Manuskript Beitrag: Sinnloser Patentschutz – Schaden für die Wirtschaft? Sendung vom 24. Mai 2016 von Sha Hua Anmoderation: Deutschland kann sich feiern. Das jedenfalls legt der Innovationsbericht der Bundesregierung nahe. Wir forschen und entwickeln, was das Zeug hält. Wir melden weltweit spitzenmäßig viele Patente an. Und Patente stehen bekanntlich für Erfindergeist. Weniger bekannt und weniger erfreulich ist der Umstand, dass manche Konzerne auch dann Patente anmelden, wenn die Erfindung klein ist oder gar keine. Dann verkommt der Schutz des geistigen Eigentums zum Popanz und kann sogar Innovation behindern. Unsere Autorin Sha Hua zeigt: Von Patenten profitiert nicht immer, wer eine gute Idee hat, sondern oft, wer der Größte und der Stärkste ist. Text: S.I.M.E.O.N Medical ist ein Mittelstandsunternehmen wie aus dem Bilderbuch. Die Firma aus Tuttlingen hat Abnehmer in 80 Ländern, macht 25 Millionen Euro Jahresumsatz. Die hochmodernen OP-Leuchten sind ein gutes Geschäft. Genutzt wird – unter anderem - ein simples, physikalisches Prinzip. Der Chef der Firma erklärt es mit Hilfe eines KinderLichtbaukastens. O-Ton Matthias Wierling, S.I.M.E.O.N Medical Tuttlingen: Wir haben zwei LEDs. Das Licht der LEDs wird zweimal gebrochen, einerseits durch den Punkt hier in der Mitte, das andere Mal durch diese geriffelte Fläche an der Oberfläche. Wenn ich die noch in ein Gehäuse lege, das kann so ein Kästchen hier sein, schließe das Ganze an die Stromquelle an - und noch diese kleine Folie draufmache, dann habe ich auch noch eine gemeinsame Lichtaustrittsfläche. Das Problem: Auf diesem allbekannten Prinzip liegt ein 17 Jahre altes Patent. EP0890059. Das zweite Problem: Der Eigentümer von EP0890059 ist Philips, ein milliardenschwerer Konzern. Der verlangt nun vom kleinen Mittelständler für die Nutzung des Patents ganz viel Geld. O-Ton Matthias Wierling, S.I.M.E.O.N Medical Tuttlingen: Die Eckdaten, die man uns damals schilderte, waren: Fünf Prozent des Umsatzes ist die Lizenzgebühr. Ferner hat man alle Unterlagen technischer Art Philips zu übergeben, damit Philips sehen kann, ob man noch weitere Patentverletzungen eventuell begehen würde. Man bekäme für diese fünf Prozent ein Paket von Patenten rund um das Thema LED. Viel Geld für eine Technik, die überall in Straßenleuchten oder im Büro zu finden ist. Schon vor 17 Jahren, als Philips das Patent anmeldete, war die Technik nach Meinung von Experten trivial. O-Ton Prof. Tran Quoc Khanh, Experte für Lichttechnik, TU Darmstadt: Eine Erfindung muss eigentlich außergewöhnliche Leistung bringen und das muss auch neu für den Stand der Technik sein. Aber dass eine Leuchte aus verschiedenen LEDEinheiten oder verschiedenen Lampen-Einheiten besteht, ist keine Neuigkeit. Philips jedoch glaubt fest daran, dass Zitat: „… diesem Patent eine wichtige technische Erfindung zugrunde liegt.“ Und so fordert Philips von vielen anderen Mittelständlern Lizenzgebühren. Die meisten zahlen, wehren sich nicht, weil sie die langwierige, komplizierte gerichtliche Auseinandersetzung fürchten. Denn in Deutschland gibt es zwei Gerichte, die Patentstreitigkeiten klären sollen: Das eine, das Landgericht, stellt fest, ob ein Patent verletzt wurde und ob die Produktion eingestellt werden muss. Das dauert normalerweise 14 Monate. Das andere, das Bundespatentgericht, braucht durchschnittlich 25 Monate um zu prüfen, ob das Patent überhaupt berechtigt ist. O-Ton Matthias Wierling, S.I.M.E.O.N Medical Tuttlingen: Das Problem liegt eigentlich dabei in dem Auseinanderfallen der beiden Gerichtsbarkeiten. Sodass wenn man das sozusagen zu Ende denkt und wenn der Gegner das zu Ende spielt, wird man gezwungen sein, für mehrere Monate oder gar Jahre die Produktion vollständig einzustellen. Dem Computer-Chip Hersteller iC-Haus war genau das widerfahren. Heiner Flocke verlor vor dem Landgericht einen Patentstreit mit einer großen Firma. O-Ton Heiner Flocke, Geschäftsführer iC-Haus, Bodenheim: Wir haben vom Verletzungsgericht den Bescheid bekommen zu unterlassen, neue Ware herzustellen und die alte zu vernichten. Haben das dann hier gefilmt, wie wir mit groben Werkzeugen unsere Mikroelektronik zerstören. Und der Schaden ist etwa mit 100.000 Euro