Lösungsskizze zu Fall 4

Lösungsskizze Fall 4
WICHTIG !!!!!!!Bei der Lösungsskizze handelt es sich um eine komprimierte Zusammenfassung der Prüfung,
beschränkt auf das Wesentliche. Es setzt voraus, dass Sie mit der Materie vertraut sind und wissen was die
Rechtsbegriffe (zB objektive Zurechnung, Risikozusammenhang, Gewahrsam, Unfugabwehr) inhaltlich
bedeuten. Es empfiehlt sich in der Prüfung detaillierte Ausführungen zu machen!!!!!!!
Strafbarkeit von Günther
1. Erster Park-Streifzug
a.) 430 Euro und Iphone (Wert 250); zu prüfen ist § 127 StGB
Günther nahm abgelenkten Liebenden EUR 430 und ein IPhone (EUR 250) weg (Ausführungshandlung). Bei
beiden Gegenständen handelt es sich um fremde bewegliche Sachen mit Tauschwert. Er brach den
Gewahrsam an beiden Sachen, indem er sich beide Gegenstände einsteckte und damit eigenen Gewahrsam
begründet. Durch das Einstecken des Geldes und des Handys ist der Diebstahl bereits vollendet. Günther
hat Tatbildvorsatz und zudem Erweiterungsvorsatz hinsichtlich der Bereicherung und der Zueignung. Die
Zueignung erfolgt indem er über die Gegenstände wie ein Eigentümer verfügen will.
Günther ist nach § 127 StGB zu verurteilen.
b.) Führerschein; zu prüfen ist § 229 StGB
Günther unterdrückt den Führerschein, indem er ihn in den Müll (Ausführungshandlung) wirft. Beim
Führerschein handelt es sich um eine Urkunde, über die Günther nicht verfügen darf. Günther handelt
dabei mit Tatbildvorsatz und zudem mit dem Vorsatz, dass der rechtmäßige Besitzer den Führerschein im
Rechtsverkehr nicht einsetzen kann (Gebrauchsverhinderungsvorsatz).
Günther ist nach § 229 StGB zu verurteilen.
c.) Wegwerfen der Tasche; zu prüfen ist § 135 StGB
Günther entzieht die Tasche, indem er sie in den Müll wirft (Ausführungshandlung). Bei der Tasche handelt
es sich um eine fremde bewegliche Sache. Für den Eigentümer hat die Tasche auch einen Gebrauchswert,
auf einen Tauschwert kommt es nicht an. Günther begründet dabei keinen eigenen Gewahrsam, aber
entzieht die Tasche aus dem Gewahrsam des Eigentümers. Zudem entzieht Günther die Tasche dauerhaft,
weil eine Rückführung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sehr unwahrscheinlich ist. Das Opfer ist am
Verlust der Tasche geschädigt. Günther handelt mit Tatbildvorsatz und zudem mit einem
Schädigungsvorsatz.
Günther ist nach § 135 StGB zu verurteilen.
d.) Bankomatkarte; zu prüfen ist § 241e Abs 3 StGB
Günther unterdrückt die Bankomatkarte, indem er sie in den Müll wirft (Ausführungshandlung). Bei der
Bankomatkarte handelt es sich um ein unbares Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10 StGB), über das Günther
nicht verfügen darf. Günther handelt dabei mit Tatbildvorsatz und zudem mit dem Vorsatz, dass der
rechtmäßige
Besitzer
den
Führerschein
im
Rechtsverkehr
nicht
einsetzen
kann
(Gebrauchsverhinderungsvorsatz).
e.) Kreditkarte; zu prüfen ist § 241e Abs 1
Günther verschafft sich die Kreditkarte, indem er sie aus der Tasche nimmt und sie sich einsteckt. Bei der
Kreditkarte handelt es sich um ein unbares Zahlungsmittel (§ 74 Abs 1 Z 10 StGB), über das Günther nicht
verfügen darf. Günther handelt dabei mit Tatbildvorsatz und zudem mit dem erweiterten Vorsatz sich und
seine Freundin durch die Verwendung der Kreditkarte, nämlich durch das Buchen der Reise, unrechtmäßig
zu bereichern (Bereicherungsvorsatz).
