Übersicht und Resultate der Studie des Öko-Instituts zum Zustand des Reaktordruckbehälters von Beznau 1 im Auftrag von Greenpeace Schweiz Sicherheit von Beznau schwer beweisbar Reaktor 1 von Beznau steht seit über einem Jahr still. Grund für die lange Abschaltung sind fast 1000 Schwachstellen, die im Reaktordruckbehälter gefunden wurden. Ursache und Wirkung dieser Ultraschallanzeigen sind bis heute nicht geklärt. Bis Ende Juni dieses Jahres wollte die Axpo der Atomaufsichtsbehörde ENSI ursprünglich ihren Untersuchungsbericht abliefern. Nun verzögert sich die Ablieferung des zusammenfassenden Berichts (sog. Safety Case) auf voraussichtlich November 2016, wie die Axpo bekanntgab. Darin muss die Axpo den Beweis erbringen, dass der Druckbehälter im laufenden Betrieb wie auch in einem Notfall allen Belastungen standhält. Der Bericht des Öko-Instituts zeigt, wie hoch die Hürde für diesen Beweis ist und übt Kritik an der intransparenten Informationspolitik der Axpo. Nachfolgend die wichtigsten Erkenntnisse der Studie aus Sicht von Greenpeace Schweiz: Weshalb dauern die Untersuchungen so lange, und weshalb kann Beznau 1 nicht einfach weiterbetrieben werden? Reaktor Typ Beznau: Anlage und Standort Reaktordruckgefäss (rot, Nummer 4) Es geht bei der Frage der Robustheit oder Integrität dieses Behälters um Sein oder Nichtsein der Anlage. Der Reaktordruckbehälter ist der zentrale und sicherheitstechnisch wichtigste Teil der Anlage. In ihm findet die Kettenreaktion statt, er muss hohen Temperaturen und Druckverhältnissen standhalten. Seine Stahlhülle ist der starken Neutronenstrahlung ausgesetzt, die das Material versprödet. Bricht der Behälter, können die darin enthaltenen Brennelemente nicht mehr ausreichend gekühlt werden – eine Kernschmelze ist nicht mehr abzuwenden. Wie findet man den Zustand der 17 Zentimeter dicken Stahlwand heraus, wenn man ihn nicht aufschneiden und genau untersuchen kann? Man muss das Material sogenannt zerstörungsfrei prüfen. Das geschieht, indem man an der Oberfläche des Stahls ein Ultraschallgerät bewegt und damit ein Bild des Materials innerhalb der Wand bekommt. Ähnlich erfolgt eine Ultraschalluntersuchung bei Schwangeren: Man bekommt ein Bild des Bauchinneren, ohne Zugang zum Baby zu erhalten. Die Studie des Öko-Instituts weist auf Grenzen der Prüfungsverfahren hin: Das Messverfahren und die dazu erforderliche Software unterliegen Unsicherheiten und Grenzen. Die Interpretation der Ergebnisse ist anspruchsvoll. Konkret hält die Studie fest, dass eine zerstörungsfreie Prüfung den Zustand des Reaktordruckbehälters (RDB) nur ungenügend feststellen kann. Um verlässliche Aussagen machen zu können, müssten Stahlproben mit vergleichbaren Schwachstellen («Anzeigen») und ähnlicher Betriebserfahrung (Strahlung, Temperatur, etc.) im Materialprüfungs-Labor getestet werden können – was die Axpo gemäss Kommunikation von Anfang Mai auch machen will. Die StudienverfasserInnen halten fest, dass es offenbar keine geeigneten Proben gibt, die genau dieselben Eigenschaften und Materialfehler wie das Metall des Druckbehälters aufweisen und denselben Betriebsbedingungen ausgesetzt wurden. Damit ist die Unsicherheit solcher Vergleiche gross. Warum reicht eine 17 Zentimeter dicke Stahlwand nicht immer aus, um Druck und Hitze standzuhalten und das radioaktive Material sicher einzuschliessen? Der Stahl muss nicht lediglich den, relativ gleichbleibenden, Bedingungen im Normalbetrieb standhalten. Er muss auch für Notfallszenarien gerüstet sein; insbesondere bei einem Thermoschock. Unter Thermoschock versteht man die schnelle, schockartige Veränderung der Temperatur eines Materials – dies kann zu Rissen oder zum Bruch führen. Bei einem Druckbehälter kommt es zu diesem Szenario, wenn der überhitzte Inhalt des Druckbehälters bei einem Notfall mit kaltem Wasser geflutet werden muss. Aus dem Alltag bekannt ist dieses Phänomen beispielsweise beim Einfüllen von kaltem Wasser in ein erhitztes Trinkglas, aber auch Risse in Eisenbahnschienen unter Extrembedingungen sind nicht selten. Deshalb setzt gerade hier die gesetzliche AusserbetriebnahmeVerordnung einen Grenzwert fest – die sogenannte Sprödbruch-Referenz-Temperatur. Dieser Grenzwert ist beim Reaktor 1 von Beznau beinahe erreicht, wenn die vorsichtige Berechnungsmethode angewendet wird. Der Sprödbruchsicherheitsnachweis wird durch einen Sicherheitszuschlag abgesichert. Sind nun Ursache und Wirkung der Schwachstellen im Reaktor von Beznau nicht mit