Position Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen Stand: Mai 2016 www.vbw-bayern.de Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Vorwort Vorwort Schluss mit Regulierungswut – Es ist Zeit für Bürokratieabbau Derzeit ist ein deutlicher Trend zur Überregulierung zu erkennen. Anstelle der im Koalitionsvertrag angekündigten Reduzierung des Erfüllungsaufwands bringt die Bundesregierung immer neue Gesetzesvorhaben mit bürokratischen Belastungen auf den Weg. Die vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. hat zwei Befragungen zum Thema durchführen und insbesondere bayerische Unternehmen zu den Kostentreibern und der Zufriedenheit mit Verwaltungshandeln konsultieren lassen. Die Antworten der Unternehmen bestätigen den Eindruck einer Überregulierung im Allgemeinen und der derzeitigen Regulierungswut auf Bundes- und EU-Ebene. Die vbw tritt für eine nachhaltige Strategie zum Bürokratieabbau und damit verbundene konkrete Maßnahmen auf allen staatlichen Ebenen ein. Der Anfang ist bereits gemacht. Doch weitere Schritte sind notwendig, um bürokratische Belastungen dauerhaft zu reduzieren. Bertram Brossardt 17. Mai 2016 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Inhalt Inhalt 1 Vorbemerkung ............................................................................................ 1 1.1 Anlass ........................................................................................................... 1 1.2 Umfrage des Statistischen Bundesamtes über die Zufriedenheit der Unternehmen mit der Arbeit der Behörden (Lebenslagen-Befragung) ........... 1 1.3 Befragung zur Zufriedenheit von KMU mit staatlichem Handeln.................... 2 1.4 IW-Umfrage zum Bürokratieabbau ................................................................ 3 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 1.5.5 Fazit .............................................................................................................. 4 Beeinträchtigung der Unternehmen durch Bürokratie.................................... 4 Mangelnde Flexibilität in der Umsetzung....................................................... 4 Fehlende Akzeptanz ..................................................................................... 5 Notwendigkeit eines neuen Ansatzes beim Bürokratieabbau ........................ 5 Zwei-Wege-Strategie zum Bürokratieabbau .................................................. 5 2 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung ................................................ 7 2.1 Grundeinstellungen ....................................................................................... 7 2.2 Kontakt mit öffentlichen Stellen: Relevanz und Zufriedenheit ...................... 12 2.3 Belastung durch Daueraufgaben................................................................. 19 2.4 Kriterien für die Unzufriedenheit .................................................................. 22 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen............................................... 25 Kontakt mit öffentlichen Stellen: Relevanz und Zufriedenheit ...................... 25 Belastung durch Daueraufgaben................................................................. 25 Kriterien für Unzufriedenheit ....................................................................... 25 Schlussfolgerungen .................................................................................... 25 3 Ergebnisse der IW-Umfrage ..................................................................... 27 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 Bürokratiebelastung in der amtlichen Messung ........................................... 27 Bürokratiekosten als Informationskosten..................................................... 27 Bürokratiekosten als jährlicher Erfüllungsaufwand ...................................... 29 Belastungen durch einmaligen Erfüllungsaufwand ...................................... 33 Nettobelastung der Wirtschaft seit 2012...................................................... 34 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 Bürokratiebelastung der bayerischen Wirtschaft ......................................... 34 Entwicklung der bürokratischen Belastungen .............................................. 36 Bürokratie im Arbeitsrecht und -schutz........................................................ 38 Bürokratie bei Statistik- und Dokumentationspflichten................................. 42 Inhalt 3.2.4 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 3.2.5 3.2.6 Bürokratie bei der Ausländerbeschäftigung und im Sozialversicherungsrecht ................................................................................................................... 46 Bürokratie bei Steuern und Abgaben .......................................................... 48 Bürokratie im Umweltrecht und -schutz ....................................................... 52 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 Belastungen durch den gesetzlichen Mindestlohn....................................... 55 Der Mindestlohn und seine Auswirkungen .................................................. 55 NKR-Schätzung der bürokratischen Belastungen durch den Mindestlohn ... 56 Herausforderungen durch den Mindestlohn ................................................ 57 Kostentreiber beim Mindestlohn .................................................................. 58 Ansprechpartner / Impressum ..................................................................................... 71 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 1 Vorbemerkung 1 Vorbemerkung Der Trend zur Überregulierung schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland 1.1 Anlass Anstelle der im Koalitionsvertrag angekündigten Reduzierung des Erfüllungsaufwands bringt die Bundesregierung immer neue Gesetzesvorhaben mit bürokratischen Belastungen auf den Weg. Die Wirtschaft wird beispielsweise belastet durch AufzeichnungsKontroll- und Nachweispflichten beim Mindestlohn, Berichtspflichten bei der Frauenquote, den Mehraufwand durch die Einführung des Elterngeld plus, die drohenden Belastungen durch die Pläne für ein Lohngerechtigkeitsgesetz und für eine Lebensleistungsrente, die geplanten Änderungen beim Mutterschutz, die Ausweitung der Gefährdungsbeurteilung und das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen. Damit scheint das ursprüngliche Ziel zum Abbau von Bürokratie in weite Ferne gerückt. Zwar macht der NKR in seinem Jahresbericht 2015 deutlich, dass der jährliche gesamte Erfüllungsaufwand erstmals gesunken ist. Zu verdanken ist dieser Erfolg in erster Linie dem Bürokratieentlastungsgesetz mit einer Entlastungswirkung von 744 Millionen Euro. Dies ist allerdings nur ein kleiner Tropfen angesichts der Belastungen in Milliardenhöhe durch überbordende Gesetzgebung. Die tatsächlichen Kostenbelastungen neuer gesetzlicher Regelungen gingen im letzten Jahr im Saldo nur um 685 Millionen Euro zurück. Seit Beginn der Erfassung des Erfüllungsaufwands im Jahre 2011 ist dieser im Saldo allerdings um insgesamt 11,8 Milliarden Euro gestiegen. Davon trägt die Wirtschaft mit 93 Prozent die größte Belastung. Damit wurde das zwischen 2006 und 2011 mühsam erreichte Bürokratieabbauziel der Bundesregierung (Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent, entspricht 12,5 Milliarden Euro) nahezu vollständig wieder aufgezehrt. Die vbw tritt für eine nachhaltige Strategie zum Bürokratieabbau und damit verbundene konkrete Maßnahmen auf EU-, Bundes- und Landesebene ein. Ein Anfang ist mit dem Bürokratieentlastungsgesetz bereits gemacht. Doch weitere Schritte sind notwendig, um die Belastungen dauerhaft zu reduzieren. 1.2 Umfrage des Statistischen Bundesamtes über die Zufriedenheit der Unternehmen mit der Arbeit der Behörden (Lebenslagen-Befragung) Die Bundesregierung hat in ihrem Arbeitsprogramm „Bessere Rechtsetzung 2014“ das Statistische Bundesamt mit einer Befragung von Unternehmen und Bürgern zur Zufriedenheit mit behördlichen Dienstleistungen auf der Grundlage eines LebenslagenModells beauftragt. Die Umfrageergebnisse wurden im Januar 2016 veröffentlicht. 2 Vorbemerkung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Basierend auf zehn ausgewählten Lebenslagen von Unternehmen (bedeutsame Ereignisse oder Situationen, die einen Behördenkontakt notwendig machen) reicht die Untersuchung von der Gründung eines Unternehmens bis zur Geschäftsaufgabe. Die Befragung hatte die subjektive Wahrnehmung der jeweils betroffenen Unternehmen zum Inhalt. Dennoch lassen sich nach Auswertung der Einflussfaktoren auch strukturelle Ursachen identifizieren und damit objektive Erkenntnisse gewinnen. Die Wirtschaft stellt der öffentlichen Verwaltung in Deutschland zwar insgesamt ein zufriedenstellendes Zeugnis aus. Das Ergebnis der Umfrage zeigt jedoch, dass gerade unklare und unverständliche gesetzliche Regelungen die Unternehmen erheblich belasten. Rechtsetzung, Formulare und Anträge müssen verständlicher und unbürokratischer gestaltet werden. 1.3 Befragung zur Zufriedenheit von KMU mit staatlichem Handeln Im Juli 2015 wurde in Anlehnung an die Lebenslagen-Befragung der Bundesregierung im Auftrag der vbw von der GMS Dr. Jung GmbH eine repräsentative Umfrage zur Zufriedenheit von KMU mit staatlichem Handeln durchgeführt. Dabei wurden 519 Unternehmen insbesondere dazu konsultiert, wie stark Handeln und Entscheiden im Unternehmen durch Bürokratie behindert werden und wie wichtig unbürokratisches, flexibles und passgenaues Verwaltungshandeln für den Unternehmenserfolg ist. Die ausführlichen Ergebnisse der Befragung finden Sie im Kapitel 2. – Die Ergebnisse zeigen, dass Bürokratie fast die Hälfte der befragten Unternehmen stark bzw. sehr stark beeinträchtigt. – Effizientes Verwaltungshandeln ist für 70 Prozent ganz entscheidend bzw. sehr wichtig für den Unternehmenserfolg und für weitere 21 Prozent wichtig. – Behördenkontakt hat in den letzten fünf Jahren in durchschnittlich vier von 17 abgefragten Bereichen (Anlässen) stattgefunden, vor allem wegen - Einstellung Beschäftigter (83 Prozent) - Betriebsprüfung (60 Prozent) - Import / Export (51 Prozent) - Unternehmensgründung (46 Prozent) – Effiziente Behördenarbeit wird vor allem bei Unternehmensgründung / -aufgabe und Bau einer Betriebsstätte als besonders relevant (entscheidend / sehr wichtig) eingeschätzt: von mehr als 70 Prozent derjenigen, die aus diesem Anlass Behördenkontakt hatten. – Nach der Zufriedenheit mit konkreten Behördenkontakten gefragt, - geben im Schnitt ca. 37 Prozent eine schlechte Bewertung (mittelmäßig bis schlecht) ab, während im Durchschnitt etwa 40 Prozent der Kontakte als sehr gut bis ausgezeichnet bewertet werden (Rest zu 100 Prozent: gut) Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 - - Vorbemerkung 3 dabei sind in kaum einem Bereich mehr als 50 Prozent der Unternehmen sehr zufrieden, und zugleich in praktisch allen Bereichen mehr als 30 Prozent der Unternehmen unzufrieden. In etwa der Hälfte der Fälle überwiegt der Anteil Unzufriedener den Anteil Zufriedener – Als Grund für die allgemeine Unzufriedenheit mit öffentlichen Stellen werden an erster Stelle genannt: - zeitraubendes Ausfüllen von Papieren und - unverständliche Informationen. 