[Praxis] P DESIGN THINKING Der Medienkonsum wird immer mobiler. Aber welche Formate funktionieren auf dem Handy? Unser Autor hat geschaut, wie Zeit Online seine Nutzer ins Design einbindet – und durfte dabei sogar selbst experimentieren. Von der Ideenskizze zum fertigen Format: Für den Relaunch hat Zeit Online Kartengeschichten entwickelt – ein neues Erzählformat, das sich besonders für Handys eignen soll. Der Prozess begann mit Nutzergesprächen, aus denen das erste Konzept entwickelt wurde – hier ein Entwurf. Am Ende meiner Reise liegen die Karten auf dem Tisch. So also finden Nachrichten im mobilen Web mehr Leser: mit Kartenstapeln, „Story Cards“, klickbaren Infokärtchen. Vorgemacht hat’s vox.com aus den USA, in Deutschland zeigt nun Zeit Online, wie es geht: „Wie funktioniert Asyl?“ steht auf einer blaugrauen Karte, die zum Weiterklicken lädt. 13 Kärtchen mit kurzen Infos hat der Stapel, manche sind wie ein Ratespiel: „Wer darf einreisen?“, fragt Karte 4: Feride aus Afghanistan oder Malek aus Äthiopien? Eine andere Karte zeigt ein Minivideo von einem Bombentreffer in Syrien. Das Ganze ist schön bunt und lässt sich in 90 Sekunden konsumieren. So also will es der Leser am Smartphone. Natürlich ist das nicht die ganze Wahrheit, noch nicht einmal die halbe. Wie vielschichtig (und oft widersprüchlich) die Bedürfnisse mobiler User sind, fasst ein Satz zusammen, den Martin Kotynek mir gesagt hat: „Die User wollen am Handy beides, Tempo und Tiefe.“ Kotynek ist stellvertretender Chefredakteur bei Zeit Online und hat sich mit der Frage so intensiv auseinandergesetzt wie kaum ein anderer in Deutschland. Auf meiner Suche nach neuen, mobilen Erzählformaten stand er deshalb am Anfang und am Ende. Alles fing damit an, dass er mich zu Speeddating und Schokolade einlud. „Neue Erzählformate für Smartphones MEDIUM MAGAZIN 63 Praxis. Design Thinking Methode gelandet war, die dem großen Relaunch von Zeit Online aus diesem Herbst zugrunde liegt: exzessives, spielerisches Entdecken und Entwickeln durch Macher und Nutzer – kurz gesagt: Design Thinking. Design Thinking ist ein Modebegriff aus dem Silicon Valley, der leider ein wenig irreführend ist. Gedanken zum Design macht sich schließlich jeder Zeitungsmacher und App-Entwickler. Dabei steht das Konzept eigentlich für etwas, was die wenigsten tun: nicht zuerst denken, sondern zuerst zuhören, und zwar den Nutzern. (Siehe Kasten rechts.) So schlenderte ich in der Woche vor dem Hamburger Praxisworkshop durch einen Berliner Park und sprach Julia an. Sie sah gut aus, hatte ein iPhone in der Hand und stellte sich als eine 27 Jahre junge Rechtsreferendarin heraus, die auf ihrem Handy gerade eine längere Story auf Zeit Online las. Das passte gut, denn jeder Kursteilnehmer sollte vorab ein Interview mit einem Nutzer führen: Wann am Tag konsumierst du News am Handy, wie lange, wo und warum? So erfuhr ich unter anderem, dass sie fast nur auf dem Handy liest und emotionale 1 2 5 6 64 Geschichten mag. Diese Infos nahm ich mit in den Workshop. „Genauso haben wir auch intern gearbeitet“, erzählt Kotynek einige Zeit später in der geräumigen Redaktion von Zeit Online, wo nahe des Potsdamer Platzes rund 50 Mitarbeiter an der digitalen Ausgabe arbeiten. Mehr als ein Jahr lang haben die beiden hier mit ihren Teams und ausgewählten Usern an dem neuen Auftritt gefeilt, der Mitte September online ging. Häufig werden Websites ohne die direkte Einbindung der Nutzer und sogar ohne inhaltlichen Input der relevanten Redakteure entwickelt. Bei Zeit Online hatte es die letzte Überholung 2009 gegeben – und diesmal wollte man alles anders machen. Design Thinking arbeitet nicht mit den üblichen Umfragen oder Fokusgruppen. „Stattdessen suchst du dir einen User heraus und entwickelst Lösungen für ihn“, erläutert Kotynek. „Wenn du am Schluss alle diese Extrem-User abdeckst, hast du ein Ergebnis, das sich für alle eignet, in diesem Fall also ein digitales News-Format.