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Romantischer Pomp und Arte Povera
Romantischer Pomp und Arte Povera
Malandains „Roméo et Juliette“ in Recklinghausen
Veröffentlicht am 17.05.2016, von Marieluise Jeitschko
Recklinghausen - Um die halbe Welt ist Thierry Malandains „Roméo et Juliette“-Ballett seit der Uraufführung in Biarritz 2010
gegangen. Nun ist es endlich bei uns angekommen. Der Deutschen Erstaufführung in Leverkusen Anfang dieses Jahres folgte jetzt
die Aufführung bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Eine Besonderheit von Malandains Version der Liebestragödie liegt in der
Wahl der Musik. Nicht Sergej Prokofjews populäre Partitur von 1940 erklingt, sondern die genau ein Jahrhundert früher
komponierte „Dramatische Sinfonie Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz (in einer nicht identifizierten Einspielung). Erst Maurice
Béjart verwendete das Konzertstück für Orchester mit Chor und Gesangssolisten 1966 als musikalische Grundlage für ein Ballett.
Zwar beklagt Malandain die Schwierigkeit, Berlioz’ Komposition zwischen Oper und Oratorium für den Tanz zu nutzen. Jedoch
arrangiert er recht plausibel Schlüsselszenen des Shakespeare-Dramas zu den sieben sinfonischen Sätzen, beginnend mit einem
Chorprolog, in dem Pater Lorenzo („Bruder Laurent“ – Frederik Deberdt) sich als Schicksal bestimmender Strippenzieher und
diabolischer Magier im schwarzen Pfaffengewand mit stilisiertem Gestus einführt. Um die Liebe statt der politischen Rivalität der
Aristokraten in den Vordergrund zu rücken, besetzt Malandain das Paar aus den verfeindeten Veroneser Familien achtfach. Fast
marionettenhaft simpel, Laurents Diktat folgend, bewegen sich alle anfangs in schlecht sitzenden Kostümen wie in einem Totentanz
der vorweg genommenen Sterbeszene. Kämpfe der gegnerischen ‚Gangs’ – das Flair der High Society weicht Volkstümlichkeit und ausgelassenes Volksfest folgen. In der Balkonszene nähern sich Raphaël Canet und Claire Lonchampt anrührend zerbrechlich
einander an. Spritzig virtuos sind die tödlich endenden, sehr deutlich John Cranko nachempfundenen Degengefechte des
Mercutio (Arnaud Mahouy) mit Tybalt (Daniel Vizcayo) und des Prinzen (Mickaël Conte), der den Tod des Freundes rächt.
Malandain hat sich von den sizilianischen Kapuziner-Katakomben in Palermo inspirieren lassen. Nur ein Hauch dieser
unheimlichen Gruft, wo mumifizierte Tote in teilweise schlecht sitzenden Kleidern kauern, stehen, hängen, sitzen – von
Angehörigen immer wieder neu eingekleidet, als lebten sie noch oder wären Anziehpuppen -, ist zu spüren. Unwirklich und doch
omnipräsent ist in der Totenstätte der Tod. Malandains Ballett dagegen ist makabres und schrilles Volkstheater einer
Wanderbühne. Die von dem Choreografen so geliebten Metallkisten für Requisiten sind hier einmal blank poliert, dienen als
Kostümkisten, Betten, Bahre und Särge, Balkon und Straßenflucht, lassen sich stapeln, reihen, hochkant stellen. Und jeder der 16
Tanzenden ist Romeo, Julia oder auch mal ein anderer Solist.
Thierry Malandain konterkariert Berlioz’ bombastische Hochromantik mit einem Tanzstück im Stil der Arte Povera – sehr effektvoll
und reizvoll anders als herkömmliche Shakespeare-Ballette.
"Roméo et Juliette" von Thierry Malandain; Malandain Ballet
Biarritz
© Olivier Houeix
"Roméo et Juliette" von Thierry Malandain; Malandain Ballet
Biarritz
© Olivier Houeix
"Roméo et Juliette" von Thierry
Malandain; Malandain Ballet
Biarritz
© Olivier Houeix
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