S E E L E N V E R W A N D T E Bei mir bist du schön Fast jeder kennt das Gefühl, sich von einem anderen fraglos verstanden und angenommen zu fühlen. Drei Beziehungsduos erzählen, warum sie beieinander ganz sie selbst sein können. P R OTO KO L L E 52 CHRISTINE HAAS SPIEGEL WISSEN F OTO S 1 / 2016 LÊMRICH S E E L E N V E R WA N DT E {1} „Wir ergänzen uns“ T E RE SA WE RNE R , 2 5 , U N D C R I ST I A N A CR U Z , 2 9 Das Paar lernte sich in Brasilien kennen: Teresa lebte dort während eines Auslandsjahrs bei Cristianas Familie. Die beiden waren zuerst nur gute Freundinnen – bis sie sich ineinander verliebten. Seit sechs Jahren leben sie in Köln in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Cristiana Cruz und Teresa Werner: „So offen zu sein habe ich erst durch sie gelernt“ 54 zentig man selbst. Teresa kann ich wirklich alles erzählen. Wenn ich jemanden auf der Straße sehe und denke „Oh, die ist schön!“, dann sage ich Teresa das, und es ist kein Problem für sie. So offen zu sein habe ich erst durch sie gelernt. TERESA WERNER: Zwischen uns herrscht einfach eine angenehme Stimmung. Am besten lässt sich das beschreiben durch die Art und Weise, wie wir zusammen reisen: Cris fährt sehr gern Auto, ich hingegen gar nicht. Ich bin aber eine sehr gute Kopilotin, die den Weg heraussucht. Wir können uns sehr gut auf Musik einigen und genießen es dann, dass wir auf der Fahrt zusammen sind. Wir ergänzen uns sehr gut. Und so fühlt es sich immer an. Wir verbringen sehr gern sehr viel Zeit miteinander, ohne dass wir etwas Besonderes machen müssen. Es wird nie langweilig, und das kommt eben auch dadurch, dass wir so unterschiedlich sind. Cris ist sehr emotional und spirituell. Sie erzählt mir von Dingen, auf die ich allein niemals gekommen wäre. Zum Beispiel habe ich mich durch sie mit dem Gesetz der Anziehung auseinandergesetzt, das besagt, dass positive Gedanken positive Dinge hervorrufen. Wenn ich mit ihr zusammen bin, habe ich ständig dieses gute Gefühl, dass ich bereichert werde. Und ein wichtiger Punkt ist auch, dass wir uns fast nur auf Portugiesisch unterhalten. Ich fühle mich besser, wenn ich Portugiesisch spreche. Ich kann dann anders sein, als wenn ich Deutsch rede; lustiger, netter. Wenn wir uns in dieser Sprache unterhalten, sind wir auf einer besonderen Ebene. SPIEGEL WISSEN 1 / 2016 ALINA EMRICH & KIÊN HOÀNG LÊ / SPIEGEL WISSEN CR IST IA NA C R U Z: Es fühlt sich zum ersten Mal alles richtig an. In den Beziehungen davor hatte ich immer so ein komisches Gefühl. Da wusste ich natürlich nicht, was genau fehlt, ich kannte Teresa ja noch nicht. Aber seitdem wir uns kennen, weiß ich, dass sie es war. Was wir haben, ist sehr speziell und besonders. Ich kann Teresa immer meine Meinung sagen. Sie denkt manchmal nicht so wie ich, aber sie respektiert und akzeptiert alles, was ich sage. Ich habe keine Angst, ihr die Wahrheit zu sagen. Bei Freunden und der Familie gibt es eine Grenze; bis dahin kann man gehen und nicht weiter. Und wenn das so ist, ist man nicht hundertpro- S E E L E N V E R WA N DT E {2} „Da reicht ein Blick“ TI M LUDW I G , 3 3 , U N D O L I V ER H AAS, 27 Die Freunde lernten sich im Schulchor kennen und schrieben im Urlaub den ersten gemeinsamen Song. Ihr Lehramtsstudium brachten beide zu Ende, wollten danach aber die Musik zu ihrem Lebensinhalt machen. Als SingerSongwriter-Duo „byebye“ touren sie durch Deutschland, spielen pro Jahr bis zu 150 Konzerte in Klubs und Wohnzimmern. Und auch sonst sind sie nie lange getrennt: In ihrer