Inhalt dieser Ausgabe - beim Geraer/ Sozialistischen Dialog

Hefte für marxistische Theorie und sozialistische Politik
Bulletin
Ausgabe 48 / März 2016
Spendenempfehlung: 1€ + Porto
Inhalt dieser Ausgabe:
Editorial
Seite 2 2 Syrienkrieg und Völkerrecht
Gespaltene Entwicklung
Seite 3
Zielscheiben des Westens
Friedenskampf als ein Hauptfeld des
Klassenkampfes
Seite 7
Friedensstifter?
Seite 30
Friedenspolitische Konferenz in Berlin
Frieden statt NATO
Seite 13
Programm der Konferenz
Seite 31
Am Krieg gescheitert
Seite 15
Impressum
Seite 32
Syrien, der "Krieg gegen den Terror",
Linke und Friedensbewegung
Seite 19
Seite 24
Seite 28
editorial...
Das Bulletin 48/März 2016 des Geraer
Sozialistischer Dialog steht ganz im
Zeichen der Friedenspolitischen Konferenz der LINKEN am 18. und 19.
März 2016.in Berlin. Wichtige Themen
der Konferenz sind: „Nach dem Scheitern des *War on Terror’ – für einen
New Deal gegen Krieg, Fundamentalismus und Gewalt“, „Krieg schafft keinen Frieden. Linke Strategien gegen
Terror und Krieg“, „Umbruch der
Weltordnung und neue Imperiale Akteure?“, „Linke Alternativen für eine
neue Friedenspolitik und „Strategien
für eine neue Friedensbewegung“
100 Jahre nach der im Januar 1916
begonnenen „Hölle von Verdun“ im
Ersten Weltkrieg gab es in Syrien ähnliche militärische Höllenszenarien.
Der Waffenstillstand am 23. Februar
war ein Hoffnungszeichen, mehr wohl
aber nicht. Der Krieg gegen den Terror
ist selbst zum Terror geworden. Die
NATO-Politik der militärischen Einkreisung der Russischen Föderation
hält an. Polen, die Baltischen Staaten,
Ungarn, Bulgarien, Tschechien und
die Slowakei werden zu militärischen
Basen der NATO ausgebaut. Die Welt
ist voller Kriege und die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Bundeswehr dabei.
Von der militärischen Zurückhaltung
in der Zeit der Systemkonfrontation
hat die Bundesrepublik sich längst
verabschiedet. Sie war und ist Kriegspartei in allen kriegerischen Konflikten seit 1999. Die Ausgaben für
„Verteidigung“ lagen 2006 bei 27,9
Mrd. Euro oder 19 Prozent des Gesamthaushaltes. 2016 betragen sie
34,4 Mrd. Euro oder 23 Prozent. Die
Bundeswehr nimmt derzeit an 18 laufenden Auslandseinsätzen mit rund
4.000 Soldaten teil, darunter in Afghanistan mit 850 Soldaten, im Irak mit
50 Ausbildern und mit 737 Soldaten
im Kosovo. Es geht „Schlag auf
Schlag“.. Am 4. Dezember 2015 beschloss der Bundestag die Teilnahme
am Syrien-Krieg. Am 18. Januar 2016
ließ Verteidigungsministerin Ursula
von der Leyen verlauten, sie könne
einen Einsatz der Bundeswehr in Libyen „nicht mehr auszuschließen“. Am
22. Februar wurde ein detaillierter
Plan des US-amerikanischen Präsidenten bekannt, in Libyen militärisch zu
2
intervenieren, gegebenenfalls auch,
bevor dort eine einheitliche Regierung
gebildet wird.
Zu Kriegen gehören Waffen, im Jahr
2014 verdoppelte die Bundesrepublik
den Export von Kriegswaffen. Auf Kritik reagierte Sigmar Gabriel mit dem
Versprechen einer entschieden strengeren Exportkontrolle für deutsche
Waffen. Ungeachtet dessen erhöhte
sich der Wert der Waffenexporte von
2014 auf 2015 von 6,5 auf 7,5 Mrd.
Euro. Darunter waren Leopard IIKampfpanzer für das Emirat Katar im
Werte von 1,6 Mrd. Euro. Was sind die
Worte eines Wirtschaftsministers mit
dem Parteibuch der SPD Wert angesichts der Profitinteressen der deutschen Rüstungsindustrie?
Zu den einzelnen Beiträgen dieser
Ausgabe des Bulletins:
Wir stellen an den Anfang dieses Bulletins das Referat von Dr. Arnold
Schölzel, Chefredakteur der jungen
Welt, auf der Mitgliederversammlung
des Geraer Sozialistischer Dialog am
13. Februar 2016 in Berlin unter dem
Thema „Gespaltene Prozesse“ und zur
Lage in der Partei DIE LINKE, angesichts der gesellschaftlichen Situation
zu Beginn des Jahres 2016.
Aus der Feder von Prof. Dr. Anton
Latzo stammt der Beitrag „Der Schoß
ist fruchtbar noch, Friedenskampf als
ein Hauptfeld des Klassenkampfes“.
Seine zentrale These: „Nach der Konterrevolution und der Restauration
des Kapitalismus in der Sowjetunion
und in den sozialistischen Staaten in
Europa ist die Rückkehr des Krieges
als Mittel der imperialistischen Mächte zur Durchsetzung politischer Ziele
zum kennzeichnenden Merkmal des
Alltags im Kapitalismus geworden“.
„Frieden statt NATO“ lautet der Beschluss der Bundesversammlung des
Geraer Sozialistischer Dialog vom13.
Februar 2016, in dem wir unsere Position zur Friedensfrage darlegen, unter
anderem mit der Einschätzung: „Die
NATO und die besondere der USAImperialismus tragen die Hauptverantwortung für diese menschenverachtende, den Weltfrieden gefährdende Situation.“
Der Beitrag von Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP, „Am Krieg gescheitert“ beschäftigt sich mit der Geschichte der deutschen Linken zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Der DKPVorsitzende schreibt über Konsequenzen und Aufgaben, die sich aus dieser
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Geschichte und aus einem marxistischen Verständnis der Weltlage von
heute ergeben. .
„Syrien, der Krieg gegen den Terror,
Linke und Friedensbewegung“ ist das
Thema des Beitrages der Friedensaktivistin von Doris Pumphrey. „Seit dem
Ende der Sowjetunion – und mit ihr
des Warschauer Vertrages – befinden
sich die USA (mit wechselnden Gruppen von Verbündeten)“, so die Autorin, „in einer permanenten Aggression
gegen andere Länder, direkt mit eigenen militärischen Interventionen oder
indirekt mit finanzieller, geheimdienstlicher und militärischer Unterstützung von Oppositionsgruppen und
mit regionalen Verbündeten, um sich
die Welt ihren Interessen unterzuordnen.“
Gregor Schirmer, Professor für Völkerrecht, widmet sich dem Thema „Syrien
und das Völkerrecht“. Dieser Beitrag
beginnt mit den Fragen „Was geht in
Syrien eigentlich vor? Kann man das
tödliche Durcheinander überhaupt
mit rechtlichen Mitteln erfassen? Das
ist in der Tat schwierig. Maßstab ist
vor allen die UNO-Charta, an die all
am Konflikt direkt oder indirekt beteiligten als Mitglieder der UN gebunden
sind.“ In sechs Punkten behandelt der
Autor als Völkerrechtler seine Sicht
zur Situation in Syrien und fasst diese
in den Sätzen zusammen: „Alles in allem: Wir haben es in Syrien mit einer
ziemlich verworrenen Verquickung
von Bürgerkrieg, internationalem
Krieg, der auf der einen Seite eine Aggression westlicher Länder ist und auf
der anderen Seite eine Selbstverteidigung Syriens, sowie flächendeckendem Terror und Massenflucht zu tun.“
Im abschließenden Beitrag
„Zielscheibe des Westens“ erläutert
und belegt Domenico Losurdo die bereits im Untertitel vertretene Position:
„Die US-geführten Interventionen der
vergangenen Jahre haben sich immer
gegen Länder mit antikolonialer Revolution gerichtet. Das Hauptaugenmerk
gilt Russland und China“.
Abschließend veröffentlichen wir die
Einladung mit dem Programmablauf
zur Friedenspolitischen Konferenz der
Partei DIE LINKE in Berlin. Auf eine
Buchvorstellung und auf Artikel zu
weiteren aktuellen Themen haben wir
in dieser Ausgabe verzichtet.
Anton Latzo Ekkehard Lieberam
Renato Lorenz Jochen Traut
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Gespaltene
Entwicklung
Mit „gespaltener Entwicklung“
kennzeichne ich mehrere Prozesse.
Am wichtigsten erscheint mir dabei der als dritte industrielle Revolution, Digitalisierung der Wirtschaft oder mit einem Terminus
aus der DDR als wissenschaftlichtechnische Revolution bezeichnete
Entwicklung insbesondere der
technischen Produktivkräfte. Die
Geschwindigkeit der Entwicklung
ist durch den Rhythmus, in dem
sich die technischen Entwicklungen auf diesem Gebiet abspielen,
charakterisiert. Das Smartphone
gibt es seit knapp zehn Jahren, es
steht für eine Miniaturisierung der
benötigten Prozessoren, die für
alle wirtschaftlichen Gebiete von
umwälzender Bedeutung ist. Der
Prozeß dieser Verkleinerung und
gleichzeitiger Erhöhung der Rechengeschwindigkeit ist noch
längst nicht am Ende.
Unmittelbar verbunden mit dieser
Entwicklung ist eine Qualifizierung von hunderten Millionen
Menschen auf mathematischtechnischem Gebiet, von einem
Zuwachs an wacher Intelligenz, an
allerdings unorganisierter illusionsloser Analysefähigkeit gesellschaftlicher Lagen – bei Fehlen
einer wissenschaftlichen Weltanschauung – und bei gleichzeitiger
Dequalifizierung von wahrscheinlich Milliarden Berufstätigen. Das
hat Folgen für die Produktionsverhältnisse. Konzentration und Zentralisation, Monopolbildung gehen
in großen Schüben voran. Die kalifornischen Internetkonzerne sind
heute die an den Börsen am höchsten bewerteten Monopole der
Welt. Apple hat allein ungefähr
200 Milliarden US-Dollar in Vermögenswerten angelegt. Die deutAusgabe 48 März 2016
sche Industrie hat den Anspruch
aufgestellt, beim Internet der Dinge, der sogenannten Industrie 4.0,
die Nase weltweit vorn zu haben
und die Softwarestandards zu setzen. Was daraus wird, ist offen.
Aber am 9. Februar 2016 berichteten verschiedene Medien, Bosch
trete im Zukunftsgeschäft mit der
Vernetzung des Alltags mit einem
eigenen Cloud-Dienst gegen die
Konkurrenz an. Konzernchef Volkmar Denner erklärte in Berlin, der
Service sei „das letzte Puzzleteil in
unserer Softwarekompetenz“. Damit werde Bosch zu einem Komplett-Anbieter für Vernetzung und
das sogenannte Internet der Dinge.
Bosch starte zunächst in Deutschland mit einem eigenen Rechenzentrum in der Nähe von Stuttgart.
Es gebe aber einen klaren Plan für
einen weltweiten Ausbau, betonte
Denner ohne nähere Details. Er
erklärte: „Die Vernetzung der Welt
ist ein ganz zentraler Kern der
Bosch-Strategie.“ In den Medienberichten hieß es, der eigene CloudService bringe den Konzern stärker in Wettbewerb zu Diensteanbietern wie IBM, Cisco, SAP oder
Amazon.
Die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung, insbesondere in
den Eigentumsverhältnissen, sind
noch unüberschaubar. In einem
Auszug aus einem Buch, das 2017
erscheinen soll, beschrieb die USWissenschaftlerin Shoshanna Zuboff am 3. März in der FAZ die sich
daraus entwickelnde „Unterart des
Kapitalismus“ als „Überwachungskapitalismus“. In Worten, die in
mancher Hinsicht an Hilferdings
Beschreibung des Übergangs von
der Freiheit des Kapitalismus der
freien Konkurrenz zur alles durchdringenden Herrschaft der Monopole, beschrieb sie dessen Konsequenzen: „Der Überwachungskapitalismus führt zu keiner Erosion
der Entscheidungsrechte – zusammen mit deren Ursachen und Wirkungen –, sondern zu einer Neuverteilung. Nun haben nicht mehr
viele Menschen einige Rechte,
vielmehr konzentrieren sich diese
Rechte innerhalb des Überwachungsregimes und eröffnen damit
eine neue Dimension sozialer Ungleichheit. Der Überwachungskapitalismus reicht über den herkömmlichen institutionellen Bereich des Privatunternehmens
hinaus. Er akkumuliert nicht nur
Überwachungstechniken und Kapital, sondern auch Rechte. (...)Im
Ergebnis bringt der Überwachungskapitalismus eine zutiefst
antidemokratische Macht hervor,
die einem Putsch nahekommt,
allerdings keinem coup d’état im
herkömmlichen Sinne, der dem
Staat gilt, sondern einem coup des
gens, der den Menschen ihre Souveränität nimmt. Er stellt Prinzipien und Praktiken der Selbstbestimmung – im psychischen und
sozialen Leben, in Politik und Regierung – in Frage, für die die
Menschheit lange gelitten und
große Opfer gebracht hat.“
Zuboff beschreibt so die andere
Seite der gespaltenen Entwicklung: Der Progression der Technik
entspricht umfassende gesellschaftliche Regression, Produktivkräfte werden mit ihrer Anwendung zu Destruktivkräften. Es geht
dabei nicht nur um die technisch
nun leicht handhabbare Überwachung und vor allem kapitalistisch
verwertbare Vorhersage des Verhaltens von Milliarden Menschen,
wie Zuboff meint. Es geht um ein
Zurückbleiben der gesellschaftlichen Entwicklung hinter dem Voranstürmen zu einer technologischen Basis, die nur unter sozialistischen Verhältnissen nicht zur
Katastrophe, zur Fesselung von
Emanzipation wird. Es wird, lässt
sich sagen, vor unseren Augen die
materiell-technische Basis des
Kommunismus geschaffen. Ihre
Inbesitznahme durch den Kapitalismus hat verheerende Folgen:
Wer sich nicht für diese Technik
qualifiziert, riskiert die Ausgrenzung aus der Gesellschaft. In den
entwickelten kapitalistischen Ge3
sellschaft bildet sich eine nicht
unbeträchtliche Minorität von 30
bis 40 Prozent der Bevölkerung,
deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht vorgesehen ist.
Vielmehr sind lebenslange Armutskarrieren, Vorenthalten von
Bildung und Kultur bis hin zur
absoluten Verelendung gewollt.
Die Nichtteilnahme fast der Hälfte
der Bevölkerung am politischen
Leben, etwa die Teilnahme an
Wahlen, ist einkalkuliert.
Ökonomische Konsequenz: Dauerkrise, Vergrößerung der Ungleichgewichte, Stärkerwerden der
Stärksten, speziell D. und USA.
Ausnahme, gewissermaßen abgespalten, aber nicht außerhalb, ist
China, das offenbar ökonomisch,
formationstheoretisch anders zu
betrachten ist: Eine Gesellschaftsordnung eigener Art, die asiatische Produktionsweise in ganz
anderer Bedeutung als von Marx
gemeint.
Eine weitere Folge ist die Verknüpfung dieser Spaltung in Vorwärts und Rückwärts mit einer
permanenten wirtschaftlichen
Krise. Was im August 2007 mit
der Hypothekenkrise in den USA
begann, ist nach neun Jahren in
keiner Form gelöst - siehe Lucas
Zeise: Überakkumulation und Unterkonsumtion sind die entscheidenden klassischen Merkmale
und zwar auch im Finanzsektor: Es
gibt ein Überangebot an liquiden
Geldmassen (von Warren Buffett
als Massenvernichtungswaffen
bezeichnet) und mangelnde Geldbzw. Kreditnachfrage auf der anderen Seite. Andererseits: Die Konzerne verdienen genug, Das
„Handelsblatt“ meldete am 8. März
neue Redkordzahlen bei den Dividendenauszahlungen der DaxKonzerne (38 Milliarden Euro).
Bislang steckt VW zehn Milliarden
Verlust aus dem Abgasbetrug mit
Leichtigkeit weg, die RusslandSanktionen wurden von der deutschen Großindustrie mit Exporten
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in die USA überkompensiert. Gravierender ist eher der Ausfall der
Nachfrage in einzelnen Ländern
wie z. B. Frankreich, das zum ersten Mal seit Jahrzehnten 2015
nicht mehr größter Handelspartner der Bundesrepublik war.
Exkolonien nicht mehr bezahlen
kann, wenn es seine militärischen
Fähigkeiten völlig überdehnt hat,
springt Berlin militärisch und finanziell ein – aber nicht mehr als
Juniorpartner wie 1991 beim USGolfkrieg, sondern als Führungsnation, die für Stabilität im eigeDas ist nicht ein einfacher Wider- nen Beritt sorgen muss. Die Notspruch wie gewöhnlich, es ist
wendigkeit, die Führungsposition
Sprengstoff der Weltwirtschaft.
auch militärisch unter Beweis zu
Zerohedge beziffert die Auslands- stellen, ist da und diese Führungsverschuldung der Schwellenlänaufgabe wird übernommen werder in Fremdwährungen, also Dol- den. Das Papier von 2013 „Neue
lar oder Euro, auf 11 Billionen.
Macht. Neue Verantwortung“ hatSollte dieses Kapital flüchten oder te den falschen Titel. Richtig muss
sich auch nur das Gerücht verbrei- es heißen „Neue Großmacht. Groten – und die Zinserhöhung in den ße Verantwortung“.
USA wäre ein Anlass – kann es
zur Kernschmelze des Finanz- Auf der anderen Seite nehmen
markts und entsprechenden Rück- eben dadurch die Bruchlinien inwirkungen auf die sogenannte
nerhalb der EU zu. Gegenseitige
Realwirtschaft kommen.
Drohungen, einseitige Aktionen
und Verletzung von EU- Selbstverständlich ist das nicht
Regelungen sind an der Tagesorddas Ende des Kapitalismus, wohl
nung. Die EU als imperialistisches
aber, um Altvater zu zitieren, das Konstrukt war immer ein KrisenEnde des Kapitalismus wie wir ihn mechanismus, um Konkurrenz zu
kennen. Die wahrscheinlichen
mildern, derzeit häufen sich die
Erscheinungen sind Wirtschaftslauten Überlegungen führender
krieg, demnächst wahrscheinlich Politiker, radikale Veränderungen
auch ein Währungskrieg, d. h.
vorzunehmen. Der Beschluss zur
verstärkte Konkurrenz der WirtÜberarbeitung des Schengenschaftszentren, Dominanz einiger Abkommens ist da eher nebenLänder in ganzen Regionen, Neu- sächlich, aufs Ganze gesehen aber
aufteilung von Interessensphären, ein Musterfall.
Verstärkung des Staatsmonopolismus zur Krisenregulierung, neue, - Deutschlands Politikmodell derveränderte Herrschaftsformen,
zeit in der EU: Es lenkt seine reladarunter autoritäre und faschisti- tiv schwächeren Partner, ohne sie
sche. Es erscheint denkbar, dass
zu kontrollieren. Es handelt sich
die BRICS-Staaten, einige Länder
so gesehen um die Erfüllung des
Lateinamerikas sich davon abkop- Kriegszielprogramms von Bethpeln, ohne sozialistisch zu werden. mann Hollweg vom September
1914, wo das fast wörtlich so for- Zwei Staaten sind aus der Krise
muliert wurde. Allerdings hat Berbislang gestärkt hervorgegangen: lin 2015 dazu genutzt, die Rolle
Für die BRD war das seit 2010 so. der Führungsnation sichtbarer zu
Sie hat in der EU einen derzeit
spielen als früher. Das war in der
uneinholbaren Vorsprung ökono- Schlacht mit der Syriza-Regierung
misch und als politische Führungs- deutlich zu verfolgen. Eine Zäsur
macht. Die Zeiten von gleicher
stellte dar, dass Schäuble mal
Augenhöhe mit Frankreich, symeben den Vorschlag machte, Griebolisiert durch „Merkozy“, sind
chenlands Mitgliedschaft im Euro
vorbei. Wenn Paris die Politik der zu suspendieren. Die Zäsur besteht
neokolonialen Führung seiner
darin, dass Deutschland, das aus
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
historischen und strategischen
Gründen an der Einheit der EU
interessiert ist, zum erstenmal die
Irreversibilität der Währung in
Frage stellte. Es gewann schließlich die Schlacht mit Athen, gerade wegen dieser Frage, verlor aber
den PR-Krieg.
