Gaben erkennen und unterscheiden lernen

Evangelische Hoffnungskirchengemeinde Berlin-Pankow
PREDIGT im Gottesdienst am Pfingstmontag, 16.5.2016 in der Hoffnungskirche
(Textgrundlage: 1.Korintherbrief 12,4 11)
von Ulrich Kappes
Im Magnetfeld des Geistes: Gaben erkennen und unterscheiden lernen
Paulus spricht vom Geist Gottes so, als würde er die spätere Lehre der Kirche vorwegnehmen:
Gott- Vater, Christus – der Herr und von ihnen geht der „Geist“ aus. „Ein Geist, ein Herr, ein
Gott.“
Was ist der Heilige Geist, der nicht nur hier, sondern insgesamt in den Briefen des Apostels,
eine herausragende Rolle spielt? Ich versuche es in einem Bild zu sagen, wohl wissend, dass
jeder Vergleich seine Grenzen hat.
Wir können uns die Wirklichkeit des Heiligen Geistes im Bild von Magnet und Magnetfeld
veranschaulichen. Ein Magnetfeld geht von einem Stern aus. Die Sonne, die Erde, den Mond
umgeben Magnetfelder. Das All ist von Magnetfeldern durchzogen. Die Magnetfelder sind
konstitutiv dafür, dass das All so ist, wie es ist.
Das Magnetfeld ist unsichtbar, aber vorhanden. Jeder Kompass beweist das. Die
Kompassnadel wird vom Magnetfeld des Nordpols angezogen und in eine bestimmte
Richtung gelenkt, auch wenn das alles unsichtbar geschieht.
Ein grundlegendes Problem des Magnetfeldes ist seine Störanfälligkeit. Der Kreiselkompass
auf Schiffen wird heute nur noch selten als Navigationsgerät verwandt. Der Grund dafür sind
die vielen Störungen im Magnetfeld. Man kann gar nicht sagen, woher die Störung des
Magnetfeldes kommt. Sie ist unvermittelt da.
Mit dem Bild will ich sagen, dass von Gott nach dem festen Glauben der Schrift ein Kraftfeld
ausgeht, das uns beeinflusst. Es heißt der „Heilige Geist“.
Der Heilige Geist ist aber nicht verfügbar.
Die Gegenwart Gottes im Geist unterliegt auf Seiten von uns, auf Seiten der Empfänger,
„Störungen“. Gott ist nicht Tag für Tag in gleicher Weise erfahrbar. Das Kraftfeld des
Geistes, das wir suchen, um im Leben zu bestehen, erweist sich nicht selten als kraftlos. Zum
Glauben gehört die bittere Erfahrung, nichts von Gott zu spüren. Dann gilt nur auf die
Menschen der Bibel zu schauen, besonders die der Psalmen, ihre Not mit der Gottesferne und
ihren trotzigen Glauben. „’Dennoch’, wie wohl ich keine Kraft von oben spüre, bleibe ich bei
dir.“
Versenkt man sich in die Worte des Apostels über die Gemeinde in Korinth, dann ist das so und jetzt folgt wiederum ein Bild - wie mit der Museumsstadt Pompeji in Süditalien. Pompeji
wurde im 2.Jahrhundert vom Vesuv verschüttet und systematisch erst im 19. Jahrhundert
ausgegraben. Unter der Ascheschicht kam das blühende Leben der Mittelmeermetropole zum
Vorschein, ihre große Lebensfreude und Farbpracht. Wandmalereien, Geschäftsanzeigen,
handwerkliche Feinarbeit … wurden sichtbar.
In dem Text, den wir hörten, ist ein farbenprächtiges Leben der Gemeinde in Korinth
überliefert. „Das Ganze zeigt das Leben der Gemeinde … in einem ‚feuerflüssigen’, noch
nicht ausgeglühten und verfestigten Zustand,“ schrieb einst Bischof Stählin, als er den Text
auslegte.I1I
Das Feuer des Geistes hat geradezu jeden und jede zum „Glühen“ gebracht.