1.4 IW-Umfrage zum Bürokratieabbau Von Januar bis März 2016 hat die IW Consult GmbH im Auftrag von bayme vbm und vbw eine Umfrage zur Ermittlung der subjektiven Belastung der Mitgliedsunternehmen und -verbände durchgeführt, bei der sich über 60 Unternehmen beteiligten. In einem ersten Schritt wurden die Regulierungsbereiche identifiziert, die sich durch besonders hohe bürokratische Belastungen auszeichnen. Im zweiten Schritt wurde geprüft, welche gesetzlichen oder institutionellen Ursachen, z. B. Gesetzgeber, Verwaltung, aus Sicht der Unternehmen als Hauptbelastungstreiber wirken. Die ausführlichen Ergebnisse der Befragung finden Sie im Kapitel 3. Insgesamt beklagen 95 Prozent der befragten Unternehmen einen Anstieg der Bürokratiekosten in den vergangenen fünf Jahren, rund 44 Prozent sehen sich sogar mit einer starken Erhöhung der Bürokratiekosten konfrontiert. Nach den Ursachen für den Anstieg befragt, werden von den Unternehmen insbesondere die Aufzeichnungspflichten der Arbeitszeiten im Rahmen der Mindestlohngesetzgebung als Beispiel genannt. Nach Rechtsbereichen differenziert beklagen die befragten Unternehmen vor allem im Arbeitsrecht und -schutz, bei Statistik- und Dokumentationspflichten, bei der Ausländerbeschäftigung sowie bei Steuern und Abgaben hohe bürokratische Belastungen. Regulierungsbereiche mit größter Belastung: – Arbeitsrecht und -schutz - Größte Belastungen: Kündigungsschutz, Arbeitszeit (insbesondere in Verbindung mit dem Mindestlohn), Arbeitsstättenverordnung - Größte Kostentreiber: aufwändige Dokumentationspflichten, Zeitaufwand - am schwierigsten ökonomisch zu bewältigender Rechtsbereich - ineffizientes Verwaltungshandeln und geringe Entscheidungsspielräume der zuständigen Verwaltungen – Statistik- und Dokumentationspflichten - Größter Kostentreiber: Berichtspflichten, Zeitaufwand, aber auch unbestimmte Rechtsbegriffe 4 Vorbemerkung - Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Politisches Ziel / Zweck der gesetzlichen Vorgaben ist in diesem Bereich am wenigsten verständlich – Sozialversicherungsrecht / Ausländerbeschäftigung - Hoher bürokratischer Aufwand bei Ausländerbeschäftigung (insbesondere bei Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen, Vorrangprüfung) - Größte Kostentreiber: aufwändige Dokumentationspflichten, Zeitaufwand, unklare Formulierung der Regelungen – Steuern und Abgaben - Größte Belastungen: Besteuerung des innergemeinschaftlichen Handels, - Zölle - Größte Kostentreiber: Einkauf externer Expertise, schnell wechselnde Rechtslage - ökonomisch schwer beherrschbarer Rechtsbereich - geringe Flexibilität bei der Umsetzung, geringe Entscheidungsspielräume auf Seiten der Steuerverwaltung – Umweltschutz / -recht - Größte Belastung: Vielzahl an gleichzeitig zu befolgenden Vorschriften - Größte Kostentreiber: aufwändige Dokumentationspflichten, Zeitaufwand, Einkauf externer Expertise, schnell wechselnde Rechtslage - Positiv: Verwaltung nutzt bestehende Ermessensspielräume 1.5 1.5.1 Fazit Beeinträchtigung der Unternehmen durch Bürokratie Die amtlichen Daten zum Anstieg der Bürokratiekosten werden durch die IW-Umfrage zum Bürokratieabbau bestätigt: 95 Prozent der befragten Unternehmen beklagen einen Anstieg der Bürokratiekosten. Sowohl die IW- als auch die GMS-Befragung zeigen, dass sich die Unternehmen durch unnötige Bürokratie stark beeinträchtigt fühlen. Überflüssige Bürokratie mindert die Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit für Unternehmen im internationalen Wettbewerb. 1.5.2 Mangelnde Flexibilität in der Umsetzung Die Unternehmen beklagen ineffizientes Verwaltungshandeln und ein geringes Maß an Flexibilität bei der Umsetzung. Hier wird Handlungsbedarf erkennbar, um die Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung mit der Wirtschaft zu verbessern und die bürokratischen Belastungen der Unternehmen zu reduzieren. Unter dem Aspekt „Verständlichkeit des Rechts“ zeigt das negative Ergebnis der Umfragen sehr deutlich, dass gerade unklare und unverständliche gesetzliche Regelungen die Unternehmen erheblich belasten. Nicht nur die Rechtsetzung selbst, auch die Verfahren, deren Dauer, die Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Vorbemerkung 5 Formulare und Anträge müssen verständlicher, transparenter und unbürokratischer gestaltet werden. 1.5.3 Fehlende Akzeptanz Oft ist den Unternehmen das politische Ziel bzw. der Zweck einer Vorschrift nicht klar, weswegen es an der Akzeptanz bestimmter Regulierungen fehlt. Der Irrglaube des Gesetzgebers, jedem Einzelfall gerecht werden zu müssen führt zu einer Vielzahl von gleichzeitig zu befolgenden Vorschriften, die den Unternehmen oftmals unbekannt und damit teilweise undurchschaubar sind. Insbesondere im Arbeitsrecht sind Vereinfachung und Transparenz nötig, um den Rechtsanwendern die Intention der einzelnen Regulierungen zu verdeutlichen und somit Akzeptanz zu schaffen. 1.5.4 Notwendigkeit eines neuen Ansatzes beim Bürokratieabbau Die Studienergebnisse zeigen, dass es beim Bürokratieabbau eines neuen Ansatzes bedarf. Um die Unternehmen nachhaltig von bürokratischen Lasten zu befreien, muss künftig vom Normadressaten her gedacht werden. Den Rechtsanwender belastet meist nicht eine einzelne Vorschrift, sondern die Menge an Vorschriften, mit denen er in einem Bereich konfrontiert wird. Damit steht weniger eine spezifische Vorschrift im Fokus der Kritik, sondern die Handhabung der Bürokratie als solche. Eine wirksame Entbürokratisierung kann somit auch in der Schaffung einer leichteren Handhabbarkeit, d. h. einer größeren Benutzerfreundlichkeit, liegen. Erachtet der Gesetzgeber eine bestimmte Regelung als zwingend notwendig, muss bei der Rechtsetzung künftig vom Adressaten aus gedacht und so die Benutzerfreundlichkeit staatlicher Abläufe verbessert werden. Dieses Konzept des „political design“ wird beispielsweise in Dänemark bereits erfolgreich praktiziert. Bereits bestehende Regelungen müssen daneben systematisch hinsichtlich Zielerreichung und Kostenfolgen ex post evaluiert werden und einer Effizienzkontrolle standhalten, bei der auch die Benutzerfreundlichkeit in den Fokus genommen wird. 1.5.5 Zwei-Wege-Strategie zum Bürokratieabbau Ein nachhaltiger Bürokratieabbau muss aus einer Zwei-Wege-Strategie bestehen. Erstens müssen die bestehenden Vorschriften überprüft und bürokratische Hemmnisse aufgedeckt werden. Zweitens muss Bürokratie bereits im Entstehen verhindert werden. Dies ist umfassend nur möglich, wenn wirksame Instrumente für einen durchgreifenden Bürokratieabbau auf allen staatlichen Ebenen und der legislativen sowie exekutiven Prozesse eingeführt werden. Der moderne Staat muss sich auf seine originären Staatsaufgaben konzentrieren. Der Trend zur Überregulierung schadet dem marktwirtschaftlichen Gedanken. 6 Vorbemerkung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Jedes neue Rechtsetzungsvorhaben sollte auf Notwendigkeit, Alternativen, Regelungsumfang, Verständlichkeit, Praktikabilität, Geltungsdauer und das Verhältnis von Kosten und Nutzen hin überprüft werden. Die Wirkung einer solchen Folgenabschätzung ist, dass überflüssige Gesetze und Regulierungen entfallen würden. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 2 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung 7 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Die Resultate der GMS-Befragung im Detail – Untersuchungsthemen: - Relevanz einer effizienten Arbeitsweise von öffentlichen Stellen für den Unternehmenserfolg - Belastungen durch gesetzliche Regelungen, Vorschriften und staatliche Bürokratie - Erfahrungen mit öffentlichen Stellen in ausgewählten Lebenslagen und Bewertung des Kontakts - Gründe für Unzufriedenheit mit Behörden und öffentlichen Stellen – Zielgruppe: - Kleine und mittlere Unternehmen in Bayern (KMU-Definition der EU) – Methode: - Repräsentative computergestützte Telefonbefragung (CATI), Interviewdauer ca. zwölf Minuten – Anzahl der Befragten und Feldzeit: - n = 519 Befragte (disproportionale Stichprobe im Hinblick auf Branchen und Anzahl Mitarbeiter) - Feldarbeiten: 08. bis 23. Juli 2015 2.1 Grundeinstellungen Häufiger Kontakt mit Behörden findet vor allem bei mittleren Unternehmen statt: 8 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 1 Kontakt zu Behörden und öffentlichen Stellen in den letzten fünf Jahren Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Bürokratie behindert knapp die Hälfte der Unternehmen. Unbürokratisches Verwaltungshandeln ist für Unternehmenserfolg überwiegend sehr wichtig. Abbildung 2 Behinderung der Unternehmen durch Bürokratie Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 9 10 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Einschränkung durch Bürokratie gibt es vor allem bei mittlerem produzierendem Gewerbe. Flexibilität ist für kleine Dienstleister besonders wichtig: Abbildung 3 Einschränkungen durch Bürokratie Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung 11 Behinderung durch Bürokratie wird in den Branchen sehr unterschiedlich wahrgenommen: Abbildung 4 Wahrnehmung der Behinderung durch Bürokratie Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Abbildung 5 Bedeutung unbürokratischen Verwaltungshandelns Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 12 2.2 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Kontakt mit öffentlichen Stellen: Relevanz und Zufriedenheit Bei Unternehmensgründungen ist effiziente Behördenarbeit sehr relevant. Diese ist „im laufenden Betrieb“ nur bei dem Bau einer Betriebsstätte sehr relevant. Meist wird die Behördenarbeit eher mäßig bis schlecht beurteilt (Sortierung nach Anteil der Kontakte). Abbildung 6 Relevanz effizienter Behördenarbeit (Sortierung nach Anteil Kontakt) Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Abbildung 7 Relevanz effizienter Behördenarbeit (Sortierung nach Anteil Kontakt) Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 13 14 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Bei Geschäftsauf- / -übergabe ist effiziente Behördenarbeit sehr relevant. Meist wird die Arbeit öffentlicher Stellen gut bis sehr gut beurteilt (Sortierung nach Anteil Kontakt). Abbildung 8 Relevanz effizienter Behördenarbeit bei Geschäftsauf- / -übergabe Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung 15 Kontakt zu Behörden findet bei Dienstleistern häufiger wegen der Unternehmensgründung, bei kleinen Unternehmen des produzierenden Gewerbes in erster Linie wegen der Geschäftsübergabe statt. Abbildung 9 Grund des Behördenkontakts Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 16 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Abbildung 10 Grund des Behördenkontakts Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Abbildung 11 Relevanz effizienten Behördenhandelns Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Abbildung 12 Beurteilung des Behördenhandelns Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Abbildung 13 Negative Beurteilung der Behördenkontakte Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 17 18 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Abbildung 14 Negative Beurteilung der Behördenkontakte Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 2.3 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Belastung durch Daueraufgaben Meist mehr als die Hälfte der Unternehmen werden durch Daueraufgaben belastet, sogar drei Viertel wegen steuerlicher Pflichten. Abbildung 15 Belastung durch Daueraufgaben Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 19 20 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Vor allem mittlere Unternehmen empfinden Daueraufgaben überdurchschnittlich häufig als große Belastung. Abbildung 16 Belastung durch Daueraufgaben Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung 21 Mindestens drei der abgefragten sieben Daueraufgaben werden in allen Branchen als belastend empfunden. Abbildung 17 Belastung durch Daueraufgaben Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 22 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 18 Handlungsprioritäten zum Abbau der Belastungen durch Daueraufgaben Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 2.4 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Kriterien für die Unzufriedenheit Abbildung 19 Kriterien für die Unzufriedenheit Quelle: GMS Dr. Jung GmbH 23 24 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Abbildung 20 Schwerpunkte für besondere Unzufriedenheit Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Abbildung 21 Handlungsprioritäten zum Abbau von Unzufriedenheit Quelle: GMS Dr. Jung GmbH Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 2.5 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung 25 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen – Bürokratie behindert fast die Hälfte – Hohe Relevanz effizienten Verwaltungshandelns (70 Prozent) 2.5.1 Kontakt mit öffentlichen Stellen: Relevanz und Zufriedenheit – Behördenkontakt in letzten fünf Jahren bei durchschnittlich vier vom 17 abgefragten Bereichen (Anlässen) – Kontakt vor allem wegen - Einstellung Beschäftigte (83 Prozent) - Betriebsprüfung (60 Prozent) - Import / Export (51 Prozent) - Unternehmensgründung (46 Prozent) – Effiziente Behördenarbeit vor allem bei Unternehmensgründung / -aufgabe und Bau Betriebsstätte relevant (> 2/3) – Negative Urteile für fast 40 Prozent der Kontakte – Superiore Urteile meist unter 50 Prozent -Soll – kritische Urteile meist deutlich über 20 Prozent -Grenze – Anteil Unzufriedener oftmals sogar > Anteil Zufriedener 2.5.2 Belastung durch Daueraufgaben Große Belastung auch durch Daueraufgaben meist bei >1/2, wegen Steuern >3/4 2.5.3 Kriterien für Unzufriedenheit Vor allem zeitraubendes Ausfüllen von Papieren oder unverständliche Informationen 2.5.4 Schlussfolgerungen – Nicht nur Sonderereignisse, sondern Daueraufgaben sind wichtig – Sicherstellung einer effizienten Behördenarbeit vor allem bei - Betriebsgründung - Betriebsauf- und -übergabe - Bau einer neuen Betriebsstätte So wird die schnelle Aufnahme der Tätigkeit sichergestellt und damit die erbrachten Vorleistungen und Investitionen finanziert. 