“ Den Übergang von der Phase des Ideenfindens zum Bau und Test von Prototypen beschreibt sein Mitspie3 4 Schritt für Schritt zu neuen Formaten: Erste Storyboards entstanden, als Redakteure und Designer darüber nachdachten, wie Geschichten in Kartenform erzählt werden können (1, 2). Dabei half die App Marvel (3). In Workshops gingen die Entwickler von befragten Nutzern aus (4), um für diese dann spielerisch neue Formate zu erfinden (5, 6). MEDIUM MAGAZIN #11/2015 FOTOS: ZEIT ONLINE/EDENSPIEKERMANN, HILMAR POGANATZ gestalten“ hieß das Seminar, das Kotynek beim Reporter-Workshop in Hamburg anbot, und zwar gemeinsam mit seinem Counterpart aus einer Agentur für digitales Kommunikationsdesign. Das klang ungewöhnlich, und genauso ging es auch los. Denn statt mit Kommunikationsprofi Christian Hanke von Edenspiekermann über Audioslides, Multimediareportagen und Gamification zu referieren, boten die beiden erst einmal allen Teilnehmern kleine Tafeln Ritter Sport an. Je nach Griff zu Marzipan, Knusperkeks oder Haselnuss landeten wir in verschiedenen Gruppen für das folgende Spiel: „Wir wollen hier heute neue Formate fürs Handy erfinden“, sagte Kotynek in seinem freundlichen Österreichisch. Dabei gehe es nicht um Perfektion: „Ihr sollt loslästern, hektisch sein und ganz schnell ganz viel schaffen.“ Ein Teilnehmer seufzte kurz auf: „Das ist ja hier wie beim Speeddating!“ So entstehen also die journalistischen Formate der Zukunft? Anscheinend schon, zumindest bei Zeit Online, einem der zehn größten deutschen Nachrichtenportale. Erstaunt stellte ich fest, dass ich mitten in einem 1:1-Nachdreh der P Kartenspiel: Aus Scribbles entstand ein klickbarer Prototyp, den Nutzer testeten. Mehr als ein Jahr steckten die Entwickler in den Prozess, an dessen Ende neue Formate stehen wie der Kartenstapel ganz rechts. ler Hanke als ein ständiges Öffnen und Schließen: „Erst öffnest du den Fokus, indem du dich durch Interviews in die Zielgruppe hineinversetzt; dann schließt du, fokussierst auf das eigentliche Problem des Users; dann öffnest du dich wieder und entwickelst sehr schnell eine Menge möglicher Lösungen; daraus pickst du dir dann ein, zwei Ideen raus, aus denen du Prototypen baust – und machst den Fokus am Ende wieder auf, um sie zu testen.“ Wie viel Spaß Design Thinking machen kann, habe ich beim Nachspielen in Hamburg erlebt. Ich lande in der Entwicklergruppe Haselnuss. Jeder bekommt einen Extrakt aus dem Interview, das er vorher mit einem Nutzer geführt hat. Dann bekommen wir ganze acht Minuten pro User für unsere „Ideation“-Phase. Um unseren Spieltrieb noch weiter zu reizen, werfen Hanke und Kotynek ein paar bunte Kärtchen dazu mit weiteren Anforderungen, zum Beispiel: Erzählform: Einordnen Tonalität: Intelligent Ausdrucksform: Kurzvideo Design Thinker nennen das „Serious Gaming“. Vier Mal nacheinander fliegen acht Minuten wilde Ideen durch die Runde: Instant-Interviews! Zu Themen wie dem FIFA-Skandal! Ironisch