KULTURKONZEPT MAGIEN Ende Jahr soll das Kulturkonzept für die Jahre 2017 bis 2022 dem Regierungsrat zum Beschluss vorliegen. Derzeit arbeiten die Abteilung Kultur und das Aargauer Kuratorium daran, neben einer Bestandesaufnahme die Ziele und Schwerpunkte der kantonalen Kultur politik für die nächsten fünf Jahre so auszurichten, dass die Ressourcen nachhaltig und wirkungsorientiert eingesetzt werden können. Gespannt sind wir, wie mit begrenzten finanziellen Mitteln und zunehmendem Druck auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Verände rungen, wie etwa der Digitalisierung und der demo grafischen Entwicklung, eine möglichst lebendige Kultur im Kanton zu fördern ist. Im Mai findet das zweite Kulturforum statt, zu dem Kulturakteure aus den verschiedensten Vereinen, Institutionen, Projekten eingeladen sind. Aufzuspüren, was noch nicht ist, und Freiräume für Weiterentwicklungen und Veränderungen, die in der Zukunft liegen, offenzuhalten, um Vielfalt zu sichern: Darin liegen das Paradox und das Herausfordernde an Kulturkonzepten überhaupt. Jazz zeigt dies auf. Komposition und Improvisation, Plan und Unvorher sehbares … so nennt Steff Rohrbach, der über das Hausquartett plus, das in der Reihe Schlumpf+ im Mai auftritt, seine Spannbreiten. Die Praktiken des Jazz zeigen auf, wie man gemeinsam zu einer eigenständigen Ästhetik gelangen kann. Die freie Improvisation steht da ganz im Vordergrund, komponierte Elemente die nen allenfalls als Bezugspunkte, vor denen Solistinnen und Solisten Kreativität und ihr musikalisches Poten zial entfalten können, indem sie sich dialogisch auf ein dynamisches, sich ständig weiterentwickelndes und veränderndes Experiment einlassen. Magie des Moments? Pascal Küng erwähnt im Beitrag von Donat Kaufmann die «Magie des Moments», die er fotografisch einzufangen versucht, wenn er Musike rinnen und Musiker an Konzerte oder zu Aufnahmen begleitet. Es ist das Einmalige, das Geheimnis der Mu sik, das bei der Betrachtung seiner Fotografien ergreift. Oder Neuland? Neuland betritt argovia philhar monic schon seit einiger Zeit und immer wieder mit der «Serie Surprise» – ob im Aufschluss Meyerstollen tief unter dem Bahnhof Aarau, in der Alten Reithalle oder an den Rändern des Kantons. Diesen Monat tritt das Orchester im Bäderquartier in Baden auf und spielt den herkömmlichen Sälen Konkurrenz, letztes Jahr sorgte «Mozart im Wald» in den Sandsteinhöhlen Liebegg für Aufsehen. Zweifellos, auf der Suche nach dem Paradies … um neues Publikum zu erreichen, was bei dieser Offenheit und Frische gelingen mag. Die Kunst machts vor. Diese Magie, diese Frische wünschen wir dem neuen Kulturkonzept. Porträt von Pascal Küng, Bremgarten. Foto: Celine Werdelis. DIE EIGENE WAHRheit FORMU LIEREN Ein Porträt über den Fotografen Pascal Küng anlässlich der Ausstellung seiner Bilder zum KiFF Fest – 25 Jahre KiFF Aarau. von Donat Kaufmann Seite 24 –26 ALTHERGEBRACHT MODERN Improvisationsabend in der Reihe Schlumpf+ mit dem Hausquartett. von Steff Rohrbach Seite 27 NEULAND argovia philharmonic erobert die Alte Reithalle in Aarau und das Bäderquartier in Baden. von Elisabeth Feller Seite 31– 33 FEDERLESEN Rolf Keller und Thomas Pauli-Gabi über das zukünftige kantonale Kulturkonzept aufgezeichnet von Jacqueline Beck Seite 22–23 BILDSCHIRM NR 65 Susanne Keller Seite 28 – 30 TAUCHSIEDER von Dölf Keller Seite 31 HIMMEL & HÖLLE Gott im Wirtshaus von Mirjam Richner Illustration von Selina Kallen Seite 34 – 35 Madeleine Rey, Redaktion 21 FEDERLESEN Thomas Pauli-Gabi Das ist keine leichte Aufgabe! Rolf Keller Rolf Keller und Thomas Pauli-Gabi über das zukünftige kantonale Kulturkonzept Nachgefragt und aufgezeichnet von Jacqueline Beck Der Kanton Aargau erarbeitet ein Kulturkonzept, das an das revidierte Kulturgesetz von 2010 anknüpfen soll. Wie hat sich dieses aus Ihrer Sicht bewährt? Thomas Pauli-Gabi In meiner Wahrneh mung hat das Kulturleben im Aargau insgesamt an Stärke und Ausstrah lung gewonnen. Das Gesetz hat Pro jekte dynamisiert, Schwerpunkte wie die sogenannten Leuchttürme ver stärkt und insgesamt zu einem quali tativen Ausbau und einer Professio nalisierung in der Förderung, Pflege und Vermittlung von Kultur geführt. Wir wollen es nun aber genauer wis sen. Das Gesetz selber sieht vor, dass nach spätestens sechs Jahren eine Be standsaufnahme vorgenommen wird. Wir wollen damit die Schwachstellen, aber auch besondere Stärken eruie ren, und uns im Weiteren überlegen, wie wir auf die sich verändernden ge sellschaftlichen, politischen und wirt schaftlichen Rahmenbedingungen re agieren können. Rolf Keller Das revidierte Gesetz hat ja zum Glück Stärken des alten Geset zes übernommen, etwa das besondere aargauische Modell für die Kulturför derung, mit einem unabhängigen Ku ratorium. Mir scheint es denn auch wichtig, zu betonen, dass das Kultur konzept nicht als Reaktion auf eine Krise erstellt wird. Im Gegenteil: Es läuft eigentlich gut. Nun geht es darum, die bewährten Massnahmen zu si chern und sie für die Jahre 2017 bis 2022 zu konkretisieren. Ein Kultur konzept ist stärker handlungsanlei tend, als es ein Gesetz sein kann. Wir wollen eine noch verbindlichere und transparentere Grundlage für die Kul turpolitik schaffen. Sie soll nicht nur den Kulturschaffenden in der Praxis dienen, sondern auch der Bevölkerung aufzeigen, wie wir den gesetzlichen Auftrag verstehen und umsetzen. Als Grundlage erarbeitet das Institut Interface einen Wirkungsbericht. Wie lässt sich die Wirksamkeit von Kultur messen? 