vollständiger Sicherheit bestimmbar, muss dieser Sicherheitszuschlag erhöht werden. Damit würde der Grenzwert wohl überschritten, was zu einer endgültigen Ausserbetriebnahme der Anlage führen würde. Die Entscheidungsgrundlage für einen Weiterbetrieb von Beznau 1 fehlt Die Studie des Öko-Instituts verweist in der Beurteilung der vorhandenen Informationen wiederholt auf die Untersuchungen in den belgischen AKW in Doel und Tihange. Daraus ergeben sich unter anderem folgende Empfehlungen und zu berücksichtigende Aspekte: • Transparenz schaffen: Axpo und ENSI veröffentlichten nur sehr begrenzt interpretierbare Informationen. Im Sinne einer hohen Transparenz und Nachvollziehbarkeit sollten sowohl der Betreiber Axpo als auch die Aufsichtsbehörde ENSI alle relevanten Angaben vorlegen. • Eignung des Prüfverfahrens klären: In Beznau wurde dasselbe Prüfverfahren mit Ultraschall angewendet wie in Belgien. Das ist nur dann zulässig, wenn die Schwachstellen in den Druckbehältern der dortigen AKW Doel und Tihange dieselbe Ursache haben wie jene in Beznau. Sollte sich bestätigen, dass den Ultraschallbefunden in Beznau 1 andere Ursachen zugrunde liegen als den Befunden in Belgien, sollte die Übertragbarkeit des Ultraschallverfahrens auf die Anzeigen in Beznau 1 dargelegt werden. • Ursachen klären: Die von der Axpo durchgeführte Ursachenanalyse für die Schwachstellen («Root-Cause-Analysis») stellt nur einen indirekten Nachweis mit allen damit verbundenen Unsicherheiten dar. Die Ultraschallanzeigen selbst können nur Auskunft über die Lage, Grösse und Form der Anzeigen innerhalb des RDBRinges geben. Beide Verfahren bieten somit keine vollständige Sicherheit bei der Feststellung der Ursache der Schwachstellen. Die erhält man nur mit zerstörender Prüfung von Originalmaterialproben des RDB-Ringes mit vergleichbaren Ultraschallanzeigen. • Sicherheitszuschlag aufgrund fehlender Informationen: Sowohl in Beznau als auch in Doel und Tihange werden die neu vorgefundenen Anzeigen bislang auf herstellungsbedingte Fehler zurückgeführt. Allerdings liegen weder in Beznau noch in Doel oder Tihange aus der Herstellungsprüfung Erkenntnisse zu derartigen Befunden vor. Da keine Informationen über den tatsächlichen Zustand des Druckbehälters nach der Herstellung vorhanden sind, kann auch nicht sicher ausgeschlossen werden, ob sich die gefundenen Anzeigen aufgrund von betrieblichen Vorgängen verändert haben, also gewachsen sind. • Zusätzliche Schwächung des Druckbehälters einberechnen: Die 2015 entdeckten 925 Schwachstellen im Druckbehälter stellen eine zusätzliche Schwächung dar. Diese muss einberechnet werden. Die bisher existierenden SprödbruchReferenztemperaturen wurden noch vor Bekanntwerden der Anzeigenbefunde generiert. Sie wurden mit dem optimistischsten Verfahren («Master-Curve-Verfahren Variante A») bestimmt und berücksichtigen noch nicht einen wegen der Schwachstellen zu berücksichtigenden Sicherheitszuschlag. Die Sprödbruch-Referenztemperatur nach dem klassischen und vorsichtigen Verfahren (RTNDT) sollte ebenfalls angegeben werden, um aufzuzeigen, inwieweit der Grenzwert der AusserbetriebnahmeVerordnung mit dieser Methode bereits überschritten ist. • Auswirkung auf Gesamtsicherheit des AKW darlegen: Die Auswirkungen der Schwachstellen auf die Gesamtsicherheit der Anlage sind noch darzulegen. Dabei muss gezeigt werden, ob das Konzept des «Schutzes in der Tiefe» (Zwiebel-Prinzip, mehrere Schutzbarrieren zwischen Radioaktivität und Umwelt) eingehalten werden kann. Dieser Nachweis müsste mit konservativen Annahmen und unter voller Berücksichtigung der vorhandenen Unsicherheiten geführt werden. Kann der Nachweis nicht mit der erforderlichen Sicherheit geführt werden, darf einem Weiterbetrieb nicht zugestimmt werden. Fazit Greenpeace Greenpeace Schweiz verlangt von der Axpo, sämtliche in der Studie dargelegten Empfehlungen einzuhalten beim Nachweis der Sicherheit von Beznau 1 und die offenen Fragen zufriedenstellend zu beantworten. Dies muss in einem transparenten Verfahren geschehen. Die Studie des Öko-Instituts zeigt, dass die Hürden für den Nachweis der Sicherheit von Beznau 1 riesig, wenn nicht sogar unüberwindbar sind. Die wirtschaftliche Vernunft und die Verantwortung gegenüber der Bevölkerung dies- und jenseits des Rheins gebieten es daher, möglichst rasch einen Schlussstrich unter die «Causa Beznau» zu ziehen und das gesamte Werk definitiv stillzulegen. 12. Mai 2016
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