Spinne-Feind - umwelt forum wettswil

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Spinne-Feind
Zurück aus den Sommerferien . Unser Sohn hat das Haus gehütet und verkündet
mit stolzer Stimme, dass er es ganz und gar geputzt hat, quasi von den Kellerräumen bis zum Estrich. Das stimmt. Das sehe ich. Er war gründlich. Doch beim
Essplatz gewahre ich ein beachtliches, fein gesponnenes Spinnennetz. Überführt,
denke ich, hier warst du nicht so gründlich; aber ich täusche mich, wie ich später
noch erfahren werde.
In der biologischen Systematik gehören die Spinnen zum Stamm der Gliederfüssler oder Arthropoden. Dieser Stamm ist der artenreichste unter den
Stämmen des Tierreichs, zu ihm gehören beinahe 80% aller Tierarten! Die
Gliederfüssler sind wiederum in verschiedene Klassen unterteilt, nämlich
der Spinnentiere, welche uns hier interessieren, sowie der Insekten,
Krebstiere, Tausendfüssler und Hundertfüssler. Im Unterschied zu den Insekten ist der Spinnenkörper nur zweiteilig; Stichwort: Wespentaille! Spinnen haben nie Flügel, ausserdem vier Beinpaare, Insekten jedoch nur deren drei.
Mitten im Spinnennetz hockt eine kleine, gelb
gescheckte, zartgliedrige Spinne, die mich
wunderbar schön dünkt. Auch das Netz ist sehr
fein, beinahe durchsichtig, so fein gesponnen, mit
so feinen Fäden, dass ich die Mitte, die Nabe,
nicht sichten kann, sie entzieht sich mir immer.
Ich lasse das Netz. Soll ich so ein feines
Kunstwerk zerstören, welches zudem noch die Fliegen fängt und von der Spinne
immer wieder geflickt wird? Aber wie entsteht eigentlich ein Spinnennetz genau?
(Bild: Die Kreuzspinne, inzwischen nicht mehr so zartgliedrig, im so genannten
Wohnbereich in der Nabe.)
Die Spinne beginnt ihr Netz, indem sie sich an einem erhöhten Ort, nennen
wir ihn Punkt A, mit einem Spinnenfaden festklebt und sich vom Wind horizontal treiben lässt, dabei einen nicht klebrigen Faden ausstösst, bis sie
an einen festen Platz geweht wird; Punkt B. Jetzt hat sie bereits einen
zweiten Fixpunkt ihres zukünftigen Netzes. Hier klebt sie einen neuen Faden an, klettert am alten zum Ausgangspunkt zurück und frisst dabei diesen auf. Er besteht aus wertvollem Eiweiss; die Natur geht sparsam mit ihren Ressourcen um. In der Mitte, Punkt M, angekommen, verbindet sie die
beiden Teilstücke und lässt sich, indem sie wieder einen Faden spinnt, zum
Boden nieder. Dort befestigt sie den Faden, jedoch nicht genau senkrecht
unter der Mitte, sondern schräg verschoben: Ein Y ist entstanden. Jetzt hat
sie bereits das Zentrum ihres zukünftigen Netzes, die Nabe, sowie drei
Speichen gesponnen. Sie klettert wieder zu M und spinnt einen neuen Faden entlang eines Y-Astes, der nach oben weist, beispielsweise Richtung A.
Bei A fixiert sie den neuen Faden und spinnt einen weiteren Faden, indem
Sie an letzterem zurück zur Mitte klettert. Aber bei ca. einem Drittel der
Strecke befestigt sie den neuen Faden am alten, bei Punkt C, klettert weiter zu M hinunter und dann am anderen Ast des Y zu Punkt B weiter. Damit ist nebst einer neuen Speiche zusätzlich ein Teil des Rahmens entstanden. Erst wenn alle Speichen, eine Hilfsspirale und der Rahmen fertig gesponnen sind, folgt von der Mitte aus der Einbau der klebrigen Fangspirale.
Das gesamte Netz ist nicht senkrecht, sondern geneigt, damit sich die
Spinne an der Unterseite fortbewegen kann, ohne selber kleben zu bleiben. Folgende Zeichnung soll den Beginn des Netzbaus veranschaulichen:
Mein Verhältnis zu Spinnen war nicht immer so entspannt. Ich könnte einige
Schauergeschichten erzählen, in denen ich vor Spinnen hysterisch davon gerannt
bin. Meine Tochter zeigte in ihren zarten Jugendjahren ähnliche Sprung- und
Schreitechniken und erinnerte mich sehr an mich selber. Eindruck machte mir in
jungen Jahren ein Aushilfspfarrer im Konfirmationsunterricht. Dieser beförderte eine grosse Spinne furchtlos mit blosser Hand aus dem Fenster mit den Worten, auch diese sei ein Geschöpf Gottes. Später, im Erwachsenenalter, las ich in
einem Psychologiebuch über die Symbolik von Spinnen. Demnach sollen diese nämlich die alles verschlingende Mutter versinnbildlichen. Das klang für mich so ein-
leuchtend, dass sich meine Spinnenangst flugs in Luft auflöste. Danach wollte ich
die neu gewonnene Furchtlosigkeit gegenüber Spinnen an einer grossen, schwarzen „Hausspinne“ demonstrieren und wurde von ihr dermassen stark in den Finger
gebissen, dass ich seitdem einen gesunden Respekt vor Tieren dieses Kalibers
habe.
Ein kurzer Gang durchs Internet und Konsultation zweier Spinnenbücher
ergeben folgende Informationen: Es gibt sesshafte Spinnen, die mit Netzen und Geweben ihre Beute fangen, andere wiederum wandern umher
und jagen ihre Beute aktiv oder lauern ihr auf. Wie auch die sesshaften
Spinnen töten die meisten Spinnen ihre Beute mit einem gezielten Biss in
den Nacken oder irgendwo in eine Gliedmasse. Danach ziehen sich die
Spinnen in Sicherheit zurück. Wenn die Beute tot ist, wird sie ausgesaugt.
