Hier gebe ich meinen interessierten Leserinnen und

Hier gebe ich meinen interessierten Leserinnen und
Lesern einen kurzen Einblick in die Abenteuer
meiner Romanfiguren.
Jerome befand sich im Meer. Sein Vater benötigte einige seltene Fische, die
er zu fangen hatte. Conny stand an der Panorama-scheibe in der Zentrale
und sah sehnsüchtig hinaus. Sie wünsch-te sich, ebenso im Wasser
schwimmen zu können, ohne den ganzen Kram wie Pressluft und
Tauchanzug anlegen zu müssen. Denn mit so viel Technik drum herum
machte das alles keinen Spaß – zumindest ihr nicht. Sie seufzte abgrundtief,
dann schlenderte sie gedankenverloren durch den Stützpunkt. Vor einer Tür
stoppte sie, weil sie diese als Zugang zum Laboratorium des Professors
identifizierte. Sein heiligster Raum!
»Wenn ich schon mal da bin, kann ich auch reingehen«, sagte sich Conny mit
ihrer oftmals nur ihr verständlichen Logik,
»schließlich habe ich nichts anderes zu tun.« Die Langeweile, die für sie seit
der Ankunft ausgebrochen war, setzte ihr zu. Sie lieferte sich zwar ab und an
Diskussionen mit McLean oder nahm das eine oder andere kleine
Diagnosegerät auseinander und änderte dabei oft schnell die
Programmierung - zu dessen Vor- teil -, doch das erfüllte sie nicht mit
Zufriedenheit. In der Ambu-lanz hielt sie sich hier inzwischen zurück, da
ihre Ideen dem Arzt - wie auch an Land - meist als zu gewagt erschienen
und von ihm abgelehnt wurden. Mehrfach hatte er sie schon der
Räume verwiesen und so blieb sie der Krankenstube im Moment lieber
fern. Doch McLean hatte in absehbarer Zeit vor, das zu ändern. Der
Professor sah sie zuerst und begrüßte sie freundlich. Salek sah ebenfalls auf,
nickte, aber arbeitete unverzüglich an der Versuchsanordnung weiter. Sie
setzte sich auf einen Stuhl, der neben ihnen stand, und sah zu.
»Nun, Conny, ist es dir langweilig?«, wollte Achernar wissen.
»Ja, aber nicht nur dezent und nicht nur heute! Professor, ich brauche
eine Aufgabe. Mir gefällt das hier unten schon, und es interessiert mich
auch, was Sie so erforschen. Aber kann ich nicht auch etwas helfen? Aus
Langeweile entstehen die dümmsten Dinge … besonders bei mir!«,
beendete sie ihre Begründung.
Der Professor nickte anerkennend. »Wenn du bereit bist, dir ein
gewisses Grundwissen über die Meeresbewohner anzueignen,
dann kann ich dir einige anspruchsvolle Aufgaben übertragen.
Ich schlage vor, du studierst die Fische, denn nur dann verstehst
du, was genau ich hier erforsche. Vorausgesetzt, nach diesem
Studium besteht noch Interesse daran.«
»Und wie soll ich studieren? Was gibt es denn für
Aufzeichnungen? Wo steht der Bildbetrachter?«, fragte sie und
sah ihn neckisch, aber auch mit Begeisterung im Blick an.
»Nein, ich habe hier ganz viele altmodische dicke Bücher für
dich!«
»Ah fein. Und die soll ich dann im Wasser, mit dem Fisch als
Anschauungsmaterial in der Hand, lesen?«, scherzte sie.
Der Professor sah sie kopfschüttelnd an. Was dachte sie sich bei
solchen Sprüchen?
