„Morgen? Was wird morgen sein? Wir fahren in den Sarg hinein.“ (František Gellner) Herausgeber: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Künstlerporträts Idee Diese Broschüre ist Teil einer Publikationsreihe des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge über das Leben und Wirken von Menschen, die durch Krieg und Gewalt ihr Leben verloren. Es waren, ungeachtet ihrer besonderen Talente, Menschen wie wir. Ihr Schicksal mahnt zum Frieden. Sie dürfen nicht vergessen werden. Bisher erschienen sind folgende Broschüren: –2010: „Lasst meine Bilder nicht sterben“ (sechs deutsche Künstler) –2011: „... doch sein Licht bleibt“ (sechs russische bzw. sowjetische Künstler) –2012: „Peter Krentler (1921–1941). Ein hoffnungsvolles Talent“ (ein deutscher Künstler) –2012: „Ohne Kunst würde die Grausamkeit der Realität die Welt unerträglich machen.“ (sechs britische Künstler) –2013: „Es ehrt unsere Zeit, dass sie genügend Mut aufbringt, Angst vor dem Krieg zu haben.“ (sechs französische Künstler) –2014: „Martin Anger (1906–1943). Aus dem Schaffen gerissen“ (ein deutscher Künstler) –2016: „Morgen? Was wird morgen sein? Wir fahren in den Sarg hinein.“ (sechs Künstler aus sechs Ländern) Impressum Herausgeber: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Werner-Hilpert-Straße 2, 34112 Kassel Idee: Dr. Martin Dodenhoeft Konzept: A. Bernecker Verlag GmbH Redaktion: Saskia Wagner; Layout: Hans Martin Krause Druck: Druckerei Bernecker GmbH (2016/23) Kassel 2016. Gefördert mit Mitteln der Stiftung Gedenken und Frieden, Lützowufer 1, 10785 Berlin. Grußwort Verlorene Talente Ein 19-Jähriger aus Chile, ein 33-Jähriger aus dem heutigen Tschechien, ein 80-jähriger Luxemburger ... Der Tod durch Krieg und Gewalt griff seine Opfer scheinbar wahllos heraus – aber tatsächlich nur scheinbar. Denn wahllos schlug dieser Tod nicht zu. Einige fielen als Soldaten in einem Geschehen, das dem Einzelnen nicht viele Möglichkeiten zur Gestaltung seines Schicksals ließ. Andere wurden wegen ihrer „Rasse“ als Juden systematisch verfolgt und umgebracht. Für einen reichte der bloße Verdacht, er könnte dem Widerstand geholfen haben. Das Einzige, was diese Menschen einte, war ihr Talent als Künstler. In dieser Broschüre – der siebten ihrer Art – beleuchten wir ihr Leben und ihr Werk. Sie alle hatten besondere Talente, ihr Schaffen hat unsere Kultur bereichert. Ihr Tod hat der Menschheit etwas genommen. Was bleibt, ist die Mahnung, aus ihrem Leben und Sterben zu lernen. Daniela Schily Generalsekretärin des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Inhalt/Selbstporträts 1| 4| Enrique Bertrix Mirko Virius Der Idealist Der Rurale * 30. Juni 1895 * 28. Oktober 1889 †25. Mai 1915 †1943 18 – 21 6–9 2| 5| František Gellner Abraham Neumann Der Anarchist Der Weitgereiste * 19. Juni 1881 * 6. Februar 1873 †13. September 1914 †4. Juni 1942 22 – 25 10 – 13 14 – 17 4 3| 6| Hendrik Nicolaas Werkman Guido Oppenheim Der Innovative Der Naturverbundene * 29. April 1882 * 28. Mai 1862 †10. April 1945 †26. August 1942 26 – 29 Fachliche Einleitung Die vorliegende Broschüre ist Teil der Reihe „Verlorene Talente“ des Widerstands“. Diese beiden Schicksale erinnern neben ihrer des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Sie ist dem An- individuellen Tragik auch an die zahlreichen Menschen, die sich denken an Künstlerinnen und Künstler