Christustag 2016 – Schwäbisch Gmünd (Schönblick): Jesus – unser Friede Friede für die Gemeinde Frieden für die Gemeinde ist das Thema. Kein einfaches, wie ich finde. Ich habe gewiss noch nicht so viele unterschiedliche Gemeinden kennen gelernt, wie mancher von Ihnen oder mancher meiner Pfarrerskollegen. Aber ich habe doch sehr unterschiedliche Situationen an Gemeinden vor Augen. Angefangen von meiner gut pietistischen Heimatgemeinde, in der ich gerade nach mehr als 10 Jahren Wanderschaft wieder wohne. Oder die eher charismatische Gemeinde auf einer lateinamerikanischen Missionsstation, auf der ich mein Jahr nach dem Abitur verbracht habe. Später im Studium habe ich viele Gemeinschaften und Gemeinden erlebt: im Bengelhaus, in Tübingen, im Osten Deutschlands in völlig atheistisch geprägter Umgebung, dann eine Stadtgemeinde in Böblingen im Vikariat, später das wieder eher fromm geprägte Remstal. Ganz unterschiedliche Gemeindehorizonte, ganz tolle Gemeinden habe ich erlebt. Dennoch ganz ehrlich: Ausnahmslos „Frieden in der Gemeinde“ habe ich bislang noch nirgends erlebt. Eine Gemeinde ohne jegliche Missverständnisse, Probleme, Auseinandersetzung, Spaltung oder gar Trennung? Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich das verneinen. Die Realität, die ich erlebt habe, sieht eher anders aus. Statt Frieden kann man in christliche Gemeinschaften leider genauso häufig wie in säkularen Gemeinschaften Zwietracht, Streit und Uneinigkeit erleben. Ist das Thema also mehr eine Wunschformulierung als eine Tatsachenbeschreibung? Wenn wir in die Bibel schauen – in die Zeit der ersten Gemeinde – dann sehen wir, dass es eigentlich schon von Anfang an ein umstrittenes Thema war. Gerade zu Anfang musste sich ja die Gemeinschaft derer neu sortieren, die zur Gemeinde dazugehörten. Da waren die Jünger Jesu oder vielmehr schon deren Kinder und Enkel. Juden also, die wie Jesus auf eine lange Tradition und Geschichte mit Gottes Bund zurückblickten. Juden, die dann aber Jesus als die Erfüllung des Bundes erkannt haben, ihm folgten und schließlich zu Christen wurden. Und dann – nach und nach – wurde das Evangelium weitergetragen. Plötzlich wollten auch Menschen zu Jesus gehören, die vorher aus völlig heidnischem Hintergrund kamen. Und da haben wir schon den ersten Konflikt: Pfarrerin Elisabeth Berner 1 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Vermutlich fehlte den ehemaligen Heiden jegliches Verständnis dafür, dass die Judenchristen sich immer wieder auf ihre Tora bezogen und ihre Tradition hochhielten. Und den Judenchristen muss es unglaublich schwer gefallen sein, dass alles alte nicht mehr zählen sollte. Immer wieder mussten sie neu buchstabieren, was die Botschaft Jesu bedeutete, dass er das Gesetz abgelöst hatte und in ihm allein Friede mit Gott möglich wird. Genau das beschreibt die Situation, in die der Epheserbrief hinein geschrieben ist. Ich will mich jetzt mit Ihnen gemeinsam auf die Suche machen: 1. Erstens: Ich will mich mit Ihnen gemeinsam verstehen, was Paulus an die Epheser schreibt. 2. Zweitens würde ich dann gerne überlegen, was häufig Gründe für Unfrieden bei uns oft sind. 3. Drittens will ich entdecken, was wir heute hier tun und mitnehmen könnten, um diesen Frieden erlebbar zu machen bei uns und in unseren Gemeinden. Erstens: Der Epheserbrief Was waren also die Erfahrungen der Gemeinde in Ephesus. Man muss sich dazu vergegenwärtigen, an welchem historischen Punkt wir uns befinden. Es ist der Übergang von der Judenmission zur Heidenmission, also auch der Übergang von einer rein jüdischen Gemeinde, die nun Jesusgläubig ist zu einer Gemeinde, in der sich sowohl jüdische Christen als auch ehemals heidnische Christen wiederfinden. Eine neue Zusammensetzung, in