DIE WELT - Die Onleihe

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DONNERSTAG, 12. MAI 2016
KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7
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Zippert zappt
D
FEUILLETON
Woody Allens Rekord
bei den Filmfestspielen
von Cannes
Seite 21
POLITIK
Das London
der Kleptokraten
Seite 8
WIRTSCHAFT
Freie Tage? Urlaub?
In der Pflegebranche
oft nicht mehr möglich
Seite 9
PANORAMA
Gegen Gaffer helfen
nur noch Polizeihunde
Nr. 110
KOMMENTAR
er Abgasskandal zieht
ständig weitere Kreise.
Es wird immer wahrscheinlicher, dass Ex-VW-Chef
Winterkorn schon 2003 von den
Manipulationen gewusst hat,
noch ehe sie überhaupt zum
Einsatz kamen. Damit er diesen
Schock verarbeiten kann, will
das Unternehmen seine Ruhestandsbezüge verdoppeln. Verkehrsminister Dobrindt musste
gestern in die psychologische
Notaufnahme der Charité eingeliefert werden, er leidet an
Burn-out durch Verbrennungsmotorenstress. Außerdem fällt
es ihm deutlich schwerer, seine
Scheinheiligkeit aufrechtzuerhalten. Die Vorstände der deutschen Autobauer nehmen seit
Wochen Schauspielunterricht,
um glaubwürdig Überraschung
heucheln zu können, wenn wieder einmal ein skandalöses Detail herauskommt. Doch auch
viele Autos sind seelisch belastet. Sie fühlen sich schuldig und
haben Angst, dass sie irgendwann einfach verschrottet werden. Der bayerische Ministerpräsident schlug vor, jedem
Flüchtling, der deutsches Territorium erreicht, ein vollgetanktes Betrugsauto zu schenken –
unter der Bedingung, dass er
damit sofort wieder in seine
Heimat zurückfährt.
THEMEN
B
Altbacken
und mutlos
Sie schreibt
Geschichte
Die erste Migrantin an der Spitze eines Parlaments in
Deutschland. Die erste Muslimin. Und in der Geschichte
der Landtage die erste Frau. Bei der Grünen-Politikerin
Muhterem Aras, der neu gewählten Präsidentin der
Volksvertretung in Baden-Württemberg, fallen schon
mal große Worte – zum Beispiel „historisch“. Andere
geben sich betont lässig, wie AfD-Fraktionschef Jörg
Meuthen, der Aras per Handschlag gratulierte und sagte:
„So what?“ Die anderen AfD-Abgeordneten sahen die
Wahl von Aras weniger entspannt: Sie verweigerten ihr
bis auf eine Ausnahme den Applaus. Seite 5
ULF POSCHARDT
DPA/MARIJAN MURAT; REUTERS/REGIS DUVIGNAU
D
CDU-Abgeordnete mucken
gegen Merkels „Linksdrift“ auf
Konservative und Wirtschaftsliberale fordern in Manifest eine Kurskorrektur. Der Markenkern
der Partei werde durch die „Modernisierung“ vernachlässigt, Anhänger würden nicht mehr erreicht
I
n der Union ist eine Richtungsdebatte ausgebrochen. 15 Bundestagsabgeordnete, die sich selbst als
„Konservative und Wirtschaftsliberale“ einschätzen, fordern in einem
Manifest eine „schonungslose, ehrliche
und selbstkritische Analyse“ der „historisch schlechten Ergebnisse in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz, die
Stammländer der CDU waren“. Woran
es lag, wissen sie allerdings schon: „Die
inzwischen häufig so genannte ‚Modernisierung‘ der CDU schafft rechts von
ihr dauerhaft Platz für eine neue Partei.“
VON ROBIN ALEXANDER
Von allen Parteien habe die CDU am
meisten Wähler an die AfD verloren. Der
Markenkern sei „sträflich vernachlässigt“ worden. Wenn vor allem Grüne und
linke Sozialdemokraten der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik Beifall
spendeten, „muss die CDU-Führung sich
fragen, ob sie mit ihrem Kurs überhaupt
noch die eigenen Anhänger erreicht“.
Die 15 Unterzeichner sind im sogenannten Berliner Kreis um den ehemali-
gen hessischen Fraktionsvorsitzenden
Christean Wagner organisiert. Früher
tagten sie gemeinsam mit Alexander
Gauland, doch der hat die CDU verlassen
und führt nun die AfD in Brandenburg.
Das haben die rebellischen Unionsabgeordneten nicht vor: Sie hoffen vielmehr,
durch den Kurswechsel könne eine Partei rechts von der Union wieder überflüssig werden.
Es sind keine Randfiguren, die sich
hier organisieren: Wolfgang Bosbach,
der vielleicht populärste aller 310 Unionsabgeordneten, hat unterschrieben,
ebenso Christian von Stetten, der den
Parlamentskreis Mittelstand führt, die
größte Gruppe in der Unionsfraktion.
