Manuskript Beitrag: Ärzte ohne Versicherung – Schutzlos beim Doktor Sendung vom 17. Mai 2016 von Astrid Randerath und Dana Sümening Mitarbeit: Ulrike Brödermann Anmoderation: Sie haben hoffentlich einen Arzt ihres Vertrauens. Der behandelt sie gut und macht keine Fehler. Und sollte doch mal was passieren, übernimmt er die Verantwortung. Eigentlich müssen Ärzte eine Versicherung abschließen, die bei Behandlungsfehlern zahlt. Aber diese Pflicht wird in Deutschland so mies kontrolliert, als ob Patientenschutz bloß Kür wäre. Ein Albtraum: Ihnen wird die falsche Arznei verabreicht, der falsche Zahn gezogen, und keiner haftet für die Schmerzen. Astrid Randerath und Dana Sümening haben Betroffene, für die dieser Albtraum wahr wurde. Text: Dorothea Holzhäuer nahm Morphium gegen ihre chronischen Rückenschmerzen. Dann bekam sie epileptische Anfälle, fiel zweimal ins Koma. O-Ton Dorothea Holzhäuer, Patientin: Also, ein Arzt kam rein und sagte zu mir, sie müssen eine ganze Armee von Schutzengeln haben. Und dann war klar, dass ich Morphium-Überdosis hatte. Ein Gutachten bescheinigt einen Behandlungsfehler. Sie klagt gegen ihren Arzt, will Schadenersatz und Schmerzensgeld. Auch Gudrun Müller ist Opfer eines Behandlungsfehlers. Ihr Zahnarzt hatte Implantate falsch eingesetzt. Die mussten wieder raus. O-Ton Gudrun Müller, Patientin: Das waren ja nicht nur die Schmerzen, sondern es hat ja auch einiges gekostet, was ich ganz gerne von dem Zahnarzt wieder haben möchte. Doch die Ärzte zahlen nicht. Beide sind nicht versichert, befürchtet Bernd Helmsauer. Er ist Versicherungsmakler, Spezialist für Arzthaftpflicht. Allein bei ihm meldeten sich im vergangenen Jahr 52 Ärzte, die nicht ausreichend versichert waren. Was das für die Patienten bedeutet, zeigt er in einer Beispielrechnung: O-Ton Bernd Helmsauer, Helmsauer Assekuranzmakler: Unser Haus hat 21.000 Ärzte als Kunden. Von diesen 21.000 Ärzten hatten in 2015 52 keinen Versicherungsschutz in der Berufshaftpflicht. Wenn wir davon ausgehen, dass diese 52 Ärzte am Tag 50 Patienten nur behandeln und einen Monat lang über keinen Versicherungsschutz verfügen, dann führt das dazu, dass 57.200 Patienten von einem Arzt behandelt wurden, der keinen Versicherungsschutz in der Berufshaftpflicht hat. Bundesweit, so rechnet er hoch, behandeln unversicherte Ärzte jeden Monat circa 550.000 Patienten. Dabei ist eine Haftpflicht für Ärzte und Zahnärzte gesetzlich vorgeschrieben. Sibylle Reimers, die neue Zahnärztin von Gudrun Müller, hat für Kollegen ohne Versicherungsschutz kein Verständnis. O-Ton Sibylle Reimers, Zahnärztin: Nicht nur, dass es in der Berufsordnung drinsteht, dass wir das müssen. Man hat also selber, man sollte das Verantwortungsbewusstsein haben, dass man solch eine Versicherung abschließt. Und ich denke mal schon, dass die Patienten das allerwichtigste sein sollten und da muss man sich selber auch finanziell absichern und damit auch den Patienten. Gudrun Müller ging selbstverständlich davon aus, ihr Zahnarzt sei versichert. Die falsch eingesetzten Implantate quälten sie jeden Tag. O-Ton Gudrun Müller, Patientin: Ich kann Ihnen das mal zeigen. Hier, das ist alles einzementiert worden. Man kommt da also an die Implantate nicht ran, um die zu putzen. Und das waren die Dinge, die mich dann fast jede Woche zum Zahnarzt getrieben haben, weil ich Zahnschmerzen hatte. 