Kollegium erörtert Entwurf einer Stellungnahme zur

Europäische Kommission - Pressemitteilung
Kollegium erörtert Entwurf einer Stellungnahme zur Lage der
Rechtsstaatlichkeit in Polen
Brüssel, 18. Mai 2016
Kollegium erörtert Entwurf einer Stellungnahme zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen.
Timmermans, zum Stand des intensiven Dialogs, der seit dem 13. Januar mit der polnischen
Regierung über die Lage des Verfassungsgerichts geführt wird, hat das Kollegium der
Kommissionsmitglieder heute die derzeitige Lage in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen erörtert.
Das Kollegium hat den Entwurf einer Stellungnahme zur Rechtsstaatlichkeit geprüft, in der die
derzeitige Lage in strukturierter und formalisierter Form bewertet wird, und den Ersten Vizepräsidenten
Timmermans ermächtigt, die Stellungnahme am 23. Mai anzunehmen, es sei denn, die polnische
Regierung erzielt vorher erhebliche Fortschritte dabei, die von der Europäischen Kommission
geäußerten Bedenken auszuräumen.
Die Rechtsstaatlichkeit ist einer der gemeinsamen Werte, auf die sich die Europäische Union gründet.
Sie ist in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert. Nach den Verträgen ist die
Europäische Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament und dem Rat dafür zuständig,
die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit als eines Grundwerts der Union zu garantieren und für die Achtung
des Rechts, der Werte und der Grundsätze der EU zu sorgen.
Die jüngsten Ereignisse in Polen, die insbesondere das Verfassungsgericht betreffen, haben die
Europäische Kommission veranlasst, einen Dialog mit der polnischen Regierung aufzunehmen, um die
notwendigen Garantien für die uneingeschränkte Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zu erhalten. Solange
das polnische Verfassungsgericht an einer vollumfänglichen, wirksamen Normenkontrolle gehindert ist,
kann eine wirksame Prüfung der Grundrechtkonformität von Rechtsakten nach Auffassung der
Kommission nicht stattfinden. Die derzeitigen Bedenken der Europäischen Kommission betreffen
folgende Punkte:
- die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts und die Umsetzung der einschlägigen
Urteile des Verfassungsgerichts vom 3. und 9. Dezember 2015,
- das Gesetz vom 22. Dezember 2015 zur Änderung des Gesetzes über das
Verfassungsgericht, das Urteil des Verfassungsgerichts vom 9. März 2016 in Bezug auf dieses
Gesetz und die Missachtung der seit dem 9. März 2016 ergangenen Urteile des
Verfassungsgerichts,
- die Wirksamkeit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit neuer Rechtsvorschriften, die
2016 verabschiedet wurden und in Kraft getreten sind, unter anderem des neuen Mediengesetzes.
Die nächsten Schritte
Der nach dem Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips geführte Dialog zwischen der
Kommission und der polnischen Regierung wird fortgesetzt. Für den Fall, dass bis zum 23. Mai keine
erheblichen Fortschritte erzielt werden, ist der Erste Vizepräsident vom Kollegium der
Kommissionsmitglieder ermächtigt worden, den heute vom Kollegium erörterten Entwurf der
Stellungnahme zur Rechtsstaatlichkeit anzunehmen. Wenn die Stellungnahme angenommen und der
polnischen Regierung übermittelt worden ist, hat diese zwei Wochen Zeit, sich dazu zu äußern. Die
Kommission ist gewillt, den konstruktiven Dialog mit der polnischen Regierung auf der Grundlage ihrer
Äußerungen fortzusetzen, um die in der Stellungnahme dargelegten Bedenken einer Lösung
zuzuführen. Werden die Bedenken nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ausgeräumt, kann
die Kommission eine Empfehlung abgeben.
Hintergrund
Im November 2015 erhielt die Kommission Kenntnis von einem laufenden Rechtsstreit in Polen in
Bezug auf die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts sowie die Verkürzung des Mandats des
derzeitigen Präsidenten und Vizepräsidenten des Gerichts. Am 3. und 9. Dezember 2015 ergingen zwei
Urteile des Verfassungsgerichts in diesen Angelegenheiten. Darüber hinaus stellte die Kommission fest,
dass der Sejm (das polnische Parlament) am 22. Dezember 2015 ein Gesetz zur Änderung des
Gesetzes über das Verfassungsgericht verabschiedet hat, das sich auf die Funktionsfähigkeit des
Verfassungsgerichts sowie die Unabhängigkeit seiner Richter auswirkt.