Günther ist nach § 241e Abs 1 zu verurteilen.
f.) Buchen der Reise
1.) Sofern im Reisebüro; zu prüfen sind §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB
Günther täuscht den Reisebüromitarbeiter darüber, dass Günther der Verfügungsberechtigte der
Kreditkarte ist (Ausführungshandlung). Der Reisebüromitarbeiter irrt deshalb über die Identität des Kunden
(themengleicher Irrtum). Aufgrund dieses Irrtums führt der Reisebüromitarbeiter eine
Vermögensverfügung aus (Handlung) und belastet die Karte. Diese Vermögensverfügung führt zu einem
Schaden beim Eigentümer der Kreditkarte oder beim Kreditinstitut. Bei wem der Schaden Eintritt ist
irrelevant. Der Schaden berechnet sich aus einer vorher nachher Bewertung und entspricht in diesem Fall
dem Wert der Reise. Günther handelt dabei mit Tatbildvorsatz und zudem mit Bereicherungsvorsatz, denn
er will sich genau um den Wert der Vermögensverfügung unrechtmäßig bereichern.
Für die Täuschung verwendet Günther die entfremdete Kreditkarte, weshalb die Qualifikation nach § 147
Abs 1 Z 1 StGB gegeben ist. Günther handelt hinsichtlich der Qualifikation vorsätzlich.
Günther ist nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 zu verurteilen.
Konkurrenz: Durch die Verurteilung nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 ist 241e Abs 1 StGB konsumiert, er ist nicht
eigens nach § 241e Abs 1 StGB zu verurteilen!!!
2.) Sofern im Internet; zu prüfen ist § 148a StGB
Günther beeinflusst das Ergebnis einer automationsunterstützten Datenverarbeitung, indem er die
Kreditkartendaten eingibt, ohne dazu eine Berechtigung zu haben. Durch die Eingabe wird ein
Verarbeitungsvorgang ausgelöst, der einen anderen, nämlich den Berechtigten der Kreditkarte oder das
Kreditinstitut, schädigt. Der Schaden umfasst den Abrechnungsbetrag. Günther handelt mit dem
Tatbildvorsatz und mit dem erweiterten Vorsatz, sich und seine Freundin unrechtmäßig zu bereichern
(Bereicherungsvorsatz).
Anmerkung: Hier gibt es keine Qualifikation hinsichtlich der Verwendung des unbaren Zahlungsmittels. Die
Strafbarkeit nach § 241e Abs 1 StGB besteht in Idealkonkurrenz.
2. Zweiter Park-Streifzug
a.) Wegnehmen der Tasche; §§ 15, 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB
Günther handelt mit dem Vorsatz, Marlies und Hermann die Tasche wegzunehmen. Er will sich den Inhalt
der Tasche zueignen und sich daran auch bereichern. Sein Vorsatz ist insbesondere auf die Vollendung
gerichtet. Günther nimmt die Tasche weg (Ausführungshandlung=Versuchshandlung), indem er sie an sich
nimmt und davon läuft. Der Gewahrsam ist aber noch nicht gebrochen, weil sich die Tasche noch im
unmittelbaren Eingriffsbereich von Hermann befindet und der Gewahrsamsbruch daher noch nicht
vollzogen ist (Anmerkung: nach anderer Meinung liegt in diesem Fall bereits ein vollendeter Diebstahl vor).
In der Tasche befindet sich ein Armand im Wert von EUR 6 000. Günther weiß nichts von dem Armband.