Heimatstadt Leipzig liegt nur ein Stockwerk zwischen den beiden Wohnungen. Wir sind mindestens fünf Tage die Woche zusammen, immer. Entweder sitzen wir zusammen im Auto, stehen zusammen auf der Bühne, sind zusammen im Hotel. Auch wenn wir kein Liebespaar sind: Der Unterschied zwischen einer Eheschließung und einem Bandvertrag ist tatsächlich nicht sehr groß. Es gibt keinen Menschen in meinem Leben, mit dem ich mehr Zeit verbringe. Dadurch kennen wir auch jede Kleinigkeit des anderen. Durch diese Intensität des Zusammenseins ist etwas sehr Besonderes entstanden. Ich würde behaupten, dass man heutzutage in unserer westlichen Gesellschaft nicht nur ein Ich hat; wenn man zu Hause mit sich selbst allein ist, fühlt und gibt man sich anders, als wenn man auf die Straße geht und anderen Menschen begegnet. Jeder spielt verschiedene Rollen. Dieses Verstellen ist bei Tim und mir total weg. Wenn wir zusammen sind, können wir so sein, wie wir auch allein zu Hause sind. Es ist ein sehr enges, vertrauensvolles Verhältnis. Wir können total offen sein. Und das Schöne ist, dass wir dieses Gefühl auch auf die Bühne transportieren können. Tim ist da derjenige, der etwas zurückgezogener ist; ich bin extrovertierter und rede viel. Das entspricht unserem Naturell, das müssen wir bei unseren Auftritten nicht verstecken. Genau deshalb überzeugen wir auch als Band, wir ergänzen uns einfach sehr gut. Ich fühle mich dann immer sehr wohl in meinem Umfeld und merke, dass es dem Publikum oft auch so geht. O LI VE R H AAS : Dann bin ich auch bereit, Lieder zu spielen, die mir aus der Seele sprechen. Von denen ich genau weiß: Das ist ein in Musik umgesetzter Tagebuchtext. Für denjenigen, der zwischen den Zeilen lesen will, gebe ich viel von mir preis und zeige sehr empfindliche Seiten – und dadurch fühle ich mich auch bei den Auftritten ein bisschen wie zu Hause. Deshalb hieß unsere letzte Tour auch „Unterwegs ist das neue Zuhause“. Dieses Gefühl, dass wir auch in unserem Beruf diejenigen sein können, die wir sind – das ist ein ganz großes Glück. Ich spüre überall diese Zufriedenheit mit dem, wie ich bin und was ich mache. Für viele Leute, die 40 oder 50 Stunden in der Woche im Büro sind, ist das vielleicht nicht immer so. Und dieser Luxus ist für mich viel mehr wert als eine finanzielle Sicherheit, die wir so eben eher nicht haben. Dass das alles so funktioniert, basiert auf einem unausgesprochenen Gesetz, einer stillen Gewissheit zwischen Tim und mir. Das klingt jetzt ein bisschen schnulzig, aber wir wissen, dass wir zusammengehören, uns vertrauen und loyal zueinander sind. Wir zweifeln nicht daran, dass wir in einem sehr großen Teil unseres Lebens eine Einheit sind. Natürlich sind wir trotzdem auch mal genervt voneinander oder brauchen Zeit allein. Deshalb ist es wichtig, ab und zu ein bisschen Abstand zu gewinnen und sich nicht nur über das Zusammensein zu definieren. Dieses Nähe/Distanz-Problem gibt es ja in allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn wir einen Tag frei haben, achten wir auch darauf, mal Dinge allein SPIEGEL WISSEN Tim Ludwig und Oliver Haas: „Natürlich sind wir trotzdem auch mal genervt“ 1 / 2016 55 Tim Ludwig und Oliver Haas: „Ich habe keine Angst, dass etwas kaputtgehen könnte“ „Ich glaube, genau an den Stellen, wo uns jeweils der Mut fehlt, ist der eine für den anderen da.