26 Ergebnisse der Zufriedenheits-Befragung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 – Handlungsprioritäten zum Abbau der Belastungen durch Daueraufgaben: - Aufzeichnungs- / Dokumentationspflichten - Verpflichtende statistische Angaben - Aufbewahrungspflichten – Die wichtigsten Maßnahmen zum Abbau von Unzufriedenheit: - Reduktion der Anzahl an auszufüllenden Papieren und Dokumenten - Bessere Verständlichkeit von Informationen - Verständlichere, weniger komplexe und weniger widersprüchliche Vorgaben Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 3 Ergebnisse der IW-Umfrage 27 Ergebnisse der IW-Umfrage Die Resultate der IW-Umfrage im Detail 3.1 3.1.1 Bürokratiebelastung in der amtlichen Messung Bürokratiekosten als Informationskosten Erste Ansätze für den Bürokratieabbau in Deutschland finden sich bereits im Koalitionsvertrag der ersten Amtszeit von Bundeskanzlerin Merkel (2005). Mit dem Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ sollten zum einen bestehende Informationspflichten gemessen und nachprüfbar gesenkt werden. Darüber hinaus sollten auch bei der Konzipierung neuer Gesetze die entstehenden Kosten für Bürger, Unternehmen und die Verwaltung berücksichtigt und möglichst gering gehalten werden. Im Jahr 2006 wurde das Regierungsprogramm verabschiedet, mit dem der Normenkontrollrat (NKR) als unabhängiges Kontroll- und Beratungsgremium der Bundesregierung etabliert wurde. Weitere Maßnahmen waren die Einführung des Standardkostenmodells (SKM) zur Messung der Bürokratiekosten, die Einsetzung eines Staatsministers für Bürokratieabbau und die Etablierung eines Staatssekretärausschusses für Bürokratieabbau bei der Bundesregierung. Die „Bestandsmessung“ der Informationskosten mittels SKM durch das Statistische Bundesamt ergab: Unternehmen waren in Deutschland mit rund 49 Milliarden Euro jährlich durch bundesrechtliche Informationspflichten belastet. Diese Kosten sollten spürbar gesenkt werden – um 25 Prozent netto, also rund zwölf Milliarden Euro. Ein erneutes Ansteigen dieser Kosten aufgrund neuer Gesetze sollte gleichzeitig vermieden bzw. durch zusätzliche Kostenreduzierungen ausgeglichen werden. In 2007 folgten dann mit dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz erste konkrete Maßnahmen zum Bürokratieabbau. Das Mittelstandsentlastungsgesetz sah u. a. eine Reduzierung der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten für kleine und mittlere Unternehmen vor, die durch eine Anhebung der Grenze für Buchführungspflichten von 350.000,00 Euro auf 500.000,00 Euro Umsatz bzw. eines Gewinns von 35.000,00 Euro auf 50.000,00 Euro pro Jahr erreicht werden sollte. Allein diese Änderung bei den Buchführungspflichten führte nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes dazu, dass der Erfüllungsaufwand für die Buchführung und den Jahresabschluss in den Unternehmen um jeweils 25 Prozent sank. Durch diese und weitere Maßnahmen wurde das anvisierte Netto-Abbau-Ziel im Jahr 2011 erreicht. Zu den Bürokratiekosten zählten bis zum Jahr 2014 jedoch nur die Belastungen, die in Unternehmen entstehen, wenn diese aufgrund rechtlicher Regelungen Daten oder sonstige Informationen beschaffen, übermitteln oder verfügbar halten müssen. Beispiele sind staatlich veranlasste Anträge, Meldungen oder Dokumentations- und Berichtspflichten. Diese Bürokratiekosten werden auch als Informationspflichten bezeichnet. 28 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 22 zeigt die Informationspflichten für die Wirtschaft in ihrer absoluten Anzahl und nach Ressorts aufgeschlüsselt. Es zeigt sich: Trotz nunmehr zehn Jahren Bürokratieabbau in Deutschland und erheblicher Bemühungen der Bundesregierung zur Reduzierung der Informationspflichten ist deren Zahl mit rund 11.000 immer noch nahezu unüberschaubar. Abbildung 22 Anzahl der Informationspflichten für die Wirtschaft Quelle: NKR (2015): Jahresgutachten 2014/15 Der Bürokratiekostenindex (BKI) auf der Website des Statistischen Bundesamtes macht die Entwicklung der anhand SKM ermittelten Kosten der Informationspflichten transparent und soll damit sicherstellen, dass das niedrigere Belastungsniveau in Zu- Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 29 kunft gehalten oder sogar weiter abgesenkt wird. Die Einführung des BKI wurde Anfang des Jahres 2012 von der Bundesregierung beschlossen. Seine Basis sind die Bürokratiekosten der Wirtschaft zum Stand 01. Januar 2012. Der Stichtag 01. Januar 2012 wurde als Basis für den BKI gewählt, weil das bis Ende 2011 erreichte niedrige Belastungsniveau auch in Zukunft gehalten werden soll. Werden rechtliche Regelungen von der Bundesregierung auf den Weg gebracht, die die Unternehmen zukünftig von Bürokratiekosten entlasten, so sinkt der BKI. Werden Regelungen beschlossen, aufgrund derer den Unternehmen neuer bürokratischer Aufwand entsteht, führt dies zu steigenden BKI-Werten. Die Aktualisierung des Bürokratiekostenindex erfolgt jeweils zwei Wochen nach Ablauf eines Quartals. 3.1.2 Bürokratiekosten als jährlicher Erfüllungsaufwand Die Erfahrungen der ersten Jahre Bürokratieabbau zeigten, dass Bürokratiekosten aus Informationspflichten nur einen kleinen Teil der gesamten Kosten bundesrechtlicher Regelungen darstellen. So hätten z. B. bei einer gesetzlichen Reduzierung von Industrieemissionen nach altem Mandat lediglich die Kosten für die Übermittlung der gemessenen Emissionswerte an die Behörde ausgewiesen werden müssen (Informationspflicht), nicht jedoch die Kosten für den Umbau der Industrieanlage zur Reduzierung der Emissionen selbst. Das Programm „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ wurde daher 2011 wesentlich erweitert: Mit dem Erfüllungsaufwand werden nun auch diese Kostenfolgen bundesgesetzlicher Regelungen transparent gemacht. Erfüllungsaufwand oder umgangssprachlich Folgekosten umfassen dabei den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung der Vorschrift bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung entstehen. Geprüft wird, welche zeitlichen und finanziellen Be- oder Entlastungen sich durch Vorgaben aus dem Regelungsvorhaben ergeben. Seit Beginn der Erfassung des Erfüllungsaufwands im Juli 2011 wurden vom NKR rund 1.350 Regelungsvorhaben abschließend geprüft. Die Entwicklung des Erfüllungsaufwands ist in Abbildung 23 dargestellt. 30 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 23 Entwicklung des Erfüllungsaufwandes Quelle: NKR (2015): Jahresgutachten 2014/15 Der Erfüllungsaufwand ist seit Beginn seiner Erfassung im Juli 2011 bis zum Ende des Jahres 2012 stetig angestiegen. In 2013 blieb er zwar auf etwa gleichem Niveau, ist dann jedoch zum Ende des Jahres 2013 aufgrund der Energieeinsparverordnung sprunghaft um 2,1 Milliarden Euro gestiegen. Die deutliche Absenkung zu Beginn des Jahres 2014 ist auf die Abschaffung des einkommensunabhängigen Zusatzbeitrages für die gesetzliche Krankenversicherung und die damit verbundenen Verwaltungskosten zurückzuführen (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz). Danach ist der Erfüllungsaufwand vor allem durch das Tarifautonomiestärkungsgesetz erneut stark angestiegen (rund 9,7 Milliarden Euro). Im Dezember 2014 verabschiedete das Bundeskabinett die „Bürokratiebremse“ in Form von „Eckpunkten zur weiteren Entlastung der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie“. So wurde im Juli 2015 die größte Reform des Vergabewesens seit zehn Jahren durch eine Modernisierung und Digitalisierung des Vergaberechts begonnen. Entlastungen wurden durch folgende Maßnahmen erreicht: – Anhebung der Grenzbeträge für steuerliche und handelsrechtliche Buchführungsund Aufzeichnungspflichten von 500.000,00 auf 600.000,00 Euro – Anhebung der Pauschalierungsgrenze für kurzfristig Beschäftigte von 62,00 Euro auf 68,00 Euro – Reduzierung von Mitteilungspflichten für Kirchensteuerabzugsverpflichtete Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 31 – Anhebung der Schwellenwerte für Meldepflichten für Existenzgründer nach verschiedenen Wirtschaftsstatistikgesetzen – Einführung von Schwellenwerten für Meldepflichten für Existenzgründer nach dem Umweltstatistikgesetz für Auskunftspflichten in den ersten zwei Kalenderjahren, wenn das Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr weniger als 800.000,00 Euro Umsatz verbuchte Durch das Bürokratieentlastungsgesetz und die E-Vergabe ist der Erfüllungsaufwand spürbar gesunken (um nahezu zwei Milliarden Euro), danach aber wieder leicht angestiegen. Einen Überblick der am stärksten belastenden und entlastenden Regulierungen bietet Abbildung 24. Die entsprechenden Daten werden in jährlichem Turnus vom NKR erfasst und in dessen Jahresberichten veröffentlicht. Der obere Block umfasst den Zeitraum Juli 2012 bis Juli 2013, der mittlere den Zeitraum Juli 2013 bis Juli 2014 und der untere Block die aktuellsten verfügbaren Daten von Juli 2014 bis Juli 2015. Veröffentlicht werden die Jahresberichte des NKR jeweils im Oktober. 32 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 24 Erfüllungsaufwand der am stärksten belastenden und entlastenden Vorhaben seit Juli 2012 Quelle: NKR (2013, 2014, 2015): Jahresgutachten 2012/13, 2013/14 und 2014/15 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 3.1.3 Ergebnisse der IW-Umfrage 33 Belastungen durch einmaligen Erfüllungsaufwand Neben dem jährlichen Erfüllungsaufwand wird auch der einmalige Erfüllungsaufwand dargestellt. Letzterer weist den Umstellungsaufwand aus, der aufgrund der Einführung oder Änderung einer Regelung bei Bürgern, Wirtschaft oder öffentlicher Verwaltung einmalig entsteht. Einmaliger Erfüllungsaufwand ist z. B. der Anpassungsaufwand von Software aufgrund neuer Vorgaben. Er kann aber auch bei der notwendigen Anschaffung neuer Maschinen bei Änderung von Herstellungsprozessen in der Industrie anfallen, bspw. wenn ein Ausgangsstoff wie Quecksilber in Knopfzellenbatterien nicht mehr eingesetzt werden darf. Oder es müssen Betriebsprozesse umgestellt werden, wie etwa aufgrund der Änderung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes erforderlich. In der Berichtsperiode 2012 / 2013 summierte sich der einmalige Erfüllungsaufwand auf insgesamt 4,26 Milliarden Euro (Vorperiode 333 Millionen Euro). Insgesamt fällt bei 79 der 348 vom NKR geprüften Regelungsvorhaben (rund 22 Prozent) einmaliger Erfüllungsaufwand an. Mit Blick auf die Gesamtbilanz zur Entwicklung des Erfüllungsaufwands hat der Umstellungsaufwand damit eine nicht unerhebliche Bedeutung. So entspräche dieser bei einer zehnjährigen Abschreibungsdauer zusätzlichen jährlichen Kosten von 436 Millionen Euro. Eine einheitliche Methodik zur Abschreibung bzw. Diskontierung ist im Leitfaden zur Ermittlung und Darstellung des Erfüllungsaufwands bisher jedoch nicht vorgesehen. Rund 98 Prozent des einmaligen Erfüllungsaufwandes entfiel in der Berichtsperiode 2012 / 2013 auf die Wirtschaft. In der Berichtsperiode 2013 / 2014 fiel bei 53 der vom NKR geprüften Regelungsvorhaben einmaliger Erfüllungsaufwand an. Insgesamt wurde im Berichtszeitraum durch die Regelungsvorhaben ein einmaliger Erfüllungsaufwand von 858 Millionen Euro ausgelöst. Zwei Drittel des einmaligen Erfüllungsaufwands entfielen 2013 / 2014 auf die Wirtschaft (574 Millionen Euro) und ein Drittel auf die Verwaltung. Im Vergleich zum vorangegangenen Berichtszeitraum ist der einmalige Erfüllungsaufwand im Zeitraum 2013 / 2014 damit stark zurückgegangen. Neben dem jährlichen Erfüllungsaufwand fiel in der Berichtsperiode 2014 / 2015 bei 76 der vom NKR geprüften Regelungsvorhaben einmaliger Erfüllungsaufwand an. Insgesamt wurde im Berichtszeitraum ein einmaliger Erfüllungsaufwand von fast fünf Milliarden Euro ausgelöst. Davon entfielen gut 83 Prozent auf die Wirtschaft (rund vier Milliarden Euro) und etwa 17 Prozent auf die Verwaltung. Hervorzuheben ist dabei das auf einer EU-Richtlinie basierende Elektro- und Elektronikgerätegesetz, bei dem ein einmaliger Erfüllungsaufwand von bis zu einer Milliarden Euro für die Wirtschaft geschätzt wird. Noch höheren Umstellungsaufwand für die Wirtschaft bewirkt hingegen die „Dritte Verordnung zur Änderung der Transeuropäischen-EisenbahnInteroperabilitäts-verordnung“ mit etwa 1,7 Milliarden Euro. Dieser fällt für einen Umstellungszeitraum von etwa sieben Jahren im Wesentlichen für die Umsetzung einer EU-Richtlinie an. Sowohl Eisenbahnnetzbetreiber als auch Eisenbahnunternehmen müssen danach für transeuropäische Netze ein Management- und Steuerungssystem für den Eisenbahnverkehr, das sog. European Rail Traffic Management System (ERTMS), aufbauen. 34 3.1.4 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Nettobelastung der Wirtschaft seit 2012 Die nachfolgende Grafik verdeutlicht nochmals die Tatsache, dass die Belastungen der Wirtschaft mit Bürokratie durch jährlichen oder einmaligen Erfüllungsaufwand im Zeitraum seit Juni 2012 trotz aller Initiativen und Maßnahmen in Summe nicht gesunken, sondern sogar stark gestiegen sind. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der jährliche Erfüllungsaufwand die Kostenbelastung der Wirtschaft auch in allen Folgejahren erhöht, die bürokratischen Belastungen damit auf ein insgesamt höheres Niveau hebt. Abbildung 25 Nettobelastung durch einmaligen und jährlichen Erfüllungsaufwand Quelle: NKR (2013, 2014, 2015): Jahresgutachten 2012/13, 2013/14 und 2014/15 3.2 Bürokratiebelastung der bayerischen Wirtschaft Die Darstellungen des vorangegangenen Kapitels haben gezeigt, dass der Bürokratieabbau im Bereich der Informationskosten, der Erfüllungskosten und der Umstellungskosten differenziert bewertet werden muss. Bürokratieabbau erscheint dabei immer mehr als das Bohren sehr dicker Bretter. Dies hängt auch damit zusammen, dass Bürokratiekosten durch gesetzliche Regulierungen entstehen, die meist von ministeriellen Mitarbeitern bzw. Verwaltungsangestellten entworfen werden. Diesen ist oftmals nicht hinreichend klar, welche neuen Prozesse bspw. durch eine Regulierung in einem Un- Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 35 ternehmen notwendig werden. Um erfolgreich und nachhaltig Bürokratieabbau betreiben zu können, sind aber genau diese Kenntnisse unabdingbar. Für einen Verwaltungsmitarbeiter, der vor der Aufgabe steht, Bürokratie abzubauen, kommt damit oftmals nur eine vollständige Abschaffung von Regulierungen in Betracht. In anderen Bereichen wird insbesondere versucht, über eine Reduzierung der Zahl der Betroffenen eine Entlastung der Unternehmen herbeizuführen. Amtlicher Bürokratieabbau wirkt damit oftmals fantasielos oder geht an der gelebten Realität der Unternehmen in Deutschland vorbei. Vielfach ist für die Wirtschaft eine vollständige Abschaffung von Regulierungen gar nicht notwendig, um Entlastungspotenzial freizusetzen. Könnten Unternehmen bspw. im Bereich der Statistik und Dokumentationspflichten systematisch auf betriebliche Kennzahlen, Abgrenzungen und Definitionen zurückgreifen, so wäre allein durch diese Maßnahme bereits erhebliches Entlastungspotenzial realisierbar. Wenn es dann noch im Rahmen von E-Government-Angeboten möglich wäre, diese Daten direkt aus der unternehmerischen EDV abzuziehen und automatisiert über das Internet zu übertragen, so würden etwa die Belastungen durch aufwendige Statistiken in der Wirtschaft rapide sinken. Für solche Ansätze aber fehlen in Politik und Verwaltung oftmals die notwendigen Fach- und Sachkenntnis. Hier setzt die Befragung zur Bürokratiebelastung der bayerischen Wirtschaft an. Nicht die von amtlicher Seite bereits vorgenommene Abschätzung der Informationskosten und des Erfüllungsaufwandes wird untersucht, sondern der Problem- und Leidensdruck der Unternehmen steht im Vordergrund. So wurde in der Befragung z. B. gezielt eruiert, welche Kostentreiber für hohe Bürokratiebelastungen verantwortlich sind. Dieses Vorgehen eröffnet zugleich den Blick auf mögliche Maßnahmen zur Reduzierung der bürokratischen Belastungen. Neben einer nach Rechtsbereichen differenzierten Bewertung der Bürokratiekosten wurden mit der Mindestlohngesetzgebung sowie der Arbeitsstättenverordnung darüber hinaus auch zwei Schwerpunktthemen in die Befragung aufgenommen. An der Umfrage beteiligten sich im Zeitraum Januar bis März 2016 insgesamt 64 bayerische Unternehmen, die dezidierte Aussagen über ihre ganz individuellen Erfahrungen mit Regulierungsfolgekosten machten. Die Fallzahlen lassen dabei zwar keine stark ausdifferenzierten Aussagen zu den Bürokratiekosten, z. B. in spezifischen Branchen, zu. Dennoch sind die Umfrageergebnisse hochplausibel und bieten interessante Ansätze, um sich dem Thema Bürokratieabbau aus neuer Perspektive zu nähern. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die im Vergleich zu anderen empirischen Erhebungen vergleichsweise geringen Fallzahlen bei Studien zum Bürokratieabbau nicht ungewöhnlich sind: Befragungen nehmen hier eher die Funktion von Experteninterviews ein, da sich bürokratiebedingte Arbeitsabläufe und die damit verbundenen Belastungen in vielen Unternehmen gleichen. Auch das Statistische Bundesamt geht bei seinen Kostenmessungen der Informationspflichten mit dem SKM nicht selten von Fallzahlen < 10 aus und rechnet die entsprechenden Kostenwirkungen dann anschließend auf die gesamte deutsche Wirtschaft hoch. 36 3.2.1 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Entwicklung der bürokratischen Belastungen Die amtlichen Daten werden durch die Bürokratiekosten-Befragung der vbw weitgehend bestätigt: 95 Prozent der befragten Unternehmen beklagen in den vergangenen fünf Jahren einen Anstieg der gesamten Bürokratiebelastungen, also der Erfüllungskosten zzgl. der Umstellungs- und Informationskosten. Rund 44 Prozent sehen sich sogar mit einer starken Erhöhung der Bürokratiekosten konfrontiert (vgl. Abbildung 26). Nach den wichtigsten Ursachen für die in den letzten fünf Jahren gestiegenen Bürokratiekosten befragt, wird von den Unternehmen insbesondere die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten im Rahmen der Mindestlohngesetzgebung als Beispiel genannt. Dies wird auch durch die vom NKR durchgeführten Berechnungen bestätigt. Abbildung 26 Entwicklung der Bürokratiebelastung in den vergangenen fünf Jahren Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, Januar bis März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH, N=64 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 37 Wird die Entwicklung der Bürokratiebelastung nach Unternehmensgröße (Mitarbeiterzahl und Umsatz), der Einstufung als Familienunternehmen oder dem Zeitraum der Markt-Etablierung differenziert, so lassen sich nur geringe Unterschiede im Antwortverhalten feststellen (vgl. Abbildung 27). Einzig in der Branchendifferenzierung treten Abweichungen auf: Der Tendenz nach beklagt die Bauindustrie den stärksten Anstieg von Bürokratie in den letzten fünf Jahren. Es folgen auf Rang zwei die M+E Industrie und auf Rang drei Dienstleister und sonstige Unternehmen. Abbildung 27 Entwicklung der Bürokratiebelastung in den vergangenen fünf Jahren Angaben umgerechnet in Skala zwischen -3 Pkt. (stark verringert) und +3 Pkt. (stark erhöht), Mittelwerte gesamt und nach Untergruppen Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 38 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Nach Rechtsbereichen differenziert, beklagen die befragten Unternehmen vor allem im Arbeitsrecht und -schutz, bei Statistik- und Dokumentationspflichten, im Sozialversicherungsrecht sowie bei Steuern und Abgaben und im Umweltrecht hohe bürokratische Belastungen (vgl. Abbildung 28). Abbildung 28 Bürokratiebelastungen nach Rechtsbereichen im Überblick Mittelwert der Rang-Platzierungen, gesamt (N=62) Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 3.2.2 Bürokratie im Arbeitsrecht und -schutz Die Belastung durch staatliche Bürokratie im Arbeitsrecht und -schutz geht vor allem auf die Regelungen zum Kündigungsschutz zurück (vgl. Abbildung 29). Auf Rang zwei der belastenden Regulierungen folgen die Vorschriften zur Arbeitszeit, die insbesondere im Zusammenspiel mit der Mindestlohngesetzgebung (z. B. maximale tägliche und wöchentliche Arbeitszeiten, gesetzlich fixierte Ruhezeiten) zu Problemen in der Wirtschaft führen. Auf Rang drei folgt die Arbeitsstättenverordnung, die im Rahmen der vbw Befragung in einem eigenen Schwerpunktthema genauer untersucht wurde. Rang vier der am meisten belastenden Regulierungen im Arbeitsrecht und -schutz nehmen die Regulierungen zu Teilzeit und Befristungen ein. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 39 Abbildung 29 Bürokratiebelastungen im Arbeitsrecht und -schutz (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=27 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Hinsichtlich der Regulierung des Kündigungsschutzes ist insbesondere dessen Neuregelung im Jahr 2004 zu nennen: Im Rahmen der Agenda-2010-Reformen wurde der Kündigungsschutz in Kleinbetrieben gelockert und die Schwelle von fünf auf zehn Beschäftigte angehoben, um kleinen Unternehmen eine flexiblere Personalanpassung zu ermöglichen. Diese Schwelle war allerdings erst 1998 im Zuge des damaligen Regierungswechsels von zehn auf fünf Mitarbeiter abgesenkt worden. Die erneute Lockerung der Regel betraf aber nur neu eingestellte Mitarbeiter. Bereits damals gab es Vorschläge, die Schwelle bis auf 20 Beschäftigte anzuheben. Gerade im Segment der Kleinunternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten ist ein beträchtliches Potenzial für Neueinstellungen von Geringqualifizierten und Flüchtlingen zu vermuten, sofern die Unternehmen hier nicht befürchten müssen, die zusätzlich Eingestellten im Falle einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation nur unter hohen Kosten wieder freisetzen zu können. Die Regulierungen zur Arbeitszeit entfalten insbesondere im Zusammenspiel mit der neuen Mindestlohngesetzgebung erhebliches Belastungspotenzial. Besonders belastet ist hier das mittelständisch geprägte Gastgewerbe. Aktuell ist es z. B. nicht möglich, abendliche Feiern auf Wunsch der Gäste um ein oder zwei Stunden in die Nacht hinein zu verlängern, wenn die Arbeitszeitgrenze des Personals erreicht ist. Aber auch in der Kreativbranche und bei digitalen Start-ups wird das Arbeitszeitgesetz den Anforderungen an eine erhöhte Flexibilität keineswegs gerecht. Die zunehmende Digitalisierung, 40 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Industrie 4.0 und die weltweite Vernetzung der Wirtschaft verlangen eine flexible Reaktion von den Unternehmen, die mit den bisherigen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes nicht zu vereinbaren ist. Seit 2001 gilt mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz ein Rechtsanspruch auf Reduktion der Arbeitszeit für Arbeitnehmer, die in Teilzeit wechseln wollen. Für die Unternehmen und insbesondere für Mittelständler ist der Aufwand zur Neuorganisation der Arbeit bzw. Ersatz der damit wegfallenden Arbeitsstunden oft beträchtlich. Die definierten Ausnahmen sind bürokratieträchtig und der Nachweis, dass betriebliche Gründe dem Wunsch des Arbeitnehmers entgegenstehen, ist in der Praxis nicht leicht zu führen. Im Zusammenhang mit diesen bereits bestehenden Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) stellen die Planungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) für die Etablierung eines Rechtsanspruchs auf die Rückkehr aus Teilzeit in Vollzeit ein bürokratisches Damoklesschwert für die Wirtschaft dar. Gerade für mittelständische Unternehmen wäre ein entsprechendes Gesetz, das einer zwangsweisen Erhöhung der Gesamtstundenzahl und der Lohnsumme gleichkommt, schwer zu schultern. Eine Gesetzesklausel, die eine Ablehnung des Vollzeitwunsches in betrieblich begründeten Fällen ermöglichen würde, wäre dabei mit erheblichen zusätzlichen bürokratischen Belastungen für die betroffenen Unternehmen verbunden. Außerdem ist an dieser Stelle anzumerken, dass schon heute teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer bei freien Stellen bevorzugt berücksichtigt werden, wenn sie ihre Arbeitszeit ausdehnen wollen (§ 9 TzBfG).1 Eine eigenständige gesetzliche Regulierung ist damit weder notwendig noch sinnvoll. Gleiches gilt auch für die derzeit vom BMFSFJ verfolgten Pläne, einen gesetzlichen Anspruch auf Familienzeit festzulegen. Ein entsprechendes Gesetz würde nicht nur zwangsläufig zu neuer Bürokratie führen, sondern ist in den meisten Unternehmen auch gar nicht notwendig: Viele Unternehmen bieten in diesem Fall bereits heute flexible Lösungen für Mitarbeiter mit familiären Verpflichtungen an. Als bürokratische Kostentreiber wirken im Arbeitsrecht und -schutz vor allem aufwendige Dokumentationspflichten und der zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben aufzubringende Zeitaufwand (vgl. Abbildung 30). Von den Dokumentationspflichten gehen aus Perspektive der befragten Unternehmen im Mittel hohe bis sehr hohe Belastungen aus. 1 Vgl. Schäfer/Schmidt/Stettes, 2014, S. 22. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 41 Abbildung 30 Bürokratie-Kostentreiber im Arbeitsrecht und -schutz (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=28 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Aus betrieblicher Perspektive sind die Regulierungen des Arbeitsrechts und -schutzes diejenigen Belastungen, die von den befragten Unternehmen unter allen abgefragten Rechtsbereichen am schwierigsten ökonomisch zu bewältigen sind – noch vor den Vorschriften des Steuerrechts (vgl. Abbildung 31). Darüber hinaus beklagen die Unternehmen in diesem Bereich auch ineffizientes Verwaltungshandeln sowie geringe Entscheidungsspielräume der zuständigen Verwaltungen. 