„Wir wollen nicht die CDU nach rechts
rücken“, beteuert Wagner. „Wir wollen
verhindern, dass sie immer weiter nach
links driftet.“
Geärgert hat die Abgeordneten vor allem die Wahlanalyse der Parteiführung
mit dem Demoskopen Matthias Jung.
Anschließend habe es geheißen, die deutsche Gesellschaft sei progressiver als die
Unionsanhänger, diese müsse man sich
gar als „Parallelgesellschaft“ vorstellen.
Bosbach ist richtig sauer: „Das sind die
Leute, die Plakate kleben, Veranstaltungen organisieren und sich seit Jahren für
uns einbringen.“
Die größten Sorgen bereitet den Abgeordneten nach wie vor die Flüchtlingspolitik. „Wenn wir sagen, wir können die
Seehofer denkt laut über
eigenen Wahlkampf nach
Für den Bundestagswahlkampf
2017 strebt die CSU laut Bayerns
Ministerpräsident Horst Seehofer
einen Wahlkampf mit der CDU an.
Er schließe aber auch einen Alleingang nicht aus, sagte der CSUChef in Berlin. Wenn das angestrebte Ziel nicht erreichbar sei,
müsse die CSU es „aus der Not ...
auch selbst machen“. Er wolle aber
die Koalition im Bund mit CDU
und SPD bis zur Bundestagswahl
voraussichtlich im Herbst 2017
fortsetzen.
Grenzen nicht schützen, geben wir ein
Stück Staatlichkeit auf“, meint Bosbach.
In der gemeinsamen Erklärung heißt es:
„Notwendig ist ein weithin hörbares Signal, dass auch die Kräfte Deutschlands
bei der Aufnahme von Flüchtlingen begrenzt sind.“ Die EU dürfe sich beim
„notwendigen Außengrenzschutz nicht
von anderen Staaten abhängig machen“
– eine deutliche Kritik des von der Kanzlerin initiierten EU-Türkei-Deals.
Doch es ist nicht nur die Flüchtlingspolitik, welche die Rebellen umtreibt.
Gleich zwölf „Ziele“ haben sie formuliert, darunter die „Abkehr von der Gender-Ideologie“, die „Abwehr von linken
Forderungen nach Steuererhöhungen“,
die „Thematisierung der waghalsigen
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank“ und die „Verhinderung von
Umverteilungsabsichten“. Ein Ziel freilich haben die Abgeordneten ausdrücklich nicht: Merkels Sturz. Der Organisator des Berliner Kreises, Christean Wagner, gibt extra zu Protokoll: „Wir wollen
eine Korrektur der Politik, aber ausdrücklich kein Auswechseln der SpitzenSiehe Kommentar
kandidatin.“
ie „Union“ heißt so, weil sie
als interkonfessionelle Sammlungsbewegung
gegründet
wurde. Heute ist die Partei mit dem C
im Namen längst auch eine Heimat für
Muslime, Juden und Atheisten. Von
Anfang an gab es linke Unionisten, die
einen demokratischen Christsozialismus anstrebten, aber auch Nationalkonservative wie Alfred Dregger. Regiert wurde das Land unionsgeführt
stets in der Mitte, begleitet und orchestriert von munterem Flügelschlagen. Da durfte die hessische CDU den
Innenminister stellen (oder aber die
CSU) und die linke Malocher-Union
aus NRW den Minister für Arbeit und
Soziales. So weit, so gut.
Mit Friedrich Merz hatte die Union
auch einen Wirtschaftskopf, der Linke wie Liberale argumentativ zum
Schwitzen bringen konnte. Seither
hat die Union ihren Meinungskorridor verengt, die Flügel sind lahm oder
eingeschlafen. Wenn sich nun eine
eher mediokre Truppe als „Berliner
Kreis“ gelabelt anschickt, Konservatives und Wirtschaftsliberales einzufordern, mögen diese Forderungen
angebracht sein, doch die Form des
Papiers und das Format der Akteure
verdeutlichen, dass es an Substanz
mangelt. Kraftlos und altbacken wirkt
der Aufstand und mutlos in der Geste
des Angriffs: Gehemmt wurde ein Ende der Linksdrift angemahnt, ohne
die Machtfrage zu stellen.
Keiner dieser Leute wird auch nur
einen AfD-Wähler zurückholen. Die
wollen protestieren. Echte Konservative und Wirtschaftsliberale erkennen,
dass es ihr patriotischer „Call“ ist,
dem Land bei der größten Herausforderung seit dem Fall der Mauer zu helfen: bei der Integration von Flüchtlingen und anderen Migranten. Die Konservativen könnten erkennen, dass
viele Neodeutsche Familienwerte wie
aus der Adenauerzeit mitbringen, andere Migranten Aufstiegsehrgeiz und
Unternehmertum.
Rechtsstaatlichkeit, innere Sicherheit und ent-nahleste Marktwirtschaft wären ein Gebot
der Stunde. Es gäbe also jede Menge
Chancen zur Profilierung abseits von
Manifesten und Verschwörerkreisen.
