Ribor Raskovnik`s merkwürdige Reise

Ribor Raskovnik's
merkwürdige Reise
Humor
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Ribor Raskovnik's
merkwürdige Reise
von
Levi Krongold
Humoristischer Roman
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»Die Zeit ist der Stoff, auf den das Muster der Welt gestickt ist.«
Ribor Raskovnik
Impressum
epubli GmbH,
www.epubli.de
Copyright:
© 2016 Levi Krongold
Berlin,
www.krongold.net
[email protected]
ISBN: 978-3-7418-1641-3
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Vorwort:
Nun ja, Ribor Rabovnik ist kein Held!
Er ist ein Genprodukt des weltallweit operierenden Konzerns
»Intergen Universal«, ein Humogener.
Sorgfältig ausgemendelt und evaluiert, trittiert und zentrifugiert, um ein reproduzierbares, fleißiges und intelligenzgemindertes Arbeitswesen zu sein, das vor allem eins nicht macht:
Ärger für den Konzern.
Als er sich jedoch unversehens in einem etwas anrüchigem
stillen Örtchen in den Weiten des Weltraums treiben sieht,
kommt er mächtig ins Grübeln.
Wie kommt er überhaupt hierher?
Er muss sich beeilen, den dünnen Faden der Erinnerung wieder aufzunehmen, denn Beta Zaneta, das Zentralgestirn,
droht ihm mächtig einzuheizen, wenn er hier noch länger
bleibt, mal ganz abgesehen von den lästigen Fliegen.
In Gedanken lässt er seine ganze verdammte Reise nochmals
Revue passieren, angefangen von einer unerfüllten Liebe bis
zu Lutzi, dem einsamen Tankwart auf einem Versorgungssatelliten und all die anderen merkwürdigen Begegnungen.
Aber nimmt seine Reise jemals ein Ende?
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Vita:
Levi Krongold, gebürtig 1955 in Stuttgart, schreibt gerne
exzentrische Texte, meist mit Blick auf einen Chronometer,
ein Zeitmessgerät in Form einer alten silbernen Taschenuhr
seines Großvaters mit Aufziehmechanik und silberner Kette.
Dieses, nun in Ihren Händen liegende zeitlose Werk, entstand
aus purer Langeweile zwischen 21:36 Uhr und 57 Sekunden
des 31. August im Jahre 2013 bis 21:36 Uhr und 57 Sekunden
im Jahre 2014, des 31. August, als er feststellte, dass die Uhr
offenbar stehen geblieben war. Zeit genug, um über die Zeit
und die alte Ingenieursweisheit, »Wer misst, misst Mist«,
nachzusinnen.
Sonst verläuft sein Leben jedoch in geordneten Bahnen.
Widmung
Dieses Werk ist Albert Einstein und Max Planck und allen
Astrophysikern, bedeutend oder unbedeutend, gewidmet sowie allen Rotverschiebern und Urknallfetischisten, mit der
Bitte um Vergebung.
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Pressestimmen:
Neue Züricher Gazette:
Es wurde Zeit, dass ein solches Werk geschrieben wurde.
Weiterer bedarf es nun nicht mehr.
Gazetta Vaticanico:
O – Dio mio! Esta vero? Que confabulatione con caeso, cretissimi i diavoli abstrusi, abruzzi i confusi! Confetti vero con
excrementi. Che lingua lambruscosa!
(Mein Gott, ist das wirklich wahr? Was für eine tolle Geschichte!)
Oder so ähnlich.
Literaturmagazin Dresden:
Nu, es gibt Werke, die geschrieben werden müssen, die nicht
unbedingt geschrieben werden müssen und die mit Sicherheit
niemals hätten geschrieben werden müssen. Zu welcher Kategorie dieser Roman gehört, stand bei Redaktionsschluss noch
nicht fest.
Schmunzes Literaturkritik:
Ein zeitloser Roman, aber warum so billig?
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Inhaltsverzeichnis
Impressum.................................................................4
Copyright:..................................................................4
Vorwort:......................................................................5
Vita:............................................................................6
Pressestimmen:.........................................................7
1. Kapitel....................................................................9
2. Kapitel..................................................................12
3. Kapitel..................................................................24
4. Kapitel..................................................................29
5. Kapitel..................................................................32
6. Kapitel..................................................................41
7. Kapitel..................................................................53
8. Kapitel..................................................................80
9. Kapitel................................................................131
10. Kapitel..............................................................167
11. Kapitel..............................................................196
12. Kapitel..............................................................204
13. Kapitel..............................................................225
14. Kapitel..............................................................235
15. Kapitel..............................................................267
16. Kapitel..............................................................301
17. Kapitel..............................................................323
18. Kapitel..............................................................366
19. Kapitel..............................................................388
Nachwort:...............................................................392
Anhang..................................................................393
Glossar:.................................................................401
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1. Kapitel
HIER STINKT'S!
Und mir stinkt es auch … und zwar gewaltig!
Missmutig stütze ich im Sitzen meine Ellenbogen auf die
Knie und mit den Händen mein Kinn. Ein schwacher Schimmer, der durch das herzförmige Loch in der nur wenige Zentimeter entfernten schäbigen Holztür auf mein Gesicht fällt,
sagt mir, dass Beta Zaneta, der Zentralstern des hiesigen Sonnensystems bald wieder sichtbar werden würde. Dann muss
dringend eine Lösung gefunden werden, denn dann würde
der Gestank hier drinnen mit Sicherheit unerträglich, mal
ganz von den Fliegen abgesehen.
Wie konnte ich nur wieder in so eine verdammt unangenehme Situation kommen? Es war zum aus der Haut fahren! Und
das Schlimmste war: Mir kommt alles irgendwie so bekannt
vor. Als hätte ich dies alles schon einmal erlebt.
Ach was, als hätte ich dies alles schon hundertmal erlebt. Ich
zermartere mein Gehirn, wie schon seit den zwanzig Standartzeiteinheiten, die ich bereits hier bin, ob mir irgend etwas
entgangen ist, was mich hätte einer Lösung näher bringen
können.
Fest steht, so wie die Dinge jetzt liegen, kann ich nicht einmal
meinen Raumanzug wieder ordentlich zu machen, geschweige
denn vor die Tür treten. Ich taste im Halbdunkel nach meinem Raumhelm, der irgendwo an meinen Füßen in der Dunkelheit zwischen Matsch, Urinresten und Rattenkot liegen
muss, und stoße dabei unangenehm mit der Stirn an die
Holztür vor mir. Dabei gleiten meine Finger über irgend etwas Glibbeliges, Feuchtes, was möglicherweise einmal ein Sta-
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pel alter Zeitungen gewesen sein musste oder die Reste feuchten Toilettenpapiers. Angeekelt ziehe ich meine Hand zurück
und stoße dadurch mit dem Ellenbogen schmerzhaft an die
Holzwand hinter mir.
Diese verdammte Enge hier!
Mit dem rechten Fuß, der noch in dem klobigen Raumanzug
steckt, gelingt es mir schließlich, den Helm zu ertasten, der
auf den Boden gefallen sein muss.
Wie um alles in der Welt war ich nur auf die Idee gekommen,
in einem Plumpsklo mal wieder richtig austreten zu können
und nicht nur in die in den Raumanzug integrierte Windel zu
machen?
Schon das teilweise Herausschlüpfen aus dem Raumanzug
hatte sich in der Enge dieser Bretterbude als äußerst zeitraubend und enervierend mühselig erwiesen.
Aber wer hatte nicht schon einmal an den Folgen des Weltraumkollers gelitten, wenn er monatelang allein in der
Schwärze des Alls treibt?
Dann wünscht du dir einfach die aller kleinste Annehmlichkeit. Wenigstens das, einmal wieder normal scheißen zu
gehen!
Und dann war es plötzlich da, ein ganz normales, vergammeltes, stinkendes hinterbayrisches Plumpsklo. Und anstatt mich
zu fragen, wie es plötzlich so mutterseelenallein im All treiben
könnte …, da bin ich halt hingerudert und hab mich gefreut
wie ein kleines Kind. Nur eins ist klar, wenn ich es schaffen
sollte, die Raumkombi wieder anzuziehen und den Helm
dann noch aufzusetzen und dann vor die Tür in den Normalraum zu treten, würde ich ins All stürzen!
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2. Kapitel
Meine ganze Reise war im Grunde genommen eine Aneinanderreihung von Fehlern und Pech gewesen.
Wie hatte eigentlich alles angefangen?
Ach ja ...! Der Trostpreis, die Rundreise durch das Weltall für
alle die nicht ganz bei Trost sind und Trost brauchen.
Ich hatte mich wieder einmal völlig zum Blödmann
gemacht. Kaum war ich der Multiokuzephalidin entkommen,
da trudelte ich schon ins nächste Fettnäpfchen!
Ich bemühe mich, den Faden wieder zu finden ...
Genau: So in etwa war die Reihenfolge. Multiokuzephalidin.
Dusche auf Vulgäa ... Plumpsklo ...
Ein Freund, der sich in der Interzonentankstation mit dem
Warten auf durchreisende Handelsschiffe, die dort Treibstoff
nachfassen, zu Tode langweilte, wie hieß er noch?
Lutz ... ja, Lutzi habe ich ihn immer genannt.
Lutz aus … aus ... Panamagea, genau, das ist dort wo die
Kontinentalplatte von Südamerika mit Australien zusammengestoßen ist. Jetzt ist Chile von Kängurus überschwemmt
worden, die alles ratzekahl fressen. Auch seine Farm mit der
Gurkenstecklingszucht für die Versorgung der im Raum treibenden Stationen, was zur Folge hatte, dass es jetzt im halben
Sektor HTBN 50 bis HTBN 100 (Höhe/Tiefe/Breite/Normalzeit) keine Gurken mehr zu essen gibt …, aber die
schmeckten sowieso zu fad.
Im All schmecken Gurken einfach nicht.
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Aber Tomaten wachsen nun mal nicht ohne Sonne, sonst
würden alle den ganzen Tag Tomatensaft trinken.
Komisch eigentlich, dass Tomaten im All platzen!
Sie werden dick wie Kürbisse, selbst die kleinen Sorten blähen sich auf wie Luftballons und … - spack - hängt die ganze
Soße an den Wänden.
Riesen Sauerei.
Und trotz aller Wissenschaft ist es noch nicht gelungen, das
zu ändern.
Irgendwie fehlt der Schale die Festigkeit, sie wird gummiartig
im All. Und künstliche Schwerkraft ist offensichtlich einfach
zu teuer, und wenn man das Sonnenlicht mit Parabolspiegeln
auf die Tomaten lenkt, dann schmeckt die Paste an den Wänden nach dem Platzen zwar besser, aber die Sauerei bleibt.
Wie Lutzi auf die Idee kam Gurkenstecklinge zu züchten,
weiß ich auch nicht mehr, er hat es mir aber erzählt.
Warte, … das könnte wichtig sein ... warte, warte ...!
Ich weiß, dass ich den Faden wieder finden muss, um die jetzige Realebene wieder zu finden, davon hängt alles ab, auch
die Frage, ob ich beim Verlassen der hiesigen Örtlichkeit auf
ewig im All rumtrudeln werde oder aber in Hinterbayern, ne',
oder war das Südtirol (?), wieder erscheinen würde.
Egal ... Hinterbayern - Südtirol. Sieht ja alles gleich aus!
Endlose Wüste, Sand und Steine bis zum Horizont, kein
Berg, kein Baum. Aber die Plumpsklos, die stehen noch dort,
wo sie früher einmal standen und werden liebevoll restauriert,
nachdem der bayrische und der stairische und der tiroler Heimatverein sich endlich zusammengeschlossen hatten.
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Hat ja lange genug gedauert, aber war eben auch nicht leicht
für sie. Immerhin hatten sie jahrhundertelang lokale Feindschaften gepflegt.
Nachdem dann die Alpen versunken waren, hatten sie plötzlich keine schützenden Berge mehr zwischen sich. Da ging
das Hauen und Stechen erst richtig los!
Dass Berghörner auch als Waffen eingesetzt werden können,
die zu tödlichen Hirnschäden führen, ist ja hinlänglich bekannt unter Hornbläsern, aber dass auch Lederhosen zu tödlichen Fallen vor allem für die holde Männlichkeit werden
können, das haben die stairischen Hinterweltler nach Einführung dieses Bekleidungsstückes im heimischen Trachtenverein fast nicht überlebt und sind nahezu ausgerottet gewesen.
Es gab zum Schluss zur Freude der Bayern nur noch stairische Frauen. Die wurden sozusagen zum Freiwild. Meine
Güte, waren das noch Zeiten!
Naja, dann hat ja die zentrale Bestandsschutzbehörde das
ganze Gebiet zum Notstandgebiet erklärt, und aus war es mit
der geliebten Feindseligkeit. Alle Vereine zur »Pflege des unverwechselbaren Brauchtums und zur Ausmerzung feindseliger Einflüsse von Außen« mussten über Nacht zumachen.
Und seitdem betrieb der neue, staatliche »ZentralVerein zur
gemeinsamen Brauchtumspflege«, ZGBP, die Denkmalpflege.
Da waren aber nur noch die Plumpsklos übrig geblieben.
Warte mal, warte mal, Mensch ist das eng hier.
Das Licht durch das Herzchen in der Tür wird schon ein wenig heller ... ich muss mich konzentrieren.
Warte mal ... Ach ja Lutzi!
Lutzi hatte den ganzen Ramsch von seiner Tochter geerbt,
nachdem sie an Altersschwäche gestorben war. Die war wohl
eine ganz große Nummer gewesen.
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Als Lutzi auf und davon ins All ist, kurz nach der Geburt seiner Tochter, da hat ihm die Mutter und Noch-Nicht-Ehefrau
alle Verwünschungen des Universums an den Hals gewünscht
und ist nach Chile ausgewandert, um zu sich selbst zu finden.
Das war kurz nach dem Interkontinentalcrash.
Sie suchte wirklich ganz Chile ab, vom arktischen Süden bis
in den Norden, vom Meer bis zum höchsten Gipfel Chiles,
konnte sich jedoch nicht finden.
Schließlich versuchte sie es mit Anzeigen unter der Rubrik
«Gesucht/Gefunden«, aber es hat sich, soweit es Lutzi bekannt war, nie jemand gemeldet. Als sie es schließlich frustriert (wie sie war) und ernüchtert (wie sie selten war) aufgab,
besann sie sich auf die Grundwerte des Lebens, legte alle
Kleider ab und befreite sich damit nicht nur von allen zivilisatorischen Zwängen, der Überwachungselektronik in Ärmeln
und Gürteln, sondern auch von einer Unmenge Ungeziefer,
welches sich in der Zwischenzeit dort eingenistet hatte.
So befreit und geläutert gründete sie eine Ökofarm, so ganz
ohne Hormone, wo sie sich zunächst der Bananen- und der
Kokosnusszucht widmete, vor allem zum Zwecke der natürlichen Bekleidung. Sie trug fortan nur noch Bananenröckchen
und Kokosnuss-BH sowie Kokoslatschen. Selbst ihrer Tochter, die sie bis dahin zur Aufzucht in eine staatliche Nachwuchserziehungsanstalt abgegeben hatte, erinnerte sie sich
wieder und lockte sie mit Versprechungen wie: Bio-Handy
aus Tratschbohnen und Ganztagsvideoschauen von Heini Banano, in ihr neues Domizil.
Soweit es Lutzi bekannt war, schlugen jedoch alle Versuche,
entsprechende Kreuzungen zu entwickeln, fehl, weil sie konsequent auf Gentechnik verzichtete und in der Natur derartige Gene zum sofortigen Genozit führen.
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Später widmete sie sich der Nachzucht von historischen und
eigentlich bis dahin als ausgestorben geltenden Gemüsen wie
Salat, Bohnen und Kohlgemüse, aber das ist nie richtig gut
gelaufen, denn wer isst schon gerne Gemüse ohne Hormone?
Dann ist sie wohl mit einem Aborigine weg, der seine Kängurus wieder einsammeln wollte, die ihm nach Chile abgehauen
sind, und hat irgendwie ihre Tochter vergessen mitzunehmen
oder so. Jedenfalls hat die die Reste der Farm übernommen,
ordentlich Hormone reingepumpt und ein richtiges FoodImperium aufgebaut, das sogar die entlegensten Winkel der
Milchstraße belieferte.
Als sie dann im hohen Alter mit über 110 Jahren starb, war
Lutzi aufgrund der Zeitverschiebung erst einmal knappe 39
und im besten Mannesalter. Er glaubte, er würde ein Vermögen erben.
Leider waren bei seiner Rückreise bereits 100 Jahre in Chile
vergangen und da gab es nur noch Gurkensetzlinge, die hatten irgendwie bei dem Klima überlebt.
So war das mit Lutzi.
Aber immerhin, die Automaten funktionierten noch und
Gurken wachsen offenbar irgendwie überall im Weltall weiter,
wenn sie erst einmal die kritische Keimphase in normaler
Schwerkraft hinter sich haben. Sie wachsen auch zu schönen
grünen Ringen, nur schmecken tun sie nicht, nur nach
Wasser, aber das ist ja auch wichtig.
Gurken sollen angeblich früher einmal gerade gewachsen
sein, kaum vorstellbar!
Wie kam ich denn nun darauf ?
Ach ja ... Wie ich Lutzi zum ersten Mal begegnete.
Dies war der Tag, soweit man dies im All sagen kann, der
meiner bis dahin bereits unruhigen Reise eine so dramatische
Wendung gab.
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Lutzi trudelte hilflos hinter seiner Rakete durch das All und
hatte sich den Finger bei der Suche nach einem verloren gegangenen Kaugummi in ihrem Auspuff verklemmt.
Denn das war sein Lieblingskaugummi, auf dem er schon
jahrelang herumkaute, Lutzi sagte seit seiner Geburt, aber das
glaube ich nicht.
In seiner Verzweiflung hatte er sogar versucht, die Triebwerke
auseinander zu bauen, was insofern unklug war, als Lutzi keinerlei Kenntnisse zu ihrem Zusammenbau besaß und nur unglücklich im Motor herumwurschtelte, was mit Raumhandschuhen sehr schwierig ist, wie jeder weiß, und dann war auch
nicht mehr rausgekommen mit der Hand.
