Pfingsten oder: ein Theologe fällt aus der Gondel Ein angeblich berühmter Theologe reist nach Venedig und fällt dort aus einer Gondel. Das Wasser ist zwar nicht tief, aber der Theologe versinkt immer weiter. Da kommt ein Gondoliere vorbei und fragt: "Kann ich Ihnen helfen?" Der Theologe sagt: "Nein, der Heilige Geist wird mir schon beistehen." Der Theologe versinkt immer weiter, ihm steht das Wasser schon bis zum Hals, als der Gondoliere wieder vorbei kommt und fragt: "Kann ich Ihnen helfen?" Der Theologe antwortet wieder: "Nein, der Heilige Geist wird mir schon beistehen." Als der Theologe nun ertrunken ist und im Himmel vor dem Heiligen Geist steht, sagt er zu Ihm: "Wenn man dich schon mal braucht, dann bist Du nie da!" Worauf der Heilige Geist antwortet: "Na wer, glaubst Du denn, ist die ganze Zeit vor Dir hin und her gerudert?" Die kleine Geschichte macht auf etwas skurrile Art und Weise deutlich, was wir an Pfingsten feiern: Gott ist mitten in der Welt. Er wird fassbar für unsere Sinne. Lässt sich hören, riechen, schmecken, sehen, fühlen. Manchmal begegnet er uns in anderen Menschen, wie der Gondoliere dem Theologen begegnen wollte, oder wie der Mensch, zu dem wir gesagt haben: Dich hat der Himmel geschickt! Manchmal begegnet er uns in den Dingen. Vielleicht in dem herrlichen Alpenpanorama der vergangenen Tage, das uns die Schönheit Gottes erahnen ließ, vielleicht in einem Lied, das uns berührt, vielleicht im Strahl der Sonne, die unser Gesicht bescheint. Und manchmal begegnen wir Gott sogar in uns selbst. Besser gesagt: Er begegnet uns in unserem Innersten, in unserem Herzen. Paulus erinnert uns daran: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ Gott ist in der Welt und manchmal ist er uns näher, als wir denken. Das Problem des angeblich berühmten Theologen war ja nicht, dass er nicht an Gott geglaubt hat, sondern dass er an einen Gott geglaubt hat, der jenseits der Dinge und jenseits der Menschenherzen wohnt. Pfingsten erzählt aber von einem Gott, der in den Dingen, der in den Menschen wohnt, der Feuerflammen zu seinen Boten macht, der in seinem Wort zu Menschen spricht, der ihnen in Brot und Wein begegnet, der ängstliche Menschen in Bewegung bringt und sie inspiriert, die größte, älteste und wohl auch effektivste Nichtregierungsorganistation weltweit zu gründen, ein Netzwerk der Hoffnung. Pfingsten ist der Geburtstag Kirche. Happy birthday! Aber auch das ist wichtig: Nicht jeder Geist, der zu uns spricht, ist Gottes Geist. Auch der Zeitgeist ist ansprechend und selbst der Ungeist kann faszinieren. Man muss Geister also unterscheiden, muss prüfen: welcher Geist kommt von Gott und welcher nicht. Ein recht berühmter Theologe, der im 3. Reich gegen den Ungeist des Nationalsozialismus konsequent Stellung bezogen hat, deshalb auch im Konzentrationslager war, wurde gefragt: „Was hat ihnen denn in komplizierten politischen Fragen die Richtung gewiesen?“ Er antwortete sinngemäß: „In schwierigen Situationen habe ich mich immer gefragt: Was würde Jesus tun? Und mich dann daran orientiert“ Das klingt vielleicht zunächst naiv, ist aber in Wirklichkeit eine sehr wirksame Hilfe zur Unterscheidung der Geister. Es kann uns nicht schaden, wenn wir uns im privaten und auch im politischen diesem Pfingstgeist etwas mehr öffnen. Die Antworten werden dadurch nicht einfacher. Aber ich bin überzeugt, die Lösungen werden besser. Also: Fallen Sie nicht aus der Gondel! Wenn aber doch, dann hören sie auf den Gondoliere, der ihnen die Hand reichen will. Denn der Heilige Geist ist immer auch ein Freund des gesunden Menschenverstandes. Das hat ein wirklich berühmter Theologe gesagt. Pfr. Christoph Rauch, Pfarrer in Amtzell und Klinikseelsorger am OSK
© Copyright 2024 ExpyDoc