- Als kurz nach der Kapitulation
Athens die Zuwanderung zu einer
nächsten Krise führte, war Berlins
„freundliche Deutschen“-Politik
fast unausweichlich. Noch einmal
Hässlichkeiten alten Stils – die
deutsche Exportindustrie war in
großer Sorge. In den Auseinandersetzungen in der EU setzte Berlin
aber rasch auf Erpressung kleinerer Partner: Es drohte mit Kürzung
von EU-Fonds bei Nichtübernahme
von Asylsuchenden. Spanien und
Frankreich beugten sich bald, Polen schwenkte symbolisch in letzter Minute ein, der Beschluss über
die Umverteilung von Flüchtlingen markierte eine zweite Zäsur
(auch wenn er nicht umgesetzt
wurde): Erstmals gab es keine
Konsensentscheidung – Rumänien, Tschechien, Slowakei und Ungarn stimmten dagegen, Finnland
enthielt sich. Die nationalen Interessen waren wieder da.
Anders gesagt: Deutschland hat
zweimal faktisch allein entschieden, ein drittes Mal könnte der EU
-Türkei-Gipfel am 7. März 2016
gewesen sein. Lautstark wird der
Verdacht geäußert, dass der
„überraschende“ Vorschlag der
Türkei, alle irregulären Migranten
aus Griechenland zurückzunehmen, in Berlin erfunden wurde.
Das gab es alles noch nicht in der
EU. Sie ist dabei, ein „Unimultipolares System“ zu werden.
Das Dilemma: Diktiert Berlin, gibt
es Widerstand, verzichtet es auf
Führung, verstärken sich die zentrifugalen Tendenzen.
Der britische Historiker Brendan
Simms hat diese Entwicklung
2014 in seinem Buch „Kampf um
Vorherrschaft. Eine deutsche Geschichte Europas von 1453 bis zur
Ausgabe 48 März 2016
Gegenwart“ auf interessante Weise antizipiert: Europas Politik, so
seine These, dreht sich seit bald
600 Jahren darum, wer den deutschen „Kaiser“ bestimmt.
- Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die deutsche Innenpolitik. Sie lässt sich in einem Wort
zusammenfassen: Rechtsruck. Er
wurde vorbereitet durch das, was
SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit an imperialistischen
Kriegen und sozialdarwinistischen
Maßnahmen realisiert haben. Dem
Völkerrechtsnihilismus entsprach
die hemmungslose Zerstörung der
sozialstaatlichen Regelungen und
der Errungenschaften der Arbeiterbewegung, die bewusst in Angriff genommene Demontage bürgerlicher Demokratie. Die politische und mediale Empörungswelle
über Pegida, AfD und anderes Unappetitliche lenkt davon ab, wer
und womit den Rechtsruck in der
Bundesrepublik eingeleitet hat. So
wie der Angriffskrieg gegen Jugoslawien mit „Nie wieder
Auschwitz“ antifaschistisch gerechtfertigt wurde, so verkündeten die Abrissbirnenschwinger der
sozialen und kommunalen Grundversorgung die
„Eigenverantwortung“ oder das
„Fordern und fördern“ statt der
„sozialen Hängematte“
mistischer Politik, von revolutionärer ganz zu schweigen.
- In den Koalitionsparteien ist
noch nicht entschieden, ob sie bei
den bevorstehenden Wahlen auf
die chauvinistische Karte setzen.
Merkel versucht ein sowohl als
auch, Gabriel hat für die SPD noch
nicht entschieden, wohin die Reise
gehen soll.
- In diesem Kontext erhält rechte,
konservative, nationalistische Ideologie neue Bedeutung. Die neoliberal genannte Variante imperialistischer Politik enthielt stets jene
Komponente, die Losurdo in Anlehnung an die kolonialistische
„White Supremacy“-Ideologie, die
ich selbst für in allen englischsprachigen Ländern dominierend halte, „Herrenvolkideologie“ genannt
hat: Die Ideologie einer fundamentalen Ungleichheit und Superiorität bzw Inferiorität von Kulturen,
politischen und Wirtschaftssystemen. Ein postmodern gestylter
Rassismus sozusagen, der den sozialen Rassismus von oben nach
unten offen ausspricht, sich beim
horizontalen Rassismus gegen
andere Nationen aber zurückhält.
Schon wegen der Exportquote.
Keine hässlichen Deutschen.
- Die salonfähige Verbreitung dieser neuen Kombination entwickel- Die sozialen Voraussetzungen
te sich über Thilo Sarrazin, diverse
dieses Rechtsrucks, der 1998 beWirrköpfe, intellektuelle Neonazis
gann und nun von den Originalen und schließlich die Professoren in
getragen wird, die auf die Beruder AfD seit 2013. Ein attraktives
fung auf „Nie wieder Auschwitz“ Angebot für von Abstiegsängsten
gern verzichten, liegen auf der
geplagte Mittelständler, insbesonHand: Spaltung der Arbeiterklasse dere konservativ gestimmte Freiin mehrfacher Hinsicht, Hinnahme berufler, aber auch mit starken
dieser Spaltung durch die Gewerk- Sympathien im Staatsapparat.
schaften oder wie im Fall der IG
Vieles erinnert übrigens an das
Metall sogar die Erklärung, den
ungarische Modell mit der Losung
Dachverband, den DGB, links lie- „Ungarn soll vernichtet werden“
gen zu lassen, zu schwächen. In
von Linken, Schwulen und der EU,
den Kernbelegschaften der Groß- der Politik Viktor Orbáns für den
konzerne herrscht ein seit Jahrmultifrustrierten Normalbürger
zehnten verankerter Standortnati- und mit der Neonazipartei Jobbik
onalismus, damit auch Schwäals intellektueller und aktivistichung der Basis traditionell refor- scher Reserve, Steigbügelhalter
5
und Scharfmachergruppe.
- Neofaschisten erhalten eine neue
Funktion in der Bundesrepublik.
Verstärkte soziale Demagogie trifft
in der Krise ohne sichtbares Ende
auf Unzufriedenheit und Angst.
Jürgen Elsässers Funktion ist eine
andere als vor eineinhalb Jahren:
Er und andere stellen keine eigene
politische Kategorie dar, sie sind
aber Stimmungsreflektoren und –
verstärker.
die zunehmende Aggressivität des
Imperialismus, ja sogar die wachsende Kriegsgefahr. Der stellt sich
hinter „Adopt a Revolution“, weil
er offenbar weismachen will, der
arabische Frühling habe Gaddafi
umgebracht und bei Assad sei es
dasselbe. Die zweite Stufe des Roll
Back – nach der Beseitigung und
dem Zerfall des realen Sozialismus
in Europa und Russland, nämlich
die Vernichtung aller Errungenschaften der antikolonialen Befreiungsbewegungen in einer Kette
imperialistischer Weltordnungskriege ist nie ernsthaft begriffen
worden. Das führt letztlich dazu,
dass man in einem Atemzug
Kriegshetze und Friedensbewegung betreiben will. Das wird nur
übertroffen, den Sozialismus mit
Hilfe des Imperialismus durch
dann ist das vom Standpunkt der
herrschenden Klasse ein Austesten, wie eine solche Bewegung in
Deutschland funktionieren kann.
Es besteht kein Zweifel: Bei ausreichender Resonanz wird auf dieses
politische Reservepotential zurückgegriffen.
In der Geschichte der Linken, der
Arbeiterbewegung ist die Forderung einzelner nicht neu, sich den
„besorgten Bürgern“ oder national,
in Wirklichkeit völkisch Gesinn- Diese zeitweise öffentlichkeitsten anzunähern. Das Resultat war
wirksame Rolle konnten sie nur
stets gleich verheerend. Der ergewinnen, weil die Linke und die
hoffte Gewinn von Patrioten blieb
Friedensbewegung auf die Besetaus, dafür kam die nationale Dezung wichtiger Felder verzichten.
magogie des Großkapitals zum
Das betrifft jede Form der MobiliZug, d. h. gewann eine Massenbasierung auf der Straße für die sozisis. Die Schlussfolgerung lautet:
ale Frage. Massenmobilisierung
Um Bündnispartner kämpfen, sie
durfte nie sein. Das Thema
zu Wort kommen lassen, die
Syrien-Krieg und Ukraine– aus welcher Motivation
» Für wirksamen Widerstand auch immer – sich gegen
Krieg haben die Rechten
gegen den Rechtsruck fällt die Lin- Krieg und vielleicht sogar
besetzt, bevor die Linke
auch nur anfing, über ihre
ke faktisch aus – trotz der Bemü- gegen Kapitalismus äußern.
Äquidistanz, die selbstverDie Frage nach Krieg und
hungen vieler Mitglieder. «
ständlich de facto auf UnFrieden ist, daran hat sich
terstützung für die Positiseit Togliattis Rede auf dem
on, insbesondere für die angeblich „Transformation“ einzuführen. Für VII. Weltkongresse nichts geänzurückhaltende der Merkelwirksamen Widerstand gegen den dert, das Hautkettenglied unserer
Regierung, hinauslief zu diskutie- Rechtsruck fällt die Linke faktisch Strategie und Taktik, erst recht in
ren. Sie tut es bis heute nicht,
aus – trotz der Bemühungen vieler Zeiten, da mit dem Gedanken an
fängt sich aber dafür Unfug wie
Mitglieder.
einen dritten Weltkrieg gespielt
den von Christine Buchholz ein –
wird und die Konfrontation sich
die Syrer fliehen vor Assad und
- So blöd sind selbst deutsche
zuspitzt. Es gilt aber auch: Wir
den Russen, nicht vor dem IS. Da Wähler nicht. Es muss sich niesind für Volksfront, nicht für
erledigen dann eben Russland und mand wundern, wenn die Leute
Volksgemeinschaft, für Politik und
die USA die Dinge weitgehend
wie 2014 allein auf die Straße ge- nicht für Anpassung an den Irratiuntereinander.
hen, egal, wer da zur Kundgebung onalismus dieses Systems.
aufruft. Wenn sich KleinkriminelArnold Schölzel
- Wer als Partei seinen Marxismus le wie in Dresden, Neonazis wie
vergisst, der verschläft die Krise, anderswo an die Spitze stellen,
„Sie lügen wie
gedruckt wir drucken wie
sie lügen.“
6
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Immer noch haben diejenigen die Welt zur Hölle gemacht,
die vorgeben, sie zum Paradies zu machen.
Friedrich Hölderlin
Der Schoß ist fruchtbar noch, ...
Friedenskampf als ein Hauptfeld des Klassenkampfes
Nach der Konterrevolution und der
Restauration des Kapitalismus in
der Sowjetunion und in den sozialistischen Staaten in Europa ist die
Rückkehr des Krieges als Mittel
der imperialistischen Mächte zur
Durchsetzung politischer Ziele zum
kennzeichnenden Merkmal des
Alltags im Kapitalismus geworden.
Im Ergebnis der Restauration des
Kapitalismus und der damit verbundenen Politik der sozialen Revanche bestimmen erneut innere
und internationale Ausbeutung,
Unterdrückung und Repression,
antidemokratische Entwicklungen
und Militarisierung in Politik und
Gesellschaft den Verlauf der internationalen Beziehungen in der
aktuellen kapitalistischen Welt.
Es darf nicht vergessen werden:
Seit dem Beginn der imperialistischen Epoche des Kapitalismus
hatte jeder Krieg in Europa die
Tendenz, sich zu einem Weltkrieg
auszuweiten. Zwei Weltkriege
musste die Menschheit erleiden.
Unter den Bedingungen der Herrschaft des Kapitalismus in ganz
Europa stellt sich auch die Frage
von Krieg und Frieden mit neuen
Bedrohlichkeiten. Die Gefahren für
den Frieden haben allseits, innenwie außenpolitisch, zugenommen.
Die Osterweiterung der NATO und
der EU haben die internationalen
Widersprüche zusätzlich verschärft. Die imperialistischen
Mächte haben sich die mittel- und
osteuropäischen Staaten untergeordnet. Mit ihrem Eindringen in die
ehemaligen Sowjetrepubliken haben sie sich unmittelbar an den
Grenzen Russlands festgesetzt und
um Russland einen mit Militärstützpunkten und Raketen bestückten Wall vom Baltikum, über Mittel
Ausgabe 48 März 2016
- und Osteuropa, über das Schwarze Meer und bis hinter Georgien
eingerichtet. Die Lücke, die durch
die Ukraine und Belorussland gebildet wurde, soll noch geschlossen
werden! In der Ukraine ist man
schon dabei. Das Baltikum, Mittelund Osteuropa sind zum Aufmarschgebiet der NATO und EU
sowie zum Feld der Austragung
von Widersprüchen zwischen ihren
Hauptmächten geworden.
Die Staaten dieses geographischen
Raumes spielten aber nicht immer
diese Rolle. Bis 1989 gingen von
ihnen immer wieder Initiativen
aus, die Frieden erhaltende Wirkungen hatten. Die sozialistische
Gesellschaft erzeugte solche internationale Verhältnisse, die sie für
die Gestaltung einer menschlichen
und von Ausbeutung freien Gesellschaft brauchte. Das war Frieden!
In 25 Jahren hat der Imperialismus
das internationale und europäische
System, das 40 Jahre Frieden ermöglicht hat, zerstört. Er ist aber
nicht in der Lage, ähnliches zu
schaffen. Die NATO- und EUMächte streben aktiv danach, den
geopolitischen Raum zu erobern.
Eine Schlussfolgerung, die sich
daraus ergibt: Die ökonomische,
politische und gesellschaftliche
Realität weist uns mit aller Eindringlichkeit darauf hin, dass der
Krieg keine isolierte gesellschaftliche Erscheinung ist. Sein Entstehen, sein Wesen und sein Charakter sind nur zu verstehen, wenn sie
historisch und aus der Gesamtheit
der gesellschaftlichen Zusammenhänge betrachtet werden. Der
Krieg ist Ausdruck und Fortsetzung
einer bestimmten Klassenpolitik.
Zur Lage
Der Übergang der NATO, der USA
und der Hauptmächte der EU zu
feindlichen politischen, ökonomischen und militärischen Handlungen gegenüber Russland und der
VR China und zum Aufbau der
militärischen Infrastruktur an der
Grenze Russlands ist eine sich zuspitzende Gefahr für den Frieden
und zeigt, dass die NATO und ihre
imperialistischen Mächte nicht
fähig und nicht Willens sind, ihren
genetischen Code, den genetischen
Code des Imperialismus zu ändern.
Deshalb muss eine Hauptrichtung
im internationalen Klassenkampf
auf dem Gebiet der internationalen
Beziehungen vom Kampf für die
Demokratisierung der internationalen Beziehungen auf der Grundlage
der allgemein-demokratischen Prinzipien des Völkerrechts charakterisiert werden. Die Durchsetzung
demokratisch gestalteter internationaler Verhältnisse erfordert aber
einen konsequenten antiimperialistischen Kampf, der vom Klassenwesen des Imperialismus ausgeht
und die Mobilisierung der breitesten Öffentlichkeit anstrebt.
Die Kritik der Außenpolitik der
imperialistischen Mächte, ihrer
expansionistischen Ziele und aggressiven Handlungen ohne Berücksichtigung ihrer klassenmäßigen Grundlagen stumpft ihre Wirkung ab und schränkt ihre mobilisierende Kraft gegenüber breiten
Schichten der Bevölkerung ein. Sie
trägt nicht wenig zur Irreführung
der Menschen bei.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen beinhaltet der Kampf für
die Demokratisierung der internationalen Beziehungen jene Kräfte zu
7
mobilisieren, die es verhindern
können, dass der USAImperialismus sein Konzept von
der Weltherrschaft (unipolare
Welt) durchsetzen kann. Es heißt
zugleich, gegen jegliche andere
Versuche imperialistischer Staaten
zu mobilisieren, die im Kampf gegen die Vorherrschaft des USAImperialismus ihre eigenen imperialistischen Ziele (siehe deutscher
Imperialismus) verwirklichen wollen. Es gilt, in dieser Phase diese
Bestrebungen wenigstens zu paralysieren.
Auch die EU hat sich zu einer wirtschaftlichen und politischen Struktur der imperialistischen Staaten
entwickelt, die sich bei gleichzeitiger Ausgestaltung der Führungsrolle der BRD immer stärker als Zentrum
a) für Expansion des Imperialismus nach dem Osten und
b) für den Kampf gegen den mit
den USA „gemeinsamen“ Feind
(Russland) profiliert und aktiv
wird.
Es gibt keine Gewähr mehr, dass
das nach 1945 entwickelte und
wirksam funktionierende System
der globalen und regionalen Sicherheit existieren und seine Funktion erfüllen kann. Im Gegenteil:
durch die imperialistischen Mächte werden die letzten Reste (OSZE)
zielgerichtet geschwächt, zersplittert und deformiert.
Ein eindeutig profiliertes, mit gegenseitigen Sicherheiten und Verpflichtungen der Staaten versehenes derartiges System, weicht zunehmenden Anzeichen einer weltweiten und regionalen, vom Imperialismus gewollten Anarchie, in
der er sein „Süppchen kochen“
kann.
Die Risikofaktoren für regionale
und globale Stabilität und Gefahren für den Frieden entstehen dabei nicht nur aus der Entwicklung
des Kapitalismus und der bestehenden Widersprüche zwischen
8
den kapitalistischen Staaten. Sie
entstehen zunehmend auch aus
der inneren Instabilität in einzelnen Ländern. Das betrifft besonders Länder, die sich an der Stoßstelle der geopolitischen Interessen der imperialistischen Staaten
oder an der Grenze kulturellhistorischer oder ökonomischer
Ordnungen befinden.
Positionen und Verhalten
der USA
Die USA haben seit 1990 insgesamt 19 Kriege und bewaffnete
Interventionen geführt. Und bei all
diesen Handlungen agieren sie
sowohl in als auch außerhalb der
NATO. Sie wollen die NATO und
die EU einbinden, aber sich nicht
durch diese behindern lassen, ihre
imperialistischen Ziele zu verwirklichen.
„Unser erstes Ziel ist es, das Wiederauftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern, egal ob auf dem
Gebiet der ehemaligen Sowjetunion oder anderswo, der eine ähnliche Bedrohung darstellt wie die
Sowjetunion. Das erfordert, dass
wir verhindern, dass eine feindliche Macht eine Region dominiert,
deren unter Kontrolle gebrachten
Ressourcen ausreichen würden,
eine neue Weltmacht zu schaffen.
Diese Regionen beinhalten Westeuropa, Ostasien, das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und Südwestasien.“ (Z. Brzezinski, Die einzige
Weltmacht)
Damit wird „Amerikas globale Führungsrolle“ klar definiert. Es geht
den USA nicht um Frieden, nicht
um gleichberechtigte Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil. Es
geht auch nicht primär um eine
bestimmte Region.
Es ist die Weltherrschaft, die das
Hauptmotiv, die Triebfeder des
USA-Imperialismus ist. Es geht um
die Ausschaltung jeglicher Konkurrenz und des Konkurrenten!
In diesem Sinne sind alle Regionen
betroffen. Natürlich richtet sich
der Hauptstoß primär gegen Russland und die VR China. Aber auch
Westeuropa, die EU, die BRD blei-
marxistische Theorie und sozialistische Politik
ben nicht verschont!