der Fragen auftauchen: Wo wird da nun Gottesdienst gefeiert? In der Synagoge? Braucht es etwas Neues, eine Kirche? Vermutlich war dieser Prozess noch nicht abgeschlossen, denn die Trennung war immer noch deutlich zu spüren. Deshalb predigt Paulus der Gemeinde nun Folgendes. Und jetzt will ich gemeinsam mit Ihnen den Text einmal lesen. Eph. 2,11-22 11 Darum denkt daran, dass ihr, die ihr von Geburt einst Heiden wart und Unbeschnittene genannt wurdet von denen, die äußerlich beschnitten sind, 12 dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung; daher hattet ihr keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Pfarrerin Elisabeth Berner 2 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd 13 Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi. 14 Denn er ist unser Friede, der aus beiden "eines" gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft. Durch das Opfer seines Leibes 15 hat er abgetan das Gesetz mit seinen Geboten und Satzungen, damit er in sich selber aus den zweien einen neuen Menschen schaffe und Frieden mache 16 und die beiden versöhne mit Gott in "einem" Leib durch das Kreuz, indem er die Feindschaft tötete durch sich selbst. 17 Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18 Denn durch ihn haben wir alle beide in "einem" Geist den Zugang zum Vater. 19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist. Paulus erinnert zunächst einmal die Heiden in der Gemeinde daran, dass sie die hinzugekommenen sind. Die Heiden wurden also in den Bund Gottes eingegliedert, zu welchem die Juden schon seit dem alttestamentlichen Verheißungsbund dazugehörten. Äußeres Zeichen dieses Bundes war dafür die Beschneidung, welche die Juden auswies, welche die Heiden nicht vorweisen konnten. Es ist also ein Hinweis darauf, dass sie in der Reihenfolge nicht die ersten waren, sondern dass sie eingegliedert werden in eine Gemeinschaft, die bereits schon da war. Und zugleich – das kann man sich sofort vorstellen – wird eine Gemeinschaft immer auch anders, wenn Außenstehende dazukommen. Ein Beispiel erleben wir ja gerade auch in unserem Land, dessen Erscheinungsbild und Gesellschaft sich verändert, weil viele Menschen anderer Herkunft hier Zuflucht suchen. Da braucht es viel gegenseitige Rücksicht. Und damit beginnt Paulus auch. „Denkt daran, dass ihr einmal ausgeschlossen wart vom Bürgerrecht Israel…“ Es gab also zuvor eine Trennung, eine Mauer, einen Zaun. Was will Paulus damit sagen? Es gibt also ein „Prä“ Israel. Sie waren zuerst das erwählte Volk Gottes. Ihnen gilt der besondere Bundesschluss Jahwes. Paulus bezeichnet es auch als das „Bürgerrecht Israels“. Da gehörten die Heiden schlichtweg Pfarrerin Elisabeth Berner 3 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd nicht dazu. Der Bund Gottes mit seinem Volk Israel ist exklusiv. Das ist und bleibt herausfordernd – auch in unserem heutigen Umgang mit dem jüdischen Volk. Und zugleich macht Paulus ein zweites deutlich: Es gibt ein damals – einen alten Bund – und es gibt ein „Jetzt“. V.13 heißt es: „Jetzt aber in Christus“. Mit Jesus ist also eine neue Zeit angebrochen, ein neuer Bund, durch den diejenigen, die zuvor ferne waren, nahe geworden sind. Welch schönes Bild: die aus der Ferne werden herbeigerufen. Jesus ruft in erster Linie nicht die Nahen, sondern er bringt die Fernen herbei. Er ruft die Sünder, die Heiden, die Fremden. Das wiederum fordert nun aber auch Verständnis und Rücksicht derjenigen, die schon immer dabei waren. Während Paulus die Heiden daran erinnerte, dass Israel zuerst da war, gilt diese Botschaft jetzt also eher den Juden: Hört mal her, sagt er, ihr seid das auserwählte Volk Gottes. Aber ich habe den Bund erweitert, erneuert. Jetzt ist der Zugang zu Gott für jeden frei