42 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 31 Bewertung des Arbeitsrechts und -schutzes Zustimmung auf einer Skala zwischen -3 Pkt. (stimme überhaupt nicht zu) und +3 Pkt. (stimme voll zu), Mittelwerte gesamt, N=19 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH. 3.2.3 Bürokratie bei Statistik- und Dokumentationspflichten Aufgrund der Vielzahl an Statistik- und Dokumentationspflichten in Deutschland wurden die befragten Unternehmen in diesem Bereich gebeten, die am stärksten belastenden Pflichten in Form von Freitextantworten anzugeben. Dabei scheinen die größten Belastungen in der Bauwirtschaft zu bestehen: Hier müssen die Arbeitsprozesse und verwendete Materialien dezidiert auf Papier aufgeschlüsselt werden. So beklagt einer der Teilnehmer, dass nach jeder Baustelle dem Auftraggeber mittlerweile ordnerweise ausgedruckte Bestätigungen über die verwendeten Materialien übergeben werden müssen. Dabei seien die entsprechenden Nachweise nach Angabe des Teilnehmers aber größtenteils im Internet auffindbar, „Papier aber muss gedruckt, abgelegt und archiviert werden“. Auch die Energieeinsparverordnung (EnEV) scheint für die Bauwirtschaft eine große Belastung darzustellen. Die befragten Dienstleistungsunternehmen beklagen vor allem die umfangreichen Statistikpflichten, die ihnen vom Landesamt für Statistik auferlegt würden: Bei den Auskunftspflichten scheint es hier vor allem der teils extrem hohe Detaillierungsgrad der anzugebenden Informationen zu sein (z. B. Angabe von Tätigkeitsbereichen, Umsätzen sowie Maßnahmen aufge- Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 43 schlüsselt nach Sparten etc.), der in diesem Bereich wertvolle Ressourcen bindet. Dabei sind nach Angaben der befragten Unternehmen nicht nur einzelne Mitarbeiter mit der Bearbeitung der Statistiken befasst, sondern es müssen oftmals gleich mehrere Mitarbeiter unterschiedlicher Unternehmensbereiche eingebunden werden. Bei den Statistik- und Dokumentationspflichten verwundert es nicht, dass insbesondere die Berichtspflichten sowie der dafür notwendige Zeitaufwand die größten Kostentreiber darstellen (vgl. Abbildung 32). Hier lohnt aber ein Blick auf die weiteren Kostentreiber: Die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen in den Regulierungsvorgaben sowie Abweichungen bei betrieblichen und gesetzlichen Definitionen bzw. Abgrenzungen geben klare Hinweise darauf, wie sich in diesem Bereich Bürokratiekosten senken ließen. Darüber hinaus scheint gerade auch der teils erhebliche Detailierungsgrad der verpflichtend zu erstellenden Statistiken ein großes Problem zu sein. Auch hier ließe sich durch eine kritische Überprüfung der Inhalte der Statistiken sicher einiges an Aufwand für die Unternehmen reduzieren. Ein Beispiel für diese Problematik bietet die Intrahandelsstatistik (Intrastat). Mit dieser wird der tatsächliche Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft erfasst. Unternehmen in Deutschland müssen Versendungen und Eingänge zentral an das Statistische Bundesamt melden. Von der Meldepflicht sind in Deutschland allerdings alle Unternehmen befreit, deren Versendungen in andere EUMitgliedstaaten bzw. Eingänge den Wert von 500.000,00 Euro im Vorjahr nicht überschritten haben. Mit dem zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz wurde diese Grenze nun von bisher 500.000,00 Euro auf 800.000,00 Euro erhöht. Dadurch werden nach Schätzungen der Bundesregierung 11.000,00 Unternehmen um insgesamt 9,8 Millionen Euro entlastet. Diese Entlastung von rund 900,00 Euro pro Unternehmen ist natürlich zu begrüßen und stellt gerade für die nun von dieser Statistikpflicht befreiten KMU eine spürbare Entlastung dar. Der NKR merkt in seiner Stellungnahme aber zu Recht an, dass die Anhebung der Schwellenwerte nichts an dem Aufwand ändert, der den verbleibenden Meldepflichtigen entsteht. Der NKR kritisiert, dass Maßnahmen zur Vereinfachung statistischer Meldungen ihren Fokus regelmäßig allein auf die Reduzierung der Anzahl Meldepflichtiger richten würden. Mindestens genauso wichtig wäre es nach Ansicht des NKR, auch Inhalt, Detailtiefe und Verständlichkeit einzelner Statistiken auf den Prüfstand zu stellen. Nach Einschätzung des NKR würde auch die Akzeptanz der Meldepflichtigen für das Ausfüllen statistischer Formulare erheblich gestärkt, wenn die Erhebungsdaten auf das notwendige Maß reduziert würden. Im Bereich der Statistik- und Dokumentationspflichten ist zudem festzustellen, dass hier von der Politik laufend neue Belastungen für die Wirtschaft beschlossen oder geplant werden. Ein Beispiel mag hier der Entwurf für ein Entgeltgleichheits- bzw. „Lohngerechtigkeits“-Gesetz des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für alle Beschäftigten darstellen. Nach diesem Entwurf soll in jedem Betrieb – unabhängig von Rechtsform und Größe – ein individueller Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer zur Entgelttransparenz geschaffen werden. Konkret sollen zukünftig auf Betriebsebene Gruppen von mindestens fünf Arbeitnehmern mit vergleichbaren Tätigkeitsprofilen definiert werden, für die das Mediangehalt anzugeben ist. In kleineren und 44 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 mittleren Unternehmen wird in vielen Fällen die Definition einer solchen Vergleichsgruppe aber kaum möglich sein. Hier wird zudem eine Beweislastumkehr geplant, die den betreffenden KMU die Pflicht auferlegen soll, diese Unmöglichkeit nachzuweisen. Insgesamt droht das Entgeltgleichheitsgesetz nach den bisherigen Plänen damit zu ganz erheblicher zusätzlicher Bürokratie zu führen. Aus diesen Gründen sollte der Gesetzentwurf keinesfalls in der vorliegenden Form verabschiedet werden. Abbildung 32 Bürokratie-Kostentreiber bei Statistik- und Dokumentationspflichten (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=24 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Auch die Bewertung der Statistik- und Dokumentationspflichten in der Befragung fördert ein altbekanntes Phänomen zutage: Unter allen untersuchten Rechtsbereichen ist den befragten Unternehmen das politische Ziel der gesetzlichen Vorgaben in diesem Bereich am wenigsten verständlich. Es ist den Unternehmen schlichtweg nicht bekannt bzw. es wird nicht kommuniziert, zu welchem Zweck z. B. bestimmte Statistiken erhoben werden (müssen). Gerade dieser letzte Aspekt wurde von den Teilnehmern der vbw Befragung immer wieder hervorgehoben. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 45 Abbildung 33 Bewertung von Statistik- und Dokumentationspflichten Zustimmung auf einer Skala zwischen -3 Pkt. (stimme überhaupt nicht zu) und +3 Pkt. (stimme voll zu), Mittelwerte gesamt, N=23 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Kritisch ist in diesem Bürokratie-Bereich aber anzumerken, dass Bürokratieabbau im Bereich der Statistikpflichten zwar die empfundene Belastung von Unternehmen deutlich reduzieren kann, die tatsächliche Kostenentlastung aber vergleichsweise gering ausfallen dürfte. So hat eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie durchgeführte Untersuchung des DIW Berlin2 gezeigt, dass nur etwa 15 Prozent der rund 3,5 Millionen Unternehmen zu Erhebungen der Statistischen Ämter meldepflichtig sind und die Kosten für den gesamten Meldeaufwand zur amtlichen Statistik im Vergleich zu anderen bürokratischen Belastungen mit rund 230 Millionen Euro pro Jahr vergleichsweise gering ausfallen. Zudem macht der Zeitaufwand für die Erfüllung amtlicher Statistikpflichten nur rund ein Zehntel des Aufwandes für die Erbringung anderer Informationspflichten der Wirtschaft aus. 2 Vgl. Stäglin/Pfeiffer/Stephan, 2006. 46 3.2.4 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Bürokratie bei der Ausländerbeschäftigung und im Sozialversicherungsrecht Im Sozialversicherungsrecht ist der bürokratische Aufwand vor allem bei der Beschäftigung von Ausländern sehr hoch (vgl. Abbildung 34). Die Barrieren, denen sich EUAusländer und damit auch Flüchtlinge in Deutschland beim Zugang zu Beschäftigung gegenübersehen, belasten zwar in erster Linie die Arbeitswilligen selbst und sind ihrer Integration hinderlich. Zugleich stellen sie aber ein Hindernis für Unternehmen dar, die in vielen Regionen Deutschlands mit sehr geringer Arbeitslosigkeit vergeblich auf der Suche nach Arbeitskräften sind. Abbildung 34 Bürokratiebelastungen im Sozialversicherungsrecht (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=26 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Kostentreiber der bürokratischen Belastungen im Sozialversicherungsrecht sind vor allem der zusätzliche Zeitaufwand, Dokumentationspflichten in Form von Statistiken, Berichten etc. sowie unklare Formulierungen der Rechtslage. Als Beispiel wurde von den Unternehmen hier u. a. der Einzug der Sozialversicherungsbeiträge am Ende des jeweiligen Monats angeführt, der Kosten in Form von zusätzlich aufzubringendem Zeitaufwand und zusätzlichen Meldepflichten auslöst: Seit dem Jahr 2006 müssen die Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats abführen. Dadurch entsteht für viele Branchen mit flexiblem Arbeitseinsatz die Notwendigkeit, die Beiträge für die restlichen Tage des Monats zu schätzen. Nachfolgend müssen, wenn alle Daten vorliegen, im Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 47 Folgemonat Korrekturen vorgenommen werden. Dies führt zu bürokratischem und vor allem unnötigem Doppelaufwand. Abbildung 35 Bürokratie-Kostentreiber im Sozialversicherungsrecht (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=22 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Die von den Unternehmen beklagte unklare Formulierung der Rechtslage kann u. a. darauf zurückgeführt werden, dass im Sozialrecht eine Vielzahl von unterschiedlichen Schwellenwerten bezüglich der Mitarbeiterzahl besteht, die noch von abweichenden Definitionen der maßgeblichen Beschäftigtenzahl etwa bei der Behandlung von Vollund Teilzeitkräften, Auszubildenden und Zeitarbeitnehmern ausgehen.3 Die Arbeitsund Sozialregeln sind derart komplex, dass KMU nur schwer den Überblick erlangen können. So gelten z. B. bereits ab 16 Beschäftigten ein Anspruch auf Teilzeit und ein Anspruch auf Arbeitsfreistellung für die Pflege Angehöriger. Eine Vereinheitlichung der Schwellenwerte und Definitionen unter Anhebung sehr niedrig liegender Schwellen wie im Kündigungsschutz könnte viele Kleinbetriebe von Bürokratie entlasten. 3 Vgl. IW Köln, 2012, S. 6. 48 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Trotz der deutlich spürbaren bürokratischen Belastungen im Sozialversicherungsrecht ist die Akzeptanz der Unternehmen für gesetzliche Regulierungen in diesem Bereich unter allen Rechtsbereichen dennoch am höchsten (vgl. Abbildung 36). Abbildung 36 Bewertung der Ausländerbeschäftigung und des Sozialversicherungsrechts Zustimmung auf einer Skala zwischen -3 Pkt. (stimme überhaupt nicht zu) und +3 Pkt. (stimme voll zu), Mittelwerte gesamt, N=18 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 3.2.5 Bürokratie bei Steuern und Abgaben Im Rechtsbereich Steuern und Abgaben werden insbesondere die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Handels sowie Zölle als größte Belastungen wahrgenommen und von den befragten Unternehmen mit Maximalwerten in der Belastungswirkung versehen. So sind deutsche Unternehmen etwa bei Warenverkäufen an ausländische Tochtergesellschaften nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung verpflichtet, ausführliche Dokumentationen über die Angemessenheit des Preises der Waren oder auch Dienstleistungen zu erstellen. Hierdurch sollen Steuerverlagerungen in Länder mit niedrigeren Steuersätzen unterbunden werden. Bei Nichterfüllung kann die Finanzbehörde von einer Unangemessenheit der Preise ausgehen und Hinzuschätzungen zum Ergebnis vornehmen. Der Schwellenwert, ab dem diese Verpflichtung Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 49 greift, liegt mit fünf Millionen Euro pro Jahr dabei sehr niedrig und betrifft damit viele mittelständische Unternehmen. Hinsichtlich der Belastung im Bereich der Einkommensteuer kann als Beispiel der Aufbau von Eigenkapital in Personenunternehmen dienen, der steuerlich begünstigt wird. Der nicht entnommene Gewinn wird dann einem reduzierten Steuersatz unterworfen. Bisher liegt dieser Steuersatz inklusive Solidaritätszuschlag laut Tarif bei 29,8 Prozent, sodass faktisch nur gewinnstarke Unternehmen die Vergünstigung bekommen. Kleinbetriebe und neu gegründete Unternehmen, deren Steuersatz aufgrund des progressiven Verlaufs der Einkommensteuer unterhalb von 30 Prozent liegt, sind daher bislang von der 2008 eingeführten Begünstigung der Thesaurierung ausgeschlossen. Hier wäre eine stärkere Begünstigung einbehaltener Gewinne für Neugründungen und gewinnschwächere KMU wünschenswert, damit auch diese Unternehmen einen Anreiz erhalten, ihr Eigenkapital aus einbehaltenen Gewinnen zu stärken. Konkret könnte der Steuersatz für thesaurierte Gewinne in Personenunternehmen, die weniger als 30 Prozent Steuern entrichten müssen, auf 25 Prozent (zzgl. Solidaritätszuschlag) reduziert werden. Abbildung 37 Bürokratiebelastungen bei Steuern und Abgaben (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=18 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH. Die hohe Komplexität des deutschen Steuerrechts kommt auch darin zum Ausdruck, dass von den befragten Unternehmen als primäre Kostentreiber in diesem Bereich der Einkauf externer Expertise sowie eine schnell wechselnde Rechtslage ausgemacht werden. Gerade bei diesen beiden Kostentreibern aber ließen sich Maßnahmen zum Bürokratieabbau einfach umsetzen. 