Foto: privat Deutschland vergreist und schafft sich ab – solchem Pessimismus begegnet Thomas Straubhaar mit Zuversicht. Der Volkswirt meint, mit Zuwanderung und lebenslanger Bildung stehen uns die besten Jahre noch bevor. Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es ist das turwandel, werden sie keine Probleme haben, gute Gespenst einer schrumpfenden und alternden Ge- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Wenn sellschaft. Zuerst sorge es dafür, dass „die Schlauen nicht, erweist sich der Fachkräftemangel als selbstaussterben“, später dann führe es dazu, dass „sich verschuldeter Führungsmangel. Deutschland abschafft“. Am Ende drohe der UnterDie nachhaltigste Strategie zur Schließung einer gang. Ersetzt man demografische Mythen durch Fachkräftelücke setzt bei der konstanten und immer nüchterne Analysen, zeigt sich jedoch, dass Deutsch- wiederkehrenden lebenslangen Bildung der Erwerbsland und seine Bevölkerung die besten Jahre nicht bevölkerung an. Die Bildungssysteme dürfen sich hinter, sondern vor sich haben. nicht länger primär auf die ersten Lebensdekaden Offensichtlich verändert sich die demografische fokussieren. Sie haben sich auch mit HochleistungsSituation Deutschlands in mannigfacher Weise. An angeboten an den Bedürfnissen der 30- bis 70-Jähsich führen die geringe Zahl rigen zu orientieren. Das gilt in der Geburten und die steigende besonderem Maße für die UniDie hiesige Bevölkerung Lebenserwartung dazu, dass versitäten und Hochschulen. die Bevölkerung bald schrumpSie müssen eine Spitzenlehre wird für lange Zeit eher fen und altern würde. Wäre da nur für die Ausbildung wachsen als schrumpfen. nicht nicht die Zuwanderung: Die junger, sondern auch für ältere politische Stabilität, der wirtStudierende anbieten. Die junschaftliche Erfolg und das hohe Maß der Rechts- gen Alten von heute und morgen werden besser staatlichkeit ziehen wie ein Magnet hunderttausen- gebildet, fitter und gesünder länger aktiv sein wollen. de Menschen aus aller Welt an. Sie alle erhoffen sich Natürlich nehmen fluide kognitive Fähigkeiten – hierzulande ein besseres Leben als in ihren Her- also die Auffassungsgabe, Kreativität oder Originakunftsregionen. Die Bevölkerung wird als Folge der lität – mit zunehmendem Alter ab. Aber durch Zuwanderung noch für lange Zeit eher wachsen als entsprechendes Training und auch dank Fortschritschrumpfen. Die deutsche Gesellschaft wird deshalb ten der Neurologie lässt sich der Alterungsprozess vielfältiger und auch älter werden. Das wird nicht verlangsamen. Auch, weil mit dem Alter die kristaldazu führen, dass sie verschwindet. Aber sie wird linen Fähigkeiten zunehmen – also Wissen und anders sein. Ist das für Deutschland positiv oder Erfahrung sowie die Fähigkeit, Wichtiges von negativ? Unwichtigem zu trennen. Und nicht zuletzt wird Ein Großteil der Befürchtungen über die volks- die Digitalisierung helfen, die Abnahme der indiviwirtschaftlichen Folgen des demografischen Wandels duellen fluiden Fähigkeiten wenigstens teilweise erweist sich bei genauerem Hinsehen als Behaup- kompensieren und die individuelle Leistungsfähigtungen, deren Zutreffen alles andere als gesichert ist keit halten zu können. – etwa die wie ein Mantra vorgetragene These eines Werden vorhandene Potenziale von Frauen, drohenden Fachkräftemangels. Millionen von gut Älteren und der bereits hier lebenden Menschen mit gebildeten Frauen, Älteren und Menschen mit Mi- Migrationshintergrund besser und länger ausgegrationshintergrund würden nichts lieber tun, als schöpft, werden sich Digitalisierung und Demogramehr und länger zu arbeiten. Sie stehen heute schon fie in wunderbarer Weise ergänzen. Wenige(r), aber in Deutschland als ungenutzte Potenziale bereit, besser gebildete Menschen werden vernetzt und Fachkräftelücken zu füllen. Anstatt einen Mangel verbunden über das Internet mit mehr Kapital und zu beklagen, müssten viele Unternehmen lediglich weniger Aufwand mehr Wohlstand für alle schaffen ihre Mentalität ändern. Gefordert sind Verhaltens- als heute. Eine wunderbare Nachricht. Sie sollte weisen, die der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts allen Sorgen über den demografischen Wandel in gerecht werden. Schaffen Arbeitgeber diesen Kul- Deutschland jegliche Grundlage rauben. √ Ausgabe 5/16, 19. Jahrgang Einwurf Der Untergang ist abgesagt Prof. Dr. Thomas Straubhaar, geboren 1957 in der Schweiz, studierte Volkswirtschaftslehre in Bern. Seit 1999 ist Straubhaar Professor für Volkswirtschaftlehre, insbesondere internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Von 2005 bis 2014 war er Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Internationale Wirtschaftsbeziehungen sowie die Bevölkerungs ökonomie mit dem Schwerpunkt Migration. Kürzlich ist in der Edition Körber-Stiftung sein Buch „Der Untergang ist abgesagt“ erschienen. Kontakt: [email protected] 3
© Copyright 2024 ExpyDoc