und zugänglich. Das wird gar nicht so einfach zu verdauen gewesen sein für die Judenchristen. Bislang konnten sie sich immer darauf berufen, dass sie eine besondere Geschichte mit Gott hatten, dass ihnen seine besondere Verheißung galt. Sie waren ausgesondert, abgetrennt. Und nun gab es keine Abgrenzung mehr zu anderen? Auch in unseren Gemeinden kennen wir vielleicht solche Situationen: Da kommen Leute von außen hinzu – sie ziehen zu oder sie finden neu zum Glauben und suchen den Anschluss an die Gemeinde. Aber sie kennen die Traditionen gar nicht, die wir haben. Ihnen sind unsere Gottesdienste, die Lieder des Gesangbuches fremd. Wer muss sich nun anpassen und unterordnen? Welche Regeln gelten nun in der neuen Gemeinschaft? Macht man alles so, wie es schon immer war oder ist es möglich, sich in den äußeren Formen zu wandeln und anzupassen, solange der Kern der Botschaft erhalten bleibt? Und was genau ist denn der Kern? Und da sind wir schon wieder bei Paulus. Denn diese Herausforderungen, die er an beide Parteien stellt, die haben einen guten Grund. Denn die Zusammengehörigkeit wird in Vers 13 beschrieben mit: „Jetzt aber in Christus Jesus…“. Das ist entscheidend. Jesus Christus steht im Zentrum dieser neuen Gemeinschaft. Er ist das Bindeglied zwischen Heiden und Juden. Er ist Bindeglied auch für uns zwischen Jungen und Alten, zwischen Alteingesessenen und Neulingen, zwischen Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Paulus führt dann weiter aus, wie das geschehen ist und welche Konsequenzen es hat. Wie ist es geschehen? Pfarrerin Elisabeth Berner 4 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Jesus hat die Feindschaft beendet. Er hat den Zaun, die Mauer abgebrochen. Was ist damit gemeint? Es wird in Vers 15 näher erläutert. Es meint das Gesetz, die Tora. Sie hat zuvor Am Kreuz hat er das Gesetz mit seinen Geboten und Satzungen abgetan. Das ist für jüdische Ohren eine Herausforderung, denn es meint, dass das alte Gesetz, die Erfüllung der Tora mit ihren vielen Geboten nicht mehr der Zugang zu Gott ist. Sondern durch den Tod Jesu die Sünde aus der Welt geschafft ist und damit auch die Feindschaft des Menschen gegenüber Gott weggeschafft ist. Es gibt einen neuen Zugang zu Gott – und der heißt Jesus. Dieser Weg ist für beide – Heiden und Juden – zugänglich und der einzige Weg zum Vater. Für uns ist das Evangelium im Wortsinn, also eine frohe Botschaft für uns. Jesus hat beiden – den Fernen und den Nahen – Frieden verkündigt. Hören wir darin noch das Besondere? Das Neue? Das „Jetzt aber“ ist er unser Friede? Oder klingt es für unsere Ohren schon fast abgedroschen, altbekannt. Wenn wir uns wieder einmal bewusst machen, was das bedeutet, dann wird das auch Auswirkungen haben auf die Gemeinde, auf unser Leben! • Weil Jesus der Friede ist, darf die Feindschaft auch zwischen uns nicht mehr herrschen. • Weil Jesus uns verbindet, darf uns nichts mehr trennen. • Weil Jesus uns die Fernen nahe bringt, dürfen wir anderen den Weg nicht versperren oder schwer machen. Es ist allerdings auch allein das Werk Jesu, der die Voraussetzungen dafür schafft. Denn auf menschlicher Seite steht immer noch die Feindschaft, die aufgerichteten Zäune und Mauern und Jesus tötet diese Feindschaft und reist den Zaun ab, bricht Mauern ein. Dann stehen sich plötzlich Feinde gegenüber, zwei Gruppen sind nun plötzlich eine. Das braucht zunächst Versöhnung, so heißt es. Und dann sind sie ein Leib. Dieses Bild kennen wir aus den paulinischen Briefen. In 1. Kor 12 entfaltet er das Bild der Gemeinde von den vielen Gliedern an einem Leib. Der Leib ist Christus. Wir alle sind geeint in seinem Leib. Das Abendmahl erinnert uns daran, wenn wir alle an diesem Leib teilhaben. Am Ende unseres Bibelabschnittes malt uns Paulus ein Bild vor Augen, wie die neue Gemeinschaft aussehen könnte: Es ist das Bild von einem Haus. Pfarrerin Elisabeth Berner 5 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Das Bild vom Hausbau hat also verschiedene Aspekte, an denen deutlich werden kann, wie Gemeinde sein sollte und was sie ausmacht. Es ist 1. der Zugang zum Vater, 2. die Hausgenossenschaft und 3. Jesus als Eckstein. 