So trieb er hilf- und steuerlos durchs weite und leere All und
war schon ganz demoralisiert, als ich zufällig mit meiner Rakete vorbeiflog.
Meine Reise hatte ich als Trostpreis in einem Gewinnspiel als
Rundflug durch die Galaxis in einer Einmannrakete gewonnen.
Das freute mich sehr, denn mein Leben als Raumfalter in einer astrophysikalischen Fabrik war bis dahin reichlich ereignislos verlaufen, bis auf diese delikate Angelegenheit ..., naja.
Den Trostpreis, den sonst keiner haben wollte, habe ich deshalb gerne angenommen: Ich war zu diesem Zeitpunkt untröstlich, weil unglücklich in eine Nachtfalterin aus einer anderen Abteilung unserer Fabrik verliebt und deshalb wohl
auch nicht ganz bei Trost, so dass ich den Trostpreis gut gebrauchen konnte.
Man sagt ja gemeinhin, dass bei einem Nahtoderlebnis das
ganze Leben wie ein Film an einem vorbeizieht.
Das ist nicht ganz richtig, denn es gilt auch in außergewöhnlich unangenehmen wie fast aussichtslosen Situationen wie
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der, in der ich mich nun befinde, eingeschlossen in einem hinterbayrischen Plumpsklo im All treibend.
Ich erinnere oder rückerinnere mich augenblicklich wieder
der ersten bewussten Augenblicke in meinem Leben und der
Verehrung, die ich meinen Eizellen- und Samenspendern
zeitlebens entgegenbrachte.
Ich trage noch immer ein Foto von ihnen in meinem Unterhemd eingenäht bei mir. Von ihm, »Sperm239-6z-t678«, und
ihr, »OvFem-456k f3wer«, beide in trauter Verbindung im
Reagenzglas der Reduplikationsfabrik in Super-3D-Nahaufnahme.
Ihr Bildnis war mir in manch schwerer Stunde von großem
Trost!
In meiner Kindheit lief eigentlich alles wie am Schnürchen
und ich hatte die besten Aussichten auf eine handelsübliche
berufliche Karriere. Kurz nachdem ich mich der Lernleitungen, die an meinem Gehirn angestöpselt waren, entledigen
durfte, wurden mir und natürlich den anderen Lernlingen
noch einmal der Merkspruch für das Leben im All und Kosmos diesseits und jenseits der Milchstraße vorgesprochen:
»Ich, einer der mit viel Sachverstand und Erfahrung auserwählten Genmodelle, ausgestattet mit den besten Aminosäuresequenzen der gesamten bislang bekannten Spezies des bewohnten und belebten Weltalls, bin erfüllt mit tiefer Dankbarkeit gegenüber meinen Schöpfern, den Sponsoren und der
Genindustrie und werde mein ganzes Handeln und Streben,
gegebenenfalls auch mein Denken, sofern dies implantiert
wurde, dem Erhalt und dem Wachstum des Handelskonsortiums ›Intergen-Universal‹ widmen.
Ich werde alles tun, was im Sinne des Konzerns ist, und alles
unterlassen, was ihm Schaden zufügen kann, insbesondere
keine ungenehmigte Reduplikation oder Klonierung durch
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konzernfremde feindliche Kräfte oder Institutionen zulassen.« Nie werde ich die endlosen Reihen sauber aufgereiter
Lernanlagen, in denen ich und meine circa 2000 gengleichen
Mitschüler belernt wurden, die fein säuberlich polierten, weiß
gekachelten Wände unserer Erziehungsanstalt, die grünlich
weiß fluoreszierende indirekte Deckenbeleuchtung aus Glühalgen des Leuchtstoffnebels jenseits des Orion vergessen, den
Duft doppelt bis dreifach sterilisierter Tubennahrung mit Geschmacks- und Geruchszusatz sowie Wachstumshormonen
und die liebevoll eingerichteten Wohnquadrate mit akkurat
keimfreier Möblierung, Sensoround Unterhaltungsanlage und
der fast unhörbar tickenden Atomuhr mit interstellarer Normalzeit.
Alles war so beruhigend und geordnet, dass allein der Gedanke, nun diesen Lebensabschnitt beendet zu haben und vor
dem Tor in eine unbekannte, vielleicht ungeordnete Welt zu
stehen und den Schritt ins Chaos zu wagen, bei mehreren
Mitlernlingen zu Kreislaufversagen führte, so dass diese bereits wieder desintegriert werden mussten.
Nun, es war auch später nicht schlimmer, denn alles war von
langer und weiser gütiger Hand vorbereitet. Bei der Ausbildung durfte man die vom Konsortium vorgeschlagene einzige
Alternative wählen und ich wurde wie geplant Raumfalter.
Das war an sich nicht schwierig, jedoch erforderte die Tätigkeit eine gewisse Präzision.
Nachdem ein Stück des endlosen Weltraumes, der ja bekanntermaßen aus dunkler Materie besteht, mit Präzisionsinstrumenten ausgeschnitten worden war, ging es nun darum, diesen in handliche Quadrate zu falten und wiederum sauber in
Tüten zu verpacken, die mit lustigen Motiven bedruckt waren. Natürlich standen auch für diese Tätigkeiten Präzisions-
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faltmaschinen zur Verfügung und die einzig wirklich schwierige Aufgabe war es, das Gähnen zu unterdrücken, denn dieses
konnte fatale Auswirkungen auf das Faltprodukt haben.
Einmal soll tatsächlich ein Raumfalter unbeherrscht so heftig
gegähnt haben, dass er ein Stück des feinen Raumgewebes inhalierte, welches sich natürlich sofort in ihm entfaltete und
sozusagen die Innenseite zur Außenseite machte. Was er hinterließ, war ein Loch, durch das der Sternenhimmel und ein
paar alte Pantoffeln zu sehen waren, die er bei der Arbeit stets
auszuziehen pflegte, da er an Schweißfüßen litt. Die Pantoffeln sind noch heute am Eingang der Fabrik als mahnendes
Denkmal für alle zu besichtigen.
Obwohl auch die Reduplikation aufs Äußerste organisiert
war, geschah mir doch das Malheur, dass ich mich nach dem
Genuss einer fehlerhaft produzierten Mahlzeit, wohl als Folge
einer Hormonüberdosis, in eine der jungen Damen aus der
Nachtfalterabteilung verliebte.
Nun muss man dazu wissen, dass der einzige Kontakt zu lebenden Eizellenspenderinnen über das wohltätige Arrangement der Firma erlaubt und auch möglich war und im Übrigen derartige Bedürfnisse als abartig verpönt galten, so sie
sich konzernfern einstellten. Der Konzern hatte für Weltraumstationen, die im Orbit von Doppelsternen kreisten, ein
spezielles Produkt zur Verfinsterung erfunden. Denn das
Problem dieser Raumstationen war es meist, dass es nie wirklich Nacht wurde, da entweder die eine oder die andere Sonne
die Station beleuchtete. Das war nun für die Gesundheit der
Besatzung nicht von Vorteil, da sie sich zu sehr bestrahlt nach
wenigen Wochen völlig verausgabte, da die Nachtruhe fehlte,
trotz aller Schutzmaßnahmen und Vorrichtungen.
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Dem Konzern wurde dies verständlicherweise zu teuer, da die
beschädigten Besatzungen dann kosten- und zeitaufwendig
zurückgerufen und regeneriert werden mussten.
Um wenigstens stundenweise zu ruhen, wurden nach dem
gleichen Verfahren Nachthimmel fein säuberlich ausgeschnitten und sorgfältig gefaltet in Tuben abgefüllt. Dies ergab
meist für wenigsten 6 Stunden Normalzeit eine ausreichende
Verdunkelung in der Station und reichte für eine ganze Kabine.
Mit dieser Aufgabe hatte man, aus welchen Gründen auch
immer, vornehmlich die Eizellspenderinnen beauftragt. Mich
wunderte nur, welch immense Mengen Nachthimmel hergestellt werden mussten.
Nun begab es sich, dass beide Abteilungen, sowohl die
Nachtfalterinnen als auch die Raumfalter, dieselbe Abgabestation anlaufen mussten, wo ihre Produkte einer strengen Qualitätskontrolle unterzogen wurden.
Dort vollzog sich immer das gleiche Ritual. Von links befüllte
ein Raumfalter die Abgabebox, dieser fuhr ein Stück weiter
und gab einer neuen leeren Box Platz. Diese wurde dann von
rechts von einer Nachtfalterin befüllt und so weiter.
An sich ein sicheres Verfahren.
Da ereignete es sich unglücklicherweise an diesem Tage jedoch, dass ich nicht nur das hormonhaltige Mittagessen genossen hatte, welches unglücklicherweise meine Reduplikationsdrüsen übermächtig anregte, sondern sogar die Befüllvorrichtung klemmte, so dass sie nicht weiter rückte, sondern
stecken blieb und sich, kurz nachdem sich die linke Seite geöffnet hatte, nun auch die rechte öffnete.
Dadurch erblickte ich für einen kurzen Moment den rechten
Kleinfinger der Nachtfalterin, der sofort scheu zurückgezo-
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gen wurde, da auch dieselbe den meinen gesehen haben
musste.
Man kann sich die Wirkung dieses Unglücks nicht drastisch
genug vorstellen! Wie betäubt stand ich vor der sich sofort
wieder schließenden Box, unfähig auch nur zu einem weiteren
Gedanken als an diesen lieblichen Anblick, so dass ich mit
meiner betäubten und betörten Leblosigkeit den gesamten
Abfüllprozess für einige Minuten lahmlegte, was den Konzern tausende von SOLITS gekostet haben muss.
Kurz und gut, ich wurde in die Krankenstation gebracht und
dem Produktionsprozess entzogen. Dort verblieb ich in einer
Art komatöser Agonie, die erfüllt war von erotischen Träumen.
Weibliche Kleinfinger umtanzten mich Tag und Nacht in meinen Visionen, steckten und bohrten sich in alle meine erdenklichen Körperöffnungen und streichelten und kitzelten mich
am gesamten Körper, was zu äußerst bedenklichen psychologischen Komplikationen führte.
Kurz und gut, ich war monatelang trotz intensiver psychologischer und ärztlicher Bemühungen außerstande, wieder in
den Produktionsprozess integriert zu werden und nutzlos für
den Konzern geworden.
Andererseits war ich körperlich überraschend gut in Schuss, ja
zu solchen Höchstleistungen fähig, dass die wissenschaftliche
Abteilung beschloss, anstatt mich zu desintegrieren und in die
wertvollen Aminosäurebestandteile zu zerlegen, Forschungen
über eine modifizierte Diät für Hochleistungsklone an mir
durchzuführen. Immerhin kann ich jetzt mit einem gewissen
Stolz sagen, dass dies mir nicht nur die Ausbildung als Navigator für kleine Raumschiffe unter den erschwerten Bedingungen erhöhter Schwerkraft einbrachte, sondern zudem
noch zu der Teilnahme an dem Wettbewerb für Aberranten
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verhalf, der mir zwar nur diesen Trostpreis, aber immerhin
einen Preis einbrachte.
Irgendwann gelang es offenbar, ein Gegenmittel zu injizieren,
so dass sich die Träume und Visionen legten.
Was aus dem kleinen Finger und der dazugehörigen Nachtfalterin meiner Träume wurde, war mir lange Zeit unbekannt.
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3. Kapitel
Aber auch in der Nachfolge riss die Kette der Missgeschicke
nicht ab.Ich sollte jetzt also zu meinem Rundflug aufbrechen,
der mich auf eine genau berechnete Bahn um unser Zentralgestirn führen sollte, natürlich mit wissenschaftlicher Begleitung. Die Bahn sollte gemächlich in einem großen Kreis beginnen und sich dann immer weiter dem Zentralstern nähern,
mit der Folge immer kleinerer Bahnen und immer größerer
Geschwindigkeit, also auch größerer Beschleunigungen.Man
muss sich das so vorstellen, dass ein Ball, der an einer Schnur
angebunden ist, um einen Baum geschleudert wird, so dass
sich die Schnur bei jeder Baumumrundung verkürzt, bis der
Ball schließlich mit Höchstgeschwindigkeit gegen den Baum
prallt. Die dabei freiwerdenden Kräfte sollten die Stabilität
der an mir neu entdeckten, hormonbedingten Körperstruktur
zeigen.
Die sich aufdrängende Frage, was denn dann letztendlich aus
der Rakete würde, wurde mit der profanen Antwort, es sei
»doch schließlich eine große Ehre, an einem solchen Experiment für den Konzern in seiner Freizeit teilnehmen zu dürfen«, abgetan. Also nicht weiter fragen und freudig in die Rakete steigen und los.
Sinnigerweise wurde die Rakete tatsächlich an einem ultrastabilen transgalaktischen Rotationskabel, welches auch die Versorgungsleitungen für die Überwachungselektronik beinhaltete, am Zentralstern verankert.
Aber schon der Start erwies sich als problematisch. Nicht nur
verhedderte sich das Kabel bereits wenige Sekunden nach
dem Start in einem zufällig vorbei schwebenden Kometen,
ich schaltete auch vor lauter Schreck und wohl auch bei dem
Versuch, wieder frei zu kommen den Rückwärtsgang ein, was
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zur Folge hatte, dass das Kabel riss und ich unkontrolliert
durch das All davon trudelte.
Dabei zog ich einen großen Teil des abgerissenen Kabels wie
eine Angelschnur hinter mir her.
Das All ist ja bekannterweise nicht leer, sondern voller Materie, insbesondere zivilisatorisch bedingter Abfälle und Überreste verglühter Raumstationen, defekter Satelliten, verlorener
Socken, meistens der rechten und vor allem verschwundener
Kugelschreiber, aber auch anderer wertvoller Materialien von
nicht unbeträchtlichem Wert, wie
Iridiumscheiben, seltenen Erden und Gravitationsschleifen
aus Raumzeittransmutatoren.
Diese »Fundstücke« sind so wertvoll, dass es inzwischen eine
nicht unbeträchtliche Anzahl von freiberuflichen Weltraummüllsammlern gibt, die ein weites Betätigungsfeld für ihren
Broterwerb vorfinden.
Ja, neben den staatlich zertifizierten Weltraummüllsammlern
hat sich auch eine gesetzlose Bande von Müllschiebern und
Müllpiraten etabliert, die im weiten Raume ihr Unwesen treiben und nicht selten ganze Raumschiffe kapern und verschrotten. Auf dem Schwarzmarkt bringen diese Beutestücke
einen nicht unerheblichen Gewinn.
Dabei kennen diese Burschen keine Tugend und keinen Anstand. Nicht nur jagen sie sich gegenseitig schonungslos den
erbeuteten Müll ab, sie scheuen auch vor keiner Gemeinheit
zurück, achten kein Menschenleben und keinen gesellschaftlichen Stand, kein Konzerngesetz und keine Vorfahrtregeln.
Diese Burschen werden natürlich von der intergalaktischen
Polizei gejagt und festgesetzt, wo immer man ihrer habhaft
werden kann, was selten genug vorkommt, angesichts der unermesslichen Weite des Weltraums. Allerdings muss leider
auch gesagt werden, dass dabei oft ganze Geschwader der Il-
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legalen ungehindert operieren können und man den Eindruck
gewinnen kann, dass das Auge des Gesetzes nicht nur bewusst wegschaut, sondern sogar bei dem schändlichen Treiben behilflich zu sein scheint ... aber das sind nur Gerüchte!
Wie dem auch sei, ich flog oder vielmehr trudelte also mit
meiner Einmannrakete, die erschreckend unsolide gebaut war,
so dass es an allen Ecken und Enden zog, wackelte und vibrierte durch das All und angelte so unfreiwillig mit meinem
Leinenende im Laufe der Zeit immer mehr Müll ein.
Das erste Stück, was sich in meiner Leine verfing, war wohl
ein alter Samowar mit geschwungenen Henkeln, so dass er
sich leicht verfing und nicht abglitt wie andere Gegenstände.
Und von da an sammelten sich mit zunehmender Geschwindigkeit alle möglichen Teile und Ersatzteile, so dass die Fahrt
nicht nur immer langsamer wurde, sondern der Kurs, der vorher schon hoffnungslos unbestimmbar, war nun einem völligen Zickzack wich, was mir zu heftiger Übelkeit führte.
Ja, ich muss gestehen, dass ich mehrmals den Deckel der Rakete öffnete, um mich ins All zu erleichtern, natürlich immer,
wie ich gelernt hatte, den Sonnenwind im Rücken!
Zu allem Überfluss stellte sich dennoch nach einigen Standarttagen ein nicht unbeträchtliches Hungergefühl ein. Zu meinem großen Erstaunen entdeckte ich außer einer Dose Tunfisch nichts Essbares in der Rakete und auch der Getränkevorrat war verschwindend und hätte maximal wenige Tage
überbrückt. Bis auf eine alte Schuhsohle fand ich nichts
Brauchbares und Letztere erwies sich selbst eingeweicht in
Mineralwasser als zu zäh, um daraus eine Mahlzeit zu machen. Immerhin verformte sie sich nach dem Einweichen zu
einer Art Schale, so dass sie wenigstens als Trinkgefäß dienen
mochte.
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Mir kam das ungute Gefühl, dass vom Konzern eine längere
Reise gar nicht geplant gewesen war und ich fragte mich, wie
ich hätte die Rückreise überstehen sollen ... oder gar ob überhaupt ...?
Sehr unruhig geworden und auch um den aufkeimenden
Grimm zu unterdrücken, schraubte und schabte ich überall
dort, wo immer die Gefahr am geringsten war, unmittelbar
ein Loch in die Rakete zu fabrizieren.
Ich begann mir ernsthaft Sorgen um meine Zukunft zu machen.
Die Zeit verrann, der Hunger wuchs und die Übelkeit durch
das Schütteln und Schlingern der Rakete wollte nicht weichen.