gewidmet, die während der unter Einsatz ihres Lebens dem nationalsozialistischen Terrorre- beiden Weltkriege gewaltsam ihr Leben verloren. In dieser Aus- gime widersetzten und auch angesichts von dessen Übermacht die gabe werden nun nationenübergreifend sechs Künstler neben ei- Hoffnung nicht aufgaben. Von Werkman ist zudem bekannt, dass ner Auswahl ihrer Werke vorgestellt: Enrique Bertrix aus Chile, er mehrfach – unentdeckt von den deutschen Besatzern – verfolg- František Gellner aus dem heutigen Tschechien, Hendrik Nikolaas ten Juden in seinem Haus Unterschlupf geboten hatte. Sein Einsatz Werkman aus den Niederlanden, Mirko Virius aus dem heutigen verweist auf eines der schrecklichsten Verbrechen der Mensch- Kroatien, Abraham Neumann aus dem heutigen Polen und Guido heitsgeschichte: die Judenverfolgung durch die Nationalsozialis- Oppenheim aus Luxemburg. ten, der etwa sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen. Einer von ihnen war Abraham Neumann, der im berüchtigten Krakauer Enrique Bertrix und František Gellner starben während des Ersten Ghetto erschossen wurde, ein anderer Guido Oppenheim, der im Weltkrieges. Der Chilene Bertrix meldete sich freiwillig zur fran- KZ Theresienstadt unter ungeklärten Umständen umkam. zösischen Armee, um das Heimatland seiner Eltern zu verteidigen. Gellner wurde nach Ausbruch des Krieges zur Armee Öster- Über siebzig Jahre sind nun seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs reich-Ungarns, zu dem das heutige Tschechien seinerzeit gehörte, vergangen. Doch gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politi- einberufen und gilt als im Einsatz verschollen. schen Entwicklung in Deutschland und weltweit ist es wichtig, sich die Vergangenheit noch einmal vor Augen zu führen und daraus Mirko Virius, Hendrik Nikolaas Werkman, Abraham Neumann zu lernen. Diese Broschüre soll dazu einen kleinen Beitrag leisten. und Guido Oppenheim kamen während des Zweiten Weltkrieges um. Virius war aktives Mitglied der linksgerichteten Kroatischen Saskia Wagner Bauernpartei. Er wurde nach dem Einmarsch der deutschen Armee in das Gebiet des heutigen Kroatiens aufgrund seiner politischen Aktivitäten verhaftet und verstarb unter ungeklärten Umständen im KZ Sajmište. Ähnlich erging es Werkman, der in den unter deutscher Besatzung befindlichen Niederlanden aufgrund des Verdachts der illegalen Verbreitung politischer Drucksachen inhaftiert und gemeinsam mit neun weiteren Häftlingen von der SS erschossen wurde – eine Maßnahme zur „Abschreckung von Aktivisten 5 Enrique Bertrix Der Idealist * 30. Juni 1895 in Santiago de Chile † 25. Mai 1915 in Frankreich Maler Realismus, Impressionismus Landschaft (ohne Jahr) Die hier zu findende, bei Bertrix seltene Vernachlässigung der Linie zugunsten der Farbgebung erinnert an die Werke französischer Impressionisten. 6 Enrique Bertrix Enrique Bertrix studierte an der Escuela de Bellas Artes de Santiago de Chile (Schule der Bildenden Künste von Santiago de Chile) und war dort einer der jüngsten Schüler des Malers Fernando Álvarez de Sotomayor. Waren Bertrix’ Arbeiten zunächst noch von einer Faszination für die kreolische Kunst durchdrungen gewesen, führte der Einfluss seines spanischen Lehrers schließlich zu einer Rückbesinnung auf die in Chile über einhundert Jahre vergessene iberische Kunst-Tradition. Damit gehörte Bertrix