Besprechung von Dr. Vera Gemmecke-Kaltefleiter

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Oda Cordes
Marie Munk (1885 – 1978)
Leben und Werk
Böhlau Verlag Köln, Weimar, Wien 2015
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Vorab: Warum interessiert Marie Munk?
Sie war eine der ersten preußischen Juristinnen (Promotion 1911), Mitbegründerin des Dt.
Juristinnen Vereins 1914, des Dt. Akademikerinnenbundes 1926 und Gründerin des BPW
(Business and Professional Women) 1931!
Oda Cordes legt in ihrem Buch keine einfache Biographie über Marie Munk vor, sondern es ist
eine rechtshistorische, vergleichende Arbeit. Den Schwerpunkt ihrer Ausführungen hat sie auf
den Einfluss gelegt, den vor allem die Publikationen Marie Munks auf die rechtspolitischen
Entwicklungen in allen Bereichen des Familienrechts sowohl in Deutschland wie auch in den
USA hatten.
Neben den biographischen Daten geht sie umfänglich auf die Inhalte der vielzähligen
Publikationen von Marie Munk ein. Dabei spielt auch der Austausch von Gedanken, den Marie
Munk schon im Entstehungsprozess ihrer Veröffentlichungen vor allem mit anderen Juristinnen
und Juristen in Deutschland und den USA pflegte.
Oda Cordes stellt zuerst einmal den Bildungs- und Werdegang von Marie Munk im Kontext ihrer
Familie und der Zeit dar, wobei eine frühentwickelte starke Persönlichkeit mit ausgeprägten
analytischen, intellektuellen Fähigkeiten deutlich wird. Ihr Elternhaus entsprach nicht dem
bürgerlichen Durchschnitt jener Zeit. Der Vater, ein Jurist, entstammte einer christianisierten
jüdischen Berliner Familie. Er war - entsprechend jüdischer Tradition - für eine gute Ausbildung
der Töchter offen. Die Mutter, aus Pommern stammend, machte vor der Ehe eine Ausbildung
zur Restauratorin, was für die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts für eine Frau unüblich war. Es
bestand also von keiner Elternseite ein Vorbehalt gegen die Bildung der beiden Töchter, von
denen die ältere, Gertrud (geb. 1880), Künstlerin wurde. Die jüngere, Marie (geb. 1885), machte
nach dem Besuch der höheren Töchterschule eine nach eigenen Aussagen mäßig erfolgreiche
Ausbildung als Kindergärtnerin, wofür ihr die manuellen Fähigkeiten beim Basteln fehlten. Eine
anschließende Tätigkeit in sozialer Hilfsarbeit, die ihr zwar viele Einblicke in soziale Missstände
gab, machte ihr noch deutlicher, dass das nicht ihr Weg sein konnte. Über Vorbereitungskurse
für Mädchen konnte sie 1907 das Abitur an einem Jungengymnasium machen und Jura, wie ihr
Vater studieren. Der ältere Bruder, Ernst (geb. 1883), auch Jurist, fiel im ersten Weltkrieg.
Marie Munk war eine der ersten Jurastudentinnen in Preußen, das ja bekanntlich als letztes der
deutschen Länder erst 1908 Frauen allgemein zum Studium zuließ. Vorher bedurfte es einer
ministeriellen Sondergenehmigung, um als Frau studieren zu können. Ein juristisches
Staatsexamen oder gar ein zweites Staatsexamen, was zum Richterberuf berechtigt hätte, war
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für Frauen in Preußen erst in der Weimarer Republik möglich. So schloss Marie Munk ihr
Jurastudium 1911 mit einer Dissertation ab. Ihre beruflichen Möglichkeiten waren aber sehr
eingeschränkt, sowohl als Frau als auch als Juristin.
Ihre erste Ausbildung in einem Sozialberuf hatte ihr Augenmerk schon früh auf
Familienprobleme geleitet. So verschrieb sie sich zeitlebens dem gesamten Bereich des
Familienrechts, also auch dem Eherecht, dem Erbschaftsrecht, dem Ehegüterrecht, dem
Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht sowie dem Nichtehelichenrecht. Sehr intellektuell
ausgerichtet, entschied sie sich schon früh gegen eine eigene Familie, da sie nicht sah, wie sie
ihre wissenschaftlichen Interessen in Einklang mit Familienpflichten bringen könnte. – Ihre
Mutter hatte ja ihre eigenen beruflichen Träume mit der Familiengründung an den Nagel
gehängt.