soll es sein! Ja, witzig informieren! Am Ende müssen wir uns einigen, welcher Ansatz am vielversprechendsten ist, dann wird tiefer geschürft. Agentur-Profi Hanke nennt das „Drilldown“: Innerhalb von 30 Minuten bauen wir einen Klick-Dummy unseres neuen Formats auf einem Smartphone. Dazu nutzen wir dasselbe Werkzeug wie Zeit Online: Die App Marvel erlaubt, Scribbles blitzschnell abzufotografieren und auf dem Handy zu simplen Prototypen zu verbinden. Die Marzipangruppe zum Beispiel präsentiert am Ende ihr Format „Podpflanze“: Jeden Tag kommentiert die Kunstfigur Günther, ein echter Ruhrpottproll, in Form eines Bilderstapels das Zeitgeschehen – von BVB bis Grexit. Je nach Zeichentalent der Designer geben die Prototypen tatsächlich eine gute Idee, wie das Format funktionieren würde. Kotynek nennt das „nutzerzentrierte Innovation“. Bevor er vom Print-Ressort AUF EINEN BLICK Design Thinking – so geht’s Design Thinking ist eine strukturierte Innovationsmethode, die darauf setzt, Produkte und Dienstleistungen zunächst aus Sicht des Konsumenten zu gestalten. Die Entwickler der Methode kommen aus dem Umfeld der Stanford University im kalifornischen Silicon Valley und haben eine große Nähe zu Technologieführern wie Apple und Google. Gelehrt wird die Methode an den sogenannten „d.schools“ in Stanford und Potsdam, jeweils gesponsert von SAP-Gründer Hasso Plattner. Die kalifornische Designschule definiert den Prozess der nutzerzentrierten Innovation in fünf Schritten: 1. EMPATHIZE Die Empathiephase ist der Grundstein menschenzentrierten Designs. Designer beobachten das Verhalten ihrer Nutzer in ihrem natürlichen Umfeld, führen qualitative Interviews und versuchen, die relevanten Erfahrungen auch selbst zu machen. 2. DEFINE Nun gewinnen die Designer erste Einsichten. Das explizite Problem wird genau umrissen, vielleicht so fokussiert, dass man nur an einen Nutzer und ein Bedürfnis denkt. Was braucht dieser Nutzer, und wie können wir es ihm geben? 3. IDEATE Das Herz der Ideenfindung, das ungebremste Brainstorming. Das Ziel sind „radikale Design-Alternativen“. Nach der Fokussierung auf das Problem wird der Blick jetzt wieder weit geöffnet. Ziel ist eine große Menge neuer Ideen. 4. PROTOTYPE Jetzt werden Ideen in physische Form umgesetzt, im Journalismus wären das etwa (Klick-)Dummys. „Prototypen“ können aber auch Rollenspiele sein, Orte, Schnittstellen oder eine Wand mit bunten Karteikarten. In dieser Phase werden schnell viele verschiedene Dinge ausprobiert und verworfen. Das Team lernt aus der Interaktion mit den Prototypen, wohin das Design sich entwickeln könnte. 5. TEST In der Testphase holen die Designer Nutzer-Feedback ein. Tests sollten so realistisch wie möglich sein und möglichst Vergleiche zwischen Prototypen ermöglichen. Der Designer hört mehr zu als er erklärt. Immer wieder springt er zurück in die PrototypePhase (oder sogar eine frühere Phase!) und verbessert das Design im Sinne des Nutzers. (pog) LINKTIPPS http://dschool.stanford.edu/use-our-methods/ http://tinyurl.com/stanford-bootcamp www.designthinkingblog.com/ www.designthinkingblog.com/design-thinking-chart/ http://tinyurl.com/stanford-Guide-designthinking MEDIUM MAGAZIN 65 Praxis. Design Thinking „Das Wichtigste war Demut gegenüber den Nutzerwünschen.“ Christian Hanke wurden, gefiel es den Nutzern. „Dabei war das Wichtigste, demütig zu sein gegenüber den Nutzerwünschen“, sagt Hanke: „Digitalprojekte scheitern ja letztlich nie daran, dass sie nicht perfekt sind, sondern daran, dass sie keiner nutzt.