“ zu machen und uns Freiräume zu geben. Damit muss man sensibel umgehen, aber das gelingt uns mittlerweile sehr gut, weil wir offen darüber reden. Durch diese Gespräche und durch die Konflikte denkt man viel darüber nach, wie man ist und wie man sein möchte. Ich bin zu einem sehr reflektierten Umgang mit mir selbst gekommen. Ich wusste schon in der Endphase des Studiums, dass ich nicht in diese normale Berufswelt will. Deshalb habe ich bereits damals alles auf die Musik ausgerichtet, Gitarrenunterricht gegeben und in Coverbands gespielt. Irgendwann hat es mir aber nicht mehr gereicht, nur Musik von fremden Leuten zu spielen; ich wollte eigene Sachen machen. Es ist aber gar nicht so einfach, immer neue Songs zu schreiben – du musst ja ständig etwas zu erzählen haben. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich Olli gefunden habe. Ohne ihn hätte ich nicht den Mut gehabt, mich komplett auf die eigene Musik auszurichten. Ich glaube, genau an den Stellen, wo uns jeweils der Mut fehlt, ist der eine für den anderen da. Das ist das Besondere: Wir stützen und befruchten uns T I M LU DW I G : 56 gegenseitig, das könnte ich mir mit niemand anderem vorstellen. Die Songs, die Olli schreibt, sind wunderschön. Sie spiegeln immer genau das wider, was ich denke und fühle. Wir haben die gleichen Werte, uns sind ähnliche Dinge wichtig, wir wollen das Gleiche vom Leben. Zum Beispiel ist bei uns beiden der Wunsch groß, unser Publikum kennenzulernen. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als auf eine Bühne zu gehen und vor einer riesigen Menge aufzutreten, und ich weiß überhaupt nicht, was das für Menschen sind. Deswegen machen wir in neuen Städten zu Beginn gern einige Wohnzimmerkonzerte, fahren zu Leuten nach Hause, schlafen dann auch bei ihnen und lernen sie kennen. Und wenn wir dann wieder in die Stadt kommen und in einem Klub spielen, sind Menschen im Publikum, deren Geschichten und Mentalitäten man kennt. Und sie mögen neben unserer Musik vielleicht auch uns und ticken auf einer bestimmten Ebene so wie wir. Das ist ein total schönes Gefühl. Das haben Olli und ich uns zusammen aufgebaut. Dabei ist es ganz wichtig, dass man sich angemessen kritisieren kann. Wenn einer dem anderen einen neuen Song zeigt, dann ist das ein magischer Moment. Da ist man in einem Bereich, der für einen selbst total heilig ist, wo man auf Kritik sehr emotional reagiert. Und da hat sich bei uns etwas Gutes entwickelt: Es ist das Vertrauen da, dass wir zusammen schon eine Lösung finden werden, wenn einem etwas nicht gefällt. Ich habe keine Angst, dass etwas kaputtgehen könnte. Und das gilt auch für unsere Freundschaft insgesamt. Wir können uns sagen, wenn uns etwas am anderen stört. Das kommt natürlich vor, wenn man so wie wir ständig zusammen ist. Früher bin ich eher so ein Typ gewesen, der viele Sachen erst einmal runtergeschluckt und abgewartet hat. Aber ich habe gemerkt, dass das nicht gut ist. Manchmal stören einen ja nur Kleinigkeiten, aber die füllen dann einen Tank auf, und der läuft irgendwann über. Dann kommt es zum Streit, und man lässt alles auf einmal raus. Das gibt es bei uns nicht mehr. Wir haben beschlossen, dass wir einander immer sagen, was wir denken und voneinander halten. Das geht nur mit sehr viel Vertrauen und absoluter Ehrlichkeit. Das ist etwas, wo ich mich sehr stark entwickelt habe durch Olli. Natürlich darf man auch nicht alles zerreden, aber wir haben genau das richtige Maß gefunden. Dadurch wissen wir so viel voneinander, dass wir sofort sehen, ob es dem anderen gut oder schlecht geht. Da reicht ein Blick. Das finde ich etwas sehr Schönes, dass man jemanden so gut kennt, dass man das so schnell