„Dem einen wird durch den Geist gegeben, von der Weisheit zu reden, dem anderen wird
gegeben von der Erkenntnis zu reden, nach demselben Geist, einem anderen der Glaube, in
demselben Geist.“
Wie wohl wir natürlich das Rad einer zweitausendjährigen Kirchengeschichte nicht auf
korinthisches Niveau zurückdrehen können, enthält der Bericht einige unverzichtbare
Aussagen über Kirche und Glauben.
Um sie zu verstehen, gilt es genau hinzuschauen.
Zu erkennen ist, dass es „neun verschiedenen Geistesgaben“ gibt, die uns in den Versen 8–10
genannt werden I2I. Sie stehen nicht für „natürliche“ Begabungen. Das müssen wir
festhalten. Die Gemeinde wird 1. Korinther 12 nicht, wie im Römerbrief im 12. Kapitel, mit
einem Organismus verglichen, wo jeder mit seiner natürlichen Begabung dem anderen dient
und so der Organismus „Gemeinde“ entsteht und lebt. Darum geht es hier nicht.
Worum dann?
Paulus spricht davon, dass der „Geist“ Menschen zu etwas Besonderem macht. Wo
menschliches Empfinden nur menschliches Handeln wahrnimmt, ist es in Wahrheit der Geist,
der Menschen begabt. Aus Menschen spricht „der Geist“.
Wenn dieser Text nicht als Beschreibung eines Museums verstanden wird, nicht verstanden
wird als eine historische Beschreibung einer interessanten und gleichzeitig chaotischen
Gemeinde und das ist es, wenn der Text also über die damalige Welt und Zeit hinaus
Bedeutung hat, gilt es eine Konsequenz zu ziehen.
Zunächst als Frage:
Wenn wir in der Bibelstunde, im Gemeindeseminar, im Predigtnachgespräch oder wo auch
immer, miteinander reden, wenn uns ein Bibelwort oder ein Menschenschicksal besonders im
Glauben anrührt, so mit dem Paulustext zu fragen, ob es der Geist Gottes ist, der zu uns
spricht, zuerst der Geist und dann erst ein Mensch?
Nun als These.
Bleiben wir auf der Linie des Paulus, ziehen wir sie bis heute aus, so ist grundlegend zu
glauben, dass Gottes Geist auch heute zu uns spricht.
Ich sehe nun innerhalb des Textgefüges zwei Einschränkungen, die Paulus vornimmt.
Was macht einen Redebeitrag zu einer geistlichen Rede? Eine geistliche Rede, so heißt es
kurz und knapp, „nützt“. Wörtlich: „Der Geist offenbart sich zum Nutzen aller.“ „Zum
Nutzen aller“, d. h. nicht allein zu meinem Nutzen oder meines Freundes, sondern zum
Nutzen „aller“. Was nicht dem Nutzen aller dient, ist nicht der „Geist“. Nur das, was der
Gemeinde und mir als Teil der Gemeinde „nützt“, ist, so Paulus, ein Werk des Geistes. Das ist
als erstes festzuhalten.
Paulus spricht zum anderen von der „Gabe, die Geister zu unterscheiden“. Er reiht sie ein in
die anderen Geistesgaben. Ich nehme mir aber die Freiheit und sage, dass diese Geistesgabe
jeder braucht. Sie nimmt uns an der Hand und lehrt uns eine echte von einer nur vermuteten
Geistbegabung zu unterscheiden.
Was heißt es, „die Geister zu unterschieden“?
Ich kann es nur andeuten und jetzt natürlich nicht vollständig darlegen.
Ob Gottes Geist zu uns spricht, kann man daran überprüfen, ob das Gesagte mit de Schrift
übereinstimmt. Dabei sind die Lehrer der Kirche, vor allem Martin Luther, heran zu ziehen.
Wir schauen zweitens, ob einer auch mit seinem Leben bezeugt, was er sagt. Ist das, was er
sagt, von einem Lebensstil gedeckt oder sind es bloß Worthülsen, hinter denen nichts ist?
Drittens:
Stimmt das, was ich höre, mit der Stimme meines Gewissens überein oder widerstreitet es der
Stimme meines Gewissens, widerstreitet es damit der Menschlichkeit überhaupt?
