INNOVATIONEN 447 Chemotherapiefreie Behandlung von akuten myeloischen Leukämien Arsentrioxid Andreas Holbro a , Jakob R. Passweg b a b Hämatologie, Departement Innere Medizin, Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel, Schweizerisches Rotes Kreuz, Basel Hämatologie, Departement Innere Medizin, Universitätsspital Basel Hintergrund Andreas Holbro Die akute Promyelozytenleukämie Arsen, ein chemisches Element, ist seit dem Altertum Die akute Promyelozytenleukämie (APL) ist eine sel bekannt. Es kommt überall im Erdboden vor, meistens tene Leukämieform (ca. 5% aller akuten myeloischen in Verbindung mit anderen Mineralien. In der Antike Leukämien, AML), die zur Gruppe der AML mit rekur wurden arsenhaltige Verbindungen als Fiebermittel renten genetischen Anomalien gehört [2]. Sie zeichnet und zur Therapie verschiedenster Krankheiten be sich durch eine charakteristische Morphologie (Abb. 1) nutzt, sowohl in der westlichen Welt als auch in der tra und durch die genetische Translokation t(15;17) ent ditionellen chinesischen Medizin [1]. Seit dem Mittel sprechend der Genfusion PMLRARα (promyelocytic alter wurden Arsenverbindungen in der Medizin und leukemia-retinoic acid receptor α) aus. Die APL hat eine als Pflanzenschutz angewendet. Auch heute wird es gute Prognose, allerdings ist sie mit einer schweren noch bei der Therapie der Schlafkrankheit eingesetzt Gerinnungsstörung in Form einer diffusen intra (Melarsoprolol). Daneben findet Arsen in der Elektronik vaskulären Koagulopathie assoziiert [3, 4]. Letzteres industrie Anwendung. kann zu schweren und tödlichen Blutungen führen, A B C D Abbildung 1: Akute Promyelozytenleukämie. A, B: Peripheres Blutbild mit abnormen Promyelozyten (Blasten-Äquivalente), die charakterisiert sind durch einen bilobierten (A) oder nierenförmigen (B) Zellkern und zahlreiche azurophile Granula (May-Grünwald-Giemsa-Färbung; 1000×). C, D: Knochenmarksaspirat mit zahlreichen abnormen Promyelozyten und regelmässig Auer-Stäbchen (dünner Pfeil). Daneben sogenannte Faggot-Zellen (dicker Pfeil), die zahlreiche Auerstäbchen enthalten (May-Grünwald-Giemsa-Färbung; 1000×). SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(20):447– 449 INNOVATIONEN 448 vor allem in den ersten Tagen nach Diagnosestellung intermediärem Risiko (Gesamtleukozytenzahl bei Dia und bei Therapiebeginn. Es kommt zur Degranulierung gnose <10 G/l) verglich [10]. Die Kombinationstherapie der abnormalen Promyelozyten mit Verbrauch von ATRA/ATO zeigte ein besseres Gesamt und leukämie Fibrinogen durch eine überschiessende Fibrinolyse ei freies Überleben und war der klassischen Kombination nerseits; gleichzeitig kommt es zu einer Aktivierung ATRA und Chemotherapie überlegen. Es gab weniger hämatologische Toxizitäten und weniger Infektionen, der Gerinnung. jedoch mehr hepatische Nebenwirkungen. Auch be Bisherige Therapie treffend Lebensqualität (insbesondere Fatigue) war die Bereits in den siebziger Jahren konnte ein gutes Anspre ATRA/ATOKombination überlegen [11]. Weitere Studien chen auf Chemotherapie gezeigt werden (Anthrazyk konnten dies bestätigen, so dass wahrscheinlich in Zu line und Cytarabin). Allerdings erlitten viele Patienten kunft die Kombination ATRA/ATO die neue Standard ein Rezidiv, so dass lediglich 30–40% der Patienten therapie bei APLPatienten mit niedrig und intermedi längerfristig geheilt werden konnten. 1985 konnte das ärem Risiko sein wird [12]. Dies ist bemerkenswert, weil Gesamtüberleben mit der Einführung von Retinol so erstmals akute myeloische Leukämien ohne klas säure (all-trans retinoic acid, ATRA) in Kombination mit sische Chemotherapie («chemotherapiefrei») geheilt werden könnten. Für den Einsatz von ATO als Erstlini ATO induziert Apoptose und – wie ATRA – eine Ausdifferenzierung der leukämischen Zellen. enbehandlung braucht es in der Schweiz eine Kosten gutsprache der Krankenkasse, die dann gemäss Artikel Chemotherapie deutlich verbessert werden. Unter ATRA 71a der Verordnung über die Krankenversicherung den wurde eine terminale Differenzierung der abnormalen therapeutischen Nutzen dieser Therapie beurteilen Promyelozyten beobachtet, das heisst, der Differenzie muss. Insgesamt sind die Medikamenten kosten bei rungsstopp konnte überwunden