sieht. Man weiß dann, wenn ein Moment ist, in dem man den anderen besser in Ruhe lässt. Und wenn es mir schlecht geht, weiß ich immer, wo ich hingehen kann. Das ist eine super Sache. SPIEGEL WISSEN VIDEO: Seelenverwandte durch die Musik spiegel.de/sw012016byebye 1 / 2016 ALINA EMRICH & KIÊN HOÀNG LÊ / SPIEGEL WISSEN S E E L E N V E R WA N DT E {3} „Ich kann ihr alles sagen“ AN IKA U ND M A R EI K E F LÖ R K E , 24 Die Zwillinge gingen zusammen zur Schule, verbrachten die Nachmittage zusammen auf dem Reiterhof, haben den gleichen Abi-Schnitt und dieselbe beste Freundin. Sie wohnen Wand an Wand bei ihren Eltern und fahren jeden Tag gemeinsam zur Universität nach Hannover, wo beide Landschaftswissenschaften studieren. Wir haben immer alles zusammen gemacht. Und auch jetzt ist das noch so: Wir sehen uns den ganzen Tag. Wir schauen morgens ins Zimmer, ob die andere schon wach ist. Tagsüber bereiten wir zum Beispiel Referate gemeinsam vor. Und abends gucken wir zusammen fern. Deshalb denkt man gar nicht darüber nach, wie man sich verhält oder wie das beim anderen ankommt. Das gab es bei uns nie, das kann es ja auch einfach nicht gegeben haben, weil wir schon von Beginn an zusammen sind. Wir teilen seit der Kindheit sehr viele Erfahrungen. Mareike war bei allen Erlebnissen, die für mich wichtig waren, dabei. Dadurch haben wir eine sehr enge Verbindung. Wenn man etwas erzählt, weiß der andere, worum es geht, kann Gedanken sofort nachvollziehen. Das ist total schön; bei anderen muss man viel mehr erklären. Ich bin eher ein schüchterner Typ und bei anderen Leuten zurückhaltend. Aber wenn wir zusammen sind, reden wir ständig. Ich weiß noch genau, bei der Arbeit haben wir uns mal die ganze Zeit unterhalten, und dann AN IKA FLÖ R K E : Anika und Mareike Flörke: „Man hat immer einen auf seiner Seite“ meinte unsere Chefin: „Wie kann das sein, dass ihr euch so viel zu erzählen habt? Ihr seht euch doch den ganzen Tag.“ Das ist ein wichtiger Punkt: Wir sind uns sehr ähnlich, können uns stundenlang über das Gleiche aufregen. Und es ist dieses Gefühl von Sicherheit, wenn der andere dabei ist. Man weiß, man hat immer einen auf seiner Seite. Man ist mutiger, sich durchzusetzen, und forscher zu sagen: Wir machen das jetzt so. Bei anderen wäre ich vorsichtiger, würde meine Meinung nicht so durchsetzen. Das Besondere zwischen uns ist die Selbstverständlichkeit. Andere Beziehungen muss man pflegen und daran denken, sich zu melden. Das ist bei uns nicht so, Anika ist einfach immer da. Wenn wir uns mal streiten, entschuldigen wir uns nicht beim anderen. Das ist nach einer halben Stunde vergessen. Bei Freunden ist das anders. Wenn man sich bei denen über etwas geärgert hat, muss man es besprechen – und wenn nicht, dann wird das manchmal Monate später wieder herausgeholt. Anika trage ich nie etwas nach und umgekehrt auch nicht. Deshalb wissen wir auch, dass die andere immer ehrlich ist. Ich kann ihr alles sagen, sie ist der erste Ansprechpartner und die wichtigste Bezugsperson. Wenn ich mich nicht entscheiden kann, dann frage ich sie und mache es dann genau so, wie sie es mir rät. Auch wenn ich ein Problem habe, diskutiere ich mit ihr alles aus. Und es ist bei Anika auch total egal, wie oft und wie lange ich davon erzähle. Sie hört sich das immer an – auch dann noch, wenn andere sagen würden: Jetzt ist aber mal gut. Wir verstehen einfach, dass der andere das gerade braucht. MAREIKE FLÖRKE: SPIEGEL WISSEN 1 / 2016 57
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