22 Es ist klar, dass man die Wirkung von Kultur und Kulturpolitik schlecht evaluieren und belegen kann. Wir haben aber den Vorteil, dass be reits 2009 eine Bevölkerungsbefra gung zu den kulturellen Institutionen und zum Etikett «Kulturkanton» statt gefunden hat. Diese Befragung kön nen wir nochmals durchführen und die Antworten vergleichen. Kennen die Leute die Institutionen nun bes ser? Wissen sie genauer, was der Kan ton in Sachen Kulturpolitik und Kul turförderung macht? Repräsentative Ergebnisse erwarten wir überdies von einer Umfrage bei Gesuchstellenden zu den Auswirkungen von Werkbei trägen und Atelieraufenthalten. Thomas Pauli-Gabi Als wirkungsorien tierte Verwaltung haben wir Ziele und Leistungsindikatoren definiert, über die wir dem Grossen Rat in Jahresbe richten Rechenschaft ablegen. Diese werden nun extern beurteilt. Wir ha ben auch die Kunden von Denkmal pflege und Archäologie zu ihrer Zu sammenarbeit befragt. Und schliess lich hat im November ein erstes Kulturforum stattgefunden, an dem Kulturschaffende ihre Erfahrungen, Wünsche und Visionen einbringen konnten. Welche Erkenntnisse haben Sie aus diesem ersten Forum mitgenommen? Rolf Keller Eine kleine Vorbemer kung: Ein Hauptzweck des Forums war, den Prozess der Erarbeitung des Kulturkonzepts in der Bevölkerung breit abzustützen. Das Resultat soll kein Verwaltungspapier sein, das auf dem Bürotisch verstaubt, sondern da durch getragen sein, dass es von den Kulturinteressierten mitentwickelt wurde. Am Forum kamen denn auch die unterschiedlichsten Aspekte zur Sprache: Die einen sagten, man för dere zu wenig die Laienkultur. Andere waren der Ansicht, dass ein zu star ker Schwerpunkt auf Historischem liege und die aktuelle Kultur zu kurz FEDERLESEN komme. Dritte betonten gerade die Wichtigkeit, das kulturelle Erbe zu pflegen. Thomas Pauli-Gabi In vielen Voten kam zum Ausdruck, dass der Aargau eine starke Kulturvermittlung aufgebaut hat. Auch im kulturhistorischen Be reich hat man Elemente ausgemacht, die den Aargau besonders auszeich nen: Vindonissa, Kaiseraugst, die Schlösser oder die Bäderstadt Baden möchte man als herausragende Ge schichts- und Vermittlungsorte wei terhin in den Vordergrund rücken. Zudem wurde das Aargauer Kurato rium als wichtige staatsunabhängige Institution hervorgehoben. Die Auf gabenteilung zwischen Regierungsrat (Vergabe von Swisslos-Geldern) und Kuratorium wird als vorbildlich er achtet. Als Schwächen wurden die mangelnde Kooperation zwischen In stitutionen und Sparten genannt so wie die lückenhafte Einbindung der zuziehenden Bevölkerung in das Kul turleben des Kantons. Ist die Aufteilung der Kompetenzen zwischen SwisslosFonds und Kuratorium vor dem Hintergrund der vom Parlament beschlossenen Kompensation von Budgetkürzungen ebenfalls Gegenstand der Diskussionen um das neue Kulturkonzept? Rolf Keller In Bezug auf das Kultur konzept weniger, weil die Verschie bung der Gelder eine vorübergehende Erscheinung ist, wie wir nach wie vor hoffen. Selbstverständlich haben wir aber darüber diskutiert, und selbst verständlich waren wir dagegen. Nicht aus finanziellen Gründen – durch die Kompensation haben wir ja weiterhin gleich viel Geld zur Verfügung –, son dern weil der Staat sich damit zu einem Teil aus seiner Verantwortung zieht, sein Bekenntnis zur Kultur re lativiert. Wir haben jedoch konstruk tiv an einer Lösung mitgewirkt, und es konnte eine Regelung dafür gefun den werden, dass Einschränkungen des Swisslos-Gesetzes unsere Ver gabepraxis nicht tangieren. Die Sparmassnahmen des Kantons schaffen ein Spannungsfeld, das bei den Kulturschaffenden Ängste auslöst. Wie gehen Sie damit um? Rolf Keller Natürlich kommt Beun ruhigung auf, wenn man hört, mit welchen Defiziten der Kanton in den nächsten Jahren rechnet. Da er schrickt man zuerst einmal als Bür gerin oder Bürger. Am Kulturforum im November kam kritisch zur Spra che, dass sich der Aargau zwar Kul turkanton nennt, mit seinen Ausga ben pro Kopf im interkantonalen Ver gleich aber nur an 19. Stelle liegt. Auf politischer Ebene ist das Bewusstsein dafür wenig vorhanden. Thomas Pauli-Gabi Mit dem Kulturkon zept haben wir nun die Chance, Transparenz über die vom Kanton auf gewendeten Mittel herzustellen. Da die Finanzsituation des Kantons in den nächsten Jahren angespannt bleibt, ist es meines Erachtens noch wichtiger, dass die Ressourcen in den kantonseigenen Institutionen und in der Förderung zielgerichtet und wirk sam eingesetzt werden. Rolf Keller Wir haben immer betont, dass