Partnerschaft und den Arbeitsbedingungen sowie dem zur Verfügung stehenden faktischen Zeitbudget abhängig. Cengiz, D: Perspektiven für die Elternarbeit mit migrantischen Familien. In: Stange, W./ Krüger, R./ Henschel, A./ Schmitt, S. (Hrsg.): Erziehungs- und Bildungspartnerschaften. Grundlagen und Strukturen von Elternarbeit. VS, Wiesbaden 2012, S 326331. Kalicki B: Die Bedeutung subjektiver Elternschaftskonzepte für Erziehungsverhalten und elterliche Partnerschaft. Zeitschrift für Pädagogik 2003, Heft 49: 499-512 Kämpfe, K./Westphal, M: „nicht mehr der Alte“ – Selbst- und Fremdpositionierungen männlicher Bildungsaufsteiger mit Migrationshintergrund. In: Horwath, I./ Kriesi, I./ Liebig, B./ Riegraf, B. (Hrsg.): Gender und Migration in der (höheren) Berufsbildung. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2016 (i.E.) Westphal, M: Subjektive Vorstellungen zur Gestaltung von Vaterschaft in Migrations- und Bildungsaufstiegsprozessen, In: Otyakmaz, B.Ö. / Karakasoglu, Y. (Hrsg.): Frühe Kindheit in der Migrationsgesellschaft. Erziehung, Bildung und Entwicklung in Familie und Kindertagesbetreuung. VS Springer Verlag, Wiebaden 2014, S. 125-144. Dies.: Elternschaft und Erziehung im interkulturellen Vergleich. In: Bildung und Erziehung. Familienerziehung multikulturell und interkulturell. (67 Jg.). H. 2, 2014, S. 187-201 Dies.: Vaterschaft und Mutterschaft im interkulturellen Vergleich. In: Fischer, V./ Springer, M. (Hrsg.): Handbuch Migration und Familie. Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2011, S. 231239. Dies.: Modernisierung von Männlichkeit und aktive Vaterschaft – kein Thema für Migranten? In: Beham, M. /Werneck, H. /Palz, D. (Hrsg.): Working father – Männer zwischen Familie und Beruf, PsychosozialVerlag, Gießen 2006, S. 164-176. Landeskoordinierungsstelle c/o Stiftung Zentrum für Türkeistudien Altendorfer Str. 3 45127 Essen Tel.: 0201-3198-306 [email protected] IMPRESSUM: Report - Berichte aus der Praxis der interkulturellen Väterarbeit Konzept&Redaktion: Gülay Kizilocak (V.i.S.d.P.) 0201-3198-306 / [email protected], Foto: Prof. Dr. Manuela Westphal Grafiken: Fotolia
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