“ Nutzer-Feedback kann anstrengend sein. Als Hanke und Kotynek die Kartenstapel testen, wissen manche User nicht, ob sie wischen oder klicken sollen – oder sie halten die bunten Cards für ein Werbeformat. „Da mussten wir mehrmals die Arbeit einer Woche in die Tonne werfen“, erinnert sich Kotynek mit wohligem Schauern. Beim Design-Workshop in Hamburg blieb für solche Gedanken keine Zeit. Als Hanke nach 30 Minuten Turbo-Entwicklung eine Art Schiffshorn ertönen lässt, ist unser Format fertig: Es heißt „Between“ und soll helfen, zwischen den Zeilen zu lesen. Jede Woche bringt es ein Video zu einem aktuellen Thema und unterfüttert es per Split-Screen mit kritischen Infos. So könnte oben Sepp Blatter erzählen, warum bei der FIFA alles ganz sauber läuft, während unten Infos und Grafiken helfen, das Gesagte ironisch zu unterwandern. Wie ich später in Berlin erfahre, haben sich die echten Entwickler für viel simplere Formatschablonen entschieden: Die Kartenstapel eben, die man wahlweise mit Text, Bildern oder Videos befüllen kann. Aber die hatten ja auch ein halbes Jahr Zeit, ihr Design zu überdenken, und nicht bloß eine halbe Stunde. LINKTIPPS Neues Format: Kartenstapel Wie funktioniert Asyl?: http://www.zeit.de/ gesellschaft/zeitgeschehen/2015-08/ eisenhuettenstadt-asylbewerber-fluechtlingede-maiziere Wie wird man US-Präsident?: http://www. zeit.de/politik/ausland/2015-09/uspraesident-werden Fünf Jahre Griechenland-Krise: http://www. zeit.de/wirtschaft/2015-09/griechenlandschuldenkrise-fuenf-jahre-karten-geschichte B wie Boss: http://www.zeit.de/digital/ games/2015-09/games-glossarcomputerspiele-begriffe Neues Format: Live-Dossiers Flüchtlinge in Deutschland: http://www.zeit. de/gesellschaft/fluechtlinge-in-deutschland Griechenland-Krise: http://www.zeit.de/ politik/ausland/griechenland-linkesexperiment Prototyping per App Die Software: https://marvelapp.com/ Entwurf „Podpflanze“: https://marvelapp. com/9ghi88#6552930 Entwurf „Between“: https://marvelapp. com/1j7af7g HILMAR POGANATZ ist freier Journalist, Entwickler und Dozent in Berlin. [email protected] FOTOS: NINA LÜTH Investigation in die Chefredaktion der Digitalausgabe wechselte, verbrachte er ein Jahr als Stipendiat im Silicon Valley. „Dort habe ich gesehen, dass dort viele Start-ups und Technologiekonzerne damit arbeiten.“ Zurück in Deutschland, machte sich Kotynek gemeinsam mit Hanke Gedanken, wie Zeit Online die Nutzer miteinbeziehen kann in die Neuausrichtung. Wie sehr die Leser dies schätzen, zeigte bereits der Start: „Wir haben innerhalb von einem Tag 500 Bewerbungen bekommen von Leuten, die unentgeltlich in dieses Panel wollten“, erinnert sich Kotynek. Die 50 Auserwählten wurden dann zu einer geschlossenen Facebook-Gruppe eingeladen, um Alpha- und Beta-Versionen zu bekommen und sich auch untereinander austauschen zu können. Zu den frühen Erkenntnissen gehörte, dass Menschen in Themen denken, nicht in Artikeln. Inspiriert von den StoryStreams auf Vox Media fassen die neuen „Live-Dossiers“ auf Zeit Online daher alle wichtigen Artikel und Infos zu aktuellen Themen wie der Flüchtlingskrise zusammen. „Die User haben das Bedürfnis, eine unübersichtliche Nachrichtenlage einzuordnen und einen Überblick zu bekommen“, sagt Hanke. Daraufhin entstanden mit Papier, Schere und App erste Entwürfe, die die Leser aber gar nicht verstanden. Erst als die Dossiers mit faktischen Einleitungen, Zusammenfassungen und strikt chronologischen Reihenfolgen versehen Aus Spiel wird Ernst: Auf dem App-Workshop in Hamburg lernte unser Autor, wie man simple Klick-Dummys baut (l.). Zeit Online band Nutzer in diesen Prozess über eine Facebook-Gruppe ein (Mitte). Dabei entstanden Formate wie die neuen „Live-Dossiers“ (r.): Hier können Nutzer die Entwicklungen eines Themas in chronologischer Reihenfolge verfolgen. 