Netzspinnen überlassen dabei das Fangen der Beute dem Netz, sie können
so auch grössere Beutetiere einfangen. Radnetzspinnen warten entweder
in der Nabe, dem Wohnbereich, oder in einem Schlupfwinkel auf die Beute.
Dieser Wohnbereich ist dabei durch einen deutlichen Zwischenraum vom
eigentlichen Fangnetz abgetrennt. Ein beschädigtes Fangnetz wird in der
Nacht neu gesponnen, wobei der alte Rahmen oft stehen gelassen wird.
Eine besondere Art des Jagens hat die Speispinne entwickelt: Diese bespuckt die Beute aus einer Entfernung von ca. 1 cm mit einem LeimGiftgemisch, bis diese bewegungsunfähig ist.
Erstaunlich, was ich alles entdecke, indem ich genauer hinschaue: In unserem
Haus wohnen nebst der täglich grösser werdenden Kreuzspinne einige Zitterspinnen. Sie bilden kein Radnetz, sondern ein scheinbar unordentliches, dreidimensionales Gewebe. Diese Gespinste können in Gruppen platziert und untereinander mit
wenigen Fäden verbunden sein. Die Zitterspinnen selber haben lange Beine und
einen kleinen, schwarzen Körper, kleinere Exemplare sind völlig grau. Werden sie
gestört, beginnen sie zu schaukeln und sind somit für Feinde kaum mehr erkennbar. Ihre Netze stören wohl am meisten in den Häusern, weil sie schnell verstauben und so sichtbar werden. Vor einem schmalen Fenster hat irgendein Spinnlein
ein baldachinartiges Netz gebaut, welches wie das Gewölbe einer mittelalterlichen Kirche anmutet – laut Bestimmungsbuch muss diese eine Baldachinspinne
sein. Vom Balken des Nachbarhauses gewahre ich einen über vier Meter langen
senkrechten Y-Ast. Nur die grossen, schwarzen Spinnen, welche sonst in Kellern
lauern, finde ich eigenartigerweise nicht.
Angst vor Spinnen müssen wir hierzulande wirklich nicht haben. Die Giftklauen sind für Insekten und andere Kleintiere bestimmt und können daher
schon meist unsere Haut nicht durchdringen. Dazu ist das Gift auch viel zu
schwach. Einzig die seltene Dornfingerspinne und die Wasserspinne könnten schmerzhaft zubeissen, wenn man sie belästigt. Von den 30'000 Spinnenarten sind nur 25 Spinnen für den Menschen wirklich gefährlich; und
diese leben alle in den tropischen Ländern!
Eigentlich hätte ich Ihnen an dieser
Stelle von meinem Dilemma erzählen
wollen. Offensichtlich handelt es sich
bei der täglich dicker und träger
werdenden Kreuzspinne um ein
Weibchen. Es sind nämlich die mit
unbefruchteten Eiern voll gepfropften
Eierstöcke, welches das Tier so
aufgebläht erscheinen lassen. Und was
hätte ich nun tun sollen? Das
Spinnenweibchen in der Ecke langsam
dahin vegetieren lassen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, sich artgerecht zu
vermehren? Oder aber das Spinnenweibchen einzufangen und ins Freie zu befördern, wo die Anwesenheit von Kreuzspinnenmännchen zwar sicher wahrscheinlicher ist, aber vielleicht eine Frostnacht dem Spinnenleben ein Ende bereitet hätte? Nun, das ist seit heute Mittag Vergangenheit. Da habe ich beobachtet, wie
ein dunkles kleines Spinnentier mit deutlich gelbem Kreuz auf dem Rücken in die
Nähe des Weibchens kommt, immer näher, sich dann wieder zurückzieht, sich von
einer anderen Seite her nähert. Bei der fünften Annäherung war ich leider
zwecks Mittagessenzubereitung nicht mehr in der Lage, das Geschehen weiter
mitzuverfolgen. Seither ist das Männchen spurlos verschwunden.
(Bild: Die Kreuzspinne von „unten“ in ihrem Wohnbereich, der deutlich vom Fangnetz abgegrenzt ist. Am Hinterteil ist die Spinndrüse deutlich zu erkennen.)
Spinnenmännchen sind meistens viel kleiner als die Spinnenweibchen und
werden von diesen eher als Beutetier betrachtet. Das Männchen webt in
der Nähe des Weibchens ein kleines Netz, setzt dort ein Tröpfchen Samen
ab, den es mit den Kiefertastern aufsaugt. Es zupft rhythmisch am Netz
des Weibchens um dieses zu „stimulieren“ und pirscht darauf zu der in der
Nabe sitzenden Braut. Mit viel Glück kann es ihr den Samen in die Geschlechtsöffnung führen. Eine Chance zu entkommen hat es aber nicht. Es
wird noch während der „Hochzeit“ eingesponnen und gefressen.
Es regnet draussen und es ist kalt. Doch morgen soll es wieder trockener und sogar sonnig werden. Ich werde also unser „Haustier“ – vermutlich eine Gartenkreuzspinne - nach draussen befördern, damit sie dort in ungefähr zwei Wochen
einen oder mehrere kugelige Kokons weben und einige hundert Eier ablegen kann.
Im Frühling werden sich die kleinen Spinnchen aus der sie schützenden Hülle befreien. Wie das alles aussieht und vor sich geht, finden Sie im Internet unter:
http://insektenfotos.de.
Verena Berger, Präsidentin