die Erstellung des Kulturkon zepts keine Reaktion auf aktuelle oder bevorstehende Sparübungen ist. Meine Hoffnung ist es dennoch, dass wir mit dem Papier klarer aufzeigen können, weshalb es sich lohnt, für die Kultur im Kanton Geld auszugeben. Thomas Pauli-Gabi Wir möchten Debat ten darüber auslösen, wie das kultu relle Leben im Kanton vielfältig bleibt. Es stehen Herausforderungen an, zu deren Bewältigung die Kultur einen wichtigen Beitrag leisten kann: zum Beispiel für den Zusammenhalt in einer wachsenden und heterogenen Gesellschaft. Wir gehen aktiv auf die Medien zu, sodass der Verlauf und die Ergebnisse dieses Prozesses eine grös sere Öffentlichkeit finden. Der Bund hat Anfang Jahr seine Kulturbotschaft vorgestellt. Inwiefern dient sie als Weg weiser oder Vorbild für das Aargauer Kulturkonzept? Thomas Pauli-Gabi Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Wir sind nicht Pioniere in Sachen Kulturleitbild. Alle grösseren Kantone und auch Städte wie Aarau oder Baden haben schon eines. Natürlich schauen wir sie genau an, aber der Kulturkanton Aargau tickt anders, sodass ein «Copy-andPaste» nicht infrage kommt. Rolf Keller Die Hauptaussage der Bun desverfassung lautet, dass Kultur Sache der Kantone sei. In diesem Sinn ist unser Kulturkonzept kein Nach vollzug von Massstäben, die auf Bun desebene definiert werden. Logischer weise tauchen gewisse Themen wie Digitalisierung oder demografische Entwicklung aber auf allen Ebenen immer wieder auf. Welches ist Ihre Vision für den Kulturkanton? Thomas Pauli-Gabi Wir sind mitten im Prozess der Strategieentwicklung. Es liegen noch ein paar Schritte vor uns, bis wir dem Regierungsrat im Herbst einen Vorschlag unterbreiten kön nen, wie sich die kantonale Kultur politik in den nächsten Jahren ent wickeln soll. Rolf Keller Meine persönliche Vision ist es, dass die gesellschaftliche Be deutung von Kunst und Kultur in der Politik und Bevölkerung breiter ver standen wird. Thomas Pauli-Gabi Das ist für mich ein wichtiger Nutzen, den dieses Konzept bringen soll. Wo wir den Kulturkanton in fünf bis zehn Jahren sehen, ist eine noch zu formulierende Perspektive. Thomas Pauli-Gabi ist Leiter der Abteilung Kultur im Kanton Aargau. Rolf Keller ist Präsident des Aargauer Kuratoriums. Jacqueline Beck ist freie Kultur journalistin. 23 24 Die eigene Wahrheit formulieren und führen. Umgekehrt sucht er in den Musikern natur nahe Züge nachzuzeichnen. Was Pascal heute unter dem Namen «Summer Washed Out Photography» auf einer Website veröffent licht, begann vor sechs Jahren mit einem Zufall. In seinem engen Freundeskreis formiert sich eine Band mit kühnen Ambitionen. Al Pride sind jung und ziel strebig, im Visier haben sie die grossen Gesten der Popmusik. Fasziniert von der Leidenschaft und Vision dieser Band begleitet sie Pascal fortan mit der Kamera – ohne als Fotograf je Erfahrungen gesammelt zu haben. Es dauert nicht lange, bis er merkt, dass er beim Ar beiten nicht nur dem Medium Fotografie näherkommt, sondern dabei ist, einen Teil der eigenen Identität freizulegen. Je intensiver er sich mit seinen Motiven auseinandersetzt, desto deutlicher erkennt er sich selbst als wichtigen Teil davon. Aus dem Versuch der Annäherung an sein Gegenüber wird allmählich eine Annäherung an sich selbst. In den vergangenen Jahren hat Pascal unzählige nationale und internationale Künstler porträtiert. Al Pride blieb bis heute sein Ankerpunkt. Was als Experi ment begann, ist heute eine feste Zusammenarbeit – und eine enge Freundschaft. Letzten Herbst begleitete Pascal Al Pride nach Schweden, wo die Band nahe dem Küstendorf Hallavara ihr gleichnamiges Album einspielte. Hört man sich durch den 50-minütigen Wellengang und widmet sich dabei der fotografischen Dokumentation, die dem Tonträger beiliegt und von Pascal stammt, dann wird deutlich, wie selbstver ständlich und ungezwungen die Verständigung ist zwischen Bild und Ton. Es scheint, als hätten sich mit Hallavara die künstlerischen Dialekte zu einer gemein samen Sprache verbunden. Ganz im Sinne dieser geteilten Vision stellt Pascal diesen Frühling bei ausge wählten Konzerten von Al Pride Fotografien aus, die während der Zeit in Hallavara entstanden sind. So auch am 27. Mai, wenn die Band anlässlich des Jubilä umsfests im KiFF in Aarau spielt. Als sich Pascal später an diesem Abend im Royal auf den Heimweg machen will, bin ich gerade in eine Debatte verwickelt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er sich uns vorsichtig nähert. Als er bemerkt, dass mein Gegenüber dabei ist, zu einem feurigen Plädoyer auszuholen, bleibt er unvermittelt stehen. Als drohe er den Funkenschlag, die Magie des Moments, zu verhindern, wartet er geduldig das Ende der ausschwei fenden Ansprache ab. Erst als mein Gegenüber ver stummt, um endlich tief durchzuatmen, tritt Pascal zu uns hin. Die Geste ist eine Analogie zu den Fotogra fien, deren Zurückhaltung immer auch eine Form der Anteilnahme ist. Ein Porträt über den Fotografen Pascal Küng anlässlich der