Der Hampelmann

Anna-Lena Hees
Der Hampelmann
Anna-Lena Hees
Der Hampelmann
Kinderbuch
© 2016 Anna-Lena Hees
Alle Rechte vorbehalten
1.Auflage 2016
Umschlaggestaltung: Anna-Lena Hees
Drucksatz: Anna-Lena Hees
Lektorat: Andreas März
Printed in Germany
Erschienen über epubli, Verlagsgruppe Holtzbrinck GmbH
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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In einem Dorf mitten auf dem Hunsrück lebte ein kleines Mädchen. Sie hieß Lola Becker und war sechs Jahre alt. Ihre langen, braunen Haare fielen dicht über ihre Schultern und weil Lola sie oft offen trug, waren sie beinahe täglich völlig zerzaust. Da war es schon mal schwierig, mit dem Kamm hindurch zu kommen. Es ziepte im‑
mer sehr. Lola mochte das nicht und weinte da‑
her immer wieder, wenn ihre Mutter versuchte, die Kleine zu kämmen. Das Mädchen war trotzdem ein aufgewecktes und fröhliches Kind. Sie hatte bereits einige Zahnlücken und zeigte diese gerne, wenn sie mal in eine Kamera lachte. In eine Kamera lachen sollte Lola auch bald wieder. Es war Frühling ge‑
worden, und in einigen Wochen kündigte sich die Fotografin an. Zudem fanden auch häufiger Besuche in der nahegelegenen Grundschule statt, in die Lola nach den Sommerferien kommen sollte. Sie freute sich bereits darauf, bald das Les‑
en und Schreiben zu lernen. Aber ob sie sich mit 5
dem Rechnen anfreunden konnte, wusste bisher noch niemand. Lolas beste Freundin war bereits im vorigen Jahr eingeschult worden und hatte der Sechsjährigen von ihrem Schulalltag erzählt. Der Matheunterricht solle ätzend sein, hatte sie ihr gesagt. Lola glaubte das, obwohl sie sich un‑
ter den vielen Zahlen noch nichts vorstellen konnte. Auch an diesem Tag war Lolas Freundin zum Spielen da. Die beiden Mädchen tobten im Gar‑
ten der Familie herum und hatten dabei jede Menge Spaß. Die Sonne schien vom tiefblauen Himmel herab und die Vögel zwitscherten. An dem alten Apfelbaum, der am Rand des Gartens stand, hing eine alte Holzschaukel, auf der Lola manchmal schaukelte, wenn es draußen warm war. An diesem Tag wechselte sie sich mit So‑
phia ab, doch es dauerte gar nicht lange, da war den Freundinnen die Lust vergangen. „Was sollen wir jetzt machen?“, fragte Lola und schaute Sophia an. „Weiß nicht. Fangen spielen? Oder doch Verste‑
cken? Das ist mir egal.“ Sophia zuckte die Schul‑
tern. „Keine Lust. Ich glaub, ich will ein Bild malen. 6
Bald kommt die Fotografin in den Kindergar‑
ten.“ Lola schaute in Richtung Haus, und in der nächsten Sekunde war sie auch schon losgelau‑
fen. Ihr Kleid wehte dabei ihm Wind. Sophia lä‑
chelte und folgte ihrer Freundin in die Stube. „Hallo, ihr zwei“, begrüßte Lolas Mutter Marina die beiden. „Wolltet ihr denn nicht länger drau‑
ßen bleiben? Es ist doch so schönes Wetter heu‑
te.“ „Nein, Lola will ein Bild malen, weil ja bald die Fotografin kommt“, erklärte Sophia. Sie wollte ihrer Freundin folgen, wurde aber noch von Ma‑
rina aufgehalten. „Ich kann euch den Tisch sau‑
ber machen, dann könntet ihr draußen malen. Habt ihr Lust?“ „Hm, ich frag Lola mal.“ Sophia lief weiter und stand kurz darauf in Lolas Kinderzimmer. „Lola, deine Mama hat gefragt, ob sie uns den Garten‑
tisch sauber machen soll, weil dann könnten wir ja draußen malen.“ „Ähm … nö. Kein Bock. Ich bleib hier.“ Lola hat‑
te bereits angefangen, ihre Malkiste auseinander zu nehmen. Sophia ließ sich auf den Boden plumpsen und half ihrer jüngeren Freundin. Es dauerte keine fünf Minuten, da war ein heilloses 7