»Conny! Du kannst dich ohne Tauchausrüstung nicht im Meer
aufhalten. Außerdem schwimmen dir die Fische bei deinen
inzwischen häufig erwähnten Schwimmkünsten davon, ehe du sie
zu fassen bekommst. Deine Vorstellungen sind also etwas
unrealistisch, findest du nicht auch?«
»Es war einfach so eine Idee von mir. Außerdem finde ich es
sehr interessant, wie Ihr Sohn so durch das Wasser schwimmt
ohne Tauchausrüstung. Er ist zu beneiden.«
»Aha! Interessiert dich, was ich an Jerome verändert habe, um
das zu erreichen?«
»Ja, es interessiert mich nicht nur, ich gestehe, ich wäre auch
ganz gerne so wie er«, flüsterte sie leise und eine versteckte
Sehnsucht schwang in ihrer Stimme mit, die der Professor
dennoch wahrnahm.
»Ich werde dir bei passender Gelegenheit einiges über die
Wechselwirkungen der Organe erklären, damit du die Tragweite
eines solchen Eingriffs erkennst und sie beurteilen kannst. Bevor
du dich nach etwas sehnst, musst du erst wissen, welche
gravierenden Einschnitte eine solche Veränderung im Leben eines
Menschen mit sich bringt … was ihn zu einem Amphibienmenschen werden lässt.«
Nachdenklich betrachtete Achernar das seltsame Mädchen, das
den Wunsch nach einer Umwandlung mit einer Sicherheit
aussprach, die ihm schon fast Bewunderung abnötigte. Die
meisten Menschen würden sich wohl eher davon distanzieren.
»Spielst du wirklich mit dem Gedanken, selbst gern zu einem
solchen Amphibienmenschen werden zu wollen?«, fragte er als
Abschluss noch einmal.
»Ja!«, sagte sie plötzlich mit lauter und fester Stimme. In ihr
entstand dabei ein warmes Gefühl, das sie durchflutete. Dieser
Wunsch schien also richtig zu sein. Es fühlte sich einfach so an.
Ohne dass Conny es bemerkt hatte, war der Doktor eingetreten
und hatte ihren lauten Ausspruch mitbekommen. Nun sah er
sich schon wieder genötigt, einzugreifen. Conny wollte ein
Amphibienmensch werden? Was dachte dieses Gör sich dabei?
Konnte man sie nicht ein einziges Mal allein lassen, ohne dass sie
sich gleich wieder Unsinn ausdachte? Entsprechend verärgert
klang seine Stimme: »Conny! Du weißt doch gar nichts darüber!
Du kannst nicht so einfach mir nichts dir nichts aus dir einen
Amphibienmenschen machen lassen!«, polterte er los.
Sie sah ihn verständnislos an. »Doch, das kann ich. Außerdem
will mir unser allerseits geschätzter Professor noch einmal alles
bis ins kleinste Detail erklären. Aber auch ohne diese
Erklärungen steht mein Entschluss bereits fest! Es gibt nichts
anderes für mich!«, setzte sie hinzu und drehte ihm den Rücken
zu. Das hieß für den Arzt, der sie gut kannte: Diskussion erledigt.
Doch damit wollte er sich diesmal nicht zufriedengeben. Die
Tragweite dieser Entscheidung konnte das Mädchen nicht
abschätzen, das war ihm klar – oder zumindest dachte er das.
»Nichts da, so geht das nicht, das ist eine Entscheidung fürs
Leben, denn ich glaube nicht, dass eine Umkehr so einfach ist!«,
fauchte er sie an und sein Blick suchte, wie um Verstärkung
bittend, Achernar.
»Es ist möglich … doch warum sollte das derjenige tun?« fragte
Achernar den Arzt.
»Ich möchte es, McLean, daran wirst du nichts ändern«, fauchte
sie ihn wütend an. »Mein Entschluss steht fest«, stellte sie mit
einem für sie ungewohnten Ernst in der Stimme klar.
Der Arzt sah von einem zum anderen. Er kannte Conny. Er war
sich sicher, dass ihre Verbohrtheit daher rührte, weil er dagegen
war. Mit seiner Einmischung hatte er die ganze Angelegenheit
noch verschlimmert. Aber was ihn dabei am meisten erschreckte,
war die Tatsache, dass Achernar offenbar gewillt war, sie
umzufunktionieren. Er verstand nicht, was hier gespielt wurde.