Da ihr als Frau, der Zeit entsprechend, der normale Berufsweg einer Juristin verwehrt war,
prägte ihren beruflichen Werdegang eine prekäre Beschäftigung nach der anderen, wie man
heute sagen würde. Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Familie im Hintergrund, wäre ihre
wissenschaftliche Tätigkeit kaum denkbar gewesen. Als sie endlich mit mehr als 40 Jahren und
wie Oda Cordes ausführlich darstellt, nur mit Hilfe ihrer guten Beziehungen als Richterin Fuß
fassen konnte und erstmals ein festes Einkommen besaß, war dies nur von kurzer Dauer, da
mit der Machtergreifung Hitlers alle Frauen aus den juristischen Berufen entfernt wurden. Bei
Marie Munk spielte dann auch noch zusätzlich ihre jüdische Abstammung eine negative Rolle,
so dass sie 1936 in die USA emigrierte, die sie 1933/34 bereits intensiv auf einer Studienreise
kennengelernt hatte.
Auch dort waren ihre Lebensumstände meist prekär. Erst deutlich nach dem 2. Weltkrieg (1956)
konnte sie von der Berliner Justizverwaltung eine Rente als Oberregierungsrätin rückwirkend
seit ihrer Entfernung aus dem staatlichen Dienst erstreiten, was sie im Alter von 70 Jahren
erstmals in ihrem Leben von Finanzsorgen entlastete. Oda Cordes zeigt sehr ausführlich, wie
mühsam dieser Weg zur Rente für Opfer des Nationalsozialismus wie Marie Munk war. Dies
galt aber auch für viele ähnlich gelagerte Fälle.
Nach dem Krieg wurde ihr die Rückkehr in den deutschen Justizdienst angeboten und Ende
1949 noch einmal durch einen Bekannten aus der Weimarer Republik konkret eine Stelle,
obwohl schon im Rentenalter, im Bundesjustizministerium in Bonn mit der Aufgabe, ein neues
Familienrecht mitzugestalten. Sie lehnte aber ab, da sie hierfür ihre amerikanische
Staatsbürgerschaft hätte aufgeben müssen.
Oda Cordes geht immer wieder auf die Netzwerke ein, die sich Marie Munk geschaffen hatte
und die ihr Überleben in schwierigen Zeiten erleichterten. Eine besondere Rolle spielte für sie in
ihrer frühen Zeit der von ihr 1914 mitgegründete Deutsche Juristinnen Verein, der Vorläufer des
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heutigen Deutschen Juristinnen Bundes, über den sie Mitglied im Bund Deutscher
Frauenvereine war. Bei diesem leitete sie die Kommission zur Reform des Familienrechts, das
große Thema ihres Lebens. Hierdurch wurde es ihr auch möglich auf dem 33. Juristentag 1924
in Heidelberg ihre Vorstellungen einer großen Fachöffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen und
dadurch weitere persönliche Kontakte auch in die männliche Juristenwelt zu knüpfen.
In ihrem späteren Leben, vor allem nach der Emigration in die USA, war für sie der BPW
(Business und Professional Women), dessen deutschen Zweig sie 1931 gegründet hatte,
besonders hilfreich. Über diesen hatte sie schon 1933 ihre erste Amerika-Reise organisieren
können. In späteren Jahren konnte sie durch Vermittlung des amerikanischen BPW in großem
Umfang ihren Lebensunterhalt sichern, sei es durch Vorträge oder aber durch Kontakte, die sie
in Jobs weitervermittelten.
Durch ihre dortigen Jobs kam sie noch intensiver mit sozialen Fragen in Berührung als vorher
schon in Deutschland. In ihren in Amerika entstandenen Manuskripten kam ein intensiver
sozialwissenschaftlicher Ansatz in ihre juristische Argumentation. Das zeigt sich z.B. in ihren
Manuskripten zur Resozialisierung im Strafvollzug und zwar sowohl der Resozialisierung des
erwachsenen Straftäters als auch der Forderung nach Strafaussetzung für Jugendliche, die erst
in den Gefängnissen zu Verbrechern würden. Auch dies waren Ansätze, mit denen sie ihrer Zeit
weit voraus war.