Ich breche ab.
Die Gabe, die Geister zu unterscheiden, brauchen wir auf Schritt und Tritt.
Spricht mich etwas außergewöhnlich an und hält meinen Kriterien stand, folgt eine Zeit des
Wartens. Geschieht es nun, dass mich ein Gedanke, eine Schriftauslegung, eine geistliche
Überzeugung nicht mehr loslässt und erkennbar in meinem Glauben weiter bringt, dann,
meine ich, sollten wir den Schritt mit Paulus von einer Gabe des Geistes an uns sprechen.
Geschieht es, dass mir Worte helfen und nützen, mir Tapferkeit und Hoffnung geben, dann
sollte ich, so verstehe ich den Text, in einem persönlichen Akt sagen, diese Worte in einem
persönlichen Akt als Gottes Geschenk an mich adeln.
Ich trage, wenn ich das kurz sagen darf, bisweilen Zettel in meiner Tasche, auf dem ein
Bibelwort steht, dass mich in einer Morgenandacht oder durch eine Predigt stark berührt hat.
Ich lese es über den Tag verteilt immer wieder, denke an dieses Wort besonders vor dem
Schlafengehen.
Diese Zettel-Worte verstehe ich als einen persönlichen Fingerzeig Gottes, eine Wirkung
seines Geistes in meiner kleinen Welt.
Eine Illustration für die Vielfalt des Gottesgeistes wurde für mich die Kirche „La Sagrada
Familia“ – Die heilige Familie – in Barcelona. Die Zeichnung des Baumeisters dieser Kirche,
Antonio Gaudí; werden bis heute werkgetreu umgesetzt. Einen Akzent, den der
Jugendstilkünstler Antonio Gaudí mit dieser Kirche inmitten der vielen Kirchen setzte, ist,
dass er mit den unterschiedlichsten Fenstern eine unbeschreibliche Farbenfülle in die Kirche
einlässt. Die Seite, an der die Geburt Jesu dargestellt wird, ist vorwiegend blau. Die
Passionsseite gegenüber ist rot und gelb und orange. Die Fenster der Altarseite und hinter der
Orgel sind gelb und grün. Das katalanische Sonnenlicht zaubert in jeden Winkel der Kirche
einen neuen Farbeffekt, einer schöner als der andere. Das wird noch dadurch vermehr, dass
eine unüberschaubare Form von verschiedenen Fensterrahmen und Fensterfassungen gibt.
Hier erlebe ich das Blau. Gehe ich ein paar Schritte weiter, wird es wieder ein anderes Blau.
Drehe ich mich um, bin ich hingerissen von Rot und Orange.
Gaudi war ein sehr frommer Mann. Was war und ist die Botschaft seiner Kathedrale? Eine
mögliche Deutung ist aus meiner Sicht, dass er mit der Vielfalt der Farb- und Lichteffekte
darauf hinweise wollte, wie unübersehbar die Gaben sind, die Gott und Gottes Geist den
Menschen schenkt. Seine Kirche illustriert den Reichtum an Erklärungen von Glauben und
Glaubenssätzen.
Das ganze sakrale Bauwerk ist nicht zu erfassen, aber jede und jeder kann sich diese Nische
und jenen Blick in das Gewölbe zu Eigen machen. Damit sollte er die Kirche verlassen und
diesen besonderen Farblang in seinen Alltag und in seine Welt mitnehmen.
So ist es auch mit dem Gotteswort und seinen Auslegungen, mit der Biographie eines
Glaubenszeugen, mit einem Spruch, der mir in die Hände fällt. Es gilt, sie mit dem
inwendigen Menschen sozusagen in beide Hände zu nehmen und als Gottes Gabe zu
bewahren.
Ulrich Kappes
ANMERKUNGEN
I1I Wilhelm Stählin, Predigthilfen II. Episteln, Kassel 1959, S. 176.
I2I Wolfgang Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 3. Teilband, Zürich, Düsseldorf,
Neukirchen-Vluyn 1999, S. 147.
I3I Übersetzung Schrage, a. a. O., S. 135.
Es gilt das gesprochene Wort.