Durcheinander entstanden. „Ich weiß einfach nicht, wo der Malblock hin ist“, jammerte Lola. „Ich auch nicht. Wo war der denn zuletzt?“ „Da, in der Kiste.“ Lola standen die Tränen in den Augen. Sie wollte doch so gerne ein Bild ma‑
len. Genauso, wie sie sich den Termin mit der Fotografin vorstellte. „Auf dem Bild wollte ich malen, wie ich in die Kamera lache. In meinem schönsten Kleid. Weil, das ist ja das Abschluss‑
foto, bevor ich in die Schule komme“, erklärte sie mit trauriger Stimme. „Hm, also, vielleicht können wir deine Mama ja nach Papier fragen. Sie hat bestimmt was da, wenn wir schon den Block nicht finden“, schlug Sophia vor. Aber Lola schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, griff nach einem Stift und begann, die Wand an‑
zumalen. „Lola!“, rief Sophia da empört. „Das darf man gar nicht. Das ist eine Wand und kein Papier. Lass das sofort sein!“ „Nee. Ich will malen!“ „Lola!“ Sophia konnte nicht länger ansehen, wie ihre Freundin die Wand anmalte, und nahm ihr 8
kurzerhand den Stift weg. Lola heulte wie ein Schlosshund und schubste ihre Freundin aus dem Zimmer. „Du bist doch blöd“, meckerte Sophia und zog beleidigt von dannen. Sie trampelte lustlos die Treppe hinunter und hatte dabei die Arme ver‑
schränkt. In der Küche ließ sie sich anschließend auf einen Stuhl fallen. „Was ist los, Sophia?“, fragte Marina. „Habt ihr euch gestritten?“ „Darauf kannst du wetten! Lola hat die Wand angemalt und ich wollte ihr den Stift wegneh‑
men, damit sie es sein lässt. Da hat sie plötzlich geheult und mich weggejagt.“ Sophia fing an zu weinen. Dicke Tränen kullerten an ihrer Wange hinunter und tropften auf ihre Hose. „Tatsächlich? Ach je, das ist aber so gar nicht schön.“ Marina nahm Sophia in die Arme. Sie wollte Lolas Freundin trösten. „Ich gehe mal zu ihr und sehe nach dem Rechten. Ist das okay?“ „Ja, bitte. Du wirst sehen, sie kritzelt die Wand voll. Und alles, weil sie den Malblock nicht fin‑
det.“ „Ach, was, wenn es sonst nichts ist ...“ Marina lachte kurz auf, dann machte sie sich auf den 9
Weg ins Zimmer ihrer Tochter. Lola stand wie‑
der an der Wand und malte. Diesmal hatte sie aber einen Filzstift in der Hand. Mutter Marina schlug sich die Hand vor den Mund. Sie war geschockt. „Da hatte Sophia ja recht! Sag mal, Lola, wie kommst du dazu? Leg sofort den Stift aus der Hand. Die Wand kannst du selbst schrubben.“ Weil Lola aber nicht auf ihre Mutter hörte, griff diese ein und zerrte ihre Tochter mit aller Kraft von der Wand weg. Auch den Stift löste sie aus Lolas Klammergriff. Das Mädchen heulte darauf‑
hin wieder los. „Lola, du könntest später zur Feuerwehr gehen. Als Sirene machst du dich prima. Hör bitte auf! Du hast überhaupt keinen Grund dazu. Verstan‑
den? Du weißt eigentlich, dass wir keine Wand bemalen. Warum machst du das?“ Marina mus‑
terte ihre Tochter von oben bis unten. „Mein Block ist weg“, schluchzte die Kleine. „Und deswegen bemalen wir Wände? Ach, Lola. Ich hätte dir doch auch Papier geben können. Warum kommst du denn nicht zu mir?“ „Will ich nicht. Ich will meinen Block haben.“ Lola schüttelte sich. Sie warf sich auf ihr Bett und 10
ließ sich kaum beruhigen. „Lola, weißt du eigentlich, dass du Sophia Un‑
recht getan hast? Sie hat genau richtig gehandelt, in dem sie dir den Stift weggenommen hat. Du hast also gar keinen Grund, deine Freundin aus dem Zimmer zu jagen. Hast du mich verstan‑
den? Ich möchte, dass du dich bei ihr entschul‑