Ausstellung seiner Bilder im KiFF von Donat Kaufmann Immer wieder hält Pascal für einen kurzen Augenblick inne, fährt sich mit den Fingern durch das blonde Haar und lässt den Blick über die Fassade des gegen überliegenden Gebäudes schweifen, als hinge irgendwo dort das gesuchte Wort. Er wählt sie mit Bedacht, die Wörter – insbesondere dann, wenn er über seine Fotografie spricht. Ich sitze mit Pascal auf einer Treppe hinter dem Kulturlokal Royal in Baden. Durch die Wände dringt dumpf und regelmässig der Bass. Im ehemaligen Kino findet gerade das Musikfestival «Fest Gefahren» statt, ein gemeinsames Projekt zweier umtriebiger Badener Veranstaltungsgruppen. Als Fotograf begleitet Pascal beide seit mehreren Jahren durch ihre Konzertabende. Er porträtiert Künstlerinnen, Künstler und Orte, das Publikum, die Menschen hinter der Kulisse. Seine Bilder sind es, die nach den Anlässen ins kollektive Gedächt nis der sozialen Medien eingehen. Konzerte als gestei gerte Form des Musikerlebnisses üben auf ihn eine grosse Faszination aus. «Wichtig ist mir, die Lebens nähe der Musik zu spüren», sagt er. Wenn er merke, dass ein Konzert einer straffen Dramaturgie folge und lediglich der Unterhaltung diene, verliere es die Anzie hungskraft. Was er suche, sei die Natürlichkeit im Ausdruck, und diese bedinge eine gewisse Zufälligkeit. In Anlehnung an den Reiz des Einmaligen spricht er immer wieder auch von der «Magie des Moments». Jeder Augenblick formuliere seine eigene Wahrheit. Als Fotograf begegnet Pascal dieser mit einer Mischung aus Wagemut und Vorsicht. Seine Porträts blenden nicht; die Farben sind weich, aber gesättigt. Viele Bilder haben gleichzeitig einen klaren Fokus und eine träu merische Unschärfe, sind prägnant, ohne zwanghaft deutlich zu werden. In diesem Wechselspiel von Nähe und Distanz öffnen sich Vorstellungsräume, die dem Betrachter seine ganz eigene Perspektive auf die «Magie des Moments» erlauben. Dass neben dem musikalischen Funkenschlag auch die unberührte Natur zu Pascals wichtigsten Motiven zählt, fügt sich ins Bild eines um sichtigen jungen Mannes mit einem feinen Sensorium, einem geschärften Bewusstsein für seine Umgebung – und einem Hang zum leidenschaftlich Verträumten. Dass sich die Motive gegenseitig inspirieren, liegt auf der Hand. Wann immer Pascal zu Streifzügen durch die Natur aufbricht, lässt er sich von Musik begleiten Pascal Küng und Donat Kaufmann haben sich vor den Bühnen der Badener Kulturlokale kennen und schätzen gelernt. Sie teilen die Vorliebe für das Wortlose in der Musik und standen sich bei Konzerten auch schon gegenüber – als Musiker und als Fotograf. 25 Seite 24: Küste bei Hallavara (oben), Al Pride, Album Show Case «Hallavara» im Casino Bremgarten, Februar 2016 (unten). Seite 26: Al Pride in Hallavara. Pascal Küng begleitete die Band bei den Aufnahmen zu «Hallavara nach Schweden. Fotos: Pascal Küng, Summer Washed Out Photography, www.summerwashedout.ch 26 Althergebracht modern Improvisationsabend in der Reihe Schlumpf+ mit dem Hausquartett von Steff Rohrbach Komposition und Improvisation, das Festgelegte und das Unerwartete, die Wiederholbarkeit und das Einmalige, der Plan und das Unvorhersehbare, das Abgeschlossene und der offene Himmel – die Spannweite im Jazz ist ein weites Feld. Dabei sind alle Varianten möglich und auf der Bühne zu hören: vom vollkommen ausge schriebenen Programm bis zur sogenannt freien Im provisation und sämtlichen Kombinationen dazwischen. Die Improvisation stellt – entgegen der landläufigen Meinung – das Ursprüngliche in der Musik dar: Schon Kinder improvisieren ganz natürlich, die Volksmusik mit ihren starken Improvisationselementen existiert auch ohne Noten seit Jahrtausenden und in Weltge genden, die von der Zivilisation unberührt sind. Damit nicht genug: Auch aufgeschriebene Musik entstammt häufig einer Improvisation oder einer Melodie, die ab sichtslos und wie zufällig aus dem freien Spiel entsteht. Und wer meint, es gebe in der Klassik keine Improvi sation, täuscht sich: Für einen Musiker der Barockzeit wäre es kaum nachvollziehbar, dass die Interpretation von Kompositionen derart im Mittelpunkt von Kon zertleben und Musikausbildung steht wie heute. Über Bach und die Kunst der Improvisation gibt es ganze Bücher. «Komponieren aus dem Stegreif», die «freie Fantasie», Verzierung und Ornamentierung erlebten in der Renaissance und im Barock ihre Hochblüte und waren bis in die Romantik zentrale Elemente sowohl kirchlicher wie weltlicher Musik. Mozart und vor allem Beethoven, aber auch Chopin oder der Kompo nist und Organist Anton Do 12. Mai 19.30 Druckerei Baden Bruckner waren grosse «Someday my Prince Meister der Improvisation Will Come» – sie bezog sich damals Hausquartett plus: allerdings vor allem auf Christoph Grab den solistischen Bereich. (Tenorsax), Andreas Das Improvisieren Tschopp (Posaune), Christoph Baumann im Kollektiv wurde erst (Klavier), Hämi Hämmerli im 20. Jahrhundert durch (Bass), Tony Renold den Jazz aus den USA (Schlagzeug) mit