Und genau das fasste er in Worte: »Professor, Sie kennen Conny
kaum und wissen demzufolge auch nicht, ob diese
Umfunktionierung richtig für sie ist!«
»Im Prinzip stimme ich Ihnen zu, Doktor, doch ich habe bei ihr
ein gutes Gefühl. So, als sei es richtig ...«, sagte er nachdenklich
und für ihn völlig untypisch, nahm er sie mit einem Lächeln kurz
in den Arm. Doch der Arzt gab noch nicht auf. Hilfesuchend
wandte er sich zu Salek um, der das Gespräch interessiert
verfolgt hatte. Der Walhaller sah auf und hatte nur eine einzige
Frage an sie.
»Conny, du bestehst so vehement auf deinem Wunsch. Der
Grund, ohne Gerätschaften tauchen zu wollen, kann doch nicht
derballeinige sein, was ist der wahre Auslöser für deine schon fast
überstürzte Entscheidung? Warum möchtest du umfunktioniert
werden?«
»Ich möchte nicht nur an Land frei sein, sondern auch im Wasser.
Natürlich glaubt ihr mir das jetzt nicht, ihr kennt meine
angeborene Wasserscheu. Doch das Wasser war schon immer
mein heimlicher Favorit, nur fehlten mir die Voraussetzungen
dafür, meine Neigung ausleben zu können – ohne die Angst, die
mich bisher davon abgehalten hat und die mich jedes Mal in
Wassernähe überfällt: Die Angst, zu ertrinken!« So, als wären das
schon der ernsten Worte genug gewesen, fügte sie noch hinzu:
»Wenn ich nicht mehr schwimmen kann, tauche ich eben ab und
laufe!« Bei diesen Worten lächelte sie alle an.
Ihre Logik erheiterte die Anwesenden, sogar der Walhaller ließ
das Pendant eines Lächelns erkennen, indem er beide Brauen
hochzog und den Kopf schief legte.
Der Arzt jedoch verfiel bald wieder in seine übliche Verzweiflung,
wenn er befürchtete, dass Conny wieder einmal den Verstand in
ihrem Zimmer vergessen zu haben schien und ohne diesen im
Stützpunkt herumrannte.
***
Schließlich räusperte sich der Professor und stellte eine Bitte in
den Raum. Alljährlich besuchte er mehrere Orte unter Wasser,
die einst aufgrund einer ausgeuferten Umweltverschmutzung
nahezu ohne Leben waren. Dieser Plätze hatte er sich angenommen und versucht, durch Wasserpflanzen – die Schmutzpartikel
aus dem Wasser filtern konnten – die Gegend wieder zu
regenerieren und erneut Wasserbewohner anzusiedeln.
In wenigen Tagen wäre nun erneut der Zeitpunkt gekommen,
die Erfolge oder die erneuten Rückschläge zu begutachten. Auf
jeden Fall mussten Proben entnommen und gegebenenfalls
bereits vor Ort analysiert werden, um Sofortmaßnahmen ergreifen
zu können – sollte das nötig sein.
In einem waren sich alle einig: Der Professor wurde bei dem
derzeitigen Stand der Forschungen in seinem Laboratorium
gebraucht. Was lag also näher, als Jerome mit dieser Mission zu
beauftragen? Zum einen entsprach sein Wissensstand längst dem
für diese Expedition erforderlichen Maß und zum anderen würde
er dadurch viele Erfahrungen, auch in der Führung eines kleinen
Teams, erlangen. Als Begleiter kamen nach einigem Überlegen
zwei Personen ins Gespräch: McLean und Conny. Der Arzt war
für diesen Auftrag aufgrund seiner medizinischen Kenntnisse
qualifiziert, vor allem auch deshalb, weil er wusste, wie heftig sich
die Umweltverschmutzung auf die Gesundheit von Lebewesen
auswirkte. Und Conny? Wer hätte Jerome besser bei der
Probenentnahme und Beobachtung unter Wasser helfen können
als sie?