1. Zugang zum Vater: Das altorientalische Bild vom Haus verbindet damit nicht nur das Gebäude, sondern immer auch die Zugehörigkeit einer Familie, einer Sippe zu diesem Haus. Eine tragende Rolle spielt dabei der Hausvater. Er steht dem Haus vor und wer zu diesem Haus gehört, hat Zugang zum Hausvater. Entscheidend ist der Zugang zum Vater. Diesen Zugang zum Vater, von dem Paulus in V. 18 schreibt, dieser Zugang ist nun für alle frei: egal ob jüdischer Herkunft oder heidnischer Herkunft. Gott wird zum Vater für alle. 2. Hausgenossen: Deshalb werden alle diejenigen, die zu diesem Vater gehören plötzlich Geschwister. Er bezeichnet die Heidenchristen der Gemeinde nun neu als Hausgenossen. Sie haben nicht mehr den Gästestatus, sind nicht mehr Fremdlinge, sondern sie gehören dazu so wie jemand, der in diesem Haus aufgewachsen ist. 3. Christus = Eckstein: Grundlage dafür ist die Bauart dieses Hauses. Dieses Haus „Gemeinde“ ist eben nicht mehr auf den Grund der Tora aufgebaut, sondern es hat einen besonderen Eckstein – Jesus Christus selbst. Der Eckstein hatte seinen Platz und seine Funktion sogar noch unter dem Fundament. Er bestimmt, wo Länge und Breite eines Hauses zusammenkommen und damit die genaue Ausrichtung des Hauses. In Christus wird also die Kirche aus Juden und Heiden gegründet und zusammengehalten. Ein Problem allerdings hat das Bild vom Haus. Es wirkt ganz statisch. Eben so wie unsere Gebäude. Sie stehen da, sind unverrückbar. Da verändert sich nichts. Das Interessante allerdings an dem Bild, das hier gezeichnet ist, finde ich eines: Das Haus scheint gar nicht fertig gebaut zu sein. Denn hier heißt es: der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Die Kirche, die Gemeinschaft aller Glaubenden, ist niemals statisch. Pfarrerin Elisabeth Berner 6 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Das heißt doch auch, dass Gottes Dimension von Kirche immer größer ist als das, was wir äußerlich sehen. Wir denken vielleicht an ein Kirchengebäude, Gott aber sieht einen „heiligen Tempel“. Tempel bezeichnet zwar auch ein Gebäude, meint aber viel mehr als das: der Tempel ist der Ort, wo Gottesbegegnung stattfindet. Die Stiftshütte im Alten Testament, also der Vorläufer des Tempels war ein Ort, wo Gott sich niederließ und wohnte. Übrigens: Überhaupt nicht statisch! Ein Ort, an dem er sich nahbar macht und sich uns zeigt. Das ist ein Tempel und dieser Tempel ist dort, wo es keine Feindschaft mehr gibt, wo Mauern niedergerissen sind und wo Menschen unterschiedlicher Persönlichkeiten und Herkunft miteinander Gott loben und feiern. Das ist die Neubestimmung. Das alles, den Zugang zum Vater, die neue Hausgenossenschaft und den Bau eines „heiligen Tempels“ können wir nicht selbst machen! Erinnern wir uns: ER ist unser Friede! Das ist der zentrale Satz in dem Text. ER ist der Eckstein. ER ist das Bindeglied. Und er HAT bereits die Feindschaft getötet und den Frieden gebracht. Wir müssen ihn nur entdecken und möglichst verhindern, selbst wieder Mauern zu bauen. Das ist die Verheißung, die Zielvorgabe für uns. So soll Friede bei uns sein. Warum aber ist es denn so oft nicht so? Zweitens: Gründe für UnFrieden Zunächst einmal darf es uns eigentlich nicht verwundern, dass es in der Gemeinde Jesu Christi nicht anders zugeht, als auch sonst in dieser Welt. Warum? Wir