Angesichts der Lage beim Verfassungsgericht bat der Erste Vizepräsident die polnische Regierung am
23. Dezember 2015 in einem Schreiben um weitere Informationen über den Sachstand. Darin wurde
die polnische Regierung ersucht, die Maßnahmen zu erläutern, die sie in Bezug auf die Urteile des
Verfassungsgerichts zu treffen gedenkt.
Zudem empfahl der Erste Vizepräsident der polnischen Regierung, vor Annahme der geplanten
Änderungen zum Gesetz über das Verfassungsgericht die Venedig-Kommission zu konsultieren. Die
polnische Regierung ersuchte die Venedig-Kommission zwar am 23. Dezember um eine rechtliche
Beurteilung, in der Zwischenzeit wurde das Gesetz jedoch am 28. Dezember förmlich verabschiedet.
Am 9. März 2016 entschied das Verfassungsgericht, dass das Gesetz vom 22. Dezember 2015
verfassungswidrig ist. Am 11. März gab die Venedig-Kommission eine Stellungnahme ab, in der sie
feststellte, dass die Änderungen vom 22. Dezember nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar
sind. Das Urteil vom 9. März und alle seitdem ergangenen Urteile des Verfassungsgerichts sind nicht im
Amtsblatt veröffentlicht worden.
Am 13. Januar 2016 hielt das Kollegium der Kommissionsmitglieder eine erste Orientierungsaussprache
über die Lage in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen. Es folgte ein reger Schriftwechsel zwischen
der Kommission und der polnischen Regierung. Der Erste Vizepräsident Timmermans besucht am
5. April Warschau und führte konstruktive Gespräche mit einer Reihe von Regierungsvertretern.
Seitdem hat bei Treffen auf verschiedenen Ebenen ein reger Austausch zwischen der Kommission und
der polnischen Regierung stattgefunden, um eine Lösung für den derzeitigen Dualismus der
Rechtsordnungen in Polen zu suchen. Trotz dieses Austausches war es jedoch noch nicht möglich, eine
Lösung für die von der Kommission festgestellten Probleme zu finden.
Der – am 11. März 2014 eingeführte – Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips umfasst drei
Stufen (siehe auch die Abbildung in Anhang 1): Das gesamte Verfahren basiert auf einem
kontinuierlichen Dialog zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat. Die Kommission
informiert das Europäische Parlament und den Rat eingehend und in regelmäßigen Abständen.
- Sachstandsanalyse der Kommission: Die Kommission holt alle relevanten Informationen ein
und prüft sie daraufhin, ob es klare Anzeichen für eine systemische Gefährdung der
Rechtsstaatlichkeit gibt. Gelangt die Kommission auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse
zu dem Ergebnis, dass in der Tat eine systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt,
tritt sie mit dem betroffenen Mitgliedstaat in einen Dialog, indem sie eine „Stellungnahme zur
Rechtsstaatlichkeit“ an den Mitgliedstaat richtet, in der sie ihre Bedenken begründet. Diese
Stellungnahme dient als Warnung an den Mitgliedstaat und gibt diesem die Möglichkeit zu
reagieren.
- Empfehlung der Kommission: In der zweiten Verfahrensphase kann die Kommission eine
„Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit“ an den Mitgliedstaat richten, sofern die Angelegenheit in der
Zwischenzeit nicht zufriedenstellend geregelt werden konnte. In diesem Fall setzt die Kommission
dem Mitgliedstaat eine Frist, innerhalb deren er die beanstandeten Probleme zu beheben hat, und
der Mitgliedstaat informiert die Kommission über die hierzu von ihm unternommenen Schritte. Die
Kommission veröffentlicht ihre Empfehlung.
- Follow-up zur Empfehlung der Kommission: Als dritten Schritt verfolgt die Kommission die
Maßnahmen, die der Mitgliedstaat auf die Empfehlung hin getroffen hat. Kommt der Mitgliedstaat
der Empfehlung innerhalb der gesetzten Frist nicht zufriedenstellend nach, kann die Kommission,
das Europäische Parlament oder eine Gruppe von 10 Mitgliedstaaten erwägen, ein Verfahren nach
Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union einzuleiten.
ANHANG I
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