Dann kam der Professor noch auf ein anderes Thema zu
sprechen, es ging um das Tauchboot und die Reiseroute der
Forscher. Schmunzelnd bat Achernar – trotz Moriers Erfahrungen
– den Walhaller, den Kurs der Reiseroute einzugeben. Nicht einen
Gedanken verschwendete er daran, dass der Raumfahrer bei
einer Expedition eine Extravaganz einbauen könnte. Salek nickte
und erarbeitete wenig später die sicherste und kürzeste
Reiseroute.
***
Das Tauchboot durchpflügte mit mittlerer Fahrt das Wasser auf
dem Weg zur ersten Probeentnahmestelle. Dabei bewunderten sie
die vorbeiziehenden Korallen, die farbenprächtig auf Steinchen
thronten.
Anemonenfische und Riffbarsche kreuzten ihren Weg. In der
Ferne jagten viele Fischschwärme dahin, vereinzelt sahen sie
Schwertfische und hin und wieder erkannten sie sogar einen
Delfin. Über allem lag ein Glitzern und Gleißen, dem sich McLean
nicht entziehen konnte, er stand am Bullauge und sah gebannt
hinaus. Lange Zeit sagte niemand etwas, diese Stille war
erholsam. Jerome hoffte, dass dieser Zustand anhalten würde
und es keinen Grund für Auseinandersetzungen geben würde.
Schließlich erreichten sie die erste Probestelle. Die Wasserprobe
ergab nichts Besorgniserregendes, sodass der junge Mann schon
bald das Boot verließ. Er schabte Proben vom Meeresboden und
entnahm ein wenig von dem Bewuchs an einem Riff. Der Doktor
und Conny beobachteten ihn bei seinem Tun. Dem Arzt kam ein
Lachen an und auf Connys fragenden Blick antwortete er nur:
»Von dem bisschen Kratzen wird doch nichts! Soll er mal gleich
den ganzen Brocken ans Boot hängen, dann hat er was zu tun!«
Conny schüttelte nur den Kopf, die Pointe aus des Doktors Witz
verhallte unerkannt.
Kurz darauf war Jerome schon wieder zurück und weiter ging
die Fahrt zur nächsten Stelle. Diesmal begab sich Conny auf
Erkundungstour.
Sie hatte genau aufgepasst, wie ihr Freund bei der Entnahme
der Proben vorgegangen war und stellte sich nun bereits sehr
geschickt an. Langusten stakten ihr entgegen. Filigranen
Gewächsen gleich, bewegten sie sich anmutig. Als sie wieder in
das Boot zurückkehren wollte, sah sie in einiger Entfernung eine
seltsame schwarze Kugel aufsteigen. Neugierig schwamm sie
dieser hinterher und stupste sie mit dem Finger an. Diese
reagierte und umschloss ihn. Erschrocken schüttelte sie den
vehement und befreite sich dadurch von diesem Anhängsel. Doch
auf dem Weg zurück ins Tauchboot hatte sie diesen Vorfall schon
wieder vergessen.
Die Proben bekam wieder McLean, der noch an den letzten Tests
der ersten Stelle arbeitete. Conny erbat sich von Jerome noch ein
wenig Wasseraufenthalt, da sie die die Pflanzenwelt, die sich von
der ihr bereits bekannten unterschied, interessierte. Doch auch
die bunten Fischschwärme begeisterten sie – und erst die
Langusten! Die Kleine schwelgte in all dem bunten Getümmel
und streckte die Arme zu beiden Seiten aus und verharrte reglos
in dieser Position. Bald verlor ihr Umfeld die Angst vor ihr und sie
befand sich inmitten all dieses Lebens. Sie ließ sich auf den
Boden sinken und entdeckte dort Dornenkronenseesterne. Diese
zeichneten sich durch einen großen Appetit auf Korallen aus.
Nach einer Fressattacke blieb von diesen nichts mehr übrig.
