JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 TeilIVFreiheitund/oderGerechtigkeit:Antworten ausgewählterPhilosophienderNeuzeit GemeinsinnundEigensinnhabeneineinteressanteEntwicklunghintersich.Die ursprünglichenarchaischenGemeinschaften,indenendieMenschenüber Jahrzehntausendeleben,sinddurchGemeinsinnorientierunggeprägt–verbundenmit relativegalitärenStrukturen(keinestarresozialeUngleichheit)undmiteinem BemühenumGerechtigkeitalsGrundpfeilersozialerHarmonie.Gemeinsinninnerhalb derjeweiligenGemeinschaftsichertdensozialenZusammenhaltunddie lebensnotwendigeKooperation.DiegemeinsameSprachesowieEmpathieund AltruismushaltendieGemeinschaftzusammen;ritualisierteNahrungsteilung, Gemeinschaftsrituale,kennzeichnendeKunstformenundKultebzw.Mythenund religiöseVorstellungendemonstrieren,beschwörenundfestigendenZusammenhalt. Der/DieEinzelneistalsTeilderGemeinschaftfesteingebettetinein„Wir“–mit „sinnvollen“Aufgaben,einemsicheren„Wissen“umdiegemeinsameAbstammungund einemtiefenGefühlderZugehörigkeitundVerbundenheit–auchmitdenAhnen(vgl. TeilIderStudie). DasistsichereineidealisierteKennzeichnung,derAlltagistauchinsolchen Gemeinschaften–wieschonerwähnt–nieganzfreivonKonfliktenundSpannungen, abermirgehteshiereherumallgemeineEntwicklungslinien,nichtumDetails..... MitdemAufbrechenderarchaischenGemeinschaftenundderEntstehunggroßer Sozialsystemegewinnt„Eigensinn“zunehmendanBedeutung:inFormindividueller AnsprücheaufPrivilegien,aufMachtundReichtum(vgl.EntstehungvonHerrschaftim TeilIII),aberauchinFormindividuellerFreiheitsansprüchegegenüberdemKollektiv, seinenErwartungen,WertenundTraditionen.DieseAnsprücheaufIndividualität werdenzunächstnurdurcheinekultisch-militärisch-politischeEliteformuliert,später auchdurchPhilosophen,Dichter,Kaufleute,Handwerker,BürgerinnenundBürgerusw. SoentstehenneueSozialsystememitzumTeilextremenHierarchisierungen(vgl.TeilII derStudie),alsomitstrukturellverankertersozialerUngleichheitundUngerechtigkeit. DersozialeZusammenhaltkannnunnurdurchGewalt(androhung)gesichertwerden, dieaberdurchKultundReligionals„gottgewollt“legitimiertwird. ImweiterenVerlaufderGeschichte,insbesonderedessog.„Westens“,kommteszu interessantenAmbivalenzenundParadoxien: Die„gottgewollte“HerrschaftsiehtsichLegitimationsforderungenausgesetzt.Unter demStichwort„Volkssouveränität“sollsiewiederdemGemeinwohlverpflichtet werden.AuchdiemitsozialerHierarchisierungeinhergehendeUngleichheitund UngerechtigkeitlöstimmerwiedersozialeundreligiöseProtestbewegungenund Versucheaus,Gegenmodellezuetablieren(Katharerbewegungen,Sozialismusu.a.). DiesmutetanwieeineRückkehrzurGemeinsinnorientierungderarchaischen Sozietäten.DerWunschnacheinersolidarischenGemeinschaft,nachsozialerGleichheit undGerechtigkeitwirdwiederbelebt,inZeiten,indenenEigensinnzutriumphieren scheint(u.a.inFormabsolutistischerHerrschaft,ständigerEroberungskriege, kapitalistischerAusbeutungundNutzenoptimierung). DerEigensinnzeigtsichaberhistorischnichtnurinindividuellenMacht-und Herrschaftsansprüchen,inderrücksichtslosenDurchsetzungegoistischerInteressen usw.,sondernauchinindividuellenFreiheitsansprüchen,inderIdeederWürdeundder 1 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 unveräußerlichenRechtedesMenschen–undzwarjedeseinzelnenMenschen.Diese FreiheitsansprücherichtensichzunächstgegenwillkürlicheHerrschaftund Unterdrückung,siereichenaberweiter.Siebedeutenauch:Der/DieEinzelnenhatdas Recht,sichggf.auchgegendieeigeneSozietätundderenWerte,Normenund Traditionenzustellenundsein/ihrLeben„unabhängig“,„selbstbestimmt“(autonom)zu gestalten.DamitgerätderAnspruchaufindividuelleFreiheitineinSpannungsverhältnis zumWunschnachsolidarischerGemeinschaftundGemeinsinn. Mehrnoch:DiemodernenGesellschaftensollenheutedenWunschunddieFähigkeit jedesHeranwachsendenfördern,einselbstbestimmtesLebenzuführen.Indemsie individuelleFreiheitsrechteunddamitauchdieRechtevonMinderheitendurch entsprechendepolitische(Demokratie,Bürgerrechteusw.)undgesellschaftliche (Erziehungs-undBildungssystem)Rahmenbedingungenstärken,verzichtensieaufeine demonstrativeStärkungdesWir-GefühlsundaufradikaleVersuche,Gleichheit („Chancengleichheit“)undsozialeGerechtigkeitumzusetzen. Umgekehrtgilt:Woversuchtwird,einPrimatdes„Wir“gesellschaftspolitischzu etablieren(Nationalismus,Faschismus,Staatssozialismusu.a.),gehtdasimmerzulasten individuellerFreiheitsrechte.DieseSystemeführenaufderBasisneuer„Wir“-Ideologien bisherimmerzurAusgrenzungundBekämpfungvonMinderheiten,„Fremden“und „Feinden“,zumAbbaudemokratischerRechteundzutotalitärenFormender Repression;ganzabgesehendavon,dassesauchindiesenSystemennichtgelingt,meist auchgarnichternsthaftversuchtwird,sozialeUngleichheitundUngerechtigkeit abzubauen. EineweitereAmbivalenzoderParadoxiehabeichindenbeidenvoranstehendenTeilen derStudieangesprochen:DieEntwicklunguniversalistischerIdeenundBewegungen (IdeederallgemeinenMenschenrechte,Befreiungsbewegungen)erfolgtvordem Hintergrundstarkpartikularerbzw.separierenderGemeinschaftsangebote(z.B.Nation, Volk,Klasse).OptimistenwerdendieGeschichtealseineEntwicklunghinzueiner globalenVölkergemeinschaft(„Völkerbund“,„VereinteNationen“,„EuropäischeUnion“ alsZwischenstufe)interpretieren.Angesichtsderökologischen,sozialenund wirtschaftlichenHerausforderungen,scheinteineArt„Weltregierung“aufderBasisvon Demokratie,MenschenrechtenundGleichberechtigungallerVölkerunumgänglich. DagegenstehenaberdieWünscheder(vieler?)Menschennach„überschaubaren“, persönlichenGemeinschaften,nacheinemscheinbarverlässlichen„Wir“,dassichüber eine(inderRegelkonstruierte)gemeinsameAbstammungundüberAbgrenzungvon anderendefiniert(Volk,Nation,Rasse,GläubigeversusUngläubige).Kurz zusammengefasstgehtesumfolgendeAmbivalenzenundParadoxien: • Individualismus/IndividuelleFreiheitversusWunschnachEinbindunginein verlässlichesWir,damitoftzusammenhängend: • IndividuelleFreiheitversusEgalitätundsozialeGerechtigkeitbzw.soziale VerantwortungoderGemeinsinn; • Universalismus(allgemeineMenschenrechte,dieganzeMenschheitalsneues „Wir“)versusDominanzderPartikularinteressenund-werte(Nationalismus, Regionalismus,Religion). IchwerdenuneinigeneuerePhilosophenbzw.philosophischeDenkansätzebefragen, diefürmichbisherimHinblickaufdiedargelegtenParadoxienbesondersanregend sind.DabeibezieheichmichfastausschließlichaufSekundärliteratur;vondahersind alleunterstelltenPositionenmitVorbehaltzulesen.IchäußeremichhieralsLaie.Im 2 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 MittelpunktstehtdabeifürmichdieFrage,obundwieinunsererZeitdieAnsprüche sowohlaufindividuelleFreiheitundalsauchaufsozialeGerechtigkeitversöhntwerden können. Ichbefragedazu–sicherineigentlichunzulässigerKürze–folgendePhilosophienund Philosophen(ggf.kommenweiteredazu): 1. Kommunitarismus(MichaelWalzer,CharlesTaylor) 2. RichardRorty(Neopragmatismus) 3. JohnRawls(EgalitärerLiberalismus) 4. Utilitarismus(JeremyBentham,PeterSinger) 5. ArthurSchopenhauer 6. FriedrichNietzsche 7. Existenzialismus(JeanPaulSartre,AlbertCamus) 8. Konstruktivismus IchgehezunächstaufPhilosophenbzw.philosophischeStrömungenein,dieGemeinsinn undGerechtigkeitbesondersgewichten(1.bis4.). 1 1.DerKommunitarismus :LebeninGemeinschaften DerKommunitarismus(MichaelWalzer,MichaelSandel,CharlesTayloru.a.)entspricht inzentralenPositionenwohlnochamehestenmeinenKernaussageninTeilIderStudie. Erentstehtinden80erJahrendesletztenJahrhundertsindenUSAu.a.alsKritikander „TheoriederGerechtigkeit“vonJohnRawls(s.u.)undandessenPrämisseeines GesellschaftsvertrageszwischenautonomenIndividuen.DieKommunitaristenwenden sichgegendieIllusioneines„autonomenIndividuums“,sehendieMenschenvielmehr alsSozialwesen,als„sozialeIndividuen“,dieunvermeidlicheingebundensindin Gemeinschaften(communities),indenengemeinsamgeteilteWertvorstellungenund Traditionenherrschen.Menschenexistierenalsonichtalsisolierte„Individuen“,sie werdeninsprachlich,ethnisch,kulturell,religiöso.a.definierteGemeinschaften hineingeboren,indenensieaufwachsenundleben,indenenbestimmte,gemeinsam geteilteWert-undMoralvorstellungen,z.B.einegemeinschaftlicheKonzeptiondes Guten,herrschen. Diesog.ModernemitihrerTendenzzurIndividualisierungbzw.der„Überbetonungdes Individuellen“,diesichz.B.inderständigenSuchevielerMenschennach „Selbstverwirklichung“zeigt,wirdalsFehlentwicklungkritisiert.Sieführezur „Entsolidarisierung“dersozialenBeziehungenundzurVereinzelungbzw. VereinsamungvielerMenschen;sieverschärfeIdentitäts-undSinnkrisen.Fürden kanadischenPhilosophenCharlesTaylor,erbezeichnetsichselbstnichtals „Kommunitaristen“,stehtihnenaberinvielerHinsichtnahe,führtdieneuzeitlicheIdee menschlicherFreiheitunddesindividuellenSelbstbestimmungsrechtsletztlichzueinem fatalen„WertrelativismusundSubjektivismus,derBelangejenseitsdeseigenenIch ignoriert“;TaylorsiehtdagegeneingrundlegendesmenschlichesBedürfnisnacheinem Sinn,derdasdiesseitigeLebentranszendiert.2 SelbstverständlichgehtesauchdenKommunitaristenumMöglichkeitenfüreine individuelleEntfaltungderPersönlichkeit,diesekannaberihrerMeinungnachnurin 1HauptvertretersindMichaelWalzer(geb.1935);CharlesTaylor(geb.1931;MichaelSandel(geb.1953); AmitaiEtzioni(geb.1929),RobertPutnam(geb.1941),u.a. 2CharlesTaylor:„QuellendesSelbst“;„EinsäkularesZeitalter“; https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Taylor_(Philosoph) 3 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 RückkopplungandiesozialeGemeinschaft(z.B.Familie,Nachbarschaft)undinsozialer Spiegelungerfolgreichsein.IndividualitätentstehtinderGemeinschaftundgespiegelt durchderenMitglieder.DassehenNarzissmustheoretikerwieH.KohutoderA.Ilien ganzähnlich(vgl.TeilIII,2.Individualisierung).MenschlicheIdentitätalsverlässliches ErkennenundsinnvollerlebtesHandelnistohneintersubjektivverbindlicheAkzeptanz gemeinsamerWertenichtmöglich. DarauserwächstaucheinesozialeVerantwortungdeseinzelnenbzw.eine wechselseitigeVerpflichtungzwischendenIndividuenundderCommunity,ein „GleichgewichtzwischenindividuellenRechtenundsozialenPflichten“.Die KommunitaristenforderneineErneuerunggemeinsamerWertebzw.eine RückbesinnungaufdasGemeinwohl,inmeinenWorten:eineWiederbelebungvon Gemeinsinn.DiessollemöglichstschoninKindergärtenundSchulenerfahrbarund vermitteltwerden. KritisiertwerdenLiberalismus(unddasIdealindividuellerFreiheitund Selbstverwirklichung)undKapitalismus(Prinzipderökonomischen Nutzenoptimierung),dieletztlichdiegemeinschaftlichenGrundlagendereigenenKultur unddas,woraufsiesichbeziehen:Freiheit,DemokratieundWohlfahrtfüralle, untergraben. GemeinsinnorientierungscheintzwareinuniversellesPrinzipzusein,sierealisiertsich aberstetsinkonkretenGemeinschaftenoderCommunities.DerKommunitarismus vertrittdahereineeherrelativistischePosition:JedeCommunityentwickelteigene WerteundWahrheitsansprüche.DahermussinmodernenGesellschafteneine entsprechendePluralitätgesichertwerden(PluralismusderWeltanschauungen).Damit öffnendieKommunitaristen,insbesondereauchCharlesTaylor,denBlickaufandere KulturenundderenWertvorstellungen. DiepolitischenZieleundIdealederKommunitaristensindzunächstdurchaus nachvollziehbar.ZwischendemStaat,dessenAufgabensichaufdasNotwendigste reduzierensollen,unddenIndividuensolleineSphärevonmöglichstlokalen, nachbarschaftlichenGemeinschaften(„communities“)treten.Indenlokalen GemeinschaftennehmendieMenschenihreAlltagsangelegenheitenselbstindieHand (Selbstorganisation,Selbsthilfe).DieweitgehendeDezentralisierungstaatlicher AufgabengehteinhermiteinerFörderungbürgerschaftlichenEngagementsundmitder EntwicklungvonFormendirekterDemokratie.AngestrebtwirdalsoeineStärkungder Zivilgesellschaft.VorbildistdiegriechischePolisbzw.dieattischeDemokratiemitihrer FörderungindividuellerPartizipation.Kritisiertwerdensowohlliberalebzw. neoliberaleVorstellungenvomPrimatindividuellerFreiheitundweitgehend unbeschränkter„Selbstverwirklichung“,aberauchsozialdemokratischeModelledes (bürokratischen)Wohlfahrtsstaates,derdenEinzelneninAbhängigkeithalteund Eigeninitiativeeinschränke. Dawiresheutebekanntlichnichtmehrmitquasinaturwüchsigenarchaischen Existenzgemeinschaften(Jäger-und-Sammler-Gruppe;überschaubareDorfgemeinschaft, Kultgemeinschaft)zutunhaben,bleibtdieentscheidendeFrage,washierals „Community“definiert,konstruiertoderunterstelltwird.Menschenlebenheutein unterschiedlichensozialenZusammenhängen,dieseberuhenzumTeilaufdirekter, persönlicherBegegnungundKommunikation(Familie,Nachbarschaft,Kommune, Arbeitskollegium,Vereinusw.),zumTeilaberauchaufgrößerenundweitgehend anonymenEinheiten(Staat,Nation,Ethnie,Religionsgemeinschaft,Metropolregion,sog. 4 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 sozialeNetzeimInternet,usw.).Ineinigewirdmanhineingeboren,anderewähltman aus.Umwelche„Communities“gehtesdenKommunitaristen? DieKommunitaristenverfolgenoffenbarzweizentraleStrategienzurEntwicklungvon „Communities“:ZumeinensollenalteGemeinschaftsformen,dieimZugedes KapitalismusundseinerDurchdringungallerLebensbereiche„zerstört“oder aufgeweichtwordensind,wiederbelebtwerden:Familie,Gemeinde, Religionsgemeinschaftusw.ZumanderengehtesumdieSchaffungneuer Gemeinschaftsformen,dieausnachbarschaftlichenStrukturen,sozialemund ökologischemEngagement,ausSelbsthilfe-undBürgerprotestbewegungenerwachsen. DieersteStrategiehalteichfürsehrfragwürdig(s.u.). Fürmichbleibtunklar,obnachMeinungderKommunitaristendieverschiedenen tradiertenundrevitalisiertenoderneuentstehenden„Communities“alsjeweilige Wertegemeinschaftgrundsätzlichzutolerierensind–bzw.obundwennjawie umgekehrteinuniversellerGeltungsanspruchderMenschenrechteundder individuellenFreiheitsrechtebegründetwird.HeutebestehteineVielzahlvongroßen undkleinen„Gemeinschaften“,vielemitausmeinerSichtäußerstfragwürdigenZielen undStrukturen(fundamentalistischeReligionsgemeinschaften,religiöseSekten, kriminelleBanden,reaktionäreundrassistischeOrganisationenusw.). Zufragenistu.a.: - Wiesindz.B.MinderheiteninnerhalbderjeweiligenGemeinschaftgeschützt? - WelcheRechteaufPartizipation,aberauchaufNichtkonformitätimHinblickaufdie allgemeingeteiltenWertehabendieeinzelnenIndividuen? - WoliegenGrenzenderToleranzgegenüberfundamentalistischen, antidemokratischenCommunities? - WiekanndasschwierigeVerhältnisvonEigeninitiativeundFürsorge,von Subsidiarität(HilfezurSelbsthilfe)undsolidarischerUnterstützungNotleidender oderBedürftigerdurchdieGemeinschaftgeregeltwerden? Zufragenistauch,wiesichdiegesellschaftlichenUrbanisierungs-,Migrations-und Diversifikationsprozesse,dieEntwicklungvongigantischen,multi-undtranskulturellen MetropolregionenaufdieMöglichkeitenderCommunity-Bildungauswirken.Obüber dieGefahrvonethnisch-religiöserundsozio-ökonomischerGhettobildunghinausneue FormenvonGemeinschaftenentstehenkönnen.VielleichtbietetdieDigitalisierungder WirtschaftunddesArbeitslebensPerspektivenfürvölligneueKommunikations-und Kooperationsgemeinschaften..... DieerhoffteAktivierungvonSelbstorganisationundbürgerschaftlichemEngagement beruhtaufderMöglichkeitvonGerechtigkeit. „Gerechtigkeit“istdiezentraleLeitplankefürgesellschaftlicheMoralsysteme, GerechtigkeiterfordertallerdingskomplexeRegelungen.AuchGrundsätzeder GerechtigkeitsindnachCharlesTaylorstetsandiejeweilsgemeinsamgeteilten WertvorstellungenderGemeinschaftgebunden.Diesesindaberimpluralistischen KonzeptderKommunitaristennichtuniversell.Kannesalsogarkeineuniverselle Verständigungüber„Gerechtigkeit“(„Wasistgerecht?“)geben?IsteineVerständigung überMenschenrechte(inkl.Frauen-,Kinder-,Minderheiten-,Tierrechte)undandere EckpfeilerderGerechtigkeit(BekämpfungvonArmutundHunger,gleichberechtigter ZugangzuRessourcen,Bildung,RechtekünftigerGenerationen,usw.)unrealistisch? NochwürdeichdieHoffnungnichtaufgeben. 5 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 NachMichaelWalzer3sindmenschlicheGesellschaften„Verteilungsgesellschaften“mit gemeinsamgeteiltenVorstellungenvomWertderGüterundmitfestgelegten Verteilungsprinzipien: Eine„gerechte“VerteilungkannnichtaufBasiseinfacherGleichheiterfolgen,sondern nuraufBasiskomplexerRegelungen(„komplexeGleichheit“).Deswegentrennterdas gesellschaftlicheLebeninSphären,indenendieGüternachunterschiedlichen Prinzipienverteiltwerden.DabeiunterscheideterdreiDistributionsprinzipien:freier Tausch,Verdienst,Bedürfnis. NachM.WalzergibteselfSphären:unteranderemMitgliedschaftundZugehörigkeit, SicherheitundWohlfahrt,GeldundWare,ErziehungundBildung,Anerkennungund politischeMacht.EinegerechteVerteilungerfordert,dassdieverschiedenen VerteilungssphärenklargegeneinanderabgegrenztunddassalleGütergemäßihren gesellschaftlichenBedeutungensowiedenspezifischenKriterienundMaßstäbenihrer jeeigenenSphärezugeteiltwerden.SosindetwamedizinischeLeistungenanKranke gemäßderBehandlungsbedürftigkeitundpolitischeÄmteranKandidatenin EntsprechungzuihrerQualifikationzuvergeben. IchseheindenkommunitaristischenÜberlegungeneineDoppelstrategie:Zumeinen müssendiebestehendenstaatlichenSystemeundOrdnungenimSinnederGrundsätze derGerechtigkeitweiterentwickeltwerden,d.h.jenachTeilsystembzw.„Sphäre“ (Justiz,Medizin,Bildung,medialeÖffentlichkeit,usw.)müssendasBemühenum „Gerechtigkeit“unddiesbezüglichechteFortschritteerfahrbarsein,wenn Bürgerengagementermutigtwerdensoll.Zumanderenmüssenfürdieses BürgerengagementFreiheits-undErprobungsräumegeschaffenwerden,zumBeispielin sozialenSelbstorganisations-undVernetzungsformen(StärkungderZivilgesellschaft). DasistallerdingsnochkeinuniversalistischerAnsatz,ersetztvielmehreine demokratischeGrundordnungundRechtssicherheitvoraus,bleibtalso„westlichen“ Wertenverbunden. 4 2.RichardRorty :Empathieförderungfüreinesolidarische Gemeinschaft Auchderpolitischeher„linke“amerikanischeNeo-Pragmatist5RichardRortygehtvom Idealeinersolidarischen,gerechtenGesellschaftaus.DieGrundlageoderVoraussetzung füreinsolidarischessozialesZusammenlebensiehterinderEmpathiefähigkeitdes Menschen(vgldazuauchArthurSchopenhauer,s.u.). RortygiltalsPragmatist(VorbildistJohnDewey)bzw.Neopragmatist,weilsichsein philosophischesDenkensachbezogenanalltäglichenundbekanntenGegebenheitenund nichtansog.unveränderlichenmetaphysischenPrinzipienausgerichtet:Theorien,Ideen undWahrheitensollenhilfreichsein,fürdasVerständnisdermenschlichenbzw. gesellschaftlichenPraxis. 3MichaelWalzer:„SphärenderGerechtigkeit:einPlädoyerfürPluralitätundGleichheit“;„Gibteseinen gerechtenKrieg?“ 4RichardRorty(1931–2007):„DerSpiegelderNatur.EineKritikderPhilosophie“:Rortyentwickeltvor allemeineKritikdergängigenerkenntnistheoretischenPositionen. 5DerNeopragmatismus(RichardRorty,HilaryPutnam,W.VanOrmanQuine,HansJoasu.a.)kannals sprachphilosophischeWeiterentwicklungdesPragmatismus(JohnDewey,WilliamJames,CharlesPeirce, GeorgeHerbertMead)bezeichnetwerden. 