Günther hat sich diesen Park ausgesucht, weil er weiß, dass das der Hot-Spot für Heiratsanträge ist. Er hält
es deshalb auch ernstlich für möglich und findet sich damit ab, dass in der weggenommenen Tasche ein
teures Schmuckstück ist.
Günther tritt nicht freiwillig vom Versuch zurück, denn er gibt die Vollendung des Delikts nur deshalb auf,
weil ihm nichts anderes übrigbleibt. Durch die Verteidigung Hermanns ist er nicht mehr in die Lage das
Delikt zu vollenden.
Günther ist nach § 127, 128 Abs 1 Z 5 zu verurteilen.
Strafbarkeit von Hermann:
1. Stich in die Schulter
Zu prüfen ist § 84 Abs 4 StGB
Hermann sticht Günther mit einem Messer in die Schulter. Die durch den Messerstich eingetretene
Stichwunde ist eine an sich schwere Verletzung. Hermann ist kausal für diese Verletzung und auch die
normative Zurechnung bereitet keine Probleme. Hermann hält es auch ernstlich für möglich und findet sich
damit ab, Günther zu verletzten.
Allerdings befindet sich Hermann in einer Notwehrsituation nach § 3 StGB. Günthers rechtswidriger Angriff
(§ 127, 128 Abs 1 Z 5) ist ein rechtswidriger Angriff auf das Vermögen von Hermann. Das Vermögen ist ein
notwehrfähiges Gut. Der Angriff ist auch noch gegenwärtig, weil die Intensivierung der
Rechtsgutsverletzung noch möglich ist. Wenn er zulässt, dass Günther davon läuft, wird es für Hermann
schwieriger, seine Sachen wieder zu erlangen. Hermann verwendet das mitgebrachte Messer. Hermann
darf alles einsetzen, was notwendig ist, um den gegenwärtigen Angriff unmittelbar abzuwenden. Er muss
dabei kein Risiko eingehen. Innerhalb der notwendigen Mitteln hat Hermann das gelindeste zu nehmen.
Hermann hat nur das Messer, seine Körperkraft bringt ihn in keine überlegene Position, die den
rechtswidrigen und gegenwärtigen Angriff unmittelbar abwendet. Auch das subjektive
Rechtfertigungselement liegt vor, denn Hermann hat Kenntnis über die Notwehrsituation.
Hermann ist daher gerechtfertigt und daher straflos.
Variante 1: In der Tasche befindet sich kein Armband. Fraglich ist daher, ob Hermanns Handlung § 84 Abs 4
trotzdem gerechtfertigt ist.
Hermann geht davon aus, dass sich das Armband in der Tasche befindet. Er glaubt, dass die
Rechtfertigungssituation so vorliegt wie oben beschrieben und dass er deshalb das tun darf, was er
gemacht hat (Messerstich in Schulter). Tatsächlich handelt es sich um eine Unfugabwehr nach § 3 Abs 1 2.
Satz. Es wäre daher nur das Verteidigungsmittel zulässig, das notwendig und angemessen ist
(Angemessenheitskorrektiv). Weil sich Hermann über den Notwehr begründenden Sachverhalt irrt, ist § 8
StGB zu prüfen. Der Irrtum über den rechtfertigenden Sachverhalt schließt die Strafbarkeit nach dem
Vorsatzdelikt aus. Allerdings besteht die Strafbarkeit nach dem Fahrlässigkeitsdelikt (§ 88 StGB), sofern der
Irrtum über den rechtfertigenden Sachverhalt auf Fahrlässigkeit beruht (Doppelt-bedingte
Fahrlässigkeitshaftung). Es stellt sich daher die Frage, ob auch einem Maßmenschen dieser Irrtum
unterlaufen wäre. Auch der Maßmensch hätte nicht mitbekommen, dass Marlies bereits das Armband aus
der Tasche genommen hat. Der Irrtum beruht daher nicht auf Fahrlässigkeit.
Hermann ist straflos.