Dennoch besaßen auch dieser Stachelhäuter einen
natürlichen Fressfeind: das Tritonshorn, eine recht passabel
anzusehende Schnecke, die ein wunderschönes Haus auf ihrem
Rücken trug. Helder hatte davon einige Häuser in seinem
Laboratorium auf einem Regal stehen, eines davon hatte Löcher,
doch sie hatte versäumt zu fragen, wie diese hineingekommen
waren.
Hier und da entdeckte sie einen Kugelfisch, einer hatte sich
besonders schön aufgeblasen und löste damit bei Conny ein
fröhliches Lachen aus. Es gab doch tatsächlich Menschen, die
sich auch wie solche aufbliesen. An wen dachte sie da? Natürlich
an ihren Arzt! Allerdings hielt sie Abstand, denn manche bissen
und das war dann gar nicht mehr lustig. Im Prinzip war es hier
unter Wasser so wie oben an Land. Man musste sehr genau
abwägen, mit wem man sich einließ.
Auch die nächsten Proben durfte sie hereinholen, während
Jerome den Doktor bei der Auswertung unterstützte. Beide waren
so in ihre Aufgabe vertieft, dass sie nicht eine Sekunde mit
Streitereien verschwendeten.
Doch mit jeder Stelle, die sie anfuhren, wurden die Werte
schlechter – und was nur Conny wusste, die schwarzen Kugeln
traten immer öfter in Erscheinung. Endlich wurde sie misstrauisch und fing eine in einem Tütchen ein. Vielleicht konnte ihr
der Arzt sagen, um was es sich bei diesen Dingern handelte.
Vielleicht bestand ein Zusammenhang zwischen ihnen und den
immer schlechter werdenden Testwerten? Kaum wuchsen die
Pflanzen und gediehen die Tiere wieder, kam offensichtlich erneut
etwas dazwischen. Das musste vermieden werden!
Zurück im Boot übergab sie alle Proben und überreichte zum
Schluss das Tütchen mit der anhänglichen Kugel. Der Arzt
öffnete das Behältnis und schnupperte hinein. Das reichte ihm
schon. »Das ist Schweröl, Conny. Damit wurden die antiken
Schiffe angetrieben … und das schwimmt dort draußen herum?«
»Ja und es wurden von Entnahmestelle zu Entnahmestelle immer
mehr.«
»Dann muss hier irgendwo so ein veraltetes Schiff auf dem
Meeresboden liegen, das ein Leck bekommen hat. Allerdings
könnte es sich auch um Fässer handeln, die früher einfach mit
diesem giftigen Inhalt ins Meer geworfen wurden. Was für eine
Umweltverschmutzung! Die Pflanzen deines Vaters schafften dort,
wo diese Giftstoffe schon im Meer waren, Abhilfe. Doch wenn nun
erneut irgendwo ein neues Leck entstanden ist, dann erklärt das
tatsächlich die verschlechterten Werte. Dagegen müssen wir
etwas unternehmen. Nicht zuletzt hängt das Leben vom Wasser
ab, siehe auch die Evolution im Mutterleib zu Beginn des Lebens.
Zuerst Fisch, dann Mensch.«
Conny nickte. Ja, sie mussten herausfinden, woher diese giftigen
Substanzen plötzlich kamen.
***
Die beiden Amphibien vertrieben sich die Zeit wieder einmal im
Meer. Conny widmete sich ganz ihrer Suche nach Seepferdchen.
Vielleicht würde sie fündig werden? Dann konnte sie diese
einfangen und auch im Becken des Laboratoriums bewundern.
Jerome hielt das allerdings für keine gute Idee, da keine Notwendigkeit bestand, die Tierchen aus ihrer gewohnten Umgebung zu
reißen. Beschämt senkte sie den Blick und ließ sich auf einem
Stein nieder, um den possierlichen Meeresbewohnern bei ihrem
Spiel in Freiheit zuzusehen.
Der junge Mann hielt sich in ihrer Nähe auf und studierte
währenddessen die Korallen. Sein Vater wollte die Ansiedlung
dieser Nesseltiere erweitern und er prüfte gewissenhaft, ob dafür
die Voraussetzungen gegeben waren.