haben es hier und heute bei dieser Veranstaltung vermutlich mit einer recht homogenen Gruppe zu tun. Immerhin haben Sie alle heute hier das Durchhaltevermögen drei Bibelarbeiten zu hören. Für den Durchschnittsmenschen ist das an einem Feiertag durchaus ungewöhnlich. Aber dennoch würde ich mal behaupten – obwohl wir uns hier vermutlich in vielem – unserer Prägung, unserer theologischen Haltung, unseres Alters (gut, da gibt’s schon Unterschiede), unserer geistliche Ausrichtung sehr ähnlich sind, bleiben wir dennoch sehr unterschiedlich. Unsere Persönlichkeiten sind mindestens genauso unterschiedlich wie sie es unter Nichtchristen sind. Wir Menschen können so unglaublich unterschiedlich sein: Das merkt man zum Beispiel nach dem ersten Ehejahr oder wenn es mal so richtig ans Arbeiten und Schaffen geht, nach 2 Wochen gemeinsamem Zelten in der Wildnis, in Extremsituationen und Krisen oder wenn es Veränderungen gibt. Eben dann, wenn Pfarrerin Elisabeth Berner 7 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd man eine intensive Gemeinschaft erlebt und eng zusammen lebt oder zusammen arbeitet. Dann kommen die Unterschiede deutlicher zur Geltung. Dass es also auch in Gemeinden solche Konflikte gibt und nicht nur Frieden, ist keine Überraschung, sondern vielleicht sogar ein Kennzeichen dafür, dass eng zusammen gelebt und gearbeitet wird. Bsp.: Gemeinde will Gottesdienstzeiten ändern So wie in Streithausen. Die Gemeinde überlegt, ihre Gottesdienstzeiten zu ändern. Bislang gab es immer einen Frühgottesdienst um 8.30 Uhr und den Normalgottesdienst um 9.30 Uhr. Nun wird über eine Verlegung des späteren Gottesdienstes auf 10 Uhr nachgedacht. Pfarrerin Schläferich würde liebend gerne den Frühgottesdienst ganz streichen, damit sie nicht auch noch am Sonntag um 6.30 Uhr aufstehen muss. Kirchengemeinderat Ausflugsfreudig allerdings fand bislang den Frühgottesdienst so geschickt, weil er dann im Sommer mit seiner Frau dann spätestens um 10 Uhr zu seiner Radtour aufbrechen konnte. Gudrun Lammfromm möchte ungern vom 9.30 Uhr Gottesdienst abweichen. Denn dann wäre der Sonntagsbraten nicht um 12 Uhr auf dem Tisch und überhaupt war es doch schon immer so in ihrem Ort gewesen, dass um halb 10 Uhr Gottesdienst war. Warum Altbewährtes über Bord werfen? Melanie Ausgelastet wünscht sich hingegen schon lange, dass sie den Sonntagmorgen mit ihren Teeniekindern ausschlafen und danach gemütlich brunchen kann. Gottesdienst – wenn überhaupt – hätte da vor 11 Uhr nichts zu suchen. Und Ben Brummelig würde mit seinen 15 Jahren am liebsten eh erst am Abend Gottesdienst feiern, weil es da eh viel hipper ist und gechillter als sonntagsfrüh. Tja, da haben wir sie alle beieinander: Unterschiedlichste Interessen und Lebenssituationen. Wohlgemerkt, hier geht es nur um eine vielleicht banale Frage, wann der Gottesdienst stattfinden soll. Nun sollte man meinen, dass wir uns durch die Einheit in Jesus auf eine klare Lösung einigen können müssten. Doch wie schwer das sein kann, brauche ich Ihnen vermutlich nicht zu erzählen: So unterschiedlich sind die Lebenssituationen und Persönlichkeiten. So unterschiedliche sind die Milieus und Lebenswelten, zu denen Menschen gehören. Das eine sind sicherlich die unterschiedlichen Lebenssituationen. Das merke ich gerade selbst neu, seit unser 1 ½ jähriger Sohn auch sonntags um halb 8 auf der Matte steht, hätte auch ich nichts mehr gegen einen zeitigen Gottesdienst einzuwenden. Das wird dann vielleicht wieder anders nach der Kleinkindphase. Auf der anderen Seite gibt es aber auch bleibende Unterschiede. Pfarrerin Elisabeth Berner 8 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Persönlichkeitstypen (nach: Riemann-‐Thomann-‐Modell, Grundformen der Angst) Es gibt zahlreiche