Mit erstaunlicher Offenheit wies
George Friedman (Chef der USADenkfabrik Stratfor) darauf hin,
dass ein „außenpolitisches Grundinteresse“ der USA, „wofür wir seit
Jahrhunderten die Kriege führten –
erster und zweiter Weltkrieg und
kalter Krieg - … die Beziehungen
zwischen Deutschland und Russland (waren). Weil vereint sind sie
die einzige Macht, die uns bedrohen kann, und unser Interesse war
es, sicherzustellen, dass das nicht
geschieht.“
Im Konzept der USA besteht kein
„Europa“. Es gibt in ihrem Konzept
keine Anzeichen dafür, dass sie
ihre Außenpolitik, ihre Beziehungen und ihr internationales Verhalten unter Einbeziehung eines zusammenhängenden Gebildes namens „Europa“
planen und durchführen. Stattdessen unterhalten die USA Beziehungen zu den einzelnen Staaten Europas und nicht zu einer „europäischen“ Entität. Das ist auch der
Ausgangspunkt für die Charakterisierung eines „alten Europas“ (Westeuropa) und eines
„neuen Europas“ (Mittel und Osteuropa, einschließlich ehemalige
Sowjetrepubliken). Die Errichtung
der Militärstützpunkte in den Ländern Osteuropas, die Einrichtung
von Raketenstellungen in Polen,
Rumänien, Bulgarien, die Lieferung
von Waffen an Estland, Lettland,
Litauen, an Rumänien, Polen und
Bulgarien sowie an die Ukraine
erfolgen dem entsprechend nicht
im Rahmen der NATO, sondern
außerhalb der Institutionen der
NATO, zum nicht auf die Zustimmung der anderen NATO-Staaten
angewiesen zu sein.
Damit erhalten sich die USA die
Möglichkeit, den „Sicherheitsgürtel“ um Russland mit der NATO,
aber auch ohne das Mitwirken der
anderen imperialistischen Hauptmächte der NATO und der EU zu
errichten, sich bei ihren aggressiven Handlungen jeglicher Kontrolle zu entziehen! Die Bestrebungen
der USA laufen darauf hinaus, zu
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
vermeiden, dass eine starke Europäische Union unter deutscher
Führung, die auch noch erträgliche
Beziehungen zu Russland und zu
einer möglichen Eurasischen Union unterhält, in die Lage versetzt
wird, die USA in eine ökonomische
und geostrategische Randposition
gedrängt wird.
Die USA sind eine auf ökonomische Stärke und vor allem auf militärische Übermacht basierende
imperialistische Macht, die hemmungslos von ihrem militärischen
Potenzial und Apparat Gebrauch
macht. Trotz abnehmender Stärke
als Tendenz dürfte sie in den
nächsten 10 Jahren diese Position
erhalten können. Dazu dürfte vor
allem beitragen, dass auf der
Grundlage ihres wissenschaftlichtechnischen Potenzials sie in der
Lage sein wird, die Kontrolle über
die Ozeane und im Weltraum als
Fundament ihrer Macht zu erhalten.
Im Rahmen solcher strategischer
Überlegungen sind die USA gegenwärtig Hauptaggressionsmacht in
der Ukraine. Die USA und ihre
europäischen „Verbündeten“ sind
aufs Neue militärisch im Nahen
und Mittleren Osten aktiv. Sie
schüren in Asien immer neue Konflikte um a) eigene Expansion zu
betreiben und b) Verständigung
zwischen der VR China, Indien
und Japan zu verhindern. In Afrika
tobt der Konkurrenzkampf zwischen allen imperialistischen
Mächten. Hervorzuheben ist die
Tatsache, dass der Kampf um die
Neuverteilung der Rohstoffquellen
und der Absatzmärkte sowie um
politische Einflusssphären fast
überall mit militärischen Mitteln
ausgetragen wird. Die Tendenz zum
Einsatz des Militärischen gewinnt
in der Strategie der imperialistischen Staaten die Oberhand!
Vielfältige Schritte verdeutlichen
den zunehmenden Einfluss des
Militärischen in der Durchsetzung
der politischen Ziele der imperialistischen Mächte. So wird z.B. in den
Ausgabe 48 März 2016
strategischen Planungen für die
Gegenwart und die nächste Zeit die
USA darauf ausgerichtet, dass die
Gefahren, die den USA drohen, vor
allem von der VR China und von
Russland ausgehen. Damit sind die
VR China und Russland an die
erste Stelle möglicher amerikanischer Zielobjekte gerückt. Sie wurden noch vor die Länder (KDVR,
Iran, Irak, Syrien) gesetzt, die George W. Bush in seiner berüchtigten
Rede von 2002 auf der „Achse des
Bösen“ verortet hatte.
In der Nationalen Militärstrategie,
die im Sommer 2015 (www.welt.de)
vom Vorsitzenden der Vereinigten
Stabschefs Martin Dempsey vorgelegt wurde, heißt es, dass die Gefahr eines Krieges mit einer anderen Großmacht wächst. Das Schwer
-gewicht wird vom „Terrorismus“
auf Krieg zwischen Staaten verlagert, womit obige Positionierung
bestätigt wird.
Es wird eine radikale Abkehr von
der Doktrin, die seit der Zerschlagung der UdSSR gültig war, gefordert, wonach die USA zu jedem
Zeitpunkt zwei größere Kriege
gleichzeitig führen können. Für die
USA sei es „unabdingbar“, die Fähigkeit zu besitzen, „einen globalen
Krieg führen zu können“.
„In der heutigen Bedrohungsumgebung könnte es ohne weiteres sein,
dass die Vereinigten Staaten gefordert sind, in mehreren Regionen
zeitlich überlappend abzuschrecken oder zu kämpfen: auf der koreanischen Halbinsel, im Ostchinesischen oder Südchinesischen
Meer, im Nahen Osten, in Südasien
und durchaus möglich, in Europa.“
Und weiter heißt es im Dokument
des Nationalen Verteidigungsforums der USA „Eine sichere Verteidigung für die Zukunft sicherstellen“ vom 31. Juli 2014: „Die Vereinigten Staaten müssen sich auch
darauf vorbereiten, mit atomar
bewaffneten Gegnern konfrontiert
zu sein“ (Hervorhebung – A.L.) Die
USA bereiten sich also vor, 5 oder
6 Kriege gleichzeitig zu führen. Sie
bereiten sich vor, einen globalen
Krieg (sprich: Weltkrieg) zu führen
und schließen Kriege zwischen
Atommächten nicht aus! Gleichzeitig sind Russland und VR China an
die erste Stelle der Bedrohungen
gesetzt!
Die Positionierung der BRD
Mit dem Antritt der jetzigen Koalitionsregierung von CDU/CSU und
SPD (2013) hat auch der deutsche
Imperialismus die Umsetzung seines Konzepts und seiner Forderung
nach Führung in Europa und in
der Welt durch konkrete Maßnahmen, durch Militarisierung seiner
Innen- und Außenpolitik intensiviert und in eine neue Phase übergeführt.
Schon kurz nach der Einverleibung
der DDR hat der damalige Bundeskanzler die Linie verkündet:
„Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann
sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten .“ (H. Kohl vor dem
Deutschen Bundestag, Januar
1991). Der Außenminister sekundierte später mit der Präzisierung:
„Zwei Aufgaben gilt es parallel zu
meistern: Im Inneren müssen wir
wieder zu einem Volk werden.
Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor
gescheitert sind: im Einklang mit
unseren Nachbarn zu einer Rolle
zu finden, die unseren Wünschen
und unserem Potenzial entspricht.“ (K. Kinkel, FAZ vom 19.
März 1993) Damit hat Deutschland
erneut ein Konzept zur Grundlage
der Politik gemacht, dass in der
Geschichte die Völker schon in
zwei Weltkriege gestürzt hat.
Als Ausführende wurde nicht zufällig eine Große Koalition ins Leben gerufen. Sie wurde in der Geschichte der BRD immer dann eingesetzt, wenn es galt, im Interesse
des deutschen Kapitals einen neuen Schritt in der Ausprägung und
Umsetzung der aggressiven Politik
zu vollziehen. Seit 1949 gab es drei
Große Koalitionen. Während der
ersten (1966 bis 1969) hat das deutsche Kapital die heiße Phase in der
Verwirklichung seiner „neuen Ost9
a) praktisch den rechten Putsch in
(www.spiegel.de/politik ...
der Ukraine unterstützt,
3.09.2014)
b) den Wirtschaftskrieg gegen
Die SPD tritt dabei als aktive Kraft
auf! Bekanntlich hat Gerhard
Schröder als Bundeskanzler die
„Enttabuisierung des Militärischen“
verkündet.
Es wäre also verfehlt, nur die CDU/
CSU als Akteur zu sehen. Dahinter
wirken die Interessen des deutschen Großkapitals. Um diese zu
verwirklichen, dafür werden alle
willigen Parteien eingesetzt.
Die SPD hat sich schon Anfang
2003 in der Denkschrift der Grundwertekommission beim Parteivorstand mit der Position legitimiert:
Das Berliner Interesse bestehe an
einem „wirtschaftlich und politisch
leistungsfähigen Großraum“, der
auch einen entsprechenden
„Hinterhof“ hat, der bis nach Zentralasien und in den Nahen Osten
reicht. Deutschland habe ein
„legitimes Interesse an einer dauerhaften und festen Einbindung in
einen wirtschaftlich und politisch
leistungsfähigen Großraum, der
anderen Weltregionen vergleichbar
ist“.
Zu diesem Großraum gehören nicht
nur die ost- und südosteuropäischen Staaten, die 2004 und danach Mitglied de EU geworden
sind. „Um West- und Mitteleuropa,
das sich als integrierte Weltregion
etabliert, liegen in einem Halbkreis
von Ost nach Süd Russland, die
früher mit der Sowjetunion verbundenen Republiken Weißrussland, Ukraine und Moldawien, sowie Transkaukasien und Zentralasien, die Türkei und die Länder des
nahen und Mittleren Ostens und
das Mittelmeer“.
Damit ist Raum und Ziel für die zu
betreibende Expansion des deutschen Imperialismus sehr präzise
beschrieben. Ersichtlich werden
daraus aber auch zahlreiche Konfliktfelder mit den legitimen Interessen Russlands, aber auch mit
den imperialistischen Zielen des
USA und der anderen imperialistischen Staaten. Erstaunlich ist, dass
diese präzise Beschreibung von der
Öffentlichkeit und den Parteien
und Organisationen unbeachtet
bleibt – auch von den Linken!
10
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
politik“ eingeleitet. Die zweite Große Koalition (2005 bis 2009) wurde
gebraucht, um die Agenda 2010
aber auch die Aggression gegen
Jugoslawien ohne größere innere
Erschütterungen durchzusetzen.
Und nun 2013 um eine neue Phase
in der Verwirklichung der Wünsche des deutschen Imperialismus
einzuleiten und zu beginnen, das
zu verwirklichen, „woran wir zweimal zuvor gescheitert sind“.
Russland führt und
c) Waffen und Soldaten nach Afrika in den Nahen Osten usw.
entsendet.
(Kinkel)
Je breiter diese Vorhaben umgesetzt werden, desto stärker geraten
sie aber in Widerspruch zu den
legitimen nationalen Interessen der
betroffenen Staaten.
Aber sie verschärfen und führen
auch zu neuen Widersprüchen im
Verhältnis zu den USA und den
anderen imperialistischen Staaten.
Und alles hat mit der Entsendung
eines Sanitätszuges nach Kambodscha begonnen!!
Bundespräsident Joachim Gauck
wiederholte die Forderung von
Kohl, die dieser 1991 vor dem
deutschen Bundestag erhoben hat.
Deutschland müsse wieder nach
der Stellung einer Weltmacht streben. Die Kontinuität ist offensichtlich. Es wurde eine neue Phase,
eine neue Offensive in der Umsetzung der langfristig geplanten Außenpolitik des deutschen Imperialismus eingeleitet, die
a) auf den Ausbau und die Konsolidierung seiner Dominanz
über die EU und in Osteuropa
und
b) auf die Erweiterung und Stärkung der weltpolitischen Position der BRD ausgerichtet ist.
Vor allem wurde damit eine Etappe
eingeleitet, in der der imperialistische Machtgedanke im außenpolitischen Denken und Handeln und im
inneren Alltag der BRD tiefer verwurzelt wird. (Den Wurzeln wird
neuer Nährstoff zugeführt!)
Das deutsche Kapital hält den Zeitpunkt für gekommen, die über
Jahrzehnte entwickelte und entsprechend den jeweiligen Bedingungen und Möglichkeiten umgesetzte außenpolitische Konzeption
jetzt offensiv und aggressiv zu verwirklichen.
Deutschland verkündet Friedenspolitik und Demokratie und leitet
diesen Abschnitt seiner Außenpolitik damit ein, dass es
Die Bundeswehr, die Rüstungsexporte und die wirtschaftliche und
politische Expansion werden zu
Wegbereitern bei der Herstellung
politisch-territorialer Herrschaftszonen und -verhältnisse.
Deutschland greift – politisch und
militärisch – aktiv und aggressiv in
einen Prozess ein, in dem der
Kampf um Profite, Rohstoffe, Absatzmärkte und politischen Einflusszonen – nach der Niederlage
des Sozialismus in Europa - immer
häufiger von den imperialistischen
Mächten mit militärischen Mitteln
ausgefochten wird.
Außenminister Steinmeier beschrieb das mit den Worten:
Deutschland sei „zu groß und zu
wichtig“, als dass es sich noch länger darauf beschränken könne, die
„Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“. In einer
Welt voller Krisen und Umbrüche
brauche das Land eine aktive und
militärische Außenpolitik!
Die Ukraine-Aggression, der Nahe
und Mittlere Osten und andere
aktuelle Schauplätze weisen darauf
hin, dass die Militarisierung der
Außenpolitik sich durchsetzt.
Selbst der deutsche Außenminister
gesteht, dass „die Dynamik der
militärischen Eskalation zunehmend das politische Handeln bestimmt und nicht umgekehrt.
marxistische Theorie und sozialistische Politik
In der aktuellen internationalen
Konstellation stellt die Ukraine
einen wichtigen Knotenpunkt dar,
von dessen Beherrschung (Kontrolle) die weitere Expansion „bis zum
Ural“ (Franz Josef Strauß) abhängt.
Die Verwirklichung dieser Konzeption richtet sich
weil sie seine Souveränität und
seine Staatlichkeit untergraben.
Ihre Verwirklichung ist nur über
eine Einmischung in die inneren
Angelegenheiten Russlands möglich!
Damit werden Russland und seine
Realpolitiker aber vor die Alternative gestellt:
a) direkt gegen die Souveränität
und die Existenz der unabhän- a) entweder Aufgeben nationaler
gigen und selbständigen UkraiInteressen oder
ne und
b) antiimperialistische Positionen
b) stellt eine unmittelbare Bedround eine ebensolche Politik
hung der Interessen und der
verfolgen.
Sicherheit Russlands dar.
Würde Russland dem Druck des
Zur deutschen Großraum-Politik
„Westens“ nachgeben und dessen
gehört auch, dass Deutschland, das Bedingungen erfüllen, so würde
deutsche Kapital nicht nur auf die Russland aufhören, zu existieren.
Ukraine einwirkt, sondern ebenso
Charakterisiert wird die Außenpolidaran interessiert ist, die inneren
tik der Regierung der BRD durch
Verhältnisse in Russland so zu
Positionen, die schon in den 1990er
beeinflussen, dass sie die Erreichung der Ziele des Imperialismus Jahren formuliert wurden.
in der Ukraine und in den anderen • „Entlassen aus der Zeit der Beehemaligen Sowjetrepubliken zusiegten“ müsse Deutschland
mindest nicht behindern, sondern,
„auch in sein öffentliches Bewenn möglich, sogar fördern.
wusstsein heben, dass fast alle
Ein Ziel der BRD gegenüber RussFaktoren, die in der Vergangenland und diesem Raum besteht
heit für die Geschichte zwischen
darin, auf ihre ökonomische Stärke
den Staaten und Völkern eine
und auf ihren technischen VorRolle gespielt haben, noch immer
sprung bauend, ein Bündnis mit
gelten und weiterwirken werden,
der neuen russischen Bourgeoisie,
ob das gefällt oder nicht, ob es
mit den „neuen Russen“, zu entwibequem ist oder den Wünschen
ckeln, um
widerspricht. An erster Stelle
steht die Macht. Die Ohnmächtia) Schlüsselpositionen der deutgen müssen Glück haben oder
schen Monopole in der russiunwichtig sein, wenn die Mächtischen Wirtschaft zu erringen,
gen sie ungeschoren und frei
b) Einfluss und Einflussplattforleben lassen. Totaler Machtvermen bei Institutionen des russi- zicht heißt Kapitulation. Machterschen Staates und in der Gesellhalt, Machterweiterung, Machtschaft aufzubauen,
wiederherstellung ...“ sei angec) über die Medienlandschaft,
sagt. (Egon Bahr, Deutsche InteStiftungen und dergleichen das
ressen, 1998, S. 17/18)
geistige Leben in Russland
• Das „vitale Interesse“ Deutschdurch „westliche Kultur“ zu
lands bestehe „in der Verhindedurchdringen sowie
rung einer neuen Bedrohung aus
d) die „Zivilgesellschaft“ zielgedem Osten, die den Frieden gerichtet in die gewünschte Richfährden würde.“ (Ebenda, S. 26)
tung zu fördern.
• 1994 kamen die damaligen außenpolitischen Strategiedenker
Das sind Ziele und Forderungen
der CDU/CSU Wolfgang Schäuble
der BRD und der EU, die den Inteund Karl Lamers in ihren
ressen Russlands widersprechen,
Ausgabe 48 März 2016
„Überlegun-gen zur europäischen
Politik“ in Bezug auf Osteuropa
zu der Schlussfolgerung: „Ein
stabilitätsgefährdendes Vakuum,
ein Zwischen-Europa darf es
nicht wieder geben. Ohne eine
solche Weiterentwicklung der
(west)europäischen Integration
könnte Deutschland aufgefordert
werden oder aus aus eigenen
Sicherheitszwängen versucht
sein, die Stabilisierung des östlichen Europa alleine und in der
traditionellen Weise zu bewerkstelligen“. (www.cdu/csu.de)
• Zu Beginn der 2000er Jahre wurde eine weitere Position der BRD
gegenüber dem Osten verkündet
und angefangen, sie Praxis werden zu lassen. „Als größter und
wirtschaftlich stärkster Staat in
Europa“ müsse Deutschland, so
hieß es übereinstimmend bei
CDU/CSU, SPD und Grünen, für
ein Europa eintreten, das in der
Lage sei, sich „gegen äußerliche
wirtschaftliche, politische und
gegebenenfalls auch militärische
Pressionen zu wehren“. Aus dem
Großraum müssen die USA hinausgedrängt werden.
„Deutschland muss dafür eintreten, dass Europa (gemeint ist EU
– A.L.) zu seinen Nachbarn eine
besonders intensive, konstruktive und dauerhafte Partnerschaft
aufbaut, welche die Lösung der
sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und politischen Problemen
der europäischen Nachbarschaft
nicht wie bisher – vorwiegend,
den Vereinigten Staaten überlässt“.
Osteuropa als Spannungsherd
Mit der Erweiterung der NATO und
der EU wurde eine anhaltende territoriale Spaltung des Kontinents in
zwei Teile vollzogen. Es kam zur
Restauration des Zustands, der
schon bis Mitte des 20. Jahrhunderts charakteristisch war: das
Europa der Reichen und das Europa der Armen, der Peripherie. Hinzu kommen noch die ständigen
Versuche, Russland zu isolieren
und abzuspalten und in diesem
11
Zusammenhang der Nationalismus
und die Russophobie.
Die Länder Mittel- und Osteuropas
wurden jeglicher Kontrolle über
ihre eigene Entwicklung und ihre
Innen- und Außenpolitik beraubt.
Sie sind Objekte und Anhängsel
der imperialistischen Staaten, vor
allem der USA und der BRD/EU.
Ihre Außenpolitik wird nicht mehr
von der vorherigen Frieden stiftenden sozialen Motivation bestimmt.
Sie ist einseitig auf den machtpolitischen Block des Imperialismus in
Gestalt der NATO/USA und der
EU/BRD ausgerichtet. Damit sind
sie zugleich zum Spielball bei der
Austragung des von Russophobie
getragenen Feldzugs gegen Russland und im Kampffeld der Widersprüche zwischen den imperialistischen Kräften mit ihren spezifischen Zielen geworden.
Die Konterrevolution und die Restauration des Kapitalismus in den
Ländern Mittel- und Osteuropas
bestätigen die Gültigkeit der marxistisch-leninistischen Imperialismustheorie auch für die Gegenwart: „Der Imperialismus ist die
fortschreitende Unterdrückung der
Nationen der Welt durch eine
Handvoll Großmächte. Er ist die
Epoche der Kriege zwischen ihnen
um die Erweiterung und Festigung
der nationalen Unterdrückung. Er
ist die Epoche des Betrugs der
Volksmassen durch die heuchlerischen Sozialpatrioten, d.h. durch
die Leute, die unter dem Vorwand
der 'Freiheit der Nation', des
'Selbstbestimmungsrechts der Nationen', der 'Vaterlandsverteidigung'
die Unterdrückung der Mehrheit
der Nationen der Welt durch die
Großmächte rechtfertigen und verteidigen.