Ich fürchtete, bereits in kurzer Zeit an Auszehrung sterben zu
müssen. Ein unschöner Tod, wie mir jeder bestätigen wird,
der schon einmal beim Öffnen einer dahintreibenden Rakete
die papiertrockene ausgedörrte Mannschaft vorfinden musste,
denn diese Todesart war, im Verein mit der erhöhten Strahlung im All, nicht gerade selten.
Gerade als ich wieder einmal den Deckel meiner Rakete öffnen musste, um Erleichterung im All zu finden, blieb mein
Blick an meiner »Angelschnur« hängen und nicht weniger an
dem Treibgut, welches sich inzwischen daran angefunden hatte.
Zu meinem Erstaunen fand ich einen noch voll funktionstüchtigen Atomofen im Westentaschenformat ganz in meiner
Nähe.
Ich fasste mir ein Herz und beschloss, die Rakete entsprechend gerüstet zu verlassen und mich an der Schnur entlang
zu hangeln, in der Hoffnung, noch irgend etwas Brauchbares
zu finden.
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Das mache ich nur äußerst ungerne, da die endlose Weite im
All schon eine gewisse Beklemmung auslösen kann.
Dennoch, es musste sein. Ich warf noch einmal einen Blick
auf das Bildnis meiner Erzeuger, küsste es sanft mit den Lippen, seufzte und machte mich auf.
*
27
4. Kapitel
Der Atomofen, den ich unweit von mir entdeckt hatte, war
zwar etwas verbeult, es glühte jedoch noch eine kleine Flamme darinund er strahlte eine nicht unbeträchtliche Hitze aus.
Üblicherweise werden diese Öfen in Vakupeds verwendet, das
sind durch Saugschub angetriebene Einmannsegler, die als
Raumgleiter benutzt werden.
Nach einem alten Bauplan, ursprünglich wohl einmal zur
Konstruktion eines Reinigungsgerätes, das aus Hygienegründen nicht mehr gebraucht wurde, denn Staub wurde umgehend recycelt, hieß der Raumgleiter noch immer »Kobold«
und sah auch so aus wie früher. Allerdings saugte er keinen
Staub mehr, sondern Zeit und spie sie hinten wieder aus.
Da dabei durch einen Rotor eine beträchtliche Zeitschrumpfung erfolgte, saugte er so zu sagen Gegenwart ein und füllte
hinten einen Sack mit Vergangenheit, wodurch er sich naturgemäß vorwärts bewegte. So wurde es uns jedenfalls einmal
bei der Belernung erklärt. Der einzige Nachteil dieses Gleiters
war, dass der Sack mit der vergangenen Zeit immer wieder
geleert werden musste, damit er nicht platzte, was zu einem
unkontrollierten Schub geführt hätte. Als Antrieb und Energiequelle diente ein kleiner Atomofen, der schwerelos hinterher gezogen wurde, an einem Kabel befestigt, welches ursprünglich einmal Elektrizität leiten sollte, was eine absurd
altmodische Sache ist, die schon lange nicht mehr praktiziert
wird.
Wie dem auch sei, für den Ofen konnte ich vielleicht noch
eine Verwendung finden.
Gar nicht viel weiter, hinter einigen verbogenen Blechen, Raketenboostern und Schraubenschlüsseln fand ich eine Reflektorschüssel, die noch brauchbar war und wenig später die
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sterblichen Überreste einer Mondkuh, zumindest deren fünftes Hinterbein.
Das war natürlich ein außerordentliches Glück. Da organisches Material im Weltraum sofort gefriert und keimfrei wird,
konnte es vielleicht noch zum Verzehr taugen, auch wenn es
vom Raumfahrer gemeinhin gemieden wird, da Mondkühe
als zäh gelten.
Die Mondkuh, so wurde uns gelehrt, war das Ergebnis erster
gentechnischer Versuche in der Urgeschichte der Besiedlung
des Weltraumes.
Hauptproblem war damals ja die Nahrungszufuhr, da
nirgends Versorgungslabore existierten und man versuchsweise auf weltraumadaptierte Nahrungsmittel zurück greifen
wollte.
Die Kuh erwies sich als besonders geeignet, da sie nicht nur
Fleisch, sondern auch Milch lieferte, die wiederum Ausgangsprodukt für vielfältige Nahrungsmittel ist.
Da Kühe als besonders gutmütige Tiere sogar auf dem Mond
zu halten waren, wurden sie bei den ersten Besiedlungsversuchen gleich mitgebracht, inklusive Rollrasen, den sie als Futter
benötigten.
Nun hatten die Kühe erhebliche Probleme mit der verminderten Schwerkraft auf dem Mond, weshalb sie zum Umstürzen neigten. War eine Kuh erst einmal auf den Rücken gefallen, brachte sie es aus eigener Kraft nicht mehr fertig, wieder
auf die Beine zu kommen und verendete elendig.
Daher versuchte man, der Kuh in ersten genetischen Experimenten acht Beine anzuzüchten, vier unten und vier auf dem
Rücken, so dass sie wieder aufstehen konnte, nachdem sie
einmal umgefallen war. Allerdings schaffte man es lediglich,
ein voll entwickeltes Bein zu erzeugen, die anderen blieben,
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warum auch immer, rudimentär und untauglich, so dass das
ganze Experiment aufgegeben wurde.
Dennoch gab es eine nicht unbeträchtliche Menge fünfbeiniger Kühe, die nach der Pleite des Konzerns als wilde Kühe
noch eine zeitlang auf dem Mond ihr Unwesen trieben.
Wie nun ein Kuhbein in den Weltraum kommen konnte,
blieb mir genauso rätselhaft wie es mir auch in der damaligen
Situation gleichgültig war.
Und noch eine weitere nützliche Sache konnte ich weiter hinten an meinem Seil entdecken. Eine Steinpresse.
Auch diese konnte sich noch als sehr nützlich erweisen, beinhalten Kometen doch eine nicht unbeträchtliche Menge
Wasser, welches man vielleicht auspressen konnte. Möglicherweise fand sich am Ende des Seiles ja noch etwas vom
Kometenschweif, denn ein solcher war die Ursache des Unglücks gewesen.
Ich beschloss nun eine improvisierte Weltraumküche zusammen zu bauen und, da sie in der Rakete nicht untergebracht werden konnte, diese seitlich neben der Ausstiegsluke
zu befestigen.
*
30
5. Kapitel
Apropos Küche ... ich muss gestehen, dass ich langsam nicht
nur Hunger bekomme, sondern mir auch zunehmend heißer
wird, weil das Zentralgestirn nun seitlich aufgegangen ist und
das Plumpsklo durch das herzförmige Fenster zunehmend
beleuchtet.
Wenn ich es richtig sehe, ist dort neben der Tür ein Schriftzug
eingraviert.
Warte mal, warte mal, ist sehr undeutlich, krakelig, wie mit einem Nagel eingeritzt. Wenn ich es recht lesen kann steht
dort: «Ich will hier raus!«
Merkwürdig - ich muss mich besinnen, besinnen. Eine Lösung muss gefunden werden, mir ist, als hätte ich diese sozusagen schon in mir, ich müsste sie nur wieder erinnern.
Also weiter, weiter. Ach ja, die Küche …
Kurz, die Fundsachen führten zur ersten warmen Mahlzeit.
Nachdem die Reflektorschüssel umgekehrt auf dem
Atomofen platziert war, konnte ich in Ruhe ein Stück, welches ich aus dem Bein der Mondkuh herausgeschnitten hatte,
weich kochen und es hatte, vielleicht durch die lange Lagerzeit, vielleicht durch die Weltraumkälte oder wegen meines
großen Appetits einen vorzüglichen Geschmack, machte nur
etwas durstig.
Daher wagte ich einen etwas längeren Ausflug das Seil entlang, welches einige Kilometer hinausragte, und fand zu meiner großen Freude, tatsächlich ein nicht unbeträchtliches
Stück Kometenschweif, welches aus rein kristallinem Wasser
bestand. Somit war vorerst mein Überleben gesichert und
meine Stimmung stieg beträchtlich.
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Ich verbrachte die nächsten Standartstunden damit, die Rakete auszubessern und auf einen ruhigeren Kurs zu bringen,
der weniger Übelkeit erzeugen würde.
Das stellte sich als gar nicht so einfach heraus, denn das Seil
am Ende der Rakete taumelte in einer Wellenbewegung hinter
der Rakete her und zog deren Ende jeweils in einer Schwingung mit sich.
Mir blieb nichts anderes übrig, als nochmals hinaus zu klettern und nach geeigneten Gegenständen zu suchen, die mir
behilflich sein könnten, fand jedoch nur einen Dosenöffner
und einen Raum-Zeit-Kreisel, der jedoch leicht beschädigt
war. Dennoch, irgend einem inneren Impuls gehorchend,
nahm ich beides mit in die Rakete und verstaute sie erst einmal unter dem Bett.
Kaum war die erste Hürde im Kampf ums Überleben genommen und die Aussicht, zumindest mehrere Standarttage
zu überleben gestiegen, so zeigte sich ein weiterer, größerer
und weitaus schrecklicherer Feind, eine immaterielle Chimere,
die Langeweile.
Nicht wenige Raumfahrer sind ihr erlegen. Man nennt sie
auch kurz: DIE Krankheit, meint jedoch genauer die »Somnolentia stupentia monotona« wie sie in Fachkreisen heißt,
die bohrende Langeweile.
Der Grund dafür ist, wie jeder ausreichend Belernte weiß, die
Tatsache, dass der Weltraum vor allem leer ist.
Gerne schaut man beim Vorbeifliegen einmal auf eine Spiralgalaxie oder lässt sich von den fantastischen Leuchtbildern eines Sternennebels inspirieren, winkt einer vorbeifliegenden
Rakete zu oder ergötzt sich an den wilden Farben einer
Supernova. Dazwischen jedoch ist man vor allem tage-, monate- und jahrelangem ödem Nichts ausgesetzt.
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Es ist schon vorgekommen, dass die Besatzung einer Rakete
nach langem, ereignislosem Flug beim plötzlichen Anblick einer explodierenden Galaxie alle zusammen zum selben
Fenster eilten, um sich dies Ereignis anzuschauen und die Rakete dadurch ein derartiges Übergewicht nach einer Seite bekommen hat, so dass sie aus der Bahn und unkontrollierbar
ins Trudeln geriet und das Ziel verfehlte.
Dieser Gedanke brachte mich auf eine Idee!
Wenn ich mich beim Schlingern der Rakete jeweils zur entgegengesetzten Seite abstieß, so musste ich langfristig dem Impuls einen Gegenimpuls entgegensetzen, wodurch sich die
Schwingung vielleicht etwas verringern ließ.
Das erwies sich nun in dreifacher Hinsicht als ein löblicher
Einfall. Erstens beseitigte er für längere Zeit meine Langeweile, weil ich nun damit beschäftigt war, mich im richtigen Moment von der Innenwand der Rakete zur Gegenseite abzudrücken, dort angekommen den Moment der Gegenbewegung abwartete, um mich wieder zurück zu stoßen, was in der
Schwerelosigkeit kein sonderliches Problem darstellt, zumindest, wenn man acht gibt, sich nicht den Kopf zu stoßen,
wenn man ankommt. Und zweitens verringerte es tatsächlich
mit der Zeit die Schlingerbewegung beträchtlich, ja schließlich
kann ich sogar sagen, dass die Rakete einen gemächlichen,
leicht wiegenden Kurs annahm, was ungefähr der ruhigen
Schaukelbewegung einer Babywiege entsprach und mich auch
gefühlsmäßig sehr beruhigte. Außerdem konnte ich mit
großer Freude feststellten, dass dadurch Kreislauf und Muskulatur in Hochform gebracht wurden, wenngleich dies den
Appetit derart steigerte, dass meine Vorräte an Mondkuhbein beträchtlich schrumpften.
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Kurzum, nach wenigen Wochen war ich körperlich und geistig in Hochform.
Ich fuhr sogar mit dieser Übung fort, nachdem sie eigentlich
gar nicht mehr nötig gewesen wäre, nur dass ich jetzt darauf
achten musste, die Heckausschläge der Rakete gleichmäßig zu
halten, um nicht zu einer neuerlichen Verschlechterung der
Situation beizutragen.
Es stellte sich sogar so etwas wie eine Euphorie ein, die lediglich durch die jähe Erkenntnis gedämpft wurde, dass, auch
durch meine erhöhte körperliche Aktivität, der Sauerstoffverbrauch in der Rakete drastisch zugenommen hatte, und die
Vorräte drohten vorzeitig zu Ende zu gehen.
Hier überkam mich wieder ein finsterer Groll und eine herbe
Enttäuschung bei der Erkenntnis, dass die vorgehaltenen Sauerstoffvorräte ohnehin durch den Konzern so knapp gehalten
worden waren, dass der Verdacht in mir aufkeimte, meine
ganze gewonnene Reise sei nichts anderes als ein übler Scherz
gewesen und in Wirklichkeit als ein Experiment ohne Wiederkehr geplant worden.
Immer wieder war ich auch gezwungen, lose gewordene
Schrauben und Nieten in der Vertäfelung des Innenraumes
der Rakete zu befestigen, die offenbar mehr als schlampig angebracht worden waren.
Dies brachte mich langsam in einen Zustand tiefer Depression und ich begann, unter Schlaflosigkeit und Grübelneigung
zu leiden.
So spekulierte ich völlig sinnlos über das Wesen der Zeit.
Wir hatten ja das merkwürdige Verhalten der Zeit im Weltraum reichlich im Fach »Zeitgeschichte« unterrichtet bekommen.
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Zudem waren wir über den Irrtum aufgeklärt worden, den
frühere Wissenschaftler aufgrund der Irrlehren eines Philosophen und Physikers namens Einstein aufgesessen waren, Zeit
und Raum seien in sich verschränkte Dimensionen und noch
absurder, das Licht bewege sich immer mit einer maximalen
Geschwindigkeit von 300.000 km /sec. (Standardzeit), gleich
in welcher Richtung und so weiter und so fort. Nun, später
wurden derart defätistische Gedanken als Volks- und Raumverdummung unter Strafe gestellt.
Einige ganz Unbelernbare wurden sogar einer strengen Desensibilisierungsbehandlung unterzogen, indem sie ganze
Normalmonate in einem leeren Raum gesperrt wurden, wo
als einziges Utensil nur ein Stein vorhanden war, den sie betrachten mussten.
Aber das waren Ausnahmen, die ausgeklügelte Cerebralarchitektur ließ derartige Aberrationen zum Glück meist nicht zu.
Dabei weiß doch nun jeder, dass nicht das Licht sich bewegt,
sondern die Zeit.
Genaugenommen ist das Licht stets und überall zugleich, sofern es einmal leuchtet.
Anders ausgedrückt, wenn ich aus dem Fenster meiner Rakete mit der Taschenlampe leuchten würde, so ist dieses Licht
im selben Moment am hintersten Punkt des Weltraumhorizonts existent und nur die Tatsache, dass die Zeit sich in einer
torsionsschraubenartigen Bewegung (Torsionshyperbolit) befindet, lässt den Eindruck entstehen, dass das Licht Zeit benötigt, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.
Anders ausgedrückt, der Moment, in dem ich mit der Taschenlampe aus dem Fenster winke, ist bereits im nächsten
Moment Vergangenheit. Das Licht kommt also in der
Zukunft an und dies umso später, je größer die Torsionsrotation der Zeit ist. Die wiederum ist um so größer, je weiter die
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Lichtquelle vom Empfänger entfernt ist und je näher sich dieser am Zeithorizont befindet.
Ich stelle mir die Zeit immer wie die Oberfläche eines Donuts vor (Das ist die Form, wie Gurken wachsen). Die
krümmt sich in sich selbst, um an der Rückseite in umgekehrter Richtung wieder auf sich selbst zu treffen, worauf das
Spiel aufs Neue beginnt, so dass sich mehrere umgekehrte
Zeitebenen wie ein Sandwich überlagern, ohne dass die, die
sich auf der einen Ebene befinden, die, die sich auf der umgekehrten Ebene befinden, wahrnehmen können, weil diese
ja in der vergangenen Zukunft sind und die Ersteren in der
zukünftigen Vergangenheit.
In der Mitte, also im Loch des Donuts, befindet sich der Zeitstrudel und das ist der Grund, warum große Flächen im All
leer erscheinen, was sie wohl auch sind, weil, wo keine Zeit
fließt, da findet auch kein Ereignis statt, und wo kein Ereignis
stattfindet, da ist eben auch nichts und niemand.
So ähnlich waren wohl die Zusammenhänge, wenngleich ich
immer wieder zugeben muss, dass ich manches nicht ganz
durchschaut habe, aber dennoch ein Gefühl für die Zusammenhänge entwickelt habe, was mich noch nie betrogen
hat.
Schließlich brachte mich diese ganze sinnlose Grübelei dazu,
den Raum-Zeit-Kreisel unter meinem Bett hervor zu kramen
und näher zu inspizieren.
Der Raum-Zeit-Kreisel ist meist lustig bemalt und wenn man
ihn von oben durch einen Knopf, der an einer gedrehten
Stange befestigt ist, antreibt, so gibt er lustige Töne von sich.
Soweit ich mich erinnerte, wurde er benutzt, um die örtliche
Zeit in erhöhte Rotation zu versetzen, was die Geschwindigkeit eines Raumschiffes beträchtlich steigern konnte, sofern
man ihn mit dem Antrieb verband. Wenn sich nämlich bei
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gleichbleibender Geschwindigkeit die Zeit beschleunigt, so erhöht sich für Außenstehende die Geschwindigkeit des Raumschiffes und es legt virtuell größere Strecken pro Zeiteinheit
zurück. Das ist bei Langstreckenflügen sehr nützlich.
Hinderlich ist jedoch nur, dass der Knopf mit gleichbleibender Geschwindigkeit immer wieder in den Kreisel gesenkt
werden muss, was bei zunehmender Zeitbeschleunigung ein
ungeheures Fingerspitzengefühl erfordert und nur nach langjähriger Ausbildung gelingt. Daher werden Raum-Zeit-Kreisel
nur von Spezialisten, den Rotoren, bedient.
Dieser hier jedoch hatte eine deutliche Beschädigung, wie ich
leider feststellen musste, an der Ummantelung, und sogar
einen kleinen Sprung im Fuß, auch war der Antriebswendel
etwas verbogen und ließ sich nur schwer bewegen.