Mit der Zeit wurde es Conny langweilig. Forschend sah sie sich
um, ob es in ihrem Umfeld nicht irgendetwas gab, was sie noch
nicht kannte. Boote fuhren über ihren Köpfen über das Wasser
und in der Ferne erkannte sie schemenhaft den Schiffskiel des
Perlenfischers. Bisher war der ihnen nicht zu nahe gekommen.
Sie wühlte gedankenverloren im Meeresboden und entdeckte
plötzlich ein Seil, das bisher vom Sand bedeckt war. Erstaunt
versuchte sie, daran zu ziehen, doch es ließ sich nur geringfügig
bewegen.
Verdutzt hielt Conny inne, um kurz darauf einem Ende des Seils
zu folgen. Emsig schob sie den Sand beiseite. Wenig später
richtete sie sich verdutzt auf. Das Seil war Bestandteil eines
stabilen Netzes, das offenbar verborgen am Meeresboden lag. »Zu
was war das gut?«, fragte sich Conny. Ihr Instinkt sagte ihr, dass
hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sie arbeitete sich
bis an den Rand des Netzes vor. Von dort aus folgte sie diesem,
nur um nach einer Weile festzustellen, dass es riesig war.
Aufgeregt schwamm sie zu Jerome und berichtete ihm von ihrem
Fund; drehte sich aber sofort wieder um, denn sie wollte der
Sache weiter auf den Grund gehen.
Erst jetzt fiel ihm ein, dass sich vor sehr langer Zeit Taucher hier
unten aufgehalten hatten. Er ärgerte sich, dass er deren Treiben
nicht genau beobachtet hatte. Plötzlich wurde ihm regelrecht
schwarz vor Augen. Entsetzt schwamm er Conny nach, um sie
von diesem Fangnetz fern zu halten.
»Conny! Stopp! Das ist eine Falle!« Doch es war schon zu spät.
Das Netz schnellte nach oben und zog sich blitzschnell
zusammen. Entsetzt beobachtete das Mädchen, wie es sich hoch
über ihrem Kopf zusammenzog. Sie war so geschockt, dass sie
regungslos verharrte; das Paradebeispiel für ein typisches
Opferverhalten. Der junge Mann handelte einfach: Er vergaß alle
Vorsicht und anstatt Hilfe zu holen, versuchte er, die Seile mit
seinem Messer zu durchtrennen – natürlich gelang ihm das nicht.
Verbissen versuchte er es dennoch weiter und übersah dabei die
Taucher, die zahlreich um ihn herum auf den Meeresgrund
sanken. Conny bemerkte sie, doch sie stand noch so unter
Schock, dass es bereits zu spät war, bevor sie reagieren und
Jerome warnen konnte. Die Taucher zerrten Jerome vom Netz
weg und lieferten sich mit ihm ein Handgemenge. Aber es waren
zu viele. Einer von ihnen verlor die Geduld als seine Luft knapp
wurde; er schlug hinterrücks mit einem Stein auf ihn ein.
Besinnungslos trieb Jerome im Wasser.
Sie öffneten das Netz ein wenig und stießen ihn hinein, dann
wurde es an einem Haken befestigt und hochgezogen. Conny fand
ihre Geistesgegenwart endlich wieder. Schnell sah sie nach
Jerome, der atmete – noch. Doch wie sollte sie ihm helfen? Sich
zur Ruhe zwingend betrachtete sie sich ihr Gefängnis genauer,
doch das Material, aus dem es bestand, kannte sie nicht. Das
Netz war dicht und perfekt geknüpft, keine Schwachstelle zeigte
sich. Fast fühlte es sich an wie starkes, biegsames Metall. Es
musste einen Fluchtweg geben.
Verzweifelt drehten sich ihre Gedanken im Kreis, während sie der
Meeresoberfläche immer näher kamen.