6 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 DieSolidaritätzwischendenMenschenentstehtfürRortydurchdiegemeinsamgeteilte ErfahrungvonGrausamkeit(einkulturellgemeinsamgeteiltesEmpfinden).Empathieist dersozialeKitt–undEmpathiekannentwickeltundgefördertwerden.Zielistes, GrausamkeitundLeidenzuminimierenundzuvermeiden.Zielistesauch,das„Wir“ auszuweiten,dasdieseEmpathiefüreinanderaufbringt.FürRortywürdesichindieser Ausweitungder„moralischeFortschritt“derMenschheitzeigen. AuchRichardRortysetztalsoaufdieWiederbelebungvonGemeinsinn.Erplädiertfür „Gefühlserziehung“(SensibilisierungfürdasLeidenanderer).DieSensibilisierungder MenschenfürdasLeidenandereristalsmoralischeInstanzfürihnwichtigerals Rationalität.RortysetzthieraufErziehungundBildungbzw.dieLernfähigkeitder Menschen.SolidaritätundHandelnsolltenauchimMittelpunktoffenerphilosophischer Diskursestehen. Grundsätzlichhälteresabernichtfürmöglich,überdeneigenenethnozentrischen HorizonthinausvorurteilsfreieBewertungenandererKulturenvorzunehmen. UnsereTheorien,Vokabulare,WerteundSichtweisensindnachRortyhistorischund kulturellrelativ:Esgibtkeineallgemeinen,verbindlichenKriterien,umdieBedeutung oderdieWahrheitverschiedenerVokabularezubewerten.Undesseiesauchnicht möglich,überdeneigenen„ethnozentrischen“Horizonthinauseinevorurteilsfreie BewertungandererKulturenvorzunehmen.DeshalbschlägtR.Rortyvor,sowohlunser Vokabular,alsauchdieEntwicklungunserersozialenWelt,alsauchunsereigenesSelbst als„kontingent“anzusehen,alseinemöglicheundsinnvolle,abernichtzwingend geboteneSicht.AbsoluteWahrheitundObjektivitätgibtesdemnachnicht;jede „Wahrheit“istfürihnkontingent,sieerweistsichbestenfallsfürdieLebenspraxisals sinnvollundhilfreich,aberdamitistsienichtzugleichunumstößlichundnotwendig gegeben. DasisteinPlädoyerfürinterkulturelleOffenheitundVerständigung.Seine „KontingenztheoriederWahrheit“relativiertaberm.E.zugleichdenuniversalistischen AnspruchaufSolidaritätundLeidminderung. WirmüssenzudemvonderKontingenzunserereigenenÜberzeugungenausgehen(bei Rortyals„HaltungderIronie“bezeichnet).Ichverstehedasso:Auch„unsere Wahrheiten“,unsereWerteundÜberzeugungenkönnensichändern,könnendurch nichtvoraussehbareEreignisseneujustiertwerden......... DerRelativismus/PluralismusseinerKontingenztheorie(-esgibtwederabsolute WahrheitnocheineklarbegründbarePrioritätbestimmterWerthaltungen)erschwert zugleichdasvonR.RortygeforderteEngagementfürMenschenrechte, Gewaltvermeidung,Gleichberechtigung,DemokratieundRaumfürindividuelle Selbstentfaltung.DazusagtBärbelFrischmann:6 „RortyentgegnetdiesenVorwürfen,indemerimmerwiederdaraufverweist,erstens,dass esihmumdieErhaltungunddenweiterenAusbauderErrungenschaftenheutiger Demokratiengehe,dassesaberdafürkeineFundamentalbegründunggebe,sonderneben nurdaskonkreteEngagementvonMenschen,dieihreKulturgestalteten.Zweitensmacht erimmerwiederdeutlich,dasssichseineironischeHaltunggegenfundamentalistischeund essentialistischeAnsprücherichtet,damitabernichtdieausdereigenenLebenspraxis wohlbegründetenÜberzeugungeninFragestellt.Nursolltenwirakzeptieren,dassesfür dieseÜberzeugungenkeinletztestheoretisches„Fundament“derBegründunggebe.Wir 6BärbelFrischmann,„RichardRorty“,in:InformationPhilosophie,http://www.informationphilosophie.de/?a=1&t=251&n=2&y=1&c=4 7 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 müsstenlernen,ineinerpluralenWeltundinAnbetrachtderKontingenzunserer WeltbilderdennochDingefürsowichtigzuhalten,dasswiresalslohnenswerterachteten, unsfürsieeinzusetzen.IronieseiallesanderealsNihilismus,sonderneinaufgeklärter UmgangmitKontingenz.“ Ichfürchte,RichardRortyhatRecht.EsbleibtnurderpragmatischeWeg,sichim DiskursmitdengroßenanderenkulturellenTraditionenbzw.inundmitder StaatengemeinschaftaufeinenGrundkonsenszuverständigenunddabeidieeigenen GrundsätzeundWertemitEntschiedenheit,gutenArgumentenundmoralischem Nachdruckeinzubringen.DieUN-ChartaderMenschenrechteistsoeinGrundkonsens, aberauchhiergibtesbereitsRelativierungen.EszeigtsichinderPraxisimmerwieder, dasssichradikalepolitischeundreligiöseBewegungenoderdiktatorischeRegimes wenigumdiesenKonsensscheren.SchonimHinblickaufdieallgemeinen MenschenrechteformulierenislamischeStaaten(vgl.KairoerErklärungder MenschenrechteimIslamvon1990)oderauchdieVolksrepublikChinaeigene Prinzipien.EsmangeltzudemansystematischenKontroll-undwirkungsvollen Sanktionsmöglichkeiten.DiesesindabermitNachdruckzufordernbzw.einzuklagen. RichardRortysetztoffenbargroßeHoffnungenauf„Gefühlserziehung“(Entwicklung undFörderungvonEmpathie),erglaubtnichtandieÜberzeugungskraftrationaler Argumente: „NachAuffassungRortysistesnichtderZuwachsanRationalitätundmoralischemWissen, derdiemodernedemokratischeKulturbefördert,sondernvorallemdieSensibilisierung derMenschenfürdasLeidenanderer.(...)Diefreiheitlich-liberaleUtopieerfordereeine entsprechendemoralischeEinstellungderSolidarität,derVermeidungvonGrausamkeit unddesgegenseitigenRespekts.Wennesgelinge,diemoralischenEmpfindungender Menschensozumanipulieren,dasssiesichindieVerachtetenundUnterdrückten hineinversetzenkönnten,werdesich,soRortysHoffnung,dieMenschenrechtskulturimmer weiterausbreiten.(...)DabeiführterinsFeld,dasssicheineEntscheidungzwischen verschiedenenWertsystemennichtalleindurchRationalitättreffenlasseunddass normativeOrientierungenwohlnichtaufgrundvonrationalenArgumentenaufgegeben würden.(...)SoisterskeptischgegenüberderHoffnung,dassderEinsatzrationaler Überlegungendazuführenkönne,MenschenvonbestimmtenWertauffassungenoder politischenZielenzuüberzeugenundsieinihreneigenenGrundüberzeugungenzu erschüttern.EsgebeebenkeinefavorisierteMethode,anderezuüberzeugen.Manche MenschenließensichdurchrationaleArgumentationbeeinflussen,anderedurch Erlebnisse,dieanihreEmotionenrührten,wiedasHörenvonGeschichtenoderdasSehen vonFilmen.“(B.Frischmann) DenletztenAussagenstimmeichvorbehaltloszu.Dennoch:DieseGefühlserziehung (sprichtertatsächlichvoneiner„ManipulationdermoralischenEmpfindungender Menschen“?)könnteandieGrenzendes„archaischenWir“stoßen:Empathiewird zunächstundprimärfürdieAngehörigendereigenenGemeinschaftentwickelt,eine ErweiterungscheintanpersönlicheBegegnungoderanpersönliche Identifikationsmöglichkeitengebundenzusein–malganzabgesehenvonder ÜberschätzungderMöglichkeitendirekterpädagogischerIntervention.Die„Erziehung dersozialistischenPersönlichkeit“indensog.staatssozialistischenLändernkannund solltejedenfallsnichtalshistorischesBeispielundpraktischesModellherangezogen werden. 8 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 3.JohnRawls7:FreiheitundGerechtigkeitverbinden Der„sozialliberale“amerikanischePhilosophJohnRawls,einVertreterdessog. egalitärenLiberalismus,setztinseinenÜberlegungenzurGerechtigkeitvoraus,dass MenschenautonomeIndividuensind;seinIdealbzw.seinAusgangspunktisteine Gemeinschaftfreier,vernünftigerbzw.vernunftfähigerIndividuen,diesichunterder LeitideederGerechtigkeitzurGesellschaftzusammenschließen(Ideedes Gesellschaftsvertrages).ErmöchtealsodieindividuellenFreiheits-undGrundrechte,die fürihnoberstePrioritäthaben,verbindenmiteinemZusammenleben,dasan Gerechtigkeitsprinzipienund-regelngebundenist,dieauchdenwenigerBegünstigten Chancengleichheitgewährenbzw.zueinenNachteilsausgleichführen.J.Rawlssetzt dabeiaufinstitutionalisiertegesellschaftlicheRegelungenundaufsozialesmoralisches Lernenbzw.diepädagogischunterstützteEntwicklungdes„Gerechtigkeitssinns“. JohnRawlsgehtvomPrimatderFreiheitdesEinzelnenaus.Dieseregelnübereinen „Gesellschaftsvertrag“ihrZusammenleben,wobeiJ.Rawlshypothetischeinefaireund gleiche(fiktive!)Ausgangssituationannimmt,umseinKonzeptvonGerechtigkeitzu entwickeln. Esgehtdarum,denFreiheitsanspruchderMenschenmitdemAnspruchauf Gerechtigkeitzuversöhnen.JederMenschbesitzteineausderGerechtigkeit entspringendeUnverletzlichkeitundFreiheit,dieauchimNamendesGemeinwohls nichtaufgehobenwerdenkann.DieGerechtigkeitlässtesnichtzu,dassderVerlustder FreiheitbeieinigendurcheingrößeresWohlfüranderewettgemachtwird. „Gerechtigkeit“istzwardasLeitprinzipdesZusammenlebens,siedarfabernichtden grundlegendenFreiheitsanspruchdesEinzelnenverletzen! GerechtigkeitistdiemaßgeblicheTugendsozialerInstitutionenundZielder Gesetzgebung;DieinstitutionelleZuweisungvonRechtenundPflichtenunddie VerteilungderGütermussnachRegelnderFairness(BerücksichtigungderInteressen aller)undGerechtigkeiterfolgen(„GerechtigkeitalsFairness“).Dasheißt,auchdie InteressenderSchwächstensindzuberücksichtigen.(„Fair“handelt,werdieInteressen andererberücksichtigtunddievereinbartenRegelnbeachtet.„Gerecht“isteine Gesellschaftsordnung,wennalledenRegelnzustimmenkönnen,bevorsiewissen, welchenRangoderPlatzsieinderGesellschafteinnehmenwerden.Icherinneredaran, dass„gerecht“etymologischmit„richtig“zusammenhängt.) FürJohnRawlsgelteninseiner„TheoriederGerechtigkeit“zweiGrundsätze:8 1.AlleMenschenhabendengleichenAnspruchaufGrundfreiheitenundGrundrechte. DieFreiheitdesEinzelnendarfnurumderFreiheitderanderenwilleneingeschränkt werden.DashatoberstePriorität.–DieserGrundsatzsichertodergarantiertabernicht sozialeGleichheit.DaMenschenunterschiedlicheBegabungen,Interessen,Charaktere undLebensschicksalehaben,z.B.zufälligeoderselbst„erarbeitete“bzw.„verschuldete“ ErfolgeundMisserfolge,kommteszusozialenundwirtschaftlichenUngleichheiten. DarausresultiertderzweiteGrundsatz: 2.SozialeundökonomischeUngleichheitenmüssenzweiBedingungenerfüllen: a)EsherrschtfaireChancengleichheit.AlleGüter,ÄmterundPositionenstehen prinzipiellallenoffen.DiejeweilsgültigenAuswahl-oderVerteilungsregelngelten 7JohnRawls(1921–2002):„TheoriederGerechtigkeit“–DieAuseinandersetzungmitdiesemWerkhat übervieleJahredie(amerikanische)Philosophiebeschäftigt(vgl.R.Rorty,Ch.Taylor). 8Vgl.RichardDavidPrecht,„Werbinichundwennja,wieviele?“,2007,S.336ff. 9 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 unabhängigvonAbstammung,Reichtumoder„gutenBeziehungen“füralle gleichermaßen. b)DererzieltegesellschaftlicheWohlstandmussvorallemdenamwenigsten Begünstigten,denvonNaturundSchicksalBenachteiligten,dengrößtmöglichenVorteil bringen(Differenzprinzip).Dasheißt:EinegerechteGesellschaftmussfüreinensozialen Ausgleichsorgen. Andersformuliert:EsmussalsoeingesellschaftlichesRegelsystemgeben,welches sicherstellt,dassalleMenschenmitgleichenBegabungendiegleichenAufstiegschancen haben–ungeachtetderanfänglichenStellunginderGesellschaft.