66 MEDIUM MAGAZIN #11/2015 P INTERVIEW: HILMAR POGANATZ „Sobald ein Format interaktiv ist, springt der User drauf an“ Die Entwickler von Zeit Online über Nutzertests im Restaurant, extreme UserGewohnheiten und das Aufatmen der Redakteure. 14 Monate hat Zeit Online in die Neuentwicklung seiner Website und das Erfinden neuer mobiler Formate investiert. Nach dem Relaunch sprach „medium magazin“ mit den Machern über ihren ungewöhnlich nutzernahen Entwicklungsansatz. Martin Kotynek ist stellvertretender Chefredakteur und war federführend für den Relaunch von Zeit Online. Christian Hanke hat als Partner und Creative Director den Prozess für die Agentur Edenspiekermann verantwortet. Ich habe gehört, dass ihr für den Relaunch ziemlich häufig essen gegangen seid. Seid ihr eigentlich eher App-Tester oder RestaurantTester? Martin Kotynek: Das war rein beruflich. Also es stimmt schon: Für den Relaunch war ich gut 20 Mal mit Nutzern essen, aber es ging nicht ums Essen, sondern um unsere User. Ein Abendessen war die perfekte Gelegenheit, um in Ruhe über ihre Bedürfnisse beim Nachrichtenkonsum zu sprechen. Klingt ziemlich intensiv, wart ihr immer zu zweit essen? Kotynek: Es waren oft mehrere Redakteure und Entwickler dabei. Und manchmal haben die Nutzer auch noch jemand mitgebracht. Privatleben hattest du dann wohl kaum noch – dafür hast du aber zig verschiedene Berliner Restaurants ausprobiert? Kotynek: Wir waren anfangs meist im selben Lokal, später haben wir die User aussuchen lassen, wo wir hingehen. Das alles natürlich nur, um korrektes Design Thinking zu betreiben … Kotynek: … um einen intensiven Austausch mit unseren Usern zu ermöglichen. Christian Hanke: Mich hat beeindruckt, dass du im Schnitt drei bis vier Stunden pro Woche mit Benutzern verbringst. Im Entwicklungsprozess macht das einen Riesenunterschied, wenn aus der Chefredaktion ein so starkes Engagement kommt. Kotynek: Das hat er mir noch nie gesagt! Hanke: Ernsthaft: Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Denn wir als Agentur können immer nur bis zu einer bestimmten Grenze sagen: Wir müssen testen, testen, testen! Usertesting ist halt ein Teamsport – und da müssen alle mitmachen. Wurde das viele Testen nicht irgendwann eintönig? Hanke: Nein, das war total vielfältig. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass die Älteren die Homepage wie eine To-do-Liste empfinden, auf der sie jeden einzelnen Beitrag anschauen, bewerten und abhaken müssen. Kotynek: Kein User war gleich! Da gab es Nutzer wie die beiden Studenten Marlon und Salomon, die uns auf Facebook folgen, aber noch nie auf unserer Homepage waren. Weil Facebook deren Homepage ist. Diese Leser muss man ganz anders ansprechen als jemanden wie Anath, die um die 60 ist und unseren Newsletter abonniert hat. Nach dem Frühstück setzt sie sich an ihren PC, klickt jeden Link einzeln an und kehrt danach immer wieder zurück zum Newsletter. Hanke: Und dann gab es Leute, die nur über die Homepage kommen. Richard