50 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 So verursacht etwa die steuerliche Abschreibung von Wirtschaftsgütern ab einem Wert von 411,00 Euro über mehrere Jahre, z. B. drei Jahre im Falle von PC-Technik, unnötige Bürokratie in den Unternehmen. Die Sofortabschreibung dieser geringwertigen Güter, bspw. bis zu einer Grenze von 1.000,00 Euro, könnte hier zu einer erheblichen Entlastung im administrativen Bereich führen. Auch die starken Abweichungen zwischen handels- und steuerrechtlichen Bilanzpositionen bedeuten erhebliche Mehrbelastungen für Unternehmen, unter denen Mittelständler mit ihren beschränkten Kapazitäten besonders zu leiden haben. Schritte zur Angleichung der entsprechenden steuer- und handelsrechtlichen Bestimmungen, etwa für die Bildung von Rückstellungen, wären hier zu begrüßen. Schließlich würde insbesondere im Steuerrecht eine Verkürzung der Aufbewahrungsfristen zu deutlichen Entlastungen der Wirtschaft von Bürokratiekosten führen: Trotz diverser Anläufe zur Verkürzung der Aufbewahrungsfristen gilt bislang nur für wenige steuerrelevante Unterlagen, wie z. B. Preisverzeichnisse oder die Lohnbuchhaltung, eine verkürzte Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren. Die vom Bundestag in 2013 anvisierte Verkürzung der steuerrelevanten Aufbewahrungsfristen auf sieben Jahre wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens jedoch vom Bundesrat gestoppt. Damit müssen fast alle Steuerunterlagen und Belege auch weiterhin zehn Jahre lang aufbewahrt werden. Hier sollte endlich eine einheitliche Verkürzung der Frist auf fünf Jahre angestrebt werden. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 51 Abbildung 38 Bürokratie-Kostentreiber bei Steuern und Abgaben (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=15 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Im Bereich Steuern und Abgaben beklagen viele Unternehmen – analog zum Bereich Arbeitsrecht und -schutz – die hohen finanziellen Kosten, die sich nach Aussage der Befragungsteilnehmer oftmals kaum noch ökonomisch beherrschen lassen (vgl. Abbildung 39). Eine mäßige Flexibilität bei der Umsetzung sowie geringe EntscheidungsSpielräume aufseiten der Steuerverwaltung werden zwar ebenfalls von den Unternehmen beklagt, scheinen bei Steuern und Abgaben aber in der Natur der Sache zu liegen. 52 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 39 Bewertung von Steuern und Abgaben Zustimmung auf einer Skala zwischen -3 Pkt. (stimme überhaupt nicht zu) und +3 Pkt. (stimme voll zu), Mittelwerte gesamt, N=18 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 3.2.6 Bürokratie im Umweltrecht und -schutz Im Umweltschutz und -recht sind weniger einzelne Regulierungen als vielmehr die Vielzahl gleichzeitig zu befolgender Vorschriften das primäre Problem der befragten Unternehmen (vgl. Abbildung 40). Von den befragten Industrieunternehmen wird als Beispiel für eine besonders belastende Regulierung dabei das Bundesimmissionsschutzgesetz angeführt. Zudem beklagen die befragten Unternehmen, dass sich die Regulierungen des Umweltrechts in rascher Folge ändern, was ebenfalls eine hohe Belastung für die Wirtschaft zur Folge hat. In der vbw Befragung wurden insbesondere von Unternehmen aus der Bauwirtschaft die Belastungen durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) beklagt, die den Neubau von Wohnungen und Büroflächen in den letzten Jahren deutlich verteuert hat. Experten gehen hier von Mehrkosten für die Wirtschaft seit dem Jahr 2000 in Höhe von 17,7 Prozent der Erstellungskosten (rund 154,00 Euro pro Quadratmeter Wohn- bzw. Nutzfläche) aus. In diesen Kostenschätzungen ist die aktuelle Stufe der EnEV, die 2016 in Kraft getreten ist und nochmals 25 Prozent Energieeinsparung bringen soll, Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 53 noch nicht einmal enthalten. Gerade mittelständische Bauunternehmen können ihr Potenzial aufgrund wachsender regulatorischer Anforderungen oft nicht mehr entfalten, sondern werden zunehmend in die Rolle des Unterauftragnehmers gedrängt. Dies erhöht die Baukosten weiter. Aus diesem Grunde sollte über eine Vereinfachung der EnEV mit temporärer Aussetzung der jüngsten Verschärfungsstufe und weitere Erleichterungen nachgedacht werden. Abbildung 40 Bürokratiebelastungen im Umweltrecht und -schutz (TOP 4) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=14 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Auch im Umweltrecht und -schutz stellen vor allem die Dokumentationspflichten sowie der dafür notwendige zusätzliche Zeitaufwand die größten Kostentreiber dar. Auf Rang drei der Kostentreiber folgt der Einkauf externer Expertise, was von einer hohen Komplexität der Materie zeugt und zudem in mittelbaren Bezug zur schnell wechselnden Rechtslage (Kostentreiber Rang vier) steht. Die bestehende Rechtsunsicherheit der Unternehmen im Umweltrecht und die schnell wechselnde Rechtslage verschärfen dabei ein weiteres Problem: Die in den letzten Jahren ausgeweitete Möglichkeit von Verbandsklagen durch Nichtregierungsorganisationen und Lobbygruppen. Die Ausweitung von Klagemöglichkeiten gegen tatsächliche oder auch nur vermutete Verstöße von Unternehmen gegen die Rechte von Verbrauchern geschieht vor dem Hintergrund einer angenommenen Ungleichheit zwischen betroffenen Bürgern auf der einen Seite und großen Unternehmen mit eigenen Juristen oder Mitteln zur Beauftragung externer Kanzleien auf der anderen Seite. Für mittelständische Unternehmen aber ist mit der Ausweitung der Optionen für Verbandsklagen 54 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 die Gefahr einer Umkehr dieser Ungleichheit verbunden: Hier sind die Verbände juristisch im Vorteil und könnten KMU, die keine Mittel zur Führung langwieriger und teurer Prozesse haben, letztlich bis zur Geschäftsaufgabe zwingen. Aus diesem Grunde sollten bereits eingeräumte Klagerechte von Verbänden kritisch überprüft und neue Verbandsklageoptionen sensibel gehandhabt werden. Abbildung 41 Bürokratie-Kostentreiber im Umweltrecht und -schutz (TOP 5) Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr hohe Belastung), Mittelwerte gesamt, N=12 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Die Bewertung des Umweltrechts und -schutzes fällt im Vergleich zu den anderen Rechtsbereichen hingegen recht positiv aus (vgl. Abbildung 42): Zum einen bieten klare gesetzliche Anforderungen den betroffenen Unternehmen eine ausreichende Rechtssicherheit. Zum anderen scheinen die zuständigen Verwaltungen bemüht, bestehende Ermessensspielräume in ihren Entscheidungen auch zu nutzen. Und auch die politische Bewertung dieses Rechtsbereichs fällt vergleichsweise positiv aus: Aus Unternehmensperspektive sind nicht nur die politischen Ziele ausreichend konkretisiert, sondern die Wirtschaft erachtet in diesem Bereich eine Regulierung durch den Gesetzgeber auch als (eher) sinnvoll bzw. notwendig. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 55 Abbildung 42 Bewertung des Umweltrechts und -schutzes Zustimmung auf einer Skala zwischen -3 Pkt. (stimme überhaupt nicht zu) und +3 Pkt. (stimme voll zu), Mittelwerte gesamt, N=9 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 3.3 3.3.1 Belastungen durch den gesetzlichen Mindestlohn Der Mindestlohn und seine Auswirkungen Da die Markteinkommen in Deutschland im internationalen Vergleich recht ungleich verteilt sind, gilt seit Januar 2015 ein gesetzlicher Mindestlohn von brutto 8,50 Euro pro Stunde. Neben dem Steuer- und Transfersystem greift der deutsche Staat damit tief in die ursprüngliche Einkommensverteilung ein. Erklärtes Ziel der Politik war es, mit dem Mindestlohn die Gewinne der Arbeitgeber hin zu den Niedriglohnempfängern umzuschichten. 56 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Allerdings funktionieren Umverteilungsmechanismen nur in Ausnahmefällen so, wie es sich der Gesetzgeber im Voraus wünscht: Wenn nämlich ein Angestellter den Mindestlohn mit seiner Arbeitsleistung nicht erwirtschaften kann, wird es sich kein Unternehmer dauerhaft leisten können, diese verlustbringende Stelle zu erhalten. Wie viele Arbeitsplätze wegen des Mindestlohns abgebaut oder nicht geschaffen werden, konnte bei Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 2014 kaum vorhergesagt werden: Die Schätzungen reichten von einigen Zehn- bis zu mehreren Hunderttausenden Arbeitsplätzen. Die Wirkung des Mindestlohns erschöpft sich aber nicht in Lohnsteigerungen für Niedriglohnempfänger. Die Unternehmen werden versuchen, die gestiegenen Lohnkosten über höhere Preise wieder hereinzuholen. Wenn das Preisniveau steigt, sinkt die Kaufkraft aller Konsumenten – auch bei den Mindestlohnempfängern. Auf Umwegen verlieren diese damit wieder einen Teil ihres gesetzlich verbrieften Zugewinns. Da sie zudem mehr Steuern zahlen als bislang und in vielen Fällen weniger Transferzahlungen, z. B. aus der Arbeitslosenversicherung, bekommen, sinkt das effektive Lohnplus weiter ab. Ein Teil der Geringverdiener ist sogar vom Mindestlohn ausgenommen, muss aber trotzdem die höheren Preise zahlen, da Selbstständige wie Kioskbesitzer, Kneipenwirte und Künstler nicht vom Mindestlohn profitieren. Etwa ein Viertel der 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland verdient weniger als 8,50 Euro pro Stunde, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Ein weiterer Effekt ist zu berücksichtigen: Um dem Mindestlohn auszuweichen, dürften insbesondere viele haushaltsnahe Dienste in die Schattenwirtschaft abwandern. Dem Staat entgehen damit Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben. Eigentlich hatten die Verantwortlichen mit steigenden Einnahmen aus der Lohnsteuer kalkuliert. Der Fiskus könne Mehreinnahmen in Höhe von etwa sieben Milliarden Euro erwarten, hat das Beratungsunternehmen Prognos für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung errechnet. Die Prognose berücksichtigt aber nicht, dass Unternehmen wegen der höheren Lohnkosten weniger Gewinne zu versteuern haben und dass Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Damit ist nicht auszuschließen, dass der Staat am Ende sogar einen Verlust verzeichnet. 3.3.2 NKR-Schätzung der bürokratischen Belastungen durch den Mindestlohn Die Einführung des Mindestlohns hat viel Bürokratie mit sich gebracht. Davon sind nicht nur Wirtschaftszweige betroffen, die ihre Löhne anheben mussten. Auch Branchen, deren Tariflöhne weit über 8,50 Euro je Stunde liegen, sind betroffen. Hier ist an erster Stelle die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit zu nennen. Sie betrifft alle geringfügig Beschäftigten sowie die Arbeitnehmer in jenen neun Branchen, die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannt werden, wie das Bau- und das Gastgewerbe. Auch in vielen weiteren Branchen (z. B. Speditions-, Transport- und Logistikbereich, Unternehmen der Forstwirtschaft, Gebäudereinigung, des Messebaus und der Fleischwirtschaft) müssen die Arbeitszeiten bis zu einem Monatslohn von Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 57 2.958,00 Euro brutto detailliert dokumentiert werden. Damit will das Arbeitsministerium verhindern, dass Firmen das Arbeitszeitgesetz überschreiten und so viele unbezahlte Überstunden anordnen, dass letztlich doch Stundenlöhne von weniger als 8,50 Euro herauskommen. Allerdings hätte dann ein Arbeitnehmer eine Wochenarbeitszeit von mehr als 78 Stunden zu stemmen – eine zugegebenermaßen wenig realistische Annahme. Diese Grenze wurde zwar Mitte 2015 auf 2.000,00 Euro abgesenkt, doch ist trotzdem weiterhin ein unnötiger bürokratischer Aufwand zu konstatieren. So gilt für durch Saisonarbeit geprägte Bereiche weiterhin die frühere, höhere Grenze von 2.958,00 Euro. Auch für Minijobs wurden die verschärften Aufzeichnungspflichten beibehalten. Aber auch wenn in der öffentlichen Verwaltung, bei Banken oder in der Metall- und Elektro Industrie nicht einmal jeder zehnte Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro verdient, können die Betriebe hier dem Paragrafendschungel der Mindestlohngesetzgebung nicht entkommen. Insbesondere die Fremdunternehmerhaftung sorgte für große Probleme in der Wirtschaft. Die Mindestlohngesetzgebung besagt, dass Unternehmen, die an andere Firmen Aufträge vergeben, für den Auftragnehmer und weitere Unterauftragnehmer haften, wenn diese den Mindestlohn nicht zahlen. In einer modernen, stark verflochtenen Wirtschaft ist es aber nahezu unmöglich, dieses Risiko auszuschließen. In Summe gehen die Schätzungen des NKR davon aus, dass mit der Einführung des Mindestlohns für die Unternehmen Mehrausgaben von jährlich 9,6 Milliarden Euro verbunden sind. Diese Erfüllungskosten setzten sich aus der Zahlung höherer Löhne und dem Aufwand für die zusätzliche Bürokratie zusammen. Hervorzuheben ist dabei der Umstand, dass in diese Kostenschätzung der Aufwand für eine nun notwendige Kontrolle der Subunternehmer und Lieferanten bzw. die Anpassung der Verträge nicht in die Kostenschätzungen einbezogen wurden, da dies als „indirekte Gesetzesfolge“ gilt und dementsprechend vom NKR bei seiner Kostenschätzung nicht berücksichtigt wird. 3.3.3 Herausforderungen durch den Mindestlohn Mit der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns steht die Wirtschaft vor mehreren großen Herausforderungen: Die größte Herausforderung ist nach Aussage der befragten Unternehmen das bereits beschriebene Haftungsrisiko bei insolventen inländischen Zulieferern, die gegen die Mindestlohngesetzgebung verstoßen haben. Diese Haftungsfragen wurden von den befragten Unternehmen im Mittel als große Herausforderung eingestuft (vgl. Abbildung 43). Auf den Plätzen zwei und drei folgt die Einhaltung der Höchstarbeitszeit von zehn Stunden sowie der Ruhezeiten. Auf Rang vier der größten Mindestlohn-Herausforderungen folgt der Aufwand bei der Umsetzung, Rang fünf nehmen allgemeine Unsicherheiten hinsichtlich der Umsetzung sowie die Dokumentation der Arbeitszeiten ein. Bei der Interpretation dieser Befragungsergebnisse ist der Hinweis wichtig, dass „Herausforderungen“ nicht mit den „Kostentreibern“ gleichgesetzt werden dürfen, die im Folgekapitel thematisiert werden. 