(Esgehtalsonichtum formale,sondernum„faireChancengleichheit“.) Und:Ungleichheitensindnurgerechtfertigt,wennsieauchdenamschlechtesten gestelltenMitgliedernderGesellschaftzumVorteilgereichen.Nursokönnendienicht verschuldete(fürJ.Rawls„unverdiente“bzw.ungerechte)Ungleichheitnatürlicher Begabungenoderz.B.NachteiledurchBehinderungen(einwenig)ausgeglichenwerden. GerechtigkeitistfürJohnRawlseinuniversellesPrinzip,d.h.der„Gerechtigkeitssinn“ist fürihnelementarerBestandteilderMenschlichkeit.Erentwickeltsichübersoziales, moralischesLerneninallenKulturen. DerhoheStellenwertindividuellerFreiheitsrechte,einePrämissebeiJ.Rawls,istsicher „kulturspezifisch“undwirdnichtinallenKulturengeteilt;überschätztwirdvermutlich auchdieBereitschaftundFähigkeitvonMenschenundStaatendasZusammenleben nachGerechtigkeitsprinzipienvernünftigzuregeln(s.o.).MeinesErachtensistdie BetonungindividuellerFreiheitsrechteErgebnisbzw.FolgederAuflösungtraditioneller Gemeinschaftenbzw.vonhistorischenIndividualisierungsprozessen;inder „Sehnsucht“nachFairnessundGerechtigkeitkommthingegendieErinnerunganein „Wir“zumAusdruck,indieder/dieEinzelneverlässlicheingebettetistundinderdas BemühenumHarmonieVoraussetzungfürdieExistenzsicherungallerist. EtlicheKritikerweisendaraufhin,dassnichtfüralleMenschen„Freiheit“oberstes Prinzipist;PrioritäthabefürvielezunächstdieBefriedigungderGrundbedürfnisse (Ernährung,Sicherheit,Sexualitätusw.).InderPraxiswürdenvieleMenschen „freiwillig“aufpersönlicheFreiheitenzugunstenmateriellerGüterverzichten(-aber wärenichtauchdaseineFormderFreiheit?).VieleMenschenhabenallerdingsgarkeine Wahl,wennsieundihreFamilienüberlebenwollen. Zudemistbekannt,dassdemokratischeFreiheitsrechtenichtinallenmodernen Gesellschaften(vgl.China)–undschongarnichtintraditionalistischausgerichteten Kulturendengleichen(hohen)Stellenwerthaben.Hiermögeneinwohlhabender, stabilerStaat,derdemeinzelnenSicherheit,aberkeineFreiheitbietet,wichtigerseinals einearme,abergerechteGesellschaft. Dennoch:WennmitFreiheitsrechtenimKerndieUnverletzlichkeitderPersonundihr RechtaufdemokratischeMitbestimmunggemeintist,berührtdaseinzentrales Menschen-oderGrundrecht,fürdasicheinenuniversellenGeltungsanspruch wünschenswertfände. JohnRawlsGerechtigkeitstheoriewirdvonzweiPolenherkritisiert: - FürdielibertäreoderneoliberaleKritik(z.B.RobertNozick)beschneidetRawls Differenzprinzip(s.o.)dieindividuelleFreiheit.Erbindetsiedemnachvielzusehran eineGemeinsinnorientierung.PrioritärseienvielmehrdieIndividualrechte,die InteressenundAntriebedereinzelnenMenschen,solangesienichtzurVerletzung 10 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 derGrundrechteandererführen.RobertNozickkritisiert,dassRawls„willkürlich“ PrinzipienderFairnesszumAusgangspunktgesellschaftlicherRegelungenerklärt unddiewahreNaturdesMenschenvölligverkennt:„WarumsollsichderMenschnicht einfachungestörtallseinernatürlichenGaben,seinerunverdientenTalenteundseiner zufälligenStartvorteileimRennenumdieknappennatürlichenundgesellschaftlichen GüterseinesLebenserfreuenkönnen?WarummüssenseineErfolgenotwendigund immerdenanderenzugutekommen?Reichtesdennnicht,dasssieesimGroßenund Ganzenschonirgendwietun?“9 - DagegenhältdiekommunitaristischeKritik‚(z.B.MichaelSandel)die Ausgangsannahmefreier,mündigerIndividuenfürunrealistisch(-wasistmit Kindern,mitgeistigBehinderten?);sieignorierezudemdieimmerschongegebene gemeinschaftlicheBindungundPrägungdesEinzelnen(s.o.). - FürdieUtilitaristen(s.u.)wiederumsindWohlstandundGlückdereinzelnen MenschendiegrundlegendenVoraussetzungenfüreinegerechteGesellschaft. Deutlichwird:DasSpannungsverhältnisvonindividuellerFreiheitundsozialer Verantwortung,vonEigensinnundGemeinsinnbleibteinGrundproblemmoderner Gesellschaften.Eswirdphilosophischundpolitisch(mandenkeandie programmatischenSchwerpunkteder„alten“politischenParteien)unterschiedlich gewichtet. 4.DerUtilitarismus:DasWohlergehenalleralsZiel Dersog.UtilitarismusprägtbisheutestarkunserDenken,Rechts-undMoralempfinden. SeinAusgangspunktist„soeinfachwiebestechend:Glückistgut,undLeidenist schlecht.“10 DiephilosophischenGrundlagendesUtilitarismuswerdenmaßgeblichvonJeremy Bentham(gest.1832)inZeitenderAufklärungunddesökonomischenLiberalismus entwickelt,indenendieFreiheitdeseinzelnenIndividuums(damals:männlich, hellhäutig)indenFokusgerät.HierscheinennundieIndividualisierungsprozesseder NeuzeitihrephilosophischeRechtfertigungzuerfahren.DerUtilitarismusistabernur aufdenerstenBlickdiephilosophischeLegitimationindividuellerNutzenoptimierung oderderegoistischenInteressenderaufstrebendenBourgeoisie. AuchderUtilitarismusbleibtinseinenmoralphilosophischenImplikationendem Gemeinwohlverpflichtet.ErplädiertkeineswegsfüreinenverkürztenAnsatz individuellenWohlergehens,auchwenndieseseinewichtigeRollespielt.Gutundrichtig sinddemnachHandlungenbzw.Regeln/Normen,derenFolgenfürdasWohlergehen und„Glück“allervonderHandlungBetroffenenoptimalsind.Letztlichwirdeine VergrößerungdesGemeinwohlsimSinneeinesNutzensfüralleangestrebt;Zielesind dasgrößtmöglicheGlückfürmöglichstvieleMenschenbzw.diemöglichstweitgehende MinimierungvonLeiden(letztereswirdals„negativerUtilitarismus“bezeichnet). „Glück“kanndabeientweder„hedonistisch“verstandenwerdenalssubjektiveFreude amLeben,alsLustundVergnügenbzw.alsVermeidenvonSchmerzundLeid–oder „eudaimonistisch“alsStrebennacheinemerfolgreichenLeben,alsZufriedenheitund GenugtuungbeimErreichenselbstgesetzterZiele.Soodersobleiben„Glück“,„Leiden“ oder„Wohlergehen“abersubjektiveKategorien. 9RichardDavidPrecht,„Werbinichundwennja,wieviele?“,S.341 10RichardDavidPrecht,„Werbinichundwennja,wieviele?“,S.178 11 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 DasutilitaristischeNützlichkeitsprinzipbesagt:KollektivwohlgehtvorEigenwohl! GrundlagefürdieethischeBewertungeinerHandlungistbeiJ.Benthamdas Nützlichkeitsprinzip(utilitas=Nutzen,Vorteil).GutundrichtigsindHandlungenbzw. RegelnundNormen,derenFolgenfürdasWohlergehenallervonderHandlung Betroffenenoptimalsind.ZielisteineVergrößerungdesGemeinwohlsnachderMaxime: „Handleso,dassdasgrößtmöglicheMaßanGlückentsteht.“Das„Kollektivwohl“istdabei abernichtaufeinehistorischgewachseneGemeinschaftausgerichtet,sondernauf wechselndeKonstellationenvonjeweilsBetroffenen.Darinliegtzugleichein universalistischerAnsatz. DieEntstehungundGeltungmoralischerNormenundgesellschaftlicherInstitutionenist aufden„Nutzen“,densiefürdieGemeinschafthaben,zurückzuführen. FürJeremyBenthamsinddasStrebennachLust(pleasure)unddasVermeidenvon Schmerz(pain)eineanthropologischeGrundkonstantebzw.entscheidendeMotive menschlichenHandelns.JederMenschsuchtnachNutzenmaximierung.„Gut“ist,was dengrößtmöglichenNutzen(benefit)fürdiegrößteZahlhervorbringt.AndereWerte sindzweitrangig. DagegenbetontJohnStuartMill(gest.1873),dassFreiheit,insbesondere MeinungsfreiheitdieVoraussetzungfürdierichtigeBestimmungdesgrößtmöglichen Glückssei.DieMenschenmüssenungehindertzumAusdruckbringenkönnen,worinfür siedergrößtmöglicheNutzenliegt. DieUtilitaristenversuchendenNutzenausdenFolgeneinerHandlungzuberechnen (Nutzenkalkül):ZurmoralischenBewertungeinerHandlungmüssendieKonsequenzen fürdieBeteiligtenbzw.Betroffenenempirischermitteltundbewertet(Vor-und Nachteile)werden.DiepersönlichenAbsichtensinddabeinebensächlich;einzubeziehen sindaberHandlungsalternativen. BeimNutzenkalkülgehtesnichtumtradierteodererworbeneVorrechteeinzelner; insofernherrschteinGleichheitsgrundsatz(-dersichaberimDenkendamalswohlnur auf„freieweißeMänner“beziehtundwederFrauennochSklaveneinschließt). ModerneUtilitaristenversuchenheuteauchdasWohlkünftigerGenerationenin Abwägungsprozesseeinzubeziehen(PrinzipderNachhaltigkeit)–oderschließenwie PeterSinger11,derBegründerdermodernenTierrechtsbewegung,auchnichtmenschlicheLebewesenindasAbwägenmoralischenHandelnsundUrteilensein,sofern sie„bewusstleidensfähig“sindundklare„Präferenzen“äußernkönnen.DieVertreter dessog.„Präferenz-Utilitarismus“12weitendiegleichberechtigtindasNutzenkalkül einzubeziehendenInteressenalsoerheblichaus:KriteriumfürethischeBewertungen dürfeundmüsseeinzigdieFähigkeitsein,bestimmteklarerkennbarePräferenzen (subjektiveWünsche,Absichten)zubesitzen–ungeachtetvonderZugehörigkeitzu einerSpezies,z.B.diePräferenzderSchmerz-undLeidensvermeidung.Relevantsind demnachnurdieoffensichtlicheSchmerz-,Leidens-undGlücksfähigkeit,dieFähigkeit, FreudeoderTrauerzuempfindenundeinentsprechendesSelbstbewusstseinimSinne komplexerAbsichtenundWünsche. 11PeterSinger(geb.1946)istwegen„missverständlicher“(?)AussagenzumLebensrechtmenschlicher Embryonen,FrühgeburtenundSchwerstbehinderteninsbesondereinDeutschlandsehrumstritten. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Singer 12Vgl.RichardDavidPrecht,„Werbinichundwennja,wieviele?“,S.189undS.210ff.;und: http://de.wikipedia.org/wiki/Präferenzutilitarismus 12 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 „FürPeterSinger,wiefürjedenPräferenz-Utilitaristen,ist>Selbstbewusstsein<das Kriterium,daseinLebenunbedingtschützenswertmacht.“(R.D.Precht)Dasdahinter stehendeMotivistdieAufwertungundderSchutzderhöherentwickeltenTiere,aber dieDefinitionsversuchesindheikel.DawedereinFötusnocheinKoma-Patient,vielleiht auchkeineneugeborenenSäuglingeindiesemSinneklarePräferenzenäußernbzw. ausdrücken(können),gäbeeskeinArgument,daseineTötungunterallenUmständen verbietenwürde. Esklingtzunächstgutundrichtig,dasHandelnvonPersonenundInstitutionenam PrinzipdesgrößtmöglichenNutzensfüralleBetroffenenauszurichten.Daschimmert docheinRestvonGemeinsinndurch.InderPraxisdürftedasallerdingskaum umzusetzensein. SchondiezentralenutilitaristischenBegriffe„Nutzen“,„Wohlergehen“und„Glück“sind sehrmissverständlichundwerdenvonMenschenkulturell,sozialundsubjektiv unterschiedlichinterpretiertundbewertet.EsgibtalsovielfältigeVorstellungenvom NutzenoderGlück,unddieseVorstellungenverschiedenerIndividuensindletztlich inkommensurabel(nichtvergleichbar):DieeinensuchenkurzfristigesGlückoder materiellesWohlergehen,anderewürdenmöglichelangfristigeVorteileoderdie ErfüllungeherideellerWertevorziehen. DerVersuchderUtilitaristenbezogenaufHandlungenoderPlänequasimathematisch NutzenundGlückzukalkulieren,schießtdeutlichüberdashinaus,wasm.E.möglichist: nämlicheinerationaleFolgeneinschätzungundRisikobewertungvonEntscheidungen undPlanungen. Aberauchhierbleibtklärungsbedürftig,welcheFolgenabgewogenundberücksichtigt werdensollen:nurdiekausalvorhersehbarenundplausiblenoderauch wahrscheinlicheodereventuellmöglicheFolgen;nurdiederdirektoderauchdieder indirektBetroffenen?Undwiekönnendiesejeweilsgewichtetwerden?Diepraktischen ProblemezeigensichtagtäglichindenKontroversenumZukunftsprojekteoder politischeEntscheidungen. AuchdasanzustrebendeZielistnichtklarzudefinieren.GehtesumdieMaximierung desGesamtnutzensbzw.WohlergehensoderumeinenDurchschnittsnutzen?FürJohn Rawlsgehtesz.B.prioritärdarum,dasGlückderunglücklichstenPersonzu maximieren.Nur,wiestelltmandasfest?DasdürfteinderPraxisschwierigwerden! InRealitätgehen„Verbesserungen“füreinigeBetroffenesehroftmit Verschlechterungenfürandereeinher;einutilitaristischesNutzenkalkülimSinnder o.g.MaximeistinPraxiszumeistschwerodernichtmöglich.Dassog.