seinen Formschemata Siehe Seite 13. und Harmoniefolgen möglich, mit Schönbergs Entwicklung der Zwölftontechnik (um 1920), der Entdeckung der Klangfarbe und später mit dem Ein bezug und der Emanzipation des Geräusches als Gestaltungsmittel. Ende der Fünfzigerjahre verkündete der Altsaxofonist Ornette Coleman: «Lasst uns Musik spielen – und nicht ihren Hintergrund.» Mit Hinter grund meinte er den bis dahin allgemein gültigen Bezugsrahmen der Jazzimprovisation, der seit der Entstehung dieser Musik als unumstösslich galt: den elementaren Aufbau eines Stücks, die Abfolge von Thema – Impro visation – Thema, die Preisgabe von Tonalität und durchlaufendem Metrum. Damit einher ging im Jazz ein Prozess, der bald auch gesellschaftlich folgte – die Zerstörung von Hierarchien und gültigen Normen, die eng verbunden ist mit der Jahreszahl 1968. Die Reihe des Musikers, Komponisten und Pädago gen Martin Schlumpf basiert auf dem Kontext von Improvisation und Komposition: «Ziel der Konzertreihe ist es, Werke in einen historischen Beziehungsrahmen zu stellen, der von der Gegenwart in die Vergangenheit und zurück neue Bedeutungen und Assoziationen ermöglichen soll.» Improvisation kann bedeuten: Ein Thema spontan zu variieren, ohne festgelegten Plan einen solistischen «Ausflug» zu unternehmen, und sie kann spontaner Monolog oder musikalisches Gespräch der Beteiligten sein. Die freie Improvisation meint, dass im Voraus keinerlei Abmachungen bestehen – wobei «frei» trotzdem nicht heisst, dass alles möglich wäre: Jeder Schritt definiert den Folgenden. Der Jazz lebt häufig von beiden Elementen gleichermassen, von der Notation einer Musik und der Improvisation. Nicht selten vollzieht sich die Improvisation aber auch in einem vorgegebenen konzeptionellen Rahmen – und genau dies beabsichtigt Martin Schlumpf im nächsten, zweiteiligen Konzert, das aus einer offeneren und einer vom Komponisten etwas klarer strukturierten Hälfte bestehen wird. Dabei richtet sich Martin Schlumpfs Konzept ganz auf die Lokalität und die Musiker und Instrumente des Abends: Das Hausquar tett von Christoph Baumann und Hämi Hämmerli – der Pianist und der Bassist arbeiten seit über 30 Jahren zusammen – bewegt sich offen und frei in traditio nellem Material und spielt auch mal einen Standard. Ihr Quartett mit Christoph Grab am Saxofon und Tony Renold am Schlagzeug liebt es aber auch, Themen in einem Prozess zu bearbeiten und in dramaturgisch grössere Bögen mit unbekannten Destinationen zu fassen. Hinzukommen wird in der Druckerei Baden mit Andreas Tschopp ein wunderbarer Posaunist. Damit hat Martin Schlumpf eine ganze Hand voll erstklassi ger Musiker zur Verfügung, die prädestiniert sind, seine Vorstellungen umzusetzen und das Publikum auf eine berührende Reise mitzunehmen. Steff Rohrbach schreibt für verschiedene Medien über Jazz, gelegentlich auch über Kulturpolitik. Er lebt in Basel. 27 Bildschirm SCHWANENSEE «Meine Kunst ist eine Materialisierung eines poetischen Gedankennetzes», so nennt Susanne Keller ihr künstle risches Vorgehen. Es ist ihr wichtig, einen poetischen Klang einzubringen. Ihre Arbeit soll einen verschlüssel ten Charakter und einen optischen und akustischen Reiz besitzen. Momentan arbeitet sie an der siebenteili gen Werkserie, den «Choreografischen Objekten». Die erste Inspiration dazu ist eine schriftliche/bildliche Handnotiz von einer Tanzchoreografie. Das abgebildete Werk «Schwanensee» ist das zweite, über zwei Meter hohe, mit Akustik (sieben einzelne Tonspuren verteilt im Werk) bestückte Objekt. Es geht um den Tod und das Leben, den schwarzen und den weissen Schwan, um Zer splitterung und kurzweilige Harmonie, die sich im ex plosiven Chaos verliert und wieder neu generiert wird. Im Zimmermannhaus in Brugg präsentiert die Künst lerin unter anderem eine Auswahl aus dem Werkzyklus «Bebilderungs-Bühnen». «Das Wachsfiguren-Kabinett» ist ein Objekt mit symbolträchtiger Bildsprache und ein geflochtenen Textfragmenten, die einen geheimnisvollen Hinweis zu dem Theaterstück geben, das sich nur in den Gedanken der Betrachterinnen und Betrachter erahnen lässt. Susanne Keller Susanne Keller, *1980, studierte bildende Kunst an der ZHdK. Ihr Schaffen ist vielfach ausgezeichnet. Bis 12. Juni sind Werke von ihr im Zimmermannhaus Brugg ausgestellt und während des Figura Festivals (14.