Beschreibungen unterschiedlicher Persönlichkeiten. Zur Verdeutlichung, wie unterschiedlich wir sein können, möchte ich einen kleinen Abstecher machen: ich finde ein einfaches Modell recht hilfreich: Es ist eine Art Koordinatenkreuz, in dem man sich selbst verorten kann: Demnach gibt es Persönlichkeitstypen, die sich nach vier Richtungen einteilen lassen. Es gibt Menschen, die Nähe lieben und brauchen. Sie fühlen sich in Gemeinschaft wohl, sind kontaktfreudig, teambereit, ausgleichend, harmoniebedürftig. Entgegengesetzt sind Distanzmenschen: sie brauchen ihre Ruhe, Freiheit. Sie zeichnen sich durch rationales Denken aus, dabei können sie unnahbar und kühl wirken. Auf der anderen Achse befinden sich die Pole Dauer und Wechsel. Während der eine Dauerhaftigkeit, Stetigkeit und Stabilität braucht, liebt der andere Spontanität, Kreativität und hat viele Ideen und immer mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft. Na, wo würden Sie sich verorten auf den Achsen? Und wenn Sie jetzt an einen Konflikt, an „Unfrieden“ denken, den sie erleben: könnte es auch an unterschiedlichen Persönlichkeiten hängen? Ich bin sicher, dass heute Morgen alle diese Persönlichkeitstypen hier vertreten haben. Manchmal, ja oft sind solche konträren Typen miteinander verheiratet und sitzen nicht selten alle in Gremien der Gemeindeleitung beisammen. Wundert es uns da noch, dass es ganz schön schwierig ist, auf einen Nennen zu kommen? Ermutigend ist: Jeder Persönlichkeitstyp hat also seine Stärken und Schwächen und nur gemeinsam im Team kann man mehr erreichen und alle Stärken nutzen. Dass die Unterschiede aber Sprengkraft bergen, ist offensichtlich. Theologische Unterschiede Neben den zwischenmenschlichen Konflikten, sind die theologischen Unterschiede herausfordernd. Da, wo es um das „Eingemachte“ geht, da wo es unsere Herzensanliegen betrifft und das, was wir für uns als Wahrheit erkannt haben. Wer hat das richtige Bibelverständnis? Wer ist gerettet und wer nicht? Wer ist noch unter Gottes Gnade und wer hat die Gnade Gottes verspielt? Pfarrerin Elisabeth Berner 9 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Wie oft ziehe ich selbst klare Grenzen zu „den anderen“. Baue Mauern und Zäune. Genau wie damals. Aber denken wir noch einmal an die Epheser. Die Parteien schienen unversöhnlich und zerstritten. Und doch stellt Gott sie zusammen. Gott verbindet Menschen in einem Leib, in einer Gemeinde. Alle haben Zugang zum Vater. Er hat Mauern niedergerissen, Feindschaft abgebrochen. Vielleicht müssen also unterschiedliche theologische Haltung und Sichtweise nicht zwangsläufig immer trennend sein. Für uns ist die Brisanz des Konfliktes aus Ephesus heute vielleicht nicht mehr nachvollziehbar. Unsere Grenzziehungen und Konfliktlinien verlaufen an anderen Linien, zum Beispiel zwischen der wörtlichen Bibelauslegung und der symbolischen, zwischen Befürwortern und Gegnern einer Trauung Homosexueller. Jesus selbst ist Menschen mit Klarheit und Liebe begegnet. Er hat seine Botschaft niemals lieblos vertreten. Kann er uns darin ein friedensstiftendes Vorbild sind? In manchen Konflikten überwiegen die unterschiedlichen theologischen Ansichten, bei anderen genügen bereits die Persönlichkeitsunterschiede. Bei beidem sind wir herausgefordert, die Mitte zu suchen, das Gemeinsame, das Verbindende. ER ist unser Friede, er verbindet die getrennten Parteien zu einem Leib. Er will die Fernen zu sich holen und fordert dafür Verständnis von uns, die wir nahe sind. Also lassen Sie uns nicht diejenigen sein, die Mauern bauen und Zäune ziehen, wenn Jesus sie niederreißt. Wir brauchen ihn als das Verbindende. ER IST UNSER FRIEDE! Drittens: Wie ist Frieden in der Gemeinde möglich und Was können wir dafür tun? Pfarrerin