Ich legte ihn also nach kurzer Inspektion enttäuscht zurück
unter das Bett.
Im Folgenden schwankte ich zwischen immer kürzer werdenden Phasen der Euphorie und immer länger werdenden Phasen der Agonie.
Das wäre wahrscheinlich bis zum endgültigen Verbrauch meiner Sauerstoffvorräte so weiter gegangen, hätte mich nicht
ganz offensichtlich eine Polizeipatrouille auf dem Radarschirm entdeckt, was bei der zunehmenden Größe meiner
Sammlung, die ich hinter mir herzog, zu immer deutlicheren
Radarflecken geführt hatte, die schließlich selbst dem schläfrigsten Polizisten nicht mehr entgehen konnten.
Es dauerte nicht länger als 20 Normaltage, bis ich einen eindeutigen und ebenso bestimmten Funkspruch auffing, ich
solle mich innerhalb von 20 Normalsekunden zu erkennen
geben, meinen Gencode, den Genehmigungsausweis zum
Müllsammeln übermitteln oder ich würde unverzüglich festgesetzt oder sogar beschossen.
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Aus dem kleinen Fenster meiner Rakete konnte ich das
gewaltige Polizeipatrouillenschiff schräg vor mir einigermaßen erblicken, wenn ich die Gardine beiseite schob, die vor
schädlichen Strahlen schützen sollte.
Es lag groß und gewaltig im Raum, oben blinkte ein Blaulicht
und vorne die Leuchtanzeige mit der Polizeikelle, die in einer
dreidimensionalen Projektion auf und abgeschwenkt wurde.Kein Zweifel, ein Patrouillenboot des Sternenkonsortiums,
dem auch unser Konzern angehörte.
Nun war guter Rat teuer. Ich verstand erst gar nicht, was der
Anlass war, sondern hoffte einfach auf Rettung.
Den Gencode zu übermitteln, war reine Routine, also meldete ich ihn ordnungsgemäß.
Allerdings war die unerwartete Antwort ein Schuss vor den
Bug, was unglücklicherweise das Schleppseil zerriss, so dass
es mit all meinen Schätzen davon segelte. Entsetzt schaute ich
den davon trudelnden Kleinodien nach, die doch mein Überleben sichern sollten.
Das sollte nun also das Ende meiner einsamen Reise sein?
Ich funkte in meiner Not noch ein: »Hey, was soll das? Ich
bin schiffbrüchig!«, doch als Antwort kam über den Lautsprecher zu meiner Überraschung ein hässliches, rauhes kehliges
Gelächter.
Gleich darauf wurde zu meinem Entsetzen die Fahne des
Sternenkonsortiums am vor mir schwebenden Polizeischiff
eingeholt und statt dessen eine rote Flagge mit dem Gesicht
des im gesamten Weltraum von Alpha Beta bis Zentauri gefürchteten und verrufenen Freibeuters »Wilfried Wikinger«
gehisst, der auf den Projektoren so grässlich mit den Augen
rollte, dass es so manchem Gekaperten den Angstschweiß in
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derartigen Strömen in den Raumanzug trieb, dass er zu ertrinken drohte.
*
39
6. Kapitel
Warte mal ...!
Ach, diese Hitze wird langsam unerträglich ... Beta Zaneta
brennt mir noch langsam ein Loch ins Hirn.
Das Innere meines ungemütlichen Gefängnisses beginnt sich
langsam zu erhellen.
Ja, jetzt sind nicht nur die Schriftzüge von vorhin gut zu erkennen, nein, dort steht noch viel mehr, wenn ich recht sehe,
ist die ganze Tür über und über mit Krakeleien versehen, die
teilweise in den Rillen der Holzmaserung zu bruchhaften Linien abbrechen.
Was steht hier?
»Ich denke ... also bin ich; … Ich dachte … also war ich ...;
Ich werde denken ... ach verflucht! Ich will einfach nur hier
raus!«
Merkwürdig!
Und da! »Bin ich du's oder … bist du ich's?«
Und dort ... »... wieder da ... dadadada ...«
Ich kaue ratlos auf meinen Lippen herum. Irgendwas kommt
mir hier verdächtig bekannt vor.
Denken, denken, denken!
Pu, ich muss mich erinnern, an was muss ich mich nur erinnern?
Warte mal ... ach, Willy Wikinger ...!
Das war ganz gewiss der Untergang, das Ende, glaubte ich
damals. Wäre es das nur gewesen. Mir gingen die Gerüchte
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durch den Kopf, die man sich in Raumfahrerkreisen hinter
vorgehaltener Hand in den Kantinen zuraunte. Nicht zu laut
natürlich, denn es war absolut verboten, SEINEN Namen
auch nur auszusprechen, denn ER lag auf der Lauer und ER
war außerhalb jeder Ordnung und jeden wirtschaftlichen
Nutzens.
Auch stritt man von offizieller Seite energisch ab, dass ER
überhaupt existierte, sondern ER sei eine einfache Erfindung
der verhassten Konkurrenz, diesen Genverbiegern und Plagiatisten und entspringe überhaupt nur der Fantasie.
Dennoch hielt sich das Geraune über IHN, ja es gab sogar
böswillige Kreaturen, die eigentlich zur Sabotage konzernferner Populationen in schäbigen Winkeln der Galaxie geschaffen worden waren, um dort für Aufruhr und Zwist zu
sorgen, die sich zu SEINER Anhängerschaft zählten.
Derartige Elemente wurden natürlich sofort aus dem Verkehr
gezogen und rekreiert.
Man erzählte sich, dass sich in den Schiffen von Willy Wikinger große brodelnde Bottiche mit Neutralisationslösung befanden, in die Gefangene geworfen wurden, um Aminosäure
aus ihnen zu gewinnen, die die Mannschaft des Freibeuters
später zu allerlei Delikatessen verarbeitete und verspeiste.
Überhaupt musste der Freibeuter über eine Mannschaft
übelsten Leumundes herrschen, so wie ein blindwürtiger Tyrann vom Oligarchennebel, das ist direkt gegenüber der Karl
Galaxie, mag mans glauben oder nicht, es soll sogar eine
geheime Verbindung zwischen beiden Systemen bestehen.
Der dortige Herrscher der Revoltarier ist bekannt dafür, dass
er einige seiner Untertanen verspeist, nachdem sie ihm des
Mittabends ein Liedchen vorgesungen haben, um ihn zu be-
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sänftigen. Er soll schon einmal nahezu sein ganzes Volk verzehrt haben, nachdem ihm ein Ton falsch aufgestoßen war!
Gerüchte …, aber dass Willy Wikinger offenbar einen florierenden Handel mit den Schwarzmarkthändlern auf Mercator
betrieb, natürlich steuerfrei, schien von mehreren Quellen belegt!
Ich harrte also zitternd der Dinge, die da kommen sollten
und machte mich auf das Schlimmste gefasst. Das Zittern
kam jedoch nicht allein von der Angst, die mich ergriffen hatte, sondern das gesamte Raumschiff zitterte mit mir, so als
empfinde es ebenso wie ich, außerdem wurde es empfindlich
kalt mit einem Male. Da hörte ich ein quietschendes Geräusch und das Zuschlagen eines großen Metalltores, das Zittern meiner Rakete hörte schlagartig auf und ich spürte einen
dumpfen Stoß, als sie offensichtlich aus geringer Höhe auf
dem Boden aufschlug.
Es war stockfinster um mich herum! Durch das kleine Sichtfenster der Rakete flutete eine Schwärze, die finsterer war als
der Rachen des dunkelsten Nerofisches auf dem Planeten
Aquarium. Dieser soll das tiefste Schwarz der gesamten Galaxis ausstrahlen, weshalb er physikalisch auch als Schwarzstrahler benutzt wird, um daran die Schwärze der schwarzen
Löcher zum Zwecke der Katalogisierung und Typisierung zu
eichen.
Es ist nur ein wenig schwierig, ihn zu finden. Da er so unergründlich schwarz ist, verfehlt man ihn leicht, weil man ihn
nicht sieht oder was noch schlechter ist, landet in seinem Rachen und wird verspeist.
Ich brauchte indes nicht lange zu warten, als ich mit einem
Mal Geräusche von Schritten vernahm …
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Tapp, klack, tapp, klack, tapp, klack, die sich unter gleichzeitigen unverständlichen Gebrummel und Gemurmel näherten.
Kurz darauf hörte ich das Klicken eines Schalters und ich sah
durch meine geschlossenen Augenlider einen schwachen
Lichtschein, der umso heller wurde, je mehr ich meine Augen
zu öffnen vermochte, denn diese hatten einen schweren Lidkrampf, der nur langsam nachließ. Es war danach auch nicht
mehr ganz so dunkel wie vorher und ich machte einen tiefen
Atemzug, den ich auch dringend nötig hatte, da ich offenbar
die ganze Zeit vergessen hatte, weiter zu atmen, und deshalb
wohl kurzzeitig ohnmächtig geworden war.
Ich lauschte angestrengt in die nun nicht mehr so dunkle
Dunkelheit. Das Tapsen und Klackern war nun unmittelbar
neben der Rakete und ich hörte, wie jemand mit einem tiefen
Bass etwas murmelte.
Dann ertönte ein dumpfes Klopfen an der Rakete, mal hier.
'Tapp, klack, tapp, klack,' mal dort, 'tapp, klack....klack tapp'.
Danach ein missmutiges Schnauben, gefolgt von einem Schaben an der karbonfaserverstärkten Außenhaut der Rakete.
»Heda!«, grölte eine rauhe, knarrende Stimme, »ist da jemand in dieser Blechdose?«
Heftiges Klopfen direkt hinter mir. 'Tapp, klack, tapp ...
klack'.
Dann verdunkelte sich das Sichtfenster und ein Auge wurde sichtbar ... genauer gesagt, eine Art Gesicht mit wilden,
verklebten Fell und einem rot unterlaufenen Auge, das in die
Rakete lukte.
Dann wildes, wieherndes Gelächter … »Hahahahahha, was
haben wir denn da?«
Das Monster schüttelte sich vor Lachen.
»He, du da, meinst du, ich hätte dich nicht gesehen, hahahahm, nein, so was Komisches!«
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Wenn er mich entdeckte hatte, dann war es aus mit mir!
Ich verhielt mich reglos, genauso wie ich es in der Anleitung »1-25 exo. Univ.« gelernt und mehrfach im Simulator für
ungewollte exoterrestrische Begegnungen geübt hatte. »Stillhalten, Augen gesenkt halten, flache, fast unmerklich Bauchatmung, regungslos abwarten.«
Derweil begann das Monster, denn so etwas musste es wohl
sein, wütend an die Rakete zu trommeln.
»Hällst mich wohl für blöd! - Was ? - Willst mich wohl verschaukeln? -Was? Willst Willy Wikinger auf den Arm nehmen
- wie? Ha, haha, hahahah. Freundchen! Glaubst wohl, ich seh
dich nicht da unter deinem Tischchen!« Er brach in wieherndes Gelächter aus.
»Hahahah, sitzt da unter dem Tischchen und macht sich in
die Hosen ... hahah.«
Dann wieder wütendes Klopfen an der Rakete. »He, Früchtchen, soll ich dich erst rausschälen aus deiner verbogenen
Röhre – was?« 'tapp -klack, tapp, klack.'
»Hahaha, sitzt da unter dem Tisch und schlottert, hat man da
noch Töne?« Es folgte ein unverständliches Gemurmel. »Ach
was, soll er verrotten, das Bürschchen!« Die Schritte entfernten sich. Das Geräusch eines Schalters, eine Tür krachte zu
und es wurde wieder dunkel und still.
Ich wartete ängstlich noch eine Weile, bevor ich mich unter
dem Tisch hervorwagte.
Das war noch einmal gut gegangen, aber was sollte ich nun
tun? Da sich aus irgendeinem Grunde kein Licht mehr anschalten ließ, tastete ich halbblind durch das Dunkel der Rakete nach einer Kerze. Dabei stieß ich mir mehrfach schmerz-
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haft das Bein oder stolperte über Gegenstände, die verstreut
auf dem Boden lagen.
Nachdem ich es müde war, nochmals wieder aufzustehen,
nachdem ich zum hundertsten Male ausgerutscht war und
mir bereits Schulter, Scheinbeine und Kopf schmerzten, grübelte ich über die merkwürdige Erscheinung des Freibeuters
nach. Am aller merkwürdigsten fand ich die Tatsache, dass er
offenbar ein verfilztes, zotteliges, rötliches Fell im Gesicht
hatte, zumindest an Kinn, Backen und oben auf dem Kopf.
Um einen Humogenen, so wie ich, konnte es sich also nicht
handeln.
Immerhin sprach er die Universalsprache, wenn auch mit einem primitiven Akzent, so wie die Analphabetiker aus dem
Sternbild Konfusius, das ist direkt hinter dem Mond rechts
oder die Konfabulatoren aus dem Pharisähernebel.
Sie haben ihre Mundöffnung am After und stoßen beim Sprechen merkwürdige Pfurzlaute aus, so dass sie nur mit Mühe
zu verstehen sind.
Zum Glück benötigte man keinen Translator, um Willy Wikinger zu verstehen, denn bei meinem fehlten die Batterien
und er war nicht zu gebrauchen, was die Situation erschwert
hätte.
Mir fiel wieder ein, dass die primitiven Vormenschen, solange
sie auf der Erde gezüchtet wurden, ebenfalls ein Fell trugen,
welches Haare genannte wurde. Das war, bevor die genetische
Reduplikation der ungeordneten Genpaarung mit all ihren
Fehlern und Aberrationen durch eine wissenschaftliche Vermehrung ersetzt wurde.
Die Haare wuchsen an den verrücktesten Stellen, unter den
Achseln, um den Po, in den Ohren, den Nasenöffnungen, auf
den Schultern, ja sogar am Rücken und an den Beinen oder
an den Geschlechtsdrüsen, wo sie insgesamt wenig Sinn ma-
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chen und am aller lustigsten sogar am Kopf, das stelle man
sich nur einmal vor! Immerhin mussten sie schon von unseren Vorläufern als so störend empfunden worden sein, dass
sie mit allerlei Methoden versuchten, sich dieser Last zu entledigen, indem sie sie ausrissen, wozu sie Wachs benutzten, sie
mit Messern, Scheren oder anderen primitiven Werkzeugen
bearbeiteten, meist mit unzureichendem Erfolg. Sie wuchsen
wie Unkraut immer wieder nach oder sie versuchten, sie mittels moderner Lasertechnik zu zerstören.
Sie müssen so sehr unter diesen Auswüchsen gelitten haben,
dass sich ganze Berufsgruppen, ja sogar Wissenschaftler, um
dieses Problem kümmerten und sie möglicherweise zu sonst
kaum etwas anderem mehr Zeit hatten. Zuletzt war es auch
ein hygienisches Problem, welches schließlich derart drängend wurde, dass in den letzten Zeiträumen vor der »Wende«
ganze Populationen dahingerafft wurden. Soweit ich weiß, lag
das daran, dass Haare ständig gesäubert und mit stinkenden
Substanzen parfümiert werden mussten, wollte man verhindern, dass sich Ungeziefer darin ausbreitet.
Da durch die ungeordnete Vermehrung der Menschlichen der
zur Verfügung stehende Raum auf der Erde schließlich so
klein wurde, dass per Verordnung auf jedem Quadratmeter
nicht mehr als 3 Menschen leben durften, verbreitete sich die
Kopflaus, die ja in den Fellen und Haaren der primitiven Säugetiere lebt, derart rapide, dass die Pediculatoren eingreifen
mussten.
Denn sie wurden nicht nur mehr und immer größer, sie wurden auch mangels der Fressfeinde immer gefräßiger und begannen schließlich sogar Nasen und Ohren anzunagen.
Das war wohl der Grund, warum die Seuchenbehörde und
die Pediculatoren beschlossen, Ganzkörperbestrahlungen
durchzuführen, was leider gegen die Läuse wenig nutzte, je-
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doch die Vormenschlichen derartig dezimierte und zu den
merkwürdigsten Aberrationen führte, dass man beschloss,
Haare genetisch ganz weg zu mendeln, so dass das Erscheinungsbild der Vormenschlichem dem der heutigen Humogenen schon wesentlich mehr glich.
Da auch die Kopflaus aufgrund der Bestrahlung zu vermehrten Mutationen neigte und einen plötzlichen evolutionären
Schub erfuhr, so dass sie schließlich derartig intelligent wurde,
dass sie beschloss, auszuwandern und eine eigene Kolonie im
All gründete, endete das Debakel noch einmal glimpflich und
zu allgemeiner Erleichterung positiv auch für die Läuse.
Heute leben sie, glaube ich, im Krabbelnebel und sind nicht
gut auf uns zu sprechen.
Wie dem auch sei, ich rappelte mich langsam auf und begann
meine Suche nach einer verdammten Kerze wieder aufzunehmen. Nach Kurzem stieß ich mit dem dicken Zeh schmerzhaft gegen einen schweren Gegenstand, der mit metallischem
Geräusch davon kullerte und dabei merkwürdige Laute von
sich gab. Ich zögerte und tastete im Dunkel der Rakete um
mich, bis ich das Ding in den Händen hielt. Es war wohl der
Raum-Zeit-Kreisel der unter dem Bett hervor gekullert sein
musste, als die Rakete so unsanft gekapert worden war. Gedankenverloren hantierte ich daran herum und in einem
plötzlichen Wutanfall drückte ich die Antriebsstange in den
Kreisel, wo sie schnarrend und unangenehm kreischend hineinfuhr.
Der Kreisel begann sich leicht zu drehen und die ersten Töne
einer Melodie zu spielen, bevor er quietschend und scheppernd zur Ruhe kam.
Plötzlich war das Licht im Raum wieder aufgeflammt und ich
hörte deutlich ein Klopfen und Scharren, das undeutliche Ge-
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murmel, welches unzweifelhaft von Willy Wikinger stammte
und ein hässliches, aber wohlbekanntes Lachen.
»Hahahahahha, was haben wir denn da?« Das Monster
schüttelte sich vor Lachen.