–19. Juni) in Schaufenstern in der Badener Innenstadt. Siehe Seite 38. www.sk.panter.ch Susanne Keller «Schwanensee», aus der Serie «Choreografische Objekte» 2/7, H 2,1 m, B 2,2 m, T 2 m, 2014/15. Stuhl, Holz, Papier, Karton, Bilder, Fundgegenstände, Text, Spiegel, Acryl, Lackfarbe, Räder, sieben MP3-Player. Seite 28: Rückseite, Seite 29: Vorderansicht, Seite 30: Detailansichten 30 Neuland Tauchsieder Zum bedingungslosen Grundeinkommen argovia philharmonic erobert die Alte Reithalle in Aarau und das Bäderquartier in Baden von Dölf Keller von Elisabeth Feller Am 5. Juni 2016 kommt die Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» zur Abstimmung. Dabei wird davon ausgegangen, dass jeder Erwachsene 2500 Franken im Monat erhält und jedes Kind 625 Franken. Selbst wenn ich ein solches Grundeinkommen bekäme, würde ich weiterarbeiten. So stelle ich meine Arbeitskraft als freiwilliger Mitarbeiter im Regionalen Pflegeheim Baden zu Verfügung. Jede Woche einmal betreue ich alte Leute in diesem Heim. Ich arbeite auch sehr gerne kreativ, darum gehe ich einmal in der Woche ins Ausdrucksmalen in die Behindertenwerkstatt ARWO in Wettingen. Ein weiteres Projekt von mir ist das «Rock4Handicap», ein Rockfestival für alle, eine Begegnung für Menschen mit und ohne Handicap. Mein Wunsch ist es, mit diesem Festival alle Menschen zusammenzubringen und Brücken zu bauen, um Hemmungen und Vorurteile abzubauen. All das ist ja auch Arbeit, nur werde ich dafür nicht bezahlt. Darum wäre für mich ein solches bedingungsloses Grundeinkommen ein absolut paradiesischer Zustand. Für mich als behinderten Menschen wäre das nicht schlecht, da ich nur eine ausserordentliche Rente bekomme statt einer ordentlichen. Diese beiden Begriffe muss ich kurz erklären: Eine «ordentliche» Rente der IV hat zugut, wer vor Eintritt der Invalidität Beiträge entrichtet hat an die AHV / IV. Die Höhe der ordentlichen Rente hängt dann vom durchschnittlichen Einkommen ab, auf dem Beiträge entrichtet worden sind. Eine «ausserordentliche» Rente erhalten diejenigen, die invalid waren, bevor sie beitragspflichtig geworden wären. Also alle Geburts- und Frühbehinderten, zu diesen zähle ich leider auch. Sie haben deshalb keine «ordentliche» IV-Rente zugute. Ihnen wird dafür vom Gesetz eine «ausserordentliche» (das heisst beitragsunabhängige) Rente gewährt, die zurzeit einem Betrag von 1567 Franken pro Monat entspricht. Somit besteht keine Gleichberechtigung, da diese ausserordentlichen Renten ziemlich unter dem Durchschnitt der ordentlichen Renten liegen. Hinzu kommt noch, dass sie nur bei einem Wohnsitz in der Schweiz ausbezahlt wird, eine zusätzliche Diskriminierung für uns Frühbehinderte. Deshalb wäre für uns Geburts- und Frühbehinderte das bedingungsloses Grundeinkommen eine wunderbare Idee! Ich werde ein grosses, dickes JA einlegen in die Urne! Und Sie? Aber soll auch ein Bankdirektor oder ein Manager ein solches Grundeinkommen erhalten? Mit einem Jahressalär von ca. 20 Millionen oder mehr? Nein! Das möchte niemand, dass diese «armen» Millionäre auch noch durchgefüttert werden müssen. Denn sie und ihre Steueranwälte kennen jeden Trick, um möglichst wenig Steuern zu bezahlen. Wo ist das Paradies? Der Blick zum Himmel nützt nichts, denn von oben sind keine Aufschlüsse zu erwarten. Weshalb auch, wenn das Paradies ganz nahe liegt – im Bäderquartier von Baden. Das ist nicht wahr, werden Sie einwenden. Doch. Dort wird im Mai und Juni am Ende eines 90-minütigen Rundgangs durch das Hotel Verenahof der letzte Satz aus Mahlers 4. Sinfonie und damit der Gesang der Sopranistin erklingen: «Wir geniessen die himmlischen Freuden.» «Dann befinden wir uns im Paradies», sagen jene Musikfreunde, die Erwin Steins höchst selten gespielte Kammermusik fassung dieses Werks schon gehört haben. Wer sie noch nicht kennt, wird ihr bald im Zusammenklang mit noch mehr klassischer Musik im Projekt «Auf der Suche nach dem Paradies» begegnen können. Der «Verenahof» fungiert dabei als Sehnsuchtsort, der von 16 Musikerinnen und Musikern des argovia philhar monic, der Schauspielerin Verena Buss sowie maximal 150 neugierigen Besuchern pro Abend bespielt wird. «Musik gehört zum Kurhotel einfach dazu» Wer ist auf die Idee gekommen, das einstmals pracht volle Kurhotel erneut, vielmehr letztmals zu beleben? Der Badener Schauspieler und Regisseur Walter Küng sowie der argovia-philharmonic-Intendant Christian Weidmann. Küng hatte dem angeschlagenen, morbideleganten Bäderquartier schon 2008 mit «Hotel offen» Reverenz gezollt – mit grossem Publikumsecho. Dieses interdisziplinäre Projekt kannte Christian Weidmann nicht – das Bäderquartier hingegen schon. Dieses hatte er im Rahmen einer Führung kennengelernt, wobei ihn vor allem der Saal im «Limmathof» beeindruckte. Er habe sich damals überlegt: «Darin könnten wir doch für unsere Abonnenten etwas stattfinden lassen. Beispielsweise eine Lesung mit Walter Küng – und dazu Musik. Denn diese gehört zu einem Kurhotel einfach dazu.» Es musste wohl so sein, dass der Schauspieler den Intendanten ansprach und damit nicht eine Lesung, sondern ein Musiktheater-Projekt anschob, das auch überraschende Seiten des argovia philharmonic offen baren will. Dieses zeigt sich im stillgelegten «Verena hof» nicht als grossbesetzter, sinfonischer Klang körper, sondern als Kammermusik-Ensemble. Die Absicht: «Einerseits wollen wir uns öfter als früher sowohl räumlich wie inhaltlich neu präsentieren», betont Christian Weidmann, «andererseits wollen wir mit anderen Sparten zusammenarbeiten.» Dölf Keller leidet seit seiner Geburt an einer Cerebral parese. Er ist Initiator und Organisator von Rock4Handicap und zurzeit Redaktionsmitglied Happy Radio. Er lebt in Wettingen. 