„Pareto-Optimum“ beschreibteinenZustand,indemweitereVerbesserungenohnegleichzeitige Verschlechterungennichtmehrmöglichsind.13 InAlltagsentscheidungenwerdenimmerauchNutzenüberlegungenangestellt,dieauch dieInteressenanderereinbeziehen.DasverdeutlichenBegriffewie„Rücksichtnahme“, „Zumutbarkeit“,„Opferbringen“,„Benachteiligung“usw.Sieimplizierenden vergleichendenBezugaufdasWohlergehenandererIndividuen. Mankannnatürlichfragen,obespolitischundpsychologischüberhauptrealistischist, dasGlückoderWohlergehen„aller“anzustreben?GehtesdenmeistenMenschennicht nurumdaseigeneGlückundWohlergehenundvielleichtnochdasderjeweils nahestehendenMitmenschenbzw.derMenschen,mitdenenwirunsjeweilsals„Wir“ 13https://de.wikipedia.org/wiki/Pareto-Optimum 13 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 verbundenfühlen?SchwierigwirddieEinbeziehungkünftigerGenerationenoderauch vonnicht-menschlichen,aberleidensfähigenLebewesen(vgl.Tierrechtsbewegung,P. Singer). WünschenswertwäreneinezugleichdifferenzierteundleichthändelbareRisiko-und NutzenanalysebeiallenrelevantenPlanungenundEntscheidungen.InAnsätzengibtes dasz.B.beiUmweltverträglichkeitsprüfungen.DieBerücksichtigungvon BürgerinteressenzeigtzugleichdieProblemeauf(Sankt-Florian-Prinzip:„HeiligerSankt Florian/Verschon'meinHaus/Zünd'and'rean!“). DerUtilitarismushebteinsicherinteressantesundwichtigesElementoderKriterium fürmoralischeEntscheidungenhervor(„Glück“bzw.„Nutzen“,„Wohlergehen“),dadurch werdenaberandereWertewieGleichheit,Freiheit,Gerechtigkeit,Ehrlichkeit,Würde desMenschenusw.zweitrangig. DasProblembeimUtilitarismusistwieauchbeianderenphilosophischenSystemen eineVerabsolutierungvonimKernplausiblenArgumentenundPositionen.Ein Moralsystem,dasalleEntscheidungenauseinerKernannahme(hier: Nutzenmaximierung,Wohlergehen)ableitenwill,istm.E.notwendigunterkomplex.Mit demPostulat,dasgrößteGlückdergrößtenZahlanzustreben,wirdeineam „Gemeinwohl“orientierteSetzungvorgenommen.ZugleichumfasstdasGemeinwohlalle Menschen(undbewusstseinsfähigenLebewesen),prinzipiellauchkünftige Generationen,undistdaherimgutenSinneuniversalistisch.DerAnspruchauf Wohlergehenoder„Glück“giltfüralle. Ichwendemichnun(exemplarisch)einigenPhilosophenoderphilosophischen Strömungenzu,diesichnachmeinerEinschätzungstärkerandemorientieren,wasich mit„Eigensinn“meine. 5.ArthurSchopenhauer14:EgoismusundSinnlosigkeitdurchEthikdes Mitleidsüberwinden „Glück“istfürArthurSchopenhauerkeinsinnhaltigesLebensziel.FürArthur Schopenhauer,eristeinebensoselbstüberzeugterwiepessimistischer,fast nihilistischerDenkergewesen,istderMenschkeinvernunftgesteuertesWesen,inihm waltenvielmehrmeistunbewussteAntriebskräfte(„Wille“),denenderVerstand rationalisierendfolgt:„WasdemHerzenwiderstrebt,lässtderKopfnichtrein.“15 NachSchopenhauergibteskeinenfreienWillenalsGrundlagederVernunft;esherrscht vielmehreinblinderLebenswille,einKampfumsDasein.Esgibtauchkeineobjektive Erkenntnis.JederlebtinseinereigenenWelt.UnddieWeltistletztlich„blinder, vernunftloserWille“bzw.Produkteines„grundlosenWillens“undein„Jammertalvoller Leiden“.„Wirsindebenbloßzeitliche,endliche,vergängliche,traumartige,wieSchatten vorüberfliegendeWesen.“ ArthurSchopenhauerbeharrtaufderPrioritätderindividuellenFreiheit,auchumden PreisderEinsamkeit: „Ganzerselbstseindarfjedernur,solangeeralleinist.WeralsonichtdieEinsamkeitliebt, derliebtauchnichtdieFreiheit;dennnurwennmanalleinist,istmanfrei!“„Beigleicher 14ArthurSchopenhauer(1788–1860)„DieWeltalsWilleundVorstellung“;ZitateausWikipedia 15vgl.RichardDavidPrecht,Werbinichundwennja,wieviele?,S.149undS.27 14 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 UmgebunglebtdochjederineineranderenWelt.“„WasnunandrerseitsdieMenschen geselligmacht,istihreUnfähigkeit,dieEinsamkeitundindiesersichselbstzuertragen.“16 HieristderMenschunvermeidlicheinEinzelgängerundnurimErtragenderEinsamkeit zeigtsichseineStärke.DieGemeinschaftistlediglicheinFluchtraumfürdieSchwachen. WasSchopenhauerdabeivondenSolipsistentrennt,istseinBeharrenaufeinalles verbindendesundbedingendesEtwas.DiesesistfürSchopenhauerderblinde,zum DaseindrängendeWille.SchopenhauerselbstsiehtimBuddhismuseinegrundsätzlich ähnlicheWeltsicht;theistischePositionen,z.B.dieGottesvorstellungimKoran(Allah) oderimAltenTestament(Jahwe),sindfürihn„unerträglich“und„ärmlich“. SchopenhauerbegründeteeinSystemdesempirischenundmetaphysischen Pessimismus.Derblinde,vernunftloseWeltwilleistfürihndieabsoluteUrkraftund somitdasWesenderWelt.DieVernunftistnurDienerindiesesirrationalenWeltwillens. DieWelt−alsErzeugnisdiesesgrundlosenWillens−istdurchunddurchschlecht, etwas,dasnichtseinsollte,eineSchuld.EineschlechtereWeltkannesüberhauptnicht geben!UnddochpredigtSchopenhauerkeinenzynischenEgoismus,sondernEmpathie undHilfsbereitschaft.Dasistüberraschend. ArthurSchopenhauervertritt–wiekeinandererPhilosoph–eineEthikdesMitleids.Er, derüberheblichauftretendeIndividualist,derdasAlleinseinundseineFreiheit(d.h. seinesozialeUngebundenheit!)liebendeEigenbrödlersiehtsichüberden„mysteriösen Vorgang“desMitleidensmitallenanderenMenschenverbunden.MitAusnahmedes BuddhismushatinkaumeineranderenPhilosophiedasMitleideinederartzentrale BedeutungwieindervonArthurSchopenhauer.HierbeibeziehtSchopenhauerim GegensatzzufastallenanderenbedeutendenwestlichenPhilosophen,jedoch übereinstimmendmitdemBuddhismus,inseineMitleidsethikausdrücklichauchdie Tieremitein.SchondeshalbdürfteSchopenhauersallumfassendeundzutiefst metaphysischbegründeteMitleidsethikwohleinzigartiginderwestlichenPhilosophie sein.17 "Wieistesmöglich",fragtSchopenhauer,"dasseinLeiden,welchesnichtmeinesist,nicht michtrifft,dochebensounmittelbarwiesonstnurmeineigenes,Motivfürmichwerden, michzumHandelnbewegensoll?Esistmöglichnurdadurch,dassich es....mitempfinde,esalsmeinesfühle,unddochnichtinmir,sondernineinemandern.... Diesabersetztvoraus,dassichmichmitdemanderngewissermaßenidentifizierthabe, undfolglichdieSchrankezwischendemIchundNicht-IchfürdenAugenblickaufgehoben sei.....DieserVorgangistmysteriös;denneristetwas,wovondieVernunftkeine unmittelbareRechenschaftgebenkann....(zit.nachWalterKirchgessner) DasMitleidist,wieSchopenhauerbetont,demMenschengegeben,esist„eine unleugbareTatsachedesmenschlichenBewusstseins,istdiesemwesentlicheigen,beruht nichtaufVoraussetzungen,Begriffen,Religionen,Dogmen,Mythen,Erziehungund Bildung.“ FürihnistdasMitleidendereinzigeGrund,uneigennützigzuhandeln,dieErkenntnis desEigenenimAnderen.SobemerktdervomblindenWillengetriebeneMensch,dassin allenanderenLebewesenderselbeblindeWillehaustundsieebensoleidenlässtwie ihn.DurchdasMitleidwirdderEgoismusüberwunden,derMenschidentifiziertsichmit 16WalterKirchgessner:SchopenhauersMitleidsethik, http://www.walterkirchgessner.de/04+Schopenhauers+Mitleidsethik.pdf 17vgl.http://www.arthur-schopenhauer-studienkreis.de/Mitleid/mitleid.html 15 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 demAnderendurchdieEinsichtindasLeidenderWelt.NurdadurchkannderWille,die treibendeKraftnachSchopenhauer,sichselbstamLebenerhalten. "DenngrenzenlosesMitleidmitallenlebendenWesenistderfestesteundsichersteBürge fürdassittlicheWohlverhaltenundbedarfkeinerKasuistik.Werdavonerfülltist,wird zuverlässigkeinenverletzen,keinenbeeinträchtigen,keinemwehetun,vielmehrmitjedem Nachsichthaben,jedemverzeihen,jedemhelfen,sovielervermag,undalleHandlungen werdendasGeprägederGerechtigkeitundMenschenliebetragen."(zit.nachW. Kirchgessner) DarausfolgtdasmoralischePrinzip:„Verletzeniemanden,vielmehrhilfallen,soweitdu kannst.“-SeineEthikschließt,wiegesagt,denSchutzderTiereein:„Mitleidmitden TierenhängtmitderGütedesCharakterssogenauzusammen,dassmanzuversichtlich behauptendarf,wergegenTieregrausamist,könnekeinguterMenschsein.“ DaSchopenhauerdieWeltalsManifestationeinesmetaphysischenWillensbetrachtet, derMenschundTierverbinde,wisseerkeinschöneresGebetalsdas:„Mögenalle lebendenWesenvonSchmerzenfreibleiben.“DementsprechendmahnterRespektvor derEinzigartigkeitdesLebensan:„JederdummeJungekanneinenKäferzertreten.Aber alleProfessorenderWeltkönnenkeinenherstellen.“ EsmutetwieeineFluchtausderEinsamkeit,diederPreisfürgrößtmöglicheFreiheitist, undausdemGefühlletzterSinnlosigkeitan,wennSchopenhauerimMitleidmit leidenderKreaturundinderHilfsbereitschaftwahremenschlicheGrößeerkennt.(Ich sehedievieleneinsamen,meistälterenMenschenvormir,dieinihremgeliebten HaustiereinenErsatzfürdieverloreneGemeinschaftfinden.)AberdiesesMitleidenist m.E.kein„mysteriöserVorgang“,wieSchopenhauermeint.Icherinneredahernochmal andienarzissmustheoretischenAussagenvonHeinzKohut: „VomAnbeginndesLebensistesdieEmpathie,daspsychologischeErfasstwerdendurch eineverstehendemenschlicheUmwelt,diedasKindvordemEindringenderanorganischen Welt,d.h.vordemTodeschütztUndesistdiemenschlicheEmpathie,dieArt,wiewirden anderenspiegelnundbestätigenundwiederandereunsbestätigtundspiegelt,dieeine EnklavevonmenschlichemSinn–vonHassundLiebe,SiegundNiederlage–innerhalb einesUniversumssinnloserRäumeundblindrasenderSterneerhält.“18Die Empathiefähigkeit,alsoauchdieFähigkeitmitzuleiden,bildetsichdurchdie einfühlsameSpiegelungdeskindlichenNarzissmusdurchMitmenschen.Nurdurchdie verlässlicheErfahrungdesAngenommen-undEingebundenseins„wirdderEgoismus überwunden“. ZwischenselbstbewusstgelebterindividuellerFreiheitundEmpathiefähigkeiteinerseits undEgoismus,EinsamkeitundSinnlosigkeitskrisenandererseitsliegtallerdingsnurein schmalerGrat. 