digst.“ Marina fuhr ihrer Tochter sanft über den Rücken. „Da ist die blöde Kuh doch selber schuld. Wenn ich meinen Block nicht habe, dann muss die Wand halt herhalten“, antwortete Lola ins Kis‑
sen. „Lola, weißt du eigentlich, was du da gerade sagst? Die Wand muss eben nicht herhalten. Dann kann man ja auch mal auf das Malen ver‑
zichten, oder? Komm jetzt! Steh auf und komm mit runter in die Küche. Sophia wartet schon“, erwiderte Marina und rüttelte Lola an der Schul‑
ter. „Boah, nein, jetzt lass mich in Ruhe“, gab Lola fauchend zurück und rollte sich zusammen wie eine Katze. Marina wusste nicht, was sie tun soll‑
te. Schulterzuckend verließ sie das Zimmer und ging die Treppe hinunter. 11
„Da hat sie weiter an der Wand gemalt. Mit ei‑
nem Filzstift. Ich habe ihr gesagt, sie soll die Wand selbständig säubern. Ich bezweifle aber, dass sie das tut“, berichtete sie der kleinen So‑
phia. „Wird sie auch nicht. Aber was ist in sie gefah‑
ren?“ „Frag nicht, Sophia. Ich glaube, das Beste wird sein, wenn du nach Hause gehst. Soll ich dich schnell fahren?“ „Ja, bitte.“ Sophia nickte. Kurz darauf saß sie mit Marina im Auto, unterwegs in das nächstgrößere Dorf, in dem sie wohnte. Am Haus ihrer Eltern angekommen, stieg Sophia aus und winkte Lolas Mutter zum Abschied. Dann näherte sie sich der Haustür. Marina kam einige Minuten später wieder zu Hause an. Sie entdeckte ihrer Tochter in der Kü‑
che, als sie die Stube betrat. „Wo ist Sophia?“, wollte Lola wissen. „Wolltest du dich entschuldigen? Das fällt dir aber spät ein, Lola. Ich habe deine Freundin ge‑
rade nach Hause gebracht“, antwortete Marina und setzte sich an den Küchentisch. „Sie wird ziemlich sauer auf dich sein“, fügte sie noch hin‑
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zu und betrachtete ihre Tochter eine Weile. „Kann mir ja egal sein. Wo ist jetzt mein Mal‑
block?“, gab Lola spöttisch zurück. „Lola, kannst du eigentlich mal verraten, was mit dir los ist? So kenne ich dich ja gar nicht. Dein Malblock wird doch wohl nicht der einzige Grund sein. Hast du dich auch noch mit den an‑
deren Kindern aus der Kita gestritten? Sag es mir bitte!“ Marina war kurz davor zu explodieren. Eigentlich fand sie es nicht richtig, ihre Tochter so anzufahren, aber in diesem Moment konnte sie nicht anders. Bevor Lola etwas sagen konnte, hörten beide, wie sich ein Schlüssel im Schloss der Haustür he‑
rumdrehte. Kurz darauf stand Vater Markus im Flur. „Hallo“, rief er. „Hi, Markus“, sagte Marina und trat zu ihm. „Na, wie geht es dir? Hatten die Kinder Spaß?“ Markus drückte seiner Frau einen Kuss auf den Mund. „Hallo Lola“, begrüßte er seine Tochter, nachdem er in die Küche getreten war. „Hallo“, brummte das Mädchen und senkte den Blick. „Na, da klingt jemand aber wenig begeistert. Was ist denn los, Hübsche?“, fragte Markus und 13
ging vor seiner Tochter in die Knie. Er legte seine großen Hände auf Lolas nackte Beine. „Ich kann dir sagen, was sie hat“, ergriff Marina das Wort. „Sie vermisst ihren Malblock und hat sich außerdem mit Sophia gestritten. Ich habe sie gerade nach Hause gefahren.“ „Und unsere Tochter lässt du alleine hier?“ Mar‑