Eben deshalb muss die Einteilung
der Nationen in unterdrückende
und unterdrückte den Zentralpunkt in den sozialdemokratischen
Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht und von den Sozialpatrioten, Kautsky einbegriffen,
verlogenerweise umgangen
wird.“ (W.I. Lenin, Bd. 21, 412ff)
12
Heute geht es nicht mehr um Kautsky, sondern um seine Schüler und
Nachfolger. Aber die Sachverhalte
stimmen.
Nach 1989 begaben sich die Staaten Mittel- und Osteuropas jedoch
aus zumeist spekulativen und national-egoistischen Motiven auf die
Seite derer, die ihnen mächtig und
einflussreich schienen. Es entstand
auf der Grundlage der Konkurrenz
das von den USA proklamierte
„neue Europa“, womit die von den
USA gestützten Staaten gemeint
sind, das „alte Europa“, die sich der
EU und besonders der BRD zuwandten und Russland, das nach
Jelzin von beiden Lagern bekämpft
wurde.
In diesen widersprüchlichen Prozessen kam es zu einer Situation
der Konkurrenz, die weiter anhält
und mit beträchtlichem explosivem, nachhaltig destabilisierendem und den Frieden gefährdendem Potenzial versehen ist.
Die Restauration des Kapitalismus
führte von einem Europa des KSZEProzesses zu einem Europa zunehmender Konfrontation, in dem sich
die Konkurrenz zwischen dem USA
-Imperialismus und dem deutschen
Imperialismus immer deutlicher
zuspitzt.
Die Staaten in Mittel- und Osteuropa sind, angesichts der imperialistischen Politik mit kolonialistischen
Zügen, in eine Lage gekommen, die
ihre Unterordnung unter die Interessen des internationalen Kapitals
dermaßen gesteigert hat, dass
ihnen heute die Möglichkeit genommen wird, als souveräne und
unabhängige Staaten in den internationalen Beziehungen aufzutreten und gleichberechtigt die wahren Interessen der Völker zu vertreten.
Schlussgedanken
Nach der Niederlage des Sozialismus in der Sowjetunion und in den
sozialistischen Staaten in Europa
ist die Menschheit zu Beginn des
21. Jahrhunderts mit der Tatsache
konfrontiert, dass der Krieg schon
wieder zu einem erschreckend
marxistische Theorie und sozialistische Politik
gewohnten Begleiter geworden ist.
Die Machtverhältnisse zwischen
den Großmächten haben sich in
den letzten Jahren nicht nur außerordentlich rasch, sondern auch
außerordentlich ungleichmäßig
entwickelt. Ein Ergebnis besteht in
der Verschärfung der inneren und
zwischen imperialistischen Widersprüche. Sie werden immer schwerer kontrollierbar.
Die zunehmende Unterschiedlichkeit in der Interessenlage des USAImperialismus und der EU-Großmächte weltweit und in den Regionen, einschließlich in Europa, wird
untereinander und im Verhältnis
zu Russland immer größer und
offensichtlicher. Sie enthält die
Tendenz, sich zur politischen Gegensätzlichkeit zu entwickeln.
Der Krieg ist nicht mehr nur Theorie und Konzept. Er ist zu praktischer Realität – auch in Europa
(Jugoslawien, Ukraine) – geworden.
Die Imperialisten versuchen, ihre
Widersprüche mit Mitteln des Krieges zu lösen, können aber keine
Lösung erzielen.
Ein Haupthindernis für den Erfolg
im Kampf gegen diese Entwicklung
erweist sich erneut der Opportunismus.
Zu den Mitteln und Methoden,
nach denen der Imperialismus
greift, um den Vormarsch der antiimperialistischen Kräfte aufzuhalten, gehört nicht zuletzt auch heute
der ideologische Kampf.
Der Sozialismus hat eine Niederlage erlitten. Aber seine Notwendigkeit besteht und verstärkt sich. Die
Kämpfe der Zeit besagen: entweder
gesellschaftlicher Fortschritt und
Frieden oder allgemeine Barbarei.
Prof. Dr. Anton Latzo
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Beschluss der Mitgliederversammlung des Geraer Sozialistischer Dialog am 13. 02. 2016:
Frieden statt NATO
„Das Bedürfnis nach einem stets
ausgedehnteren Absatz für ihre
Produkte jagt die Bourgeoisie
über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“
(Manifest der Kommunistischen
Partei, 1848)
„Der Kapitalismus trägt den
Krieg in sich wie die Wolke den
Regen.“
Jean Jeaurès (1859 – 1914)
Bei der Münchner
„Sicherheitskonferenz“ versammeln sich in diesen Tagen über 500
Vertreter der internationalen
„Elite“ - Staats- und Regierungschefs, Minister sowie führende
Persönlichkeiten aus Industrie,
Medien und „Zivil“gesellschaft, um
angeblich den Weltfrieden zu retten, gesponsert vom großen Kapital, von reichen Stiftungen und von
der Bundeswehr. Dagegen protestieren Tausende. Alternativ dazu
wird eine internationale Münchner
Friedenskonferenz veranstaltet.
Die Herrschenden machen sich
Sorgen um den Zustand der Welt.
Nicht aus Liebe zu den Menschen
und den Menschenrechten, sondern weil die Folgen ihres Strebens
nach neuen Absatzmärkten, Rohstoffen und kurzfristigem Profit
nun mit voller Wucht zurückschlagen. Auf das mörderische Treiben
des „Islamischen Staats“, auf die
größte Fluchtbewegung seit dem
Zweiten Weltkrieg, auf die sozialen
Verwerfungen und die Zerstörung
der natürlichen Lebensgrundlagen
haben sie keine bessere Antwort
als mehr von derselben (bitteren)
Medizin, die in die Krise geführt
hat: neoliberale Austerität alias
Kapitalfreiheit als höchstes „Menschenrecht“ und ein „Weiter so“
mit der imperialistischen Kriegpolitik. Um von diesem ZusammenAusgabe 48 März 2016
hang abzulenken und wachsende
Proteste zu bekämpfen, wird Rassismus geschürt – „die Flüchtlinge“, „der Ausländer“ oder „der Russe“ seien Schuld - und eine Politik
der militanten Abschottung betrieben.
Die NATO-Staaten und besonders
der USA-Imperialismus tragen die
Hauptverantwortung für diese
menschenverachtende, den Weltfrieden gefährdende Situation.
Wenn die NATO aktuell auch gegen Flüchtlinge im Mittelmeer eingesetzt werden soll, wird der
Grundcharakter dieses aggressiven
Bündnisses offenbar: Nicht
„Verteidigung“ oder die Sicherheit
der Menschen, sondern die Sicherung der Geschäfte internationaler
Konzerne und die Beseitigung der
Widerstände dagegen stehen im
Mittelpunkt. Die schonungslose
Ausbeutung des afrikanischen
Kontinents, die seit Jahrzehnten
betriebene Expansion gegenüber
Russland und China, die Militärinterventionen im Nahen und Mittleren Osten und die Demütigung der
arabischen Bevölkerung haben zu
katastrophalen Verwüstungen geführt. In Syrien wird der Kampf um
geostrategischen Einfluss opferreich auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen. Wenn nun wieder auf Russland als den großen
Bösewicht eingedroschen wird, sei
zur Erinnerung gesagt: Der Krieg in
Syrien wurde nicht durch russischen Bomben verursacht, sondern
durch die instrumentelle Einmischung der westlichen Staaten, um
dort einen Regime-Change durchzusetzen.
In der Tat können die Schäden nur
strikt zivil, durch umfassende soziale Entwicklung und demokratische Partizipation geheilt werden.
Notwendig ist die Zerstörung der
von den imperialistischen Staaten,
den Banken und Konzernen geschaffenen „kannibalischen Weltordnung“ (Jean Ziegler) der Ausbeu-
tung, Armut, des Landraubs, der
Zerstörung der Umwelt und immer
neuer Kriege. Der „Krieg gegen den
Terror“ gerät selbst zum Terror. Mit
den 4 Billionen Dollar, die er bislang gekostet hat, könnten alle
Menschen auf diesem Planeten
hundert Jahre lang ernährt werden! (Quelle: Die Anstalt/New York
Times/Welternährungsgipfel)
Die Bundesrepublik Deutschland
spielt als „global player“ mit für
sich selbst reklamierten Führungsanspruch mit. Als größter Exportweltmeister und nach China und
viertgrößter Rüstungsexporteur ist
sie bestrebt, über EU-Diktate und
Freihandelsabkommen ihr ökonomisches Übergewicht auszubauen,
auch rücksichtslos auf Kosten der
EU-Nachbarländer. Diese „Verantwortung“ wird in wachsendem
Maße auch militärisch flankiert.
Mit dem Tornadoeinsatz in Syrien
wird erneut die Bundeswehr ohne
völkerrechtliches Mandat in den
Krieg geschickt. Vom US-Militärstützpunkt Ramstein werden täglich tödliche Drohnenangriffe geflogen und aus deutschen Häfen Waffen in alle Welt exportiert.
Gegen diese vermeintlich alternativlose Politik wachsen die Proteste. In der BRD lehnen mittlerweile
laut einer repräsentativen Umfrage
von TNS Emnid 83 Prozent der
Bevölkerung Rüstungsexporte ab.
In der solidarischen Flüchtlingsarbeit kommen die Ablehnung der
Kriegspolitik und der Wunsch der
Mehrheit der Bevölkerung, gegen
Rassismus und Ausgrenzung aktiv
zu werden, praktisch zum Ausdruck. Der in Griechenland begonnene und mittlerweile wegen der
neoliberalen Herrschaftsstrukturen
der EU gescheiterte Aufbruch für
eine konsequente linke Regierungspolitik und für ein Ende des
Spardiktats wird in Spanien und
Portugal fortgesetzt. Auch in Griechenland wehrt sich die Bevölkerung wieder verstärkt gegen die
13
von den EU-Institutionen diktierten
neuen Zumutungen. Nicht zu übersehen ist ein zunehmendes Unbehagen am Kapitalismus in der Bevölkerung und insbesondere in der
Lohnarbeiterklasse. Mit Jeremy
Corbyn als Vorsitzender der britischen Labour-Partei, Bernie Sanders als aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der Demokraten in
den USA und der Wahl von Justin
Trudeau zum Ministerpräsidenten
Kanadas wird deutlich, dass spontaner Widerstand zunimmt.
Immer mehr Menschen stehen in
Opposition zur Politik des Neoliberalismus. Es wächst die Einsicht,
dass der Fortschritt nicht den Regierenden überlassen werden kann
und gesellschaftliche Umwälzungen nicht primär von den Parlamenten ausgehen können. Die linke Schlussfolgerung aus der Erpressung der griechischen SyrizaRegierung muss sein, immer wieder klar zu stellen, dass die EU
„militaristisch, neoliberal und weithin undemokratisch“ ist und wir
als Linke in Deutschland die Aufgabe haben, im Zentrum dieser Herrschaftsstruktur die Opposition entschieden zu stärken. Illusorisch ist
zu glauben, die LINKE könnte als
Korrektiv in einer rot-rot-grünen
Bundesregierung den Neoliberalismus zähmen. Hoffungsvoll ist dagegen der Kampf um die Köpfe für
ein solidarisches Europa und eine
Welt ohne Krieg. Es geht darum,
die Oppositionsfähigkeit der Partei
auszubauen, die Eigentums-, Sys-
14
tem- und Machtfrage zu stellen und
das Unbehagen am Kapitalismus
zu stärken und zu organisieren.
Als vorrangige Aufgaben der LINKEN sehen wir in diesem Sinne:
- Aufklärung und Mobilisierung
gegen die Kriegspolitik, aktive Stärkung der Friedensbewegung. Das
heißt auch, offensiv für den Austritt der Bundesrepublik aus der
NATO und für die Auflösung dieses
aggressiven Militärbündnisses zu
kämpfen. Wir unterstützen ganz
entschieden die von der Bundestagsfraktion geplante Klage gegen
den Tornado-Einsatz der Bundeswehr. Wir beteiligen uns mit diesen Positionen an der Friedenskonferenz der LINKEN im März.
- Wir widersetzen uns jeder weiteren Einschränkung des Asylrechts
und treten für seine volle Wiederherstellung ein. Damit kein
Mensch fliehen muss, müssen die
Fluchtursachen - Krieg, Armut und
Umweltzerstörung und die diesen
zugrunde liegende kapitalistische
Weltordnung - beseitigt werden.
- Gegen rassistische Hetze und nationalistische Stimmungsmache setzen wir Geschichtsbewusstsein, ein
aufgeklärtes Menschenbild und
internationale Solidarität. Um rechten Kräften das Wasser abzugraben, müssen menschenwürdige
Lebensbedingungen für alle erkämpft werden.
- Wir unterstützen den Kampf gegen die Schuldenbremsen und
gegen die Austeritätspolitik in den
Bundesländern, im Bund und in
marxistische Theorie und sozialistische Politik
der Europäischen Union. Wir streiten für Wohnen als Grundrecht,
Arbeit für alle, für emanzipatorische Bildung und Kultur sowie für
eine humane, öffentliche Gesundheitsversorgung.
- Wir treten dafür ein, die Wahlkämpfe als Zeiten erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit stärker zu
nutzen, um mehr Menschen davon
zu überzeugen, sich am Kampf für
diese Ziele zu beteiligen.
Unserem Namen gemäß streiten
wir als Geraer Sozialistischer Dialog für eine offene Parteikultur, in
der keiner gleicher ist als der andere. Die nächsten Parteitage sollten
insbesondere zwei Grundsätze unseres Erfurter Programms von 2011
in den Mittelpunkt stellen:
„Wir sind und werden nicht wie
jene Parteien, die sich devot den
Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind.
Wir verfolgen ein konkretes Ziel:
Wir kämpfen für eine Gesellschaft,
in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden,
Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten
können. Um dies zu erreichen,
brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem:
den demokratischen Sozialismus.“
(Programm der Partei DIE LINKE)
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Am Krieg gescheitert
Vor 100 Jahren diskutierte die
Gruppe „Internationale“ um Rosa
Luxemburg und Karl
Liebknecht Thesen über den Untergang der Sozialdemokratie als eigenständiger Organisation der Arbeiterklasse. Der DKP-Vorsitzende
Patrik Köbele schreibt im folgenden über Konsequenzen und Aufgaben, die sich daraus und aus
einem marxistischen Verständnis
der Weltlage für heute ergeben.
Zum Jahreswechsel 1915/1916
durfte niemand hoffen, dass der
imperialistische Krieg ein baldiges
Ende nehmen würde, die Fronten
waren wie festgefroren. „Der
Marsch in sechs Wochen nach Paris hat sich zu einem Weltdrama
ausgewachsen; die Massenschlächterei ist zum ermüdend
eintönigen Tagesgeschäft geworden, ohne die Lösung vorwärts
oder rückwärts zu bringen. Die
bürgerliche Staatskunst sitzt in der
Klemme, im eigenen Eisen gefangen, die Geister, die man rief, kann
man nicht mehr bannen.“1
Das war zwar bereits im April 1915
aufgeschrieben worden, traf aber
ein dreiviertel Jahr später noch
immer uneingeschränkt zu.
„Äußere Umstände“, wie es in der
am 2. Januar 1916 hinzugefügten
Einleitung der später als „JuniusBroschüre“ bekannt gewordenen
Schrift hieß, „verhinderten damals
ihre Veröffentlichung“. Zum Zeitpunkt der Abfassung saß die Autorin, die sich das Pseudonym
„Junius“ gegeben hatte, im
„Königlich-Preußischen WeiberGefängnis“ zu Berlin ein. Die Frankfurter Strafkammer hatte sie wegen „Aufforderung zum
Ungehorsam gegen Gesetze und
Anordnungen der Obrigkeit“ im
Februar 1914 zu einer Haftstrafe
von 14 Monaten verurteilt, die sie
im Februar 1915 antreten musste.
Die Staatsfeindin war Ende September 1913 in der Stadt am Main auf
Ausgabe 48 März 2016
einer Kundgebung aufgetreten und
hatte die Hunderttausenden Zuhörer zur Kriegs-dienst- und Befehlsverweigerung aufgefordert: „Wenn
uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen
oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir:
,Nein, das tun wir nicht!‘ “2 Rosa
Luxemburgs Ruf verhallte. Ein
knappes Jahr später erhoben die
Arbeiter auf Befehl junkerlicher
Generäle und im Interesse großbürgerlicher Unternehmer an Rhein
und Ruhr die Waffen gegen die
ausländischen Brüder, und es sollten vier Jahre des gegenseitigen
Gemetzels mit Millionen Toten vergehen, bis sie im November 1918
zumindest von einigen gegen die
Kriegstreiber und Profiteure gedreht wurden. Schwierige Ablösung
Die SPD hatte sich mit der Zustimmung im Reichstag zu den Kriegskrediten im August 1914 und im
Dezember 1915 endgültig von der
Strategie des revolutionären Umsturzes verabschiedet und war zum
„Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ geworden. Ihre Abstimmung war mit der sogenannten
Burgfriedenspolitik verknüpft, deren Prinzip es war, auf den Klassenkampf von unten zu verzichten,
solange „das Vaterland in Gefahr“
sei. Die Gruppe „Internationale“
blieb der revolutionären Strategie
treu und löste sich in ei-nem widersprüchlichen Vorgang von der SPD.
Programmatische Eckpunkte gab
sich die Gruppe auf ihrer Reichskonferenz am 1. Januar 1916. Die
führenden Funktionäre der Linken
trafen sich klandestin in den frühen Morgenstunden im Rechtsanwaltsbüro Karl Liebknechts in der
Berliner Chausseestraße. Sie diskutierten dort die von Rosa Luxemburg auf der Grundlage ihrer
„Junius-Broschüre“ entworfenen
„Leitsätze über die Aufgaben der
internationalen Sozialdemokratie“.
Einerseits schätzten die Teilnehmer
der Runde ein: „Durch die Zustimmung zu den Kriegskrediten und
die Proklamierung des Burgfriedens haben die offiziellen Führer
der sozialistischen Parteien in
Deutschland, Frankreich und England dem Imperialismus den Rücken gestärkt (…) Diese Taktik der
offiziellen Parteiinstanzen der
kriegführenden Länder, in allererster Linie in Deutschland, dem bisherigen führenden Lande innerhalb der Internationale, bedeutet
einen Verrat an den elementarsten
Grundsätzen des internationalen
Sozialismus (…).“ Andererseits fehlte noch eine klare Strategie zum
notwendigen Bruch mit dieser SPD.
Einerseits erfasste die Gruppe, dass
mit der Kriegspolitik der Sozialisten in Deutschland, Frankreich und
England die proletarische Internationale, die
Zweite, zerstört wurde. Andererseits war ihre Analyse harmlos,
eher sogar falsch: Die Sozialdemokratie der führenden Länder mit
ihrer Burgfriedenspolitik habe
„dem Feind: den herrschenden
Klassen, in allen Ländern Frist gewährt“. Sie hatte eben nicht nur
Frist gewährt, sie hatte die Seite
der Barrikade gewechselt. Aus einer revolutionären Partei war eine
Organisation geworden, die objektiv nicht mehr die Funktion der
Führung bei der Überwindung des
Kapitalismus, sondern die der Einbindung der Arbeiterklasse in den
Kapitalismus ausfüllte.
Selbstverständlich ist solch ein
Prozess auch zermürbend. Genossinnen und Genossen, die den Kapitalismus überwinden wollten, wurden von ihrer Partei verlassen, die
für sie immer das Instrument für
eine solche Revolution war. Über
Jahre hatten sie gelernt, wie wichtig die Organisation, wie wichtig in
ihr die Disziplin im Klassenkampf
15
ist. Sich nun seines Standpunktes
zu versichern, erforderte in der Tat
eine gründliche Analyse des Versagens der Sozialdemokratie.
