Detlef Kuhlmann Vorsitzender des Fakultätentages Sportwissenschaft Begrüßung (Symposium „Sportwissenschaft 2030“ 22. April 2016 in Frankfurt) Anrede Wir erleben hier und heute ein Premiere: Noch nie in seiner jungen Geschichte ist der Fakultätentag Sportwissenschaft als Veranstalter einer Tagung in Erscheinung getreten. Manche von Ihnen werden sich vielleicht sogar gefragt haben, warum unser heutiges Symposium mit „Sportwissenschaft 2030“ überschrieben ist. Hätte nicht auch „2020“ gereicht? Wir haben im Vorstand lange darüber nachgedacht und uns dann für 2030 entschieden. Denn wir können heute schon die Weichen dafür stellen, wie unser Fach in knapp 15 Jahren aussehen soll. Dazu müssen wir in Generationen denken. Richten wir also den Blick auf diejenigen jungen Leute, die in Kürze ein Studium der Sportwissenschaft aufnehmen werden. Lassen Sie mich dazu kurz auf zwei von ihnen etwas näher eingehen; nennen wir sie für heute Maria und Mesut. Sie machen gerade Abitur. Beide sind für den 25. Mai in Hannover zum sog. Eignungsfeststellungsverfahren angemeldet, das zwar mit deutlich weniger als 19 Prüfungen nicht so breit angelegt ist wie das an der Deutschen Sporthochschule Köln, dafür in einzelnen leichtathletischen Disziplinen aber sogar mehr als dort verlangt. Wenn Maria und Mesut bei uns durchfallen, macht das nichts. Sie können sich zum Wintersemester auch in Osnabrück ohne Eignungsfeststellung einschrieben. Vielleicht werden sie aber auch zum Studium nach Nordrhein-Westfalen (NRW) gehen. Beide kommen aus Bückeburg, da bieten sich Paderborn und Bielefeld zusammen mit Münster und Dortmund ganz gut an. Dort brauchen sie während des Studiums noch nicht einmal groß präsent sein. NRW hat die Anwesenheitspflicht abgeschafft. Und was speziell unser Fach angeht – nur soviel: Bewegungsabläufe lassen sich auch digital hervorragend demonstrieren. Man kommt dabei nicht einmal ins Schwitzen ... NRW ist für Maria und Mesut auch deswegen viel attraktiver als Niedersachsen, weil sie dort (Bologna sei Dank!) das Lehramtsstudium im Fach Sport auch z.B. mit Biologie und Physik kombinieren können, was nicht überall in Deutschland geht. Mesut liebäugelt aber auch mit Sportökonomie. Das kann er zwar an keiner Uni in Niedersachsen studieren, dafür aber z.B. an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Salzgitter oder sogar im Fernstudium an der staatlich anerkannten privaten „Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement“ – sorry, ich verliere mich jetzt im Einzelfall und bin auf einem Nebenschauplatz gelandet. Wir müssen das Jahr 2030 im Blick halten: Maria und Mesut haben bis dahin beide den höchsten akademischen Abschluss in unserem Fach erworben. Sie konnten an verschiedenen Förderprogrammen partizipieren, sie sind als Nachwuchskräfte etabliert und engagiert – kurz: Sie gehören jetzt zu denjenigen, die sich bundesweit auf eine Professur bewerben. Auf welche „Sportwissenschaft 2030“ werden sie treffen? An welchen Standorten (Unis, PHs, FHs, privaten Hochschulen) ist unser Fach dann vertreten? Und: Welches Profil (oder sollte ich besser sagen: welche Profile?) zeichnet unser Fach dann aus? Diese noch recht allgemeinen Fragen lassen sich in viele weitere zerlegen. Ich beschränke mich auf eine unsortierte Auswahl: Wie viel Sport verträgt unser Fach im Jahre 2030? Oder haben wir unseren Gegenstand bis dahin längst aufgegeben und sind dem Diktat der Drittmittelforschung gefolgt, können uns mit Reputation und Anschlussfähigkeit an der Peripherie oder außerhalb des Sports wunderbar schmücken? Damit hängt zusammen: Wer wird 2030 unsere Forschungen finanzieren? Haben wir beispielsweise bis dahin die DFG überzeugen können, einen eigenständigen Fachbereich Sportwissenschaft einzurichten? Damit hängt zusammen: Welche Arbeits- bzw. Forschungsbereiche geben 2030 unserem Fach dann seine Architektur? Ist z.B. die Krise der Trainingswissenschaft, die wir heute beklagen, bis dahin überwunden? War das „Comeback“ der Sportgeschichte erfolgreich? Damit hängt zusammen: Wie werden wir 2030 innerhalb der Universität verankert sein? Immer noch vorzugsweise als eigenständige Institute in größeren Fakultäten oder mehr als autonome Fakultäten, wie dies z.B. heute schon in München, Leipzig und Bochum der Fall ist? Oder gar nicht mehr als Sportwissenschaft? Damit zusammen hängt: Wie werden wir unser Fach 2030 bezeichnen? Und schließlich ist dann doch noch eine etwas allgemeinere Frage zu stellen: Was macht 2030 unsere Fachkultur aus – egal, ob wir damit unsere Kommunikationskultur, unsere Tagungskultur, Diskussionskultur, Publikationskultur, Zitationskultur, Begutachtungskultur, Evaluationskultur, Rankingkultur, Akkreditierungskultur, Berufungskultur, unsere Genderkultur, unsere Organisations- und Gremienkultur meinen etc. etc.? Ich breche hier ab: Wir dürfen Maria und Mesut nicht aus den Augen verlieren. Nicht alle, aber einige von uns werden den beiden im Jahre 2030 begegnen. Sie können ihnen dann davon erzählen, dass wir uns heute schon über sie Gedanken gemacht und die Frage gestellt haben: „Wohin will die Sportwissenschaft?“ Verstehen Sie daher, meine sehr verehrte Damen und Herren, unser heutiges Symposium als eine „ergebnisoffene Zukunftswerkstatt“, bei der Sie alle mitwirken dürfen. Der Fakultätentag Sportwissenschaft, der Sie alle dazu eingeladen hat, kommt damit im Grunde nur seiner satzungsgemäßen Aufgabe nach, nämlich „an der Entwicklung der Hochschulen im Bereich der Sportwissenschaft koordinierend mitzuwirken“. Dieser Aufgabe stellen wir uns an diesem Vormittag. Vielleicht werden uns Maria und Mesut dafür einmal dankbar sein – aber erstmal danke ich Ihnen!
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