kus drehte den Kopf und musterte seine Frau kritisch. „Ja, aber komm mal mit. Ich zeige dir was!“ „Okay.“ Markus stand auf. Zu Lola gewandt sagte er: „Ich bin gleich wieder bei dir.“ Dann folgte er seiner Frau ins Zimmer seiner Tochter. Er riss die Augen auf, als er die Kritzeleien an der Wand entdeckte. „Das war Lola“, erklärte Marina dazu. „Sophia hat ihr den ersten Stift aus der Hand gerissen, worauf sie von Lola aus dem Zimmer gejagt wurde. Als ich ins Zimmer kam, hatte Lola einen Filzstift in der Hand und weiter gemalt. Du kannst dir vielleicht vorstellen, was los war, als ich ihn ihr weggenommen habe. Sie hat geheult wie ein Schlosshund. Du glaubst es nicht. Sie wollte nicht einmal einsehen, dass sie Sophia Unrecht getan hat.“ 14
„Wahnsinn. Ihre Kunst hat aber was. Sieht aus wie ein Hampelmann“, stellte Markus fest und begutachtete das angefangene Bild. Dann schüt‑
telte er den Kopf. „Weg muss es trotzdem. Geht ja nicht, dass sie die Wand anmalt. So haben wir unsere Tochter nun nicht erzogen.“ „Da hast du recht. Aber erklär du ihr das mal! Vielleicht versteht sie es ja dann.“ Marina wand‑
te sich wieder zum Gehen. „Weißt du, warum sie die Wand bemalt hat?“ „Hab ich doch gesagt. Sie findet ihren Malblock nicht. Deswegen musste ihrer Meinung nach die Wand herhalten.“ „Haha. Was ein Ding! Ich spreche mal mit ihr und helfe ihr, den Malblock zu suchen. Weit weg kann er ja nicht sein“, sagte Markus und ging dann neben seiner Frau die Treppe hinunter. Lola saß immer noch in der Küche und schmoll‑
te. Sie fand es gemein, dass sie nicht mehr malen durfte. „Hey, Lola. Ich habe gerade dein Bild an deiner Zimmerwand gesehen. Warum hast du es nicht auf ein Blatt Papier gemalt? Das wäre doch viel schöner gewesen. Findest du nicht?“ Markus lä‑
chelte seine Tochter an. 15
„Ich habe keinen Malblock. Der ist weg.“ „Und deswegen musst du eine Wand anmalen? Mensch, Lola, es gibt doch so viel Papier hier in diesem Haus. Ist doch noch lang kein Weltunter‑
gang, wenn du deinen Block mal gerade nicht findest. Weißt du was, mein Schatz? Wir suchen deinen Block jetzt gemeinsam, okay?“ „Das bringt eh nix. Er ist einfach weg.“ Lola zuckte die Schultern. Ohne ihren Malblock woll‑
te sie nichts machen. Sie blieb völlig lustlos am Tisch sitzen und rührte sich nicht. „So kannst du aber auch nicht weitermachen, Lola“, sagte da ihre Mutter. „Du wirst die Wand an deinem Zimmer auf jeden Fall selbst schrub‑
ben, damit das mal klar ist.“ „Nein, mach ich nicht!“, zeterte die Kleine und flitzte davon. Vater Markus folgte ihr. Als er in ihrem Zimmer stand, sah er, wie Lola sich wie‑
der auf ihr Bett geworfen und zu weinen begon‑
nen hatte. „Lola?“, fragte er einfühlsam. „Schau mal, deine Mama hat es nicht so gemeint. Du musst eben nicht alleine die Wand putzen. Das machen wir zusammen, nachdem du das, was du auf der Wand angefangen hast, auf einem Blatt Papier zu 16
Ende bringen konntest. Alles klar? Was ist das Letzte, woran du dich erinnern kannst, als du am Freitag aus der Kita kamst?“ Lola gab keine Antwort. Warum auch? Ihrer Meinung nach hatte alles seine Berechtigung. Auch, dass sie die Wand angemalt hatte. Markus ließ sich von ihrer Schweigsamkeit nicht abwim‑
meln. Er setzte sich auf den Boden und durch‑
forstete Lolas Malkiste. Darin fand er den Block allerdings nicht. Am Kleiderschrank hing Lolas Rucksack. Darauf war eine Prinzessin gestickt, die in den Raum lachte. Markus erblickte den Rucksack und hatte auch schon eine Idee. Er stand auf und ging zum Schrank, dann knöpfte er den Rucksack auf. Er lachte auf, als er dessen Inhalt sah. „Lola, schau mal hier.“ Er zog einen Block hervor und brachte ihn an Lolas Bett. „Jetzt kannst du malen, Lola“, sagte er. Lola drehte sich um. „Der Block!“, rief sie. „Wo war er?“ „In deinem Rucksack. Ich vermute, du hattest ihn im Kindergarten dabei. Kann das sein?“ „Den Rucksack? Ja, aber der Block war doch in der Kiste.“ Lola runzelte die Stirn. Ihr Vater lach‑