Verlust des Klassenstandpunkts
Rosa Luxemburg leistet in ihrer
landläufig „Junius-Broschüre“ genannten Schrift „Die Krise der Sozialdemokratie“ den wichtigsten Teil
zum Verständnis des Übergangs
der revolutionären Sozialdemokratie in eine reformistische Partei.
Was sie schrieb, ist heute noch von
Bedeutung. Sie macht deutlich,
dass ein imperialistischer Krieg
von dessen Auslösern nie als solcher begründet wird. Sie zeigt, wohin es führt, wenn Sozialisten dann
vom „Wir“ sprechen und nicht
mehr von Klassen, wenn also ein
fundamentaler Bestandteil des
Historischen Materialismus keine
Gültigkeit mehr haben soll. Sie
zitiert die Begründung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion
zur Zustimmung zu den Kriegskrediten: „Jetzt stehen wir vor der
(…) Tatsache des Krieges, Uns dro-
16
hen die Schrecken feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den
Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für
die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel. Für unser Volk
und seine freiheitliche Zukunft
steht bei einem Sieg des russischen
Despotismus (…) viel, wenn nicht
alles auf dem Spiel. (…) Da machen
wir wahr, was wir immer betont
haben: Wir lassen in der Stunde
der Gefahr das eigene Vaterland
nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jeden Volkes
auf nationale Selbständigkeit und
Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen. Von diesen
Grundsätzen geleitet, bewilligen
wir die geforderten Kriegskredite.“3 Luxemburg erkannte, dass
hier der Klassenstandpunkt verlassen worden ist. Das hat, wie sie
schreibt, „den tiefsten Fall, den
gewaltigsten Zusammenbruch“ zur
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Folge, und „nirgends (außer in
Deutschland, P. K.) (ist) die Organisation des Proletariats so gänzlich
in den Dienst des Imperialismus gespannt“.4
Zur internationalen Katastrophe,
zur Katastrophe der Zweiten Internationale, kam es, da „die deutsche
Sozialdemokratie als die reinste
Verkörperung des marxistischen
Sozialismus“ galt.5
Indem die Führung der SPD Geschichte nicht mehr als Abfolge
von Klassenkämpfen ansah, rückte
auch eine zweite Ursache in den
Fokus der Analyse: Das Konkurrenzverhältnis zwischen den Kapitalien hatte sich verändert. Das
Monopol war zum strukturbestimmenden Element des Profitmachens geworden, die Vereinnahmung des Staates für dessen Interessen wurde vorangetrieben. Der
Imperialismus als neues Stadium
des Kapitalismus hatte sich herausgebildet. Die führenden Monopole
und ihre Regierungen kämpften
um Kolonien, Einflussgebiete,
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Märkte – das war der Hintergrund
des seit 1914 tobenden Krieges.
Abseits der Lügen von der Verteidigung, abseits von konstruierten
Kriegsanlässen zeigte dieser Waffengang: „Geschändet, entehrt, im
Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht, wenn
sie, geleckt und sittsam, Kultur,
Philosophie und Ethik, Ordnung,
Frieden und Rechtsstaat mimt, als
reißende Bestie, als Hexensabbat
der Anarchie, als Pesthauch für
Kultur und Menschheit, so zeigt sie
sich in ihrer wahren, nackten Gestalt. Mitten in diesem Hexensabbat vollzog sich eine weltgeschichtliche Katastrophe: die Kapitulation der internationalen Sozialdemokratie.“6
Ankunft im Parlamentarismus
Der dritte Grund, den Luxemburg
in ihrer Schrift analysiert, ist das
Ankommen der Sozialdemokratie
im bürgerlichen Parlamentarismus.
Sie stellt fest, dass die richtige Taktik des Ausnutzens der Parlamente
und der Wahlen für die Verbreitung sozialistischer Positionen, für
„Agitation und Aufklärung im Sinne des proletarischen Klassenkampfes“ auf den „schlichten bürgerlichen Inhalt: auf die Einheimsung von Mandaten“ reduziert wurde.7 Weite Teile der Sozialdemokratie waren im Parlamentarismus
angekommen und gaben ihre relative Autonomie als Organisation
der Arbeiterklasse gegenüber der
Klasse der Kapitalisten auf. Das ist
der Anfang des Endes der Partei
als Organisatorin der Arbeiterklasse.
Die Zustimmung zu Kriegseinsätzen entschied über alles weitere,
sie war der „Point of no return“.
Jenseits davon gab es von nun an
keine Sauerei mehr, der man nicht
seinen Segen erteilte – mit welchen salbungsvollen Worten auch
immer. Das ist die große Lehre, die
aus der Zustimmung zu den Kriegskrediten gezogen werden muss.
Seit diesem Tag stand dem Klassenfeind in Gestalt der SPD kein orgaAusgabe 48 März 2016
nisierter Gegner mehr gegenüber.
Aus ihr war ein Geschäftspartner
geworden, der dafür Sorge trug,
den Laden am Laufen zu halten.
Rosa Luxemburg schrieb in der
„Junius-Broschüre“: „Der Klassenkampf ist also von der Sozialdemokratie (…) bis zum künftigen Friedensschluss für nicht existierend
erklärt. Deutschland verwandelte
sich mit dem ersten Donner der
Kruppkanonen in Belgien in ein
Wunderland der Klassensolidarität
und der gesellschaftlichen Harmonien.“8 Das ist gut geschrieben und
richtig gesagt, allerdings klingt
auch die Erwartung an, mit Kriegsende werde alles wieder in gewohnten Bahnen verlaufen. Lenin
dagegen wusste sehr früh, nämlich
im Dezember 1914, es würde keinen Weg zurück geben. „Spaltung
der deutschen Sozialdemokratie –
das scheint ein Gedanke zu sein,
der viele wegen seiner ,Ungewöhnlichkeit‘ allzu sehr schreckt. Doch
die objektive Lage bürgt dafür,
dass entweder dieses Ungewöhnliche eintritt (…) oder, dass wir Zeugen der qualvollen Verwesung
dessen sein werden, was einst die
deutsche Sozialdemokratie war.“9
Rosa Luxemburg hat demnach die
wichtigsten Ursachen für den
Übergang der Sozialdemokratie zur
Kriegspartei erkannt.
Erstens: Aufgabe der Klassenanalyse, besonders auch in der Frage der Nation und damit Öffnung
für nationalistische Positionen,
der „Burgfrieden“ genannte
Schulterschluss mit dem Kapital
und damit der Übergang von der
Klassenanalyse zur Sozialpartnerschaft.
Zweitens: Nichterfassen des
Übergangs des Kapitalismus in
sein imperialistisches Stadium
und so auch der Entwicklung
Deutschlands zu einem imperialistischen Land.
Drittens: Ankunft im bürgerlichen Parlamentarismus.
Viertens: Aufgabe der Autonomie als Organisation der Arbeiterklasse.
Aggressor Putin? Aggressor USA?
Diese Analyse ist auch heute von
Bedeutung. Ohne Beschwörung
einer angeblichen russischen Bedrohung hätten sich die Mitglieder
der SPD im August 1914 vermutlich nicht von der Notwendigkeit
des Krieges überzeugen lassen. Zur
Erinnerung, die sozialdemokratische Reichstagsfraktion erklärte:
„Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im
Stich.“ 100 Jahre später scheinen
der Zar und der von ihm ausgehende Schrecken in der Gestalt des
russischen Präsidenten Wladimir
Putin wiedergekehrt zu sein. Deutsche Medien schreien sich die
Stimmen heiser, Russland sei gegenüber der Ukraine ein Aggressor. Man muss angesichts dieser
verbreiteten Hysterie annehmen,
der Iwan stehe bald wieder an der
Elbe. Dennoch wollen das viele
nicht glauben. Zu offensichtlich ist
der tatsächliche Sachverhalt auf
den Kopf gestellt, zu dreist wird
gelogen. Die Kräfte der Friedensbewegung (und damit auch wir Kommunisten) vermögen es trotzdem
nicht, den Unmut mit klaren Losungen organisiert und massenhaft
auf die Straße zu tragen. Die Partei
Die Linke, die sich schon lange von
einer Politik der Straße verabschiedet hat und sich auf „die Einheimsung von Mandaten“ (Luxemburg)
konzentriert, will nur ein bisschen.
Die Lücke füllen andere aus.
Teilweise dominierte ein grob verzerrtes und arg vereinfachtes Bild
vom Imperialismus. Demnach sei
noch jede Schandtat, egal auf welchem Flecken Erde begangen, in
letzter Instanz auf das bösartige
Wirken der USA zurückzuführen.
Die Bundesregierung wird nicht
dafür kritisiert, ihre eigenen Interessen bisweilen rüde zu verfolgen,
sondern dafür, willfährige Gehilfin
und nützliche Idiotin der alles und
jeden dominierenden Vereinigten
Staaten zu sein. Die falsche Parole
„US-Kolonie Deutschland“ macht
die Runde und erreicht auch die
Reihen der Linkspartei.
Die Zahl der Kriege ist weltweit
17
höher denn je. Die NATOOsterweiterung um Russland herum und der Wirtschaftskrieg gegen
das Land sowie die Einkreisung der
Volksrepublik China vom Pazifik
her bilden den Rahmen für eine
weitere Verschärfung der Lage. In
ihm suchen und finden einzelne
aggressive Staaten Möglichkeiten
für die Erweiterung ihres Machteinflusses. Der Kriegskurs des
NATO-Mitglieds Türkei gegen die
eigene, kurdische Bevölkerung und
gegen den Nachbarstaat Syrien
durch Unterstützung der Terrrorganisation „Islamischer
Staat“ (IS) hat hier seine Ursache.
Israel verschärft einen eh schon
mörderischen Umgang mit den
Palästinensern und bombardiert
darüber hinaus Stützpunkte der
Hisbollah, der libanesischen schiitischen Organisation, die an der Seite des syrischen Präsidenten
Baschar Al-Assad gegen den IS
kämpft. Auch der neueste Waffengang der Bundeswehr in Syrien ist
hier einzuordnen. Nicht zu vergessen ist: Gegenwärtig sind weltweit
so viele Menschen auf der Flucht
wie nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges nicht mehr. Diese Situation kann jederzeit Staaten den
Anlaß bieten, die vielen noch regional geführten Kriege eskalieren zu
lassen.
Die Mißachtung der Entwicklung
des Kapitalismus zum Imperialismus und der
Entwicklung Deutschlands zum in
der EU führenden imperialistischen Staat ist die
Grundlage dafür, dass an Maßnahmen der Bundesregierung, wie die
Beteiligung der Bundeswehr an der
Zerstörung syrischer Chemiewaffen im Mittelmeer teilweise mit
großer Naivität herangegangen
wurde: Das ist keine Abrüstungsinitiative, es geht vielmehr um den
Er-fahrungsgewinn in militärischen
Situationen und die Teilnahme an
solchen Operationen. Differenzierungen, Widersprüche, Gemeinsamkeiten und Konkurrenz zwischen den Imperialisten zu übersehen führt zur falschen Bewertung:
18
Wegen zahlreicher Angriffe der
USA auf die Souveränität Deutschlands die Konkurrenz beider imperialistischen Staaten in Frage zu
stellen führt dazu, die eigenständige Rolle,
Bedeutung und Gefährlichkeit des
deutschen Imperialismus zu unterschätzen.
Marxistische Analyse der Weltlage
Der notwendige Kampf um die
Breite der Bewegung gegen den
Krieg darf Kommunisten nicht
dazu veranlassen, in Bündnissen
nicht mehr die eigene, klassenkämpferische Position zu vertreten.
Dieses Verhalten hat Revolutionäre immer wieder geschwächt, wie
es die Sozialdemokratie im Vorfeld
des Ersten Weltkrieges gezeigt hat.
Es führte in kommunistischen Parteien auch zur ideologischen
Selbstentwaffnung. Beispiele sind
in den 70er-Jahren der sogenannte
Eurokommunismus in einigen Arbeiterparteien Europas und die
falsche These von der Friedensfähigkeit des Imperialismus Ende der
80er-Jahre. Dazu gehört auch die
Herausbildung der reformistischen
„Erneuererströmung“ in der DKP in
dieser Zeit.
Gerade die Betonung des marxistischen Verständnisses der
Weltlage führt aber zum
Erfolg. Kommunisten müssen sich um eine breite und
aktive Friedensbewegung
bemühen, die den Druck
auf der Straße bringt. Voraussetzung auf Seiten der
kommunistischen Partei ist
dafür eine profunde Analyse des Imperialismus und
der Klassenverhältnisse,
die dann mit anderen Kräften diskutiert werden
kann. So wird auch ein
Aufgehen in den Parlamentarismus erschwert. Angelehnt an eine These von
Álvaro Cunhal, dem großen
portugiesischen Kommunisten, heißt das: Kampf um
Erhalt und Ausbau von
Organisationen, die von
den Interessen, der Ideolo-
marxistische Theorie und sozialistische Politik
gie, dem Druck und den Drohungen der Kapitalkräfte tendenziell
unabhängig sind. Diese Unabhängigkeit beweist sich in der gegenüber dem Kapital und dessen Staat
eigenständigen Aktion, in den eigenen Zielen und der eigenen Ideologie. Die DKP hat sich mit ihrem 21.
Parteitag im November 2015 diesen Aufgaben gestellt.
Patrik Köbele
Anmerkungen
Die Krise der Sozialdemokratie
(Junius-Broschüre), in: Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke,
Band 4, S. 51
Zitiert nach Annelies Laschitza: Im
Lebensrausch, trotz alledem. Rosa
Luxemburg. Eine
Biographie, Berlin 1996, S. 437
Rosa Luxemburg: Die Krise der
Sozialdemokratie, S. 63
Ebenda, S. 55 5. Ebenda, S. 54
Ebenda, S. 53
Ebenda, S. 122
Ebenda, S. 123
Lenin: Der tote Chauvinismus und
der lebendige Sozialismus, in:
Werke, Band 21, S. 89 f.
Aus „junge Welt“,
31.12.2015/1.1.2016
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Syrien, der "Krieg gegen
den Terror",
Linke und
Friedensbewegung
In Appellen, Stellungnahmen und
Reden gegen den Bundeswehreinsatz in Syrien wird argumentiert,
der Krieg gegen den Terror sei ein
"Fehler" gewesen, er habe nur
mehr Terror geschaffen. Die Linksfraktion im Bundestag schreibt, der
Krieg gegen den Terror habe den
Terror nicht eingedämmt oder gar
beseitigt, alle Erfahrungen zeigten,
dieser Krieg könne nicht gewonnen
werden. Der Vorstand der Linkspartei behauptet, insbesondere die
Erfahrung des Krieges in Afghanistan lehre: Bomben bringen keinen
Frieden. Ja meint denn der Vorstand der Linkspartei, die USA
hätten Afghanistan angegriffen, um
dort Frieden zu stiften?
Wieso wird nun bedenkenlos die
Rechtfertigungs-Terminologie der
USA und ihrer Verbündeten übernommen? Führen sie seit vielen
Jahren einen "Krieg gegen den Terror" oder um die Sicherung des
Zugangs zu Rohstoffen und Märkten, um strategisch wichtige Positionen (gegenüber Russland, China),
um die Beseitigung von Regierungen, die ihnen im Wege stehen?
Länder, die sich dem imperialen
Diktat des Westens widersetzen,
wurden oder sollten beseitigt werden.
Durch Russlands Rückkehr mit
neuer Stärke auf der Weltbühne
sind den Hegemonieplänen des
Westens und ihrer völkerrechtswidrigen Regime-Change-Politik
wieder Grenzen gesetzt. Das kam
für die USA unerwartet, waren sie
doch betrunken von ihrem Sieg im
Kalten Krieg und glaubten ihre
ewige Herrschaft über den Rest der
Welt sei angebrochen. Dass den
Bestrebungen der USA und ihren
Verbündeten wieder ein starkes
"Njet" entgegengesetzt wird, zuletzt
nun auch militärisch in Syrien,
damit hatten sie nicht gerechnet.
Sie waren davon ausgegangen,
dass sie weiterhin bestimmen können, wer in welchem Land regieren
darf und wer nicht.
sie die Aggressionspolitik kritisieren, und um "glaubwürdig" zu sein,
spulen sie ein Distanzierungsritual
vom designierten "Feind" ab, als
ginge es um irgendwelche Sympathien, als wäre es von irgendeiner
Bedeutung, welches Staatsoberhaupt wir persönlich für ein anderes Land gut heißen oder nicht. Sie
übernehmen bedenkenlos die vom
transatlantischen Mainstream vorgegebene Terminologie für den
designierten Feind: Wie selbstverständlich ist er ein "Diktator" und
seine Regierung ein "Regime".
Das Feindbild wird entsprechend
aufgebaut: Der Führer eines Landes, der den "westlichen Interessen" im Weg steht, wird kriminalisiert, dämonisiert, außerhalb des
Völkerrechts gestellt und schließlich 'zum Abschuss freigegeben'.
Die Regime-Change Politik folgt
einem – jeweils angepassten –
Drehbuch: Unzufriedenheiten und
legitime Bestrebungen in der Bevölkerung des ins Visier genommenen Landes werden ausgenutzt,
ethnische oder religiöse Spannungen provoziert oder vertieft und
oppositionelle Gruppen mit finanziellen und materiellen Mitteln bis
zu militärischer Ausrüstung und
Ausbildung unterstützt oder auch
aufgebaut. Latente Konflikte und
Proteste werden von außen angeDas Drehbuch
heizt bis hin zu Demonstrationen
und bewaffneten Aufständen, die
Milosevic muss weg! Saddam muss
nur noch die Maximalforderung
weg! Gaddafi muss weg! Assad
kennen: den Sturz des jeweiligen
muss weg! Seit über 20 Jahren will
"Diktators" einhergehend mit der
man uns medial auf die Hetzjagd
Verweigerung jeglichen Dialogs
Seit dem Ende der Sowjetunion –
schicken gegen einen "Diktator",
mit dem "Regime".
und mit ihr des Warschauer Vertra- "Menschenschlächter" und "neuen
ges – befinden sich die USA (mit
Hitler" nach dem andern. Vor dieDas Bild, das uns vermittelt werwechselnden Gruppen von Verbün- sen müssten die Bevölkerungen in den soll, ist einfach: Dem "Diktator"
deten) in einer permanenten Agden jeweiligen Ländern "beschützt" und seinem "Regime" steht "die
gression gegen andere Länder, diwerden.
Opposition" der "Zivilgesellschaft"
rekt mit eigenen militärischen Ingegenüber. Diese erstrebt natürlich
Auf allen Kanälen trommeln die
terventionen oder indirekt mit fi"Demokratie und Menschenrechte".
USA/NATO-Aggressoren für unsere
nanzieller, geheimdienstlicher und
Wer genau die Opposition ist, wie
Zustimmung oder wenigstens unmilitärischer Unterstützung von
sie sich aufteilt, welche Interessen
ser Schweigen. Das Trommelfeuer
Oppositionsgruppen und mit regioeinzelne Gruppen und Grüppchen
der Kriegspropaganda ist so stark,
nalen Verbündeten, um sich die
jeweils vertreten, ob und vor allem
dass es selbst auf viele KriegsgegWelt ihren Interessen unterzuordwie viel Unterstützung sie tatsächner einschüchternd wirkt: Bevor
nen. Regierungen schwächerer
lich jeweils im Volk haben, wird
Ausgabe 48 März 2016
19
ausgeblendet. Die USA/NATO und
ihre Medien unterstützen natürlich
jene Teile der Opposition, von denen sie sich die Bedienung ihrer
strategischen und wirtschaftlichen
Interessen erhoffen können.
absehbar. Der US-Generalstab kam
bereits im Jahr 2013 zu dem
Schluss, dass der Sturz Assads
"zum Chaos und potenziell zur
Übernahme Syriens durch Dschihadisten führen würde, ähnlich wie
in Libyen“. Um es mit den Worten
des Nahost-Experten Michael Lüders zu sagen: Die Vorstellung,
irgendwelche »Basisgruppen« der
Zivilgesellschaft würden nach einem »Regime Change« die Macht in
Syrien übernehmen, ist »naives
Gutmenschendenken«.
Der "Krieg gegen den Terror"
oder welche Terroristen sind
am Werk?
Mit den Terroranschlägen vom 11.