zu jener sich um Álvarez de Sotomayor versammelnden Gruppe junger Künstler, die als Generación del Trece (dt. „Dreizehner-Generation“) oder auch Generación Sotomayor bekannt wurde – die erste Künstlergruppe Chiles. Ihr Name geht auf eine gemeinsame Ausstellung in den Räumen der Zeitung „El Mercurio“ (dt. „Der Merkur“) im Jahr 1913 zurück. Bertrix galt trotz seiner Jugend als einer der vielversprechendsten Vertreter der Gruppe. Seine Werke wurden mehrfach im Salón Oficial, dem städtischen Ausstellungsraum von Santiago de Chile, ausgestellt und ausgezeichnet. Portrait des Malers Fernando Meza (ohne Jahr) Wie die meisten Mitglieder der Generación del Trece entstammte auch Bertrix einer der ärmsten Gegen- Fernando Meza (1890–1929) war ein chilenischer Maler und gehörte gemeinsam mit Enrique Bertrix zur Malergruppe der Generación del Trece. Enrique Bertrix 7 Kopf einer Frau (ohne Jahr) In der Farb- und Lichtgebung dieses Porträts offenbaren sich die iberischen Einflüsse von Bertrix’ Lehrer Sotomayor. 8 Enrique Bertrix den des Landes. Ihre bescheidene Herkunft und ihr geringer Verdienst als Künstler hatten zur Folge, dass viele von ihnen in jungen Jahren an Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose starben. Nicht so Enrique Bertrix. Doch war es auch ihm nicht beschieden, ein hohes Alter zu erreichen. Im Jahr 1914 reiste der Sohn französischer Einwanderer auf dem Schiff S.S. Ortega nach Europa, um auf der Seite des Landes seiner Eltern am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Gut einen Monat vor seinem zwanzigsten Geburtstag fiel er in der Lorettoschlacht, einer der für den Ersten Weltkrieg charakteristischen ergebnislosen Schlachten. Einem französischen Geländegewinn von knapp zwei Kilometern Tiefe auf einer Frontbreite von fünfeinhalb Kilometern standen hier Verluste von sechzigtausend Soldaten gegenüber. Porträt der Mutter des Malers (ohne Jahr) Viel gerühmt war Bertrix’ Fähigkeit, die seelische Tiefe der von ihm porträtierten Personen einzufangen. Das Porträt seiner Mutter sticht unter diesen Arbeiten besonders hervor. Enrique Bertrix 9 František Gellner Der Anarchist * 19. Juni 1881 in Mladá Boleslav, Österreich-Ungarn (heutiges Tschechien) † verschollen am 13. September 1914 in Österreich-Ungarn (heutiges Polen) Dichter, Prosaist, Karikaturist Selbstporträt mit Vater (ohne Jahr) František Gellners Vater war Händler und überzeugter Sozialist. 10 František Gellner In eine arme jüdische Familie im böhmischen Mladá Boleslav ( Jungbunzlau) geboren, überzog František Gellner bereits in jungen Jahren die Wände seines Zimmers mit provokativen Gedichten und Karikaturen. Es folgten erste Veröffentlichungen von Gedichten, Zeichnungen und Übersetzungen in diversen Schülerzeitschriften. Gellners frühe Gedichte strotzen vor Ironie und erinnern stilistisch an solche von Heinrich Heine. Seine Verse sind einfach, haben einen wiederkehrenden Rhythmus und Reim. Im Jahr 1901 veröffentlichte er seine erste Sammlung unter dem Titel „Po nás ať přijde potopa!“ (dt. „Nach uns die Flut!“), in der explizit sexuelle Motive überwiegen. Hierin findet sich auch sein bekanntestes Gedicht „Perspektiva“ (dt. „Aussichten“). Ab 1905 studierte Gellner Malerei in München und Paris, wo er Karikaturen in Zeitschriften wie „Rire“ (dt. „Gelächter“), „Cri de Paris“ (dt. „Pariser Schrei“) und „Le temps nouveau“ (dt. „Die neue Zeit“) veröffentlichte. 