te und knuddelte seine Tochter eine Weile. Dann 17
ließ er von ihr ab und setzte sie an den kleinen Schreibtisch. Endlich konnte Lola ihr Bild malen. Danach würde sie zusammen mit ihrem Vater die Wand in Ordnung bringen. „Ich male jetzt, wie es sein wird, wenn die Foto‑
grafin in den Kindergarten kommt. Das werden ja die Abschlussfotos. Danach komme ich ja in die Schule“, erklärte sie Markus und strahlte da‑
bei mit ihm um die Wette. „Du machst das schon“, sagte er. „Ich wünsche dir viel Spaß beim Malen, Kleine. Ich gehe wie‑
der zur Mama runter, ja?“ „Okay.“ Lola nickte und war dann ganz in ihrem Element. Sie malte sich, wie sie auf einem Stuhl saß und wie immer in die Kamera lachte. Ihr gegenüber sollte die Fotografin stehen, die das Mädchen ablichtete. Lola wusste nicht, warum es so war, aber sie freute sich schon sehr darauf. Während sie malte, überlegte sie auch, sich doch bei Sofia zu entschuldigen. Sicher kam die Freundin mit, wenn die Fotografin in den Kindergarten kam. Der Termin war sogar nachmittags. Da hatte Sophia bereits Schul‑
schluss und hatte ganz bestimmt die Zeit für die‑
ses große Ereignis, das den Vorschulkindern be‑
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vorstand. Noch größer war aber ein anderes Ereignis. In gar nicht allzu langer Zeit sollte es soweit sein. Denn dann wurden die künftigen Erstklässler endlich eingeschult und lernten Lesen, Schreiben und Rechnen. 19
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Nur wenige Wochen später, nachdem die Kin‑
dergartenkinder darauf vorbereitet worden wa‑
ren, war es endlich soweit. Die Fotografin kam. Lola war sehr aufgeregt. Für den Vormittag zog sie noch eine Hose und einen Pulli an, damit sie sich frei bewegen konnte, wenn sie mit den an‑
deren Kindern spielte. Bevor es dann am Mittag wieder nach Hause ging, hielt eine der Erzieherinnen noch eine klei‑
ne Ansprache bezüglich des Fototermins: „Heute Nachmittag um 15:30 Uhr kommt ja die Fotografin, wie ihr wisst. Ihr solltet euch auf jeden Fall ein bisschen schick machen und bitte pünktlich kommen. Eure Eltern wissen, wann ihr da sein sollt. Wir wollen ja nicht, dass wir noch auf einen Nachzügler warten müssen, nicht wahr?“ Die Erzieherin lächelte jedes der Kinder an. Alle vierzehn Vorschulkinder nickten. Natür‑
lich würden sie pünktlich kommen. Diesen Foto‑
termin durfte man sich doch nicht entgehen las‑
sen. Lola sowieso nicht. Immerhin freute sie sich darauf, bald ein Schulkind zu sein. 20
Nach der Ansprache wurden die Kinder entlas‑
sen. Die Eltern warteten bereits. Auch Lolas El‑
tern standen schon vor der Tür. „Na, Püppchen?“, begrüßte Markus seinen En‑
gel. „Alles gut? Wie war der Vormittag? Hast du dich amüsiert?“ „Ja, wie immer. Heute Nachmittag kommt die Fotografin. Ich muss was ganz Schönes anzie‑
hen.“ „Du hast ja noch dein Festtagskleid. Wie wäre es damit?“ Marina lächelte sanft. „Ja, vielleicht. Mal gucken.“ Lola zerrte ihren Vater am Jackenärmel zum Ausgang. Marina folgte den beiden. Sie hatte Lolas Rucksack über der Schulter hängen. So machte sie es immer wieder, wenn sie ihre Tochter vom Kindergar‑
ten abholte. Am Auto der dreiköpfigen Familie angekom‑
men, setzte Markus seine Tochter in den Kinder‑
sitz und schnallte sie an. Marina musste darüber schmunzeln. „Das sollten zukünftige Schulkin‑