September 2001 begannen die USA
ihre Aggressionen als "Krieg gegen
Dass "Nicht-Regierungsorganisatioden Terror" zu rechtfertigen. Afghanen" (NGOs) zuweilen mit Geheimnistan wurde angegriffen, angebdiensten kooperieren und auch als
lich um die "Drahtzieher" der AnInstrument der westlichen Einmischläge, Osama bin Laden und seischung fungieren können, ist hinne al-Qaida zu vernichten, Osama
länglich bekannt. Die Politik des
bin Laden, der zu keinem Zeitpunkt
Regime-Change wird hierzulande
vom FBI mit den Anschlägen in
angefeuert von Gruppen wie
Verbindung gebracht wurde. Die
"Adopt a Revolution", die schon in
9/11 Anschläge wurden nie transihrem Namen neokolonialistisches Wie viele Millionen Menschen
parent und schlüssig aufgeklärt.
müssen noch sterben und flüchten, Aber allein schon Fragen zu UnHerrenmenschentum zum Auswie viele Länder müssen noch zer- stimmigkeiten der regierungsamtlidruck bringt.
stückelt, ihre Infrastruktur zerstört chen Theorie der 9/11Aber auch Organisationen und
und ihrer Souveränität beraubt
Verschwörung sind ein Tabu, selbst
Einzelpersonen, die sich in unsewerden? Hier, weit weg, kann man in friedensbewegten und linken
rem Land eher zum linken Lager
es sich ja leisten – wenn alles dem Kreisen. Diese selbstauferlegten
und zur Friedensbewegung zählen, Wunschdenken am Ende doch
Denk- und Sprechverbote, diese
auch PolitikerInnen der Linkspar- nicht entspricht – einfach wegzueigene Unmündigkeitsmachung
tei, nehmen Partei für oppositionel- schauen, sich der nächsten
sollten uns alarmieren. Viele Verle Gruppen in der syrischen
"Revolution" zuzuwenden, ohne die schwörungen z.B. der CIA, wären
"Zivilgesellschaft", die jeden Dialog notwendigen Lehren aus dem Vonie aufgedeckt worden, hätten sich
mit der Regierung verweigern und rangegangen zu ziehen. Die KonseInvestigativjournalisten ein Tabu
nur die Maximalforderung "Assad quenzen muss man ja nicht selbst
der Hinterfragung auferlegt.
muss weg" gelten lassen. Eigenartig erleiden.
ist diese Parteinahme, weil viele
Stutzig machen sollte, dass laut
von ihnen in ihrem eigenen politi- Nach all den Lügen, Manipulatioeinem BBC-Bericht vom 18.9.2001
nen und Fälschungen von Nachschen Engagement hierzulande
die USA bereits vor "9/11" den Anrichten und Bildern: Ist es nicht
nicht gerade bekannt dafür sind,
griff auf Afghanistan angekündigt
irgendwelche Maximalforderungen höchste Zeit zu erkennen, dass die hatten. Stutzig machen sollte ebenzu stellen oder den Dialog mit der "sozialen" Netzwerke nicht immer so, dass der US-Verteidigungsso "sozial" sind, und auch von Spe- minister Donald Rumsfeld noch vor
Regierung verweigern würden.
zialabteilungen der Geheimdienste dem Angriff auf Afghanistan erNicht wenige projizieren ihre eige- und PR-Agenturen genutzt werden,
klärte "Wir sprechen hier von einen Wunschvorstellungen auf eine dass twitter bytes nicht automanem dauerhaften Waffengang ohne
"Revolution" in Syrien, und machen tisch mit Fakten gleichzusetzen
Befristung." Wollte er damit andeusich unhinterfragt Einschätzungen sind? „Nach meinen persönlichen
ten, dass, auch wenn das angeblivon "Basisorganisationen" zu eigen. Erfahrungen in Damaskus, Daraa,
che Ziel der Ausschaltung Osama
Oft sind es die gleichen, die schon Homs und Hama sind mindestens
bin Ladens und seiner Gruppe in
mit dem sympathisierten, was sie
die Hälfte der Meldungen über
den Höhlen Afghanistans erreicht
für eine "Revolution" in Libyen
Syrien schlicht falsch - fast wie vor wird, der "Krieg gegen den Terror"
hielten, obwohl die katastrophalen dem Irakkrieg", erklärte Jürgen
weitergeht? Geht es seit 9/11 also
Folgen eines Regime-Change von
Todenhöfer schon Ende 2011.
tatsächlich um einen "Krieg gegen
Anfang an absehbar waren. Nachden Terror"?
Ist es nicht höchste Zeit für jene,
dem die westlichen Aggressoren
die von einem Land zum andern
für die Beseitigung Gaddafis geAufschluss dazu gibt der US-amerisorgt hatten und das Land im Cha- unter dem Schlachtruf
"Menschenrechte
und
Demokratie"
kanische Vier-Sterne General und
os versank, wandten sich die
mitmarschieren,
mal
etwas
zurückehemalige Oberbefehlshaber der
"Revolutions"-Unterstützer ab und
zutreten,
um
sich
einen
Blick
auf
NATO-Streitkräfte in Europa,
der nächsten "Revolution" in Syrien
das
größere
Bild
der
von
USA/
Wesley Clark Zehn Tage nach den
zu.
NATO verfolgten Ziele zu ermögli- 9/11- Anschlägen besuchte er
Auch in Syrien sind die Folgen
chen?
frühere Weggefährten im Penta20
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
gon. Ein Mitglied des Generalstabes teilte ihm mit, ein Angriff auf
Irak sei bereits beschlossen. Auf
seine Frage, ob es denn irgendeinen Zusammenhang zwischen 9/11
und Saddam Hussein gäbe, erhielt
er die Antwort "Nein". Einige Wochen später – der Krieg gegen Afghanistan hatte bereits begonnen –
wollte Clark wissen, ob Irak immer
noch im Visier sei. Es sei noch viel
schlimmer, erklärte ihm das Mitglied des Generalstabs. Er habe
gerade ein Memorandum aus dem
Büro des Verteidigungsministers
erhalten: Die USA planen sieben
Länder anzugreifen und ihre Regierungen zu stürzen, nicht nur Irak,
sondern auch Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Iran.
Für General Wesley Clark hat mit
9/11 ein Coup in den USA stattgefunden als die Neocons die Kontrolle über die Außenpolitik der
Regierung Bush Jr. an sich rissen.
Er erinnert sich an seine Unterredung – kurz nach dem Ende der
„Operation Wüstensturm“ gegen
Irak im Jahr 1991 – mit dem berüchtigten Neocon Paul Wolfowitz,
dem damaligen dritthöchsten
Mann im Pentagon (und späteren
stellvertretenden Verteidigungsminister). Erfreut, dass keine Sowjetunion mehr den Einsatz von US
Truppen in der Region verhindern
könne, meinte Wolfowitz: "Wir haben ungefähr fünf oder zehn Jahre,
um die alten sowjetischen Klientelregime zu beseitigen: Syrien, Iran,
Irak – bevor uns die nächste Supermacht herausfordern kann."
Im Juni 2006 wurde das "New Middle East"-Projekt, nach mehreren
Jahren Vorbereitung, von der USAußenministerin Condoleeza Rice
und dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert in Tel Aviv
öffentlich vorgestellt. Eine angloamerikanisch-israelische RoadMap, "die einen Bogen der Instabilität, des Chaos und der Gewalt vom
Libanon, Palästina und Syrien zum
Irak, dem Persischen Golf, Iran bis
zu den Grenzen des von NATOTruppen besetzten Afghanistan"
Ausgabe 48 März 2016
spannen sollte.
iranischen (schiitischen) Einfluss
schüren und regionale AufmerkInzwischen wurde auch ein detailsamkeit auf diese Ängste lenken;
lierter Plan zur Organisierung reAusnutzung von Korruption einzelgierungsfeindlicher Aktivitäten
ner Familienmitglieder und Verbekannt, mit dem Ziel den syristärkung von Widersprüchen in
schen Präsidenten Al Assad zu
der Assad-Familie; Unstimmigkeistürzen, den der saudische Prinz
ten in Armee und SicherheitskräfBandar und der frühere USten nutzen und Gerüchte über VerBotschafter im Libanon (und heutischwörungen fördern; Aufmerkge UN- Staatssekretär für politische
samkeit auf Probleme der Kurden
Angelegenheiten) Jeffrey Feltman
lenken. Allerdings "muss dies mit
im Jahr 2008 ausgearbeitet hatten.
Vorsicht geschehen, denn wenn in
Viele dort beschriebenen Details
Syrien der Kurdenfrage die falsche
entsprechen dem, was seitdem in
Art Aufmerksamkeit geschenkt
Syrien vor sich geht.
wird, könnte das unseren BemüDer Krieg in Syrien: ein Bürger- hungen schaden, die Opposition zu
krieg?
vereinen, angesichts der Skepsis
der (meist arabischen) syrischen
Zur USA/NATO-Terminologie geZivilgesellschaft gegenüber den
hört es, den Krieg in Syrien als
Zielen der Kurden." Die Depesche
Bürgerkrieg zu bezeichnen, um
schließt mit den Worten: "Wenn
vom eigenen Wirken abzulenken.
wir bereit sind [die Schwächen] für
Selbst die Linksfraktion schreibt
uns zu nutzen, können wir seine
vom "Bürgerkrieg" in Syrien. "Dies
[Assads] Entscheidungen stören,
entspricht jedoch schon lange
ihn aus dem Gleichgewicht bringen
nicht mehr der Realität", meint der
und einen hohen Preis für seine
Völkerrechtler Norman Paech. Ob
Fehler zahlen lassen."
es jemals nur ein interner Konflikt
war, lässt sich stark bezweifeln,
Im Juni 2013 berichtete der ehemadenn die USA und ihre Verbünde- ligen Außenminister Frankreichs,
ten betreiben seit Jahren die Desta- Roland Dumas im Fernsehkanal
bilisierung der Regierung in Dader französischen Assemblée Natiomaskus.
nale, wie ihm – noch vor dem Beginn der Feindseligkeiten in Syrien
Im April 2011 enthüllte WikiLeaks,
– befreundete britische Politiker
dass das US-Außenministerium seit
berichteten, dass sich in Syrien
2006 Millionen von Dollar an syrietwas zusammenbraue. England sei
sche oppositionelle Gruppen innerdabei, eine Invasion von Rebellen
halb und außerhalb Syriens leitete
in Syrien vorzubereiten: “Diese
als Teil einer lang angelegten KamOperation hatte einen langen Vorpagne zum Sturz des syrischen
lauf." Sie sei vorbereitet, entwickelt
Präsidenten.
und organisiert worden "mit dem
Im Dezember 2011 folgte die
einfachen Ziel, die syrische Regienächste Wikileaks-Enthüllung: In
rung zu stürzen", weil das "syrische
einer diplomatischen Depesche aus Regime anti-israelische ÄußerunDamaskus vom 13. Dezember 2006, gen macht”.
betonte die US-Botschaft, dass die
Dass die USA und ihre VerbündeRegierung Assad ihre Position im
ten direkt und indirekt TerrororgaLand und international stärken
nisationen als Bodentruppen bekonnte. Um dem entgegenzuwirnutzen, ist nicht neu. Der ehemaliken, folgt eine Einschätzung der
ge Sicherheitsberater Präsident
"potentiellen Schwächen" der AsCarters erklärte voll Stolz, dass die
sad-Regierung und Möglichkeiten
CIA mit Hilfe der Mudschaheddin
"diese auszunutzen" mit Empfeh1979 die Sowjetunion in die afghalungen für konkrete Maßnahmen:
nische Falle gelockt hatte. Vier
u. a. Ängste der Sunniten vor dem
Jahre zuvor, 1975, hatte Brian
21
Jenkins, der Terrorismusexperte
der Rand Corporation, des größten
privaten militärischen Think-Tanks
der Welt, erklärt: "Ich bin der Überzeugung, dass das, was wir als modernen konventionellen Krieg bezeichnen, der Krieg, der erklärt
und offen geführt wird, aus vielerlei Gründen überholt ist. Die moderne konventionelle Kriegführung
als Instrument politischen Drucks
verliert an Bedeutung. Dies wird
einige Staaten überzeugen, terroristische Gruppen oder terroristische
Taktiken als Ersatz für Kriegführung gegen andere Staaten einzusetzen."
gäbe, dass die CIA die Dschihadisten, die die Opposition kontrollieren, bewaffne und warnte vor den
Konsequenzen, wenn die Terroristen Assad stürzen und die Macht
übernehmen. Die Türkei bzw.
Erdoğan sei ein zentrales Problem.
Dies berichtete der US-Journalist
Seymour Hersh in einem langen
Artikel, aus dem hervorgeht, dass
es offensichtlich nicht nur Widersprüche zwischen der CIA und der
DIA gab, sondern auch zwischen
höchstrangigen Mitgliedern des USGeneralstabs und dem Weißen
Haus. Dem DIA-Chef zufolge seien
die Berichte und Warnungen im
Weißen Haus auf "starke AblehNachdem die USA und einige ihrer nung" gestoßen, man wollte "die
Verbündeten Libyen zerstört hatWahrheit nicht hören". Deshalb
ten und Gaddafi gestürzt und erbegannen US-Militärs indirekt Damordet worden war, begann die
maskus mit GeheimdienstinformaCIA – im Auftrag der Regierung
tion zu beliefern.
und in Kollaboration mit ihren
Die unbequemen Chefs der DIA
Verbündeten in Großbritannien,
und des Generalstabs haben ihre
Saudi Arabien und Katar – in eiPosten inzwischen verlassen: DIAnem geheimen Programm Waffen
und andere Güter aus Libyen über Chef Flynn wurde abberufen und
General Dempsey ist im Ruhedie Türkei nach Syrien zu liefern.
stand. "Obama hat nun ein gefügiDie Obama-Administration wollte
die syrische "moderate Opposition" geres Pentagon. Seine Politik der
bewaffnen mit dem Ziel, die Regie- Verachtung Assads und Unterstütrung Assad zu stürzen. Die Türkei zung Erdoğans wird seitens der
jedoch lieferte die Waffen und Lo- Militärführung keine indirekte
Herausforderung mehr erfahren",
gistik "an die gesamte Opposition
einschließlich Jabhat al-Nusra und schreibt Hersh. Für Dempsey und
seine Partner bleibe es jedoch ein
Islamischen Staat." Dies geht aus
Rätsel, warum Obama weiterhin
einem streng geheimen Bericht
Erdoğan öffentlich verteidige –
hervor, den der USobwohl er privat das Problem zugäMilitärgeheimdienst DIA gemeinsam mit dem US-Generalstab, unter be. Und Hersh fragt: "Der GeneralLeitung von General Martin Demp- stab und die DIA informierten ständig die Führung in Washington
sey, im Sommer 2013 erstellt hatten. Der Chef der DIA, Generalleut- über die dschihadistische Gefahr in
nant Michael Flynn, informierte die Syrien und die Unterstützung der
Obama-Regierung wiederholt, dass Türkei. Sie hörten nie zu. Warum?"
es keine "moderate Opposition"
Seymour Hersh geht in seinem
Artikel auch auf die Interessen
Russlands (und Chinas) ein. Beide
Länder befürchten, dass mit Hilfe
der Türkei in Syrien eine Dschihadistenbasis entsteht, aus der Kämpfe in ihre Länder getragen werden
könnten, zumal die Türkei dabei
hilft, uigurische und tschetschenische Terroristen nach Syrien einzuschleusen und viele Führer der IS
vorher gegen Russland in Tschetschenien gekämpft hatten.
Für die Bundestagsfraktion und
den Vorstand der Linkspartei ist
das Bild viel einfacher: Sie sprechen unterschiedslos von den
"externen Akteuren". Demnach
verfolge auch Russland nur
"scheinbar" das Ziel der
„Bekämpfung des IS". In Wirklichkeit gehe es aber auch Russland –
wie allen anderen internationalen
Akteuren in Syrien – nur darum,
seine "globalstrategischen und
machtpolitischen Interessen auf
dem Rücken der Zivilbevölkerung"
auszutragen.
Äquidistanz zu Russland/USA –
und das Völkerrecht?
Die syrische Regierung führt einen
legitimen Kampf gegen die massive
Einmischung der USA und ihrer
Verbündeten und gegen die Eroberung seines Staatsgebietes durch
terroristische Organisationen, die
vor allem von den USA, der Türkei,
Saudi Arabien und Katar unterstützt werden. Die Terrorgruppen
haben weite Teile des Landes offensichtlich ganz im Interesse anderer
Staaten eingenommen. Das zeigt
sich insbesondere durch den massiven illegalen Ölhandel, den Daesh
mit der Türkei betreibt. Monatelang gaben die USA und einige
ihrer Verbündeten vor, in einer
www.sozialistischer-dialog.de
22
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
"Anti-Terror-Koalition" gegen Daesh land um militärische Unterstützu kämpfen. Der wurde indes imzung. Wenn uns das Völkerrecht
mer stärker.
noch etwas gelten soll, dann müssen wir diesen Unterschied deutDas militärische Eingreifen Russlich machen. Jede Äquidistanz zum
lands im September und die Rückvölkerrechtskonformen russischen
eroberung syrischen StaatsgebieMilitäreinsatz in Syrien und der
tes durch Regierungstruppen hatte
völkerrechtswidrigen westlichen
die westliche "Anti-TerrorAggression leistet der weiteren
Koalition" offenbar kalt erwischt.
Aushöhlung des Völkerrechts VorEin von außen erzwungener Reschub.
gime-Change in Syrien scheint
damit vereitelt.
Die Aufgabe der Friedensbewegung ist es, sich gegen MilitäragDer überraschenden Ankündigung
gressionen zu wenden, gegen den
der Bundesregierung, sich mit der
Aggressor und nicht, dem AngeBundeswehr an der westlichen
griffenen das Völkerrecht auf
"Anti-Terror-Koalition" zu beteiliSelbstverteidigung abzusprechen.
gen, haben Friedensbewegung und
Im Völkerrecht gibt es das Verbot
auch die Linkspartei ein kategorieines Angriffskriegs und das Recht
sches Nein entgegengehalten.
auf militärische Verteidigung.
Nicht wenige in der FriedensbeweAuch in diesem Zusammenhang ist
gung und auch offizielle Erklärunes völlig unerheblich, ob einzelnen
gen der Linksfraktion und Partei
in der Friedensbewegung oder der
bemühen sich allerdings nun um
Linkspartei die Regierung eines
Gleichsetzung des russischen Einangegriffenen Landes gefällt oder
greifens mit dem der westlichen
nicht.
"Anti-Terror-Koalition". Die
"russischen und US-Bomben" wer- "Bomben schaffen keinen Frieden in einem Atemzug genannt.
den"
Nur, wo bleibt das Völkerrecht,
das für die Friedensbewegung immer ein wichtiger Bezugspunkt
war und auf das sich doch auch
die Linkspartei gerne bezieht?
Syrien hat weder die USA noch die
Bundesrepublik und andere NATOLänder um militärische Hilfe gebeten. Warum sollte es auch gerade
jene Länder bitten, die ihr Ziel, den
Sturz der Regierung in Damaskus,
nie aufgegeben hatten. Die monatelangen Bombardierungen der USA
und ihrer Partner in Syrien – nun
auch der Bundesrepublik –sind ein
völkerrechtswidriger Angriff auf
die territoriale Integrität Syriens
und gelten als Aggression. "Das
syrische Staatsgebiet ist völkerrechtswidrig für ‚vogelfrei‘ erklärt
worden", wie die Linksfraktion
treffend erklärt.