»He, du da, meinst du ich hätte dich nicht gesehen, hahahahm, nein, so was Komisches!«
Das kam mir irgendwie bekannt vor. Nur kam es eindeutig
nicht von meiner Rakete, sondern von etwas weiter seitlich
von mir.
Derweil begann er wütend an die Rakete zu trommeln.
»Hällst mich wohl für blöd! - Was ? - Willst mich wohl verschaukeln? - Was? Willst Willy Wikinger auf den Arm nehmen - wie? Ha, haha, hahahah. Freundchen! Glaubst wohl,
ich seh dich nicht da unter deinem Tischchen!« Er brach in
wieherndes Gelächter aus.
»Hahahah, sitzt da unter dem Tischchen und macht sich in
die Hosen ... hahah.«
Das kam mir nun extrem bekannt vor. Ich hinkte zu dem
Fenster meiner Rakete und versuchte mühsam, seitlich an dieser vorbei zu spähen, wobei ich mir fast die Nase platt
quetschte. Und tatsächlich ... ganz seitlich, gerade noch aus
den Augenwinkeln und der äußersten Ecke meines Fensters
zu sehen ... stand noch eine Rakete! Dann wieder wütendes
Klopfen an der Rakete. »He Früchtchen, soll ich dich erst
rausschälen aus deiner verbogenen Röhre – was?«, 'app klack, tapp, klack'. Und wenn mich nicht alles täuschte, war
das meine Rakete nochmals! Wie konnte das sein?
Ich wusste bereits, was jetzt kommen musste, und es kam
auch: »Hahaha, sitzt da unter dem Tisch und schlottert, hat
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man da noch Töne?« Es folgte ein unverständliches Gemurmel ...« Ach was, soll er verrotten, das Bürschchen!«
Die Schritte entfernten sich. Nun sah ich auch Willy Wikinger
ganz, denn die Tür auf die er zusteuerte, war nun in meinem
Blickfeld ebenso wie Teile des Raumes, in dem ich mich befand.
Wie soll ich es ausdrücken? Der Freibeuter war etwas anders,
als ich ihn mir vorgestellt hatte.
Er war untersetzt, fast quadratisch mit kurzen Beinen oder
sollte ich eher sagen mit einem Bein, denn das linke Bein war
in Höhe des Knies durch einen Metallstab mit Federmechanismus ersetzt, auf dem er herumstapfte, was das klackernde Geräusch bewirkte. 'Tap', - Schuh. - 'klack', – Krücke,
'tap – klack'.
Er trug einen merkwürdigen, dunkelroten Rock mit weißen
Spitzenbesatz an Armen und Halskrause, den er mit einem
dicken und breiten Gürtel um seinen Kugelbauch geschnürt
hatte. Wenn mich nicht alles täuschte, steckte in diesem Gürtel ein dickes Messer, etwa unterarmlang und an der anderen
Seite ein Universalsprachendecoder, denn diese Geräte sind
im ganzen Universum gleichartig.
Aus der schmuddeligen, ehemals wohl weißen Halskrause
blickte ohne jeden Ansatz von Hals oder Nacken der bepelzte
Kopf mit den rötlichen, filzigen Haaren.
Kurz bevor er die Tür erreichte hörte ich ein dumpfes
»Plopp« und die Rakete an meiner Seite war verschwunden,
oder besser gesagt, ich nahm wohl wieder deren Stelle ein,
denn mein Blickwinkel war wieder der vorherige, kurz bevor
das Licht wieder verlosch. Ich blieb wie betäubt zurück und
befand mich ganz offenbar wieder unter dem Tisch, unter
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dem ich zuvor bereits hervorgekrochen war, wenn mich nicht
alles täuschte.
Was war nun das wieder?
Ich kramte in meiner Erinnerung nach dem, was vorher geschehen war und stellte fest, dass diese langsam verblasste.
Ich konnte mich nur noch mühsam und dunkel daran erinnern, dass ich den Raum-Zeit-Kreisel versehentlich bewegt
haben musste.
Da sich aus irgendeinem Grunde kein Licht mehr anschalten
ließ, tastete ich halbblind durch das Dunkel der Rakete nach
einer Kerze. Dabei stieß ich mir mehrfach schmerzhaft das
Bein oder stolperte über Gegenstände, die verstreut auf dem
Boden lagen.
Nachdem ich es müde war, nochmals wieder aufzustehen,
weil ich zum Hundertsten Male ausgerutscht war und mir bereits Schulter, Schienbeine und Kopf schmerzten, grübelte
ich über die merkwürdige Erscheinung des Freibeuters nach.
Merkwürdigerweise hatte ich nun eine lebhafte Vorstellung
von seinem Aussehen, ohne dass ich genau sagen konnte, woher diese kam.
Hatte ich ihn denn schon einmal gesehen? Ich wusste es
nicht mehr.
Nur ein Gedanke wollte sich nicht aus meinem Gehirn vertreiben lassen. »Raum-Zeitkreisel mitnehmen!«
Nun gut, ich würde ihn schon irgendwie finden, wusste
aber nicht so recht, was ich mit dem kaputten Ding anfangen
sollte. Immerhin rappelte ich mich auf und tastete mich
weiter. Irgendwo in der Rakete musste doch die Notfallkiste
sein. Wenn ich mich recht erinnerte neben der Ultraschallbadewanne. Ach, die hatten sie ja gar nicht eingebaut, merkwürdigerweise.
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Mein Gedankenstrom wurde durch ein neuerliches Lichtanknipsen unterbrochen.
'Tapp - klack - tapp - klack' – und dann ein unverständliches
Gebrabbel, welches wie Reibeisen in einer großen Mülltonne
klang.
Dann hörte ich, wie Willy Wikinger ächzte und schnaubte,
fluchte und schimpfte, während ein schleifendes metallisches
Geräusch zu hören war. Wenig später wurde es jedoch von einem ohrenbetäubenden metallischen Kreischen übertönt, das
den gesamten Rumpf der Rakete erfasste. Zu meinem allergrößten Schrecken begannen nun vorn an der Rakete, dort
wo sie in die Spitze übergeht, Funken zu fliegen und das
Kreischen eines Motors gemischt mit dem schneidenden Geräusch im Metall war so ohrenbetäubend, dass ich vor
Schreck die Ohren zu haltend wieder unter dem Tisch verschwand.
Dann wusste ich auf einmal, was dort geschah. In das Innere
der Rakete fraß sich eine große Metallsäge! Der Freibeuter
sägte
einfach
die
Spitze
meiner
Rakete
ab.
Starr vor Entsetzen und unfähig zu irgendeiner Reaktion
schaute ich wie gelähmt dem Fortgang der Geschehnisse zu.
Schließlich beugte sich der Bug der Rakete nach außen und
fiel mit einem blechernen Krachen auf den Boden.Licht flutete in meine Rakete und im Loch, was sich nun statt einer
Spitze vorne an der Rakete befand schaute ein haariges Gesicht zu mir hinein, welches von einem grimmigen Lachen geschüttelt
wurde.
»Na ... Bürschchen, da schaust'e, was der alte Willy da
gemacht hat ... harharharharh ... was? Da guckst'e gedämpft
aus der Wäsche - harharhar ha, zum Totlachen! Komm Kleiner ... putt, putt, putt, komm zum lieben Onkel!, harharharharhah.«
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7. Kapitel
Schaurig wenn ich daran denke! Es ist, als hätte sich dieser
Moment in vielfacher Faltung in mein akustisches Gehirn eingraviert. Ich höre dieses grässliche Lachen noch immer, als
käme es von draußen.
Aber das kann nicht sein. Ich befinde mich in einer sekundären Realitätsebene oder ist es inzwischen die tertiärste, quaternerste ... Was weiß ich?
Fest steht, dass dieses hinterbayrische Plumpsklo, in das ich
mich irgendwie hineinkatapultiert habe, eine singuläre Erscheinung im All darstellen dürfte, von der ich nur hoffen
kann, dass sie lange genug anhält, um nicht wie eine platzende Seifenblase in den Normalraum zu verschwinden und ihren Inhalt, das wären dann ich, ein Haufen Fäkalien und
weitere Unannehmlichkeiten, ins Nichts des unendlichen
Weltraums zu entleeren.
Letzteres wäre insbesondere mit heruntergezogenen Hosen
und ohne fest schließende Raumkombination verheerend.
Vielleicht sollte ich vorsichtshalber den Raumanzug wieder
vollständig anziehen!
Wenn es nur nicht - so - verdammt - eng wäre hier drin!
Es ist langsam so hell hier drin, dass immer mehr Einzelheiten sichtbar werden.
Genaugenommen scheinen alle Innenwände bekrakelt zu
sein. Wenn ich richtig sehe, sogar die Sitzbank.
Das ist immerhin so merkwürdig, weil es einen Hinweis darauf geben könnte, dass vor mir schon andere hier gewesen
sein müssen!
Vielleicht ist ja dieser Ort, oder Abort, gar nicht so singulär
wie ich angenommen habe und es kreuzen sich verschiedene
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Raumzeitkoordinaten gerade an dieser Stelle. Ich glaube,
rechnerisch wäre die Wahrscheinlichkeit dafür gar nicht zu ermitteln.
Aber was heißt schon Wahrscheinlichkeit? In einem unendlich großen Weltall, mit genügender zeitlicher Faltung, ist die
Wahrscheinlichkeit, die unwahrscheinlichsten Ereignisse zu
erleben, theoretisch unendlich groß. Was aber heißen würde,
dass die Möglichkeit, einem Raumfahrer könnte im Laufe seines Lebens mehrmals dieselbe Situation zustoßen, nicht unwahrscheinlicher wäre, als beispielsweise die Geschichte, die
Demian damals zugestoßen ist.
Demian war ein Kumpel von mir, der extrem reinlich war. Er
war deshalb in der Abteilung für Putziges beschäftigt und extrem dick, da er auch Krümelreste entfernen musste, die beim
Essen übriggeblieben waren. Das waren mitunter recht beträchtliche Mengen und da er auch dazu neigte, sich möglichst ökonomisch, dass heißt gar nicht, zu bewegen, weil dabei die eingesetzte Energiemenge im Vergleich zum Verbrauch am geringsten ist, griff er erst gar nicht zum Kehrblech sondern ließ nur den Unterkiefer herunterhängen, was
in der Energiebilanz sogar positiv wirkt, weil es durch Weglassen der Muskelspannung im Mund bewirkt werden kann,
ließ sich sodann gegen die Tischplatte sinken und atmete entweder tief ein oder ließ sich die Krümel von anderen in den
Mund schaufeln.
Mit diesem Trick bekam er mehrfache Auszeichnungen für
die ökonomischste Arbeitsweise in der gesamten Charge. Allerdings muss man wissen, dass der Samenspender ein hohes
Tier in der Verwaltungshierarchie gewesen sein muss und da
sollte die Anlage zu solchem Verhalten schon irgendwie mit
vererbt werden.
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Aber nicht nur damit erreichte er ein hohes Ansehen, was
ihm später bei seiner Karriere sehr geholfen hat, sondern
auch damit, dass er besonders putzig schauen konnte, so mit
Schmusemund, herunterhängenden Backen und großen, unschuldigen Äuglein, die neben seiner kleinen Stupsnase immer wieder Anlass zu Entzücken bei den möglichen Eispenderinnen führte.
Einmal allerdings passierte etwas Entsetzliches. Demian
wurde im Laufe seiner Ausbildung zum Sternbild Leier versetzt, wo die Bewohner zu dauerhaft schlechter Laune neigten. Sie nörgelten an allem und jedem herum.
Keiner seiner neuen Mitschüler war bereit, ihm die Krümel
in den Mund zu schieben. Und gerade, als seine Rakete in
eine Raumzeitturbulenz geriet, plärrte er so heftig und so laut
über diese Bosheit, dass er die auf dem Tisch liegenden Krümel in die Ventilation blies, wo sie mit einer singulären Materieverdichtung interagierten, die eine mittlere Supernova zündete, wodurch das gesamte Sternbild der Leier ausgelöscht
wurde und noch heute dort nur unmanifestierte schlechte
Laune herrscht, so dass sich kein Raumschiff mehr dorthin
wagt aus Furcht, als Kristallisationskern für derartige Empfindungen zu wirken.
Tja – so kann es zugehen im All.
Aber genauer betrachtet sind meine Überlegungen auch nicht
logischer als wenn ich davon ausgehen würde, dass das gesamte Weltall eben aus dem hiesigen Abort entstanden wäre.
Zu dieser Überlegung neigen jedenfalls die Virtualisten, denn
sie behaupten, das gesamte Weltall leide nur unter der Illusion
seiner Existenz. Es wäre weg, wenn gerade niemand hinschauen würde.
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Der Urheber solcher Gedanken war, glaube ich, Max Planck,
ein ebenso krauses Gehirn wie der verbotene Einstein.
Er hatte sogar die witzige Idee, dass Zeit aus kleinwinzigen
Bausteinchen bestünde, die nur so winzig wären, eben klitzeklitzeklein, dass niemand sie wahrnehmen könnte, womit er
eigentlich nur die alten Griechen imitierte, die damals an die
Existenz eines Atoms glaubten, ohne je eines gesehen zu haben. Aufgrund dessen entwickelte er bezaubernde Formeln,
die alle gemeinsam hatten, dass sie wunderschön waren, man
damit alles Mögliche und Unmögliche beweisen konnte, nur
dass sie eben nicht der Wirklichkeit entsprachen.
Na ja ... Philosophie ... wer hier wohl die Wände bekrakelt
hat?
Und hier ist sogar ein Herzchen mit schrägen Pfeil durch. Da
steht wohl auch was drüber …
Ribor liebt Cynthi!
Kann nicht sein ... so ein Zufall ... Ribor liebt Cynthi ...
Müssen wohl noch mehr Humogene so heißen wie ich.
Genaugenommen heiße ich 'Ribor Raskovnik H 32-A-05546H/univ.35Gte./clon201.typ34a, wobei 'Raskovnik' eigentlich ein unüblicher Namenszusatz ist, eine Laune einer
unserer Züchter, der für seine Verschrobenheit bekannt war,
weil er Geschichte primitiver Kulturen studiert hatte und ein
Anhänger alter Romane war. Er soll sogar eine komplette
Ausgabe von »In Hauspantoffeln durch den Weltraum« besessen haben, in gebundener Ausgabe aus einem Material, das
aus Bäumen irdischer Urwaldbäume gewonnen wurde. Sie
muss ein Vermögen gekostet haben, denn es sind immerhin
über 2000 Bände.
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Er gab jedem unserer Kohorte einen Zusatznahmen. Dies
wurde zuerst nur als Scherz aufgefasst und war von seinen
Vorgesetzten gar nicht gerne gesehen. Aber es bürgerte sich
so ein und schließlich war es auch schneller auszusprechen als
der gesamte Namen.
Und hier, schau mal da, hat jemand eine lange Reihe Striche
in den Türpfosten geritzt. Was steht da drüber? »Wieder da!«
und da unten: »Schon wieder da!« und ganz unten: »Verdammte Hacke !«
Vier senkrechte Striche drunter.
Wer besucht denn so oft ein Plumpsklo im All? Wird verdammt heiß hier drin, beginne zu schwitzen.
Willy Wikinger, da war doch noch was? Wieso muss ich immer an den Freibeuter denken?
Er hatte nicht gerade viel Geduld mit mir. Kaum hatte sich
sein raues und spöttisches Gelächter gelegt, da brüllte er
schon grimmig: »Komm raus da, du elender Wurm oder soll
ich dich aus deiner Konservendose raus schütteln?«
Das Gesicht verschwand wieder und das Kreischen der Metallsäge begann wieder gefolgt von dem bekannten Geräusch
zerschnittenen Metalls. Von neuem stieben gelbe und blaue
Funken in die Rakete, als die Säge sich ein weiteres Mal durch
die Bordwand fräste, diesmal ein bedeutendes Stück näher als
vorher. Es dauerte gar nicht lange, da fiel wieder ein Segment
der Rakete auf den Boden und das Loch war bedeutend größer als vorher.
Meine Gedanken rasten. An Entkommen war nicht mehr zu
denken. Meine Rakete war unbrauchbar geworden, gestrandet
auf einem gekaperten Polizeiraumer, denn so etwas war dies
hier wohl.
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Als sich wieder Willys Kopf in der Öffnung zeigte, war diese
so groß, dass er bereits hindurchgepasst hätte.
»Buh!!« machte Willy plötzlich und lachte hämisch. Ich nehme an, ich wurde bewusstlos.
Jedenfalls wachte ich auf mit dem unangenehmen Gefühl,
über rauen Boden gezogen zu werden und als ich die Augen
aufschlug, stellte ich fest, dass das genau der Realität entsprach. Der Freibeuter hatte mich an den Beinen mit einem
Strick zusammengebunden und zog mich hinter sich her.
Ich konnte gerade noch die Reste meiner Rakete entdecken,
in deren Mitte ein kreisrundes Loch gesägt war, bevor sie hinter einer Ecke meinen Blicken entschwand. Obwohl mein
Rücken brannte, als sei dort nur noch rohes Fleisch, zog ich
es vor, keinen Laut von mir zu geben.
Ich polterte durch lange Gänge, die mit den unterschiedlichsten Gerätschaften ausgestattet waren, Rettungsankern, Nebelkerzen, die man als Notbeleuchtung vorn am Raumschiff anbringen konnte, wenn man durch einen Sternennebel flog,
der die Sicht behinderte, und ähnlichen Notfallgegenständen.
Dann wurde ich eine verrostete Treppe runtergezogen, wobei
mein Kopf bei jeder Stufe schmerzhaft aufschlug.
Während dessen brummelte, schimpfte und spuckte der Pirat
unentwegt, tackerte mit seinem Ersatzbein auf den Boden,
klack- tap –klack –tap, erreichte jedoch trotz dieser Behinderung ein erstaunliches Tempo.
Nach endloser Zeit hielt er schließlich an einer großen Metalltür, die mit einem quietschenden Geräusch ungeölter Türangeln aufgestoßen wurde und in einen stickigen, feuchten
Raum führte. Dort hinein schleifte er mich, ließ mich achtlos
fallen und verließ den Raum. Das Tap–klack der sich entfernenden Schritte vernahm ich noch eine ganze Zeit lang, denn
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sie schienen im gesamten Metallgehäuse des Schiffes wieder
zu hallen, bis es plötzlich verklang.
