T H U R G A U MUTIG AUF DER GANZEN LINIE Die Stadt Kreuzlingen unternimmt einen mutigen Schritt bei der Romanshorner strasse. Die wichtige Verkehrsachse soll nach dem Willen des Stadtrats eine Rosskur erhalten und eine neue Ära einleiten. Mit der Sanierung will der Stadtrat die Dominanz des Autos brechen und die Wohnqualität aufwerten. Zurzeit fahren täglich rund 16 000 Fahrzeuge – pardon, Autos – durch die Romanshornerstrasse. Für die Velofahrenden ist sie damit unattraktiv und wird, trotz Radstreifen, als eher gefährlich empfunden. Sie wurde deshalb als grosser Schwachpunkt im Agglomerationsprogramm des Bundes vermerkt, nicht nur in Bezug auf den Velo- und Fussverkehr, sondern auch für den öffentlichen Verkehr. Weil auch die Sanierung ohnehin ansteht, will der Stadtrat die Chance packen und die Strasse im Rahmen des Agglomerationsprogramms des Bundes umgestalten und für mehr Wohnqualität sorgen. Um Fehler bei der Planung möglichst zu vermeiden, lud der Stadtrat deshalb Vertreter aller Interessengruppen zu drei Diskussionsrunden ein und schlug verschiedene Varianten vor. Dass ein Teil der Anwohner und das Gewerbe sich mehr Kapazitäten für das Auto wünschten, erstaunte wenig. Doch wenn der Stau als Grund angegeben wird, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass alle Teilnehmenden des ers8 REGIONAL 2/2016 ten Workshops die kurze Strecke ins Stadthaus mit dem Auto zurücklegten. Natürlich mit Ausnahme der Pro-VeloVertreterin und Stadtrat Ernst Zülle, der bekanntlich gerne zu Fuss unterwegs ist. Erfreulicherweise waren aber die meisten nach zähen und langen Verhandlungen damit einverstanden, dass mehr Wohnqualität auch gleichzeitig weniger Autoverkehr voraussetzt. STICH INS WESPENNEST Damit bewies der Stadtrat erstmals viel Mut, denn die Romanshornerstrasse führt durch das «Dorf in der Stadt», wenn man Kurzrickenbach so bezeichnen darf, wo der Autoverkehr noch immer hoch im Kurs steht. Die Zunahme des Verkehrsvolumens zwischen dem Ziilkreisel am Stadtrand und dem Kreisel beim Blauen Haus in Richtung Stadtzentrum von 12 000 auf 16 000 Autos ist mehr als nur ein Indiz dafür, dass viele Kurzrickenbacher auch für Kurzstrecken nicht allzu gerne auf ihr Auto verzichten. Kein Wunder, sprach Zülle von einem Wespennest, ENTSCHLEUNIGUNG GEPLANT Noch viel mutiger scheint der Weg, auf dem der Stadtrat dies bewerkstelligen möchte. Mit einer Verengung der Strassenbreite auf 6,2 Meter, Mehrzweckstreifen und dafür keine Leitlinien, Verkehrsinseln, Haltestellen auf der Fahrbahn und einer 30er-Zone im alten Dorfkern soll der Verkehr entschleunigt werden. Breitere Trottoirs, Rabatten und Bäume sollen die Strasse gemütlicher und grüner erscheinen lassen. Der Veloverkehr wird aufgewertet, weil von den Autolenkern erwartet wird, dass sie ihr Tempo anpassen und rücksichtsvoller überholen. Das alles bedeutet für die Stadt Kreuzlingen einen Paradigmenwechsel für eine Hauptstrasse und wirft viele Fragen bei der Bevölkerung auf. Doch der Weg scheint für den Stadtrat nicht nur mutig, sondern auch ermutigend, denn das Projekt entspricht den neuesten Standards einer modernen Stadt und dürfte deshalb wegweisend sein. Erstaunlich viel Mut zeigt dabei auch der Kanton. Jedenfalls dürfte die erste 30er-Zone auf einer Kantonsstrasse auch andernorts Begehrlichkeiten wecken und das dogmatische Temporegime des Kantons infrage stellen. Die Romanshornerstrasse kann durchaus als Präzedenzfall betrachtet werden. Doch ohne Mut kein Risiko. Es wird kein leichtes Spiel, die Bevölkerung für das Vorhaben zu gewinnen. Der Stadtrat stellt sich fairerweise dieser Herausforderung. Dabei hätte er es sich leicht machen, die Kosten für die Umgestaltung splitten und sich einer Abstimmung entziehen können. Der Abstimmungskampf bietet dafür die Chance, die Bevölkerung von den Vorteilen einer modernen urbanen Mobilität zu überzeugen und sich neu auszurichten. Ein Erfolg würde nicht nur on Kreuzlingen ein neues Zeitalter einläuten, sondern wahrscheinlich im ganzen Kanton. Eddie Kessler FOTOS: PRO VELO THURGAU als er die Pläne an einer Informationsveranstaltung der Öffentlichkeit präsentierte. Doch wer die Dominanz des Autoverkehrs brechen will, stellt sich naturgemäss gegen den Mainstream.
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