anzusetzen. Ein Jahr später stellte das Bundespatentgericht fest: Das Patent der großen Firma war nicht berechtigt, also nichtig. Das nutzte Heiner Flocke nichts mehr, denn er hatte Zeichnungen, Rechnungen, Kundenlisten offenlegen müssen – also, das komplette Know-how seines Unternehmens an die Konkurrenz verraten. Existenzbedrohend für viele Mittelständler. Um das zu vermeiden, schlägt Professor Dietmar Harhoff eine einfache und praktische Lösung vor: O-Ton Prof. Dietmar Harhoff, Direktor Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München: Wenn wir die zeitliche Differenz zwischen den beiden Verfahren einschränken könnten, wäre schon viel gewonnen. Ergo müssten die Nichtigkeitsverfahren beschleunigt werden, schneller laufen. Oder das Verletzungsgericht müsste das Verfahren für eine bestimmte Dauer aussetzen und auf das Nichtigkeitsurteil warten. Das passiert leider sehr selten. Doch das Bundesjustizministerium will an der bisherigen Gesetzeslage nichts ändern und teilt mit, Zitat: „Die Entscheidung über die Aussetzung steht im Ermessen des Gerichts. Maßgeblich sind die Erfolgsaussichten des Nichtigkeitsverfahrens.“ Laut Max-Planck-Institut sind zwölf Prozent aller Fälle so wie Heiner Flockes: Es wird ein Patent „verletzt“, das später als nichtig erklärt wird. Das Problem wird immer größer. Immer mehr triviale Patente werden nicht nur angemeldet, sondern auch anerkannt. München. Besuch im Deutschen Patent- und Markenamt. Hier gibt es von Jahr zu Jahr neue Rekorde. 2012 waren es 61.000, 2013 waren es 63.000 und 2014 sogar 66.000 Patentanmeldungen. O-Ton Günther Huber, Abteilungsleiter Deutsches Patentund Markenamt, München: Wir werden ja von dieser Patentflut überschwemmt und werden davon vor großen Herausforderungen gestellt, weil die Menge des sogenannten Prüfstoffes, also den Stand der Technik, exponentiell anwächst, mit beispielsweise 90 Millionen Patentdokumenten im elektronischen Stand. Das nutzen große Konzerne. Sie stellen etwa 0,5 Prozent der Anmelder, melden aber rund 66 Prozent aller Patente an. O-Ton Prof. Dietmar Harhoff, Direktor Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, München: Das hat damit zu tun, dass Patente diese strategische Rolle angenommen haben. Die Unternehmen sahen plötzlich, dass sie sich besser aufstellen können, wenn sie auch selbst ein großes Patentportfolio haben. Auch Philips hat ein großes Patentportfolio. Obwohl die Ausgaben für Entwicklung und Forschung konstant blieben, vergrößerte der Konzern in den vergangenen fünf Jahren nach eigenen Angaben die Zahl seiner Lichttechnik-Patente von 515 auf 1434. Dementsprechend versechsfachte sich auch die Zahl der Lizenznehmer. O-Ton Prof. Tran Quoc Khanh, Experte für Lichttechnik, TU Darmstadt: Aus den Erzählungen der Mittelstandsfirmen, die zu mir gekommen sind, habe ich selber auch persönlich erfahren, dass dadurch Lizenzierungsgebühren verlangt sind, die auch über den Marktpreis oder überhöhte Anforderungen erfüllen muss. Und dadurch ist dann quasi ein Geschäft entstanden. Den Vorwurf, Patente strategisch auszunutzen, bestreitet Philips. Schriftlich heißt es, Zitat: „Durch unser offen zugängliches Lizenzprogramm teilen wir die Ergebnisse unserer Forschungsaktivitäten mit unseren Wettbewerbern. Auch die Endkunden profitieren (davon)...“ Philips profitiert auf jeden Fall. 2014 nahm das Unternehmen 299 Millionen Euro allein über Lizenzen ein. Mittlerweile ist das 17 Jahre alte Optik-Patent EP0890059 von Philips vom Bundespatentgericht für nichtig erklärt worden. Was sich die Mittelständler nicht trauten, wagte ein Großkonzern: Panasonic zog Philips vor Gericht und gewann - vorläufig. O-Ton Matthias Wierling, S.I.M.E.O.N Medical Tuttlingen: Nach dem Urteil beim Bundespatentgericht hat Philips uns mitgeteilt, dass Philips gegen dieses Urteil Revision einlegen wird. Darüber hinaus hätte man noch eine Reihe anderer Patente, worüber man gerne mit uns sprechen möchte. Es ist offensichtlich kein Ende in Sicht. Triviale Patente um abzukassieren. Profit auf Kosten des Mittelstands. Ganz legal - von Gerichten befördert, von Politikern geduldet. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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