6.FriedrichNietzsche19:AmoralischeLebenskraftund Übermenschentum FriedrichNietzscheistwohleinerderradikalstenKritikerdermenschlichenVernunft undihrerAnsprüche:„(...)wiekläglich,wieschattenhaftundflüchtig,wiezwecklosund beliebigsichdermenschlicheIntellektinnerhalbderNaturausnimmt;esgabEwigkeiten, 18HeinzKohut,„DieZukunftderPsychoanalyse“,1975,S.24 19FriedrichNietzsche(1844–1900)„AlsosprachZarathustra“,„JenseitsvonGutundBöse“ 16 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 indenenernichtwar;wenneswiedermitihmvorbeiist,wirdsichnichtsbegebenhaben. DennesgibtfürjenenIntellektkeineweitereMission,dieüberdasMenschenleben hinausführte.Sondernmenschlichister,undnurseinBesitzerundErzeugernimmtihnso pathetisch,alsobdieAngelnderWeltsichinihmdrehten.Könntenwirunsabermitder Mückeverständigen,sowürdenwirvernehmen,dassauchsiemitdiesemPathosdurchdie LuftschwimmtundinsichdasfliegendeZentrumdieserWeltfühlt.“20 UnterdemEinflussderdarwinistischenLehrenvertrittNietzschevehementdie Auffassung,dassderMenscheinTieristundauchseinDenkendadurchbestimmtwird: durchInstinkte,TriebeunddenÜberlebenswillen,unddassdasErkenntnisvermögen entsprechendeingeschränktist.R.D.PrechtfasstdiePositionsozusammen:„Der Menschvermagnurdaszuerkennen,wasderimKonkurrenzkampfderEvolution entstandeneErkenntnisapparatihmanErkenntnisfähigkeitgestattet.Wiejedesandere Tier,somodelliertderMenschsichdieWeltdanach,wasseineSinneundsein BewusstseinihmanEinsichtenerlauben.(...)DasmenschlicheBewusstseinwurdenicht durchdiedrängendeFrageausgeformt:>WasistWahrheit?<.Wichtigerwarsicherdie Frage:WasistfürmeinÜberlebenundFortkommendasBeste?“–Selbstverständlich stimmeichdemzu,würdeaberdenPluralwählen:WasistfürdasÜberlebenunserer GemeinschaftdasBeste? NietzscheistzunächstAnhängerSchopenhauers,wendetsichaberdannradikalabvon dessenMitleidsethik.ErwirdzumleidenschaftlichenBejaherdesLebensundder schöpferischenLebenskraftundsiehtimMitleidehereineSchwäche,eineGefahr.Dieser LebenswillehatfürNietzscheauchetwasHartes,RücksichtslosesundZerstörerisches. BeiNietzschenimmtdiesePositionbaldsozialdarwinistischeundrassistische (antisemitische)Zügean.DasChristentumunddiechristlicheMoralwerdenvonihm ebensovehementkritisiertwiejederBezugaufGott(„Gottisttot!“)undReligionoder aufhumanistisch-sozialistischeIdeale.Sicher,dieNaturistamoralisch,dieEvolution offensichtlichziellos;alleswaszähltsindder„Wille“unddieKraftzuüberleben,ein biologischesGrundprinzipdesLebens.DaraufnimmtNietzschesDenkenoffenbar Bezug. FriedrichNietzscheforderteine„UmwertungallerWerte“,sprichtdannvom„Willenzur Macht“,(s.u.)und,vermutlichzunehmendgeistigvernebelt,vonderZüchtungvon „Übermenschen“oderderVernichtung„Missratener“.NietzscheglaubtnichtaneinZiel odereinenFortschrittinderGeschichtederMenschheit–oderinderWeltüberhaupt. DieGattungMenschsiehternuralsMasse,ausderimmerwiedereinigebesonders herausragendeIndividuen,„Übermenschen“,heraustreten.Erfordertsolche „Schaffenden“,die„hartundmitleidlosmitanderenundvorallemmitsichselbstsind, umausderMenschheitundsichselbsteinwertvollesKunstwerkzuschaffen“.Als negativesGegenstückzumÜbermenschenwirdin„AlsosprachZarathustra“derletzte Menschvorgestellt.DieserstehtfürdasschwächlicheBestrebennachAngleichungder Menschenuntereinander,nacheinemmöglichstrisikolosen,langenund„glücklichen“ LebenohneHärtenundKonflikte.DerÜbermenschistnichtunbedingtpolitischals HerrenmenschüberdemletztenMenschenzusehen.Auchder„WillezurMacht“,der sichimÜbermenschenausdrückensoll,„istdemnachnichtetwaderWillezur Herrschaftüberandere,sondernistalsWillezumKönnen,zurSelbstbereicherung,zur Selbstüberwindungzuverstehen.“21 20zit.nachRichardDavidPrecht,„Werbinichundwennja,wieviele?“,S.21undS.27f. 21https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Nietzsche 17 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 Auchnachdieserdifferenziert-freundlichenInterpretation(ausWikipedia),die Nietzschedavorschützt,alsWegbereiterdesNS-Terrorsdargestelltzuwerden,ist NietzschesWegausderletztendlichenSinnlosigkeitdesDaseinseinradikal individualistischesKonzept:Lebenszielkannnursein,sichselbstalseinbesonderes,aus derMasseherausragendesIndividuum,alsVorbildundFührerfiguroderals außergewöhnliches„Kunstwerk“zupräsentieren,mitleidlos,wennnötigrücksichtslos, arrogant,selbstherrlichundohnemoralischeSkrupel,ganzimSinneeinerletztlich amoralischenNatur,indernurStärkeundÜberlebenswillezählen..... EsgibtnichtwenigeMenschen,dieindiesemSinneihrLebengestaltenunddabeisich, vorallemabervieleandereinGefahrbringenoderinsVerderbenstürzen. 7.DerExistenzialismus:IndividuelleFreiheitundtätigesLebenim LichtederSinnlosigkeit(Vorbild:Sisyphos) DerExistenzialismus(JeanPaulSartre,AlbertCamusu.a.)22,eineüberwiegend französischephilosophischeStrömungder40erbis70erJahredes20.Jhds.,verneint radikaljedeanthropologisch-biologischeVorbestimmtheitundzugleichdieFragenach einemvorgegebenenSinndesmenschlichenDaseins.EsistdieVorstellungvonder absolutenFreiheitdesEinzelnen:Jede(r)istfreizutun,waser(sie)will–undfürsich selbstverantwortlich.DerMenschistdas,wasertut,waseraussichmacht.DasTun, dasHandeln,bestimmtdasSein.R.D.Prechtfasstdassozusammen:„Nichtdie GesellschaftundnichtdiepsychischenPrägungenbestimmendemnachdenMenschen, sondernjederMenschseifrei,daszutun,waserwill.(...)WasdenEinzelnenausmacht, >erfindet<erselbst.(...)Todoistobe.“23 EsgehtimExistenzialismusum„Selbstbefreiung“und„Selbstentwurf“und „Selbstbestimmung“imSinneeinesEntfaltensdereigenenLebenspläneund Möglichkeiten,einesplanvollenHandelnsundTuns.JeanPaulSartregehtalsonichtvon irgendwelchenSinnbestimmungen(auchnicht–wieichindiesemText–vonderals „biologischesWesen“,„sozialesWesen“oder„Vernunftwesen“etc.),sondernvonder individuellenExistenzdeseinzelnenMenschenaus.DerMenschistnichtfestgelegt,er bestimmtsichselbstdurchseinHandeln(„DieExistenzgehtdemWesenvoraus.“;„Der Menschistdas,waservollbringt.“).–Dasklingt,alsobeskeinekulturellen,sprachlichen, gesellschaftlichen„Prägungen“gäbe.... J.P.SartrezeigtimHauptwerk„DasSeinunddasNichts“(1943)auf,dasssichdas menschlicheSeinvondemanderenSein,denDingen,Tieren,Sachenetc.durchseinen BezugzumNichtsunterscheidet.R.D.Prechtbeschreibtdasso:„DerMensch,soSartre, istdaseinzigeTier,dassichauchmitdembeschäftigenkann,wasesnichtgibt.Andere TierehabenkeinkomplexesVorstellungsvermögen,siekönnennichtandasdenken, wasnichtmehristundauchnichtandas,wasnochnichtist.Menschendagegenkönnen sogarDingeerfinden,dieesniegibt–siekönnenlügen.JemehrVorstellungsvermögen einLebewesenhat,umsofreieristes.“(DazukurzeAnmerkungen:Aufdaskomplexe VorstellungsvermögenalseinAlleinstellungsmerkmaldesMenschenhabeichimTeilI derStudie(2.KapitelSprache)hingewiesen;Vorstufendes„Lügens“findetman allerdingsauchbeiTierenunddenJemehr-desto-Zusammenhangvon VorstellungsvermögenundFreiheithalteichfürmissverständlich:Sinddennnurdie 22Jean-PaulSartre(1905–1980)„DasSeinunddasNichts“,AlbertCamus(1913–1960)„DerFremde“; „DerMythosdesSisyphus“ 23RichardDavidPrecht,„Werbinichundwennja,wieviele?“,S.315ff. 18 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 Verrücktenwirklichfrei?Istnurfrei,wergänzlichinseineneigenenVorstellungswelten lebt?) FürSartreistdieExistenzdesMenschenalsonichtdurchbiologischeHandlungsmuster vorbestimmt.DerMenschmusssichvielmehrselbstsuchenbzw.erfinden.Dasmeinter mitAussagenwie:„DieExistenzgehtdemWesenvoraus.“oder„DerMenschistzuerstein Entwurf;nichtsexistiertdiesemEntwurfvorweg,undderMenschwirdzuerstdassein,was erzuseingeplanthat.“–WerTeilIdieserStudiegelesenhat,weiß,dasichdasvöllig anderssehe. FürJ.P.SartreschafftdasmenschlicheVorstellungsvermögennichtnureineeigene Realität,esistauchGrundlagevonSelbstbestimmungundindividuellerFreiheit.24Der MenschverstehtsichselbstnurimErlebenseinerselbst–einetheoretischeAnnahme, dieradikalvomjeEinzelnenausgeht!DaherstehenThemenwieAngst,Tod,Freiheit, VerantwortungundHandelnalselementaremenschlicheErfahrungenimMittelpunkt– oderErfahrungenvonAbsurdität,Ekel,Tod,Langeweileusw.DassubjektiveEmpfinden bestimmtdasLebendesMenschen,aberzusichselbstfindetderMenschnurdurchdie Tat.BeiSartreheißtes:„DerMenschistdas,waservollbringt.“–und:„Esgibt WirklichkeitnurinderTat.“ DasVorurteil,dassessichbeidemExistentialismusumeinenstriktegoistischen Individualismushandelt,kannsoallerdingsnichtaufrechterhaltenwerden.Sartre jedenfallskommtzudemSchluss,dassmenschlichesLebenniemalsalsvereinzeltes Lebenverstandenwerdenkönne.ErargumentiertjedenfallsgegendenSolipsismus: „Undwennwirsagen,dassderMenschfürsichselberverantwortlichist,sowollenwir nichtsagen,dassderMenschgeradeebennurfürseineIndividualitätverantwortlichist, sonderndasserverantwortlichistfüralleMenschen.”DieseEinstellunglässtSartre späterzumKommunistenwerden.HandelnwirdnunfürihnzurpolitischenRevolte.In diesererfindetsichdasIndividuum–zugleichinderMitverantwortungfürandere. AlbertCamus,1960tödllichverunglückt,bezeichnetsichzwarselbstnichtals Existenzialisten,stehtihnenabernahe.Seine„Revolte“fälltallerdingsandersaus. (Politischstehterübrigens,andersalsSartre,eherdenAnarchosyndikalistenalsden Marxistennahe.)Fürihnkommtesdaraufan,die„SinnlosigkeitallerExistenz“,die AbsurditätdesLebens,die„kosmischeVerlorenheit“,dieschierunheilbareEmpfindung vonEinsamkeitundFremdheitusw.anzuerkennenundgegenjedenVersuchder Sinnstiftungzurevoltieren. BeiWikipediaheißtesdazu:„ImZentrumderPhilosophieCamusstehtdasAbsurde. DemLeidunddemElendinderWeltseikeinSinnabzugewinnen.Der„absurdeMensch“ seistetsAtheist.DasLeidbleibtfürihnnichtnursinnlos,esbleibtauchunerklärbar. WäreCamus'„Mensch“nichtAtheist,sonderndenchristlichenReligionenverbunden, könntemanhinterdiesemtheoretischenAnsatzdasProblemderTheodizeevermuten, dasdieFragedanach,wieein„liebenderGott“mitdemLeidderWeltinEinklangzu bringenist,sinnvollaufzulösenversucht.NachCamusfühle„derMensch“,wiefremd ihmallessei,underkennedabeidieSinnlosigkeitderWelt;sostürzeerimVerlaufe seinesStrebensnachSinnintiefsteexistentielleKrisen.DasAbsurdemachevor niemandemhalt:„DasAbsurdekannjedenbeliebigenMenschenanjederbeliebigen Straßeneckeanspringen.