zum Beispiel, der Politik/Ausland gebookmarkt hat und das am Tag 30, 40 Minuten liest, alles am Handy. „Empathie“, das klingt so weinselig. Gab’s nicht auch mal Streitgespräche? Kotynek: Doch, gerade wenn es um inhaltliche Fragen ging, etwa in der GriechenlandKrise, da waren die Leute teilweise sehr meinungsstark. Es waren ja oft Kollegen mit essen, die über diese Themen berichten. In den meisten Fällen war es aber sehr erfreulich und konstruktiv. Und wie hat das Nutzer-Feedback online funktioniert über die Facebook-Gruppe? Kotynek: Gut. Aber nachdem wir ihnen eine Frage in der Facebook-Gruppe gestellt haben, haben viele User lieber E-Mails geschrieben oder angerufen, als zu posten. Was waren eure ersten Erkenntnisse? Kotynek: Eins unserer ersten Feedbacks war: Sobald ein Format interaktiv ist und die User selbst den Gang der Geschichte mitbestimmen können, begeistert es sie mehr. Wenn sie also eine Choice-Card drehen können; die Karten einer Geschichte in eine eigene Reihenfolge bringen können; oder wenn sie Fragen beantworten können. Manchen hilft das auch, am Ball zu bleiben bei einem Thema, weil viele Nutzer aufmerksamer bleiben, wenn sie sich von Karte zu Karte wischen können. Klassische Porträts oder Analysen lassen wir deswegen natürlich nicht fallen – aber wir machen vielleicht zusätzlich noch einen Kartenstapel oder ein Live-Dossier. Hanke: Und schließlich dürfen wir nicht vergessen: Redakteure sind auch User. Als wir die neuen Formate präsentiert haben, habe ich bei den Redakteuren so ein richtiges Aufatmen verspürt. Endlich haben sie mehr Spielraum und können ihre Geschichten neu und anders erzählen. Nutzerzentriert Erzählspielraum zu ermöglichen, dazu ist Design Thinking wie geschaffen. Heißt es nicht immer, dass die Leute am Handy nur Häppchen wollen? Kotynek: Wir haben herausgefunden, dass das gar nicht stimmt: Unsere User lesen Geschichten am Handy, die so lang sind wie die Dossiers in der gedruckten „Zeit“. Hanke: Solche Nutzungsdaten liefern aber zunächst mal nur eine Hypothese. Design Thinking bedeutet, dass man danach auch versucht zu verstehen, warum die Leute so handeln – und dazu muss man mit ihnen reden. Analyse plus Die Designdenker: Christian Hanke Empathie – das ist von Edenspiekermann und Martin das Geheimnis. Kotynek von Zeit Online. MEDIUM MAGAZIN 67 Inhalt #11/2015 IMPRESSUM DROHT UNS EIN RECHTSRUCK? TITEL 14 Ein Selbstversuch: Hetzen auf Facebook und die Reaktionen darauf. Joel Bedetti medium magazin Unabhängige Zeitschrift für Journalisten 30. Jg., Nr. 11/2015 Gegründet von Sebastian Turner 18 Umfrage: Was Kollegen und Kolleginnen als das Gebot der Stunde für die Medien sehen. Chefredakteurin Annette Milz (V.i.S.d.P., Frankfurt/Main) Jens Twiehaus, Annette Milz Redaktion Katy Walther (FfM), Daniel Bouhs, Dr. Anne Haeming, Daniel Kastner, Thomas Strothjohann, Jens Twiehaus (Berlin), Senta Krasser (Köln), Carolin Neumann (Hamburg), Ulrike Langer (Seattle) 19 Standpunkt: Klare Kante und ein dickes Fell Autoren Joel Bedetti, Silke Burmester, Julian Heck, Sven Heitkamp, Anton Hunger, Norbert Küpper, Peter Linden, Carl Wilhelm Macke, Hilmar Poganatz, Lars Radau, Torsten Schäfer, Stefan Schirmer, Jan Schlüter, Inge Seibel, Stephan Seiler, Peter Stawowy, Udo Stiehl, Frank Stier, Bernd Stössel, Anja Tiedge Redaktion Im Uhrig 31, 60433 Frankfurt am Main Tel. 069/95 29 79-44, Fax -45 E-Mail: [email protected] www.mediummagazin.de #twitter@mediummagazin