1909 wechselte er auf die Kunstakademie in Dresden, ein Jahr darauf ging er zurück nach Paris. Stanislav Kostka Neumann (1905) Gemeinsam mit dem Dichter S.K. Neumann führte František Gellner einige anarchistische Gruppierungen. František Gellner 11 Arnošt Procházka and Viktor Dyk (ohne Jahr) Diese Karikatur zeigt den Literaturund Kunstkritiker Arnošt Procházka (1869–1925) sowie den Schriftsteller und Politiker Viktor Dyk (1877–1931). Sein unkonventioneller Lebensstil führte Gellner schließ- Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wurde er lich zur anarchistischen Bewegung – eine Entwicklung, die zur österreich-ungarischen Armee einberufen und sollte sich auch in seinen Zeichnungen und Texten niederschlug. ins von Russland besetzte, zu Österreich-Ungarn gehören- 1911 ließ er sich in Brno (Brünn) nieder und begann als de Galizien (heutiges Polen) geschickt werden. Doch dort Karikaturist und Reporter für die Tageszeitung „Lidové kam er niemals an. Seine Spur verliert sich im heutigen noviny“ (dt. „Volkszeitung“) zu arbeiten. Darüber hinaus Polen. Dort wurde er zuletzt gesehen, wie er auf einem Feld- schrieb er Erzählungen, Romane und Dramen und war als weg eine Marschpause einlegte. Seit dem 13. September 1914 Übersetzer tätig. gilt er als verschollen, sein Schicksal ist bis heute ungeklärt. 12 František Gellner Jiří Mahen (ohne Jahr) Jiří Mahen (1882–1939) war Schriftsteller und Bibliothekar. Nach der Besetzung der nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Tschechoslowakei durch die deutsche Armee im Jahr 1939 wählte der empfindsame, feinfühlige Künstler den Freitod. František Gellner 13 Hendrik Nicolaas Werkman Der Innovative * 29. April 1882 in Leens, Niederlande † 10. April 1945 in Bakkeveen, Niederlande Drucker, Grafiker, Maler Expressionismus Dorfstraße (1927) In ausdrucksstarken Farben malte Werkman hier die Straße in seinem Geburtsort Leens, in der sich auch sein Elternhaus befand. 14 Hendrik Nicolaas Werkman Zwei Frauen am Strand (1936) Diese Strandszene erinnert an Paul Gauguins Südsee-Bilder, von denen Werkman so fasziniert war, dass er sogar kurzzeitig erwog, nach Tahiti zu emigrieren. Hendrik Nicolaas Werkman 15 Als Inhaber einer eigenen Druckerei entdeckte Hendrik Nicolaas Werkman während seiner Arbeit die symbolische Kraft der Buchstaben und begann, sie mit neuem künstlerischem Leben zu erfüllen. Ab 1923 gab er etwa das Kunstmagazin „The Next Call“ heraus, das vor allem aufgrund seiner innovativen Drucktechnik einiges Aufsehen erregte. Bei der Seitengestaltung griff Werkman stilistische Elemente auf, die auch bei russischen Avantgardisten oder in der dadaistischen Kunst von Kurt Schwitters zu finden sind. Mit „The Next Call“ avancierte Werkman zu einer der herausragenden Persönlichkeiten der niederländischen Avantgarde. An die hier eingesetzte Formensprache knüpfte er ab 1940 mit „De Blauwe Schuit“ („Der blaue Kahn“) an. Die Heftsammlung entstand in Kooperation mit dem evangelischen Prediger F.R.A. Henkel. Ziel war die moralische Unterstützung der Bevölkerung der mittlerweile von den Deutschen besetzten Niederlande. „De Blauwe Schuit“ enthielt verschlüsselte Botschaften teils religiöser, teils patriotischer Ausrichtung und er- Chassidische Legenden I-2 – Väter und Söhne (1942) schien bis Ende 1944 in insgesamt vierzig Ausga- daritätsbekundung