“FürCamusbestehtdasAbsurdeimErkennenderTatsache, dassdasmenschlicheStrebennachSinnineinersinnleerenWeltnotwendigerweise vergeblich,abernichtohneHoffnungbleibenmuss.Umnichtverzweifeltzuresignieren 24vgl.R.D.Precht,S.318 19 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 oderinPassivitätzuverfallen,propagiertCamusimSinnedesExistentialismusundin AnlehnunganFriedrichNietzschedenaktiven,aufsichalleingestelltenMenschen,der unabhängigvoneinemGottunddessenGnadeselbstbestimmteinBewusstseinneuer MöglichkeitenderSchicksalsüberwindung,derAuflehnung,desWiderspruchsundder innerenRevolteentwickelt.“ ThomasAssheuerfasstdieWeltsichtderExitsenzialistensozusammen:„Er(Der Existenzialist)istüberzeugtdavon,dassallesTunundTräumenderMenschen nichtswürdigist,eingroßerBluffunddeshalbeitel,sinnlosundleer.Hinterden ÄußerlichkeitendesLebensgähntdasgroßeschwarzeNichts.DieMenschenmachen sichHoffnungen,aberdieseHoffnungensindnurLockmittel,diemanihnenvordieNase hält,damitsiedenelendenKarrendesLebensweiterziehen.SieglaubenandieLiebe undwerdendochständigbetrogen;sieglaubenandieZukunftundsinddochmorgen schontot.DerExistenzialistblicktindenAbgrundderVerzweiflungundsagt:Werden Muthat,dieKulissenunsererTäuschungenundSelbsttäuschungeneinzureißen,der wirdschlagartigerkennen,dassdieWeltkeinen»angeborenen«Sinnhat.(....)DasLeben ansichistsinnlos,esistunbeschreiblich–undabsurd(....). AuchAlbertCamusnanntedasLebenabsurd,dochder»Sprung«indenreligiösen GlaubenwarfürihnkeineLösung(wiez.B.fürSörenKierkegaardoderGabrielMarcel). DarausfolgtefürCamusnunabernicht,dasswirdieHändeindenSchoßlegendürften, imGegenteil.DieGrößedesMenschen,schrieber,bestehedarin,sichvomAbsurden nichtunterkriegenzulassen.Unddeshalbseiesambesten,wennwirdenirrwitzigen planetarischenZufall,derunsaufdieseErdeverschlagenhat,einfachverlachen.Der MenschwirdzumMenschenerstdurchdieRevolte–durchdieRevoltegegendas Absurde.“25 MitdemBewusstsein,dassallesabsurdist,weiterleben,demAbsurdensoinsAuge sehen,esverlachen–dasistfürAlbertCamusdieanzustrebendeRevoltegegendas Absurde.WennwirwederVertrauenineinenGottnochinunsereVernunftsetzen können–wasbleibtdannalsSicherheit?Nichts!FürdenmodernenMenschengibtes dieseSicherheitnicht.HierliegtauchseineAblehnungdesExistentialismusalsSystem: EinSystemsuggerierteineOrdnung,dieCamussonichtsieht.Damittreibterdie ÜberlegungendesExistentialismusaufdieSpitze.SeineAntwortliegtinderständigen RevoltedesMenschen.IndemderMenschdasabsurdeVerhältnisvonMenschundWelt anerkennt,akzeptiertersichalseinWesen,dasfreiist.Istdasnichteinverrückter (verzweifelter?)Kampfgegensichselbst,dieeigenenWünscheundHoffnungen? Im„MythosdesSisyphos“wirddiesexemplarischerläutert.IndemSisyphosseineStrafe erträgt,annimmt,sichabernichtvonderBürdederewigenQualerschütternlässt, sonderndieGötterverlacht,zeigterdieGrößedesmodernenMenschen,dersein absurdesSchicksalannimmt. DerExistenzialismusistdiephilosophischeStrömung,dievielleichtamradikalstendie IndividualisierungdesMenschenalsAusgangspunktnimmt.EsistsicherkeinZufall, dasshierzugleichdieEinsamkeitdesEinzelnen,dasSich-Nirgends-Dazugehörig-Fühlen unddieSinnlosigkeitderExistenzzuzentralenThemenwerden. DasistsozusagendasGegenteileinerLebenseinstellung,wiesiebeiindigenenVölkern zufindenistbzw.war,wosichjede(r)inderGemeinschaftaufgehobenfühlenkonnte, seinetradiertenAufgabenundArbeitenintradiertenAlltagsabläufenundLebenszyklen hatte,TeileinesWirwar,demsichsichertagtäglichvieleFragenderExistenzsicherung 25ThomasAssheuer,„DergroßeBluff“,in„DieZeit“32/2010 20 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 stellten,aberkeine„Sinnfragen“;derselbstverständlicheSinnlaginder ExistenzsicherungderGemeinschaft. UnddochdürfteesfürdieprivilegiertenMenschenderentwickeltenIndustriestaaten (wienenntmandiedennimZeitalterdesInternetundder4.0Industrie?),dienicht mehrtagaustageinmitderExistenzsicherungbzw.mitArbeitbeschäftigtsind,von zentralerBedeutungsein,diepersönlicheFreiheitzunutzen,umfürsich„sinnvolle“, besser:subjektivalssinnvollerlebteAufgabenundInteressenzuentwickeln.Das SchweizerKünstlerduoPeterFischli&DavidWeisshateswunderbarklarundnur scheinbarabsurdaufdenPunktgebracht:„IstdasGuteanderArbeit,dassmankeineZeit mehrhat?“–KeineZeitzumGrübelnundNachdenkenüberdenSinn,weilman tagtäglichschlichtmitderSicherungdereigenenExistenzzutunhat......... SartresKritikamSolipsismusistfürmichbishernochnichtsorichtignachvollziehbar; mirbleibtunklar,woherdennbeiden„indieWeltgeworfenenindividuellenExistenzen“ soetwaswieGemeinsinnundsozialeVerantwortungkommensollen.Eigentlichbleiben dochnurentsprechendeSozialisationsbedingungenundBildungsprozesse;beides verweistaberaufdieo.g.narzissmustheoretischenAnsätze(vgl.H.Kohut,A.Ilien),nach denensichIndividualitätinderempathischenSpiegelungdurchnahestehende Mitmenschenbildet,unddamitaufdiegrundsätzlicheSozialitätdesMenschen. WasbleibtistdieErkenntnis,dassradikalerIndividualismusnichtnurFreiheit bedeutet,dieChance,dasLebenselbstzugestaltenbzw.sichselbstaufdieSuchezu machennachsinnvollenLebensaufgabenund-inhalten,sondernstetsauchmit „Sinnkrisen“verbundenseinkann;Sinnkrisen,ausdenenvermutlichnurMitmenschen odersozialeGemeinschaftenherausführenkönnen.DerExistenzialismusistein Daseinskonzeptfür„starkePersönlichkeiten“–undfürrisikobereite....... 8.DerKonstruktivismus26:IndividuelleWirklichkeitenalsQuellevon Missverständnissen Dersog.RadikaleKonstruktivismus(ErnstvonGlasersfeld,HeinzvonFoerster,Paul Watzlawik)istinersterLinieeineErkenntnistheorie;imMittelpunktstehenderProzess unddieEntstehungvonErkenntnis:EinerkannterGegenstandwirdvomBetrachter selbstdurchdenVorgangdesErkennens„konstruiert“;dasErkenneneiner„objektiven Realität“istdemnachnichtmöglich(KritikamnaivenRealismus;AbschiedvonderIdee einerabsolutenWahrheitundeinerempirischenObjektivität).Erkenntnisisteine subjektiveKonstruktion,diezurWelt„passt“. DieWahrnehmungistalsokeinAbbildeinerbewusstseinsunabhängigenRealität;die RealitätstelltsichvielmehrimmeralseineKonstruktionausSinnesreizenund Gedächtnisleistungendar.DerBeobachteristimmerTeilderWelt,hateinensubjektiven StandpunktundbeeinflusstsoimmerauchdieBeobachtungselbst.Dasmeiste,waswir wahrnehmen,stammtausdemGedächtnis,istalsodurchfrühereWahrnehmungen mitbestimmt. 26ErnstvonGlasersfeld(1917–2010),HeinzvonFoerster(1911–2002),KybernetikerundPhysiker, geltenalsBegründerdessog.RadikalenKonstruktivismus.AlsVorläuferkanndiegenetische ErkenntnistheoriedesEntwicklungspsychologenJeanPiaget(1896–1980)gelten.Der Kommunikationstheoretiker,PsychotherapeutundPhilosophPaulWatzlawik(1921–2007)hatden Konstruktivismuspopulärgemacht:„DieerfundeneWirklichkeit“. 21 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 KognitiondientnichtderErkenntnisderobjektivenWelt,sondernderOrganisationder ErfahrungsweltdesSubjekts;dasIndividuumwähltausderFlutvonSinneseindrücken immeraktivaus(nichtimmerbewusst!),waszentralerGegenstandseiner Aufmerksamkeitist. DieFolgerung:EsgibteineDifferenzundPluralitätvonmöglichen Wirklichkeitsauffassungen:JederMenschnimmtdieWeltanderswahr:Das Unterbewusstseinhebtz.B.DingehervoroderfügtandereneuindasSichtfeldein,die ihmwichtigerscheinen;diesubjektivenWahrnehmungsmustersindzudem lebensweltlich,kulturellgeprägt(interaktionistischerKonstruktivismus).Der KonstruktivismushebtalsoaufdieEinzigartigkeitindividuellerWelt-und Selbstwahrnehmungab.DennochsinddieseohnesozialeRückkopplungennicht tragfähig. DieerkenntnistheoretischenAussagendesKonstruktivismusverweisenzwaraufdie einzelnenIndividuenals„Konstrukteure“vonWirklichkeit,jederMenschistaber insofernaufandereangewiesen,alserohnesiekein„bestätigtesWissen“erlangenkann: „VerlässlicheRealität“lässtsichnurinderGemeinschaft,inderKommunikationmit anderenherstellen. FürKonstruktivistenwievonGlasersfeldsindethischeGrundsätzegrundsätzlichnicht ausderErkenntnistheorieabzuleiten.DaaberjederMenschaufandereangewiesenist, umsicheresWissenzuerlangen,istauchauskonstruktivistischerPerspektivestabile IndividualitätnichtohneSozialitätmöglich:DieeigeneKonstruktionderRealitätistnur stabil,wennsiedurchanderebestätigtwird.Dereinzelnemussdabeiaberanerkennen undaushalten,dassandereMenschenwieerselbst„autonomeKonstrukteure“sind,die Dingeggf.auchanders„sehen“(kognitiveAutonomiedesIndividuums).Dasdiesnicht immergelingt,istbekanntundführtzualltäglichenKommunikationsproblemenund KonfliktenauchinnerhalbdersozialenGemeinschaften. NachHumbertoMaturanaundFranciscoVarela27,diebeidenNeurobiologenund Philosophenbezeichnensichselbstnichtals„Konstruktivisten,ihreAnsätzesindaber ähnlich,sindnichtnureinzelneLebewesen,sondernauchSozietätensog.„lebende Systeme“,diesichselbsterhaltenundreproduzieren(Autopoiesis-Konzept,s.u.). Mit„Autopoiesis“(„Selbsterschaffung“)beschreibenMaturanaundVareladenProzess derSelbsterschaffungundSelbsterhaltungeinesSystems:Eristu.a.typischfür Lebewesenbzw.