Vom beschlossenen Waffenstillstand sind militärische Aktionen
gegen Daesh, Nusra und andere
Terrorgruppen (die noch festzulegen sind) ausdrücklich ausgeDiese Losung der Linkspartei, oder schlossen. Das bedeutet, dass zuLosungen wie "unter Bombenteppi- mindest formal die Unterstützung
chen wächst kein Friedieser Terrorgruppen nicht mehr
de" (Linksfraktion) oder "Krieg
zulässig ist. Dass dies von intereskann nicht mit Krieg bekämpft
sierten Staaten unterlaufen wird,
werden" (wie in Appellen der Frie- zeigt sich zumindest deutlich
densbewegung zu lesen), klingen
durch die Aktionen der Türkei.
recht schön und pazifistisch, aber
In Wien und New York wurde der
vergessen jede historische ErfahWeg für eine tragbare langfristige
rung, auch die Geschichte unseres
politische Lösung eröffnet, ein
Landes. Militärische KampfhandWeg, der noch viele Hindernisse
lungen – auch jene der Anti-Hitlerüberwinden muss. Russland konnKoalition, allen voran der Roten
te auch durchsetzen, dass die völArmee – waren und sind leider oft
kerrechtswidrige Vorbedingung
die Voraussetzung, um Frieden zu
"Assad muss weg" endlich aufgegeschaffen. Derartige Losungen könben wurde. Die UNO Resolution
nen kein Konsens sein in der Frie2254 (2015) bestätigt die Souverädensbewegung, in der schon imnität, Unabhängigkeit und territorimer nicht nur Pazifisten engagiert
ale Integrität Syriens und untersind, sondern auch Antimilitarisstreicht, dass es ausschließlich die
ten, die das Recht auf militärische
Sache des syrischen Volkes ist
Verteidigung gegen Angriffskriege
über die Zukunft seines Landes
und auf bewaffnete Befreiungsund seiner politischen Führung zu
kämpfe (gegen Kolonialismus und
entscheiden.
Besatzung) anerkennen.
In seinem legitimen Kampf zur
Verteidigung seines Staatsgebietes
und den Fortbestand des Landes
Auch in Syrien geht es um die
bat die syrische Regierung RussSchaffung der Voraussetzung für
Ausgabe 48 März 2016
Frieden und für die politische Lösung der Probleme im Land. Die
militärischen Aktionen der syrischen Regierung und Russlands
sind eine unmittelbare Notwendigkeit, um Daesh und andere Terrorgruppen vom syrischen Staatsgebiet zu verdrängen. Erst das erfolgreiche militärische Eingreifen
Russlands hat seinen langen, intensiven diplomatischen Bemühungen
für eine politische Lösung zum
Durchbruch verholfen: All jene
Länder, die seit Jahren den völkerrechtswidrigen Regime-Change in
Damaskus betreiben, mussten
wohl oder übel einsehen, dass ihr
Kampf in eine Sackgasse führte
und setzten sich in Wien mit Russland an einen Tisch. Die Wiener
Verhandlungen führten schließlich
zu einer einstimmig beschlossenen
Resolution des UN-Sicherheitsrates.
Doris Pumphrey
23
Syrienkrieg und Völkerrecht
Was geht in Syrien unter dem Aspekt des Völkerrechts eigentlich
vor sich? Kann man das tödliche
Durcheinander überhaupt noch mit
rechtlichen Mitteln erfassen? Das
ist in der Tat schwierig. Ich will es
versuchen. Maßstab ist vor allem
die UNO-Charta, an die alle am
Konflikt direkt oder indirekt beteiligten Staaten als Mitglieder der
UNO gebunden sind.
Erstens. 2011 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den regulären Streitkräften
der legitimen Regierung Syriens
und Kräften der Assad-Gegner. Das
war zunächst ein Bürgerkrieg oder
in der Sprache des „humanitären
Kriegsvölkerrechts“ ein
„nichtinternationaler bewaffneter
Konflikt“, und damit eine innere
Angelegenheit Syriens. Dafür gilt
der Grundsatz der Nichtintervention aus Art. 2 Ziffer 7 der Charta,
das Verbot der Einmischung in die
inneren Angelegenheiten eines
souveränen Staates und Mitglieds
der UNO.
Zweitens. Dieses Verbot wurde
zunehmend durch Saudi-Arabien
und Katar sowie durch die Türkei
mit der Forderung des RegimeWechsels („Assad muss weg“), mit
Waffenlieferungen, mit Geld für die
Gegner Assads und durch die
„freundliche Duldung“ des Überwechselns von „Kämpfern“ nach
Syrien verletzt. Erdogan ließ seinen
antikurdischen Hass auf türkischem Territorium freien Lauf,
wobei die Kurden ihre eigenen
Interessen für mehr Selbständigkeit verfolgen. Der Westen ergriff
offen und grob Partei für die
„Rebellen“ und gegen Assad. Von
vornherein waren westliche Geheimdienste mit am Werk. Die USA
und die EU verhängten wirtschaftliche und politische Sanktionen
gegen das offizielle Syrien. Die Opposition wurde mit sogenannten
nichttödlichen Ausrüstungen versorgt. Russland, der Iran und die
libanesische Hisbollah unterstütz-
24
ten Assad. Auf diese Weise erhielt
der Bürgerkrieg die zusätzliche
Dimension eines internationalen
bewaffneten Konflikts. Mit den
Luftangriffen der USA und SaudiArabiens ab September 2014, an
denen sich später auch Großbritannien und Frankreich beteiligten,
und den militärischen Überfällen
der Türkei auf Syrien nahm dieser
Konflikt den Charakter einer massiven Verletzung des Gewaltverbots des Art. 2 Ziffer 4 der UNOCharta. Dieses Verbot ist die
Grundnorm des internationalen
Lebens, sozusagen die Übersetzung
des bekannten Worts von Willi
Brandt „Frieden ist nicht alles, ohne Frieden ist alles nichts“ ins Völkerrechtlich-Normative. Deutschland hat sich an dieser Aggression
bis Januar 2016 mit der Entsendung von Truppen und Flugabwehrraketen zum völlig unnötigen
Schutz vor nicht stattgehabten Angriffen Syriens auf die Türkei beteiligt.
Drittens. Gegen einen bewaffneten
Angriff gilt das Selbstverteidigungsrecht des Art. 51 der UNOCharta. Im Syrienkrieg hat Assad
dieses Recht auf seiner Seite. Aggressoren sind diejenigen, die ohne
seine Zustimmung und gegen seinen Protest auf syrischem Territorium herum bomben und herum
schießen, also die USA und ihre
Verbündeten. Es ist prinzipiell richtig, dass der Terror nicht durch
Krieg auszuschalten ist. Aber in
Syrien ist eine Lage entstanden, in
der gar nichts anderes übrig bleibt
als den Islamischen Staat auch mit
Waffengewalt zu bekämpfen, solange dieser seine grausame Waffengewalt praktiziert. Mit zivilen Mitteln
allein lässt sich der IS in Syrien
nicht ausschalten. Assad hat auch
das Recht, sich russische Militärhilfe gegen den Islamischen Staat und
die bewaffneten „Rebellen“ zu holen. Und Russland hat das Recht,
solche Hilfe zu leisten. In der Völkerrechtswissenschaft wird das
marxistische Theorie und sozialistische Politik
unter dem Begriff „Intervention auf
Einladung“ gehandelt. Das ist ein
problematisches Rechtsinstitut,
weil man selten genau weiß, ob die
Einladung vom Eingeladenen bestellt oder gar erzwungen ist. Im
Fall des Eingreifens Russlands in
den Syrien-Krieg liegt aber zweifelsfrei eine Bitte Assads vor, der
die Hilfe Russlands bitter nötig
hatte.
Viertens. Unabhängig davon, wer
in Syrien völkerrechtsgemäß oder
völkerrechtswidrig militärische
Gewalt anwendet, ist jede Seite des
Konflikts verpflichtet, sich bei ihren Kampfhandlungen an das geltende Gebot des Schutzes der Zivilbevölkerung und ziviler Objekte zu
halten, wie es besonders in den
Genfer Konventionen von 1949
und den zwei Zusatzprotokollen
von 1977 normiert ist, sowie das
Verbot bestimmter Waffen, wie
chemische und biologische, Antipersonenminen und Streubomben
zu achten. Auch die zwei internationalen Menschenrechtspakte von
1966 sind in einem internationalen
Konflikt keineswegs außer Kraft
gesetzt. Es gibt wohl keinen Zweifel, dass in Syrien massenhafte und
schwerwiegende Verletzungen
dieser Normen vorkommen. Der
Sicherheitsrat ist in der Resolution
Nr. 2258 vom 22. Dezember 2016
so weit gegangen, „dass einige der
in Syrien verübten Rechtsverletzungen, Übergriffe und Verstöße
möglicherweise Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.“ Keine Seite ist
da frei von Schuld. Aber es ist unredlich und inakzeptabel, die Verantwortlichen nur auf der Seite
Assads und Putins zu sehen. Die
Hauptschuldigen sind die bewaffneten Gegner Assads und ihre
westlichen Verbündeten.
Fünftens. Seit einigen Jahren sind
die terroristischen Organisationen
Islamischer Staat und Al NusraFront zu eigenständigen Faktoren
im Syrien-Krieg geworden. Diese
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
beherrschen beträchtliche Teile
des syrischen Staatsgebiets und
üben grausam-blutige Gewalt gegen die dortige Bevölkerung. Der
Islamische Staat (IS) ist kein Staat
sondern eine verbrecherische Organisation. Man kann meines Erachtens Vorschlägen nicht folgen, dass
man um des Friedens willen, auch
mit Leuten vom IS verhandeln sollte. Das würde den IS zu einem normalen Völkerrechtssubjekt aufwerten und ihn eher in seinem verbrecherischen „heiligen“ Wahn stärken, als ihn zu zivilisiertem Verhalten zu bekehren. Es gibt zwar bis
heute keine allgemein anerkannte
juristische Definition, was Terrorismus ist. Die Mitglieder der UNO
haben es bisher nicht fertig gebracht, ein „Umfassendes Übereinkommen“ über den Kampf gegen
den Terrorismus abzuschließen,
weil sie sich nicht über eine solche
Definition einigen konnten. Schon
mehr als 20 Jahre wird an diesem
Übereinkommen gearbeitet. Es
gibt dazu das boshafte Wort „Was
dem einen sein Freiheitskämpfer,
ist dem anderen sein Terrorist“ und
umgekehrt. Der IS war dem Westen
anfänglich als Kampfinstrument
gegen Assad willkommen und wurde wohlwollend geduldet. Inzwischen ist man sich von Washington
über Brüssel, den Nahen Osten bis
Moskau einig, dass das was der IS
macht Terrorismus kein
„Befreiungskampf“ gegen Assad ist
und sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen den Westen, gegen Russland und selbst gegen die
Länder des Nahen Ostens richtet.
Zu Recht hat der Sicherheitsrat in
der Resolution 2249 vom 20. November 2015 den IS als „eine weltweite und beispiellose Bedrohung
des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ bewertet.
Sechstens. Laut der erwähnten
Resolution 2258 des Sicherheitsrats sind im Syrien-Krieg bisher
250.000 Menschen getötet worden,
darunter viele Frauen und Kinder.
In dieser mörderischen Situation
ist eine massive Fluchtbewegung
entstanden. Der Sicherheitsrat hat
Ausgabe 48 März 2016
4,2 Millionen Menschen gezählt,
die das Land verlassen haben, von
ursprünglich 21 Millionen Einwohnern. Dazu kommen noch 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge. Also die
Hälfte der Einwohner ist auf der
Flucht. Ein unglaubliches menschliches Drama. Man scheut sich fast,
da juristische Messlatten anzulegen, außer dem kategorischen politisch-moralischen Imperativ: den
Menschen muss geholfen werden.
Zumal das Völkerrecht keine eindeutigen Antworten parat hat. Es
gibt das Abkommen über die
Rechtstellung der Flüchtlinge von
1951/1967. Es bestimmt, dass
Flüchtlinge Menschen sind, die
sich „wegen begründeter Furcht
vor Verfolgung aus Gründen der
Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb
ihres eigenen Landes befinden.“
Der Wortlaut meint die politischen
Flüchtlinge. Ihnen wird eine
Rechtsstellung zugesichert, wie sie
alle übrigen Ausländer oder sogar
die eigenen Staatsbürger haben.
Die übergroße Mehrheit der Syrier
flieht jedoch nicht wegen politischer Verfolgung, sondern schlicht
um ihr Leben vor Krieg und Terror
zu bewahren. Sie gehören zur Kategorie der Kriegsflüchtlinge. Für sie
muss dieselbe Rechtsstellung gelten, wie für die politischen Flüchtlinge. Das Flüchtlingsabkommen
regelt die Stellung der Flüchtlinge,
wenn sie bereits in einem anderen
Land sind, aber nicht die Einreise
von Flüchtlingen in andere Länder. Das Grenzregime ist Sache des
jeweiligen innerstaatlichen oder
des EU-Rechts, nicht des allgemeinen Völkerrechts. Aber es darf
nicht menschenrechtswidrig gestaltet werden, wie das der Festung
Europa. Die Wahrung der Idee der
Menschenrechte gebietet, dass
Menschen, deren Recht auf Leben
im eigenen Staat durch Krieg und
Hunger gefährdet ist, auf einem
sicheren Weg und nach einem geregelten Verfahren in anderen Staaten Aufnahme finden. Der auf der
Sitzung des Europäischen Rats am
7. März mit der Türkei abgekartete
Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien ist ein Hohn auf das universale
und europäische Flüchtlingsrecht,
auf die europäische Konvention
der Menschenrechte und Grundfreiheiten und auf die EU-Charta
der Grundrechte. Das ähnelt eher
der Freiheitsberaubung und Vertreibung von Massen von schutzsuchenden Menschen und dem Menschenhandel.
Alles in allem: Wir haben es in
Syrien mit einer ziemlich verworrenen Verquickung von Bürgerkrieg,
internationalem Krieg, der auf der
einen Seite eine Aggression westlicher Länder ist und auf der anderen Seite eine Selbstverteidigung
Syriens, sowie flächendeckendem
Terror und Massenflucht zu tun.
Jetzt zum beschlossenen Einsatz
der Bundeswehr im Syrien-Krieg,
den der Bundestag am 4. Dezember
mit 445 gegen 145 Stimmen beschlossen hat. Die Außen- und Militärpolitik des imperialistischen
Deutschlands braucht Rechtfertigungen. Sie muss den Leuten
schmackhaft und verdaulich gemacht werden. Die aggressive Politik kommt nicht ohne die Behauptung aus, dass das Völkerrecht
selbstverständlich allenthalben
eingehalten wird. So beginnt auch
der Beschluss des Bundestags mit
einem langen Absatz über angeblich vorhandene völkerrechtliche
Grundlagen des Einsatzes. Diese
Rechtsgrundlagen gibt es aber
nicht. Der Einsatz mit bis zu 1.200
Soldatinnen und Soldaten, 6 Tornados und einer Fregatte ist völkerrechtlich keineswegs gedeckt. Dazu
drei Bemerkungen.
Der Beschluss beruft sich erstens
auf drei Resolutionen des UNOSicherheitsrats. In keiner dieser
Resolutionen ist jedoch die Anwendung militärischer Gewalt
durch Drittstaaten zur Bekämpfung
des Terrorismus des IS beschlossen
worden. Alle drei Resolutionen
enthalten nur nichtmilitärische
Antiterrormaßnahmen.
Zu Recht verurteilt die Resolution
25
2249 vom 20. November 2015
„unmissverständlich und mit allem
Nachdruck“ die „grauenvollen Terroranschläge“ nicht nur in Paris
sondern auch in Sousse, in Ankara,
über Sinai, in Beirut sowie alle
anderen Anschläge des IS. Die Resolution fordert in Ziffer 5 die Mitgliedstaaten auf, in dem unter Kontrolle des IS stehenden Gebiet in
Syrien und Irak „alle notwendigen
Maßnahmen zu ergreifen,… um
terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden … und
den sicheren Zufluchtsort zu beseitigen, den sie [der IS und andere
Gruppen] in erheblichen Teilen
Iraks und Syriens geschaffen haben“. Es wird ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass das zu geschehen hat „unter Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere der Charta
der Vereinten Nationen sowie der
internationalen Menschenrechtsnormen, des Flüchtlingsvölkerrechts und des humanitären Völkerrechts“. Man kann diese Aufforderung keinesfalls so interpretieren, als sanktioniere der Sicherheitsrat damit die Anwendung von
Waffengewalt durch Drittstaaten in
Syrien ohne Anforderung und Zustimmung der Regierung Syriens.
Im Falle Syriens liegt eine Bitte der
Regierung um bewaffnetes Eingreifen nur für einen einzigen Drittstaat, nämlich für Russland vor.
Die Resolution beruft sich überhaupt nicht darauf, dass der Rat
nach Kapitel VII der Charta handelt, der einzigen möglichen
Rechtsgrundlage für einen Waffeneinsatz. Beschlossen wurde in der
Resolution die Verpflichtung aller
Staaten „zur Eindämmung des Zustroms ausländischer terroristischer Kämpfer nach Irak und Syrien und zur Verhütung und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung“. Das ist völkerrechtskonform.
Dem Bundeswehreinsatz im Syrienkrieg fehlt eine Legitimierung
durch den UNO-Sicherheitsrat.
26
Die Bundesregierung beruft sich
zweitens auf das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UNOCharta. Dieses Recht besteht „in
Falle eines bewaffneten Angriffs“
und nur in diesem Fall. Aber waren
die Terrorakte in Paris ein bewaffneter Angriff auf Frankreich? Bisher galt und gilt nach wie vor als
bewaffneter Angriff, wenn ein Staat
gegen einen anderen als erster
militärische Gewalt ausübt, also
eine Aggression begeht. Der IS ist
kein Staat im Sinne des Völkerrechts, sondern eine Verbrecherbande und seine Aktion in Paris
war kein bewaffneter Angriff auf
Frankreich sondern ein schweres
Verbrechen. Es wäre – so muss ein
unvoreingenommener Jurist urteilen – eine Aufweichung des Gewaltverbots und damit eine Aushöhlung des Grundbestands des
zwingenden Friedensvölkerrechts
mit unvorhersehbaren Folgen,
wenn die Begriffe Angriff und Verteidigung ausgeweitet oder uminterpretiert würden. Auf das Selbstverteidigungsrecht der UNO-Charta
kann sich die Bundesregierung
nicht berufen.
Die Bundesregierung stützt sich
drittens auf den dubiosen Hilferuf
des französischen Präsidenten Hollande nach Art. 42 Abs. 7 des EUVertrags. Zu Unrecht. Dort heißt es:
„Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in
ihrer Macht stehende Hilfe und
Unterstützung, im Einklang mit
Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen.“ Die Terroranschläge
in Paris waren schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
aber kein bewaffneter Angriff auf
das Hoheitsgebiet Frankreichs. Der
„Einklang“ mit Artikel 51 besteht
nicht. Es gibt noch einen anderen
„einschlägigen“ Artikel in den EUVerträgen, nämlich die
marxistische Theorie und sozialistische Politik
„Solidaritätsklausel“ des Artikels
222 im Vertrag über die Arbeitsweise der EU. Dort heißt es, dass
EU-Mitglieder einem von einem
Terroranschlag betroffenen Mitglied auch mit militärischen Mitteln „innerhalb seines Hoheitsgebiets unterstützen“ sollen, aber nur
„auf Ersuchen seiner politischen
Organe“. Auf diesen Artikel hat
sich Hollande wohlweislich nicht
berufen. Es wäre auch das Letzte,
ausgerechnet deutsche Soldaten
nach Frankreich zum AntiTerrorkampf einzuladen.
Im Übrigen hat sich Deutschland
nach meiner Meinung aus historischen, politischen und verfassungsrechtlichen Gründen aus direkten
oder indirekten Militäreinsätzen,
ob mit oder ohne Mandat des Sicherheitsrats, in Syrien, im Irak
und überall sonst wo herauszuhalten. Ich würde deshalb den Einsatz
der Bundeswehr auch dann ablehnen, wenn der Sicherheitsrat ein
Mandat erteilt hätte. Es gibt für
einen Staat wie die BRD genügend
Möglichkeiten, den Terrorismus
mit zivilen Mitteln wirksam zu
bekämpfen.
Jüngste Entwicklungen zum SyrienKrieg geben zu Hoffnungen Anlass,
dass endlich das nach Art. 2 Ziffer
3 der Charta verbindliche Prinzip
der Beilegung von Streitigkeiten
durch friedliche Mittel zum Zuge
kommt. Die Präsidenten Putin und
Obama haben sich in einem telefonischen Kontakt über eine gemeinsame Erklärung der USA und Russlands geeinigt, dass ab dem 27.
