Die Schiedsrichterin Riem Hussein pfeift Spiele im Profifußball der Männer. »Wenn sie merken, dass man Ahnung hat, gehen sie normal mit dir um«, sagt sie. Seite 32 Fotos: Fotolia/magraphics.eu, imago/Eibner Sonnabend/Sonntag, 14./15. Mai 2016 STANDPUNKT Dann lieber Opposition 71. Jahrgang/Nr. 112 Bundesausgabe 2,30 € www.neues-deutschland.de Sichere Fluchtroute Mehr Geld für deutsche Metaller Bundestag erklärt Maghrebstaaten zu »sicheren Herkunftsländern« Einigung im Tarifstreit beschert Lohnzuwächse von 4,8 Prozent Aert van Riel über die Haltung der Grünen zur Asylrechtsverschärfung Mit der Einstufung von Algerien, Tunesien und Marokko als »sichere Herkunftsstaaten« hat die Große Koalition ihre Politik fortgesetzt, mit der das Grundrecht auf Asyl schrittweise ausgehöhlt wird. Anstatt die Fluchtgründe der Nordafrikaner gründlich zu prüfen, sollen sie dazu gezwungen werden, Deutschland schnell wieder zu verlassen. Fraglich ist aber, ob auch der Bundesrat in wenigen Wochen dem Gesetzesentwurf zustimmen wird. Hier richtet sich der Blick auf Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind. Auf ihre Stimmen sind Union und SPD angewiesen. Für die Grünen steht die eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Eine ignorante Haltung gegenüber den Menschenrechtsverletzungen, unter denen auch Frauen und Homosexuelle im Maghreb leiden, würden Teile der grünen Wählerklientel ihrer Partei niemals verzeihen. Damit ist auch die Entscheidung verbunden, ob die Ökopartei im Bund mittelfristig lieber in der Opposition bleiben will oder sich der Union anbiedert. Bislang haben nur Grüne aus Südwestdeutschland ihre Zustimmung in der Länderkammer in Aussicht gestellt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière geht aber davon aus, dass er noch genügend Unterstützer unter den grünen »Pragmatikern« finden wird. Wenn dies zutreffen sollte, dürfte sich die Koalition ermutigt sehen, schon bald weitere Asylrechtsverschärfungen in Angriff zu nehmen. Die Liste »sicherer Staaten« ließe sich jedenfalls je nach Bedarf beliebig verlängern. UNTEN LINKS Ein paar Tage schon haben wir nichts mehr gehört über die Beziehungskiste zwischen der Angela und dem Horst. Die Fachpresse hatte zuletzt keinen Stoff mehr für Schlagzeilen wie »Totales Liebes-Chaos! Jetzt rechnet Horst ab«. Aber nun gibt es Hoffnung. Denn Hacker haben die Zentrale der CDU geknackt. Natürlich ging es um die Liebesbriefe, die zwischen Berlin und München hin und her gingen und von denen wir bisher nur harmloses Zeug wie »Liebe Angela, die aktuelle Lage in der Flüchtlingskrise ist dramatisch« kennen. Die Antwort blieb unter Verschluss, wegen eines so genannten Briefgeheimnisses. Bekannt wurde in den Klatschgazetten lediglich, dass die Angela den Horst auflaufen ließ (»Spiegel«), dass sie ihn demütigte (»Welt«) und er enttäuscht war (»Focus«). Aber jetzt gibt es ja den Hack, angeblich aus Richtung Moskau. Klar, der Wladimir will wissen, ob da noch was läuft zwischen den beiden. Fest steht jedenfalls: Bald kommt wieder Substanz in die Berichterstattung. wh ISSN 0323-3375 Köln. Rund 3,8 Millionen Beschäftigte der deutschen Metall- und Elektroindustrie können mit Reallohnzuwächsen rechnen. Die Arbeitgeber und die IG Metall haben sich in der Nacht auf Freitag in Köln auf einen Pilotabschluss für das Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen geeinigt, der auch auf die übrigen Regionen übertragen werden soll. Der Abschluss sieht mehr Geld in zwei Stufen und eine Einmalzahlung vor. Der rückwirkend vom 1. April geltende Vertrag enthält zunächst eine Einmalzahlung von 150 Euro für die drei Nullmonate bis Juni. Danach greift am 1. Juli die erste Stufe von 2,8 Prozent. Die zweite Stufe von 2,0 Prozent gilt dann