86 Mal musste Gudrun Müller danach zu ihrer neuen Zahnärztin und zum Kieferorthopäden, bis ihre Zähne rundum erneuert sind. Auf den Kosten bleibt sie bislang sitzen. Ihr Anwalt, Jörg Heynemann, vertritt viele Mandanten wie Gudrun Müller. Oft zeigt sich erst im Gerichtsverfahren, ob Ärzte ausreichend versichert sind. Die Policen kosten - je nach Fachrichtung und ob ein Arzt operiert - zwischen mehreren hundert Euro pro Jahr bis zu 70.000. Immer wieder drücken sich Ärzte um die Beiträge. O-Ton Jörg Heynemann, Fachanwalt für Medizinrecht: Als Patient kann man in einer solchen Situation eigentlich gar nichts machen. Also, man kann natürlich den Arzt vorher fragen: Sind sie versichert, bevor ich mich bei Ihnen behandeln lasse? Aber, ob er dann wahrheitsgemäß antwortet oder nicht, ist ja seine Sache. Also, hier hatte der Zahnarzt zeitweise auch mal behauptet, er sei ja versichert und so, was gar nicht stimmte. Da ist man letztlich ausgeliefert als Patient. Obwohl Gudrun Müller gerichtlich 26.000 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz zugesprochen wurden, ist fraglich, ob sie das Geld je bekommt. Zu Christoph Kranich kommen seit Jahren Patienten in die Verbraucherzentrale, bei denen ein Behandlungsfehler vorliegt. O-Ton Christoph Kranich, Verbraucherzentrale Hamburg: Da kann es passieren, wenn der Patient zum Recht kommt vor Gericht und der Arzt aber nicht versichert ist, dass der Patient das Geld nicht kriegt, das ihm zugesprochen wird vom Gericht. Der Patient ist also mehrfach geschädigt: durch Krankheit, durch Behandlungsfehler, dadurch, dass er das Geld nicht kriegt, was er verdient hat und dadurch, dass er die Kosten für das ganze Verfahren bezahlen muss - vierfach geschädigt. Das ist untragbar. Das könnte auch Dorothea Holzhäuer passieren. Wegen einer Rückenerkrankung nahm sie regelmäßig Morphium - gegen die Schmerzen. Doch dann kollabierte sie mehrfach, fiel sogar ins Koma. Im Krankenhaus fanden Ärzte die Ursache. O-Ton Dorothea Holzhäuer, Patientin: Dann kam ein Arzt ins Zimmer und sagte: Wo haben Sie diese Tabletten her? Das war das Blister, was in meiner Handtasche war. Wie kommen Sie an diese Tabletten? Da sag ich: Was ist das? Da sagt er: Morphium aus Ihrer Handtasche. Da sag ich, die nehm ich doch schon zweieinhalb Jahre. Da sagt er: aber nicht diese! Sag ich: warum nicht diese? Sagt er: Das sind 100 Milligramm Tabletten, keine zehn Milligramm Tabletten. Sie nehmen normalerweise zweimal zehn morgens, zweimal zehn abends und jetzt haben sie statt 40 Milligramm 400 Milligramm am Tag genommen. Dorothea Holzhäuer klagt gegen ihren Arzt. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung stellt in einem Gutachten fest: „Aufgrund des vorliegenden Hausarzt Rezeptes, ausgestellt am 19.12.2012, ist von der Verordnung einer zu hohen Tablettenstärke auszugehen.“ Und weiter: „Ein Behandlungsfehler liegt vor.