mit der jüdischen Bevölkerung ausgelegt wurden ben. 16 Hendrik Nicolaas Werkman Seine „Chassidischen Legenden“ waren es, die Werkman als Soliund schließlich ins Visier der Deutschen brachten. Am 13. März 1945 wurde Werkman zusammen mit Henkels wegen des Verdachts auf Verbreitung illegaler politischer Schriften verhaftet. Im April 1945 entschloss sich die SS, zur Abschreckung drei Gruppen von je zehn des Widerstands beschuldigten Gefangenen hinzurichten. Während die Erschießung der ersten beiden Gruppen nach Plan verlief, gelang einem Häftling der dritten Gruppe auf der Fahrt zum Hinrichtungsort die Flucht, und er sollte „ersetzt“ werden. Die Wahl fiel auf Hendrik Nicolaas Werkman. Zusammen mit den neun anderen Opfern wurde er hingerichtet – zwei Tage bevor die ersten kanadischen Truppen den Stadtrand von Groningen erreichten. Doch nicht nur er selbst fiel den letzten Kriegstagen zum Opfer: Auch viele seiner beschlagnahmten Arbeiten gingen in Flammen auf, als bei den Kämpfen um die Befreiung Groningens das deutsche Munitionslager explodierte. Musikalische Impression (1944) Musik war eine große Inspirationsquelle für Werkman. Vor allem in den 1940er Jahren tritt das Thema häufig in seinen Werken auf. Hendrik Nicolaas Werkman 17 Mirko Virius Der Rurale * 28. Oktober 1889 in Đelekovec, Österreich-Ungarn (heutiges Kroatien) † 1943 in Zemun, Kroatien Maler Naive Kunst Ernte (1938) Die betont vereinfachte, unbekümmerte Darstellung dieser ruralen Szene ist exemplarisch für die Naive Kunst. 18 Mirko Virius Sommertag (1936) Virius’ Werk umfasst vor allem Darstellungen des ländlichen Lebens – so auch in dieser Tuschezeichnung. Mirko Virius 19 Während des Ersten Weltkriegs kämpfte Mirko Virius fen so der alten Barockmalweise der Hinterglasmalerei zu als Soldat der österreichisch-ungarischen Armee in Gali- neuem Leben. zien. In russische Kriegsgefangenschaft geraten, wurde er im Gebiet der heutigen Ukraine als Zwangsarbeiter ein- Virius schloss sich der Schule an und produzierte in nur gesetzt, unter anderem im Stahlwerk von Jekaterinoslaw drei Schaffensjahren eine beeindruckende Anzahl von (heute Dnjepropetrowsk). Nach seiner Freilassung im Werken. In Zagreb nahm er an der ersten Ausstellung Nai- Frühjahr 1918 ging Virius nach Zagreb, wo er bis Kriegs- ver Kunst teil. Sein Werk umfasst vor allem Darstellungen ende blieb. Danach kehrte er in seine Geburtsstadt des ländlichen Lebens. Đelekovec zurück und heiratete eine Kriegerwitwe mit zwei Kindern. Er wurde Mitglied der progressiven länd- Während des Zweiten Weltkriegs wurde Virius aufgrund lichen Bewegung unter Führung der Kroatischen Bauern- seiner politischen Aktivitäten inhaftiert und ins KZ partei. Sajmište in Zemun (heutiger Stadtbezirk von Belgrad) gebracht, wo er 1943 unter ungeklärten Umständen starb. Im Jahr 1936 machte Mihovil Pavlek Miškina, Autor und Mitglied der Bauernpartei, Virius mit den Malern Ivan Sein Schicksal wurde 1959 von Ivan Generalić in künst- Generalić and Franjo Mraz bekannt. Diese beiden gehör- lerischer Form verarbeitet: „Tod meines Freundes Virius“ ten zur ersten Generation der „Schule der Naiven Kunst ist eines seiner bekanntesten Bilder. Die kroatische Ver- von Hlebine“. Die Anfänge der Schule gingen auf ein Ex- einigung von Vertretern der Naiven Kunst ehrte Virius, periment des Malers Krsto Hegedušić zurück, dessen Ziel indem sie ihre 1986 in Zagreb eröffnete Galerie nach ihm es war, eine Gruppe von Bauern ohne akademische Vor- benannte. Die „Mirko-Virius-Galerie“ sieht sich in der bildung an die Malerei heranzuführen. Die Bauern griffen Tradition der „Schule von Hlebine“ und unterstützt vor Hegedušićs Tempera-Maltechnik auf Glas auf und verhal- allem autodidaktisch-basierte visuelle Kunst. 