ab dem 1. April 2017 bis zum Jahresende. Beide Parteien einigten sich zudem auf Ausnahmeregeln für wirtschaftlich schwächere Unternehmen. Darüber sollen dann aber nicht wie bislang Betriebsrat und Unternehmen, sondern Gewerkschaft und Arbeitgeberverband vor Ort verhandeln und innerhalb eines Monats ein Ergebnis erzielen. dpa/nd Seiten 2 und 8 Konsum lässt Wirtschaft wachsen BIP steigt im Vergleich zum Vorquartal um 0,7 Prozent Im April 2014 vor Lampedusa Foto: picture alliance/ROPI Berlin. Sicher ist, dass sich nach der Abriegelung der Balkanroute wieder mehr Menschen auf die tödlichste Fluchtroute der Welt begeben. Am Donnerstag griff die italienische Küstenwache vor der sizilianischen Küste zwei in Seenot geratene Boote mit 515 beziehungsweise rund 300 Flüchtlingen auf. Meist brechen die Boote von der libyschen Küste auf, einige nehmen aber auch die kürzeste Strecke von Tunesien aus. Das Land wurde, wie auch Marokko und Algerien, vom Deutschen Bundestag zum »sicheren Herkunftsland« erklärt. Für den entsprechenden Gesetzentwurf sprachen sich am Freitag 424 Abgeordnete aus, 145 stimmten dagegen – neben LINKEN und Grünen auch 22 SPD-Abgeordnete. Stimmt der Bundesrat zu, ist sicher, dass Menschen aus diesen Staaten künftig einfacher abgeschoben werden können. Dass dort Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt sind, Frauen und Mädchen nicht ausreichend vor sexueller Gewalt geschützt, Homosexuelle verfolgt und Oppositionelle bekämpft werden und Misshandlung oder Folter zu befürchten haben, ändert sich dagegen sicher nicht. »Das ist ein schwarzer Freitag für das Grundrecht auf Asyl in Deutschland«, sagte der LINKEN-Abgeordnete Andrej Hunko. Er rief die Grünen auf, den Entwurf im Juni im Bundesrat gemeinsam zu stoppen. »Menschenrechte sind nicht relativierbar«, begründete die Grünen-Politikerin Luise Amtsberg die Ablehnung ihrer Fraktion im Bundestag. Pro Asyl bezeichnet das Gesetz als verfassungswidrig, da individuelle Fluchtgründe mit dieser Einstufung nicht mehr ermittelt würden. Die Organisation warf der Bundesregierung vor, »allein nach politischen Erwägungen« entschieden zu haben und Menschenrechtsverletzungen zu ignorieren. rst Seite 4 Vorübergehend Kohle-Ende im Gelände Hunderte Klimaaktivisten besetzen friedlich Vattenfall-Tagebau in Brandenburg / Proteste weltweit Früher war Castor-Protest, heute ist »Ende Gelände«: Über 1000 Kohlegegner haben am Freitagnachmittag den Braunkohletagebau Welzow-Süd besetzt. Berlin. »Ich kann weit und breit keinen Kohlebagger sehen, der noch in Betrieb wäre«, jubelte schon am frühen Freitagnachmittag eine Klimaaktivistin: Mehr als 1000 Kohlegegner haben teils in weißen Ganzkörperanzügen den Braunkohletagebau WelzowSüd in Brandenburg besetzt. Die Aktion hielt zu Redaktionsschluss noch an, Aktivisten bereiteten sich darauf vor, die Nacht in der Grube zu verbringen. Die drei Blockadegruppen, so genannte »Finger«, verteilten sich im Laufe des Nachmittags auf dem Gelände. Klimaschützer besetzten außerdem die Transportbahnen zu den Kohlekraftwerken Jänschwalde und Schwarze Pumpe. Einzelne Umweltschützer ketteten sich an die Gleise. Der Energiekonzern Vattenfall setzte zunächst auf Deeskalation. »Wir werden da nicht eingreifen«, sagte Konzernsprecher Thoralf Schirmer dem »nd«, wenn jedoch die Produktionssicherheit gefährdet sei, »erwarten wir, dass die Polizei eingreift«. Die Energieversorgung könne Vattenfall trotz ausgesetzter Kohleförderung etwa einen Tag aufrecht erhalten. Eine Polizeisprecherin sagte, die Lage werde aus der Luft beobachtet und die rechtliche Lage geprüft, man wolle aber die Verhältnismäßigkeit wahren. Die Organisatoren von »Ende Gelände« zogen am späten Nachmittag ein erstes positives Zwischenfazit. »Normalerweise wird heute gearbeitet«, sagte Bündnissprecherin Ines Neumann dem »nd«. »Indem wir im Vorfeld der Aktion Druck aufgebaut haben und indem wir in die Grube eingedrungen sind, sind wir für die Stilllegung des Kohleabbaus verantwortlich.