Elisabeth Berner 10 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Was ich begeisternd finde: Paulus macht wunderschön klar, dass der Friede Gottes mitten hineinkommt in eine zerstrittene und schwierige Situation. Und zwar in einer Person – ohne unser Zutun. Jesus schafft nicht nur Frieden, sondern er selbst ist in Person (!) Frieden. Frieden wird möglich, wenn wir uns an ihm als „der Friede“ höchstpersönlich orientieren. Das hört sich aber zugegebenermaßen einfacher an, als es ist. Denn wenn es mal Zoff gegeben hat oder wenn Personen sich aneinander reiben, dann entstehen auch schnell Verletzungen. Da braucht es dann bei uns eben auch oft Versöhnung. Der Friede ist und bleibt also „extra nos“, unverfügbar. Zum Glück ist das so, denn so ist er immer vorhanden und hängt nicht von unserer richtigen Anwendung, von unserem Tun, von unseren Team-Konstellationen oder Persönlichkeiten, nicht einmal von theologisch differenten Positionen ab. Andererseits mögen wir die Unverfügbarkeit bedauern. Wir haben ihn nicht als Werkzeug in der Hand. Auch wenn Christus selbst der Friede ist, so ist der Friede in der Gemeinde und zwischen den Christen selten einfach da, sondern meistens erarbeitet. Das heißt also auch, dass Unterschiede auszuhalten bleiben. Wir sind verschieden und es gibt eben auch in vielen Dingen unterschiedliche Meinungen. Diesen Unterschieden – auch der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft – gilt es gerecht zu werden. Ausgehend von der Einheit, dem Frieden in Christus, darf und muss es eine Vielfalt an Formen und Ausdrucksweisen von Glauben und Gemeinde geben. Häufig wird „Frieden in der Gemeinde“ so missverstanden, als müsse sich dieser sonntagmorgens um 10 Uhr in dem Miteinander aller Generationen unter einer einzigen agendarischen Gottesdienstform, zeigen. Auch das ist mehr und mehr ein Wunschtraum, wo ich mir gar nicht sicher bin, ob es gut ist, dem weiter nachzustreben. „Fresh expressions of church“ ist eine aus England kommende Bewegung. Beeindruckend ist, dass die Anglikanische Kirche – übrigens vorwiegend aus finanzieller Not heraus – begann, bewusst das „Andere“ zuzulassen und zu fördern. Also andere Pfarrerin Elisabeth Berner 11 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd Gottesdienst- und Gemeindeformen neben den parochialen. So entstanden Gottesdienste in Kneipen, Schulen und Fitnessstudios. Absolut nicht konform mit unseren Gottesdiensten. Aber alles Gottesdienste, die zu Jesus führen. Einheit in Christus ist nicht zu verwechseln mit einer einheitlichen Gottesdienst oder Gemeindeform für alle. Es ist gut, dass es verschiedenes gibt, solange Christus im Zentrum steht. Es könnte also dem Frieden in Gemeinde Streithausen zuträglicher sein, dass man sich im Bezirk um ein gemeinsames Frühgottesdienstangebot für Ausflugsfreunde bemüht und daneben einmal im Monat eine Familienkirche mit Theater, Band und Brunch im Anschluss anbietet und sonntagsabends zur Teeniekirche einlädt. So könnte Gemeinde wachsen und zu einem „heiligen Tempel“ werden. Zum Schluss: Frieden in der Gemeinde – wir dürfen gewiss sein, dass dieser Friede nicht von uns gemacht werden muss, sondern dass er uns verheißen ist trotz unserer Streitigkeiten, Unterschiede und Mauern. Jesus hat die Mauern durchbrochen, stellt uns als Geschwister zusammen und ist selbst als Friede gegenwärtig. Darum lasst und diesen Frieden suchen, darum beten, das Unterschiedliche in Liebe aushalten und immer wieder uns erinnern, dass wir einen guten Grund für Frieden in der Gemeinde haben. Denn: „Einen andern Grund kann niemand legen, als den der gelegt ist: Christus.“ Pfarrerin Elisabeth Berner 12 Christustag 2016, Schwäbisch Gmünd
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