werden. der Kombination ATRA/ATO höher als im Vergleich zu ATRA/Chemotherapie, obwohl die gesamten Behand lungskosten noch besser untersucht werden sollten Arsentrioxid als Monotherapie oder in Kombination [13]. Insbesondere dürfen nicht nur die Medikamen tenkosten in die Behandlungskosten einfliessen; auch Dies führte zu einer Suche nach weiteren differenzie Ausgaben, die durch eine aplasierende Chemotherapie, rungsinduzierenden Substanzen. In den 90er Jahren inhärente Mukositis und Infektionen, weitere Organ wurde Arsentrioxid (As2O3; ATO) als Monotherapie er toxizitäten und durch längere oder zusätzliche Hospi folgreich zur Behandlung von refraktärer und rezidi talisationen entstehen, müssen bedacht werden [14]. vierter APL eingesetzt, initial in China [5]. Diese positiven Für Hochrisikopatienten (Gesamtleukozytenzahl bei Resultate konnten in grösseren Studien weltweit bestä Diagnose >10 G/l) ist die zusätzliche Gabe von Anthra tigt werden. Zur Kombinationstherapie ATRA/ATO kam es, nachdem man im Mausmodell und in APL Zelllinien zeigen konnte, dass dadurch die leuk Für Hochrisikopatienten ist die zusätzliche Gabe von Anthrazyklinen weiterhin indiziert. ämischen Stammzellen eradiziert werden konnten [6]. zyklinen weiterhin indiziert [15, 16]. Jedoch ist anzu ATO baut das Onkoprotein ab, das aus dem Fusions merken, dass in der kürzlich publizierten britischen transkript PMLRARα entsteht. Es induziert Apoptose AML17Studie, wo auch 57 HochrisikoAPLPatienten und – wie ATRA – eine Ausdifferenzierung der leuk eingeschlossen wurden, die ATRA/ATOKombinations ämischen Zellen [6–8]. therapie sehr wirksam war [17]. Aufgrund der geringen Bahnbrechend war auch hier eine chinesische Studie, Datenlage zur Behandlung von Hochrisikopatienten die 2004 publiziert wurde [9]. Die synergistische Wir ist aktuell eine europäische Kollaborationsstudie ge kung von ATRA und ATO konnte anschliessend in meh plant [18]. reren weiteren Studien gezeigt werden. Dies führte zur Arsentrioxid wird intravenös appliziert, wobei es – Zulassung von ATO zur Behandlung der refraktären je nach Protokoll – unterschiedliche Dosierungen und oder rezidivierten APL durch die FDA (Food and Drug Dosierintervalle gibt. Folgende häufige Nebenwir Administration), EMA (European Medicines Agency) und kungen können auftreten: Knochenmarkdepression, später auch durch die Swissmedic. Arsentrioxid (As2O3) Infektionen, Stoffwechsel und Elektrolytstörungen, ist in der Schweiz als Trisenox® registriert. Schwindel, Parästhesien, Verlängerung des QTInter 2013 publizierten Lo Coco et al. im New England Journal valls, Hepatopathie, gastrointestinale Nebenwirkun of Medicine eine grössere, randomisierte, prospektive gen, Hauterscheinungen [19]. Zusätzlich kann unter Studie, die ATRA/ATO mit ATRA und Chemotherapie ATRA und ATO das für die APL typische Differenzie (Anthrazyklinen) bei APLPatienten mit niedrig und rungssyndrom auftreten, charakterisiert durch Fieber, SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(20):447– 449 INNOVATIONEN 449 Gewichtszunahme, Ödeme, Dyspnoe, pulmonale Infil trate, Perikard und Pleuraergüsse. Dies muss man früh zeitig erkennen und behandeln [20]. Ausblick Ob in Zukunft das intravenöse ATO durch eine orale Formulierung ersetzt werden kann, bleibt noch offen. Orales Arsen als Arsentetrasulfid (As4S4) wurde in China bereits eingesetzt und war – verglichen mit dem intravenösen ATO – nicht unterlegen [21]. Zusammengefasst bleibt die APL eine seltene Krank heit. Die Behandlung der APL zeigt jedoch eindrücklich die Fortschritte der modernen Medizin. ATO ist in der Therapie der APL eine attraktive Alternative zur klassi schen Chemotherapie. Seine Rolle in der Behandlung von Hochrisikopatienten, älteren Patienten und in der Erhaltungstherapie muss noch besser untersucht wer den. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur Korrespondenz: PD Dr. Andreas Holbro Klinik für Hämatologie Universitätsspital Basel Petersgraben 4 CH4031 Basel andreas.holbro[at]usb.ch 1 Zhu J, Chen Z, LallemandBreitenbach V, de The H. How acute promyelocytic leukaemia revived arsenic. Nat Rev Cancer. 2002;2(9):705–13. 2 Vardiman JW, Thiele J, Arber DA, et al. 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