Der Scheinfriede am Brenner - ff

leitartikel
Der Scheinfriede am Brenner
Die österreichische Politik braucht den Brenner, weil sich damit Stimmung machen lässt –
Südtirol hat kaum etwas mitzureden. Deswegen wird dort oben nicht so schnell Frieden
einkehren, auch wenn keine Flüchtlinge kommen.
V
von Georg Mair
Italien kontrolliert
in Bozen und am
Brenner mit allem,
was es hat, aber
der Tiroler
Landeshauptmann Günther
Platter wettert los,
sobald ein paar
Flüchtlinge durch
ein Tiroler Dorf
laufen.
oreilig war, wer von einer (verbalen) Abrüstung am Brenner sprach, nachdem sich
dort vor zwei Wochen der italienische und
der österreichische Innenminister trafen. Es erweist sich jetzt als das, was es war: eine Show. Die
Minister Angelino Alfano und Wolfgang Sobotka lachten in die Kamera, und die Landeshauptleute von Tirol und Südtirol lachten mit.
Das, was am Brenner abläuft, ist Showpolitik.
Denn in den vergangenen Wochen konnte man
am Brenner mehr Journalisten als Menschen auf
der Flucht treffen.
Doch in Österreich kann man den Brenner
gut gebrauchen. Man kann einmal damit drohen, einen Zaun zu errichten. Das ist das Signal
an die freiheitlichen Wähler: Hart sein, das können wir auch, auch wir von SPÖ und ÖVP lassen niemand herein.
Und man kann dann wieder versichern, die
Grenze sperren wir nur, wenn es wirklich notwendig ist – wir sind ja gute Europäer, wir schauen
auf Wirtschaft und Tourismus, und die „Brüder
im Süden“ wollen wir ja auch nicht vom „Vaterland“ abriegeln. Das ist das Signal an die andere
Hälfte Österreichs, an die, die glauben, dass man
Grenzen nicht einfach so sperren darf.
Diese Varianten der Schmierenkomödie, die
am Brenner aufgeführt wird, helfen auch dem
Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, das Gesicht zu wahren. Schließlich antichambrierte er in den vergangenen Wochen nahezu wöchentlich in Wien, wenn er nicht gerade
in Rom war. Er kann dann heimkehren und sagen, Österreich hat uns Südtiroler doch noch
lieb, der Brenner bleibt offen.
Die Wahrheit ist: Denen in Wien ist ziemlich
egal, was Kompatscher denkt, in Wien zählen
nur die nächsten Wahlen (oder die aktuelle Meinungsumfrage), und da ist die große Koalition
bestrebt, so zu werden wie die Rechtspopulisten
von der FPÖ, wenn es um Migration, Asyl und
Menschen auf der Flucht geht. Man kann darauf
Wetten abschließen: Am Brenner wird nur Frieden herrschen, wenn sich die Umfragen für ÖVP
und SPÖ bessern.
Da stören schon ein paar Schwarzafrikaner,
die in Gries am Brenner auftauchen. Der Tiroler
® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Landeshauptmann Günther Platter wettert dann
gegen Italien: Die schlampigen Walschen, ein
paar Wochen haben sie so getan, als würden sie
kontrollieren, jetzt lassen sie wieder alle laufen.
Wer in den letzten Wochen am Brenner war,
konnte Folgendes feststellen: Kam ein ­Eurocity
an, marschierten an die 30 Sicherheitskräfte am
Bahnsteig auf, kam ein Regionalzug von Süden,
blockierten sie den Übergang zum Stumpfgleis,
an dem die Züge nach Innsbruck abfahren.
Polizisten, Carabinieri, Finanzer, die „Celere“,
die Mitglieder der Sondereinheit der Polizei aus
Padua in ihren nachtschwarzen Uniformen, und
milchgesichtige Soldaten in Kampfanzug, schusssicheren Westen und Feuerwaffen. Menschen auf
der Flucht empfangen wir wie Verbrecher, am
Brenner wie auch am Bahnhof in Bozen.
Was Platter will, weiß man nicht. Vielleicht
weiß er es nicht einmal selber. Aber eines kann
man feststellen: Die Botschaft, der Brenner werde überrannt, macht Angst, Angst, die wenig
mit der Wirklichkeit zu tun hat. Und aus dieser
Angst entstehen Ressentiments, Ablehnung von
Menschen, die Schutz suchen, Konflikte. Glaubt
Platter wirklich, man könne eine Grenze lückenlos kontrollieren? Das ist nur in einer Diktatur
und mit einem unverhältnismäßigen Aufwand
möglich.
Menschen auf der Flucht werden am Brenner von den Freiwilligen von Volontarius empfangen. Sie sorgen für Essen, Trinken und ein
bisschen Wärme. Monika Weissensteiner von
der Langer-Stiftung wacht darüber, ob die Rechte von Menschen auf der Flucht gewahrt werden.
Am Brenner gibt es viele Ordnungskräfte, aber
keine Dolmetscher, keine Rechtsberatung.
Die Menschen auf der Flucht bekommen
Papiere in die Hand, die sie nicht verstehen.
Kommen sie zu ihrem Recht? Darüber wäre zu
reden oder über die 200 Asylsuchenden, die in
Bozen immer noch unter prekären Umständen
in Lagerhallen leben. Warum bekennen sich
Minister und Landeshauptleute nicht einmal laut
zu Menschlichkeit, Menschenrechten und der
Verpflichtung, Menschen, die vor Krieg, Gewalt,
n
Tyrannei fliehen, zu helfen? No. 21 / 2016