der doch langsam mal alleine können, oder?“, fragte sie. In ihrer Stimme schwang ein belus‑
tigter Unterton mit. „Stimmt, da hast du recht“, gab Markus zurück, 21
ging um das Auto herum und setzte sich hinters Steuer. Kurz darauf waren die Drei bereits auf dem Heimweg. Zuhause wartete auch schon ein dampfender Topf Spaghetti, den Marina vor der Abfahrt zubereitet hatte. Das war Lolas absolute Lieblingsspeise, am besten natürlich mit Toma‑
tensoße. Das wusste Marina und hatte auch ein Glas Soße schon bereitgestellt, bevor sie mit zu‑
sammen ihrem Mann zum Kindergarten gefah‑
ren war. Als die Familie den Hausflur betrat, stieg der kleinen Lola der Spaghetti‑Duft bereits in die Nase. Das Mädchen war begeistert. Sie konnte es kaum mehr abwarten, eine große Portion zu ver‑
schlingen. Hals über Kopf stürmte sie in die Kü‑
che, gefolgt von Mutter Marina. „Ich muss die Tomatensoße noch aufwärmen, Schatz. Danach können wir sofort essen. Magst du den Tisch decken?“, sagte sie und drückte ih‑
rer Tochter das Besteck in die Hand. Lola nickte nur und legte es ordentlich an seinen Platz. Nun mussten nur noch die Teller verteilt werden, fand sie. Marina wollte die Teller aber erst am Herd auffüllen, bevor sie auf den Tisch gestellt wurden. Lola gab sich damit zufrieden. Sie setzte 22
sich hin und schaute ihrer Mutter dabei zu, wie sie die Tomatensoße in einen kleinen Topf gab und die Herdplatte anschaltete. Danach hieß es: warten, bis die Soße kochte. Fünf Minuten später verteilte Marina die Nu‑
deln in die Teller und schüttete die heiße Soße darüber. Lola durfte die Teller auf dem Tisch verteilen. „Papa, Essen!“, rief sie, nachdem sie ihr Werk vollbracht hatte. Vater Markus kam sofort. Auch ihm stieg der Duft in die Nase und ihm lief buchstäblich das Wasser im Mund zusammen. Er nahm Platz, und die kleine Familie konnte es‑
sen. Etwa eine halbe Stunde verging, bis Marina, Lo‑
la und Markus mit dem Essen fertig waren. Mar‑
kus räumte mit seiner Frau den Tisch ab, dann kümmerte er sich um den Abwasch, während Marina mit Lola ins Bad ging, um die kleine Tochter frischzumachen. Beim Haarekämmen ziepte es wie immer fürch‑
terlich und Lola schrie, da es ihr wehtat. Lange dauerte es aber nicht, dann hatte Marina es ge‑
schafft und zauberte der Kleinen zwei Flecht‑
zöpfe ins Haar. 23
„Jetzt siehst du aus wie eine Prinzessin“, sagte sie und hauchte ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange. Anschließend ging es ins Kinderzimmer. Lola wurde in ihr schönstes Lieblingskleid gesteckt und war nun fertig für den Termin mit der Fotografin. „Das werden bestimmt tolle Bilder, die die Foto‑
grafin später von dir machen wird. Findest du nicht?“ Marina lächelte. „Ja, es sind ja die Abschlussfotos. Danach bin ich ja ein Schulkind. Ich bin so aufgeregt“, gab Lola zurück und setzte sich für einen kurzen Moment auf ihr Bett. „Ein Schulkind bist du nach den Sommerferien. Allzu lange dauert es ja auch nicht mehr. Freust du dich?“ „Ja!“ Lola nickte und strahlte dabei übers ganze Gesicht. An der Hand ihrer fürsorglichen Mutter ging sie dann die Treppe hinunter in die Wohn‑
stube. „Fertig?“ Markus grinste. Er sah es gerne, wenn seine Tochter so schick angezogen war. Die Klei‑
ne nickte. Sie war auf alle Fälle bereit, um wieder in den Kindergarten zu gehen. Bevor es aber los‑
ging, kam Sophia vorbei. Sie hatte Schulschluss 24
Ende der Leseprobe von:
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