20 Mirko Virius Porträt, 1.9.1939 Dieses Selbstporträt gehört zu den letzten Arbeiten aus Virius’ kurzer Schaffenszeit. Es zeigt den Künstler kurz vor seinem fünfzigsten Geburtstag. Mirko Virius 21 Abraham Neumann Der Weitgereiste * 6. Februar 1873 in Sierpc, Russisches Kaiserreich (heutiges Polen) † 4. Juni 1942 im Ghetto Krakau, heutiges Polen Maler Impressionismus Motiv von Saint-Malo (ohne Jahr) Dieses Gemälde zeigt eine Ansicht der bretonischen Hafenstadt Saint-Malo, die Neumann während seiner Zeit in Frankreich bereiste. 1944 wurde die Stadt durch Bombardierungen zu etwa 85 Prozent zerstört. 22 Abraham Neumann Straße (ohne Jahr) Freunde beschrieben Abraham Neumann als melancholischen Träumer. Diese Melancholie wird vor allem in seinen wenigen Stadtansichten spürbar. Abraham Neumann 23 Mediterrane Landschaft (ohne Jahr) In dieser Landschaftsdarstellungen zeigen sich die Einflüsse des französischen Impressionismus, den Neumann in Paris kennenlernte. Im Alter von siebzehn Jahren verließ Abraham Neumann Neumann malte Stillleben und Porträts. Sein vordergrün- seine Heimatstadt Sierpc und ging nach Warschau. Dort diges Interesse galt jedoch Landschaftsdarstellungen. Er arbeitete er bei einem Fotografen, um sich schließlich ein malte die Berge der Karpaten, die raue Küste der Bretag- Malerei-Studium an der Akademie der Schönen Künste im ne, die Steilhänge der Judäischen Wüste. 1909 nahm er an seinerzeit zu Österreich-Ungarn gehörenden Krakau leis- einer Open-Air-Ausstellung an der Ostseeküste im heuti- ten zu können. Dieses setzte er später an der Académie Julian gen Lettland teil. Einzelausstellungen hatte er unter an- in Paris fort. Zudem bereiste Neumann Großbritannien, derem in Krakau, Warschau, Lodz, im ukrainischen Lwiw Belgien, die Niederlande und Deutschland, die USA und sowie in Berlin. Er lebte zeitweise in Wien, wo seine Werke Palästina – er war der erste jüdische Maler aus Polen, der auch in den Ausstellungen der Künstlervereinigung „Wie- nach Palästina reiste. ner Secession“ zu sehen waren. Von 1925 bis 1927 unter- 24 Abraham Neumann Haus am Meer (1899) Dieses Gemälde erinnert an die Werke von Neumanns Lehrer Jan Stanisławski, des prominentesten Vertreters der polnischen Landschaftsmalerei. richtete er an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jeru- tetes, mit Mauern und Stacheldraht umgebenes Ghetto salem. zwangsumgesiedelt – so auch Abraham Neumann. In dem Gebiet von 600 mal 400 Metern Größe waren etwa 15 000 1939 besetzten die deutschen Truppen Polen. Krakau, wo- Menschen zusammengepfercht. hin Neumann mittlerweile zurückgekehrt war, wurde zum Regierungssitz des sogenannten „Generalgouvernements“ Am 4. Juni 1942 wurde Neumann gemeinsam mit sei- – der Gebiete Polens, die vom Deutschen Reich militärisch nem Freund, dem Dichter und Komponisten Mordechaj besetzt und nicht unmittelbar in das Reichsgebiet einge- Gebirtig, bei einer Ghetto-Aussiedlungsaktion auf offener gliedert wurden. Die jüdischen Einwohner des Distrikts Straße von einem deutschen Besatzungssoldaten erschos- Krakau wurden in ein im Stadtteil Podgórze eingerich- sen. Abraham Neumann 25 Guido Oppenheim Der Naturverbundene * 28. Mai 1862 in Luxemburg † 26. August 1942 im KZ Theresienstadt, heutiges Tschechien Maler Impressionismus Pariser Zeichnung (1895) In seinen Pariser Zeichnungen zeigen sich erste Tendenzen Oppenheims, sich am französischen Impressionismus zu orientieren. 