58 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 43 Herausforderungen im Bereich Mindestlohn Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Herausforderung) und 5 Pkt. (sehr hohe Herausforderung), Mittelwerte gesamt, N=39 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Wichtig erscheint an dieser Stelle auch der Blick auf die aus Unternehmensperspektive am wenigsten problematischen Herausforderungen. Hier finden sich auf dem vorletzten und letzten Rang die „absolute Höhe des Mindestlohns von 8,50 Euro“ sowie eine aus der Erhöhung der Arbeitskosten resultierende „notwendige Preisanpassung“. Dass diese von den befragten Unternehmen nur als vergleichsweise geringe Herausforderung eingestuft werden, ist insbesondere als Indiz zu deuten, dass viele Unternehmen der Befragungsstichprobe bereits vor Einführung des Mindestlohns höhere Löhne als 8,50 Euro bezahlten und deswegen keine Anpassungen im Lohngefüge notwendig waren. 3.3.4 Kostentreiber beim Mindestlohn Als wichtigsten Kostentreiber des Mindestlohns haben die befragten Unternehmen vor allem die Dokumentationspflicht der Arbeitszeit sowie eine schnell wechselnde Rechts- Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 59 lage ausgemacht (vgl. Abbildung 44). Auf Rang drei der am meisten belastenden Auswirkungen sehen die Befragungsteilnehmer den zusätzlichen Zeitaufwand, der durch die Berücksichtigung der Mindestlohngesetzgebung entsteht. Dieser Punkt steht sowohl in direkter Verbindung zu neu eingeführten Dokumentationspflichten als auch zu den auf den Rängen vier und fünf stehenden Belastungen aufgrund einer unklaren Formulierung der Rechtslage bzw. der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Mindestlohngesetz (MiLoG). Die schnell wechselnde Rechtslage beim Mindestlohn zeigt sich etwa darin, dass gerade einmal ein halbes Jahr nach dem offiziellen Inkrafttreten des Mindestlohns deutlich wurde, dass der eingezogene Lohn-Schwellenwert, ab dem ein Unternehmen zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten verpflichtet ist, viel zu hoch angesetzt worden war und infolgedessen um rund ein Drittel gesenkt wurde. Zudem war lange Zeit nicht klar, nach welcher Maßgabe eine Aufzeichnung der Arbeitszeiten zu erfolgen hatte. Die Diskussion entzündete sich hier etwa an der scheinbar banalen Frage, ob die auf Papier aufgezeichneten Arbeitszeiten vom Arbeitnehmer zwingend unterschrieben werden müssen. Hier hat sicher auch die unterschiedliche Rechtsauslegung des Mindestlohngesetzes durch die Mitarbeiter des Zolls dazu beigetragen, die Unternehmen stark zu verunsichern. Insgesamt liefern die in der Befragung identifizierten Kostentreiber aber einen klaren Hinweis darauf, dass die Rechtsunsicherheiten aufseiten der Wirtschaft bei Umsetzung des Mindestlohngesetzes im eigenen Betrieb auch ein gutes Jahr nach dessen Einführung immer noch sehr hoch sind. 60 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Abbildung 44 Bürokratie-Kostentreiber beim Mindestlohn Angabe auf einer Skala zwischen 0 Pkt. (keine Belastung) und 5 Pkt. (sehr starke Belastung), Mittelwerte gesamt, N=37 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 3.3.4.1 Aufzeichnung der Arbeitszeiten Insbesondere die Dokumentation der Arbeitszeiten wurde – nicht zuletzt vom NKR – als erhebliche Belastung der Wirtschaft mit Bürokratiekosten identifiziert. Wichtig ist dabei hervorzuheben, dass auch Betriebe, die ihren Mitarbeitern Löhne weit über dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlen, umfangreichen Aufzeichnungspflichten nachkommen müssen. Diese entfallen in den meisten Branchen erst ab einer Grenze von 2.000,00 Euro Bruttoverdienst im Monat. Die Aufzeichnung der Arbeitszeiten erfolgt in den meisten Unternehmen (62 Prozent) immer noch manuell, nur 38 Prozent setzen bereits elektronische Zeiterfassungssysteme ein (vgl. Abbildung 45). Gerade bei der manuellen Aufzeichnung der Arbeitszeiten entstehen ganz erhebliche Kostenwirkungen: Selbst wenn die Aufzeichnung durch die Mitarbeiter selbst erfolgt, was auf drei Viertel der manuell aufzeichnenden Unternehmen zutrifft, müssen Vorgesetzte Stundenzettel kontrollieren, da der Arbeitgeber für die Richtigkeit der Aufzeichnung haftet – und ggf. für eine fehlerhafte Arbeitszeitdokumentation zur Rechenschaft gezogen werden kann. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 61 Abbildung 45 Aufzeichnung der Arbeitszeiten Angabe in Prozent, gesamt (N=41) Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH Bei der Aufzeichnung der Arbeitszeiten erscheinen aus Perspektive der Wirtschaft gleich mehrere Aspekte wichtig. Grundsätzlich ist anzumerken, dass das Mindestlohngesetz hier vergleichsweise geringe formale Anforderungen an die Dokumentationspflicht stellt. Das hat mittlerweile auch die für die Prüfung der Arbeitszeitdokumentation zuständige Zollverwaltung offiziell bestätigt. „Lediglich Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers müssen aufgezeichnet werden, d. h. keine Pausen, keine Urlaubs- oder Krankheitszeiten. Wie die Arbeitszeit aufgezeichnet wird, ob auf Papier oder elektronisch, ist dem Arbeitgeber selbst überlassen. Es bestehen diesbezüglich keine gesetzlichen Formvorgaben. So ist auch die Unterzeichnung der Arbeitszeitaufzeichnungen durch den Arbeitnehmer nicht erforderlich.“ Hier bestand lange Zeit aufseiten der Unternehmen Unsicherheit darüber, welche Maßstäbe bei einer Kontrolle der Aufzeichnungen durch den Zoll angelegt werden. Unternehmen, die sich dennoch unsicher sind, finden im Internet unter www.der-Mindestlohn-wirkt.de im Bereich Service eine entsprechende Dokumentationsvorlage. 62 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Unternehmen, die eine manuelle Dokumentation anhand des Dienstplanes vornehmen wollen, haben hingegen weitere Aspekte zu berücksichtigen. So gibt Dr. Uwe Schlegel, Arbeitsrechtsexperte bei der ETL Rechtsanwälte GmbH,4 zu bedenken, dass der Zoll im Rahmen seiner Kontrollen bei dieser Dokumentationsform inzwischen eine differenzierte Betrachtungsweise vornimmt. So sei ein Dienstplan, was in der Natur des Dienstplans liege, im Vorhinein erstellt worden. Der Arbeitgeber müsse aber dafür Sorge tragen, dass durch entsprechende Vermerke auch sichergestellt sei, dass die im Dienstplan vorgesehenen Zeiten auch den realen Zeiten entsprechen. Der Rat an alle Unternehmen sei daher grundsätzlich, Dienstpläne nicht zur Grundlage der Arbeitszeitdokumentation zu machen. Probleme bei möglichen Zollkontrollen seien sonst vorprogrammiert. Angesichts der vergleichsweise hohen Kosten, die durch die Dokumentation der Arbeitszeiten ausgelöst werden, insbesondere wenn die Aufzeichnung durch den Arbeitgeber erfolgt, verwundert das Ergebnis der vbw Befragung, dass nur eine Minderheit der befragten Unternehmen eine elektronische Erfassung der Arbeitszeiten vornimmt. Hier ist den Unternehmen dringend zu raten, ihre Systeme auf entsprechende elektronische bzw. digitale Lösungen umzustellen. Die Einführung dieser Systeme ist dabei für die Unternehmen nicht zwingend mit zusätzlichen Investitionskosten in Form von Sachkosten verbunden: Zur Erfassung und Übermittlung von Arbeitszeiten können Unternehmen z. B. auf die kostenlose BMAS-App „einfach erfasst“ zurückgreifen, die für Android-, iOS- oder Windows-Geräte zur Verfügung steht. Nachdem die Arbeitnehmer die App auf ihr (privates) Smartphone geladen haben, erfolgt die Erfassung der Arbeitszeit durch Drücken eines Start- / Stopp-Knopfes unter Nutzung der Systemzeit des Telefons. Die Pausenzeiten können durch Betätigung des Pausen-Knopfes manuell erfasst werden oder – falls dies bis zum Ende des Arbeitstages nicht erfolgt – automatisch von der regulären Arbeitszeit abgezogen werden. Am Ende des Arbeitstages erfolgt dann die Addition der Zeiten zu einer Gesamtdauer. Die Speicherung der erfassten Daten erfolgt lokal in der App. Eine Übermittlung der erfassten Arbeitszeiten erfolgt unverschlüsselt an eine in der App hinterlegte Mailadresse des Arbeitgebers. Nutzt der Arbeitgeber in seinem Mailprogramm entsprechende Sortierregeln, so entsteht mit dieser App eine einfache, schnelle und transparente Ablage der Arbeitszeitenmeldungen seiner Beschäftigten. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Stücklohn zahlen, sind ebenfalls zur lückenlosen Dokumentation der Arbeitszeiten verpflichtet. Sollte die Dokumentation der Zeiten bei einer Kontrolle des Zolls beanstandet werden, so wird die „tatsächliche Arbeitszeit [wird] dann vom Zoll auf andere Weise, z. B. durch Personenbefragungen, ermittelt.“5 4 5 Experten-Interview mit Herrn Dr. Uwe Schlegel, ETL Rechtsanwälte GmbH, am 11.06.2015. Experten-Interview mit Bundesfinanzdirektion, 2015. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 63 Und egal ob die Arbeitszeiten nun auf Papier oder in elektronischer Form dokumentiert werden, die entsprechenden Unterlagen müssen nach § 17 Abs. 1 MiLoG mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufbewahrt werden. Der Aufbewahrungsort ist dabei nicht festgeschrieben. Da letztendlich der Arbeitgeber für die Richtigkeit der Aufzeichnungen haftet, ist den Unternehmen darüber hinaus zu empfehlen, die Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers bei der korrekten Dokumentation der Arbeitszeiten arbeitsvertraglich festzuschreiben. Dies betrifft vor allem diejenigen Fälle, in denen ein Arbeitgeber die Arbeitszeiten nicht unmittelbar beobachten und kontrollieren kann. Probleme aus der für viele Unternehmen nun erstmalig verpflichtenden Dokumentation der Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter entstehen aber nicht immer nur durch den bürokratischen Aufwand der Dokumentationspflicht. Da die Arbeitszeiten nun schwarz auf weiß dokumentiert seien, treten laut Rechtsanwalt Schlegel6 auch Probleme im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes auf. Typisch seien hier: – Sind die Pausenzeiten eingehalten worden? – Ist die Höchstarbeitszeit eingehalten worden? – Wurden Rüstzeiten korrekt als Arbeitszeit erfasst? Hier seien einige Branchen, wie etwa die Hotellerie und Gastronomie, in stärkerem Maße betroffen als andere Branchen. In diesen Branchen gehöre in einigen Unternehmen eine „flexible“ Anwendung der gesetzlichen Vorgaben zur langjährig eingeübten betrieblichen Praxis. Diese Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben würden nun durch die Mindestlohngesetzgebung auch offiziell zutage treten. 3.3.4.2 Überprüfungen durch den Zoll und Beanstandungen Erfahrungen mit Zollkontrollen hat bereits ein Viertel der in die vbw Umfrage einbezogenen Unternehmen gemacht. Hier scheint jedoch die Stichprobe der Umfrage nicht repräsentativ, da die jüngsten amtlichen Daten hier eine andere Größenordnung nennen: Wie aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, überprüfte die beim Zoll angesiedelte Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in 2015 knapp 43.700 Betriebe. 2014 seien es noch gut 63.000 kontrollierte Unternehmen gewesen. Bei knapp zwei Millionen Betrieben mit mindestens einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten lag die Kontrollquote daher bundesweit bei rund 2,2 Prozent. Laut Angaben der FSK7 lagen die Schwerpunkte der Prüfungen im ersten Halbjahr 2015 im Baugewerbe (41 Prozent der geprüften Arbeitgeber und 46 Prozent der befragten Personen) und im Gaststätten- und Beherber- 6 7 Experten-Interview mit Dr. Schlegel, 2015. Experten-Interview mit Bundesfinanzdirektion, 2015. 