Mit mehr Möglichkeiten schneller ans Ziel

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Werkstoffe| Technische Rundschau Nr. 4/2008
Mit mehr Möglichkeiten
schneller ans Ziel
Mit dem Selective Laser Melting, einem Rapid Prototyping-Verfahren, können sowohl
­Prototypen als auch Kleinserien werkzeuglos produziert werden. Und das innerhalb
weniger Tage. Das Institut für Rapid Product Development (RPD) in St. Gallen hat nun
den Einsatzbereich des Verfahrens drastisch erweitert.
Adriaan Spierings
Stefan Buob
Anfang der 90er Jahre kam mit dem
Selective Laser Sintering (SLS) ein
generatives Herstellungsverfahren
auf den Markt. Fabriziert werden
damit auch heute noch Bauteile
aus Kunststoff (DuraForm). Das
Materialspektrum wurde jedoch
in der Zwischenzeit wesentlich erweitert, so dass heute auch hochtemperaturstabile
(DuraForm
HAST) und flexible (DuraForm
Flex) Kunststoffe verarbeitbar
sind. Auch wenn nach dem SLSVerfahren hergestellte Bauteile
mittlerweile sehr hohe Qualitätskriterien erfüllen, haben sie oft
Auf der neuen Anlage M2 können heute
auch Titan- und Aluminiumlegierungen
im SLM-Verfahren verarbeitet werden.
(Bild: Concept Laser)
den Nachteil, nicht aus den später
vorgesehenen Serienwerkstoffen
zu bestehen.
Selective Laser Melting
schliesst eine Lücke
Für Versuche unter Echtbelas­
tungen eignen sich oft metallische
Prototypen oder Serienteile besser. Und hier setzt das Selectve
Laser Melting-Verfahren (SLM)
an. Damit können auch komplexe
Bauteile aus metallischen Pulverwerkstoffen schichtweise aufgebaut werden. Durch abscannen
der beispielsweise 30 µm dicken
Pulverschicht-Querschnittsfläche
mit einem Laser wird das Metallpulver geschmolzen und verbindet
sich mit der darunter liegenden,
bereits mit der vorherigen Schicht
verschmolzenen Querschnittsfläche.
Mit dem SLM-Verfahren werden
heute standardmässig Bauteile aus
schweissbarem Edelstahl 1.4404,
1.4542 oder 1.4034 hergestellt.
Verarbeitbar sind aber auch Werkzeugstähle (1.2709 oder 1.2344)
was beispielsweise die Anfertigung
von Formeinsätzen für den Kunststoff-Spritzguss mit komplexesten
Kühlkanälen ermöglicht. Und in
Zukunft werden diesem Verfahren
auch CoCr-Legierungen oder INCONEL zugänglich sein.
Am Institut für Rapid Product
Development (RPD) in St. Gallen
wird das SLM-Verfahren zurzeit
dahin gehend ausgebaut, dass neben neuen Stahlsorten auch Ti-
tan- und Aluminium-Legierungen
unter optimalen Bedingungen
verarbeitet werden können, was
dank einer neu installierten Anlage
der Concept Laser GmbH möglich
wird. Für den SLM-Prozess werden
zudem laufend neue Werkstoffe
nach kundenspezifischen Anforderungen entwickelt. Ein strategisches Ziel ist die Entwicklung
von Verbundwerkstoffe mit sehr
hoher Härte, die das Herstellen von
Funktionsteilen ermöglichen, die
konventionell (spanabhebend) gar
nicht gefertigt werden können.
Bekannte Bauteil­
eigenschaften
Die mechanischen Eigenschaften
von Bauteilen, die mit dem SLMVerfahren hergestellt wurden, liegen typischerweise innerhalb von
Werten, wie sie aus einem Stahlschlüssel entnommen werden können. Dafür ist insbesondere die fast
zu 100 Prozent erreichbare Materialdichte (typisch sind ungefähr 99
Prozent) verantwortlich. Kleinste
Poren können allerdings nicht ganz
vermieden werden. Wie gross ihre
Auswirkungen insbesondere auf
die dynamischen Materialeigenschaften sind, ist derzeit Gegenstand eines grösseren Forschungsprojekts am RPD. Ausserdem kann
auch die Korngrössenverteilung
einen erheblichen Einfluss auf die
Materialeigenschaften und damit
auf die Bauteilqualität haben.
Prozessbedingt ist die Oberflächenqualität von SLM-Werkstücken
Werkstoffe | Technische Rundschau Nr. 4/2008
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Geben Sie sich nicht mit weniger zufrieden!
Die Distrelec Produktvielfalt.
Extremer Leichtbau wird mit tragfähigen internen Gitterstrukturen anstelle von
festigkeitsbedingten Materialanhäufungen möglich. (Bild: RPD)
nicht mit spanend hergestellten Teilen vergleichbar, weil eine minimale Oberflächenrauhigkeit in Kauf
genommen werden muss. Funktionsflächen, die hohen masslichen
oder rauheitlichen An­for­derungen
genügen müssen, können jedoch
konventionell nachbearbeitet werden. Die typische Genauigkeit von
SLM-Bauteilen liegt in Bereich von
±0,03 mm. In der Regel werden
Werkstücke mit 0,05 mm Aufmass
hergestellt, was problemlos eine
Nacharbeit ermög­licht.
Der generative Bauprozess kann
durch die Berücksichtigung von
SLM-spezifischen Design-Kriterien bereits im Entwicklungsstadium stark unterstützt werden. Meis­
tens schränken solche Kriterien die
Funktionstüchtigkeit der Bauteile
nicht ein, so dass die Vorteile des
generativen Verfahrens richtig zum
Tragen kommen.