Auch bei Helmut Kohl mussten die
Flügel den Regierungskurs für ihre
(Wähler-)Milieus nachvollziehbar absichern und stützen. Insofern muss
nicht die Union rechter und wirtschaftsfreundlicher werden. Sondern
Konservative und Marktwirtschaftler
ihre Akzente bei der Regierungsarbeit
setzen (wollen). Die Parteiführung
muss dazu Raum und Chancen bieten.
Dann hört auch die öde Selbstbeschäftigung auf. Nichts nervt Wähler
mehr als das Gefühl narzisstischer
Selbstverstrickung bei Politikern. Wer
will die Probleme des Landes lösen,
wenn ihm schon die eigene Partei unlösbare Rätsel aufgibt?
[email protected]
Seite 23
Gebt mir Hackbällchen!
DAX
Im Minus
Experten sehen, wie sich in Deutschland gesündere Ernährung durchsetzt. Ein Lieferant von Kantinenessen sieht etwas ganz anderes
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Dax
Schluss
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Dow Jones
17.40 Uhr
17.822,46
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4 Folgen der Doku-Reihe
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V
egetarische Linsensuppe ist der absolute Renner, Platz eins.
Auch Gemüseravioli in Tomatensoße sind wieder unter den
Top Ten der beliebtesten Kantinengerichte in Deutschland,
ebenso wie der Kartoffel-Möhren-Eintopf – natürlich in Bioqualität.
Vegetarisch, umweltbewusst, leicht. Das hat der Großverpfleger Apetito, der ein solches Ranking seit fast 20 Jahren erstellt, nun auch für
das vergangene Jahr ermittelt. Das Familienunternehmen sitzt im
westfälischen Rheine, machte 2015 einen Umsatz von 800 Millionen
Euro und kennt sich mit dem Geschmack der Deutschen bestens aus.
VON JENS WIEGMANN UND CARSTEN DIERIG
Wie, bei Ihnen in der Kantine gab es diese Woche keine Linsensuppe? Keine Gemüseravioli? Sie essen lieber was Deftiges? Das ist
kein Grund zur Sorge, damit liegen Sie absolut im Trend. Denn die
gesunden, überwiegend vegetarischen Top Ten spiegeln lediglich die
Speisepläne von Kitas und Schulen wider. Zumindest die meistbestellten und damit wohl auch meistgegessenen Gerichte. Wobei aber
doch die Frage auftaucht, ob die Kleinen wirklich darauf stehen oder
ob da die besorgten Eltern nicht eine Rolle spielen. Na ja, zumindest
tauchen auch Fischstäbchen, Eierpfannkuchen mit Vanillesauce sowie
Milchreis mit Zimt und Zucker in der Bestsellerliste auf.
Aber irgendwo zwischen Schulabschluss und Berufsleben scheinen
das Bewusstsein für gesunde Ernährung oder die Einflussmöglichkeiten der Eltern verloren zu gehen, denn bei den Lieblingsgerichten
am Arbeitsplatz ist die Nummer eins der vergangenen Jahre auch
aktuell ganz oben: die Currywurst. „Die Currywurst ist einfach der
Klassiker im Außer-Haus-Markt“, kommentiert Guido Hildebrandt,
der Vorstandschef von Apetito, die Rangliste. „Und sie ist ein Gericht, das man sich zu Hause nicht mal eben selbst kocht.“ Also greifen die Deutschen in der Kantine zu. Das stetig steigende Gesundheitsbewusstsein, über das Branchenexperten regelmäßig berichten,
oder der viel beschworene Trend zum fleischlosen Lebensstil scheinen zumindest am Arbeitsplatz nicht zu gelten.
Zwar berichtet Hildebrandt von einer zunehmenden Dynamik bei
vegetarischen Gerichten. Die Top Ten der Apetito-Menücharts werden aber auch 2015 klar von Fleisch und Fisch dominiert – mit allein
sieben Fleischmahlzeiten, darunter ein Jägerschnitzel, Asia-Hähnchen süßsauer oder auch Hackbällchen, wahlweise als Köttbullar aus
Schweden oder als Albondigas aus Spanien. Weitere zwei Essen sind
Fischmenüs. In den Seniorenheimen sieht es ähnlich aus, da scheint
sich der Geschmack nicht mehr zu ändern: Rinderroulade, Königsberger Klopse, Gulaschtopf, Grüne-Bohnen-Eintopf mit Rindfleisch,
Schweinegulasch mit Spätzle.
Vegetarisches und leichtes Essen hat also keine Chance. Nur eine
Vorliebe teilen deutsche Kinder und Rentner, ein Essen rangiert bei
beiden Gruppen ganz oben: Hühnerfrikassee mit Erbsen und Reis.
Vielleicht, weil man da nicht so viel kauen muss.
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ISSN 0173-8437
110-19
ZKZ 7109