“ Eigentlich ein klarer Fall für die Haftpflichtversicherung. Dorothea Holzhäuers Anwältin, Maia Steinert, fragt den Arzt mehrfach, wo er denn versichert sei. Keine Antwort. O-Ton Maia Steinert, Patientenanwältin: Wir haben uns dann bei der Ärztekammer erkundigt und die schrieb uns dann, Ärzte seien zwar verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung zu haben, diese würde aber nicht nachgeprüft. Dann haben wir uns, von uns aus, an die 15 größten Haftpflichtversicherungen gewendet, um zu gucken, ob vielleicht eine antwortet und sagt, wir haben den Arzt im Programm. Alle Haftpflichtversicherungen haben aber gesagt, sie hätten diesen Arzt nicht versichert. Die Anwältin des Arztes teilt uns mit, er sei versichert. Auf unsere Fragen seit wann und wo – keine Antwort. Gegenüber der Patientin bestreitet der Arzt alle Vorwürfe. Das Problem: Auch wenn ein Arzt keine Haftpflichtversicherung hat, fällt das meist nicht auf und er kann unbehelligt weiter praktizieren. In anderen Berufen wäre das nicht möglich. O-Ton Christoph Kranich, Verbraucherzentrale Hamburg: Rechtsanwälte zum Beispiel - auch ein freier Beruf - da muss jeder Rechtsanwalt versichert sein mit einer bestimmten Mindestversicherungssumme. Das wäre bei Ärzten auch sinnvoll. Und das Wichtigste: Es muss in dem Versicherungsvertrag geregelt sein, dass bei Verlust des Versicherungsverhältnisses die Kammer das erfährt. Das ist vertraglich vereinbart. Und die Kammer muss natürlich dann dem Anwalt die Berufserlaubnis entziehen. Das gehört auch noch dazu. Das Gleiche wäre für Ärzte möglich. Wir fragen bei den Ärztekammern, die für die beiden Patientinnen zuständig sind, wie sie kontrollieren. Die Berliner Zahnärztekammer erklärt, sie kontrolliere am Anfang, wenn der Arzt sich anmeldet und später nur noch auf Verlangen. Die Ärztekammer Baden-Württemberg schreibt, eine Überwachung finde nicht statt. O-Ton Christoph Kranich, Verbraucherzentrale Hamburg: Niemand kontrolliert, ob sie wirklich versichert sind. Vielleicht wird es am Anfang mal kontrolliert, aber dann nicht mehr. Und wenn der Arzt die Versicherung verliert, dann merkt das weder die Kammer noch der Patient. Nur der Arzt weiß das und kann es geheim halten. Nachfrage beim Bundesgesundheitsminister. O-Ton Frontal 21: Gibt es irgendeine Überlegung, dass man das in Zukunft doch bundeseinheitlich regelt – die bessere Kontrolle durch Ärztekammern? O-Ton Hermann Gröhe, CDU, Bundesgesundheitsminister: Es gibt klare Vorgaben. Ich war, bevor ich Minister wurde, Rechtsanwalt, da ist das Zulassungsvoraussetzung und sonst ein erheblicher berufsrechtlicher Verstoß. Ich nehme das gerne als Anregung noch einmal mit, wenn Sie der Meinung sind, dass das unzureichend kontrolliert wird bei Ärztinnen und Ärzten. Der Meinung war die Opposition jedenfalls schon 2012. Sie forderte eine schärfere Kontrolle der Ärzte. Doch die damaligen Regierungsparteien Union und FDP lehnten einen entsprechenden Antrag ab. Unverständnis bei Experten: O-Ton Bernd Helmsauer, Helmsauer Assekuranzmakler: Sie können heute kein einziges Fahrzeug in Deutschland ummelden oder anmelden ohne eine elektronische Versicherungsbestätigung. Warum sollte dieses System nicht auch in der Arzthaftpflicht für Ärzte greifen und zum Beispiel die Ärztekammern von den Versicherungen über das Bestehen von Versicherungsverträgen und aber auch die Kündigungen informiert werden. Patienten gehen immer wieder leer aus - selbst dann, wenn sie im Recht sind, weil Ärzte sich nicht versichern, Kammern zu wenig kontrollieren und Politiker nicht einschreiten. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. 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