Das Anwendungsspek­
trum wir immer weiter
Generative
Produktionsverfahren wie das SLM drängen sich
insbesondere dort auf, wo innerhalb kurzer Zeit Prototypen oder
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Werkstoffe| Technische Rundschau Nr. 4/2008
Spezialimplantat
für die Hüfte
Die Trochanter-Brace
ist ein Spezialimplantat zur Refixation des
Trochanter major,
eines Knochenvorsprungs im Bereich
des Hüftgelenks am
Oberschenkelknochen. Hier setzen die
Muskeln an, die den
Oberschenkelknochen
abspreizen und das
Becken im Einbeinstand stabilisieren. Dadurch wir ein harmonisches und hinkfreies Gehen ermöglicht. Wichtig ist dieses Implantat insbesondere für Patienten,
die eine Hüftprothesen-Operation durchführen lassen, denn im Rahmen dieser
Operation kann der Trochanter major gelegentlich abreissen. In speziellen Fällen
muss er sogar planmässig abgetrennt werden, um eine Wechseloperation an der
Prothese durchführen zu können. Will man die normale Funktion der Hüftmuskulatur erhalten, muss der Trochanter major in jedem Fall wieder fixiert werden. Bis
heute beträgt die Rate der Fälle, in denen der Trochanter major nach Abriss oder
Abtrennung nicht oder nur unvollständig zusammen heilt bis zu 35 Prozent. Ein
unvollständiges Anheilen kann jedoch zu einem lebenslangen Hinken, zu lokalen
Schmerzen oder zu immer wiederkehrenden Luxationen der Hüftprothese führen.
Angefangen mit dem Design über die Festigkeitsstudien bis zur Produktion wurde jetzt am Institut für Rapid Product Development in enger Zusammenarbeit
mit den beiden Fachärzten Dr. K.U. Lorenz und Dr. H. Durst ein neuartiger Trochanter-Brace entwickelt. Diese Trochenterplatte wird helfen, ein altbekanntes
Problem besser zu behandeln. Erst die Anwendung der SLM-Technologie hat
die Entwicklung dieser Trochanterplatte soweit ermöglicht, dass die Idee einer
neuen Behandlungsmethode in ein ausgefeiltes neues Implantat umgesetzt
werden konnte. Insbesondere die sehr schnelle Produktion eines seriennahen
Prototypen in Stahl, welcher an Kadavern implantiert und biomechanisch getes­
tet werden konnte, hat wesentlich zum Erfolg beigetragen. Die Trochanterplatte
wird im ersten Halbjahr 2008 im Rahmen einer klinischen Studie eingesetzt
­werden können.
Kleinserien aus metallischen Werkstoffen benötigt werden. Neben den
bekannten metallspezifischen Eigenschaften können vor allem die
folgenden zusätzlichen Vorteile ins
Feld geführt werden:
– Eine hohe Geometriefreiheit
erlaubt die Herstellung komplexester Strukturen, welche oft
konventionell gar nicht gefertigt werden können. Das erlaubt
beispielsweise einen extremen
Leichtbau indem innerhalb des
Werkstücks anstelle von festigkeitsbedingten Materialanhäufungen tragfähige Gitterstrukturen eingesetzt werden können.
– Mit der zur Verfügung stehenden Produktionsfläche von 250
x 250 mm können bei nicht allzu grossen Teilen auch kleine bis
mittlere Serien von Werkstücken
werkzeuglos innerhalb weniger
Arbeitstage hergestellt werden.
Dank der hervorragenden Materialeigenschaften können so
hergestellte Werkstücke direkt
als Funktionsteile eingesetzt
werden. Die eingesparten Werkzeugkosten amortisieren die
etwas höheren Preise für SLMTeile schnell. Zudem können
jederzeit praktisch kostenlos geometrischen Änderungen vorgenommen werden.
– Vor allem für medizinaltechnische Anwendungen, beispielsweise für patientenspezifische
Implantate, werden häufig viele
ähnliche jedoch nicht identische
Bauteile benötigt. Hier bietet sich
das SLM-Verfahren als ideale Lösung geradezu an.
Zusammenfassend kann gesagt
werden, dass das SLM-Verfahren
dank der Einsatzmöglichkeit von
metallischen Standardwerkstoffen
praktisch in allen Branchen, vom
Maschinen- über den Werkzeugbau bis zur Medizinaltechnik, für
Einzelteile und Kleinserien eine
wirtschaftliche Technologie ist.
Stossrichtungen des RPD
Das RPD wird in der SLM-Technologie auch weiterhin gezielte
sowie anwenderorientierte Forschung und Entwicklung betreiben. Beispielsweise ist die Entwicklung einer ganzen Reihe von neuen,
teilweise auch kundenspezifischen,
Werkstoffen für den SLM-Prozess
vorgesehen. Zudem werden Verbesserungen in der Prozessführung
sowie Qualitätsfragen ein wichtiges
Thema bleiben.
Das RPD bietet jedoch am
Markt auch Dienstleistungen an.
Prototypen oder kleine bis mittelgrosse Serien von Bauteilen aus
metallischen Werkstoffen können
innerhalb von drei bis vier Arbeitstagen gebaut werden. Ein aktuelles
Beispiel ist die Produktion von „Serienteilen“ in einer wöchentlichen
Losgrösse um die 50 Stück, von
denen jedes eine leicht andere Geo­
metrie aufweist.
www.fhsg.ch/rpd