31 8., 10., 13. und 14. Mai «Tanzträume», u. a. mit Schwanensee 20., 21., 24., 25., 26., 27., 28. und 31. Mai sowie 1. und 2. Juni, jeweils 20 Uhr «Auf der Suche nach dem Paradies» in Baden, Bäderquartier Siehe Seite 16 23., 24. und 25. Juni, jeweils 20.30 Uhr. «4x4 Ephemeral Architectures» mit Gandini Juggling in Aarau, Alte Reithalle 20., 21., 24., 26., 27. und 28. August «L’Histoire du Soldat», Aarau, Alte Reithalle 32 Gerade weil es überraschen will, hat das argovia philharmonic die «Serie Surprise» lanciert. In diese fügt sich das Projekt «Auf der Suche nach dem Para dies» bestens ein. Das Orchester will also nicht nur mit seinen beliebten Abo-Reihen punkten, «sondern ebenso sehr mit kleineren Formaten an Orten von hohem emotionalem Wert, zu denen auch das Bäder quartier zählt», unterstreicht Weidmann. Als Partner im Zirkus Damit will argovia philharmonic sein Profil schärfen und Präsenz markieren, was der Intendant so auf den Nenner bringt: «Wir müssen im Aargau sichtbar sein» – im Juni dann auch als wendiger, stilsicherer Partner im Zirkus. Wie bitte? «Richtig. Zirkus.» Präziser: «cirqu’5 – 4 × 4 Ephemeral Architectures». Der Titel mutet kryptisch an. Aber dann wird im Gespräch rasch klar, um was es sich handelt – eine Produktion, die beim zweiten Festival für zeitgenössischen Zirkus in der Alten Reithalle in Aarau gezeigt wird. Für das Programm und den Betrieb der Sommer bespielung ist seit Mitte 2014 das Theater Tuchlaube mit seinem Leiter Peter-Jakob Kelting zuständig. Er war es auch, der Weidmann auf das von Roman Müller initiierte, 2015 erstmals durchgeführte kleine Festival cirqu’4 aufmerksam machte. «Ganz ehrlich: Unter zeitgenössischem Zirkus konnte ich mir nicht sehr viel vorstellen», bekennt der Orchesterintendant. Das ändert sich, als er gemeinsam mit Roman Müller die Vorstellung «4 × 4 Ephemeral Architectures» mit Gandini Juggling in Baden-Baden besucht. Rückbli ckend spricht Christian Weidmann «von einer Sensa tion. Tanz in Kombination mit Jonglage und das technisch derart perfekt – das ist fast unbegreiflich.» Die Freude des Intendanten ist unübersehbar. Nicht verwunderlich, schliesslich war er einst als Ballett manager am Opernhaus Zürich tätig. Als der Vorschlag kommt, musikalisch mit Gandini Juggling in der Alten Reithalle zusammenzuspannen, sagt er sofort zu. Also werden im Juni neun argoviaphilharmonic-Mitglieder im Halbrund um die virtuosen Artisten der Truppe positioniert sein; sie werden klassische Musik spielen und – analog zum Projekt in Baden – auch in Aarau neue künstlerische Pfade betre ten. Apropos: argovia philharmonic kommt in der Saison 2016/17 wiederum in die Alte Reithalle. Dann zumal mit sieben Instrumentalisten für Igor Strawins kys «L’Histoire du Soldat» – diesem Schaustück mit einer richtig guten Geschichte, mit raffinierten Figuren und einer hinreissenden Musik. Elisabeth Feller war viele Jahre Redaktorin bei der Aargauer Zeitung. Heute schreibt sie für verschiedene Printmedien. Sie lebt in Wettingen. Fotografien: T+T Fotografie / Toni Suter + Tanja Dorendorf 33 Himmel & Hölle Gott im Wirtshaus von Mirjam Richner Die Gespräche verstummen abrupt, Blicke werden ge tauscht oder aber verschämt gesenkt, gestandene Män ner erstarren in unbeabsichtigt lächerlichen Posen, und sogar die Flammen des Kaminfeuers scheinen die ver spielte Lebendigkeit eingebüsst zu haben, als Gott das Wirtshaus betritt. «Bier!», verlangt er mit tiefer, tragender Stimme vom Barmann, ehe er sich an den einzigen freien Tisch in der Nähe des Feuers setzt. Langsam schmelzen die Eis klümpchen im Bart; der vordere Teil des karierten Lei nenhemdes ist bereits durchnässt. Wenn er sich sorgfältig kleiden und das Haar pflegen würde, wäre er ein imposanter Mann. Als hätte Gott meine Gedanken gehört, blickt er kurz in meine Richtung, nicht unfreundlich, eher prüfend. Der Barmann bringt das Gewünschte. Gott nimmt das Bierglas vom Untersatz und schiebt diesen von sich. Der Tisch ist bereits von etlichen ein getrockneten Ringen gezeichnet, und ich frage mich, ob der Besitzer des Wirtshauses eines Tages von Gott Scha denersatz verlangen würde. Oder ihn die Tischplatte ab schleifen und neu wachsen liesse – immerhin sagt man Gott gute Schreinerfähigkeiten nach. Einige Biertröpfchen sickern in den Bart, als Gott trinkt, und vermischen sich mit dem schmelzenden Eis. Die Gespräche werden zögerlich wieder aufgenom men; das Lachen klingt gekünstelt, die Gesten sind zu ausladend, die Sprache zeigt sich bar aller Kraftausdrü cke, die Worte kreisen um Belanglosigkeiten. Gelegent lich huschen verstohlene Blicke zum Tisch Gottes. Geistesabwesend dreht Gott das Bierglas mit der lin ken Hand um die eigene Achse. Ich erhebe mich, gehe zu Gottes Tisch und frage, ob ich mich setzen dürfe. Ohne vom Bier aufzuschauen, macht Gott eine fahrige Handbewegung, die wohl eine Aufforderung zum Platznehmen sein soll. Er zuckt die Achseln und sagt: «Ich bin heute nicht in Gesprächslaune.» «Sind