www.facebook.com/mediummagazin Verlag und Medieninhaber Johann Oberauer GmbH Postanschrift: Postfach 11 52, 83381 Freilassing Zentrale: Fliederweg 4, A-5301 Salzburg-Eugendorf Tel. +43/6225/27 00-0, Fax -11 Stellenanzeigen/Anzeigenverwaltung Birgit Baumgartinger (Leitung) Tel. +43/6225/27 00-43, E-Mail: [email protected] Produktion Daniela Schneider (Leitung), Martina Hutya, Sabrina Weindl Abo- und Vertriebshotline Tel. +43/6225/27 00-41, Fax -44 E-Mail: [email protected] Druck Druckerei Roser, Salzburg 04 Jan Schlüter 20 Lageberichte: Reaktionen in Dresden & Passau und Konzept-Beispiele im Regionalen Katy Walther, Thomas Strothjohann, Senta Krasser, Jens Twiehaus, Annette Milz 23 Leitlinien: Die 15 Gebote der VRM-Zeitungen. 24 Wie „Vice“ das Flüchtlingsthema covert – und damit Erfolg bei Jungen hat. Thomas Strothjohann 26 Interview: Psychologe Jens Lönnecker über die Medien in der Polarisierungs-Gefahr. Annette Milz RUBRIKEN 6 BERUF UND MEDIEN Journalisten helfen Journalisten. Carl Wilhelm Macke SCHWERPUNKT ALTER & ZUKUNFT 28 Zu Besuch bei Ponkie (89), der KritikerLegende der Münchner AZ Senta Krasser 32 Sechs 50+ Portraits 8 Digitale Perlen. Spectrm, Recherchescout und Straight Magazin Julian Heck 10 Neue Studien für Medienmacher 35 Ulrike Langer 12 Regionales Schaufenster. Interessante Medienprojekte mit Nachahmungswert. Katy Walther, Inge Seibel Carolin Neumann Cordt Schnibben über das Altern 3 7 Der Teenie-Versteher von RTL2, Christian Ehrig Jens Twiehaus 3 8 Wie das „Main-Echo“ auf ältere Redakteure setzt. Katy Walther 40 Marion Kopmann von „Masterhora“ über Chancen mit 50+ Annette Milz 42 Ist die Mitarbeiter-KG noch zeitgemäß? Eine Insider-Bilanz des „Spiegel“-Modells Wolfgang Kaden 70 Kiosk. Markt für Freie, u. a. „Brigitte Wir“, „Zeit Spezial: Mein Job Mein Leben“. Bernd Stössel 72 PR-Personalien. Die (Seiten-)Wechsel in der Branche. Katy Walther 74 Die Hunger-Kolumne. Die Erfahrung des Alters – eine Mär? Anton Hunger 46 76 Personalien. Köpfe und Karrieren. Jens Twiehaus Frühaufsteher. Die Gewinner des Deutschen Radiopreises 2015 Inge Seibel 48 Bulgarien. An der Grenze 79 Aufgestiehlt. Sprachspitzen von 5 0 80 Terminal. Fragebogen: Georg Löwisch Paul Ronzheimer. „Ich bin kein Missionar“ (Reporter-Serie, Teil 13) Stephan Seiler Udo Stiehl Frank Stier MEDIUM MAGAZIN #11/2015 FOTOS: CHRISTIAN OHDE, THOMAS PRITSCHET, ALESSANDRA SCHELLNEGGER Anzeigen- und Medienberatung Sonja Koutny (Leitung) Tel. +43/6225/27 00-37 E-Mail: [email protected] Stephan Köstlinger Tel. +43/6225/27 00-31 E-Mail: stephan.koestlinger@oberauer. com magazin Dresden & alisten für journ intern Leipzig Die Extras in dieser Ausgabe: 24 Seiten über Dresden und Leipzig und als Beilage die 16-seitige Journalisten-Werkstatt „Wie Sätze wirken“, Teil 2 unserer Trilogie „Gesamtkunstwerk Text“. Wenn die Werkstatt fehlt: Extrabestellungen via vertrieb@ mediummagazin.de oder am besten gleich ein „medium magazin“-Abo, in dem die Werkstätten enthalten sind. enarten che Eig & Leipzig Sächsis Dresden tandorte # Die DDV & der MDR Aufdecker a Wille # Die # Karol ig Milieu acks LVZ iens en & Leipz FM # Mads ots in Dresd Die MedStawowy über#das Detektor # Hotsp Flurfunker pe & ihre SZ ntnisse e Beken Mediengrup l # Prominent Ginze Datt & ANJA RESCHKE spricht Klartext in unserem Interview mit Silke Burmester in der „Journalistin 2015“ PONKIE ist 89 und schreibt immer noch Kritiken für die AZ. K L E I N G E D RU C K T ES