26 Guido Oppenheim Landschaft (ohne Jahr) In seinen Gemälden war Oppenheim stets darum bemüht, das Spiel von Licht und Farben einzufangen, das ihn am meisten an der Natur begeisterte. Guido Oppenheim fühlte sich bereits in seiner Kindheit Historienmaler Moritz Daniel Oppenheim, der ihn bei sei- zur Malerei hingezogen. Da der Sohn eines ursprünglich nen künstlerischen Ambitionen unterstützte. aus Hanau stammenden Tuchhändlers jedoch in das väterliche Geschäft eintreten sollte, hospitierte er zunächst So entschloss sich Oppenheim, an der Akademie der Bil- in Frankfurt. Dort traf er seinen Onkel, den Porträt- und denden Künste in München zu studieren. Nach seinem Guido Oppenheim 27 Dorflandschaft (ohne Jahr) Die Motive für seine Landschaftsbilder fand Guido Oppenheim während er allein – zu Fuß oder im Zug – das Land bereiste. 28 Guido Oppenheim Abschluss ging er zwecks eines Studienaufenthalts nach pflegte er zu sagen, spräche die Natur zu ihm. 1912 ging Paris, um sich auf die Porträtmalerei zu spezialisieren. In er zurück in seine Heimatstadt, wo er bereits im Jahr 1906 seiner Freizeit malte er jedoch vor allem die Seine mit ihren mit dem luxemburgischen Kunstpreis Grand Prix Duc Adol- Brücken und Stegen. Schließlich ließ er sich in der Künst- phe geehrt worden war und mittlerweile als renommierter lerkolonie Barbizon in der gleichnamigen Gemeinde unweit Künstler galt. Es folgten zahlreiche Auftragsarbeiten. Der der französischen Hauptstadt nieder. Inspiriert durch aus- Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte seine Rück- gedehnte Spaziergänge im angrenzenden Wald von Fon- kehr nach Frankreich, und sein wachsender Erfolg als frei- tainebleau, entdeckte er hier vollends seine Liebe zur Na- schaffender Künstler ließ ihn entsprechende Pläne bald tur und wandte sich der Landschaftsmalerei zu. gänzlich vergessen. Oppenheim galt als Einzelgänger. Stets seinen charak- Am 28. Juli 1942 wurden Guido Oppenheim und seine teristischen schwarzen Hut tragend, suchte er unablässig Familie aufgrund ihres jüdischen Glaubens in ihrem Haus nach abgelegenen Orten, nach wenig bekannten Flecken in verhaftet und in das KZ Theresienstadt deportiert. Dort der Natur. Ruhige und idyllische Orte zog er den belebten starb Oppenheim einen Monat später unter ungeklärten Tourismus-Gebieten vor. Nur in der Abgeschiedenheit, so Umständen im Alter von achtzig Jahren. Mosellandschaft (ohne Jahr) Die luxemburgische Mosellandschaft gehörte zu Oppenheims bevorzugten Motiven. Guido Oppenheim 29 Register Enrique Bertrix Seite 4 Selbstporträt (ohne Jahr) Colección Museo Nacional de Bellas Artes, Santiago de Chile Seite 12 Arnošt Procházka und Viktor Dyk (ohne Jahr) Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag Seite 6 Landschaft (ohne Jahr) Museo Santa Rosa de Apoquindo, Colección Mac Kellar, Santiago de Chile/ Foto: Rodrigo Fernández Seite 13 Jiří Mahen (ohne