« Im Vorfeld des Protests hatte ein kommunales Bündnis auf rund 3000 Plakaten in der Region zu »Recht und Respekt« gemahnt. Die Bürger duldeten keine Gewalt, »Ich kann weit und breit keinen Kohlebagger sehen, der noch in Betrieb wäre.« Eine Klimaaktivistin teilte der Verein »Pro Lausitzer Braunkohle« mit. Ein Sprecher des Klimacamps sagte gegenüber »nd«, die Aktivisten schlössen Gewalt aus. Dies sei deutlich in einem Aktionskonsens festgehalten. »Indem man das Wort Gewalt von der ProKohle-Seite ins Spiel bringt, versucht man, Ängste zu schüren. Wenn Gewalt ausgeübt wird, hat das nichts mit uns zu tun.« CDU-Politiker in der Region warnten vor einem »übereilten Ausstieg aus der Braunkohle«. Die Region brauche Zeit für einen Strukturwandel, hieß es in einer Erklärung. Die Besetzung der Aktivisten richte sich »nicht nur gegen eine Energiesparte«, sondern auch »gegen die Lebensgrundlage« der Bewohner und das industrielle Rückgrat der Region. Die Proteste finden nicht nur in Brandenburg statt. Weltweit machen dieser Tage Klimaaktivisten gegen die Förderung und Nutzung fossiler Rohstoffe wie Kohle und Öl mobil. Unter dem Motto »Break Free from Fossil Fuels« besetzten britische Aktivisten einen Tagebau in Wales, Kajakfahrer blockierten einen Kohlehafen in Australien. Weitere Aktionen sind unter anderem in den USA, Brasilien, Indonesien und in der Türkei geplant. Auch kritische Intellektuelle wie Naomi Klein, Noam Chomsky und Vandana Shiva unterstützen »Ende Gelände«. nd Wiesbaden. Das Wachstum der deutschen Wirtschaft hat sich zum Beginn des Jahres 2016 kräftig beschleunigt. Angetrieben von der Konsumlust der Verbraucher und begünstigt durch den milden Winter stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 0,7 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte. Ende 2015 war die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent gewachsen. Angetrieben wurde das Wachstum demnach vor allem vom Privatkonsum und von staatlichen Ausgaben auch für die Unterbringung und Integration Hunderttausender Flüchtlinge. Die Bauwirtschaft profitierte zudem stark vom milden Winter. Auch die Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen stiegen. Der Außenhandel bremste die Entwicklung dagegen etwas. Demnach stiegen die Importe im ersten Quartal stärker als die Exporte. In der Eurozone stieg das BIP derweil um 0,5 Prozent. dpa/nd Russland bestreitet Dopingvorwürfe Ex-Laborchef belastet Olympiateam Moskau. Russland hat die neuerlichen massiven Dopingvorwürfe gleich nach Bekanntwerden am Donnerstag dementiert. »Das sind Verleumdungen eines Deserteurs«, sagte Regierungssprecher Dimitri Peskow. Die Anschuldigungen gegen Athleten der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 treffen das Gastgeberland tief. Russland hatte Platz eins des Medaillenspiegels belegt, doch nun droht Sotschi zur Farce zu werden. Der ehemalige Leiter des Moskauer Antidopinglabors, Gregori Rodtschenkow, hatte in der »New York Times« von einem staatlichen Dopingsystem gesprochen. Dutzende russische Sportler, darunter mindestens 15 Medaillengewinner, sollen gedopt an den Start gegangen und ihre angeblich positiven Proben heimlich gegen saubere ausgetauscht worden sein. Die Welt-Antidopingagentur WADA, die dem Labor bereits die Akkreditierung entzogen hat, will die Vorwürfe prüfen. Sollten sie sich als wahr erweisen, wird ein Olympiastart russischer Sportler in Rio immer unwahrscheinlicher. SID/nd Seite 11
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