Dann war es ruhig bis auf das Singen und Klingen in meinem
Kopf, der höllisch schmerzte und das brennende Gefühl in
meinem Rücken noch weit übertraf.
Nein, es war gar nicht ruhig!
Nachdem nach einiger Zeit meine Benommenheit langsam
nachließ und das Summen und Dröhnen in meinem Kopf
mehr dem leisen Sirren von drucklagergedämpften Ventilatorengeräuschen ähnelte, hörte ich eindeutige schnaufende
Atemgeräusche, zwar sehr leise und auch nicht in unmittelbarer Nähe, aber dennoch unzweifelhaft vorhanden. Ich lauschte in die Dunkelheit. Mal kam ein Schnaufen von links, mal
weiter von rechts, mal schien es aus einer gegenüber liegenden Ecke zu kommen. Im Laufe der Zeit konnte ich vier verschiedene Schnaufgeräusche unterscheiden, zwei zu meiner
linken und zwei weitere, entferntere.
Vor Schreck hielt ich den Atem an und versuchte, in der
Dunkelheit irgendetwas zu erkennen. Vergeblich. War ich mit
irgendwelchen Tieren zusammen gesperrt? Möglicherweise
auch mit fleischfressenden Pflanzen?
Man munkelte, dass die Raubkartoffel (solanum tuberosum
krokodilensis) aus einem Versuchsgehege entwichen sei und
sich nun in manchen Teilen des bewohnten Universums seuchenartig ausgebreitet habe. Sie haust vor allem in Lüftungsschächten und Kanalisationen.
Diese Züchtung war ein Versuch, den Kartoffeldiebstahl zu
verhindern. Auf manchen Planeten mit besonders mineralhaltiger Krume erwiesen sich Kartoffeln als unglaublich problemlose Nahrungspflanzen, war es erst einmal gelungen, sie
im Boden zu halten und ausreichend zu wässern.
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Die Kartoffel lässt sich ja nur ungerne versenken. Sie neigt
dazu, dem Pflanzer aus den Händen zu springen und über
das Feld zu flüchten, was auf Planeten mit geringer Schwerkraft zu absonderlichen Sprüngen führen kann. Die Kartoffel
schwingt sich dabei mit dem Kraut vom Boden hoch, um
dann irgendwo wieder zu Boden zu fallen.
Selbstverständlich sind Kartoffeln nicht besonders klug, ja,
man könnte sagen, je klüger der Bauer, desto dümmer die
Kartoffel. Sie flüchten oft in panischer Angst zu Dutzenden
blindlings irgendwohin, um sich dann wieder einsammeln zu
lassen, weil sie beim Wiederauftreffen auf dem Boden bereits
wieder vergessen zu haben scheinen, warum sie geflüchtet
sind. Dann lassen sie sich mühelos zurücktragen. Sichten sie
aber von neuem ein Pflanzloch, dann geht das Spiel wieder
von vorne los.
Deshalb ist man gut beraten, den Kartoffeln die Augen zu
verbinden, bevor man sie einpflanzt. Sind sie erst einmal mit
Erde bedeckt und mit Wasser begossen, so verwandeln sie
sich in sehr anhängliche und angenehme Pflanzen, deren
Früchte man problemlos einsammeln kann. Sie sind je nach
Bodenbeschaffenheit aromatisch salzig oder süßlich. Nur in
der Nähe schwefelhaltiger Vulkane sind sie ungenießbar,
wachsen dort aber zu prächtigen Pflanzen heran, die später
als Zuchtkartoffeln beliebt sind.
Leider hatte sich bei Raumfahrern eingebürgert, sie als willkommene Zwischenverpflegung einzusammeln, was insbesondere bei intergalaktischen Flügen zu einer angenehmen
Abwechslung auf dem Speiseplan führt. Dadurch waren die
Kartoffelanbauern mit der Zeit so verärgert und auch geschädigt, dass sie beschlossen, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen.
Da sie jedoch unmöglich alle Kartoffelfelder aller bebauter
Planeten und Trabanten kontrollieren konnten, wurde ein
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Forschungsauftrag an das Institut für Kartoffelanbau und
Schädlingsbekämpfung vergeben, wo man auf die glänzende
Idee kam, die Kartoffel mit einem Krokodil zu kreuzen, damit es zubeißt, wenn es gepflückt wird. Das gelang zum allgemeinen Erstaunen auch recht leicht, führte nur leider zu der
schon erwähnten bissigen und nicht ganz ungefährlichen
Kartoffelsorte. Sie war unverkäuflich, denn sie neigte dazu,
beim Einpflanzen nicht nur wegzulaufen, sondern auch gleich
kräftig in die Finger zu beißen. Der Biss ist an sich nicht
groß, jedoch äußerst schmerzhaft und neigt zu lange schwelenden Entzündungen an der Bissstelle, weil sich die Kartoffel natürlich nicht die Zähne säubert.
Aber atmeten Kartoffeln eigentlich?
Ich war mir nicht ganz sicher und beschloss, wieder einmal
die Methode der ruhigen Erstarrung anzuwenden und abzuwarten.
Das Atmen wurde zeitweilig von einem gurgelnden oder
schnaubenden Laut unterbrochen, manchmal gar von einer
Art heiserem Räuspern.
Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde ich zuversichtlicher, dass es sich bei den Atmern und Schnaufern um
menschliche Wesen handeln musste. Sie kamen nicht näher
und entfernten sich auch nicht und ich war mir sicher, dass
sie mein Eintreffen bemerkt haben mussten. Daraus schloss
ich, dass sie wohl möglich Leidensgefährten sein konnten.
Ich nahm also allen meinen Mut zusammen und rief in die
Dunkelheit: « Hallo ist da jemand?«
Das Atmen und Schnaufen hörte schlagartig auf und wich einer atemlosen Stille.
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Ich fürchtete schon einen kapitalen Fehler gemacht zu haben,
da hörte ich einen Laut der wie ein »hmmhmhhmhmhhm!«
klang. Dann wieder ein ähnlicher Laut auch aus der anderen
Richtung. Und ein drängendes »hmhmhmhmhmmmmmm«
links von mir. Dann wieder Stille.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Aber nichts näherte sich mir, was wohl bedeutete, dass ich
nicht in unmittelbarer Gefahr war. Ich begann an meinen
Fußfesseln herumzufingern in der Hoffnung, sie irgendwie
lösen zu können. Vergeblich!
Es waren zwar nur normale Stricke, aber so raffiniert verknotet, dass ich nirgendwo einen Anfang oder ein Ende entdecken konnte.
Außerdem begannen mir langsam die Füße taub zu werden,
weil die Stricke mir die Blutzufuhr in denselben drosselten.
Nach einigen vergeblichen Versuchen, mich aufzurichten, gab
ich es auf, da ich keinerlei Gefühl mehr in den Beinen hatte
und daher hilflos und schmerzhaft umstürzte.
»HmhMMhMmhhM« , kam es aus einer Ecke.
»Hallo, ist da wer?«, fragte ich nochmals.
»Hmhmhm«
»Verstehen Sie mich?«
»Hmhm«
»Wer sind Sie?«
»HmHmHm.«
Damit konnte ich wenig anfangen. Wie konnte man sich mit
»hmhms« verständigen? Eine derartige Sprache war mir völlig
unbekannt und mein Translator baumelte zwar noch an meinem Gürtel, war aber nun leicht beschädigt und Batterien hatte er auch keine mehr.
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Ich zermarterte mir mein Gehirn bei dem Versuch, irgendeine Anweisung zu erinnern, die bei der Belernung für solche
Fälle vorbehalten waren.
Die Standartanweisung: »Verständigen Sie einen Vertreter des
Konzerns!«, galt zwar für alle außerplanmäßigen Situationen,
konnte jedoch gegenwärtig nicht umgesetzt werden. Außerdem hatte ich langsam den Verdacht, dass den Konzern eine
nicht unerhebliche Mitschuld an meiner derzeitigen Situation
traf, so dass ich ohnehin nicht gut auf deren Vertreter zu
sprechen war.
Möglicherweise hätte eine Kontaktaufnahme mit einem dieser
Herrschaften zu meiner unmittelbaren Desintegration geführt, anstatt zu einem positiven Ausgang der Geschichte.
Und Geschichten sollten am besten positiv ausgehen, dass
hatten wir im Fach Geschichte gelernt. Entscheidend war
nicht der tatsächliche Hergang der Ereignisse, sondern die
pointierte Darstellung von Gut und Böse, das Weglassen ungünstiger Aussagen über den eigenen Konzern und die Begradigung unlinearer Geschichtsverläufe zur Verbesserung
der eigenen Selbstdarstellung, sowie das Happy End und damit der Sieg über die dunklen Mächte zum Beispiel andere
Konzerne etc.
Auch war es ganz vorteilhaft, sich ganze Episoden geschichtlicher Abläufe zu erstellen, wenn dies geeignet war, die Aufrichtigkeit des eigenen Charakters zu betonen. Diese Technik
war sehr alt, weshalb das Fach Geschichte eines der ehrwürdigsten unseres Belernungsprogrammes war.
Hochgestellte Persönlichkeiten wie ein Regent namens Caesar, äh, Vatikan und wie hieß er noch, Usa, aber auch andere,
waren Meister in dieser Kunst und wurden sehr verehrt von
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den Dozenten, auch wenn dies die sehr frühe Antike der Geschichte repräsentierte. So entschied ich mich vorerst, die
Möglichkeit, irgendwie mit einem Vertreter des Konzerns
Kontakt aufzunehmen, erst einmal zurück zu stellen.
Ich überlegte, ob diese merkwürdige Sprache, die aus der Aneinanderreihung verschieden betonter »Hm's« bestand, vielleicht auf eine besondere anatomische Eigenart des Kehlkopfes der anwesenden Kreaturen schließen ließ.
Mir fielen die Rhetoriker ein, eine ganz ausgebuffte Rasse, deren ungeheure Beredsamkeit sogar ihren Appetit so sehr
überstieg, dass sie allesamt ganz mager waren, weil sie ununterbrochen redeten und kaum Gelegenheit fanden, zwischen den Sätzen einen Brocken Nahrung herunter zu bekommen.
Es bestand jedoch kaum Kontakt zu anderen Spezies, da Verhandlungen mit ihnen schon daran scheiterten, dass man
nicht zu Wort kam.
Immerhin wurden sie gerne engagiert, wenn es darum ging,
Entscheidungen des Konzerns weiter zu geben, auch wenn
dies erst einmal ungünstig erschien und zum Nachteil der Betroffenen. Die Rhetoriker redeten solange, bis sich die Versammelten langweilten und wieder nach Hause gingen.
Oder die Retroverbaliker, die jeden Satz von hinten anfingen,
was zu nicht unerheblicher Verwirrung führen konnte, wenn
der Satz vorne und hinten auf das gleiche Wort endete.
Der Translator brachte dann oft nur ächsende Würgelaute
hervor und es drehte sich einem alles im Kopf.
Nein, das hier war eine ganz andere Spezies. Der Lautform
nach zu schließen mussten sie über sehr einfache, ungeformte
Kehlköpfe verfügen, die lediglich einfache Windgeräusche
zuließen, ohne merkliche Artikulationen. Wenn man von der
Kehlkopfform auf die sonstige Anatomie schließen konnte,
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sollten diese Kreaturen siebenarmig sein, kein Skelett besitzen, möglicherweise Knorpel oder Gräten und sackförmige
Mundöffnungen besitzen, über denen tellergroße kurzsichtige
Augen saßen.
Mich fröstelte bei diesem Gedanken!
Über Beine konnten sie ebenfalls nicht verfügen, sonst hätten
sie sich mir schon genähert. Möglicherweise saugten sie sich
am Boden fest wie die sagenhaften in vielen Liedern besungenen »Einmännleinstandimwalde«, Kreaturen der Urzeit. Ich
fragte mich gerade, ob ich den Versuch unternehmen sollte,
mich ihnen vorsichtig zu nähern, da hörte ich das bekannte
'Tap – Klack, tap – klack' und kurz darauf das Geräusch der
sich öffnenden Stahltüre. Licht flutete in den Raum und ein
Schalter wurde umgelegt, so dass alles in helles neonweißes
Licht getaucht wurde. Ich musste momentan geblendet die
Augen verschließen.
»Na – Herrschaften! – jetzt gibt es happi – happi und dann
gehts nach Hause, harharhahrhahr«, hörte ich die gefürchtete
Stimme von Willy Wikinger. Ich öffnete langsam die Augen
hinter meiner vorgehaltenen Hand und spähte im Raum umher. Ich befand mich offenbar in einer Art Abstellkammer,
deren rostige Stahlwände bräunlich, grünlich wirkten.
Zu meinem größten Erstaunen entpuppten sich die Wesen,
die sich ebenfalls im Raum befanden, vier an der Zahl, wie
ich richtig vermutet hatte, als gefesselte Polizisten, denen Willy Wikinger die Uniform ausgezogen haben musste, denn sie
lagen allesamt in langer weißer Unterwäsche gefesselt auf
dem Boden und hatten einen dicken braunen Klebstreifen
über dem Mund.
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Erleichterung und Entsetzen machten sich gleichzeitig in mir
breit.
Willy Wikinger musste also die Besatzung des Polizeikreuzers
überwältigt und gefangen gesetzt haben, so dass jede Möglichkeit, Hilfe herbei zu rufen, aussichtslos erschien.
Die Gefangenen rollten zornig mit den Augen und stießen
heisere »hmhm« – Laute hervor, was darauf schließen ließ,
dass sie mit ihrer Behandlung ebenfalls nicht einverstanden
waren.
Willy Wikinger schien jedoch der Anblick sich zornesrot windender Polizisten eher in Vergnügen zu versetzen. Er schüttelte sich vor Lachen, so dass sein hervorstehender Bauch auf
und ab wippte.
Dann plötzlich veränderte sich seine Stimmung drastisch. Er
schrie: »Ihr Höllenhunde, ich schwöre euch, ich werde jeden
Einzelnen von Euch am Spieß braten, bis er knusprig ist oder
unter der Rakete Kiel holen lassen, wenn ihr auch nur eine
unbedachte Bewegung macht oder einen Muks von euch
gebt, wenn ihr Zicken macht. Meine Mannschaft wird euch
gnadenlos in Stücke hacken und sie den Kaimanern überlassen, damit sie ihre Haustiere damit füttern können. Die lieben
Menschenfleisch, wie ihr wisst!«
Mir erstarrte das Blut in den Adern. Ich wusste nicht, was
schlimmer wäre, Willy Wikinger oder die Kaimaner. Ihre
Haustiere, die Teckel, waren wohl die blutrünstigsten Kreaturen im ganzen Universum. Sie lebten ausschließlich von
Fleisch und es waren durchaus Fälle bekannt, wo sie ganze
Mannschaften gestrandeter Raumschiffe buchstäblich mit
Haut und Haar gefressen haben sollen. Obendrein hatten sie
zwei Köpfe, an jedem Ende einen und ihre niedliches
Schnäuzchen und die Hängeohren täuschten argwöhnisch
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Friedfertigkeit vor. Wollte man sie darauf hin streicheln und
hätscheln, was der Sinn dieser Mimikri war, so biss das ein
oder andere Ende einem mit seinen kleinen scharfen Zähnen
in die Hand. Da das andere Kopfende auch etwas will und
dem angreifenden Kopfende den Bissen missgönnt, steigert
sich das Wesen in gegenseitiger Konkurrenz der Kopfenden
in einen wahren Blutrausch hinein, bis vom armen Opfer
buchstäblich nichts mehr übrig bleibt. Dann will es meist
Gassi gehen und sich erleichtern.
Die Kaimanier sehen diesem Treiben mit unverantwortlicher
Gleichgültigkeit zu, sind sie doch Vegetarier und haben gar
keinen Sinn für das grausige Schauspiel.
Nachdem Willy Wikinger eine bedeutungsvolle Pause
gemacht hatte, um die Wirkung seiner Worte zu prüfen,
grunzte er zufrieden in seinen Bart, denn so nennt man den
unteren Teil des Fells, der Mund und Kinn umschließt und
blitzte uns der Reihe nach an. Dann zeigte er mit dem Finger
auf mich und schrie: »Du da, du Grottenolm, komm her!«
Ich muss gestehen, es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte
mir vor Schrecken in die Hose gemacht, die er mir, wie ich
erst in diesem Moment bemerkte, erstaunlicherweise gelassen
hatte.
Ich lag vor Entsetzen steif auf dem Boden und rührte mich
nicht.
»Na, hat dich der Schlag getroffen, du Hosenscheißer?«
Nachdem ich mich immer noch nicht und auch gemäß der
Notfallvorschrift bewegt hatte und noch nicht einmal wagte,
mit den Augen zu zucken, schrie er: « Na, wirds bald Freundchen oder soll ich dir Beine machen?«
Da endlich fiel ihm offensichtlich ein, dass er mir die Beine ja
ordentlich zusammengeknotet hatte. Er tapste zu mir heran -
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'tapp - klack - tapp -klack' und zog sein gewaltiges Messer aus
dem Gürtel.
Glücklicherweise benutzte er es nicht in der Weise, dass er
mich in Stücke sägte, sondern mit einem gewaltigen Ruck
trennte er die Stricke an meinen Füßen durch, dass ich nur so
herumgeschleudert wurde.
»So, jetzt auf, du Missgeburt!«, brüllte er wenig charmant und
riss mich an den Armen hoch, so dass ich halbwegs zum Stehen kam, sofort jedoch wieder zusammensank, da meine Beine ohne jegliches Gefühl waren und ich ansonsten zitterte, als
hätte ich einen Anfall von Weltraumfieber.
»Willst du wohl stehen bleiben, du Kröte? Wie heißt du eigentlich?« Ich war unfähig zu antworten, weil meine Kiefer
sich in einem unangenehmen Muskelkrampf befanden.