64 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 gungsgewerbe (jeweils 15 Prozent der geprüften Arbeitgeber und der befragten Personen). Als Gründe für die geringe Kontrolldichte lassen sich im Wesentlichen zwei Ursachen ausmachen: Zum einen ist es das erklärte Ziel des Bundesfinanzministeriums, insbesondere die „dicken Fische“ zu identifizieren. Deswegen seien 2015 die Kontrollen auf einen „risikoorientierten Ansatz“ umgestellt worden. Eine wesentliche Ursache der geringen Kontrolldichte ist aber sicher auch darin zu sehen, dass in 2015 von den insgesamt 6.865 Planstellen rund 600 immer noch nicht besetzt sind. Die 1.600 zusätzlichen Planstellen, die von der Politik für Mindestlohnkontrolle vorgesehen waren, werden zudem erst in den Haushaltsjahren 2017 bis 2022 zur Verfügung stehen. Bei den Kontrollen der FKS wird aber nicht nur die Einhaltung der Mindestlohnvorschriften überprüft, sondern auch gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung vorgegangen. So wird in den Unternehmen laut Auskunft des Zolls anhand der Lohn- und Meldeunterlagen u. a. festgestellt, ob die Arbeitnehmer ordnungsgemäß zur Sozialversicherung gemeldet sind und ihnen der gesetzliche Mindestlohn gezahlt wird. Die Beschäftigten der FKS nehmen dabei u. a. Einsicht in Arbeitsverträge, Arbeitszeitnachweise, Lohnkonten und Lohnabrechnungen. Es sind aber auch Beispiele bekannt, in denen die FKS Kassenjournale eingesehen hat, um anhand derer die aufgezeichneten Arbeitszeiten zu verifizieren. Zur Durchführung der Prüfung werden mit der Geschäftsleitung organisatorische Fragen erörtert, z. B. wo die Prüfung stattfindet (Prüfzimmer) oder wie die Arbeitnehmerbefragung unter Berücksichtigung der Betriebsabläufe durchgeführt werden kann. Das geprüfte Unternehmen sollte hierzu eine zuständige Auskunftsperson benennen. Durch dieses Vorgehen werde laut Zoll sichergestellt, dass die Beeinträchtigung für den Betrieb möglichst gering gehalten werde. Die Prüfungen durch die Zollverwaltung werden dabei immer von mindestens zwei Beschäftigten der FKS durchgeführt. In Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens und der Zahl der vor Ort tätigen Arbeitnehmer führen entsprechend mehr Beschäftigte der FKS die Prüfung durch. Unternehmen sollten sich dabei nicht wundern, wenn die Prüfer in Dienstkleidung und insbesondere auch bewaffnet im Unternehmen erscheinen, da aufseiten der einzelnen Prüfer kaum Ermessensspielraum in der „Kleider- und Accessoire“-Wahl besteht. Die Unternehmen selbst können die Prüfung erleichtern und beschleunigen, indem sie die für die Prüfung erforderlichen Unterlagen möglichst vollständig vor Ort haben. Soweit sich die Unterlagen z. B. bei einem Steuerberater oder bei einem Lohnabrechnungsbüro befinden, sollte eine Vollmacht zur Einsicht in die Unterlagen erteilt werden. Nur in jedem zehnten in der vbw Umfrage befragten Unternehmen, das kontrolliert wurde, kam es dabei zu Beanstandungen durch den Zoll. Hier wurde aber nicht gegen die Mindestlohnvorschriften oder gegen die Dokumentationspflichten der Arbeitszeit verstoßen. Vielmehr war die Einstufung von Subunternehmern als vermeintliche Scheinselbstständige Gegenstand der zollseitigen Beanstandungen. Die geringen Kon- Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 65 troll- und Beanstandungsquoten, die in der Umfrage festgestellt wurden, verhindern hier jedoch eine statistisch valide Aussage über „typische Probleme“ bei den Zollkontrollen. Nach Eigenauskunft der FKS liegt ein besonderer Fokus der Kontrollen auf einer intensiven Aufklärungsarbeit gegenüber Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die mit den neuen Vorschriften verbundenen Pflichten. Damit wird laut Zoll den bestehenden rechtlichen Unsicherheiten, den geringen Erfahrungen sowie den ggf. erforderlichen betrieblichen Umstellungsprozessen in der Wirtschaft ausreichend Rechnung getragen. Es scheint aber auch Fälle in der Praxis zu geben, in denen die FKS ihre Anwesenheit und die Prüfung der Einhaltung der Mindestlohngesetzgebung (in Einzelfällen) dazu nutzt, um grundlegende Arbeitsschutzregelungen ebenfalls zu überprüfen. Arbeitsrechtsexperte Schlegel8 bezweifelt zwar, dass dieses (individuelle) Vorgehen dem offiziellen Prüfauftrag der FKS entspricht. Hier müssten sich die Mindestlohnkontrollen aber auch in der Verwaltung erst „einspielen“, ein einheitliches und geregeltes Vorgehen der einzelnen FKS-Prüfer werde sich wohl erst im Laufe der Zeit entwickeln. 3.3.4.3 Reaktionen auf den Mindestlohn Die befragten Unternehmen haben auf die Einführung des Mindestlohns bereits mit entsprechenden Maßnahmen reagiert: Rund ein Drittel der befragten Betriebe hat bereits die Zahl der angebotenen Praktikumsplätze reduziert (vgl. Abbildung 48). 30 Prozent haben zudem schon ihre Verträge mit Kunden und vor allem Lieferanten angepasst, was unmittelbar auf die restriktiven Haftungsbedingungen beim Mindestlohn zurückzuführen ist. Preiserhöhungen haben bislang erst zwölf Prozent umgesetzt. Weniger Neueinstellungen wurden hingegen nur von einer kleinen Minderheit (vier Prozent) umgesetzt, ein Stellenabbau aufgrund des Mindestlohns wurde von keinem der befragten Unternehmen bis dato umgesetzt. Neben den bereits durchgeführten Maßnahmen wurde ebenfalls danach gefragt, welche Maßnahmen zwar noch nicht umgesetzt, aber geplant sind. Knapp ein Fünftel der Unternehmen plant, die Arbeitsanforderungen zu erhöhen, eine Anhebung der Preise beabsichtigen 16 Prozent (vgl. Abbildung 48). Auf mittlere Sicht kommen für die Unternehmen aber auch weniger Neueinstellungen (zehn Prozent) oder sogar ein Stellenabbau (vier Prozent) infrage. Insbesondere der hohe Anteil der Unternehmen, die Vertragsanpassungen mit Kunden und insbesondere Lieferanten umsetzen, wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit insbesondere vor dem Hintergrund der Fremdunternehmerhaftung anstreben. Letztendliche 8 Experten-Interview mit Dr. Schlegel, 2015. 66 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Rechtssicherheit wird sich aber auch dadurch nicht erzielen lassen: Bislang ist höchst umstritten, wie weit in der Zuliefererkette die Haftung eines Unternehmens für die Einhaltung der Mindestlohngesetzgebung geht. Zudem werden wohl erst die Arbeitsgerichte abschließend klären, ob und vor allem wie eine Überwachung der Lohnzahlungen bei Zulieferern erfolgen muss. Abbildung 46 Bereits durchgeführte und geplante Reaktionen auf den Mindestlohn Angabe in Prozent, Mittelwerte gesamt, N=41 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult GmbH 3.3.4.4 Auswirkungen des Mindestlohns auf dem Arbeitsmarkt Die Ergebnisse der vbw Umfrage scheinen auf den ersten Blick zu bestätigen, dass von der Einführung des Mindestlohns keine nachteiligen Folgen für die Beschäftigung und den Arbeitsmarkt zu befürchten sind: Nur vergleichsweise wenige Unternehmen haben bereits die Zahl der Neueinstellungen nach unten korrigiert oder planen dies. Erfolgter oder geplanter Stellenabbau ist unter den befragten Unternehmen sogar als absolutes Randphänomen anzusehen. Dem sind jedoch zwei Aspekte entgegenzuhalten: Zum einen wurde die vbw Umfrage ausschließlich in Unternehmen aus dem Freistaat Bayern durchgeführt, einem Bundesland mit überdurchschnittlich guten Verdienstmöglichkeiten. Zum anderen sind M+E Unternehmen in der Umfrage deutlich überrepräsentiert. Gerade der M+E Bereich weist aber im Vergleich zu anderen Bran- Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage 67 chenverbünden ein überdurchschnittliches Verdienstpotenzial auf. Hier kann der Blick auf alternative Studien und Gutachten weitere Erkenntnisse bieten. So zeigt ein Blick auf die Lohnstruktur, dass die Löhne in den unteren Qualifikationsgruppen überdurchschnittlich zugelegt haben, insbesondere im Osten.9 Die gestiegenen Lohnkosten haben dazu geführt, dass Kunden vor allem für Dienstleistungen deutlich mehr zahlen müssen als vor gut einem Jahr: Taxifahrten haben sich um rund 13 Prozent verteuert, Haushaltshilfen um über vier Prozent, Wäschereidienstleistungen und Restaurantbesuche jeweils um rund drei Prozent. Da die Energiepreise allerdings gleichzeitig kräftig nachgaben, blieb der Anstieg der Verbraucherpreise insgesamt moderat. Die Konsumenten durften sich dadurch und durch die jüngsten Tarifabschlüsse über kräftige Reallohnerhöhungen freuen. Mit denen konnten sie auch mindestlohnbedingte Preissteigerungen finanzieren, ohne sich einschränken zu müssen. Außerdem haben auch die Dienstleistungsunternehmen Energiekosten gespart. Das hat den Druck der Betriebe gemindert, höhere Lohnkosten über höhere Preise an die Verbraucher weiterzugeben. Sobald die Energiepreise und die Inflation aber wieder anziehen, wird es zu weiteren Preiserhöhungen kommen. Dann werden die Konsumenten sensibler reagieren und an der Taxifahrt oder am Restaurant- und Friseurbesuch sparen. Auch Knabe / Schöb10 sehen die stärksten Auswirkungen des Mindestlohns insbesondere in Regionen, in denen das Lohnniveau insgesamt sehr niedrig ist. Das betreffe vorwiegend ostdeutsche Bundesländer, aber natürlich auch einige Regionen in Norddeutschland. In einem für die Studie geführten Experteninterview weist Schöb11 zudem darauf hin, dass auch Bayern durchaus die arbeitsmarktpolitischen Folgen des Mindestlohnes zu spüren bekommen könnte – dann allerdings vornehmlich in den Grenzregionen zu Tschechien, in denen die Löhne bereits vor der Mindestlohn-Einführung erheblich unter Druck gestanden hätten. Der Mindestlohn führt aber nicht nur dazu, dass insbesondere geringqualifizierte Arbeitnehmer aufgrund des Mindestlohns nun mehr als früher um den Bestand ihrer Jobs fürchten müssten. Auch Langzeitarbeitslose werden es in Zukunft schwerer haben, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Da Langzeitarbeitslose bis zu einem halben Jahr auch unter Mindestlohn bezahlt werden dürfen, kann es gerade bei Jobs, die nur eine geringe Anlernzeit erforderten, zu Drehtür- und auch Verdrängungseffekten kommen. Den Mindestlohn-induzierten Lohndruck in höheren Lohngruppen, der von den in der vbw Umfrage befragten bayerischen Unternehmen gerade einmal auf Rang elf der 9 Vgl. Lesch, 2015. Vgl. Knabe/Schöb, 2015. Experten-Interview mit Herrn Prof. Dr. Ronnie Schöb, CESifo, am 09.06.2015. 10 11 68 Ergebnisse der IW-Umfrage Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 wichtigsten Herausforderungen durch den Mindestlohn platziert wird, verdeutlicht Schöb12 an einem konkreten Beispiel: In einer Bäckerei in den östlichen Bundesländern bestand das Problem, dass die Fachkräfte, die eine Ausbildung hatten, für ca. 8,80 Euro pro Stunde arbeiteten. Die ungelernten Hilfskräfte erhielten vor Einführung des Mindestlohns zwischen fünf und sechs Euro die Stunde. Durch den Mindestlohn hätte der Verdienst der Hilfskräfte nun nahe an die Bezahlung der Fachkräfte herangereicht. Dies hätte das Betriebsklima gestört und innerhalb des Betriebes einen nicht beherrschbaren Lohndruck erzeugt. Resultat sei gewesen, dass viele Hilfskräfte nicht weiter beschäftigt werden konnten. 3.3.4.5 Bewertung des Mindestlohns Die Bewertung des Mindestlohns aus betrieblicher und politischer Perspektive fällt uneinheitlich aus: Während die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen des Mindestlohns der bayerischen Wirtschaft offensichtlich nur geringe Probleme bereiten, werden vor allem eine geringe Flexibilität bei der Umsetzung, die hohe Rechtsunsicherheit aufseiten der Unternehmen und fehlende Entscheidungs-Spielräume der Verwaltung kritisiert (vgl. Abbildung 47). Viele Unternehmen stellen darüber hinaus infrage, ob es hier wirklich einer gesetzlichen Regulierung bedurft hätte, da sich Mindestarbeitsbedingungen über Tarifverträge auch ohne staatlichen Eingriff festschreiben lassen. 12 Experten-Interview mit Prof. Dr. Schöb, 2015. Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ergebnisse der IW-Umfrage Abbildung 47 Bewertung des Mindestlohns Zustimmung auf einer Skala zwischen -3 Pkt. (stimme überhaupt nicht zu) und +3 Pkt. (stimme voll zu), Mittelwerte gesamt, N=30 Quelle: Bürokratiekosten-Befragung der vbw, März 2016, durchgeführt von der IW Consult 69 Position – Bürokratische Belastungen aus Sicht der Unternehmen vbw – Mai 2016 Ansprechpartner / Impressum Ansprechpartner Karolina Bihler Grundsatzabteilung Recht Telefon 089-551 78-236 Telefax 089-551 78-233 [email protected] Impressum Alle Angaben dieser Publikation beziehen sich grundsätzlich sowohl auf die weibliche als auch auf die männliche Form. Zur besseren Lesbarkeit wurde meist auf die zusätzliche Bezeichnung in weiblicher Form verzichtet. Herausgeber: vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Max-Joseph-Straße 5 80333 München www.vbw-bayern.de © vbw Mai 2016 71
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