Jahr) Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag Seite 7 Porträt des Malers Fernando Meza (ohne Jahr) Colección Museo Nacional de Bellas Artes, Santiago de Chile Seite 8 Kopf einer Frau (ohne Jahr) Colección Museo Nacional de Bellas Artes, Santiago de Chile Seite 9 Porträt der Mutter des Malers (ohne Jahr) Pinacoteca Universidad de Concepción Hendrik Nicolaas Werkman Seite 14 Dorfstraße (1927) Collection Stedelijk Museum, Amsterdam Seite 15 Zwei Frauen am Strand (1936) Collection Stedelijk Museum, Amsterdam Seite 16 Chassidische Legenden I-2 – Väter und Söhne (1942) Collection Stedelijk Museum, Amsterdam Seite 17 Musikalische Impression (1944) Collection Stedelijk Museum, Amsterdam František Gellner 30 Seite 4 Selbstporträt (ohne Jahr) Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag Seite 10 Selbstporträt mit Vater (ohne Jahr) Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag Seite 11 Stanislav Kostka Neumann (ohne Jahr) Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prag Literatur Mirko Virius Ricardo Bindis: Generación del Trece: Obras y Autores de Chile. 2006. Selbstporträt (1939) Courtesy Sammlung Zander, Bönnigheim/ Seite 4 Foto: Alistair Overbruck, Köln Patrick-Gilles Persin: 50 artistes pour un demi-siècle de peinture et de sculpture luxembourgeoises. Luxemburg: Collection de la BCEE 1998. Adolf Grabowsky: Abraham Neumann. In: Ost und West: Illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum: Heft 1, Januar 1903. Seite 18 Ernte (1938) Kroatisches Museum für naive Kunst, Zagreb Seite 19 Sommertag (1936) Courtesy Sammlung Zander, Bönnigheim/ Foto: Alistair Overbruck, Köln Andrea Löw, Markus Roth: Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 1939–1945. Göttingen: Wallstein, 2011. Walter Schamschula: Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 2, Von der Romantik bis zum Ersten Weltkrieg (Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte). Köln: Böhlau Verlag 1996. http://www.cesky-dialog.net/clanek/39-frantisek-gellner/ (2.2.2016) http://hd-naiva.hr/ (5.4.2016) Seite 21 Porträt, 1.9.1939 Courtesy Sammlung Zander, Bönnigheim/ Foto: Alistair Overbruck, Köln http://www.luxemburgensia.bnl.lu/cgi/getPdf1_2pl?mode=page&id= 6120&option= (3.2.2016) http://www.memoriachilena.cl/archivos2/pdfs/mc0036229.pdf (9.2.2016) Abraham Neumann Guido Oppenheim Seite 22 Motiv von Saint-Malo (ohne Jahr) Privatbesitz Seite 4 Selbstporträt (ohne Jahr) Antiquar Armand A. Wagner, Luxemburg/Jwh Pariser Zeichnung (1895) Antiquar Armand A. Wagner, Seite 26Luxemburg/Jwh Straße (ohne Jahr) Seite 23 Kunstmuseum Łódź Seite 27 Landschaft (ohne Jahr) Antiquar Armand A. Wagner, Luxemburg/Jwh Seite 28 Dorflandschaft (ohne Jahr) Privatbesitz Seite 29 Mosellandschaft (ohne Jahr) Antiquar Armand A. Wagner, Luxemburg/Jwh Seite 24 Mediterrane Landschaft (ohne Jahr) Privatbesitz Haus am Meer (1899) Seite 25 Privatbesitz 31 Diese Edition des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. stellt ausgewählte Werke von sechs bedeutenden Malern vor, deren Leben durch Krieg und Gewalt ein viel zu frühes Ende nahm. Enrique Bertrix (1895–1915) František Gellner (1881–1914) Hendrik Nicolaas Werkman (1882–1945) Mirko Virius (1889–1943) Abraham Neumann (1873–1942) Guido Oppenheim (1862–1942) Herausgeber: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.
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