»Na, egal«, grunzte er, sah mich von oben bis unten an und
meinte abschätzig, indem er auf den Boden spuckte: »Ich
nenne dich Olm ... siehst ja auch so aus!«
Ich wusste damals nicht, was ein Olm ist, aber dass es wohl
kein Kompliment sein sollte, war mir bereits am Tonfall klar
und ich sollte es auch in den nächsten Stunden und Tagen erfahren.
Später erfuhr ich, das war glaube ich auf der Vega, dass Olme
in modrigen Dunkelhöhlen gezogen werden, meist auf Planeten, die durch menschliche Besiedlung unbewohnbar geworden waren und so als Exo-Planeten wieder verlassen und verwüstet im Weltall herumtrudeln. Da sie meist in einem Haufen von Müll und Unrat, vergifteten Tümpeln und radioaktiven Seen zu ersticken drohten, versuchte man eine biologische Lösung.
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Die einzige Spezies, die genügend Widerstand gegen derartige
Nekrotope entwickeln, sind die gemeine Küchenschabe, die
zu monströser Größe heranwächst, und der Grottenolm. Er
ist an sich klein und kugelig, völlig unbehaart und seine glitschige Haut ist fast durchscheinend. Auch sieht er nahezu
nichts, da er stets im Dunklen lebt. Bereits von geringer Sonnenbestrahlung bekommt er einen tierischen Sonnenbrand,
so dass er sich krebsrot verfärbt. Tierschutzorganisationen,
die sich dem Schutz der niederen und missachteten Lebensformen verschrieben haben, insbesondere der Grottenolme,
forderten deshalb bereits die Verdunklung des einen oder anderen Sterns, allerdings bislang ohne Erfolg.
Neben der moralischen Motivation zum Schutz gegen die
Sonnenbestrahlung der Grottenolme zu Felde zu ziehen,
kommt allerdings auch eine nicht unerhebliche akustische
hinzu. Grottenolme mit Sonnenbrand jammern und klagen
derartig nervtötend in den schrillsten Tönen, dass man leicht
einen Hochtongehörschaden davontragen kann. Sie werden
deshalb schon von Gesetz wegen völlig verdunkelt gezogen.
Da der Grottenolm an sich eher kugelig und klein ist, geröstet
aber einen angenehm nussartigen Geschmack entwickelt und
als Spezialität in der asiatischen und japotrabantischen Küche
gilt, wird er im Laufe der Entwicklung von speziell ausgebildeten Erziehern täglich ein wenig in die Länge gezogen, bis er
sich im Alter von 2 Normaljahren ungefähr bequem um ein
Essstäbchen wickeln lässt.
Dennoch gilt er bei dem Rest der Galaxis als so ziemlich das
niederste denkbare Lebewesen. Vom Grottenolm sind auch
ungefähr nur zwei Gedanken bekannt: »Hau ab!« und »Lass
mich in Ruhe!« (Ein weiterer Gedanke gilt als fremdenfeindlich und wird deshalb verschwiegen: »Verdammte Schlitzaugen!«)
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Ich schaute also hilflos und unfähig, mich aufzurichten, in das
über mich gebeugte, struppige ungewaschene Gesicht des
Freibeuters und wurde zum ersten Mal Zeuge seiner häufigen
und plötzlichen Stimmungswechsel, die so charakteristisch für
ihn sein sollten.
Plötzlich traten ihm Tränen in die Augen, sein Mund verzog
sich zu einem fast debil zu nennenden Grinsen und er beugte
sich so tief über mich, dass ich von seinen stinkenden Atem
vor seinen maroden und braungelb gefärbten Zahnstummeln
herrührend fast betäubt wurde. Er stupste mir mit seinen dicken Fingern leicht unters Kinn und sagte: »Du bist ja ein
putziges Kerlchen, Olmi! - Komm mach Pappi eine Freudi,
Freudi und sei ein bisschen lieb zu ihm! - Lauf nicht weg ...
Willy kommt gleich wieder!«
Damit richtete er sich auf und entfernte sich schnellen Schrittes aus dem Raum 'tapklacktappklacktappklack'. Die mächtige
Stahltür knallte er mit einer derartigen Wucht zu, dass der
ganze Raum in minutenlanger Vibration durchgerüttelt wurde.
Da Willy Wikinger das Licht angelassen hatte fand ich nun
Gelegenheit, mich ein wenig umzuschauen.
Die vier Polizisten lagen fest verschnürt in jeder der vier
Ecken des Raumes. Auch sie brauchten offenbar einige Zeit,
um sich von dem Schreck zu erholen.
Einer der Polizisten, ein Dicker, mit unglaublich großem Kugelbauch und Doppelkinn, schaute unentwegt in meine Richtung und bewegte ruckartig den Kopf. Dabei stieß er ein bittendes »hmhmhm« aus.
Ich massierte unentschlossen meine Beine, damit wieder Gefühl in sie hineinkam. Langsam hörte das Kribbeln in den Fü-
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ßen auf und ich konnte den ein oder anderen Zeh bereits
wieder bewegen.
Der Polizist stieß wieder ein heiseres, diesmal drängenderes
»hmhmh-hmmm« aus und wackelte mit dem Kopf.
Nun war mir die »HMHM«-Sprache ja völlig fremd, so dass
ich den Sinn dieser Laute nicht genau verstand und annahm,
er wolle sich mir vorstellen.
Ich sagte: »Hallo, wie geht es Ihnen? Hatten sie eine gute
Reise?«
So begrüßte jedenfalls der Translator jeden Außerirdischen
und deshalb konnte dies nicht falsch sein.
Die Polizisten schauten sich gegenseitig an und fingen an zu
grimmassieren.
Sie hatten wohl meine Worte verstanden und wollten zum
Ausdruck bringen, dass ihre Reise offenbar nicht so günstig
verlaufen war.
Das war verständlich, denn sie befanden sich auch in einer
jämmerlichen Situation. Nicht nur hatten sie den Mund zugepflastert, sie waren auch derartig verschnürt, dass keiner von
ihnen sich auch nur einen Normmillimeter von Fleck bewegen konnten.
Ein besonders langer dünner Polizist bewegte seine Zehen
hin und her und ich verstand, dass sie wohl eine Art Zeichensprache benutzten, um sich zu verständigen.
Ich versuchte es auf diese Weise, indem ich meinen Fuß etwas vom Boden anhob, damit sie ihn besser sehen konnten,
und wackelte mit den Zehen.
Dies hatte sofortigen Erfolg.
Sie hmhmhmten jedenfalls nun alle zusammen und rollten
mit den Augen und es klang wie Zustimmung.
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Daher wackelte ich nochmals mit den Zehen, rollte mit den
Augen und stieß ein langes »hmhmhm« aus.
Dies schien sie zu beruhigen, denn sich entspannten sich augenblicklich, ließen ihre Köpfe wieder sinken und atmeten
hörbar durch die Nase aus.
Vielleicht konnte ich auf diese Weise eine Art Kommunikation mit ihnen entwickeln?
So wurde damals auch mit den Semantikern verfahren.
Die Semantiker waren die erste sprachbegabte Spezies, auf
die die ins Weltall aufgebrochene menschliche Spezies traf.
Das war kurz nach dem Interkontinentalcrasch.
Die Semantiker kamen, soweit man weiß, aus dem orthographischen Galaxiennebel und sprachen eigentlich kyrillisch.
Sie hatten eine Technik entwickelt, die es ihnen ermöglichte,
Zeit durch Worte zu überbrücken.
Wie jeder Weltraumfahrer ja weiß, ist die Zeit das größte Hindernis bei der Überbrückung von Entfernungen. Die Zeit ist
elastisch und verhält sich unberechenbar. Mal ist sie lang und
vergeht langsam, mal ist sie kurz und fliegt sozusagen dahin.
Deshalb wusste man in den Kindertagen der Raumfahrt lange
nichts damit anzufangen. Jeder Versuch, den Abflug und die
Ankunft eines Raumschiffes fahrplanmäßig genau anzugeben,
scheiterte daran, dass die Zeit überall unterschiedlich verging.
So konnte es sein, dass eine Rakete zwar Sonntagmorgen abhob, und die Mannschaft hoffte am Abend rechtzeitig zum
Essen wieder zurück zu sein, bei der Ankunft jedoch feststellen musste, dass bereits Dienstagabend war und nur noch das
dreckige Geschirr herumstand, was abgewaschen werden
musste, vom Abendessen jedoch vielleicht nur noch ein paar
vertrocknete Brötchen oder vermatschte Nudeln übrig waren.
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Auch machte es jede Berechnung der Flugdauer unmöglich.
In näherer Umgebung der Erde, etwa bis zum Pluto, macht
das noch nicht so viel aus. Jedoch darüber hinaus wird es problematisch.
Dadurch bekam man früher den Eindruck, dass eine Reise
zum Beispiel zum benachbarten Orion sich nicht lohne, da
dort erst die Enkelkinder ankämen.
Dieses Problem überbrückten die Semantiker in genialer Weise.
Sie schufen zeitlose Sätze, so dass der Einfluss der Zeit unbedeutend wurde, sie benutzten den Zeitgeist, um sich zu verständigen und waren daher nicht auf die langsamen elektromagnetischen Wellen angewiesen, und sie vertrieben die Zeit,
sobald sie sie auf ihrer Reise auch nur ansatzweise entdeckten
mit unsinnigen Aneinanderreihungen von Wörtern und ganzen Sätzen. Dies war lustig und nützlich gleichzeitig, denn das
wichtigste auf jeder Raumreise ist eben der Zeitvertreib.
Als nettes Nebenprodukt ihrer Kunst entstanden haufenweise
Bücher, die aus dem Antrieb ihrer Raketen ins All katapultiert
wurden, wo sie es um nette, wenn auch vergleichsweise nutzlose Werke bereicherten. Auch diese Zeilen entstanden letztlich aus diesem Ausstoß.
Dadurch konnten sie sich mühelos von einem Ort zum anderen bewegen.
Als einziges Nahrungsmittel war ihnen die Herbstzeitlose erlaubt, denn andere Nahrung hätte zu einer zeitweiligen Rückkehr der Zeit geführt und ihre Reise unterbrochen. Das ist
nicht jedermanns Sache, denn der Geschmack der Herbstzeitlosen ist auf die Dauer etwas eintönig, weshalb sich diese Art
des Reisens nicht allgemein durchsetzen konnte.
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Wollten sie eine Stadt erbauen oder eine Raketenrampe erneuern, so redeten sie es sich einfach ein, wodurch eine hohe
und differenzierte Kultur in ihrer Konfabulation entstand.
Es gab mehrere Konfabulationen, die miteinander durch lange Sätze verbunden waren und komplizierte Gebilde darstellten, die alle jedoch von einem Regenten beherrscht wurden,
dem Grammatiker. Dieser waltete streng über die Konfabulationen.
Alle anderen Bewohner betrachteten sie jedoch abschätzig
und pflegten sich mit ihnen nur lautlos durch Zeichensprache
zu unterhalten, da sie sie ihrer Worte nicht wert erachteten.
So entstand mit der Zeit ein ausgeklügeltes nonverbales Signalsystem, welches sich schnell im All verbreitete, bevor die
Translatoren erfunden und sie Grundlage der Kommunikation wurden.
Als Beispiel sei das Tippen des Fingers an die Stirn und das
Hochheben des Mittelfingers bei geschlossener Faust genannt, um zum Beispiel jemanden darauf hinzuweisen, dass
er gerade eine rote Ampel übersehen, die Vorfahrt missachtet
oder eine Parklücke genommen hat, die man selbst benutzen
wollte, weil einem nach stundenlangem Suchen auf einer
Kreisbahn um einen Planeten langsam der Treibstoff ausging.
Was aber das Wackeln von Zehen betraf, da konnte ich mich
an keine spezielle Bedeutung erinnern. Aber es gibt ja auch
Dialekte!
Indes brauchte ich nicht länger über die Angelegenheit zu
grübeln, weil ich durch das bekannte tap-klack-tap-klack, welches die Rückkehr unseres Schinders ankündigte, unterbrochen wurde.
»Olm!«, brüllte er, kaum dass die Tür mit einem Krachen aufgeflogen war, »Zu mir!«
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Da ich der Einzige war, der auf diesen Namen hören sollte,
blieb mir nichts anderes übrig, als mich wackelig auf meine
Beine zu stellen und zu ihm hin zu staksen. Er blickte mich
so finster an, dass ich wieder zu zittern anfing.
»Hör mit deiner Zitterei auf, du Weichei, und nimm das!«
Er streckte mir vier Beutel entgegen, die unzweifelhaft Nahrungskonzentrat enthielten, so wie es in der ganzen Galaxis
verwendet wurde. (Natürlich war das Haltbarkeitsdatum lange
abgelaufen, wie ich mich später mit einem Blick überzeugen
konnte und der rote Doppelstrich der Gesundheitsbehörde
prangte auch unverkennbar auf den Etiketten, was nicht anderes bedeutete, als dass von dem Verzehr behördlich abgeraten wurde und jedes in Verkehr bringen strafrechtliche Folgen
nach sich ziehen konnte.)
Ich bemühte mich, meine Hände ruhig zu halten, als ich die
Beutel entgegen nahm, was seine Gesten offenbar bedeuteten.
»Du gibst denen da ...«, er deutete mit dem Kinn in Richtung
der gefesselten Polizisten, »jetzt was zu essen und dann wartest du auf mich, verstanden?«
Als ich völlig verblüfft von meiner neuen Aufgabe nicht antwortete schrie er :« Hast – du – verstanden?« »Ja-ja … ja«,
stotterte ich.
Ich zählte still die Beutel in meiner Hand, es waren derer vier,
aber wir waren zu fünft, wenn man mich mitzählte.
Verständnislos blickte ich ihn an und er hatte sofort meine
Frage verstanden, die offenbar in meinen Augen geschrieben
stand: Warum nur vier?
»Das ist für diese Tölpel, Olmi, … du brauchst das nicht ...
hahaha.« Er brüllte vor Lachen, dass sein dicker Bauch geschüttelt wurde, schrie mich aber im nächsten Augenblick an:
»Nun mach oder willst du hier anwachsen?«
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Damit knallte er die Türe wieder zu und tappte davon.
Ich stand wie betäubt in der Tür und starrte die Nahrungsbeutel an.
Auf dem Etikett konnte man noch in verblichenen Buchstaben lesen »Seemanns-Tod – Sondernahrung für festliche Angelegenheiten«, was nichts anderes hieß, als dass etwas von
dem sonst strikt verbotenem Alkohol darin sein musste.
Derartige Nahrung war nur besonderen Ereignissen vorbehalten und durfte nur genau dosiert verabreicht werden. Sie
war auch lediglich außerhalb von Raketen erlaubt, denn es
konnte durchaus vorkommen, dass ein Übermaß des ungewohnten Getränkes später eine derartige Übelkeit hervorrufen konnte, zusammen mit höllischen Kopfschmerzen, dass
es schwierig war, den Mageninhalt da zu behalten, wo er hingehörte, nämlich im Magen und nicht in der Kabine der Rakete, wo er ausnehmend schlecht wieder einzusammeln war,
vor allem bei Schwerelosigkeit. Aus diesem Grunde war es
uns Konzernangehörigen strengstens untersagt, derartige
Nahrungsmittel zu konsumieren.
»Seemanns-Tod« war meiner Erinnerung nach so etwas wie
eine Mutprobe in der Mannschaftsausbildung, insbesondere
nach bestandener Astronautenprüfung, da wurde gerne gefeiert.
Es bestand meines Wissens aus dem Saft einer Pfefferpflanze, gemischt mit reinem Alkohol, Tomatensaft und Ei zu gleichen Teilen. Es galt als äußerst nahrhaft, aber ungenießbar.
Auch gab es nur eine Möglichkeit, es zu sich zu nehmen, und
das war in einem Schluck, weil es einem sonst die Schleimhäute verbrannte, so dass man tagelang fasten musste.
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Wie der Freibeuter daran gekommen war, war mir rätselhaft.
Andererseits wird behauptet, dass die Freibeuter nur derartige
Trinknahrung zu sich nehmen und das in großen Mengen.
Ich wandte mich also den anderen Gefangenen zu, die mich
neugierig anschauten. Ratlos schaute ich von einem zum anderen, bis mich der Dicke mit einem energischen »hmhm« begleitet von heftigem Zehenwackeln auf eine Idee brachte.
Ich entschloss mich, den Versuch zu wagen und ihm den
Klebstreifen vom Mund zu entfernen, denn wie auch anders
hätte ich den Saugschlauch in ihn hineinführen können, um
ihm die Nahrung zu verabreichen?
Kaum war das geschehen, was mit einem rauen »hmhmhm«
kommentiert wurde, da erlebte ich meine erste Überraschung,
er konnte sprechen und das auch sehr laut und deutlich!
»Du Volltrottel, hat man dir ins Hirn geschissen oder was?
Mach uns sofort los, du Schwachkopf!«
Ich fuhr erschrocken zurück. Mit einem Mal verstand ich
meinen gesamten Irrtum. Natürlich, mit ihrem »hmhmhm«
hatten sich nichts anderes als das andeuten wollen, nämlich,
dass ich ihnen etwas zu essen besorgen sollte!
Schnell stopfte ich dem Dicken den Schlauch in den Mund
und entleerte den Inhalt des Nahrungsbeutels in seinen
Mund, was den wohltätigen Effekt hatte, dass das Geschrei
und die Beschimpfung verstummten, nur um allerdings kurz
darauf umso stärker wieder anzuheben, nur dass es diesmal
nach dem Heulen eines Newöl klang und das hört sich an, als
wenn man einer Katze auf den Schwanz getreten hätte.
Ratlos ging ich zum nächsten Gefesselten und probierte dort
mein Glück, leider mit ebenso wenig Erfolg.
Auch beim Dritten lief es nicht anders und dem vierten
musste ich sogar den Schlauch mit etwas Nachdruck zwischen die zusammengebissenen Kiefer schieben.
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Eine Undankbarkeit war das!
Glücklicherweise ließ nach einiger Zeit das ohrenbetäubende
Geheul nach und wich einem ruhigem Schlaf.
Völlig erschöpft ließ ich mich in einer Ecke nieder und dachte
nach.