„lebendeSysteme“,aberoffenbarauchfürsozialeSysteme.DieSysteme produzierenundreproduzierendemnachsichselbst:LebendigeSysteme(Zellen, einzelneLebewesen,Sozietätenwie„Tierstaaten“)sindautonomedynamische Einheiten,diesichselbsterhaltenundreproduzieren. AutopoietischeSysteme(wiez.B.ZellenodermenschlicheOrganismen)sind„rekursiv“ (rücklaufend)bzw.rückgekoppeltorganisiert,dasheißt,dasProduktdesfunktionalen ZusammenwirkensihrerBestandteileistgenaujeneOrganisation,dieauchdie Bestandteileproduziert.DasSeinunddasTuneinerautopoietischenEinheitsind untrennbar,unddiesbildetihrespezifischeArtvonOrganisation. AutopoiesisisteinSchlüsselbegriffindersoziologischenSystemtheorievonNiklas Luhmann,derdenBegriffAutopoiesisaufdieBetrachtungsozialerSystemeübertragen hat.SeinezentraleTheselautet,dasssozialeSystemeausschließlichausKommunikation 27HumbertoMaturana(geb.1928),undFranciscoVarela(1948–2001):„DerBaumderErkenntnis.Die biologischenWurzelnmenschlichenErkennens“ 22 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 bestehen(nichtausSubjekten,Akteuren,Individuenoderähnlichem)undin Autopoiesisoperieren.Darunteristzuverstehen,dassdieSystemesichineinem ständigen,nichtzielgerichtetenautokatalytischenProzessquasiaussichselbstheraus erschaffen. InmenschlichenSozietäteneröffnetSprachedenIndividueneinerGemeinschaft Bereichedersog.Konsensualität(z.B.derEinigungüberdieBeschaffenheiteinerSache) undderüber-individuellenSinnstiftung.DieIndividuenerlebensichalsTeileiner Gemeinschaft,indemsieannehmenundbehaupten,dassdieeigenenKonstruktionen denenderAnderenzumindestweitgehendentsprechen;sieerfindenalsonebender singuläreneigenenWelteinesozialeWeltderGemeinschaft(Aufbauvonsozial akzeptiertenWirklichkeiteninFormvongemeinsamenethischen,politischenoder religiösenSystemenusw.). DieStabilitätundKontinuitätdereigenenkonstruiertenWirklichkeitist,wieerwähnt, abhängigvonderBestätigungdieserWahrnehmungdurchandere;dieKonsensualität wirdüberSpracheerarbeitet(Menschenunterschiebendabeiständigihreeigenen KonstruktionendenanderenMitmenschen,überdieseWechselseitigkeitbestätigtund stabilisiertsichdiekonstruierteWirklichkeit.Jeoffener,komplexerundkulturell vielfältigerdieGesellschaft,destoschwierigerdürftedieserProzessderGestaltungvon Konsensualitätsein,destomehrdeutigerwirdsprachlicheKommunikation. DerKonstruktivismusverdeutlicht,IndividualitätundindividuelleErkenntnissindauf Mitmenschenangewiesen,genaudarinliegtaberauchdieAnfälligkeitmenschlicher KommunikationfürMissverständnisseundKonflikte.Sieentstehen,wennunsere GesprächspartnerunsereWahrnehmungnichtbestätigenoderirritieren. DiepopulärenkommunikationstheoretischenDarstellungenvonPaulWatzlawikverdeutlichendas:(„Man kannnichtnichtkommunizieren!“;„JedeKommunikationhateinenInhalts-undeinenBeziehungsaspekt, wobeiLetztererdenErsterenbestimmtunddahereineMetakommunikationist.“;„Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufesindentwedersymmetrischoderkomplementär,jenachdem,obdie BeziehungenzwischendenPartnernaufGleichheitoderUnterschiedlichkeitbasieren.“u.a. DiemenschlichensozialenSystemezeichnensichnachAnsichtvonMaturanaundVarela durchaus,dassihreMitgliedereinensprachlichen„BereichderKo-Existenz“erzeugen undzudemdieEigenschaftenihrerMitgliedererweitern.Esverhältsichalsoaufder EbenedersozialenSystemebiologischbetrachtetgeradeumgekehrtwieaufderEbene derlebendenSysteme:„DerOrganismusschränktdieindividuelleKreativitätderihn bildendenEinheiten(=Organe)ein,dadieseEinheitenfürdenOrganismusexistieren.Das menschlichesozialeSystemerweitertdieindividuelleKreativitätseinerMitglieder,dadas SystemfürdieMitgliederexistiert.“(Maturana,Varela)28 DieFunktionderSpracheundderdarauserwachsendensozialenSystemeliegtalsoin derErweiterungderindividuellenEntwicklungsmöglichkeiten.DarinsehendieAutoren einenevolutionärenVorteil.Dergehtaberverloren,womenschlicheGemeinschaften durchKontroll-undZwangsmechanismendieKreativitätunddamitdiePotenzialeder einzelnenMitgliederderSozietäteinschränken. AusdieserPerspektivesindverlässlicheGemeinschaften,diezugleichihrenMitgliedern FreiräumefürKreativitäteröffnen,einewichtigeVoraussetzung,umkünftige Herausforderungenmeisternzukönnen. 28HumbertoR.Maturana,FranciscoJ.Varela:DerBaumderErkenntnis.DiebiologischenWurzeln menschlichenErkennens;1987,S.217. 23 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 ResümeezumAbschnittIV FreiheitoderGerechtigkeit?FreiheitundGerechtigkeit?Dieverschiedenenmoral-und gesellschaftsphilosophischenAnsätzeliefernmeinesErachtensallenfallsTeilantworten. DerMenschbrauchtverlässliche,SicherheitbietendesozialeGemeinschaften:zumeinen aufderEbenevonStaatundGesellschaft,zumanderenaufderEbenepersönlicher „Communities“..FürdiegesellschaftlichenundpolitischenSysteme(Staat,EUu.a.)bzw. Sphären(Wirtschaft,Medizin,Bildungusw.)sindnichtnurSicherheitund Funktionalität,sondernauchGerechtigkeit(sozialebzw.sphärentypischeGerechtigkeit) zentraleEntwicklungsziele.DasentnehmeichdenÜberlegungenderKommunitaristen. DanebenmüssenCommunitiestreten,dieFreiräumefürSelbstorganisationund Partizipationeröffnen.Essindletztlichselbstbewussteundzugleichsozialundpolitisch engagierteIndividuen,dieFreiheitsräumenutzenunderweitern,umsoziale Gerechtigkeitzufördern.Dasklingtallessehrvoraussetzungsreich–undsehr „westlich’“. VonRichardRortyerfährtdieserAnsatzinsofernUnterstützung,alserdie Empathieförderung(SensibilisierungfürdasLeidenanderer)inFamilieund BildungseinrichtungenalseinezentraleBildungsaufgabeansieht(„Gefühlserziehung“). Interessantist,dassRortyzwardiephilosophischnichtauflösbareRelativitätder „westlichen“VorstellungenvonindividuellerFreiheit,Menschenwürdeund Menschenrechtenanerkennt(-ersprichtvonKontingenz),dennochaberfürein engagiertesEintretenfürdiepolitischen,sozialenundhumanitärenIdealedesWestens plädiert.OffenheitfürdieVorstellungsweltenandererKulturkreiseundselbstkritischer BezugaufdieeigeneWertvorstellungen(Selbstreflexion,Selbstkritik)sollennichtzu einerRelativierungodergarAufgabeeigenerzentralerWerteführen.Ohnedieabsolute SicherheitundohnedieVerbohrtheitfundamentalistischerreligiöseroderpolitischer IdeologienundGlaubenssätzedennochfürdieeigeneIdealeentschlosseneintreten:ein hoherAnspruch–undeinesehr„westliche“Haltung. FürJohnRawlsführtderWegzumehrGerechtigkeitüberdieSicherungundStärkung individuellerFreiheit,allerdingsnichtimSinneeinesliberalenLaissez-faire.Rawlsgeht esumdieunveräußerlichenGrundfreiheitenund-rechtedesMenschen.Auchdasist einesehr„westliche“Position.DensozialenAnspruch,dassinsbesondereden (unverschuldet!?)schwächstenMitgliedernderSozietätamstärkstenzuhelfenist,setzt ereinfach,zumÄrgerseinerlibertärenKritiker,diedadurchIndividualitätund persönlicheFreiheitenunzulässigeingeschränktsehen.HierkommtauchbeiRawlsjene EinsichtzumTragen,dassMenschensozialeWesensind,dieinGemeinschaften,nennen wirsieKooperations-undVerantwortungsgemeinschaften,leben,ausdenensichder einzelnennichtganzherausziehenkannodersollte. DieUtilitaristenwiederumformulierenscheinbareinfachundpragmatisch:Esgehe darum.dasWohlergehenundGlückmöglichstvielerMenschenzuermöglichenbzw. Leidenzuverhindernoderzuvermeiden.KannsichdieMenschheitdarauf verständigen?Kannsiesichdaraufverständigen,dassalleMenschendasRechtunddie Möglichkeithabensollen,zudefinieren,wasfürsieein„MehranWohlergehen“bzw.ein „WenigeranLeid“bedeutet–unddasdafürentsprechendeForenund Umsetzungsoptionengefundenwerdenmüssen?Daswirdeinekonfliktreiche Angelegenheit,dennesstehenvielePrivilegienvongesellschaftlichenElitenund individuelleMachtinteressenimWege...... 24 JensReißmannGemeinsinnundEigensinn–TeilIV Stand:Mai2016 AllebishergenanntenphilosophischenStrömungenstehenmehroderwenigerfür GemeinsinnorientierungundfürmehrGerechtigkeitundfüreinenentsprechenden Ausgleich. Andere,wieSchopenhauer,NietzscheoderdieExistenzialisten,mitAbstrichenauchdie Konstruktivisten(-darfichdiealleeinfachsoineinenTopfwerfen?),sehenden (modernen)MenschenalsIndividuum,alsEinzelwesen,Einzelgänger......–ineineWelt geworfen,inderein„blinderWille“odereinhartesNaturgesetzwaltet,inderwederauf VernunftnocheinenhöhererSinn(Gott)vertrautwerdenkann. FürSchopenhaueristGemeinschafteineFluchtburgfürSchwache,dieesnichtertragen, dieEinsamkeit,denPreisderFreiheit,auszuhalten.Nurdasmysteriöse„Mitleid“ verbindetdenEinzelnenmitMitmenschenundanderenLebewesen.Hierzeichnetsich eineGemeinschaftab,dieüberdieSpeziesMenschhinausreicht,aberesklingtbeiihm aucheinwenigwieeintrotzigerReflexaufVereinsamung. NietzschewiederumsiehtnureinenWeg(unddenauchnurfürwenige):sichalsgroßes, herausragendesIndividuumzuinszenieren,alsFührerfiguroder„Kunstwerk“,wennes seinmussrücksichts-undmitleidlos.„Großesvollbringen“alsLebensziel,dasklingthier an,durchausreizvoll,wennesnichtsoherzlosund„asozial“daherkäme. SichimHandeln(ggf.imrevolutionärenHandeln)selbstzu„erschaffen“,istauchder Weg,denExistenzialistenwieSartreaufzeigen;währendbeiCamusdasheroische ErtragenundVerlachenderAbsurditätundSinnlosigkeitdermenschlichenbzw. irdischenExistenzdieeinzigePerspektiveist,umResignation,Verzweiflungodergar Suicidzuvermeiden.SisyphusistdasVorbild,jenermythischeHeld,derdieGötter mehrfachaustrixtundderzurStrafeaufewigeinenFelsblockeinenBerghinaufwälzen muss,der,fastamGipfel,jedesMalwiederinsTalrollt.DieseAufgabeanzunehmen– unddarüberzulachen,daszeugtschonvon„Stärke“.AberdieseStärkeerwächstnicht einfachimIndividuum,sieistm.E.ResultatderErfahrungeinesverlässlichensozialen EingebundenseinsundvonEmpathie–zumindestinderfrühenKindheit.DasLeben gehtweiter(vorerstzumindest).MachenwirunsandieAufgaben,eseinwenigweniger leidvollzugestalten. DieKonstruktivistenbefassensichzwarnichtmitsolchenSinn-Fragen,sieverweisen aberaufdieIndividualitätmenschlicherWahrnehmungundErkenntnis:Jede(r) konstruiertihre/seineeigeneWeltundWeltsicht;allerdingsstetsinRückkopplungmit anderen.SobleibtderMenschunvermeidlicheingebundeninsozialeSpiegelungund Bestätigung,dieaberebensounvermeidlichimmerwiederMissverständnisse, FehldeutungenundinderFolgeKonflikteproduziert.Verständigungwirdzur Daueraufgabe.Systemtheoretischgedacht,sindGemeinschaften,diedieIndividualität undKreativitätderEinzelnenfördern,offenbardiebesteVoraussetzungdafür,die immensenZukunftsherausforderungenmeisternzukönnen. Wasbleibt?EinzelneinteressanteAnregungen!EineAntwortauf„Sinnfragen“zeigen diese(undvermutlichauchdieanderen)philosophischenStrömungenletztlichnicht auf.DenreligiösenAuswegwiederumkannichalsüberzeugterAtheistnicht akzeptieren,derwirftfürmichmehrFragenalsAntwortenauf.Dasgiltauchfürdie politisch-revolutionärenStrategiendes20.Jahrhunderts.......–dahersindentsprechende AutorenfürmichderzeitkeinThema. SoodersowäreesnunanderZeitausalledemweitereKonsequenzenzuziehen, politisch,persönlich,aberdasisteineneueGeschichte....... 25
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