Sie bedrückt?», frage ich. Erneutes Achselzucken. Schweigen. Nach einer Weile streckt mir Gott die Hand entgegen, ohne mir in die Augen zu blicken. «Lass uns einander duzen. Gott», stellt er sich vor. «Markus», sage ich. «Ich weiss.» «Weisst du alles über mich?» Ich muss an intime Mo mente denken, und Röte steigt mir in die Wangen. «Ich könnte alles über dich wissen. Wenn ich wollte.» Es fällt mir auf, dass Gottes Stimme rau klingt, als wäre er Kettenraucher oder würde zumindest mit einem zu sammenwohnen, oder als wäre er seit Jahrzehnten Lead sänger einer Rockband. Die Worte versetzen mir einen Stich und beruhigen mich zugleich. «Das heisst», frage ich, «dass du dich nicht für mich interessierst?» Gott hebt den Kopf. Die Augen sind von einem inten siven Blau, das gut zu einem Westernhelden aus einer Hollywood-Produktion gepasst hätte. Die Stirn ist er staunlich glatt für Gottes Alter, möglicherweise hat er Zugang zu Pflegeprodukten, die man nur in den grossen Metropolen erhält. «Schau dich doch mal um!», fährt er mich überra schend heftig an. «Wie soll ich mich für jeden Einzelnen interessieren?» Er scheint noch etwas hinzufügen zu wollen, schüt telt dann aber nur resigniert den Kopf. Ein eisiger Schauer rinnt mir über den Rücken, wäh rend sich im Magen gleichzeitig eine wohlige Wärme ausbreitet. Ich möchte Gott tausend Dinge fragen. Zum Beispiel, ob er Lieblingsmenschen habe, ob Energy-Drinks tatsächlich Nierenschäden verursachen, ob er Linkshänder sei, Bier lieber aus der Flasche oder der Dose trinke, schon mal Battlefield Vietnam gespielt habe, Kaviar möge, ob ihm Spiegeleier immer perfekt gelängen, er die Motorradprüfung gemacht habe, Biogra fien lese, Mitglied beim WWF sei, welches seine Lieb lingsfarbe sei, ob er alle Sprachen und Dialekte der Welt verstehe, unter der Dusche singe (und wenn ja: welche Lieder?), auch ab und zu mal sündige, wie es um seine Selbstdisziplin stehe (Süssigkeiten? Alkohol? Zigaret ten? Drogen?) und was er zu Nietzsche sagen würde, wenn dieser noch am Leben wäre (zum Beispiel «Nietz sche ist tot»?). Stattdessen schweige auch ich und drehe das Glas. Doch nun schleichen sich Worte über die Lippen, fast ohne mein Zutun, ich kann sie nicht halten: «Das mit Judas Ischariot –», sage ich, zögere, fühle mich aber schliesslich ermutigt von Gottes Schweigen, «ich meine, einer musste ja die Drecksarbeit erledigen, damit der Plan aufgeht. Wo ist Judas jetzt? In der Hölle?» Schalk blitzt in Gottes Augen. Sein Gesicht erhellt sich zu einem bubenhaften Grinsen; es ist, als würden wärmende Sonnenstrahlen durch einen dunklen, wolken verhangenen Himmel brechen. Gottes Lachen klingt warm, doch ein Hauch von Hysterie schwingt darin mit: «In der Hölle? Nein, in der Erde!» Dann, mit einem Schlag, blickt er wieder todernst. Er wendet den Kopf ab und starrt sorgenvoll ins Feuer. Kaum bewegt er die Lippen, als er murmelt: «Judas, ein Rädchen im Getriebe. Wie Bruder Eichmann.» Ich betrachte Gottes Profil. Die Nasenpartie – der leicht konvexe Nasenrücken und die fehlende Einbuch tung an der Nasenwurzel – erinnert mich an jene von Javier Bardem. Mirjam Richner, 1988 in Aarau geboren, lebt in Unterent felden. Sie veröffentlicht seit 2009 Kurzgeschichten. 2010 erhielt sie den Förderbeitrag vom Aargauer Kuratorium, 2012 nahm sie an den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt teil. Im Januar 2016 erschien ihr erstes Buch «Bettlägerige Geheimnisse» als Teil der Collection Montagnola von Klaus Isele. Illustration: Selina Kallen, www.selka.ch 35 BADEN TANZT. ÜBERALL! FREITAG 13. UND SAMSTAG 14. MAI 2016 Infos unter www.dastanzfest.ch/baden Vorverkauf ab 25. April 2016 bei Info Baden, Bahnhofplatz 1 haydn bach V O K A L E N S E M B L E NEU MAS in Kulturmanagement DAS + CAS -M od Studien s Oktobe tart r 2016 ule Informationsveranstaltung Dienstag, 31. Mai 2016, 18.30 bis 20 Uhr Ort: Steinengraben 22, 4051 Basel händel Michael Haydn Requiem in c Johann Sebastian Bach www.kulturmanagement.unibas.ch Kantate «Ich hatte viel Bekümmernis» Georg Friedrich Händel Coronation Anthem «The King shall rejoice» Samstag, 28. Mai 2016, 20 Uhr Stadtkirche Lenzburg Lesung mit den Preisträgerinnen der Literaturpreise des Bundesamts für Kultur: Sonntag, 29. Mai 2016, 17 Uhr Stadtkirche Zofingen Sprecherin: Miriam Japp Moderation: Martina Kuoni DI, 3. Mai, 19.15 Uhr, Aargauer Literaturhaus Reservation/Details: www.aargauer-literaturhaus.ch Leta Semadeni Foto: Mario del Curto Leta Semadeni und Antoinette Rychner Foto: Mario del Curto Schweizer Literaturpreise 2016 Antoinette Rychner Capriccio Barockorchester Vokalensemble opus 48 Zofingen Leitung Peter Baumann Sopran Alt Tenor Bass Barbara Zinniker Roswitha Müller Tino Brütsch Kai Florian Bischoff Eintritt Fr. 45.– / 35.– www.opus48.ch Effingerhof AG Storchengasse 15 5201 Brugg Telefon 056 460 77 77 Fax 056 460 77 70 info@effingerhof.ch www.effingerhof.ch Geballte Medienkompetenz. ANzeigen opus 48
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