Was sollte ich zu essen erhalten? Vielleicht hatte Willy Wikinger gar vor, mich selbst von seiner Mannschaft verspeisen zu
lassen? Andererseits glaubte ich da nicht mehr wirklich dran
und ich sollte recht behalten.
Es stellte sich nämlich heraus, dass der Freibeuter etwas anderes mit mir vor hatte.
Kaum war es ruhig geworden und das Geschrei einem gleichmäßigen Schnarchen gewichen, da schaute das behaarte Gesicht des Freibeuters wieder durch die Tür.
»Gut gemacht, Bürschen! Bist ja doch für was zu gebrauchen.«
Er hüpfte herum wie ein kleines Kind und rieb sich vor Freude die Hände, zupfte mal dem einen Polizisten in die Wange,
knuffte den anderen mit dem Holzbein in den Bauch und zog
dem dritten am Bart. Nichts geschah, die Polizisten schliefen
weiter.
»So und jetzt hilf mir!«, wandte er sich an mich.
Ich schaute in verdutzt an.
»Na, guck nicht so blöd, die müssen weg hier!«
Er begann den Dicken an den Beinen zu ziehen, nachdem er
die Fesseln von den in der Wand eingelassenen Ringen abgeschnitten hatte und zog ihn zur Tür. »Na, los, fass mit an,
mach dich nützlich!« Ich half mit, an den Beinen des
schlafenden Polizisten zu ziehen, was aber nur schwer ging,
immerhin bemühte ich mich.
Willy Wikinger schnaufte und fluchte, denn der Dicke war
wirklich schwer.
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Ich fragte mich, wie er es geschafft haben mochte, ihn zu
überwältigen.
Und ich fragte mich, wieso ihm niemand von seiner
Mannschaft half.
Nach einer Weile hatten wir es geschafft, den Dicken in den
Hangar zu ziehen, wo meine Rakete stand. Vielmehr gestanden hatte, denn von der war nichts mehr zu sehen.
Statt dessen stand an der Stelle, wo sie hätte sein müssen ein
kleiner, handlicher, kompakter Blechwürfel.
Willy Wikinger fing meinen suchenden Blick auf, grinste und
zeigte mich dem Finger an die Decke: »Super Schrottpresse,
das!«
Als er mein betroffenes Gesicht sah klopfte er mir so kräftig
auf die Schulter, dass ich fast gestürzt wäre: »Lass mal gut
sein, mit deiner Blechbüchse wärst du ja doch nirgends wo
mehr hin gekommen!«
Tatsächlich entdeckte ich einen großen Greifer an der Decke,
dessen metallene Klauen von einer kranartigen Vorrichtung
drohend herabhingen, so als wolle es sich jeden Moment in
Bewegung setzten, nach unten senken und alles, was in seine
Reichweite kommt, zermalmend packen. Mich fröstelte und
ich muss wohl eingestehen, dass ich auch ein bisschen traurig
war um meine Rakete, die ich trotz aller Unzulänglichkeiten
lieb gewonnen hatte. Besonders aber trauerte ich um die kleinen niedlichen Gardinen an den Fenstern, die noch von einer
Eizelle meiner Vorfahrensproduktion stammte, Oma Gerda,
wurde sie liebevoll genannt, was natürlich nur eine Abkürzung war für »O 54.76 M 3458z Anti /5 Gravi. Erde R/45
Dus/selig /Aberat.4/4-*/*« ihren Gen-Code.
Nun denn, andererseits musste ich Willy Wikinger recht geben, dass sie unbrauchbar geworden war und meine Reise offenbar anders weitergehen musste ...!
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8. Kapitel
Ich muss mal meine Beine ausstrecken, vielleicht sollte ich
mal versuchen aufzustehen und nach draußen zu sehen? Die
Strahlen von Beta Zaneta scheinen schon recht schräg durch
das kleine Herzchen in der Klotür.
Es wird Zeit, dass ich hier rauskomme!
Vorsichtig versuche ich, mich aufzurichten, wodurch mir
mein Helm herunterfällt und wieder irgendwo im Matsch landet. Jedes Mal wenn ich einen Fuß in der schweren Raumkombination hebe, gibt es ein unangenehm saugendes und
schmatzendes Geräusch. Immerhin gelingt es mir allmählich,
eine Position einzunehmen, in der ich halbwegs gerade stehen
kann. Aber der Versuch, durch das Herzchen in der Tür ins
All zu schauen, scheitert sofort daran, dass ich ohne Helm
auch keinen Sichtschutz habe und geblendet einige Zeit die
Augen schließen muss, weil sich bunte Ringe in meinen Augen bilden, die jedes Sehvermögen beeinträchtigen.
Ich muss hier raus!
Und zumindest muss ich meinen Helm aufsetzen.
Draußen war der Normalraum, soweit ist es mir nun klar, und
dieser droht sich durch das Loch in der Tür zunehmend in
das Innere meines Gefängnisses auszudehnen, je mehr Beta
Zaneta vor die Klotür tritt, was nicht mehr allzu lange dauern
kann.
Dann gute Nacht!
Was ich von Singularitäten weiß ist, dass sie nur in einem Unwahrscheinlichkeitsraum Bestand haben, der genau auf
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Raum-Zeit Kreuzungen liegt, sie kommen und gehen wie
Strudel im Wasser und sind daher höchst unzuverlässig.
Insbesondere dreht sich die Zeit so unglaublich schnell um
sich selbst, dass sie sich von hinten einholt, also das »Demnächst« mit dem »Gerade gewesen« überdeckt und folglich
keinerlei Zeitfluss mehr nachweisbar ist, zumindest von außen betrachtet, von innen ist es wohl anders ...
Ich muss einen Moment nachdenken, um mich zu erinnern,
wie es sich innen verhält. Dieser widerliche Geruch von Kot
und Moder in der Nase!
Außerdem summen andauernd einige dicke Fliegen um mich
herum. Eine setzt sich sogar dauernd mit großer Penetranz
auf mein Ohr, um sofort zurückzukehren, wenn ich sie weg
wedele.
Langsam verlieren sich die Kreise und Ringe vor meinen geblendeten Augen und ich kann wieder was von hier drinnen
erkennen. Ich glaube, dass auch die Decke mit Schriftzeichen
und Rillen über und über bemalt ist.
Die hier sind etwas näher gelegene. Vielleicht kann ich sie
entziffern:
»Der Kreisel …, such den verdammten Kreisel!« Und da:
»Nicht wieder durchs Loch schauen!« Dahinter steht:
»Stimmt!« Und etwas weiter unten: »Scheiße, schon wieder
reingeguckt!«
Was sollte das heißen?
Offenbar war vor mir schon einmal jemand hier gewesen,
möglicherweise sogar mehrere, denn ein Einzelner konnte
unmöglich mit sich selbst Selbstgespräche geführt haben, indem er Sprüche in eine Toilettentür kratzt.
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Andererseits scheinen einige der Gravierungen schon alt und
etwas verblichen zu sein, während andere frisch und hell aussehen.
Der Kreisel, was war nur damit gemeint?
Etwas klopft in meinem Inneren an die Schädeldecke ...
Der Kreisel, der Kreisel ... was war das mit dem Kreisel?
Na klar, er lag irgendwo im Laderaum des Polizeibootes und
musste wohl rausgerutscht sein, als die gewaltige Schrottpresse meine Rakete zu einem handlichen Würfel zusammenpackte, und davon gekullert sein.
Jedenfalls entdeckte ich ihn später zufällig beim Staubwischen
im Raumschiff.
Später, das war, nachdem wir vor Mercator gelandet waren.
Mercator ist ein ungewöhnlicher Ort, ein verbotener Ort,
denn er ist eine der Handelsstationen der Freibeuter und einer der größten Schwarzmärkte im Universum.
Mercator liegt so versteckt hinter einer Biegung, getarnt
durch einige Doppelsterne und im Schatten mehrerer Monde,
geschützt durch einen gefährlichen Gürtel aus Gesteinstrümmern und Zeituntiefen, so dass nur die waghalsigsten und erfahrensten Raumfahrer sich dorthin wagen, so sie denn die
Koordinaten kennen.
Dennoch herrscht dort ein reges Treiben, Gehen und Kommen von den aller übelsten Kreaturen, nicht nur Hominiden,
sondern Vertretern aller Spezies des belebten Universums.
Allen ist eines gemeinsam: Sie hassen es, Steuern zu zahlen!
Das ist auch der Grund, warum fast alle weltallbeherrschenden Konzerne hier ihre Vertretungen aufgemacht haben.
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Nun scheint die Steuerbehörde wirklich eine wahre Plage zu
sein, wie ich mich selbst auf dem Hinflug hierher überzeugen
konnte.
Zuerst fragte ich mich natürlich, ob ich, nachdem ich meine
Nützlichkeit beim Abtransport der Polizisten in den Verladeraum bewiesen hatte, eventuell überflüssig geworden sei und
einfach über Bord geworfen würde, aber ich hatte mich in
Willy Wikinger getäuscht und zwar gründlich, wie sich herausstellen sollte.
Er tat einfach so, als sei ich schon seit Ewigkeiten mit ihm
auf der Reise, schickte mich hierhin oder dorthin und beauftragte mich mit etwas anderem, so dass ich mich frei auf dem
Raumschiff bewegen durfte.
Wenn man sich erst einmal an seine wechselhaften Stimmungsschwankungen gewöhnt hatte, kam man ganz gut zurecht mit ihm.
Er war wie jeder Freibeuter ein Geächteter, was nichts anderes bedeutete, als dass er keinem Konzern verpflichtet war,
keine Gen-Marke trug, so dass weder seine Abstammung von
irgend einem Klon noch sein tatsächliches Alter bekannt waren und er ökonomisch in keiner Weise nutzbar war. Ein abscheulicher Zustand.
Noch unerträglicher war, dass er keiner Regierung untertan
war, weder für die eine noch gegen die andere Seite kämpfte
und auch nicht geneigt war, sich die tägliche Gehirnwäsche
verabreichen zu lassen, was bekanntermaßen zu zunehmender Verschmutzung der Synpasen führt, so dass sie schließlich
ausgetauscht werden müssen.
Auch wäscht und rasiert er sich offenbar nicht, obwohl er behaart ist wie ein Toupedoron.
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Die Toupedorons sind derartig haarig, dass bei ihnen weder
vorne noch hinten, oben noch unten zu unterscheiden sind
und man erkennt die ungefähre Gestalt nur, wenn sie sich bewegen, nachdem sie zufällig ins Wasser gefallen sind, weil sie
dann einen langen Haarschweif hinter sich herziehen. Sie bewohnen den Rapunzelstern, ein Schweifstern ganz hoch oben
in der Galaxis.
Es geht sogar die Rede, dass einmal ein Wissenschaftler versucht hat, einem Toupedoron die Haare zu schneiden, um die
nackte Gestalt derselben zu erforschen sowie den Körperbau.
Aber nach dem Abschneiden der Haare hatte er nichts gefunden, so dass er erschrocken die Schere weglegte, weil er fürchtete, zuviel abgeschnitten zu haben. Danach wurde, soweit ich
weiß, nie wieder ein Versuch gemacht, ein Toupedoron
wissenschaftlich zu erforschen, weil das Ergebnis so mager
gewesen wäre, dass es nicht einmal für ein großes D im Doktortitel gereicht hätte, was kein renommierter Wissenschaftler
auf sich genommen hätte, weil es nicht repräsentierlich genug
gewesen wäre.
Wie dem auch sei, Willy Wikinger war alles das, was man unbedingt meiden und vermeiden sollte.
Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt wie viele Ungesetzliche mit dem Aufsammeln von Weltraumschrott und dem
Überfallen und Brandschatzen von Handelsraumschiffen,
Touristenbooten, Tankstellen, Raumstationen und anderen
Untaten ohne Lizenz.
Dabei hatte er, wie ich mich mehrmals überzeugen konnte,
ein unglaubliches Talent den Zollstationen zu entgehen, die
an den Übergängen von einem Raumsektor zum nächsten
postiert waren und jedes Raumschiff kontrollierten, von der
Raketenspitze bis zum Auspuff, um ihre Gebühr einzutrei-
83
ben, die sie dann der Zollkommission zukommen lassen
mussten, was sie höchst widerwillig machten.
Jedenfalls ist bekannt, dass sie gerne nur die Hälfte der Ware
quittierten, aber den gesamten Preis verlangten. Sie galten als
die reichsten und korruptesten Kreaturen im gesamten Weltall und ihrem Treiben wäre wohl bald ein Ende gesetzt worden, wären sie nicht alle vom Mutterkonzern geklont gewesen, so dass ein Großteil der Einnahmen wieder an diesen zurückfloss.
Dies alles verdross die Ungesetzlichen so sehr, dass sie nur
noch auf eigene Faust handelten. Man muss nun nicht glauben, dass diese Freibeuter irgendwie zusammenarbeiteten.
Nein, nicht nur beklauten sie wen sie beklauen konnten, sie
beklauten sich auch gnadenlos gegenseitig, indem sich sich
vom Schrott wegschubsten, wenn sie zufällig zusammentrafen, ja, sie kaperten sich gegenseitig ihre Raketen.
Es sind raue Gesellen und meist Einzelgänger. Dennoch verwundert es sehr, dass die meisten von ihnen nur einen Traum
zu haben scheinen, einen kleinen Kometen mit Aussicht auf
ein Zentralgestirn nur für sich alleine und ein kleines Eigenheim mit Realityshow und Gärtchen darauf.
Dafür rackern und schubsen sie rund um die Atomuhr.
Gar nicht selten konnten wir aus der Ferne eines ihrer Saugboote bei der verbotenen Tätigkeit beobachten. Diese hatten
vorn anstatt einer Spitze eine Saugdüse, mit der sie den Müll
in ihr Inneres ansaugten, welches sich mit der Zeit zunehmend aufblähte, um es dann, um ein Platzen der Außenhaut
zu verhindern, schnell in Richtung Mercator zu steuern, wo
die Schrotthändler bereits in weiten Orbits kreisten, um sie in
Empfang zu nehmen und die Sortierung und Wiegung vorzunehmen. Gewogen wird bei 2,5 G und nicht selten wird dabei
geschummelt.
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Mit dem erzielten Gewinn begeben sich die meisten der Freibeuter dann in eines der Vergnügungsviertel von Mercator,
um hinterher mit dickem Brummschädel irgendwo wieder
aufzuwachen und gewahr zu werden, dass sie völlig blank
sind, die Nase platt geschlagen, der Rüssel verknotet oder die
Saugnäpfe entzündet sind und sie von Neuem anfangen müssen.
Nicht so Willy Wikinger.
Er lachte schallend, als ich ihn auf seine Mannschaft ansprach.
»Du, du bist meine Mannschaft, - momentan!«, rief er zwischen zwei Hustenanfällen, weil er sich beim Lachen an seiner eigenen Spucke verschluckt hatte.
»Da schaust du, nicht wahr?«
Ich nickte ungläubig.
»Glaubst du etwa, ich würde mit jemanden teilen? – Für wie
blöd hältst du mich eigentlich, was?«
Dann funkelte er mich plötzlich wütend an und kam mit seinem Gesicht so nah an mich heran, dass ich unwillkürlich zurückwich. Er fasste mich an beiden Ohren und hob mich daran unsanft hoch.
»Du glaubst doch wohl nicht, dass du was abkriegst,
Bürschelchen!- du, ich warne dich«, fauchte er leise. »Wenn du
auch nur was anrührst, was mir gehört, dann koch ich dich im
Atomfeuer zu Kernschmelzkäse. – Hast du verstanden?«
Ich nickte stumm und rieb mir die schmerzenden Ohren,
nachdem er mich losgelassen hatte. Er blickte mich noch eine
Weile mit funkelnden Augen zornig rot im Gesicht an, dann
plötzlich tätschelte er mir den Kopf.
»Bist ein nettes Kerlchen, nicht wahr, wirst zu Pappi Willy
nett sein, nicht wahr?«
Ich nickte vorsichtig.
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Da wieherte er hässlich. »Kannst ja auch nicht anders, nicht
wahr, ist dir angezüchtet, hahahahar«, und wandte sich ab.
Ich fühlte einen tiefen Stich in meinem Inneren. Bislang hatte
ich stets mit großem Eifer und Gewissenhaftigkeit meine
Aufgaben erfüllt. Jedes Lob eines Vorgesetzten erfüllte mich
mit tiefer Freude und ich war, wie alle, stehts darauf bedacht,
alles richtig und zur Zufriedenheit zu erledigen.
Wofür war man sonst mit soviel Mühe und Liebe geklont
worden? Dass dies nun Anlass für Spott und Gelächter sein
sollte, schmerzte und es fällt mir schwer, Willy Wikinger diesen Moment zu verzeihen.
Dennoch muss ich anerkennend eingestehen, dass dieser
Mensch, denn um so einen handelte es sich ganz offensichtlich, voller Witz und Ideen war.
Mit dem von ihm gekaperten Polizeiboot hatte ich ja schon
reichlich Erfahrung gesammelt. Auch bei anderen Freibeutern und Schrottsammlern ging er ähnlich vor. Wenn sie ihn
nicht früh genug entdeckten, schlich er sich von hinten an sie
ran, stellte Blaulicht und Sirene an und zog die Polizeinummer ab. Mancher überließ ihm daraufhin die Ladung freiwillig, anderen schoss er vor den Bug, so wie mir, um sich mit
Gewalt zu holen, was diese nicht freiwillig geben wollten.
Ganz besonders imponierte mir aber die Idee, mit der er dem
Zoll entging.
Er hatte nämlich die vier Polizisten an die Eingangstür gefesselt und ihnen aufgetragen, dass sie beim Anblick eines Zollbeamten freundlich winken und lächeln sollten, damit diese
nichts ahnten, andernfalls würde es nichts zu essen geben
und auch keinen Seemanns-Tod mehr, auf den sie inzwischen
alle vier scharf waren, weil er selten zu bekommen war. Seine
Vorräte mussten unerschöpflich sein.
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Ende der Leseprobe von:
Ribor Raskovnik's merkwürdige Reise Ein humoristischer futuristischer Roman
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