Schließlich blendete sie grelles Sonnenlicht. Als das Netz das
Deck berührte, drückte das Gewicht Conny zu Boden. Mühsam
hob sie den Kopf, sah den Bootseigner, der ausdruckslos seinen
Fang beobachtete. Er griff nach einer Kugel, die an einer Masche
befestigt war und augenblicklich hob sich ein Teil des Netzes. Das
kam Conny sehr seltsam vor, ihr dämmerte etwas. Sie kannte
einige Forschungen und glaubte sich zu erinnern, dass der
Doktor erwähnt hatte, dass die Schwebetechnik der faltbaren
Trage auch in anderen Bereichen des Lebens zum Einsatz
kommen würde. Doch wie kamen diese primitiven Fischer in
dieser Enklave zu einer derart fortschrittlichen Technik?
Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Sie ahnte,
wem sie diese Tatsache zu verdanken hatte. Garantiert hatte
dieser unrühmliche Admiral, von dem Kelley ihr erzählt hatte, da
seine Finger im Spiel!
Doch viel Zeit blieb ihr nicht für Anschuldigungen. Auch wenn ihr
klar war, dass derjenige, der sie bei ihrem Landgang beobachtete
hatte, sich wahrscheinlich an die richtigen Kreise gewandt hatte,
half ihr diese Erkenntnis nun auch nicht mehr weiter. Mit einer
gewissen Faszination beobachtete sie, wie sich das Netz zu einem
Würfel formte. Die Kugel schien die Steuerung für dieses Wunder
der Technik zu enthalten. Plötzlich öffnete es sich vor ihnen und
ein riesenhafter Mensch stürzte auf sie zu und zerrte sie brutal
mit sich. Als sie sich mit all ihrer Kraft wehrte, warf sich der
Hüne das Mädchen unter dem Gelächter seiner wild aussehen
Gefährten über die Schulter und trug das zappelnde Bündel mit
einem spöttischen Grinsen hinunter unter Deck. Ein weiterer
Mann folgte ihnen mit Jerome über der Schulter.
In einer kleinen Kajüte wurde Conny in eine Ecke gestoßen und
Jerome wurde regelrecht auf eine Pritsche geknallt, die an der
Wand stand. Dann schloss sich die Tür zu ihrem Gefängnis.
Conny zitterte am ganzen Körper, obwohl sie mit aller Kraft
versuchte, sich zu beruhigen. Das musste ein böser Traum sein.
Doch allmählich fand sie sich mit der Realität ab. Suchend
schaute sie sich um. Irgendetwas musste es geben, woraus sie
Hoffnung schöpfen konnte. Das musste einfach so sein!
Ihr Blick streifte Jerome und sie schämte sich für ihr Verhalten.
Wie dumm war sie auf dem Meeresgrund gewesen – wie naiv. Das
kam in der Rangfolge ihrer größten Lebenssünden gleich an
zweiter Stelle nach dem Sprung ins Meer in Signalrot. Traurig ließ
sie sich am Kopfende neben Jerome auf den Boden sinken.
Zärtlich streichelte sie ihm über den Kopf, den sie dabei
vorsichtig abtastete. Ohne Diagnostiker war sie weitestgehend
aufgeschmissen. Außer einer riesigen Beule am Hinterkopf
konnte sie nichts finden – doch wenn er Hirnbluten bekommen
hatte, würde er vielleicht nie wieder erwachen.
Tränen liefen ihr über die Wangen, ohne dass sie es bemerkte.
Das alles hatte sie sich zu verdanken. Wie dumm und kindisch
hatte sie sich doch die letzten Jahre benommen. Wie eine
verzogene Göre, fernab vom Ernst des Lebens. Sie war sich in
diesem Moment sicher, dass sie nie wieder so unbeschwert
durchs Leben würde gehen können wie bisher. Ihr Leben zog wie
ein Film vor ihrem inneren Auge ab und sie schämte sich für all
den Blödsinn, mit dem sie gedankenlos die Menschen, die sie
liebten, traktiert hatte. Todtraurig lehnte sie sich an Jeromes
Schulter und bemerkte gar nicht, wie die Zeit verging.