Februar eine Waffenruhe zwischen
den Streitkräften der syrischen
Regierung und denen der Opposition in Kraft treten soll. Es heißt,
dass Assad, die „Rebellen“ und die
syrischen Kurden zugestimmt haben. Die Waffenruhe soll nicht gegenüber den Terrorgruppen IS und
al Nusra-Front und anderen Terroristen gelten, die vom Sicherheitsrat als solche bestimmt werden. Es
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
ist allerdings schwierig, zwischen
den fast 100 Rebellengruppen, von
denen verschiedene mit Terroristengruppen zusammenarbeiten
und den Terroristen eine klare
Unterscheidung zu ziehen. Und das
ist natürlich eine Quelle für Unsicherheiten. Aber die Waffenruhe
wird bisher im Großen und Ganzen
eingehalten. Die USA und Russland
handelten nicht bloß für sich, sondern wie es heißt, im Namen der
Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien.
Die Unterstützungsgruppe mit 21
Mitgliedern ist äußerst bunt zusammen gesetzt. Die USA und Russland
sind die Vorsitzenden. Die anderen
Vetomächte, der Iran und SaudiArabien, Deutschland und die Türkei, die UNO, die EU und die Arabische Liga gehören dazu, also alle,
auf die es ankommt. Die Gruppe
hatte schon durch die Wiener Erklärungen vom 30. Oktober und
vom 14. November 2015 einen
richtigen Ansatz für Frieden in
Syrien geliefert, der jedoch nichts
gebracht hat. Die sinnlose Forderung: Assad muss erst weg, bevor
Frieden kommt, wurde in diesen
Erklärungen nicht erhoben.
Der Sicherheitsrat ist auch nicht
untätig geblieben. Am 18. Dezember hat der Rat einstimmig die Resolution 2254 verabschiedet. Sie
enthält vernünftige Beschlüsse für
Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und der Opposition und für eine landesweite
Waffenruhe. Einige Tage später am
22. Dezember 2015 wurde die Sicherheitsratsresolution 2258 nachgeschoben. Die verheerende huma-
nitäre Lage in Syrien wird dort mit
aller gebotenen Schärfe charakterisiert und „verlangt, dass alle Parteien, insbesondere die syrischen
Behörden, den für sie geltenden
Verpflichtungen nach dem Völkerrecht, einschließlich des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechtsnormen,
sofort nachkommen.“
Am 12. Februar bestand auf einem
Treffen der internationalen Gruppe, einschließlich Russlands und
der USA, schon einmal Einigkeit
darüber, dass innerhalb einer Woche in Syrien eine Waffenruhe eintreten soll. Daraus wurde nichts
und das lag nicht an Russland.
Nach allen negativen Erfahrungen
ist Skepsis angebracht. Der IS setzt
seinen Terror fort und zeigt, dass
man mit ihm tatsächlich keine
Waffenruhe machen kann. Meldungen über Störungen der Waffenruhe sind nicht selten, aber meist
nicht belegt. Am 29. Februar hat
Spiegel online gemeldet, der französische Außenminister habe angeblich Hinweise, dass, (na wer wohl?
Natürlich) das „syrische Regime
und seine Verbündeten die Feuerpause in Syrien missachten“. Die
Gegner der Waffenruhe und des
Friedens in westlichen Dienststellen und Medien machen mobil. Die
USA, Saudi-Arabien, Frankreich,
die Türkei und andere wollen im
Grunde keinen Frieden in Syrien.
Aber der inzwischen zum gefährlichen „gemeinsamen Gegner“ ausgewachsene IS veranlasst sie zu Absprachen mit Russland und dem
syrischen „Regime“. Die weitere
Entwicklung ist offen. Am 7. März
sollten die zähflüssigen Genfer
Friedensgespräche unter UNOVermittlung fortgesetzt werden.
Nunmehr sollen sie am Montag
den 14. März richtig anfangen. Vielleicht.
Gregor Schirmer
Erstveröffentlichung in der Tageszeitung „junge Welt“ vom 16. März
2016
Ausgabe 48 März 2016
27
Zielscheiben des Westens
Die US-geführten Interventionen der vergangenen Jahre haben sich immer gegen Länder
mit antikolonialer Revolution
gerichtet. Das Hauptaugenmerk
gilt aber Russland und China
Auf Einladung der Partei Europäische Linke (EL) diskutierten
am 9. Januar in Berlin unter
anderem deren Vizepräsidentin
María Teresa Mola aus Spanien,
der Völkerrechtler Gregor
Schirmer, Dov Khenin, KnessetAbgeordneter von Chadash, der
griechische Arbeitsminister
Georgios Katrougalos, der Autor Rainer Rupp, der unter anderem für jW schreibt, sowie
der Philosoph und Publizist
Domenico Losurdo zum Thema
»Antiimperialismus heute«.
China und Russland sind
»Zielscheibe« des Westens geworden, um die antikoloniale
Weltrevolution in Frage zu stellen, so Losurdo in seinen Ausführungen. Die USA benennt
der Italiener als gefährlichste
Macht in diesem Streben. Auf
Bitten der jW hat der Autor seine Ausführungen zu einem Artikel ausgearbeitet.
Ich möchte mit einer banalen Feststellung anfangen: Die Gefahr eines großen Krieges, ja sogar eines
Weltkriegs hat eine neue Aktualität gewonnen. Papst Franziskus
hat behauptet, dass der dritte
Weltkrieg schon im Gange sei.
Wann hat er angefangen? Seit dem
Triumph des Westens im Kalten
Krieg erleben wir einen heißen
Krieg nach dem anderen. 1989 –
Invasion Panamas seitens der
USA. 1991 – erster Golfkrieg gegen den Irak. 1999 – Krieg gegen
Jugoslawien. 2003 – zweiter Krieg
gegen den Irak. 2011 – Krieg gegen Libyen. Unmittelbar danach
der Krieg gegen Syrien. Und natürlich die koloniale Expansion in
Palästina, d.h. der ununterbroche28
ne Krieg gegen das palästinensische Volk.
All diese Kriege haben zweierlei
gemeinsam: Erstens, sie werden
auch ohne Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO entfesselt, d.h.
sie sind völkerrechtswidrig. Zweitens, sie haben als Zielscheibe
immer Länder, die eine – mehr
oder weniger gelungene – antifeudale und antikoloniale Revolution
hinter sich haben. Jedenfalls bleiben Länder wie Saudi-Arabien und
Katar ausgespart, die keine antifeudale und antikoloniale Revolution hinter sich haben, und die
heute den »Islamischen Staat« finanzieren und unterstützen.
Wir können zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens, die Barbarei
des »Islamischen Staats« ist gleichzeitig und in erster Linie die Barbarei des westlichen Kolonialismus und Imperialismus. Zweitens,
der Kampf zwischen Kolonialismus und Antikolonialismus, zwischen Imperialismus und Antiimperialismus spielt noch heute eine
zentrale Rolle.
Der Triumph des Westens im Kalten Krieg wurde von Parolen begleitet, die da lauteten: Gescheitert
ist nicht nur die Sache des Sozialismus, sondern auch die der dritten Welt. Endlich ist der Kolonialismus wieder da! Sogar die Kategorie Imperialismus erlebte eine
Rehabilitierung. Der britische Historiker Niall Ferguson behauptet:
Nach dem britischen Empire brauchen wir das amerikanische Empire. Die US-Amerikaner dürften
keine Angst vor dem Wort Imperialismus haben, zumal schon die
Gründerväter der USA erklärte
und selbstbewusste Imperialisten
waren.
Und in der Tat, auch die bürgerliche Presse hat anerkannt, dass z.
B. der Krieg gegen Libyen im Jahr
2011 ein Kolonialkrieg war, und
zwar ein grausamer kolonialer
Krieg. Der in Paris lebende Philo-
marxistische Theorie und sozialistische Politik
soph und Schriftsteller Tzvetan
Todorov erinnerte daran, dass der
NATO-Krieg gegen Libyen mindestens 30.000 Menschen das Leben
gekostet hat – geführt wurde er
unter dem Vorwand, die Bevölkerung vor Muammar Al-Ghaddafi zu
schützen.
Aggression gegen Syrien
Schon 2003 haben die USamerikanischen Neokonservativen
den »Regime-Change« in Syrien
befürwortet und geplant. Man
kann über Baschar Al-Assad urteilen, wie man will: Es bleibt Tatsache, dass ein Krieg, der fast ein
Jahrzehnt im voraus und Tausende
Kilometer entfernt programmiert
worden ist, kein Bürgerkrieg, sondern in erster Linie ein imperialistischer Aggressionskrieg ist.
Die imperialistischen Ambitionen
werden manchmal explizit und
sogar stolz proklamiert. Bekanntlich sagte Präsident George W.
Bush gerne, die USA seien die von
Gott auserwählte Nation und hätten die Aufgabe, die Welt zu regieren. Nicht viel anders ist die Sprache seines Amtsnachfolgers Barack Obama, der vor kurzem das
Dogma proklamiert oder besser
bestätigt hat, wonach die USA die
»undispensable nation«, die einzige
unentbehrliche Nation in der Welt
seien. Auserwählte Nation, unentbehrliche Nation. Damit sind wir
bei der Definition Lenins vom Imperialismus: Der Imperialismus ist
der Anspruch von wenigen, angeblich auserwählten Nationen oder
Modellnationen, die sich selbst
Souveränität zuschreiben, sie den
andern Völkern aber absprechen.
Angeführt von den USA versucht
der westliche Imperialismus, die
antikoloniale Weltrevolution des
20. Jahrhunderts in Frage zu stellen. Die neokolonialen Kriege, die
1989 angefangen haben, kündigen
größere Kriege an. Die erste Zielscheibe ist China, d. h. das Land,
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
das aus der größten antikolonialen lage dem Risiko ausgesetzt war,
ten Staaten streben seit langem
Revolution der Geschichte entstan- eine Kolonie zu werden. Das war
danach, die Fähigkeit zu erreiden ist. Das Land, das auch die
so nach dem Ersten Weltkrieg. In chen, dem Feind ungestraft den
heutige Etappe der antikolonialen den 1940er Jahren wollte Hitler
Erstschlag mit atomaren Waffen
Revolution anführt. Heute streben explizit in Osteuropa das germani- zuzufügen. Dem dient auch das
die Länder, die das politische Joch sche Indien aufbauen, d. h. Russ- sogenannte Raketenabwehrsystem
des Kolonialismus abgeschüttelt
land in eine Kolonie verwandeln – Washingtons. Der Krieg, der droht,
haben, danach, sich auch von der viele Historiker sind heute der
könnte auch die nukleare Schwelwirtschaftlichen und technologiMeinung, dass Hitlers Krieg im
le überschreiten. Der Kampf gegen
schen Abhängigkeit zu befreien;
Osten der größte Kolonialkrieg der die neokolonialen Kriege, die
sonst würde ihre politische Unab- Weltgeschichte gewesen ist. Nach schon im Gange sind, und gegen
hängigkeit nur formell bleiben.
der Niederlage im Kalten Krieg
die wachsende Gefahr eines groLenin hat zwischen dem klassilief schließlich Russland Gefahr,
ßen Krieges und damit der Kampf
schen Kolonialismus – die politieine Halbkolonie des Westens zu gegen die NATO sind notwendiger
sche Annektierung eines Landes – werden: Die massiven Privatisieund dringender denn je.
und dem Neokolonialismus –
die wirtschaftliche Annektierung eines Landes – klar unter„Man kann über Baschar Al-Assad urteilen, wie man
schieden. Auch
will: Es bleibt Tatsache, dass ein Krieg, der fast ein
wenn er nicht so
heldenhaft erJahrzehnt im voraus und Tausende Kilometer entfernt
scheint, ist der
Kampf gegen die programmiert worden ist, kein Bürgerkrieg, sondern in
wirtschaftliche
erster Linie ein imperialistischer Aggressionskrieg ist.“
Annektierung
ein Bestandteil
der weltweiten
antikolonialen
Revolution, die
mit der Oktoberrevolution begon- rungen bedeuteten die Aneignung
nen hat.
des Sozialreichtums nicht nur sei- -------------Der Argument-Verlag hat im verDer bereits erwähnte britische
tens der russischen Plutokratie,
gangenen Jahr von Domenico LoHistoriker Niall Ferguson hat dasondern auch seitens der westlisurdo das Buch »Gewaltlosigkeit:
ran erinnert, dass am Anfang der chen Monopole. In der Ära von
Eine Gegengeschichte« veröffentReformen in der Volksrepublik
Boris Jelzin war es ihnen gelunlicht. Der Band »Die Sprache des
China viele US-Amerikaner die
gen, den enormen russischen
Imperiums: Ein historischHoffnung hegten, das große asiati- Reichtum an Energiequellen zu
sche Land in eine Halbkolonie
kontrollieren. Erst Präsident Wla- philosophischer Leitfaden«, 2011
verwandeln zu können. Das ist
dimir Putin hat alledem ein Ende im Papyrossa-Verlag erschienen,
setzt sich mit dem »Krieg gegen
nicht gelungen, vielmehr ist heute gesetzt – und er hat dafür den
den Terrorismus« auseinander. Im
klar: Diejenigen, die die antikolo- Hass des Westens auf sich gezoMai 2016 will der Papyrossaniale Revolution des 20. Jahrhun- gen.
Verlag von Domenico Losurdo das
derts in Frage stellen wollen, müsBuch »Der Klassenkampf oder Die
sen unbedingt China ins Visier
Der Imperialismus ist zu allem
nehmen.
bereit. Sergio Romano, ein bekann- Wiederkehr des Verdrängten?
ter Journalist, der in seiner diplo- Eine politische und philosophische
Feinbild Moskau
matischen Karriere erst Ständiger Geschichte« vorlegen.
Die zweite Zielscheibe ist RussVertreter Italiens bei der NATO
land, ein Land mit einer kompliund dann Botschafter in der SowDomenico Losurdo
zierten Geschichte. Oft ist es eine jetunion war, hat auf eine wichtiimperialistische Macht gewesen,
ge Charakteristik des USaber eine imperialistische Macht, amerikanischen Wettrüstens aufdie nicht selten nach einer Nieder- merksam gemacht: Die Vereinig-
»
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29
Veranstaltung:
30
marxistische Theorie und sozialistische Politik
Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
Deutschland führt Krieg. Im Dezember 2015 hat der Bundestag ohne große Diskussion in Parlament
oder Öffentlichkeit beschlossen, die Bundeswehr in einen Kampfeinsatz nach Syrien zu schicken. Wieder ein Krieg, der den Terror bekämpfen soll. Ein Krieg, der das Völkerrecht verletzt, um Recht und Gesetz wieder herzustellen. Das ist schon in Afghanistan, im Irak, in Mali gescheitert. Waffen gewalt und
Waffenexporte schaffen keinen Frieden. Wir wollen einen realistischen Blick auf die Kämpfe um die Vorherrschaft in der Welt werfen.
Wir wollen über die dahinter stehenden Interessen und über friedliche Alternativen sprechen. Was sind
Strategien für Frieden und Entspannung? Wie schaffen wir eine starke Bewegung gegen den Krieg? Diskutiert mit auf der „Friedens- und entspannungspolitischen Konferenz“.
Programm
Freitag, 18. März
18 Uhr
Eröffnungsrede: Nach dem Scheitern des „War on Terror“ – für einen New Deal gegen Krieg,
Fundamentalismus und Gewalt Katja Kipping (Vorsitzende DIE LINKE)
Krieg schafft keinen Frieden. Linke Strategien gegen Terror und Krieg
Mit Jan van Aken (MdB, DIE LINKE), Kate Hudson (Stop the War Coalition), Volker Lösch
(Theaterregisseur) und Firoze Manji (ehem. Afrika-Direktor Amnesty International).
Im Rahmen der Veranstaltung „48 Stunden für den Frieden“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Samstag, 19. März
10 Uhr Block I
Begrüßung: Dietmar Bartsch (Fraktionsvorsitzender, DIE LINKE)
Umbrüche in der Weltordnung und neue Kriege
Mit Sabah Alnasseri (University Toronto), Heike Hänsel (MdB, DIE LINKE),
Jochen Hippler (Universität Duisburg-Essen), Volodymyr Ishchenko (Universität Kiew).
Im Rahmen der Veranstaltung „48 Stunden für den Frieden“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Workshops:
Umbruch der Weltordnung und neue imperiale Akteure?
David Salomon, Raul Zelik Klimakriege? Wie die neoliberale Globalisierung massenhaft Umweltzerstörung, Kriegsgefahren und
Ressourcenkonflikte produziert.
Malte Daniljuk, Marita Wiggerthaler (angefragt) Der
„Islamische Staat“ – Entstehung, Machtstrukturen und linke Antworten.* Anne Alexander, Tsafrir
Cohen, Joe Daher, Werner Ruf (angefragt) Krieg gegen die Kurden – Zur aktuellen Entwicklung in
der Türkei und Kurdistan.
Gökay Akbulut, Sevim Dagdelen, Erkin Erdogan Nach Paris – weitere Militarisierung der europäischen Außenpolitik?
Heinz Bierbaum, Sabine Lösing Erfahrungen mit Krieg und Flucht
14–16 Uhr Block II
Neue Deutsche Rolle in der Welt? Zwischen Hegemonie und Zwang.
Mit Uli Cremer (Grüne Friedensinitiative), Stefanie Kron (Migrationsforscherin, RLS), Tobias Pflüger
(stellv. Vorsitzender DIE LINKE) und Rainer Rilling (Universität Marburg). Workshops:
Cyberwar und Drohnenkriege Lühr Henken, Daniel Leisegang Gegen Völkerrecht und Grundgesetz – die Militarisierung der deutschen Außenpolitik Erhard Crome, Otto Jäckel (angefragt) Jede
Waffe findet ihren Krieg. Waffenexporte und Rüstungsindustrie Jan van Aken, Otfried Nassauer
Krieg in der Ukraine – imperiale Mächte, Oligarchen und linke Perspektiven. Ellen Brombacher,
Andrej Hunko, Volodymyr Ishchenko Flucht, Frontex und kein Frieden*
angefragt sind: Johanna Bussemer, Fabian Georgi, Martin Glasenap, Bernd Kasparek „Das
ist der Krieg“ – Erfahrungen mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr
im In- und Ausland Jürgen Heiducoff, Daniel Lücking
16.30–18.30 Uhr Block III
Linke Alternativen für eine neue Friedenspolitik
Mit Christine Buchholz (MdB, DIE LINKE), Wolfgang Gehrcke (MdB, DIE LINKE), Dominic Heilig
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(Bundessprecher FDS, DIE LINKE, angefragt), Sahra Wagenknecht (Fraktionsvorsitzende, DIE LINKE) und
Jürgen Wagner (Informationsstelle Militarisierung, IMI). Workshops:
Krisenprävention konkret: Ansätze linker Sicherheitspolitik mit nicht-staatlichen Akteuren und Zivilgesellschaft Maria Oshana, Jan-Philipp Vatthauer Für eine gerechte Weltwirtschaft statt TTIP? Nichtfreihandelsorientierte Entwicklungspolitik
Jürgen Maier, Niema Movassat
Globale Friedensmacht? Strategien
und Grenzen einer Reform der UN
Albrecht von Lucke, Norman Paech
Mach was wirklich zählt. Gegen Werbekampagnen der Bundeswehr Thomas
Haschke, Julius Zukowski-Krebs (linksjugend
[′solid]), N.N. (DIE LINKE.SDS) Schluss
mit Waffenexporten – Konversion der
Rüstungsindustrie
Heidi Scharf,
Philipp Vollrath
Schwarzbuch Bundeswehr – Kritik der
strategischen Neuausrichtung
des
deutschen Militärs*
Erhard Crome, Claudia Haydt,
Thomas Mickan, Andreas Seifert
19–21 Uhr
Kräfte Bündeln für Frieden und globale Gerechtigkeit – Strategien für eine
neue Friedensbewegung
Mit Jakob Augstein (Verleger Der Freitag),
Bernd Riexinger (Vorsitzender DIE LINKE),
Stefanie Wahl (Pax Christi) und Marlies Tepe
(Vorsitzende GEW).
In eigener Sache:
Wir möchten uns bei allen Leserinnen und Lesern für die zahlreichen Spenden, die uns
erreichten, recht herzlich bedanken. Das hilft uns, in Zeiten, wo Preise ständig steigen,
unser Bulletin auch mit diesen zu finanzieren, zumal die Erarbeitung und Herausgabe
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Eine Bitte an unsere Leserinnen und Leser. Bei Veränderung der postalischen Anschrift
bitten wir uns dies per Email bzw. per Post anzuzeigen, damit wir in der Lage sind, Ihnen
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Redaktionsschluss: 14. März 2016
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