Schwerpunktthema Zukunft & Alter, Seite 28 Kopflos EXTRAS PRAXIS 6 2 Design Thinking. Welche Formate funktionieren auf dem Handy? Wie „Zeit Online“ ein Design für die mobile Nutzung entwickelte. Hilmar Poganatz 67 „Sobald ein Format interaktiv ist, springt der User drauf“. „Interview mit den Entwicklern von „Zeit Online“ Martin Kotynek und Christian Hanke Hilmar Poganatz 6 8 Layouttipp. „Brigitte Wir“ (bitte drehen Sie „medium magazin“ dazu einfach um) Norbert Küpper 16 Seiten Journalisten-Werkstatt „Wie Sätze wirken“ von Peter Linden Aus dem Inhalt: Die Bewegung im Satz / Die Kamera im Satz / Der fremde Satz / Chefsache Einstieg / Starke erste Sätze. S P E C I A L U M W E LT 5 6 60 Wie es grünt in den Medien. Das Thema Umwelt hat keine Konjunktur in deutschen Redaktionen, das Thema Nachhaltigkeit und Green Economy aber umso mehr. Was macht den Unterschied aus? Lockere Schreibe gefragt. Benjamin Reuter, Gründer von WiWo Green, über erfolgreiche internationale Nachhaltigkeitsportale. Torsten Schäfer „Journalistin 2015“ NDR-Frontfrau Anja Reschke über Hass, Emotionen und Objektivität Silke Burmester / 33 Frauen vom Fach: Was Chefredakteurinnen der Fachpresse umtreibt Annette Milz, Inge Seibel / Netzwerkerinnen: Das neue Duo von Netzwerk Recherche e.V. Julia Stein und Cordula Meyer Anja Tiedge 24 Seiten Dresden & Leipzig intern Die Nu-Sager / Frau Wille baut um ... beim MDR/ SZ: Innovatorin im Osten / Umbruch in Leipzig bei der LVZ / Onlinefunker Detektor FM / Medien-Promis über Dresden und Leipzig und ihre Lieblingsorte. ist schlimmer als beinlos. Sollte man meinen, hatten wir auch gedacht, bis wir diese Meldung in „Horizont“ lasen: „Das herrenlose Bein-Paar in den ´Tagesthemen“ sorgte gut eine Woche lang für Gesprächsstoff, ehe die ARD am Wochenende das Geheimnis lüftete: Die Moderatoren der ´Tagesschau zeigen künftig Bein.“ Und in China fällt ein Sack Reis um. Nachrichten, die die Welt gerade jetzt sicher braucht. Womit wir doch wieder bei Kopflos wären. Liebe Leute bei ARD aktuell: Wenn Ihr schon die Aufmerksamkeit des Zuschauers vom Hirn auf die Hose lenken wollt und die Rede von Tiefdruckgebieten damit eine ganz neue Wendung bekommt, dann ändert bitte schön auch gleich die Ansage: „Tiefschau“ statt „Tagesschau“. Wir halten es da lieber mit dem Kopf und zeigen deshalb gerne die Portraits unserer Autoren. Wer uns aber trotzdem Beine machen will, kann uns gerne schreiben oder mailen an [email protected]. Am besten erreichen Sie das aber mit einem Vollabo. Kostet auch nur 54 steuerlich absetzbare Euro im Jahr (plus Zustellkosten) Beratung inklusive. Und Sie verpassen keine Ausgabe mehr. Wenn Sie sich beeilen, kommen Sie garantiert in den Genuss der Ausgabe 1-2016 mit den „Journalisten des Jahres 2015“ und der 16seitigen „Werkstatt“ mit den Gewinnern des European Newspaper Award 2015 (die Journalisten-Werkstatt ist im Abo inbegriffen). Eine Mail an vertrieb@mediummagazin.de oder Bestellung über newsroom. de/shop genügt. Wir freuen uns auf Sie und Ihren Kopf. Annette Milz MEDIUM 05 magazin für journalisten #11/2015 EURO 10,– mediummagazin.de EURO 10,– · Postfach 1152, 83381 Freilassing · ISSN 0178-8558 · Y9072 E · Foto: T. Koehler HALTUNG GEFRAGT Das Flüchtlingsdrama polarisiert Deutschland. Was Journalisten jetzt schaffen müssen. Plus Special „Journalistin 2015“ Werkstatt „Wie Sätze wirken“ 24 Seiten „Leipzig & Dresden intern“
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