Sie sprach auch immer wieder die starke Zersplitterung des Familienrechts in den USA als
unglücklich an. Nicht nur dass jeder Bundesstaat sein eigenes Familienrecht hatte, sondern
auch die Rechtssystematik variierte stark von Staat zu Staat, je nachdem ob der Staat als Folge
seiner Gründungsgeschichte unter dem Einfluss des britischen oder des französischen Rechts
stand.
Eine Vielzahl ihrer umfangreichen Abhandlungen, die sie in den USA verfasste, wurden aber
nicht veröffentlicht, wie Oda Cordes nachweist. Durch ihren regen Gedankenaustausch mit
anderen Wissenschaftlern in den USA fanden ihre konstruktiven Gedankengänge trotzdem
auch Eingang in die amerikanische juristische Diskussion
Oda Cordes stellt in ihrem Buch vor allem auf den Einfluss ab, den die zahlreichen schriftlichen
Ausführungen von Marie Munk auf die juristischen Diskussionen im gesamten Familienrecht
von etwa 1920 bis in die Jetztzeit hatten. Sie war in allen Bereichen mit ihren Ansichten weit
ihrer Zeit voraus. Als Beispiel sei ihre argumentativ fundierte Ablehnung des Schuldprinzips im
Ehescheidungsrecht genannt oder auch Fragen der Zugewinngemeinschaft und der
Gütertrennung im Eherecht.
Für ihren anhaltenden Einfluss spielte die gute Vernetzung in die juristische Fachwelt eine
herausragende Rolle. Auch ihre nicht veröffentlichten Werke hatte sie im Entstehungsprozess
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mit Fachkollegen diskutiert, wie Oda Cordes darlegt. Diese übernahmen Marie Munks
Gedankengänge nicht selten in ihre eigenen, später veröffentlichten Werke.
Dass Marie Munks Name heute weitgehend vergessen ist, hängt auch damit zusammen, dass
sie nach dem 2. Weltkrieg nur zu wenigen Studienreisen nach Deutschland und Europa
zurückkehrte. Sie war nicht, wie andere Frauen der Weimarer Zeit, z.B. Marie-Elisabeth Lüders,
Elisabeth Selbert oder Elisabeth Schwarzhaupt im Prozess des Demokratieaufbaus in
Deutschland involviert. Auch waren ihre Kontakte zu Juristen aus der Weimarer Republik vor
allem auf Berlin konzentriert gewesen, das in der Bonner Republik keine führende Rolle mehr
spielte und nicht wenige ihrer Kontakte gingen zu Juristen, die sich in der sowjetischen
Besatzungszone und dann in der DDR weiter betätigten.
Die 750 Seiten lange Arbeit ist durch ihre starke Verquickung von Textpassagen aus Marie
Munks Manuskripten mit anderen zeitgenössischen Strömungen nicht flüssig zu lesen. Oft sind
diese wörtlichen Textpassagen – meist auf Englisch – aber nur zur weiteren Untermauerung
des Denkansatzes von Marie Munk herangezogen. Diese Texte, wenn sie denn überhaupt zur
Demonstration herangezogen werden sollen, wären besser in den Fußnoten aufgehoben, die
an sich schon sehr umfangreich sind. Etwas mehr Stringenz in der Gliederung wäre für die
Adaption der Arbeit durch den Leser ebenfalls von Vorteil. So besteht die Gefahr, dass das
sehr informative aber auch sehr teure Buch (€ 110,--) etwas für die Universitätsbibliotheken ist,
falls diese es sich überhaupt leisten können, aber weniger für ein breites an der Rolle von
Frauen in Wissenschaft und Gesellschaft im Allgemeinen interessiertes Publikum.
Es ist jedoch das uneingeschränkte Verdienst von Oda Cordes, das gesamte Lebenswerk von
Marie Munk bibliographisch erfasst zu haben. Sie stellt zudem eine Vielzahl der Manuskripte
der Öffentlichkeit – auch online über den Verlag – zur Verfügung, die sie in den Archiven in
Deutschland und den USA einsehen konnte. Das erleichtert weitere Arbeiten über das Schaffen
von Marie Munk.
Sie hat Marie Munk als eine Frau wieder in unser Bewusstsein gebracht, die die
Familiengesetzgebung in Deutschland durch ihren persönlichen Einsatz und ihre Publikationen
maßgeblich mitgeprägt hat. Dafür gebührt ihr Dank.
Dr. Vera Gemmecke-Kaltefleiter, DAB Gruppe Kiel